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Fornika
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Bewertungen

Insgesamt 392 Bewertungen
Bewertung vom 04.09.2022
Die Vergessene
Slaughter, Karin

Die Vergessene


ausgezeichnet

Im Zeugenschutz großgeworden, soll Andrea Oliver nun ihrerseits als US-Marshal eine Richterin beschützen. Diese erhält ernstzunehmende Todesdrohungen. Gibt es einen Zusammenhang mit dem Mord an ihrer Tochter Emily, die einst vom Abschlussball nicht zurückgekehrt ist? Andrea beschützt nicht nur die Richterin Vaughn, sondern stellt auch Nachforschungen zu dem alten Fall an; auch aus Eigeninteresse.
Die Vergessene ist nach Ein Teil von ihr bereits der zweite Band über Andrea Oliver. Ich habe den ersten zwar gelesen, aber man kann die beiden auch sehr gut unabhängig voneinander lesen. Auf zwei Zeitebenen führt Karin Slaughter die Leser an die Auflösung des Vaughngeheimnisses heran, und hält dabei durchweg die Spannung sehr hoch. Der Wechsel der beiden Erzählstränge gelingt gut und wirft natürlich immer wieder neues Licht auf das Geschehen. Die Handlung ist jetzt nicht wahnsinnig raffiniert konstruiert, aber doch sehr solide aufgebaut und verzettelt sich auch nicht in bekannten/unbekannten Erkenntnissen. Ich mag Emilys Figur, stellenweise wirkt sie mit ihren 17 Jahren erwachsener als Andrea. Die hat mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen, auch mit ihrer Übermutter, die das gar nicht mehr so junge Küken trotzdem nicht aus den Augen lassen kann. Auch Andreas Marshal-Partner ergänzt sie gut, die beiden sind ein Team, dem ich auch noch in möglichen weiteren Bänden gerne folgen würde. Slaughter zeichnet ihre Charaktere durchaus düster, gerade in Emilys Umfeld erlebt man viel Gewalt, sei sie nun körperlicher Natur oder nicht. Das wirkte nicht immer ganz realistisch und stimmig, tat der Handlung aber insgesamt nicht viel.
Ich habe schon einige Bücher der Autorin gelesen, durchaus mit gemischter Lesebegeisterung. Die Vergessene hat mir jedoch sehr gut gefallen und zählt für mich somit zu ihren Highlightthrillern.

Bewertung vom 04.09.2022
Blutige Stufen / Detective Robert Hunter Bd.12
Carter, Chris

Blutige Stufen / Detective Robert Hunter Bd.12


ausgezeichnet

Ein weiterer blutiger Mord erschüttert L.A. Diesmal sind die alarmierten Behörden so schockiert, dass die Ermittler der UV-Einheit ohne Umwege sofort auf den Plan gerufen werden. Selbst für Hunter und Garcia ist das Ausmaß der Grausamkeit kaum zu fassen. Doch sie müssen sich beeilen, denn der Mörder nimmt nicht nur die Hinterbliebenen der Toten, sondern auch sein nächstes Opfer ins Visier.
Der neueste Fall von Hunter und Garcia glänzt einmal mehr durch Brutalität, Action und jeder Menge Spannung. Carter hat sich erneut etwas ganz besonders Fieses einfallen lassen, wie immer ist „Blutige Stufen“ sicherlich nichts für die zarter besaiteten Leser. Der Erzählstil ist mitreißend, leicht zu lesen und durch die kurzen Kapitel mit Minicliffhangern neigt man dazu immer ein klitzekleines bisschen länger zu lesen als es dem eigenen Schlafpensum gut tut. Der Fall entwickelt sich unerwartet und hält immer wieder Überraschungen bereit, sodass reichlich Spannung garantiert ist. Mich stört in den letzten Bänden der Reihe allerdings zusehends, dass Garcia immer mehr zum Mitläufer wird, er dürfte in Zukunft sein Ermittlerköpfchen bitte gerne mal wieder mehr zum Mitdenken benutzen und nicht nur für Hilfsarbeiten. Die beiden funktionieren als Duo eigentlich doch zu gut, um einen der beiden zum mitgeschleppten Sidekick zu degradieren. Trotzdem bin ich den Ermittlungen wieder gerne gefolgt und habe mich einige spannende Lesestunden sehr gut unterhalten gefühlt.

Bewertung vom 24.08.2022
Wer mit den Toten spricht / Raven & Flyte ermitteln Bd.2
Turner, A. K.

