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Rezensentin aus BW

Bewertungen

Insgesamt 217 Bewertungen
Bewertung vom 24.03.2021
Der heilige King Kong
Mcbride, James

Der heilige King Kong


ausgezeichnet

Der Roman spielt vor rund 50 Jahren in Brooklyn.

Cuffy Lambkin ist der 71-jährige beliebte Diakon der Five Ends Baptist Church.
Er lebt in einer Sozialwohnung des Causeway Housing Projects, einem Sozialwohnungskomplex in Südbrooklyn.
In diesem armen New Yorker Stadtbezirk treffen wir auf Schwarze, Latinos, Iren und Italiener. Es ist ein Areal, in dem sozial schwächer und niedriger gestellte Menschen Tür an Tür wohnen, aber meist leben die Bewohner desinteressiert und gleichgültig nebeneinander her.

Cuffy Lambkin liebt Hochprozentiges, egal ob Pfefferminzschnaps oder den selbstgebrannten, billigen, starken und titelgebenden „King Kong“ und wird von allen nur „Sportcoat“ genannt.

An einem Nachmittag im September 1969 geht er auf den zentralen Platz des Viertels und schießt auf den 19-jährigen Drogendealer Deems Clemens.
Die Drogenmafia sinnt auf Rache...

Ein Mord zu Beginn bedeutet hier nicht, dass das Buch ein klassischer Krimi oder gar ein Thriller ist.
Es ist aber ein spannendes, fesselndes, interessantes und informatives Buch, das Rätsel stellt und Fragen aufwirft.
Warum hat Sportcoat auf Deems geschossen, der einst sein bester Spieler in der Baseballmannschaft war?
Wo ist das Weihnachtsgeld der Kirchengemeinde Five Ends abgeblieben?
Was hat es mit dem Cheese-Day auf sich?
Welche Rolle spielt die uralte gestohlene „Venus von Willendorf“, die die Gemeinde kurzzeitig so glücklich macht?

Wir bekommen mit dieser Geschichte Einblicke in einen sogenannten sozialen Brennpunkt, in dem Armut, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Kriminalität allgegenwärtig, aber nicht das alleinige Merkmal sind.
Auch Rückhalt, Zusammenhalt und Solidarität spielen hier eine bedeutende Rolle.

Der Autor ist ein begabter und feinfühliger Geschichtenerzähler. Er beschreibt Personen, Orte und Situationen wunderbar anschaulich, lebendig, authentisch und ungeschönt.
Eine gute Portion Komik, Witz und Liebe fehlt bei aller Ernsthaftigkeit jedoch nicht.

Der 1957 geborene US-amerikanischer Schriftsteller, Journalist, Saxofonist und Songwriter James McBride ist einer der bedeutendsten Schriftsteller von Amerika und mit „Der heilige King Kong“ hat er einen Roman geschrieben, der zu einem von Barack Obamas Lieblingsbüchern wurde.

Der vielfach preisgekrönte Roman hat mich wunderbar unterhalten und mir tiefe Einblicke in ein recht fremdes Milieu verschafft.
Ich könnte mir das Buch problemlos verfilmt vorstellen und empfehle es sehr gerne weiter!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.03.2021
Romy und der Weg nach Paris / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.16
Marly, Michelle

Romy und der Weg nach Paris / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.16


sehr gut

Wer kennt sie nicht?
Romy Schneider, die als süße und betörende Sissi, die den österreichischen Kaiser Franz Josef heiratete, berühmt wurde?

Schon kurze Zeit nach diesem großen Erfolg hatte Romy Schneider das Gefühl, festzustecken.
Sie wollte ihr mädchenhaftes und braves Image loswerden und als eine seriöse und eigenständige Schauspielerin sowie talentierte und ernst zu nehmende Künstlerin wahrgenommen werden.

