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Zauberberggast
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München

Bewertungen

Insgesamt 164 Bewertungen
Bewertung vom 20.10.2020
Die Gabe der Sattlerin
Dorweiler, Ralf H.

Die Gabe der Sattlerin


sehr gut

“Kabale und Liebe” mit den “Räubern”

Historische Romane funktionieren in der Regel dann, wenn sie uns glaubhaft vermitteln können, dass sich die erzählte Geschichte in der dargestellten Zeit genau so hätte abgespielt haben können. Dieses Gefühl der historischen Authentizität beim Leser zu erzeugen, gelingt Ralf H. Dorweiler mit "Die Gabe der Sattlerin" in jedem Fall. Für die Zeit der Lektüre sind wir einfach davon überzeugt, dass eine junge Sattlerin namens Charlotte, eine Räuberbande rund um den im 18. Jahrhundert berüchtigten Räuber Hannikel, der Arzt und Dichter Friedrich Schiller sowie der verschwendungssüchtige Herzog Carl Eugen von Württemberg auf einem Marbacher Gestüt im Sommer 1781 aufeinandergetroffen sind (in der historischen Wirklichkeit war das nicht der Fall). Zahlreiche interessante Nebenfiguren sowie Schauplätze in Württemberg, Baden und dem Schwarzwald (damals Hoheitsgebiet der Habsburger) komplettieren den Eindruck eines lebendigen historischen Romans. Das Setting also stimmt schon mal.

Alle Hauptfiguren in diesem Roman haben eine Mission, sie sind getrieben von der Jagd nach ihrem ganz persönlichen Glück. Die (fiktive) Protagonistin Charlotte, Tochter eines Sattlers, möchte der Ehe mit einem 20 Jahre älteren Amtmann entgehen und flieht mit unbekanntem Ziel auf ihrem Pferd Wälderwind einen Tag vor der anberaumten Hochzeit aus ihrem Heimatort Märgen. Der junge Regimentsarzt Friedrich Schiller möchte endlich seinen ihm zustehenden Sold erhalten und alle Leute behandeln dürfen, die bei ihm vorsprechen, nicht nur die Soldaten aus Carl Eugens Regiment. Außerdem muss er sein Theaterstück "Die Räuber" für die Mannheimer Bühne adaptieren. Zu seinem Verdruss wird er als Aushilfs-Rossarzt ans herzogliche Marbacher Gestüt geschickt, dabei sind ihm Pferde eigentlich suspekt…
Seine Durchlaucht, der Herzog von Württemberg, möchte seine langjährige Mätresse, die Gräfin von Hohenheim, heiraten, aber die Kirche macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Einstweilen lenkt er sich mit der Jagd nach extravaganten Geschenken für sie ab und auch sich selbst möchte er um ein exklusives Reitpferd aus Venedig bereichern, für das außerdem ein prunkvoller Sattel benötigt wird (hier kommt Charlotte ins Spiel). Carl Eugens Hoffaktorin Karoline Kaulla (eine großartige Persönlichkeit des 18. Jahrhunderts) sieht die schwindelerregenden Ausgaben des Herzogs mit Skepsis. Und dann sind da ja auch noch die Räuber um Hannikel, die, wie sollte es auch anders sein, räubern wollen bzw. müssen.

Ralf Dorweiler hat sich mit diesem Buch sehr viel vorgenommen, wie er auch im Nachwort betont. Die Handlung wird vor allem von der lebendigen Darstellung der historischen Figuren getragen. Die Dialogszenen sind eine große Stärke des Buches, sie haben mich sehr gut unterhalten und warfen mitunter auch ein neues Licht auf Schiller und Carl Eugen, den Herzog von Württemberg, die beide sehr komplexe Persönlichkeiten waren. Madame Kaulla hat mich begeistert, toll dass sie mir hier vorgestellt wurde. Für den subtilen Humor und die Situationskomik gibt es nochmal einen großen Pluspunkt. Die Handlung um Charlotte ist mir leider mitunter etwas zu melodramatisch ausgefallen. Ein Verehrer weniger hätte meines Erachtens auch gereicht. Das ist aber auch schon der einzige Kritikpunkt, den ich habe.

Im Großen und Ganzen ein wundervoller historischer Roman, der uns das Württemberg des
18. Jahrhunderts und seine facettenreichen Persönlichkeiten authentisch näher bringt.

Bewertung vom 13.10.2020
Just Like You
Hornby, Nick

Just Like You


gut

Wenig romantisch, kaum witzig, dafür sehr politisch

Wenn man einen Roman von Nick Hornby lesen möchte, weiß man in der Regel vorher, was einen in etwa erwartet: Beziehungen/Liebe, Fußball, Musik. Irgendeines dieser Themen - wenn nicht sogar alle drei - verarbeitet der britische Erfolgsautor mit Sicherheit, darauf kann man ein Pint in seinem Londoner Lieblingspub trinken, denn dort spielt auch die Handlung des neuesten Hornby-Romans.

