Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
mapefue
Wohnort: 
Kirchbichl

Bewertungen

Insgesamt 167 Bewertungen
Bewertung vom 05.06.2022
Das helle Licht des Tages
Swift, Graham

Das helle Licht des Tages


ausgezeichnet

Graham Swift lässt in seinem Roman "Das helle Licht des Tages" den Privatdetektiv George Webb von seinem verzwickten Leben erzählen. Und was für eines. Plot-Mittelpunkt ist ein Mord, dazu die Liebe des Detektivs zu seiner Klientin, die zugleich die Mörderin ist. Einzelheiten erfahren wir nach und nach, wenn überhaupt. Es geht nicht um die Aufklärung des Falles, noch um die Mordmotive, sondern schlicht und einfach um die Frage, ‚was den in George gefahren ist‘ wie Rita, Georges Sekretärin zu Anfang treffend ausdrückt: "Irgendwas ist über dich gekommen."

In Anspielung auf das phantastische Coverbild resümiert George, der sich anfangs noch nicht weiß, dass er bald in den Fängen einer problematischen Liebe wähnt: „Das Sonnenlicht berührte noch gerade ihre Knie, so dass sie aussahen, als könnten sie sich nicht verstecken“. „Ein Lächeln, so schutzlos wie ihre Knie“. "Der Sonnenstreifen zwischen uns erfasste ihre Knie und ließ sie beinahe goldfarben glänzen“. Goerge übernimmt von Sarah einen simplen Beschattungsauftrag: Es soll ihren Mann Rob und seine Geliebte Kristina bis zum Flughafen folgen und ihr den Abflug von Kristina melden. Damit beginnt Georges Liebesdilemma. „Vielleicht lag es an ihren Knien“, versucht sich George an einer Selbstrechtfertigung.

Manchmal ergibt die Handlung keinen Sinn, aber vielleicht liegt gerade darin der Sinn. George Webb, der Ehemann, der von seiner Frau Rachel verlassen wird: „Leb wohl, Bob“, aus dem Polizeidienst entlassen, einst von seiner Tochter Helen gehasst, nun monatlich besucht – George, der Superkoch, der Detektiv, der einer Mörderin verfällt.

Einmal im Jahr besucht George das Grab des Ermordeten und legt Blumen auf die Grabplatte, vierzehntägig besucht er Sarah im Gefängnis, bis sie in acht Jahren entlassen wird. Ein Rätsel reiht sich an das nächste. Swift hat nicht im Sinn, letzte und restlose Klarheit zu schaffen, das überlässt er dem Leser, der wiederum sollte das angestrengte Lesen als Genuss empfinden.

Bewertung vom 28.05.2022
Noctis / Oxen Bd.5
Jensen, Jens Henrik

Noctis / Oxen Bd.5


sehr gut

OXEN #5
Niels Oxen ist nicht totzukriegen. Warum auch. Der höchstdekorierte Veteran des Königreichs DK, der einzige. Mit allen Wassern gewaschen. Hat ein Sensorium wie niemand anderer, spürt jede Bedrohung.
Einst gejagt vom PET, dem Dänischen Inlandsgeheimdienst; zu Unrecht des Mordes angeklagt, düpierte er die gesamte dänischen Polizei – inklusive PET-Chef Mossman. Dieser ist nun in Pension und frönt der Kunst – widerwillig und der Fischerei.

In NOCTIS wird Oxen hofiert, man braucht ihn als Spezialermittler mit umfassenden Vollmachten, sehr zum Ärgernis der örtlichen Polizei und Kripo.
Dazu noch die weibliche Inkarnation eines „WonderWoman“: Margarethe Franck. Das Ass des PET. Am Anfang der OXEN-Reihe von Niels verächtlich als „die einbeinige Lara Croft“ tituliert. Zu Beginn spinnefeind und ablehnend gegenüber Niels. In der Zwischenzeit hat sich viel geändert. In NOCTIS ermitteln beide zu Veteranenmorde. Zur Begrüßung umarmen sie sich. Niels nimmt ihren Knackarsch anerkennend zur Kenntnis, wie das Baumeln an ihren weiblichen Rippen.