Wer mit den Toten spricht / Raven & Flyte ermitteln Bd.2


ausgezeichnet

Nur wenige Wochen nachdem Cassie Raven ihre Mentorin verloren hat, erfährt sie Erschütterndes aus ihrer eigenen Vergangenheit: ihre Eltern sind mitnichten bei einem Autounfall ums Leben gekommen, sondern ihr Vater hat einst ihre Mutter ermordet. Natürlich stellt Cassie Nachforschungen an, doch die Tat ist mehrere Jahrzehnte her und die ermittelnden Beamten gar nicht erfreut, dass Cassie alles wieder aufmischen will.
„Die Toten schweigen nie“ war der erste Band mit Cassie Raven, der mich absolut abgeholt hat und wahres Suchtpotential hatte. Umso schöner, dass es der Autorin gelungen ist, das auch mit dem zweiten Band der Reihe zu schaffen. Turner legt großen Wert auf Authentizität was die Arbeit in der Pathologie angeht. Viele medizinische Fachbegriffe, der Ablauf als solcher, Hintergrundarbeiten, bei vielem merkt man die akribische Recherche, die sich also definitiv gelohnt hat. Ich mag Cassies Art mit ihren Gästen umzugehen, sie behandelt sie mit Würde und legt trotzdem eine große Sorgfalt bei ihrem Tun an den Tag, wie es sich sicherlich jeder wünschen würde. Auch sonst ist sie sehr sympathisch, ihre unkonventionelle Art wirkt auf Außenstehende erst immer etwas schräg, eigentlich hat sie aber ihr Herz mehr als am richtigen Fleck. Sei es der Umgang mit ihrer Oma oder auch mit der etwas sperrigen Phyllida, Cassie kommt trotz allem mit ganz unterschiedlichen Leuten zurecht. Ihr Einfühlungsvermögen stellt sie immer wieder bei den Besuchen Hinterbliebener dar. Sehr gefreut habe ich mich zudem über das Wiedersehen mit Kieran, den sie noch aus ihrer Hausbesetzerzeit kennt. Der Fall an sich ist dieses Mal zutiefst persönlich, geht es doch um Cassies eigene Familie. Das Geschehen ist spannend und nimmt einen als Leser mit, trotzdem hätte ich gerne mehr Fälle aus Cassies Alltag gehabt, da sie dort ihr Können und ihren Grips auf ganz andere Art präsentieren kann. Doch das ist auch mein einziger Kritikpunkt am Buch und so kann ich „Wer mit den Toten spricht“ quasi uneingeschränkt weiterempfehlen.

Bewertung vom 07.08.2022
Die Buchhändlerin von Paris
Maher, Kerri

Die Buchhändlerin von Paris


sehr gut

„Eine Buchhandlung zu besitzen, bedeutet viel mehr, als Sätze zu verkaufen.“
Sylvia Beach hat dieses Motto verinnerlicht. Ihre kleine englischsprachige Buchhandlung im Herzen von Paris wird so nicht nur Verkaufsort, sondern auch Anlaufstelle für Stadtneulinge, Zufluchtsstätte für gestrandete Literaten und zuletzt Heimat für ein geächtetes, ja sogar verbotenes Manuskript: Ulysses von James Joyce. Dieses Buch zu verlegen, das scheint Sylvias größte Herausforderung zu werden.
Mahers Romanbiographie beleuchtet rund zwanzig Jahre im Leben von Sylvia Beach, deren Buchhandlung Shakespeare and Company den meisten ein Begriff ist. Diese existiert zwar heute nicht mehr in der ursprünglichen Form, trotzdem erfährt man viel über die Entstehungsgeschichte. Mir war nicht bewusst, wie viele berühmte Autoren sich die Ladenklinke in die Hand gegeben haben und so mancher sorgte für Überraschungen. Auch die Verlegertätigkeit an Ulysses, der Skandal um dessen Inhalt und die Zusammenarbeit/Freundschaft mit Joyce selbst nehmen großen Raum in der Handlung ein, und sind nicht nur aus historischem Interesse lesenswert. Sylvia ist eine tolle, natürlich nicht ganz fehlerfreie Persönlichkeit. Sie hat viel Mühe auf sich genommen, um nicht nur eigene, sondern auch fremde Träume zu verwirklichen, auch wenn ich nicht jede ihrer Entscheidungen so recht nachvollziehen konnte. Ihre Partnerin Adrienne blieb mir allerdings irgendwie fremd, und so konnte ich Sylvias Zuneigung zu ihr nur bedingt verstehen.
Mahers Stil ist sehr leicht lesbar, heikle Themen werden etwas heruntergebrochen und so verfliegen die Seiten wie im Nu; perfekte Sommerlektüre also, bei der man ohne große Mühe einem interessanten Kapitel aus der Pariser Literaturgeschichte näherkommen kann.