Die männliche Hauptfigur von “Just like you”, der 22-jährige Joseph aus dem sozialen Brennpunkt-Bezirk Tottenham, ist Amateur-DJ, der auf die große Karriere als Musikproduzent hofft. Außerdem spielt und konsumiert er gerne den ur-englischen Sport Fußball. Damit hätten wir schon einmal zwei von Hornbys Lieblingsthemen abgedeckt. Joseph, der als Aushilfe in einer Metzgerei bedient, verliebt sich in die 42-jährige Lehrerin Lucy, die dort als Kundin einkauft. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen in der Vorpubertät, von ihrem Exmann, einem Alkoholiker und Dorgenkonsumenten, lebt sie frisch getrennt im Stadtteil Islington, einem familiären Mekka der Gutsituierten. Wer jetzt denkt, die Welten der beiden Protagonisten könnten unterschiedlicher nicht sein, der irrt, denn neben dem divergierenden soziokulturellen Background und dem eklatanten Altersunterschied, haben die beiden auch noch verschiedene Hautfarben: Joseph ist schwarz, Lucy weiß. Hornby erzählt uns hier also die Liebesgeschichte zweier sehr unterschiedlicher Menschen, wobei das Alter natürlich die allergrößte Rolle spielt. Die Konstellation junger Mann und ältere Frau gibt es zwar gelegentlich in der Literatur, dennoch ist sie selten und gesellschaftlich noch stärker tabuisiert, als die umgekehrte Variante. Dieses Thema hat mich auch verleitet, mich für den Roman zu interessieren sowie natürlich der immer bei Hornby zu erwartende Humor.

Die Handlung spielt sich hauptsächlich vom Frühling bis zum Herbst 2016 ab und damit rund um das “Brexit-Referendum”, bei dem am 23.06.2016 der Austritt Großbritanniens aus der EU vom britischen Volk beschlossen wurde. Hornbys Figuren nehmen auch unterschiedliche Positionen zum Brexit ein, wobei die liberal denkende Lucy natürlich für die EU und damit dagegen ist. Der Twen Joseph kann sich nicht so richtig für eine Seite entscheiden.

Hat mich das Buch mitgerissen, hat es meine Erwartungen erfüllt? Ich muss dazu leider “nein” sagen. Die Liebesgeschichte hat mich nicht wirklich überzeugt, es kommt viel zu wenig “Gefühl” auf. Das Bedingungslose einer Liebe, die gegen jede gesellschaftliche Konvention gelebt wird, ist hier leider nicht zu finden. Stattdessen bleibt vieles vage und in der Schwebe, einiges wird nur erzählt statt erzählerisch dargestellt. Auch Humor und Ironie sind mir in diesem Roman leider zu kurz gekommen, obwohl das Buch im Original als "brutally funny" angepriesen wird. Der Grundton ist doch recht ernst und “mainstreamig”. Zum Teil liegt das meiner Meinung nach auch an der etwas holprigen Übersetzung. Für mich leider kein Highlight, aber durchaus lesbar.

Bewertung vom 06.10.2020
Unter uns das Meer
Gaige, Amity

Unter uns das Meer


sehr gut

"Unter uns das Meer" (Im Original: "Sea Wife") ist die Geschichte der ungewöhnlichen Reise einer jungen amerikanischen Familie auf See, die tragisch endet. Es ist auch die Bestandsaufnahme einer Ehe aus der Sicht der beiden Eheleute - Juliet und Michael, beide um die vierzig, Eltern von Sybil (7) und George (2 ½).

Die Geschichte, die sich streckenweise spannend wie ein Krimi liest, wird aus der Ich-Perspektive von Juliet erzählt, durchbrochen von den Eintragungen ihres Mannes in sein "Logbuch", eine Art Schiffsreise-Tagebuch. Nach ihrer Rückkehr liest Juliet dieses so persönliche Buch, um ihren Mann und seine Beweggründe im Nachhinein besser zu verstehen.

Der Roman ist für mich am ehesten mit einem intimen Kammerspiel zu vergleichen. Wie das Meer und die Gezeiten verändert sich im Lauf der Reise die Dynamik unter den Familienmitgliedern wie in einem natürlichen Zyklus. Glückliche und traurige Erinnerungen, Träume und Versäumnisse suchen die beiden erwachsenen Reisenden heim, aber auch die siebenjährige Tochter des Ehepaars spürt schon die Herausforderungen des Lebens, die in ihren Eltern gespiegelt werden. Diese Eltern, die so verschieden sind und doch ein Ehepaar. Er Republikaner, Versicherungsmensch, spontan, sie Demokratin, Literaturwissenschaftlerin, vorsichtig. Es ist das Drama zweier Menschen, die eigentlich nicht zusammenpassen und sich doch fast symbiotisch ergänzen.

Michael, der anfangs sehr sympathisch auf mich wirkte, wurde mir im Lauf der Handlung mit seinem Fatalismus immer unheimlicher, ging mir mit seiner Selbstgerechtigkeit und seinem falschen Ehrgefühl auf die Nerven. Ich konnte Juliet zunehmend sehr gut verstehen, dass sie sich emotional von ihm abwendet. Auch die Autorin ergreift indirekt die Partei der Frau, so kam es mir zumindest vor.