1958 bekam die gerade mal 20-Jährige in Paris die Chance an der Seite von Alain Delon in „Christine“ die Hauptrolle zu spielen.
Beide standen damals noch am Anfang ihrer Karrieren.
Ihren Eltern wäre es lieber gewesen, sie hätte noch einen vierten Sissi-Film gedreht. Das wäre eine sichere Einnahmequelle gewesen.

Aber Romy wollte ihre eigenen Wege gehen, erwachsen werden und selbstbestimmt leben.
Sie verliebte sich in Alain, ergriff ihre berufliche Chance, lernte den bedeutenden Regisseur Luchino Visconti und kurze Zeit später auch die 78-jährige Modeschöpferin Coco Chanel kennen und wurde schließlich auch in Frankreich ein Star.

Michelle Marly beleuchtet eine interessante und mir bis dato nicht bekannte Phase im Leben dieser faszinierenden Frau.
In dieser bewegten Phase ging es v. a. um ihre Liebe zu Alain Delon, die 1963 nach vier Jahren Verlobungszeit zerbrach, um die Beziehung zu ihren Eltern und ihre Ablösung vom ehrgeizigen und bevormundenden Elternhaus und um das Finden ihrer beruflichen Identität trotz Widerstand.

Mir gefielen Schreibstil, Sprache und Erzählweise der Autorin.
Ich fühlte mich gut unterhalten, fand auch das informative und ausführliche Nachwort bereichernd und möchte den biographischen Roman gerne weiter empfehlen.

Bewertung vom 19.03.2021
Adas Raum
Otoo, Sharon Dodua

Adas Raum


ausgezeichnet

Mit „Adas Raum“ hat die geborene britisch deutsche Autorin Sharon Dodua Otoo einen beeindruckenden und originellen Debütroman geschaffen, der eine Vielfalt an Themen und mehrere Handlungsstränge beinhaltet und in dem, neben Ada, einer Grenzgängerin, die sich durch Raum und Zeit bewegt, viele verschiedene Stimmen zu Wort kommen: Unterschiedliche Frauen, vier verschiedene Adas, belebte und beseelte Gegenstände.

Die zeitliche Dimension, die der Roman umfasst, ist äußerst umfangreich: Wir bewegen uns vom 15. Jahrhundert bis ins Berlin der Gegenwart.

Manche Dinge sind, wie bereits oben erwähnt, beseelt und führen eine Eigenleben:
Ein Reisigbesen aus 1459.
Ein Messingtürklopfer im London des Jahres 1848 oder ein Bordellzimmer in einem Konzentrationslsger 1945.
Ein Reisepass.

Wir begegnen vier verschiedenen Adas an vier verschiedenen Orten: in Ghana, in England, im Lager Dora und im heutigen Berlin.
Die ghanaische Ada lebt im 15. Jahrhundert im Küstendorf Totope, das heute von den Auswirkungen des Klimawandels bedroht wird.
Die britische Mathematikerin Ada lebt im 19. Jahrhundert, ist verheiratet und hat eine Liebelei mit Charles Dickens.
Die Prostituierte Ada arbeitet im Bordell des Arbeitslagers Dora.
Die hochschwangere schwarze Ada ist Informatikerin, sucht im heutigen Berlin eine Wohnung und macht Bekanntschaft mit Rassismus.

Sharon Dodua Otoo schlängelt sich gewandt durch Raum und Zeit, spielt mit Perspektiven und setzt sich mit den großen Dramen der Menschheit auseinander.
Sie scheut sich weder davor, sich mit der Vernichtungsmaschinerie des NS-Regimes zu beschäftigen, noch die europäische Kolonialisierung Afrikas zu fokussieren.
Auch die Themen Klimawandel, Ungleichbehandlung der Geschlechter, Menschenhandel und Rassismus werden nicht ausgeklammert.
Der rote Faden bei ihrer Zeitreise ist dabei ein antikes und mit goldenen Perlen besticktes Armband.

