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LaNasBuchclub

Bewertungen

Insgesamt 127 Bewertungen
Bewertung vom 26.04.2023
Going Zero
Mccarten, Anthony

Going Zero


sehr gut

10 Personen müssen für 30 Tage spurlos verschwinden. Am Ende lockt ein Gewinn von 3 Millionen Dollar. Dafür müssen sie sich nur dem hochkomplexen Spionageprogramm FUSION stellen, ein Projekt ins Leben gerufen durch die US-Geheimdienste und Social-Media Mogul Cy Baxter, welches dazu geeignet sein soll, jede beliebige Person auf amerikanischem Boden binnen kürzester Zeit aufspüren. Cy Baxter ist sicher, dass keiner der zehn ‚Zeros‘ dieser Herausforderung gewachsen ist. Bis er in der unscheinbaren Bibliothekarin Kaitlyn Day aus Boston aka Zero 10 eine Herausforderin findet, deren Vorgehen selbst seine brillanten Algorithmen nicht zu entschlüsseln vermögen. Für Kaitlyn indes hängt so viel mehr als nur das Preisgeld davon ab, dass sie FUSION lange genug davonlaufen kann.

Bei Cover und Titel hatte ich ehrlich gesagt ein Buch mit Umweltschutz Kontext oder etwas Ähnlichem erwartet, aber sobald ich den Klappentext gelesen habe, war ich ungemein gespannt auf dieses Gedankenspiel, das der Autor mit diesem Buch angestoßen hat.
Der Schreibstil ist für einen Thriller sehr passend, schnörkellose Sprache, flüssig zu lesen und mit kurzen Kapiteln, dass man zügig vorankommt. Ich bin also entsprechend schnell und gut in die Handlung gestartet. Die regelmäßigen Perspektivwechsel, hauptsächlich zwischen Kaitlyn und Cy, aber auch anderen ‚Zeros‘, haben mir wirklich gut gefallen, weil sich dadurch eine tolle Jagdatmosphäre aufgebaut hat. Es gibt einige gut platzierte Spannungsmomente, Enthüllungen und Einschnitte, die die Handlung immer wieder in neue Richtungen lenken und einen beim Lesen den Atem anhalten lassen.
Die Protagonisten werden relativ früh schon sehr gut ausgestaltet, was ihnen durch die Geschichte hindurch auch viel Raum für Entwicklung und Veränderung gegeben hat. So fand ich beispielweise enorm spannend mitzuverfolgen wie Cy, angestachelt durch sein Ego und den Wunsch zu gewinnen, immer mehr Grenzen überschreitet und sich in einem gefährlichen Strudel aus Selbstzerstörung und Größenwahn begibt.

Ein bisschen schade fand ich, dass die anderen Zeros nur eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben und sich die Geschichte ab der Hälfte von der ursprünglichen Handlungsprämisse entfernt und eine deutlich andere Richtung einschlägt. Alles in allem war „Going Zero“ aber sehr packend und enorm unterhaltsam. Kaum überraschend, wenn man bedenkt, dass Autor Anthony McCarten sein Geld u.a. mit dem Schreiben von Hollywood Drehbüchern verdient.
Unterm Strich ist das ein sehr gelungener Thriller, der auf erschreckende Weise darauf aufmerksam macht, wie angreifbar unsere Privatsphäre im digitalen Zeitalter doch ist. Sehr lesenswert!