Juliet ist die Hauptfigur des Romans, der auch zu großen Teilen davon handelt, wie eine Frau in der Mitte des Lebens die Tragödie ihres so “normalen” Daseins verarbeitet. Sie hat Literaturwissenschaft mit Fachrichtung Lyrik studiert und infolgedessen helfen ihr Gedichte bei der Aufarbeitung ihrer Trauer. Juliet leidet seit der Geburt ihrer Kinder an Depressionen und hat im Zuge dessen die Arbeit an ihrer Dissertation über die Lyrik von Anne Sexton, die ebenfalls an dieser Krankheit litt, abgebrochen. Dennoch kehrt sie immer wieder zur Poesie zurück. Es ist somit also auch ein Roman darüber, was Literatur zu leisten vermag - Gedichte als Weg aus der Depression, Lyrik als Lebenshilfe gewissermaßen.

Im Roman und vor allem im Logbuch findet sich allerlei Segel-Jargon ("Luv", "Fock", "Beidrehen", "Krängung", "Winsch", "Verklicker", etc.), mit dem ich als Nicht-Seglerin nicht viel anfangen konnte. Es hat mich zwar manchmal irritiert, wenn ich ein Wort nicht kannte, andererseits gehören diese Fachbegriffe aber auch dazu, um die Geschichte einer Seglerfamilie authentisch zu erzählen. Vielleicht wäre ein Glossar am Ende hilfreich gewesen.

Amity Gaige, die mir als Autorin vor der Lektüre unbekannt war, hat einen sehr ansprechenden Roman darüber geschrieben, wie schwierig es in dieser modernen und differenzierten Welt voller Möglichkeiten ist, seinen eigenen Weg zu finden. Das ist gnadenlos ehrlich, oftmals traurig, aber irgendwie auch kathartisch und heilsam.

Bewertung vom 29.09.2020
Funkenmord / Kommissar Kluftinger Bd.11
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Funkenmord / Kommissar Kluftinger Bd.11


ausgezeichnet

Lachkrämpfe + Hochspannung = Kluftinger!

Endlich: Der neue Kluftinger “Funkenmord” ist da! Über zwei Jahre mussten Fans des schrulligen, aber genialen Allgäuer Kommissars auf den Nachfolger des sehr anderen zehnten Bandes “Kluftinger” warten, der mit einem fiesen Cliffhanger endete. Während in “Kluftinger” am Ende klar ist, dass der sogenannte “Funkenmord” aus dem Jahr 1985 nicht von demjenigen begangen wurde, den Klufti als junger Polizist für 30 Jahre unschuldig ins Gefängnis brachte, beginnt der neue Band dort, wo der andere aufhörte: Kluftinger will endlich seinen größten Fehler bereinigen und den wahren Mörder der jungen Lehrerin Karin Kruse finden, die 1985 bei einem alternativen “Funken” verbrannt wurde.

Der elfte Kluftinger liefert ab und zwar in allen Belangen. Der “Cold case”, der ja offiziell keiner ist, da damals ein vermeintlicher Mörder verurteilt wurde, bringt Spannung ohne Ende. Nach und nach werden Verdächtige präsentiert, die ihre Finger beim “Funkenmord” im Spiel gehabt haben könnten und der Leser darf miträtseln. Die Autoren schaffen diesmal wieder mit Bravour den Spagat zwischen dem sehr ernsten Mordfall und dem unfreiwillig komischen Privatleben Kluftingers. Da Kluftingers Frau Erika im Zuge der Ereignisse rund um die Angriffe gegen ihren Mann von Migräneanfällen heimgesucht wird, muss der Kommissar temporär die Haushaltsführung übernehmen. Und da bleibt wirklich kein Auge trocken. Ich habe zeitweise so laut und anhaltend gelacht, dass meine Tochter aus dem Nebenzimmer fragte: “Papa, warum lacht die Mama so?”. Vielen Dank an Klüpfl/Kobr, ich habe echt lange nicht mehr so viel beim Lesen gelacht.

Auch der Schlagabtausch mit Kluftis Erzfeind Dr. Langhammer (“Kurpfuscher ruft an”), ist so amüsant wie eh und je. Diesmal muss er einen Ersatz für den Ungarischen Wischler des Dorfarztes finden, der von seinen Angreifern im Wald erschossen wurde. Auch ein bekanntes Küchengerät, das im Dunstkreise des Doktors auftaucht, bringt Kluftinger ungeahnte Probleme.
Aber ich will nicht zu viel verraten: Die humorvollen Szenen sind einfach super witzig und im schwierigen Jahr 2020 sind solche Lacher mehr als willkommen!