Alles wird, egal ob explizit erwähnt oder implizit angedeutet, geschickt und spielerisch miteinander verbunden und verknüpft:
Themen, Personen, Orte, Realität und Fiktion (die beseelten Dinge) ... trotz der Vielfalt erscheint mir der Roman nicht überfrachtet.

Sharon Dodua Otoo ist eine begnadete Geschichtenerzählerin, der man die Freude am Erzählen und ihre Klugheit, Weltoffenheit und Weitsichtigkeit anmerkt.

Der Roman „Adas Raum“ ist etwas ganz Besonderes. Die Lektüre bereitete mir Vergnügen und regte mich zum Mit- und Nachdenken an.

Große Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.03.2021
Nächstes Jahr in Berlin
Seeberger, Astrid

Nächstes Jahr in Berlin


sehr gut

Astrid Seeberger erzählt sowohl eine berührende autobiographische Familiengeschichte, als auch von ihrer nicht ganz einfachen Beziehung zu ihrer Mutter.

Man kann den Roman meines Erachtens nicht nebenbei und zwischendurch lesen, weil es keine leichte Kost ist, was man vorgesetzt bekommt.

Gleich zu Beginn des Buchs werden wir mit dem Tod von Astrids Mutter Rose, die in Stuttgart lebte, konfrontiert.
Die beiden hatten ein eher distanziertes Verhältnis und doch löst der Verlust bei Astrid aus, dass sie sich mit dem Leben ihrer Mutter und folglich auch mit ihrem eigenen auseinandersetzt.
Über diese Auseinandersetzung, die in der Tiefe erst 2012, also fünf Jahre später, auf einer einsamen Insel stattfindet, kommt sie ihrer Mutter post mortem näher.
Sie versteht vieles und kann so manches besser einordnen.

Astrid und wir erfahren von Kriegserlebnissen, von Vertreibung, Flucht, Ankommen und Neubeginn, was nicht immer ganz leicht verdaulich ist.
Und letztlich stößt Astrid aufgrund von Nachforschungen auf ein Familiengeheimnis, das ungewollt und ungeplant gelüftet wird.

Rose, Astrids Mutter, verbrachte ihre Kindheit mit ihren Eltern und drei Brüdern in Ostpreußen.
Während des zweiten Weltkriegs verlor sie auf der Flucht nach Westen ihre Familie aus den Augen. Fortan musste sie alleine zurechtkommen und sich alleine durchschlagen. Ohne Papiere und ohne Ausbildung.
Sie landete erstmal in einem Flüchtlingslager in Gmünd.

Die Autorin beschreibt bildhaft und atmosphärisch dicht und sie erzählt anschaulich, unaufgeregt und feinfühlig.

Das Buch ist intensiv und sprachmächtig. Es berührte mich und ich fühlte mich gut unterhalten.
Ich empfehle es gerne weiter.
Allen, die sich für Familien-, Kriegs- und Nachkriegsgeschichten interessieren, wird es gefallen.

Ich freue mich schon auf den Roman „Goodbye Bukarest“, in dem die Autorin einen weiteren Teil ihrer Familiengeschichte aufgreift.

Bewertung vom 18.03.2021
Klara und die Sonne
Ishiguro, Kazuo

Klara und die Sonne


ausgezeichnet

In „Klara und die Sonne“ widmet sich der 1954 geborene Kazuo Ishiguro einem brisanten und interessanten Thema: der künstlichen Intelligenz.

In Ishiguros dystopischer Welt, die im ländlichen Amerika spielt, gibt es künstliche Freunde.
„KFs“ nennt man sie.
Letztlich sind es programmierte menschenähnliche Roboter.

KFs sollen die Aufgaben und Funktionen echter und lebendiger Freunde nachahmen bzw. ersetzen.
Sie sollen Kindern Gesellschaft leisten, ihnen die Zeit vertreiben und sie ins Erwachsenenleben begleiten.