Bewertung vom 25.04.2023
Mutterliebe
Selvig, Kim

Mutterliebe


gut

„Mutterliebe“ ist der erste Justiz-Krimi von Kim Selvig, dem gemeinsamen Pseudonym von Silke Porath und Sören Prescher und erscheint am 25.04.2023 bei Harper Collins.
Sylvia Bentz führt nach außen hin ein völlig normales Leben. Manche würden sogar sagen ein perfektes Leben, mit dem erfolgreichen Ehemann an ihrer Seite, den zwei bezaubernden Kindern und einer großen Villa in bester Lage. Was also veranlasste diese Frau eines Nachmittags mit ihren Kindern in ein Auto zu steigen, zu einem abgelegenen Waldsee zu fahren und zur Kindsmörderin zu werden?
Diese Frage lässt Gerichtsreporterin Kiki Holland keine Ruhe mehr. Nichts an der verhärmten, blassen Frauengestalt auf der Anklagebank liefert ihr eine plausible Erklärung. Zweifel machen sich in Kiki breit und sie beschließt eigene Ermittlungen anzustellen.
Die Grundidee für die Geschichte ist wirklich gut: eine Mutter, deren Schuld zu Anfang unzweifelhaft festzustehen scheint, beim genaueren Hinsehen eröffnen sich jedoch Unstimmigkeiten; die Journalistin, die scheinbar als Einzige jene Unstimmigkeiten erkennt - Das Potential ist da.
Die Umsetzung hat mich jedoch nicht allzu sehr überzeugen können, was meiner Meinung nach hauptsächlich den Schwächen in der Handlung geschuldet ist. Der Fall wirkt überkonstruiert und arbeitet mit vielen „glücklichen Fügungen“, die der Protagonistin auf die ein oder andere Weise in die Hände spielen, oder aber die Handlung in die gewollte Richtung lenken. So fühlte sich die Geschichte leider nur wenig authentisch an.
Auch der Spannungsaufbau hat für mich nicht so richtig funktioniert. Dafür, dass im Zentrum der Erzählung ursprünglich der Prozess steht, sind die Szenen, die tatsächlich im Gericht spielen, sehr dünn gesät. Gerade zu Anfang fand ich auch eher störend, dass die Handlung immer wieder durch Szenen aus Kikis Privatleben ausgebremst wurde. Die Intention dahinter war sicher Kiki als sympathische Protagonistin zu etablieren und ihr mit Auto, bestem Freund und neuem Love Interest ein paar mehr Schichten zu verpassen, doch für mich hat sich auch das recht oberflächlich und aufgesetzt angefühlt. Die ersten ca. 100 Seiten habe ich daher eher als langweilig empfunden und war nur aufgrund der wenigen Momente, in denen die Angeklagte Mutter tatsächlich auch mal vorkam, motiviert weiterzulesen.
Mit der Zeit wurde es etwas besser. Die Spannung kommt langsam, aber stetig und sieht man über das Überkonstruierte hinweg, kann man den Ermittlungen auch gut folgen. Das Ende ist okay, nur gibt es dort eine grobe Unstimmigkeit, die es so nicht in das finale Buch hätte schaffen dürfen.
Um mit einer positiven Sache zu Enden, der Schreibstil des Autorenduos ist wirklich sehr gelungen. Leicht und mitreißend, emotional aber nicht überladen hat er mich gut durch die Seiten getragen. Obwohl hauptsächlich aus Kikis Perspektive erzählt wird, haben mir die sinnvoll platzierten Perspektivwechsel gut gefallen und auch dass mit verschiedenen Schriften gearbeitet wurde, war meiner Meinung nach eine gelungene Ergänzung.
Insgesamt bringt „Mutterliebe“ viele gute Ansätze mit, konnte meine Erwartungen dann allerdings doch nicht ganz erfüllen. Trotzdem würde ich sagen, es ein solider Krimi, der vor allem durch seinen gelungenen Schreibstil überzeugt und einen guten Unterhaltungsfaktor mitbringt.