Dann ist der elfte Kluftinger auch noch wie gewohnt gespickt mit aktuellen gesellschaftspolitischen Brennpunkten und Themen: Ob es die moderne Ehe von Markus und Yumiko ist, Taufe ja oder nein, die Stellung von Frauen/Ausländern/Homosexuellen in der katholischen Kirche, die Aufnahme des “Dritten Geschlechts” in die deutsche Beamtensprache, latenter Sexismus gegenüber der neuen jungen KollegIN, die den verstorbenen Eugen Strobl ersetzen soll oder die schwierige Lage von Geflüchteten in der neuen Heimat sowie Mobbing ganz allgemein: Klüpfl/Kobr nennen die Dinge beim Namen, halten der Gesellschaft einen Spiegel vor und räumen anhand der Kultfigur Kluftinger und seiner Umwelt mit Vorurteilen auf - und das ist auch gut so!

Ganz zum Schluss erfahren wir als Schmankerl dann auch noch das Geschlecht von Kluftingers Enkelkind, wobei: eigentlich ist es ja egal, welches Geschlecht man hat, heutzutage, Hauptsache man ist ein anständiger Menschn - gell, Butzele?

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.09.2020
Die letzten Zeilen / Das Buch der gelöschten Wörter Bd.3
Garner, Mary E.

Die letzten Zeilen / Das Buch der gelöschten Wörter Bd.3


ausgezeichnet

Das Ende der Geschichte(n)
Bei Fantasy-Reihen ist der letzte, finale Band oft von großer Bedeutung: Hier werden meist die großen Geheimnisse aufgelöst, die sich durch die Handlung gezogen haben, hier wird zwischen Gut und Böse "abgerechnet" und - in der Regel - ein für den Leser zufriedenstellendes Happy End erzeugt. Außerdem lässt sich mit Beendigung der Lektüre des letzten Bandes die ganze Reihe im Nachhinein besser bewerten: War das "Worldbuildung" in sich stimmig? Sind die Handlungsstränge bis zum Ende geführt und schließlich aufgelöst worden? Waren die Figuren plausibel und ihre Beweggründe nachvollziehbar?
Wenn ich mir nach diesen Kriterien Mary E. Garners “Das Buch der gelöschten Wörter - Die letzten Zeilen” sowie zusätzlich die ganze Reihe anschaue, kann ich für mich persönlich behaupten, dass in diesem letzten Band der Trilogie alles nach den obigen Kriterien zu meiner Zufriedenheit aufgelöst und erfüllt wurde. Noch einmal ist mir in diesem letzten Teil aufgefallen, wie raffiniert die Autorin die geschilderten Buchwelten - sowohl die Klassiker als auch die “erfundene” um den Bösewicht Quan Surt - ausgewählt und in ihr persönliches Fantasy-Setting integriert hat. Selbst in diesem letzten Band kommen noch neue Buchwelten dazu, die Hope und ihre Kollegen besuchen. Allen voran natürlich “Sturmhöhe” von Emily Brontë. Dass wir ein “Eye-to-eye” mit Heathcliff bekommen, ist für mich persönlich das Highlight dieses Bandes. Wer möchte ihn nicht einmal “außerhalb seiner Geschichte” kennenlernen, den berühmt-berüchtigten Liebhaber von “Wuthering Heights”? Attraktiv-dramatisch-dunkel-impulsiv - der Prototyp des “tall, dark, stranger” - ja, so hab ich mir ihn vorgestellt und so passt er auch zur klassischen Vorlage.
Auch einige Überraschungen und Wendungen hält die Autorin in diesem Band für uns parat und es wird zudem - passend zum Auftauchen von Heathcliff - ziemlich dramatisch. Aber so gehört es sich ja schließlich auch für den letzten Band einer Fantasy-Reihe. Da bleibt kein Auge trocken und am Ende können wir uns auch auf ein richtiges Happy End freuen, mit ein paar Wermutstropfen - auch das bleibt natürlich nicht aus. Schließlich ist mit diesem Band alles vorbei: Schluss, Aus, Ende der Geschichte(n).
Wir alle wissen noch (also die wir es gelesen haben), mit welchem Gefühl wir den letzten “Harry Potter”-Band zugeschlagen haben. Obwohl es mir mit “Das Buch der gelöschten Wörter” nicht ganz so erging, denn an die Geschichte des Jungen Harry reicht ja kaum eine andere Fantasy-Geschichte heran [auch wenn die Äußerungen der Autorin von “HP” zu gewissen Themen natürlich nicht zu billigen sind], war ich doch etwas traurig, als ich Hope, Rufus und Co. ziehen lassen musste. Fünf Monate haben mich die Protagonisten, Neben- und Buchfiguren der Fantasy-Geschichte von Mary E. Garner nun begleitet. Nochmal ein Lob an die Verlagspolitik, alle drei Bände innerhalb kürzester Zeit auf den Markt zu bringen. Danke Mary E. Garner für diese schöne Geschichte, ich hoffe es werden noch weitere folgen.