Sieben Leichen werden an Land gefunden, erschossen von einem Scharfschützen, allesamt Veteranen. Eine achte Leiche, ebenfalls erschossen wird im Wasser entdeckt. An allen Tatorten taucht Sally Finnsen vom Fahndungsdezernat der Kripo Kopenhagen auf. Sie hat keinen dienstlichen Auftrag. Was hat sie an den Tatorten zu suchen? Noch viel dringender die Frage: Wer hat die Veteranen erschossen und was war das Motiv? Jensen hat genügend Zeit, um auf über 570 dem Leser die Motivlage darzulegen und dehnt dementsprechend den Plot aus.

Der erste Teil spielt über der Erde und wird entsprechend „Die Welt“ betitelt. Die Ermittlungen stecken fest und die große Stunde schlägt dem PET-Pensionisten Mossman, der sich als Geheimdienstler profilieren möchte und durch ganz Europa tingelt und „Nachforschungen“ anstellt. Der zweite Teil führt uns unter die Erde in „Die Unterwelt“. Ab der Hälfte des Thrillers nimmt die Spannung zu und entwickelt sich zu einem Pageturner: Niels Oxen wird vermisst und für die über der Erde ist es ungewiss, ob sie ihn finden können, bzw. ob er überhaupt noch lebt. Jensen lässt uns in eine Welt voller menschlicher Abgründe eintauchen.

Mossman hält sich für unentbehrlich und ist sehr enervierend. Franck bekommt mit Sally eine junge Kollegin, die über herausragende Fähigkeiten verfügt. Sie ist eine Superschützin, denkt analytisch und körperlich voll austrainiert und kann demnach „viel besser laufen“ als Franck. Oxen hat sich sozialisiert, vom Waldmenschen mit PTBS zu einem fast zu netten Menschen, der für seinen Sohn Magnus ein Daddy sein will.

Bewertung vom 17.05.2022
Müll
Haas, Wolf

Müll


ausgezeichnet

Das Warten hat ein Ende. Nach achtjähriger Pause kehrt Simon Brenner zurück. In Müll gibt Wolf Haas seinem einzigartigen Anti-Helden wieder einen Auftritt. Und das Warten hat sich gelohnt: Der Mann mit der ökonomischen Sprechweise läuft wieder zur Hochform auf. Er ist besser denn je.

Endlich hat der Brenner seine wahre Bestimmung gefunden. Nach Kriminalkommissar, Privatermittler, Rettungsfahrer, ist er der geborene Wiener Mistler: Stolz, lässig, souverän, eine Vision in Orange. Haas kann Brenners Gedanken lesen: „Für den Brenner war es der beste Job, den er jemals gehabt hat. Gesellschaftlich ja auch viel anerkannter. Das war vielleicht früher einmal so, dass die Müllarbeit nur für das Wegräumen der Vergangenheit gestanden ist. Aber heute: Recycling hin, Kreislauf her, sprich Zukunft gestalten. Darum war die Arbeit auf einmal so gut angeschrieben. Zehnmal besser als Kriminalpolizei.“

Mit seinem stark entwickelten Sinn für Ordnung werkt Brenner am Müllplatz am richtigen Ort. Als „Empfangschef“ gibt er Anweisungen wohin welches alte Ding gehört. Dafür gibt es Wannen, bis zu 33 Stück davon. Aber wenn in Wanne 4 ein menschliches Knie gefunden wird, steht bald die Kripo auf dem Mistplatz. Weitere Leichenteile werden gefunden, nur das Herz wird im Kühlschrank der Witwe. Diese Ereignisse lassen ein Grüppchen von auffälligen Charakteren auftreten. Iris, die hübsche Tochter des Opfers, die die Mafia des Organhandels verdächtigt, die flüchtige betrogene Ehefrau, nun Witwe, der smarte „Praktikanten“, genannt Coco, der Transportunternehmer TOBIAS und dessen ausgefuchster persönlicher Fahrer Nguyen. Dazu die Mistler in Orange, der schöne Udo und der schwerhörigen Schmid, aber gekonnter Lippenleser.