Bewertung vom 03.08.2022
Matrix
Groff, Lauren

Matrix


ausgezeichnet

England, 1158: Marie, die uneheliche Schwester Königin Eleonores, darf nach dem Tod ihrer Mutter nicht etwa an deren königlicher Seite ein neues Leben beginnen, sondern wird in ein abgelegenes Kloster abgeschoben. Dort soll sie in der Vergessenheit versinken, doch Marie ist nicht nur durchsetzungsfähig, sondern auch mit einem wachen Geist und Weitsicht gesegnet, und so nutzt sie ihren Posten als Priorin nicht nur zum eigenen Vorteil.
Was hat mich dieser Roman abgeholt. Starke Frauenbilder in Romanen sind heutzutage ja ein wenig in Mode gekommen, werden aber immer wieder für mich zu abgeschmackt oder klischeehaft aufgezogen. Nicht so hier. Marie ist bis zum Tode ihrer Mutter mit sehr starken und unabhängigen Frauen aufgewachsen, und das hat sie zutiefst verinnerlicht. Das Kloster ist ein mehr oder weniger geschützter Mikrokosmus, in dem sie ihre Visionen entwickeln und auch verwirklichen kann. Nach und nach überzeugt sie nicht nur sich selbst, sondern ihre Mitschwestern, was Frauen alles können und auch leisten dürfen. Es ist wunderbar zu lesen, wie ihre und die Macht des Klosters nach und nach wachsen. Das alles erzählt die Autorin sehr kraftvoll, aber auch reduziert. Es wird nichts in großen, farbigen Bildern heraufbeschworen, sondern fein mit wenigen Worten beschrieben und trotzdem kommt man als Leser sehr schnell an. Ich fand diesen ruhigen Stil sehr stimmig mit der klösterlichen Atmosphäre.
Für mich war dieser Roman eines der Jahreslesehighlights bisher. Ganz große Leseempfehlung.

Bewertung vom 27.07.2022
Kreiseziehen
Shipstead, Maggie

Kreiseziehen


sehr gut

Die Zwillinge Jamie und Marian wachsen nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrem Onkel eher unkonventionell auf. Immer an ihrer Seite ist Caleb, der von seiner alkoholabhängigen Mutter wenig beachtet wird und so das wilde Trio vervollständigt. Marians großer Traum wird das Fliegen, sie setzt ihren Dickkopf ein um sich in dieser Männerdomäne zu behaupten. Schon die Suche nach einem Fluglehrer ist aufreibend, doch Marian wäre nicht Marian, würde sie nicht auch hier eine Lösung finden. Ihre Geschichte wird Jahrzehnte später auch von Hollywood aufgegriffen, und soll die Kinokassen füllen.
Shipsteads Roman liest sich über weite Strecken als hätte es Marian wirklich gegeben; ihre Figur vereint einige berühmte, aber auch vergessene Pilotinnen dieser Ära und setzt diesen so ein literarisches Denkmal. Ich war zunächst wirklich überrascht, dass Marian fiktiv ist, so realistisch und glaubhaft war ihre Geschichte. Die Autorin schreibt nicht nur sehr lebensecht, sondern auch detailreich, mühelos findet man sich in der Welt der Piloten zurecht. Ich war vom Erzählstil wirklich sehr angetan. Die Story entwickelt sich zu einem Abenteuerroman, der aktuelle Themen geschickt einfließen lässt, manchmal aber auch einfach zu viele Dinge unter einen Hut bringen will. Das wirkte teilweise wie ein Abarbeiten, hat aber zum Glück dem großen Ganzen nicht allzu sehr geschadet.
Marian ist nicht ganz leicht zu durchschauen, mal ist sie sehr taff und setzt sich gegen alle Widrigkeiten durch, in anderer Hinsicht steckt sie viel zurück. Die Beziehung zu ihrem Bruder ist ebenfalls nicht nur schwarzweiß, die Entwicklung der beiden habe ich gerne verfolgt. Der Erzählstrang in Hollywood rahmt die Grundstory zwar gut ein, ich fand ihn aber nicht sonderlich interessant, um nicht zu sagen überflüssig. Hadley wirkt ein bisschen mitleidsheischend angelegt, ich konnte ihrer Figur nicht so viel abgewinnen. Insgesamt hat mich Shipsteads Story aber wirklich abgeholt, und mich mit Marians Hoch- und Tiefflügen sehr gut unterhalten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.07.2022
Die Lüge
Franko, Mikita