Bewertung vom 25.04.2023
Prost, auf die Feinschmecker
Kalpenstein, Friedrich

Prost, auf die Feinschmecker


ausgezeichnet

Hauptkommissar Tischler und sein Kollege Fink müssen wieder mal ans Werk, nachdem der pensionierte Lehrer Klaus Busch in Gesellschaft der Lokalprominenz tot in seinem Vorgarten zusammenbricht. Beim Dîne vergiftet.
Die sechs Mitglieder des ortseigenen „Gourmet Clubs“, zu dem neben dem Opfer unter anderem auch Brunngries‘ Bürgermeister Gmeinwieser und Polizeioberrat Schwenk gehören, sind in heller Aufregung. Hat es jemand auf ihren illustren Kreis von Feinschmeckern abgesehen, oder wurde Busch das Opfer eines gezielten Giftanschlags? Mit Hilfe der bewährten T-U-F Methode wollen die beiden Ermittler dem Mörder auf die Schliche kommen.
„Prost, auf die Feinschmecker“ ist der inzwischen siebte Fall in Autor Friedrich Kalpenstein’s Prost-Reihe und steht seinen Vorgängern in Punkto Unterhaltung in nichts nach. Ich bin einfach begeistert von den authentischen und liebenswerten Figuren, die einem in dieser Reihe immer wieder über den Weg laufen und den Aufenthalt in Brunngries stets zu einem unterhaltsamen Erlebnis machen. Allein schon dafür lohnt es sich auf jeden neuen Teil hinzufiebern.
Der Schreibstil ist wie immer leichtgängig und einnehmend und dank einer Menge Humor, charmantem Dialekt und frechen Dialogen gab es stets was zu Lachen. Insbesondere die Kapitelüberschriften sind mal wieder Gold wert.
Das Rätselraten auf der Suche nach dem Mörder hat in diesem Fall besonders Spaß gemacht. Der Autor versteht sich gut darauf seine Leser immer wieder auf eine falsche Fährte zu locken, Hinweise und Andeutungen zu platzieren und Motive zu verschleiern. Ich hatte beinahe nach jedem Kapitel einen neuen Hauptverdächtigen, hab Theorien aufgestellt und war dann ganz aus dem Häuschen, als ich zumindest ein paar Puzzleteile richtig zusammensetzten konnte. Es hat wirklich viel Spaß gemacht.
Alles in allem war „Prost, auf die Feinschmecker“ ein reines Vergnügen und hat mich hervorragend unterhalten können. Es ist ein absoluter Wohlfühlkrimi und natürlich unbedingt empfehlenswert.

Bewertung vom 18.04.2023
Strafsachen
Hoven, Elisa;Weigend, Thomas

Strafsachen


sehr gut

Ist unser Strafrecht wirklich gerecht? Es gibt eine Fülle von Beispielen, in denen die Öffentlichkeit mit großem Unmut auf die Anwendung des Strafrechts reagiert hat, insofern scheint diese Frage mehr als berechtigt. Wie kann es sein, dass ein 12-jähriger Vergewaltiger ohne nennenswerte Konsequenzen davonkommt, oder ein Rentner, der sein Leben und Eigentum vor Einbrechern schützen will, am Ende selbst verurteilt wird?
In „Strafsachen“ setzen sich Elisa Hoven und Thomas Weigend genau mit solchen schwierigen Sachverhalten auseinander und erklären anhand von prominenten Fallbeispielen nachvollziehbar und nuanciert das Konzept von Gerechtigkeit und die Herausforderung unserer Rechtsordnung ein hinreichendes Maß an Gerechtigkeit zu sichern.
Den Autoren ist es dabei gut gelungen besonders die schwierigen juristischen Zusammenhänge und Feinheiten – also genau die Aspekte, die von der Öffentlichkeit regelmäßig gar nicht ins Auge gefasst werden (können), wenn über die Gerechtigkeit eines Urteils kontrovers diskutiert wird – verständlich darzustellen, sodass sie insbesondere juristischen Laien einen neuen Blickwinkel auf solche Sachverhalte ermöglichen. Es ist ein spannendes Sachbuch, das zur kritischen Auseinandersetzung mit Recht und Gerechtigkeit anregt und insgesamt sehr lehrreich.

Bewertung vom 18.04.2023
Das Erwachen des letzten Menschen
Pale, Leveret;Skrobisz, Nikodem