„Man hat nicht sagen können, welcher von beiden der Chef war, weil der sportliche Friseurweltmeister fast zu jung für Chef, und der Ältere wieder zu mollig für Chef, also nicht einfach chefmäßig fett, sondern von der ganzen Dings her zu weich, ein molliger Typus mit breiten Hüften, an dem sich beim Beruferaten alle die Zähne ausgebissen hätten“, heißt es über die zwei Kripobeamten.

„Müll“ ist ein brillantes Buch – lustig, spannend, tragisch. Wolf Haas spielt nicht nur mit der Sprache, sondern auch mit den Konventionen, Motiven und Klischees des Krimi-Genres.

Am Ende segelt ein Altglaslaster über die Kaimauer in den wunderschönen flaschengrünen See, verwandelt sich in ein Altglasschiff und versinkt langsamer als vermutet in den Fluten. Noch heute schwärmen die Leute von dieser glitzernden Fontäne, die sich über den See ergossen hat, Regenbogen nichts dagegen.

Bewertung vom 16.05.2022
Ein simpler Eingriff
Inokai, Yael

Ein simpler Eingriff


ausgezeichnet

Ein simpler Eingriff erschien 2022 in Berlin im Carl Hanser Verlag. Inokai erzählt darin aus der Perspektive von Maret, einer Krankenschwester von lesbischer Liebe und einer Gesellschaft die Menschen krank macht und mittels operativer Eingriffe meint, heilen zu können.

Ein Roman über einige Patienten und das medizinische Personal in einer psychiatrischen Klinik. Der Doktor wählt Maret zu seiner Assistentin während er die psychischen Störungen operativ entfernen soll. Die Patientin Marianne soll von ihrer Wut geheilt werden. Die Operation misslingt, Marianne befindet sich vorläufig im Wachkoma. Meret kommen Zweifel an der Operationsmethode des Doktors. „Es ist zu einem Zwischenfall gekommen. Zu einer Entgleisung meinerseits. Seither habe ich meine Zweifel daran, wer oder was ich bin,“ sagt Maret. Marianne erholt sich, der Doktor will eine nächste Operation, doch Maret und Sarah haben einen Plan.

Inokais Roman bietet dem Leser trotz des scheinbar leicht dahinfließenden Schreibstils mehrere Betrachtungsebenen. Ohne Zeit- und Ortsbezug spielt der Roman auf eine dunkle experimententhemmte menschenverachtende Vergangenheit in psychiatrischen Kliniken an. Beginnend in den 1930er- bis 1970er-Jahre, ein düsteres Kapitel der Medizingeschichte. Als man noch glaubte den Menschen mit einer Operation (Lobotomie) heilen zu können, oder um ihn vielmehr „ruhig zu stellen“.
Es ist mehr als ein historischer Roman. Fast gleichwichtig ist die feinfühlig erzählte Liebesgeschichte zwischen Maret und Sarah. Es hilft Maret, sich aus dem starren Spitalsystem zu befreien, sich nicht nur als funktionierende Uniformierte zu fühlen.

Bewertung vom 01.05.2022
Wenn du mir gehörst
Robotham, Michael

Wenn du mir gehörst


ausgezeichnet

Als deklarierter Robotham-Fan warte ich auf den dritten Teil der Haven-Cormac-Reihe. Zur Überbrückung den Stand-Alone-Thriller Wenn du mir gehörst, erschienen 2021.

Robotham hat ein Faible für exzentrische Frauencharaktere. In der Cyrus Haven-Reihe ist es Evie, hier sind es gleich zwei besondere Typen: Philomena „Phil“ McCarthy, PC der London Metropolitan Police und Tempe, Opfer und Täterin zugleich.

Die 27-jährige McCarthy hat es trotz des kriminellen Hintergrunds ihrer Familie in den Polizeidienst geschafft. Freunde oder gar Anerkennung im beruflichen Umfeld gibt es nicht. Dafür gibt es Henry - in ein paar Monaten soll Hochzeit gefeiert werden.