Klara ist eine solche KF.
Sie befindet sich entweder im Hinterraum des Ladens, in dem sie verkauft wird, oder sie wird im Schaufenster ausgestellt, was ihr besonders zusagt, weil sie dort von der Sonne gewärmt wird. Hier wartet sie darauf, auserwählt zu werden.
Von ihrer Position aus beobachtet sie das Geschehen vor dem Fenster, die Passanten, die Autos und die Obdachlosen.

Klara wird schließlich von der 13-jährigen Josy als Begleiterin ausgewählt.
Josy ist oft krank und viel allein. Ihre Eltern haben sich getrennt und ihre Mutter hat vor lauter Arbeiten nur wenig Zeit.
Da kommt so eine KF, die sich eifrig um ihr Mündel kümmert, gerade recht.
Die beiden Mädchen leben von nun mit Josys Mutter und einer Haushälterin in einem recht abgelegen Haus.

Das Interessante ist, dass wir in diesem Roman in Klaras „Haut stecken“.
Wir betrachten die fremdartige und kühle dystopische Welt des Romans durch ihre Augen, also durch die aufmerksamen Augen einer künstlichen Intelligenz, die sehr lernfähig ist und aufgrund ihres letztlich doch begrenzten Wissens Schlüsse zieht, die manchmal irrwitzig und wunderlich anmuten.

Am Anfang sehen und verfolgen wir die Geschehnisse vor dem Schaufenster und nachdem Klara gekauft wurde, beobachten wir die Beziehungen von Josy z. B. zu ihrer vielbeschäftigten Mutter oder zum Nachbarjungen. Andere Interaktionen kommen nur bei aufwendig organisierten Interaktionsmeetings zustande.

Mit der Zeit wird erkennbar, dass Arbeit die Regel, aber zwischenmenschlicher Umgang nicht selbstverständlich ist.
Schule findet nicht mehr als Präsenzunterricht, sondern online statt und der Stellenwert der Natur ist deutlich gesunken.

Der britische Literaturnobelpreisträger Ishiguro erzählt wie immer meisterhaft, gleichermaßen feinfühlig wie neutral-distanziert sowie völlig unaufgeregt.
Er nimmt sich Zeit. Die Geschichte um Klara darf sich entfalten. Manchen mag das zu langweilig sein - ich finde es wunderbar!

Er setzt sich über Klaras kindliches Denken und ihre wissbegierigen Beobachtungen mit tiefgründigen Themen und brisanten Fragen, die mit künstlicher Intelligenz und Mensch-Sein verbunden sind, auseinander.

Letztlich geht es darum, was das Mensch-Sein ausmacht.
Emotionen, Bewusstsein, Denken, ethisches und moralisches Handeln, Identität, Individualität - das sind Schlagwörter, mit denen sich Kazuo Ishiguro in seinem neuen Werk implizit beschäftigt.
Implizit, d. h. zwischen den Zeilen und unaufdringlich. Man kann den Roman also als bloße Science-Fiction-Unterhaltungsliteratur genießen oder ihn auf einer tieferen Ebene als Reflexionsgrundlage sehen und Gedankenanstöße aufgreifen und weiterspinnen.

„Klara und die Sonne“ ist ein brillanter Roman, der zum Nachdenken anregt und bestens unterhält.
Ich habe ihn in zwei Tagen verschlungen und empfehle ihn sehr gerne weiter.

Bewertung vom 17.03.2021
Geteilte Träume
Mothes, Ulla

Geteilte Träume


sehr gut

In der Familiensaga von Ulla Mothes, die am Ende des kalten Krieges und hauptsächlich im nördlichen Brandenburg und in Berlin spielt, geht es um die Teilung Deutschlands.

Im Verlauf des Romans lernen wir viele verschiedene Personen, die alle glaubhaft und überzeugend gezeichnet werden, und damit auch viele verschiedene Schicksale kennen.
Man muss sich zwar konzentrieren, um nicht den Überblick zu verlieren, aber auf diese Weise erhält man ein breitgefächertes Bild.