Das Erwachen des letzten Menschen


sehr gut

Wir genießen die Bequemlichkeiten des technologischen Fortschritts, dass uns Google und Co in Sekundenbruchteilen Antworten liefern, unsere Autos von selbst die Spur halten und wir mit Virtual Reality von der Wohnung aus jeden noch so fantastischen Ort betreten können. Schon heute nehmen uns Roboter, Maschinen und Algorithmen eine Menge Arbeit ab. Doch wann ist der Punkt erreicht, an dem wir uns zu viel von Technologien abnehmen lassen? Was würde es mit uns anstellen, gäben wir unser ganzes Dasein in die Hand eines Algorithmus?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich Leveret Pales aka Nikodem Skrobisz dystopische Novelle „Das Erwachen des letzten Menschen“. Sie spielt im Jahr 2137, in einer Welt, die komplett digitalisiert ist und in der die Menschen nichts weiter zu tun haben, als sich von technologischen Gadgets bespaßen zu lassen. Nur einer will sich nicht länger von den virtuellen Realitäten, friedlich stimmenden Medikamenten und stets zugänglichen Sexrobotern betäuben lassen. Edgar will mehr. Was er sucht, ist ein Sinn in seinem Leben.
Aufgebaut in kurzen Tagebucheinträgen, lassen sich die rund 50 Seiten zügig lesen und auch wenn sich der Autor nicht mit ausschweifendem WorldBuilding aufhält, so erhält man doch ein guten Überblick über die Gesellschaft, in der Edgar lebt.
Der Prozess um Edgars „Erwachen“ war interessant beschrieben und ich finde es ist dem Autor gut gelungen, die Verzweiflung des Protagonisten einzufangen, ebenso wie seinen Kampf, um sich aus diesem Zustand zu befreien. Das Ende gibt indes keine klare Antwort. Ist es ein Happy End, der Silberstreif am Horizont oder doch die Resignation eines Menschen, der sich mit der Ausweglosigkeit seiner Lage abgefunden hat? Hoffnung oder Resignation? Mir gefällt, dass man als Leser dazu gezwungen ist, sich Gedanken darüber zu machen.
Alles in allem ist es eine kluge Geschichte, die zum Nachdenken inspiriert.

Bewertung vom 30.03.2023
Totmannalarm
Klemke, Karoline

Totmannalarm


sehr gut

Nicht alle Straftäter sind gleich. Nicht jede Straftat führt ins Gefängnis. Jene Täterinnen und Täter, die durch Sucht oder psychische Krankheit zu gefährlich sind, um wieder Teil der Öffentlichkeit zu werden, müssen in den Maßregelvollzug. Sie werden zu Patienten.
Karoline Klemkes Buch „Totmannalarm“ folgt der Psychotherapeutin und Diplompsychologin Christiane Richter, deren Aufgabe die Behandlung und Evaluation von Tätern ist, die aufgrund schwerer Straftaten im Maßregelvollzug gelandet sind und gewährt neue und spannende Einblicke in Themen wie Gewalt und Psyche. Aus Sicht der Protagonistin erfährt man, wie Täter ihre eigene Schuld wahrnehmen und erleben, wie die Therapie sich auf diese Wahrnehmung auswirken kann, sie ihren eigenen Geist kennenlernen und im besten Fall Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen.
Mir hat „Totmannalarm“ aufgrund vieler Aspekte sehr gut gefallen. Zunächst einmal ließ sich das Buch ungemein gut lesen, nach wenigen Seiten war ich ganz und gar in der Erzählung drin. Es ist eine spannende Mischung aus kapitelübergreifender Entwicklung und Einzelgeschichten. Dabei habe ich die persönliche Entwicklung der Protagonistin als roten Faden der Erzählung empfunden. Ist sie zu Anfang des Buches noch blutige Anfängerin im Maßregelvollzug, so kann man verfolgen, wie sie im Laufe der Zeit ihre Überforderung ablegt, dazulernt und ihre Intuition sich schärft. Auch ihr Privatleben und die Auswirkungen ihrer Arbeit darauf sind bisweilen Thema.
Die Kapitel an sich widmen sich jedoch stets einer ausgewählten Täter-Geschichte, das heißt man erhält Einblicke in die Tat, das Leben und die Psyche des Patienten. Dieser Aspekt des Buches ist ganz schön starker Tobak, auch für die Protagonistin. Die Straftaten, die hier zum Teil beschrieben werden, sind wirklich nichts für schwache Nerven. In diesem Kontext hat mir aber sehr gefallen, wie die Emotionen der Protagonistin dargestellt werden. Sie ist nicht etwa die eiskalte, abgeklärte Psychologin, die sich von sowas nicht aus der Ruhe bringen lässt und dem Täter oder der Täterin vollkommen professionell und unvoreingenommen begegnet, sondern man spürt ihre Wut, ihre Ablehnung, die Angst, all jene Gefühle, die in den Therapiegesprächen aufkommen. Umso beeindruckender ist es, wie sie sich jedes Mal aufs Neue zwingt über ihre eigenen Grenzen zu gehen und das Ziel der Therapie nicht aus den Augen verliert.
Die Fälle und Figuren in diesem Buch sind fiktionalisiert, basieren aber auf den sehr realen Erfahrungen der Autorin, die selbst viele Jahre im Maßregelvollzug gearbeitet hat. Und gerade weil die Erzählung so enorm authentisch rüberkommt, sind die Grenze zwischen Fiktion und Realität in diesem Buch fließend. Es ist ein fesselnde, facettenreiche Lektüre, die nicht nur zu unterhalten weiß, sondern auch zum Nachdenken anregt.