Bewertung vom 22.09.2020
Das Verschwinden des Dr. Mühe
Hilmes, Oliver

Das Verschwinden des Dr. Mühe


sehr gut

Spannender "True-Crime-Histo"

Es ist der Juni des Jahres 1932, als der angesehene und gut situierte 34-jährige Berliner Allgemeinarzt Dr. Erich Mühe nach einem nächtlichen Ausflug an den Sacrower See in Potsdam spurlos verschwindet. Er hinterlässt seine Ehefrau Charlotte und viele Fragen. Zahlreiche Merkwürdigkeiten und widersprüchliche Zeugenaussagen ranken sich um sein Verschwinden. Was das für Dinge sind, kann ich hier nicht näher ausführen, denn von diesen "Enthüllungen", die im Laufe der Zeit ans Licht kommen, lebt das Buch. Dennoch sollte der geneigte Leser wissen, dass sich das Verschwinden des Dr. Mühe bis dato nicht aufgeklärt hat. Ein "Cold Case" par excellence also, den wir hier vor uns haben.

Hilmes erzählt seine "Kriminalgeschichte", wie es im Untertitel heißt, im Dokumentarstil. Wie ein reiner Beobachter des Geschehens beschreibt der Erzähler jedes Detail der Spurensuche rund um das Verschwinden Mühes. Die Ermittlungen leiten Kommissar Ernst Keller und sein Assistent Schneider. Sie bewerten das Geschehen durch ihre Sicht und tappen wie der Leser dieser fiktiven Dokumentation zunehmend im Dunkeln. Hilmes hat die "Akte Mühe", die vornehmlich aus Verhörprotokollen und Notizen besteht, ausgewertet und in eine erzählerische Form gebracht. Wer mehr über das Verhältnis zwischen fiktionalen und historisch belegten Elementen sowie den realen Figuren im Buch wissen möchte, dem sei die Website www.doktormuehe.de ans Herz gelegt.

Immer wieder streut der Erzähler tagesaktuelle gesellschaftspolitische Ereignisse sowie Schlagzeilen ins Geschehen ein, auf die auch die Figuren Bezug nehmen oder sie über die Presse rezipieren. Der Berliner Sommer 1932 war von politischen Umwälzungen geprägt, die in der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 und dem Ende der Weimarer Republik ihren ersten traurigen Höhepunkt fanden. Das Verschwinden Mühes wird aber nicht im ersten Jahr aufgeklärt, sondern zieht weite Kreise. Vor dem Hintergrund des Aufstiegs der NSDAP über das zerbombte Berlin bis ins Jahr 1950 wird der "Cold-Case-Mühe" erzählerisch beleuchtet.

Auch am Detailreichtum, was die Beschreibung des Settings Berlin im Jahr 1932 und darüber hinaus betrifft, merkt man, dass Oliver Hilmes promovierter Historiker ist. Das Studium zeitgenössischer Quellen schlägt sich im Text nieder. Wir erfahren beispielsweise historisch genau, was die einzelnen Gerichte auf der Speisekarte von "Aschinger" gekostet haben und was das jährliche Einkommen eines Arztes in den 1930er Jahren war.

Hilmes erzählerischer "True-Crime-Report" aus den Endtagen der Weimarer Republik ist zu Beginn ein Pageturner, der leider, das liegt in der Natur der Sache, mehr Fragen stellt als er auflöst. Da kann aber der Autor nichts dafür, der uns einen spannenden, hervorragend recherchierten "Cold Case" geliefert hat, der leider ein solcher bleiben wird.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.09.2020
Mord in Highgate / Hawthorne ermittelt Bd.2
Horowitz, Anthony

Mord in Highgate / Hawthorne ermittelt Bd.2


ausgezeichnet

Nach “Ein perfider Plan” ist “Mord in Highgate” der zweite Band der Reihe rund um den undurchschaubaren Privatdetektiv Hawthorne und den realen Autor Anthony Horowitz. Diesmal führt die beiden ein Mord an einem Scheidungsanwalt, der mit einer extrem teuren Weinflasche verübt wurde, ins noble Londoner Viertel Highgate.

In seinem Roman liefert uns Horowitz nichts weniger als eine metatextuelle Poetik des Kriminalromans und einen Einblick in seinen eigenen Schaffensprozess, wenn auch verpackt in eine fiktive Geschichte. Hier wimmelt es also nur so vor Metareferenzen sowie inter- und intratextuellen Verweisen. Die "reale" Vorlage, die der Fall ihm liefert, wird dabei in seiner "Ungeeignetheit" für einen guten Krimi oft von ihm kritisiert. Zum Beispiel lässt er sich unverhohlen darüber aus, dass ihm der leitende polizeiliche Ermittler aus dem letzten Hawthorne Krimi, DI Meadows, lieber gewesen wäre als die aktuelle DI Cara Grushaw. Der "schlaue Privatdetektiv" benötige nämlich als Kontrastfigur einen "weniger schlauen Polizeibeamten" (S. 35), wie im Vorbild” Sherlock Holmes” Inspector Lestrade, auf den Horowitz verweist. Also muss sich Horowitz eingestehen, dass die Dramaturgie seiner Hawthorne-Krimis ein anderer vorgibt - nämlich Hawthorne selbst. Er bestimmt, was Horowitz erzählt, welche Szenen ins Buch kommen und was die nächsten Ermittlungsschritte sind. "True Crime" sozusagen, in der Realität des Buches, nur dass der Fall natürlich genauso fiktiv ist, wie Horowitz' andere Stories. Aber: Er tut in diesem Roman so, als wäre alles echt, dabei ist es nur Horowitz selbst (und sein berufliches wie privates Umfeld).