Die Lüge


ausgezeichnet

Miki lebt nach dem Tod seiner Mutter bei seinem nun alleinerziehenden Vater. So die offizielle Version. Tatsächlich ist sein „Vater“ eigentlich sein Onkel, der ihn gemeinsam mit seinem langjährigen Partner Lew großzieht. Doch in der homophoben Gesellschaft Russlands hält man die Wahrheit über seine Regenbogenfamilie besser gut versteckt. Nicht leicht für Miki, der zum Zeitpunkt der Adoption gerade einmal 5 Jahre alt ist, kaum Freunde hat und auch in den kommenden Jahren immer wieder Schwierigkeiten hat, sich einzufügen. Die ständigen Lügen, das ständige Versteckspiel hinterlassen zusätzlich ihre Spuren.
Mikita Franko hat einen Coming-of-Age-Roman mit Suchtpotential geschrieben. Vieles beruht auf eigenen Erfahrungen, was das Leseerlebnis noch intensiver macht. Miki ist trotz des Todes seiner Mutter ein recht fröhlicher Junge, aufgeweckt und er mag seinen Onkel/Ersatzpapa wirklich gerne. Beste Voraussetzungen eigentlich, aber die Lügen bedrücken ihn immer mehr; diese zunehmende Zerreißprobe wird hautnah am Leser ausgelassen, immer wieder hält man den Atem an, weil die Entlarvung des Familienlebens droht. Authentisch und glaubhaft ist dieses Versteckspiel, selbst die Kleinsten werfen mit homophoben Vorurteilen um sich, sodass man der Familie vor allem eines wünscht: dass niemand die Wahrheit herausfindet. Franko zeichnet ein schonungsloses Bild davon, was es heißt in Russland „anders“ zu sein und löst damit beim Leser immer wieder große Beklemmung aus. Trotzdem ist dieser Roman nicht nur bedrückend, sondern macht vor allem durch seinen lockeren und doch intensiven Stil, seinen wachsenden Ich-Erzähler und seine frische Art großen Spaß. Ein toller Debütroman.

Bewertung vom 14.06.2022
City on Fire Bd.1
Winslow, Don

City on Fire Bd.1


gut

Ende der 60er Jahre liegen in Providence zwei Clans miteinander im Clinch: auf der eine Seite ein Ableger der italienischen Mafia, auf der anderen Seite die Irish Boys mit Danny Ryan in ihrer Mitte. Der hat in die Familie eingeheiratet und fühlt sich zudem seinem besten Freund verpflichtet; so ist er im Zentrum des Geschehens als sich die Lage mehr und mehr zuspitzt.
Der Auftakt zu Winslows neuer Trilogie liest sich nicht von alleine, aber Dranbleiben lohnt sich. Der Cast ist gerade zu Beginn noch etwas unüberschaubar, aber mit der Zeit lassen sich „die Iren“ und „die Italiener“ ganz gut auseinanderhalten. Das ein oder andere Klischee wird dabei schon bedient, aber nicht überstrapaziert. Danny ist ein ganz netter Kerl, er ist loyal zur Murphyfamilie, die ihn wie einen eigenen Sohn behandelt hat, fühlt sich sicherlich auch ein Stück weit verpflichtet mitzugehen. Trotzdem ist er kein Mitläufer, sondern hat auch seinen eigenen Kopf, das merkt man gerade an den Entscheidungen in der hinteren Buchhälfte. Als Leser hat man letztendlich aber doch immer wieder das Gefühl, dass seine Entscheidungen, ja eigentlich alle Entscheidungen der Figuren nichts am weiteren Fortgang der Geschichte geändert hätten. Der vorgezeichnete Weg wirkt unausweichlich, was bei mir die Spannung etwas rausgenommen hat. Mich hat die Handlung nicht komplett packen können, obwohl ich schon am weiteren Fortgang interessiert war.
Winslow schreibt etwas kühl, aber die sich zuspitzende Lage, die aufgepeitschte Grundstimmung kann er dennoch gut transportieren. Ich wurde mit seinem Stil trotzdem bis zuletzt nicht ganz warm, das hat bei anderen seiner Bücher deutlich besser harmoniert. Insgesamt habe ich City on fire schon mit Interesse gelesen, aber an einigen Kleinigkeiten habe ich mich dann doch gestört, sodass die große Begeisterung ausblieb.