Wir lernen zunächst die 18-jährige Ingke kennen, die gerade (1992) ihr Abitur schreibt und behütet in einem Ärztehaushalt aufgewachsen ist. Als ihre Mutter Maren an Leukämie erkrankt, wird Ingke getestet. Kommt sie als Stammzellspenderin in Betracht?
Als sie das Ergebnis erhält, beginnt der Boden unter ihren Füßen zu schwanken: Sie ist nicht das leibliche Kind von Maren und Kelle.
Nun beginnt die Suche nach ihren Wurzeln.
Beharrlich und ausdauernd befragt sie ihre Familie, stößt schließlich auf Familiengeheimnisse und erfährt DDR-Geschichte hautnah.

Wir lesen Erschreckendes von der Bespitzelung durch Stasi-Mitarbeiter, von ihren Verhörmethoden und vom Verbot von Westkontakten.
Wir erfahren aber auch von schönen Erinnerungen, wie z. B. die Weltfestspiele in Berlin auf dem Alexanderplatz.

Die 1964 geborene Ulla Mothes weiß, wovon sie schreibt.
Sie wuchs im nördlichen Brandenburg und in Berlin auf, wurde exmatrikuliert, als sie einen Ausreiseantrag stellte und arbeitete als Garderobenfrau, bis ihr 1986 schließlich die Ausreise gelang.
Mit ihrem Debütroman „Geteilte Träume“ hat sie ein vielseitiges, vielschichtiges, authentisches und respektvolles Bild der ehemaligen DDR gezeichnet.
Sie beurteilt und wertet nicht, sondern die erzählt und beschreibt!

Sie erzählt die Geschichte abwechslungsreich und spannend, sowie gleichermaßen realistisch und ungeschönt wie feinfühlig und einfühlsam.

Ich fühlte mich gut unterhalten, bekam tiefe und interessante Einblicke in das Leben in der DDR und im Nachkriegsdeutschland.

Ich empfehle den bewegenden Roman vor allen denjenigen, die gerne Familiengeschichten lesen und sich für das Leben in DDR-Zeiten interessieren.

Bewertung vom 15.03.2021
Eine ganze Welt
Goldbloom, Goldie

Eine ganze Welt


ausgezeichnet

Einblicke in eine fremde Welt...

„Eine ganze Welt“ spielt 2007 und wir lernen Surie Eckstein kennen, eine 57-jährige Frau, die als Oberhaupt ihrer Großfamilie und angesehenes Mitglied der chassidischen Gemeinde in Brooklyn lebt.
Sie ist Mutter von 10 Kindern und hat bereits 32 Enkelkinder.
Ihr Mann Yidel ist ein angesehener Kalligraph und Rabbi und steht kurz vor seiner Berentung.
Und dann passiert das Unerwartete und Unfassbare:
Surie wird gleichzeitig Urgroßmutter und Mutter von Zwilligen!
Sie ist sich nicht ganz sicher, ob die Schwangerschaft Glück oder Unglück bedeutet.
Sie ist verunsichert, schämt sich und fühlt sich allein.
Sie hat nicht einmal den Mut, sich ihrem Mann anzuvertrauen, fürchtet um ihren Ruf im Schtetl und hat Angst vor Ausgrenzung.
Und dann fängt sie zum ersten Mal an, die rigiden Normen und Regeln zu hinterfragen, an die sie sich ihr ganzes bisheriges Leben lang gehalten hat.

Die 1964 in Perth, Australien geborene Goldie Goldbloom, hat mit ihrem zweiten Roman „Eine ganze Welt“ eine wunderbare, berührende und fesselnde Familiengeschichte über eine lebenserfahrene Endfünfzigerin geschrieben, deren Leben ordentlich auf den Kopf gestellt wird.

Die Autorin greift tiefgründige Fragen klug, feinfühlig und unterhaltsam auf und lässt dabei auch den Humor nicht zu kurz kommen.