Hawthorne, der in diesem Band nur noch rätselhafter wirkt was seine Person und Vergangenheit betrifft, ist tatsächlich ein geistiger Erbe des legendären fiktiven Detektivs aus dem 19. Jahrhundert. Ähnlich wie dieser kann er ebenfalls aus minutiösen Beobachtungen und vermeintlichen Kleinigkeiten eine ganze Fallgeschichte rekonstruieren. Über einen Holmes-Text von Conan Doyle (“Eine Studie in Scharlachrot”) wird sogar in der “Lesegruppe” des Romans diskutiert und der auf Romanebene “reale” Fall weist außerdem Ähnlichkeiten mit der Detektivgeschichte um Holmes und Watson auf.

Horowitz gibt sich in diesem Buch einmal mehr sehr sympathisch in seiner Unzulänglichkeit als Kriminalist und nimmt sich und seine schriftstellerische Arbeit auch mal augenzwinkernd aufs Korn. Eine Verdächtige im Buch bezeichnet ihn einmal abfällig als "Unterhaltungsschriftsteller" (S. 200) - ein Prädikat, das dem erfolgreichen Bestsellerautor wohl schon so mancher in der echten Welt anhaften wollte. Innovativ ist seine Idee, sich selbst als Erzähler und Figur in die Romanwelt einzuschreiben, allemal. Gekonnt geplottet, mit vielen Wendungen und für Whodunit-Fans wunderbar rätselreich ist “Mord in Highgarte” ebenfalls.

Wie es auch im Roman selbst thematisiert wird ("Drei-Buch-Vertrag") schreibt Anthony Horowitz derzeit tatsächlich an seinem dritten "Hawthorne/Horowitz-Band". Laut einem Interview ist die Reihe sogar auf 10 Bände angelegt. Ich freue mich, denn mittlerweile begeistert mich die skurrile Zweckgemeinschaft zwischen dem grummeligen Detektiv, der kaum etwas über sich preisgibt, und dem erfolgreichen (realen) Schriftsteller sehr.

Bewertung vom 16.09.2020
Der falsche Preuße / Offizier Gryszinski Bd.1
Seeburg, Uta

Der falsche Preuße / Offizier Gryszinski Bd.1


ausgezeichnet

(Preußischer) Adel verpflichtet!

Ein preußischer Polizeibeamter ermittelt in München. Was mitunter Gegenstand von (humoristischen) TV-Krimiserien ist, habe ich in einem historischen Kriminalroman so noch nicht gelesen.
Der preußische Adelige und Reserveoffizier Wilhelm von Gryszinski ist im Herbst des Jahres 1894 gerade einmal ein Jahr mit seiner Frau und dem sieben Monate alten Sohn in München, hat sich aber schon bestens in der bayerischen Metropole eingelebt. Nur die komplexen Mordfälle, wegen derer er nach München als Sonderermittler beordert wurde, lassen noch auf sich warten. Doch prompt geschieht zu Beginn der Handlung ein solcher und die - damals modernen - Ermittlungsmethoden Grsyzinskis sind nun gefragt. Wer ist der Mann, der neben dem Maximilianeum ermordet aufgefunden wurde? Der Federumhang, den er trägt und der Abdruck eines Elefantenfußes neben der Leiche lassen erstmal nicht darauf schließen, aber dieser Mordfall zieht weite Kreise, bis hinein in die Eingeweide der preußischen Diplomatie.

Mehrere Welten treffen in diesem Roman aufeinander. Einerseits die des bayerischen Zeitgeists um 1900: Gemütlichkeit, Wirtshaus, Bierbrauen, Marktfrauen, Katholizismus, um nur einige Schlagworte zu nennen. Dann die kontrastive Haltung der Berliner bzw. Preußen, die ich mit den Worten Netzwerk, Pickelhaube, Pünktlichkeit, Ordentlichkeit und Protestantismus klischeehaft bedienen möchte. Die Topographien der Nebenwelten, die in diesen Krimi hineinspielen, sind folgende: Die Münchner Arbeiterschaft (Armut, Bescheidenheit, Hütte, Handwerk, Glaube) sowie die dekadente Welt der Neureichen (Ästhetizismus, Dandytum, Überfluss, Kuriositätenkabinette, Kunstbeflissenheit).

Uta Seeburg hat einen sehr elaborierten historischen Kriminalroman geschrieben, der vor atmosphärischer Details nur so strotzt und in sich absolut stimmig konstruiert ist. Die Akkuratesse, die sie ihrem preußischen Protagonisten zuschreibt, findet sich auch in ihrem Schreibstil wieder. Gleichzeitig ist dieser Stil aber eben auch sehr bildhaft - manche ihrer Metaphern sind ein regelrechter ästhetischer Genuss.