Bewertung vom 30.03.2023
Die spürst du nicht
Glattauer, Daniel

Die spürst du nicht


ausgezeichnet

Was als luxuriöser Familienurlaub geplant war, endet in einer schrecklichen Tragödie. Die Binders und die Strobl-Marineks wollten eigentlich nur die gemeinsame Zeit in der exklusiven toskanischen Villa verbringen und es sich bei Sonne, Prosecco und Antipasti gut gehen lassen. Die kleineren Kinder sind unter sich, die 14 jährige Tochter Sophie-Luise durfte ihre Schulfreundin Aayana, ein Flüchtlingskind aus Somalia, mitnehmen - alles scheint gut an diesem ersten Urlaubstag. Doch schon wenige Stunden nach der Ankunft der Urlaube kommt es zur Katastrophe.
„Die spürst du nicht“, der neue Roman von Daniel Glattauer hat mich ungemein begeistert. Das Hörbuch aus dem Schmiede von Hörbuch Hamburg hat mit knapp 9 Stunden eine gute Länge und sobald ich angefangen habe es zu hören, gab es für mich kein zurück mehr. Tessa Mittelstaedt und Steffen Groth haben hier einen herausragenden Job geleistet. Als hätten sie der Dringlichkeit und dem fesselnden Charakter der Geschichte mit ihren Stimmen nochmal Nachdruck verliehen.
Auch der Inhalt des Romans konnte mich restlos überzeugen. Das war mein erstes Buch des Autors und sehr früh habe ich gemerkt, wie außergewöhnlich seine Art des Erzählens ist. Ich hatte das Gefühl zeitweise einem Theaterstück oder Regieanweisungen zu folgen, so ungefiltert und scharfkantig werden einem die Figuren gleich zu Anfang vorgestellt. Eine wahrlich raffinierte Vorgehensweise, denn obwohl die Figuren bewusst überzeichnet rüberkommen, so hat der Autor damit nicht übertrieben. Stattdessen offenbart sich darin eine feine Ironie, die dem Roman trotz der tragischen Entwicklungen eine humorvolle Note verleiht. Die Charaktere können sich nicht hinter ihrer fadenscheinigen Großzügigkeit oder Menschenfreundlichkeit verstecken, denn als Leser weiß man sofort, wen man da vor sich hat. Ich fand das enorm faszinierend.
Durch die regelmäßigen Wechsel in der Erzählperspektive konnte man völlig ungefiltert in die Gefühls- und Gedankenwelten der Protagonisten abtauchen und erfahren, wie sie individuell durch die Tragödie betroffen sind und wie sie damit umgehen.
Die häufig eingeschobenen Auszüge von Pressemitteilungen und Social-Media Beiträgen sind ein interessanter Kniff des Autors, der über den Horizont der Figuren hinaus auf äußerst unbequeme Weise aufzeigt, wie in den Medien mit Geschichten wie Aamaya’s umgegangen wird.
Glattauer adressiert in diesem Roman die unbequemen Wahrheiten unserer Zeit und regt zum Nachdenken an. „Die Spürst du nicht“ hat definitiv einen Platz unter meinen Jahreshighlights.