Es war hochinteressant, oft erschütternd und teilweise verstörend, einen so tiefen Einblick in das streng reglementierte und eingeengte Leben, in den kompromisslosen Alltag und in die unflexiblen Gepflogenheiten einer ultraorthodoxen jüdischen Familie einer chassidischen Gemeinde zu bekommen.

Ich empfehle den außergewöhnlichen, faszinierenden und eindringlichen Roman sehr gerne weiter!

Bewertung vom 15.03.2021
Bei Sonnenaufgang / Armand Gamache Bd.7
Penny, Louise

Bei Sonnenaufgang / Armand Gamache Bd.7


ausgezeichnet

Wie habe ich mich darauf gefreut, wieder nach Three Pines im französischsprachigen Teil Kanadas zu reisen und dort Armand Gamache, Chief Inspector der Sûreté du Québec wieder zu treffen.

Three Pines, das ist ein kleines, abgelegenes, beschauliches, fiktives Dorf zwei Autostunden östlich von Montreal entfernt.
Es liegt tief versteckt in den Wäldern Richtung US-Grenze nach Vermont.

Obwohl Gamache und sein Stellvertreter Jean-Guy Beauvoir ihren letzten Einsatz noch nicht verdaut haben und sowohl ihre Freundschaft als auch jeder für sich noch sehr angeschlagen ist, werden sie wieder gefordert.

Dieses Mal muss der Mord an der berühmt-berüchtigten Kunstkritikerin Lillian Dyson, aufgeklärt werden.
Ihre Leiche wird eines morgens im Blumenbeet der Künstlerin Clara Morrows gefunden.

Die Frage ist natürlich, wer die Frau, die sich zu Lebzeiten einige Feinde gemacht hat, umgebracht hat.
Die Frage ist natürlich auch, warum sie umgebracht wurde.
Die Frage ist aber auch, welche Rolle Clara spielt und ob der Mord etwas mit der Vernissage von Claras Einzelausstellung im berühmten Musée d’art contemporain de Montréal zu tun hat, die am Vortag stattgefunden hat.
Gibt es einen Zusammenhang mit der glamourösen Party, die nach der Vernissage in Three Pines stattgefunden hat?
Auf dieser Party war nämlich neben sämtlichen Berühmtheiten aus der Kunstszene auch die ermordete Lillian Dyson, eine alte Freundin Claras, die den Ruf hatte, eine extrem scharfe Kritikerin zu sein, die nicht selten das Objekt ihrer Kritik gnadenlos verreißt.

Die 1958 in Toronto geborene Louise Penny hat es zum siebten Mal geschafft, mich mit einer mitreißenden Kriminalgeschichte zu fesseln. Ihre Figuren sind authentisch und ihre Sprache ist anschaulich, kraftvoll und lebendig.

Der vorliegende Roman kann zwar bestimmt unabhängig von den anderen gelesen werden, ich empfehle aber, mindestens die beiden Vorgänger, Band 5 und 6, vorab zu lesen.
Die drei gehören meines Erachtens in gewisser Weise zusammen und ich glaube, das Lesevergnügen wird größer, wenn man in 7 gedanklich auf 5 und 6 zurückgreifen kann.

Ich bin begeistert von der Reihe um Chief Inspector Gamache. Es sind allesamt spannende, kurzweilige, bemerkenswerte und außergewöhnliche Kriminalromane.
Auch „Bei Sonnenaufgang“ ist ein großer Wurf und absolut lesenswert!

Bewertung vom 14.03.2021
Von allem nur das Beste / Wunderfrauen-Trilogie Bd.2
Schuster, Stephanie

Von allem nur das Beste / Wunderfrauen-Trilogie Bd.2


sehr gut

Im Roman sind inzwischen einige Jahre seit dem Ende des ersten Bandes der „Wunderfrauen-Trilogie“ vergangen.
Die schwierigen Nachkriegsjahre machen langsam Platz für die Swinging Sixties.
Die 1960-er beginnen und weiter geht‘s mit der Geschichte von Louise, der Ladenbesitzerin, Annabel, der Mutter eines behinderten Kindes, Marie, der Vertriebenen, die zur Bäuerin wird, und Helga, der alleinerziehenden Ärztin.
Wir lesen von vier Freundinnen und vier Lebensentwürfen und bekommen darüber ein anschauliches und interessantes Bild von der damaligen Zeit vermittelt.