Bewertung vom 10.06.2022
Das Mädchen und der Totengräber / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.2
Pötzsch, Oliver

Das Mädchen und der Totengräber / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.2


sehr gut

Im Kunsthistorischen Museum lässt sich vieles aus dem Alten Ägypten bestaunen, vom Sarkophag über kostbare Grabbeigaben bis hin zur Mumie ist alles dabei. Doch eine der Mumien ist nicht tausende Jahre alt, sondern wandelte vor kurzer Zeit noch quicklebendig durch Wien: Professor Strössner. Ein Skandal, über den bei der Wiener Polizei Stillschweigen zu wahren ist. Einer der wenigen Insider ist Leo von Herzfeldt, der den Fall nun ganz diskret aufklären soll.
Das Wiedersehen mit Leo, Julia und Augustin hat fast keine Leserwünsche offen gelassen. Ein sehr lebendiges Wien (bis hin zum Dialekt), Lokalkolorit und Kurioses aus der Stadt machen die Handlung sehr authentisch. Pötzsch erzählt sehr ansprechend und man ist sofort im Geschehen. Wie schon im ersten Band war mir Leo nicht durch und durch sympathisch, seine etwas snobistische Art kommt schon immer mal zum Tragen. Auch seine Art Julia gegenüber lässt ab und an zu wünschen übrig. Aber die kann sich ja wehren, und macht auch sonst eine sehr gute und vor allem kluge Figur. Zusammen haben sie das Zeug dazu, den Mumienfall genauestens unter die Lupe zu nehmen, ebenso wie den Mord an einem vermeintlichen Stricherjungen. Langweilig wird es auf keinen Fall, man wird immer wieder von neuen Entwicklungen überrascht, vom Autor in düstere Wiener Ecken und menschliche Abgründe entführt. Soweit alles richtig gemacht.
Einen kleinen Wermutstropfen gab es dann aber doch: Augustin hätte definitiv mehr Raum gebrauchen können. Der schrullige und dabei sehr kluge Totengräber kommt zwar mit Auszügen aus seinem neuesten literarischen Werk zu Wort, live hätte er aber definitiv ein paar mehr Seiten für sich beanspruchen dürfen. Wenn eine Person schon titelgebend ist, sollte sie doch auch eine gewisse Rolle spielen. Ich hoffe, im nächsten Band wieder mehr von ihm zu lesen und freue mich schon jetzt auf ein kriminalistisches Wiedersehen mit den dreien.

Bewertung vom 26.05.2022
Der Markisenmann
Weiler, Jan

Der Markisenmann


sehr gut

Kurz vor ihrem 16ten Geburtstag ändert sich Kims Leben komplett: sie lernt ihren leiblichen Vater kennen. Nicht nur das, sie soll direkt die Sommerferien bei ihm verbringen; in einer alten Fabrikhalle, irgendwo in der Nähe vor Duisburg. Dort bestreitet er eher schlecht als recht seinen Unterhalt mit dem Vertrieb alter (potthässlicher) DDR-Markisen. Klar, dass die Teenagerin auch da die ein oder andere zündende Idee zu hat.
Jan Weilers Roman hat mir unerwartet gut gefallen, bisherige Romane vom Autor konnten mich nicht so recht abholen. Seine Geschichte um die taufrische Vater-Tochter-Beziehung jedoch hat mich zumeist überzeugt. Ein melancholischer Unterton zieht sich zwar durch das ganze Buch, doch trotzdem wirkt es nicht bedrückend. Im Gegenteil, denn viele Situationen sind urkomisch, ohne, dass es je gekünstelt wirken würde. Kim hat ihren eigenen Kopf, eine etwas aufbrausende Art, da ist ihr ruhiger, manchmal fast passiver Vater ein guter Gegenpol. Der hat zwar keine Ahnung von Kindererziehung, macht aber instinktiv für Kim (fast) alles richtig. Für sie ist der Übergang zwischen einem Leben im Überfluss und Papas Bleibe in einer Fabrikhalle, die Tatsache, dass vielleicht nicht jeder Cent, aber doch jeder Euro zweimal umgedreht wird, eine völlig neue Erfahrung. Es hat Spaß gemacht zu sehen, wie sie lernt was im Leben wirklich zählt und ein gutes Stück erwachsen wird. „Der Markisenmann“ ist nicht nur eine etwas untypische Coming-of-Age-Geschichte, sondern auch ein unterhaltsamer Roman, der fast mühelos ganz unterschiedliche Themen in sich vereint. Mir hat er wirklich gut gefallen.