Bewertung vom 29.03.2023
Südlich von Porto lauert der Tod
da Silva, Mariana

Südlich von Porto lauert der Tod


sehr gut

Torreira, eine kleine portugiesische Ortschaft direkt an der Atlantikküste, bietet das perfekte Postkarten Ambiente und dient als einmalige Kulisse für Mariana da Silvas neuen Kriminalroman „Südlich von Porto lauert der Tod“. Dorthin kehrt die Protagonistin Ria Almeida anlässlich der Beerdigung ihres geliebten Großvaters zurück. Erschüttert durch die Trauer und angespannt durch die Ereignisse bei ihrer Arbeit zu Hause bei der Stuttgarter Polizei sehnt sich Ria nach nichts weiter als Sommer, Sonne, Strand und gutem Essen. Doch die Leiche einer jungen Frau macht ihr einen Strich durch die Rechnung.
Joao, der Mann von Rias Cousine Mariposa, ist bei der örtlichen Polizei allenfalls mal unterwegs, um die „gestohlenen“ Gegenstände der äußert vergesslichen Senhora de Jesus aufzutreiben oder Falschparker im Ort aufzuschreiben; ein Tötungsdelikt jedoch, ist ein ganz anderes Kaliber. Um ihn vor dem sicheren Untergang zu bewahren, beschließt Ria, die selbst deutlich mehr Erfahrung mit solchen Verbrechen hat, ihrem Schwager bei den Ermittlungen unter die Arme zu greifen.
„Südlich von Porto lauert der Tod“ erfüllt wirklich alles was man sich von einem gemütlichen, aber spannenden Urlaubskrimi nur wünschen kann. Der Schreibstil ist angenehm flüssig zu lesen und man kommt einfach in die Geschichte hinein. Mir hat gefallen, wie gemächlich der Einstieg in die Handlung war, denn so konnte man sich super in der Atmosphäre einfinden und die Charaktere kennenlernen. Das Ambiente, das die Autorin schon so früh etabliert, hatte mich bis zum Schluss vollkommen gepackt. Auch die Figuren sind mir schon früh ans Herz gewachsen. Ria ist eine sympathische und facettenreiche Protagonistin und formt mit Joao ein wirklich liebenswertes Duo. Der familiäre Charakter, der sich durch die Geschichte zieht, hat bei mir irgendwie einen Nerv getroffen.
Zu dem Fall an sich möchte ich nicht viel verraten. Es ist ein gut konstruierter Mordfall mit glaubhaften und auch einigen überraschenden Elementen, der mich gut bei Laune halten konnte. Logischerweise darf man hier keine Thriller-Spannung erwarten, die einen konstant auf der Stuhlkante sitzen lässt, aber der Krimi hat einen sehr soliden Spannungsbogen. Irgendwie unaufgeregt, aber ohne langweilig zu sein.
Das Tüpfelchen auf dem i ist die schöne und liebevolle Gestaltung des Buches. Nicht nur das Cover besticht mit den landestypischen bemalten Fliesen, sondern auch das Innere hält ein paar schöne Überraschungen bereit. Das Design ist wirklich sehr durchdacht und gut gelungen.
Alles in allem ein wirklich gelungener Urlaubskrimi, den ich sehr gerne weiterempfehle. Und wenn ich den Andeutungen glauben darf, so kann ich mich hoffentlich auf eine Fortsetzung mit Ria & Co. freuen.