Es geht im Roman sehr oft um die gesellschaftlichen Gepflogenheiten der damaligen Zeit, zum Beispiel was die Umgangsformen betrifft. Während die Preußen in Berlin gerne zu Abendgesellschaften und Salons einluden, traf der Münchner an sich im späten 19. Jahrhundert (vielleicht ist es bis heute so) seine "Spezl" lieber im Wirtshaus. Auch gebräuchliche Dinge der Alltagsgeschichte der damaligen Zeit sowie kulturgeschichtliches und kulinarisches Wissen bereichern die Handlung und erzeugen eine authentische historische Atmosphäre (Herrlich: Das Philosophieren über die Notwendigkeit einer Flügeltür im Salon bzw. eines zweiten Zugangs zu Räumen, das sich leitmotivisch durch den Roman zieht). Dass diese Fakten zum Großteil “der Wahrheit entsprechen”, sagt die Autorin in einer historischen Notiz am Ende des Romans. Auch geht sie auf die (wenigen) Dinge ein, die nur ihrer Phantasie entsprechen.

“Der falsche” Preuße hat mich als Münchnerin hervorragend unterhalten und ich bin sicher, dass das Buch auch Berlinern gefallen wird. Der augenzwinkernde und mitunter trockene Humor, der die kulturellen Unterschiede - aber auch Gemeinsamkeiten - von Preußen und Bayern betont, hat mir sehr gut gefallen. Umso mehr freut es mich, dass eine Reihe rund um die Hauptfigur Gryszinski geplant ist. Ich harre der Dinge, die da kommen mögen.

Bewertung vom 12.09.2020
Kalmann
Schmidt, Joachim B.

Kalmann


sehr gut

Literarischer Krimi mit “unzuverlässigem Erzähler”

Der Nordosten Islands ist der Schauplatz von Joachim B. Schmidts Roman "Kalmann", genauer gesagt das kleine Dorf Raufarhöfn (609 km entfernt von Reykjavík). Dieser Landstrich der wilden Insel im Atlantik ist geprägt von der Küste und lebt hauptsächlich von der Fischindustrie. Gelegentlich verirren sich auch ein paar wenige abenteuerlustige Touristen hierher. Landschaftlich gesehen ist die Gegend eher karg, hier wächst nicht viel heißt es im Roman, die Winter sind lang und bis weit ins Frühjahr hinein bestimmen Eis und Schnee das Landschaftsbild. In einem kalten März unserer Gegenwart - eine genaue Jahreszahl nennt uns der Erzähler nicht - spielt sich die Handlung des Romans ab.

Der titelgebende Protagonist Kalmann Óðinsson ist 33 Jahre alt und verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Jagen und Fermentieren von Grönlandhaien, die er dann als Delikatesse (“Gammelhai”) verkauft. Er wuchs in Raufarhöfn bei seinem Großvater und seiner Mutter auf, der Vater ist ein amerikanischer GI, den er nur einmal gesehen hat. Kalmann ist geistig behindert, weswegen ihm die Mutter auch in seinem fortgeschrittenen Alter noch als Vormund dient.

Kalmann ist ein sogenannter "unzuverlässiger Ich-Erzähler", der in der Literaturgeschichte eine gewisse Tradition hat. Das heißt, der Leser muss die von ihm getätigten Aussagen über die Welt, die ihm hier präsentiert wird, grundsätzlich infrage stellen. Kalmann erzählt ganz klar seine wenig komplexe, eindimensionale Sicht der Dinge. Er hinterfragt vieles nicht, seine Wahrnehmung ist schwarz oder weiß, unklare Situationen oder Ungewohntes bringen ihn völlig aus dem Konzept und kanalisieren sich mitunter in Wut. Es ist beeindruckend wie der Autor es schafft, die scheinbar simplistische Gedankenwelt Kalmanns zu imagnieren, seine "einfachen" Satzgefüge zu erschaffen, ohne dass es jemals künstlich wirkt. Ja, so könnte jemand denken, der eben "anders" denkt. "Kein Grund zur Sorge", dieser Ausdruck spult sich mantraartig in Kalmanns Kopf ab.

Trotz seiner Tätigkeit als Jäger, seiner Unberechenbarkeit und Grobschlächtigkeit hat der Autor mit Kalmann eine Figur erschaffen, die dem Leser sympathisch ist und in sich stimmig. Dennoch lässt der Erzähler den Leser bis zum Schluss im Ungewissen, wie Kalmanns Rolle innerhalb der Krimihandlung zu verorten ist. Er geriert sich - geprägt von der amerikanischen Popkultur, konsumiert durch den TV, denn Kalmann hat nach eigener Aussage noch nie ein Buch gelesen - als "Sherriff von Raufarhöfn". Beim Jagen findet er eine Blutlache, die vom verschwundenen Geschäftsmann und Hotelbesitzer Róbert McKenzie zu stammen scheint. Es ist ein anspruchsvoller literarischer Krimi, der sich hier entfaltet, mit vielen überraschenden Wendungen und einer unbestreitbar philosophischen Komponente.