McCarthy wird zu einem Einsatz gerufen: Eine junge Frau wir in ihrer Wohnung brutal zusammengeschlagen. Der Täter ist der hochdekorierte Detective Sergeant Darren Goodall, der seine Geliebte Tempe misshandelt hat. Als Godall McCarthy angreift ringt sie ihn zu Boden. McCarthy checkt weitere Gewalttaten von Goodall, ohne dass es je zur Anklage kam. Zufall? Oder hält jemand die schützende Hand über ihn? McCarthy wird suspendiert. Ist das das Ende ihrer Polizeikarriere?

Goodalls letztes Opfer Tempe zeigt sich ihrer Retterin Phil gegenüber äußerst dankbar. Die beiden Frauen werden sogar enge Freundinnen. Doch Phil wird zunehmend misstrauisch: Etwas an der Geschichte der jungen Frau scheint nicht zu stimmen. Ist Tempe wirklich ein unschuldiges Opfer? Spätestens, als eine erste Leiche in Phils Umfeld auftaucht, weiß sie nicht mehr, wem sie trauen kann.

Es ist ein Roman über häusliche Gewalt, toxische Freundschaften und familiäre Konflikte. Tempe ist eine Frau, die um jeden Preis Anerkennung erheischen will, zuvorkommend und zu jeder Gelegenheit um die Phils Freundschaft buhlt. Sie ist eine Turbo-Klette, sie baucht Liebe und glaubt in Phil die ideale Person gefunden zu haben. Tempe leidet unter dem Weißer-Ritter- oder auch Helden-Syndrom. Ihr Selbstwertgefühl gründet sich auf ihrer Fähigkeit, die Probleme anderer Menschen zu lösen. In zunehmend verstörende Weise wird sie Teil von Phils Leben und plant sogar deren Hochzeit mit ihrem Verlobten Henry.

Ein weiterer Schwerpunkt im Roman sind die korrupten Polizisten, die das Gesetz gerne in die eigenen Hände nehmen, genau wie Vater McCarthy und seine Brüder.

Mit diesem cleveren Plot steigert sich die Spannung bis zum Schluss, und hat sich der Leser für eine Lösung entschieden, gibt eine weitere überraschende Wendung, bis sich zum starken Ende die Ereignisse überschlagen. Der effektive Schreibstil fördert das Lesevergnügen und damit liefert Robotham einen weiteren Thriller der Extraklasse.

Bewertung vom 01.05.2022
Hitze
Leilani, Raven

Hitze


gut

Die Geliebte des Ehemannes als Familienerweiterung.
Sie zieht bei dessen Familie ein. Aber nicht der Ehemann bringt sie als Mitbringsel in die sehr offene Ehe und in eine noch viel liberalere; nein, die Ehefrau lädt Daddys Betthäschen Edie ins traute Heim ein.

Wie es dazu kam, das erzählt uns die dreiundzwanzige Edie in Leilanis Roman.

Eric ist doppelt so alt wie Edie, er ist wohlhabend und verheiratet, und vor allem ist er weiß und er hat ein schwarzes Kind adoptiert. Edie ist schwarz, Lektorin in einem Verlag, hasst ihre Arbeit, fickt sich durch die komplette männliche Belegschaft. Endstation Eric? „Bin ich eine Nymphomanin“, fragt sich Edie.

Eine Liebesgeschichte bahnt sich wider aller Erwartung nicht an. Von einem Moment auf den anderen verändert sich Edies Leben drastisch. Sie verliert ihren Job und ihre Wohnung, finanziell am Ende, wird sie jedoch von Erics Frau Rebecca in das Haus der Familie eingeladen. Rebecca hat einen Hintergedanken, Erics amouröses Abenteuer zu kontrollieren und einen Buddy für ihre schwarze Adoptivtochter Akila zu finden.
Die schwarze Edie erlebt das Leben der weißen amerikanischen Oberschicht. Sie kümmert sich um Akila, den Haushalt, schläft weiterhin mit Eric und geht scheinbar eine freundschaftliche Beziehung zu Rebecca ein. Sie pflegt ihr Hobby, zeichnet wieder, doch alle Versuche scheitern, sie kann sich nicht in die Familie integrieren, bleibt sie außen vor. Der amerikanische Traum wird zum Alptraum; für eine Frau, die jung, allein, arm und schwarz ist.