Bewertung vom 29.03.2023
Es war einmal in Brooklyn
Atlas, Syd

Es war einmal in Brooklyn


gut

Syd Atlas Roman “Es war einmal in Brooklyn“ erzählt von den Kindheitsfreunden Juliette und David, für die der Sommer 1977 große Veränderungen mitbringt. Während Juliette begierig darauf ist, alle Freuden des Erwachsenwerdens für sich zu erkunden, kämpft David einen aussichtslosen Kampf gegen seine Leukämie. Juliette fiebert auf ihre Zukunft am College hin und will die Ketten der Kindheit ein für alle Mal abwerfen, David klammert sich an das was ihm bleibt, weil er keine Zukunft hat.
„Es war einmal in Brooklyn“ ist ein emotionaler Coming-of-Age Roman, der sehr interessant zu lesen war und mich in mancherlei Hinsicht überraschen konnte. Der Schreibstil von Autorin Syd Atlas hat mir gut gefallen, wenn es auch ein bisschen gedauert hat in das Buch hineinzufinden. Auf ihre ganz eigene Art haben mich ihre Worte fesseln können und sie transportiert Emotionen auf eine sehr ruhige, unaufdringliche Weise, pflanzt einen Samen, der sich über die Kapitel hinweg entwickelt und wächst.
Auch die Art und Weise des Erzählens konnte mich überraschen. Ausgehend vom Klappentext, hatte ich wohl eher eine chronologische Erzählung erwartet, aber das trifft auf diesen Roman nicht wirklich zu. Zwar gibt es eine Rahmenhandlung, die sich der Reihe nach Entwickelt und zu dem im Klappentext erwähnten Blackout führt, diese entwickelt sich aber nur sehr langsam und beinahe hintergründig. Im Wesentlichen hat es sich für mich angefühlt, als hätte ich einen Flickenteppich aus Erinnerungen vor mir, Szenen einer Freundschaft, Beziehungen und Szenen aus dem Leben der Protagonisten, die bei der eigentlichen Handlung immer wieder auf die Pause-Taste drücken, um erzählt zu werden. Es ist eine interessante Leseerfahrung, als würde man die Familien von David und Juliette durch ein Kaleidoskop betrachten. Man sieht nur Fragmente, scheinbar willkürlich zusammengewürfelte Momente, die sich zum Schluss zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Und obwohl mir das durchaus gefallen hat, haben mir diese Sprünge zwischen den Szenen und Zeiten auch ein paar Schwierigkeiten bereitet. So war es für mich nicht einfach Zugang zu den Figuren zu finden. In meinen Augen lag der erzählerische Schwerpunkt eher bei Juliette und gerade zu ihr konnte ich keine wirkliche Verbindung aufbauen. Einerseits ist sie in ihrer jugendlichen Unbesonnenheit und Naivität sehr authentisch dargestellt, andererseits war sie in vielerlei Hinsicht für mich einfach nicht greifbar.
Auch wenn mir insgesamt irgendwie das gewisse Etwas in dieser Geschichte gefehlt hat, so habe ich unbestreitbar den Charme ihrer Echtheit und Lebensnähe gespürt. Die Figuren wirken wie aus dem Leben gegriffen, sind nicht unbedingt sympathisch, vor allem aufgrund der Entscheidungen, die sie treffen, aber andererseits, wer ist das schon? Es ist glaubhaft, roh und echt und das hat den Roman für mich besonders gemacht.