Louise trifft weitreichende Entscheidungen für ihren geliebten Laden, Marie, die Schwägerin von Louise, wird von ihrer wachsenden Familie und der Landwirtschaft voll in Beschlag genommen, Helga hat ihr Medizinstudium beendet und steht trotz ihrer schwierigen Aufgabe als Alleinerziehende ihre Frau in der von Männern dominierten Klinikwelt und Annabel muss erstmal ihr hartes Los verdauen.

Aber egal was kommt, die vier halten die Ohren steif, nehmen das Ruder in die Hand und machen das Beste aus allem.

Ich habe mit Spannung und Interesse die Entwicklung der Protagonistinnen verfolgt und genoss es, in die 60-er einzutauchen und mehr darüber zu erfahren.
Neben den individuellen Schicksalen spielen auch bedeutsame Themen der damaligen Zeit eine Rolle, wie z. B. die Contergan-Affäre oder die Pille.

Ich empfehle auch diesen zweiten Band der Trilogie gerne weiter. Er ist interessant und hat mich gut unterhalten.

Ich freue mich schon auf den letzten Band, der im Herbst erscheinen wird.

Bewertung vom 10.03.2021
Die Bücherfrauen
Tilghman, Romalyn

Die Bücherfrauen


gut

Wir lesen in diesem Roman von der Liebe zu Büchern, von der Bedeutung von Gemeinschaft, Zusammenhalt und Durchhaltevermögen, sowie von der Solidarität unter Frauen.

Romalyn Tilghman entführt uns nach Kansas, in den Mittleren Westen der USA.
Angelina Sprint aus Philadelphia kommt in die Kleinstadt New Hope, deren Nachbargemeinde Prairie Hill kürzlich von einem Tornado zerstört worden ist.
Sie ist dabei, eine Doktorarbeit über die sogenannten Carnegie Bibliotheken anzufertigen und möchte dazu vor Ort recherchieren.

Diese Bibliotheken wurden zwischen 1883 und 1929 vor allem von den Spenden des industriellen US-Amerikaners Andrew Carnegie errichtet, 59 davon in Kansas, eine davon in Prairie Hill.

Aber von der Bibliothek in Prairie Hill hat nur die Fassade den Tornado überstanden.
Ein weiterer Grund, gerade in dieser Region ihre Zelte aufzuschlagen ist, dass sie genau hier vor vielen Jahren ihre Großmutter Amanda Sprint erlebt hat, die engagiert und couragiert bei der Gründung dieser nun zerstörten Bibliothek mitgewirkt hat.

Angelina schließt sich einer kleinen Gemeinschaft von Frauen an, die zusammen das Ziel verfolgen, die Bibliothek wieder aufzubauen.
Aber ein solches Projekt kostet viel Geld.
... und hier kommt die vor Jahrzehnten verstorbene Großmutter Angelinas ins Spiel.

Der Roman „Die Bücherfrauen“ erzählt eine schöne Geschichte für Bücherliebhaber! Der historische Teil ist interessant und informativ, die Rahmenhandlung dazu sehr unterhaltsam.
Von den sogenannten Carnegie Bibliotheken habe ich zuvor noch nie gehört.
Sicher gehört das Buch nicht zu den literarischen Highlights.
Die Sprache ist recht einfach, die Handlung teilweise vorhersehbar und überkonstruiert.
Aber: Die Lektüre ist kurzweilig, macht Spaß und ist genau das Richtige, um mit einer Tasse Tee auf dem Sofa zu entspannen.