Dennoch kann ich nicht die volle Punktzahl geben, denn einige Fragen bleiben am Ende leider offen und das erzählte Gerüst - so unverlässig der Erzähler auch sein mag - bröckelt an manchen stellen. Die Tiertötungsszenen sind weniger "schlimm", als ich sie erwartet habe und die erlegten Tiere wurden nicht gequält. Trotzdem gibt es einige explizite Szenen, in denen Tiere getötet werden. Für mich immer und in jedem Buch ein Minuspunkt, da kann “Kalmann” nix dafür.

Alles in allem aber hat mir der Roman aufgrund seiner unbestreitbar literarischen Qualität sehr gut gefallen. Ich möchte gerne noch mehr von diesem Autor lesen und fand es irgendwie schade, am Ende von Kalmann Abschied nehmen zu müssen.

Bewertung vom 11.09.2020
Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau
Lavoie, Marie-Renée

Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau


gut

Trennungstagebuch einer “Jederfrau”

Überspitzt formuliert: Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass Frauen, die zwischen ihrem vierzigsten und fünfzigsten Lebensjahr von ihrem Mann verlassen werden - bevorzugt für eine Jüngere - sowohl im Leben als auch in der Literatur tragische Figuren sind. Jugendliches Aussehen und Fruchtbarkeit haben sich weitestgehend verabschiedet und sie haben die vermeintlich “besten Jahre” dem Mann geschenkt, der sie nun sitzen lässt. Niemand möchte so ein “banales” Schicksal erleiden und darüber zu lesen, ist auch irgendwie unangenehm.

Die Ich-Erzählerin Diane Delaunais aus “Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau” hat genau so ein Schicksal ereilt, denn ihr Mann Jacques hat sie nach 28 gemeinsamen Jahren, kurz vor der Silberhochzeit, für ein 30-jähriges Model verlassen. Sie sei “langweilig” geworden und er habe sich eben neu verliebt. Die 48-jährige berufstätige Mutter von drei erwachsenen Kindern ist wie vor den Kopf gestoßen. Sie erlebt alle Phasen der “Trennungstrauer” von Nicht-Wahrhaben-Wollen über unkontrollierte Emotion, Vergangenheitsverklärung bis hin zur Suche und Findung eines neuen Ichs und dem Abwerfen des alten Ballasts.

Die Geschichte spielt in einem suburbanen Setting, aber nicht etwa, wie man auf den ersten Blick aufgrund der frankophonen Namen meinen könnte, in Frankreich, sondern im französischsprachigen Teil von Kanada. Die Autorin Marie-Renée Lavoie
stammt aus Quebec. Es gibt aber für mich kaum spezifisches Lokalkolorit und landestypische Eigenheiten, also könnte die Handlung in jeder französischsprachigen Vorstadt der westlichen Welt spielen, in der es lautstarke Laubbläser und gärtnernde Nachbarn gibt. Diane Valois ist eine "Jedefrau", denn überall auf der Welt werden Frauen in ihrem Alter von ihren Männern verlassen und müssen den Neuanfang als Single im fortgeschrittenen Alter wagen.

Es wird sehr episodisch erzählt, die Kapitel sind dabei relativ kurz und haben schon durch die Kapitelüberschriften einen anekdotischen Charakter. Es ist kein akkurates Tag-für-Tag-Tagebuch, sondern enthält szenisch erzählt Begebenheiten aus dem Leben der Hauptfigur, die sich im Rahmen der Trennung von ihrem Mann ereignet haben.

Das Buch spielt mit dem Attribut “langweilig” auf augenzwinkernde Weise. Das Cover konterkariert schon mal den Titel, denn es ist mit dem offen schreienden Mund alles andere als “langweilig”. Leider hört es da aber auch schon auf, denn die Hauptfigur Diane bezeichnet sich auch selbst als langweilig und meint, sie habe ein durchschnittliches Leben gelebt. Ab und zu musste ich schmunzeln, aber laut und extrovertiert wie das Cover ist die Handlung auf keinen Fall. Diane gerät in ein paar “tragikomische” Situation, die eigentlich mehr traurig als komisch sind. Manchmal war ich sogar eher berührt von dem, was ich gelesen habe, als dass ich. Das Kapitel mit den Nachbarn zum Beispiel hat mich ergriffen. Die Szene mit dem “Hutzelmännchen” auf dem Land war dann eher eine weniger gelungene Wiederholung dieser Begegnung.

Das Gelesene war keinesfalls schlecht, allerdings weckt dieser Roman durch Marketing und Cover falsche Erwartungen. Es ist für mich am ehesten eine tragikomische Bestandsaufnahme einer verlassenen Ehefrau und nicht etwa das Tagebuch einer Bridget Jones 2.0 in der Menopause. Wer keine Schenkelklopfer und Lachanfälle erwartet, wird nicht enttäuscht werden.