Bewertung vom 29.03.2023
Girlcrush
Given, Florence

Girlcrush


schlecht

„Girlcrush“ ist der mit Spannung erwartete, neue Roman von Florence Given, die sich mit ihrem Buch „Women Don’t Owe You Pretty“ schon in die Herzen vieler Leser geschrieben hat.
Nun erzählt sie die Geschichte von mit-Zwanzigerin Eartha, die nach Jahren in einer unglücklichen Beziehung endlich den Befreiungsschlag wagt. Ihr Versager von einem Freund ist nunmehr Vergangenheit und zum ersten Mal in ihrem Leben ist Eartha bereit nicht nur ihr Single-Leben zu genießen, sondern auch ihre bisexuelle Seite für sich zu erobern. Angeheizt durch Euphorie und Alkohol nimmt Eartha ein Statement-Video auf, das sie über Nacht zur Sensation auf der Social-Media Plattform Wonderland macht. Es scheint, als würde auf einmal alles ganz und gar richtig laufen. Doch da ahnt Eartha noch nicht, was ihr das Leben als Online-Berühmtheit abverlangen wird.
Ich war so angetan von dem Klappentext, den angeteaserten Themen, die dieses Buch aufgreift und den positiven Pressestimmen (abgedruckt auf und in dem Buch), dass ich es wirklich gerne lesen wollte. Im Nachhinein muss ich aber leider sagen, dass „Girlcrush“ für mich ein absoluter Reinfall war. Die Covergestaltung finde ich sehr gelungen, aber ehrlicherweise ist das mehr oder weniger das einzig Positive, das ich zu sagen habe.
Florence Givens Schreibstil ist okay. Der Text lässt sich leicht lesen, an das Gendern gewöhnt man sich mit der Zeit, aber das war es auch schon. Emotionen oder Bilder hat sie mit ihren Worten keine heraufbeschwören können und auch den angepriesenen Humor und Charme habe ich gänzlich vermisst. Der Sinn hinter den eingeschobenen Regie-Anweisungen hat sich mir bis zum Schluss nicht eröffnet und auch sprachlich ist der Roman gelinde gesagt schwierig. Ich vermute der Text ist bewusst so explizit, um die Leserschaft ein klein wenig zu triezen und zu zeigen, wie selbstbewusst und sexuell im Reinen die Protagonistin mit sich ist. Er soll derb, schlagfertig und ungefiltert rüberkommen, doch für mich ist die Autorin in der Umsetzung übers Ziel hinausgeschossen. Ich habe kein Problem mit expliziten Ausdrücken, doch hier wirkt deren Einsatz so übertrieben, so forciert, dass ich es als unauthentisch und ehrlich gesagt ordinär empfunden habe.
Die Charaktere sind flach, bedienen hauptsächlich Stereotype und bringen keine Persönlichkeit mit. Bei Eartha war das besonders problematisch für mich, weil ich einfach keinen Zugang zu ihr finden konnte und ein Buch, in dem man nicht mit der Protagonistin mitfiebern kann, lässt sich nicht einfach lesen. Ich fand sie anstrengend, unsympathisch und unglaubhaft. Die Nebenfiguren in diesem Roman waren alle entweder überzeichnet oder nur so oberflächlich in die Geschichte involviert, dass ich mich teilweise gefragt habe, weshalb die Figur überhaupt erst etabliert wurde.
Auch die Story an sich hat mich nicht überzeugen können. Der Roman hat viele gute Ideen, viele gute Ansätze, aber am Ende bliebt der Eindruck, dass die Autorin nicht wusste, wohin sie mit der Geschichte will. Es fängt an mit diesem Riesenfokus auf Earthas Bisexualität, ihrem persönlichen sexuellen Erwachen, dem Abenteuer des queeren Datens und endet – stark vereinfacht – mit einem Appell über die Gefahren von Social Media. Neben diesen zwei zentralen Themen gibt es u.a. noch eine aufkeimende Romanze, alte und neue Freundschaften, eine schwierige Beziehung zur Mutter etc. Doch all diese vielen Plot-Lines verschwinden im Laufe der Handlung ins Nichts. Die Autorin stößt so viele Türen in dieser Geschichte auf, ohne hindurchzugehen und das fand ich enorm irritierend.
Ein weiteres Problem war für mich der extreme Overload an Klischees, die es in diese Geschichte geschafft haben. Der absolut überzeichnete Ex-Freund Earthas, als Verkörperung jedes männlichen Negativ-Klischees; die männerhassenden Lesben; der Typ, der es zwar geil findet, wenn zwei Frauen miteinander rummachen, aber von Bisexualität total abgeturned wird; Feminismus gleich Männerhass – die Liste ist lang. Besonders letzteres hat dafür gesorgt, dass ich mich mit dem Feminismus, so wie er in diesem Buch dargestellt wurde, nicht identifizieren konnte.
Nur die Darstellung der Schattenseiten des Influencer Lebens hat sich für mich authentisch angefühlt. Da Florence Given selbst solch einen Hintergrund hat, konnte sie hier sicher viele ihrer persönlichen Erfahrungen einfließen lassen und das war spürbar.
Ich hätte „Girlcrush“ so gerne gemocht, aber es war einfach nicht mein Fall. Hätte ich das Buch nicht im Rahmen einer Leserunde gelesen, hätte ich es wahrscheinlich nicht beendet. Der Roman will scharfe Gesellschaftskritik üben, aber gelingen tut das in meinen Augen nicht. Dazu fehlt es an Authentizität, glaubhaften Charakteren und schlüssiger Handlung. Es sei aber ausdrücklich gesagt, dass das alles sehr subjektiv ist und sich jeder sein eigenes Bild darüber machen sollte, ob das Buch die Zeit wert ist gelesen zu werden.