Leilanis Hitze ist eine scharfe Sozialanalyse mit einem kritischen und entlarvenden Blick auf die amerikanische Gesellschaft. Ein spannendes und überraschendes Buch mit direkter und authentischer Sprache. In manchen Absätzen sind die Nebensätze ineinander verschoben, Leilani will damit verhindern, dass ihr Roman ein literarisches Leichtgewicht wird. 2020 das meistbesprochene Debüt in den USA. Der Originaltitel Luster (deutsch: der Glanz) verzückt das linke liberale amerikanische Leseestablishment, angeführt von Barack Obama.

Bewertung vom 22.04.2022
Zwischen den Fronten / Ralf Parceval Bd.4
Landow, Chris

Zwischen den Fronten / Ralf Parceval Bd.4


weniger gut

Parceval, 4. (und letzter) Akt.
Afghanistan ist Parcevals Schicksal und lässt ihn nicht los; im vierten Teil dieser Tetralogie harren wir der Katastrophe oder Lösung. Parceval verurteilt als vermeintlicher Vielfachmörder (in Afghanistan), nun als entsprungener Häftling in ganz Deutschland zur Fahndung ausgeschrieben, ist in seiner Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt. Seine Obsession ist die Suche nach seiner Schwester Birgit - inzwischen Mutter geworden - und seiner Nichte Miray. Dafür ergreift er jede Gelegenheit, um den Aufenthalt der drei zu erfahren – sie sollen sich in einer afghanischen Provinz befinden und eben dorthin zu gelangen. Parceval wird zum Spielball als er sich mit dem dubiosen „Transportunternehmer“ Martin Gerhardt einlässt. Dieser wird ihn nach Afghanistan fliegen, aber nur wenn er den inhaftierten Terroristen und IS-Kommandeur Nils Walau (s. Parceval 3) aus dem Gefängnis befreit und als „Morgengabe“ nach Afghanistan verfrachtet.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich Karin Feldmann, die ehemalige Leiterin des Mannheimer Polizeipräsidium an Parcevals Fersen geheftet hat. Nach dem Desaster (s. Parceval 2) wurde sie zwangspensioniert (51 Jahre alt) und hat nur eines im Sinn: Rache und Parcevals Tod.

Unverzichtbar ist der Schutzengel Ksenia – „tausendmal berührt, tausendmal is nix passiert, tausend und eine Nacht und es hat zoom gemacht“ (Klaus Lage Band) und sein afghanischer Freund Ustad. Immerhin liegen Parceval und Ksenia auf einer Matratze und bestaunen den Sternenhimmel.

Landow arbeitet hartnäckig am menschenfreundlichen Charakter Parcevals: Bei der Befreiungsaktion dürfen keine begleitenden Polizisten/Beamte getötet, im äußersten Fall mit einem Teaser unschädlich gemacht werden. „Parceval, ein Freund von allen Menschen“ (lt. Landow).

Anspruchslos, jedoch routiniert verfasst Landow die 477 Seiten seines Thrillers mit einem flüssigen Schreibstil, Spannung allemal. Rasantes Popcornkino für Aktionfans.

Bewertung vom 15.04.2022
Sus und Katz
Buch, Liesa

Sus und Katz


ausgezeichnet

Sus und Katz von Liesa Buch, am Cover ein Kriminalroman, ein Thriller, der Leser kann es sich aussuchen – wahlweise. Es ist ein „Book on Demand“ das bedeutet, dass kein Verlag das Manuskript übernehmen wollte oder dass Liesa Buch bewusst das Buch in Eigenregie herausgebracht hat.

Ein kongeniales Duo, Sus und Katz, von der Polizei für Mordermittlungen hinzugezogen, alle gewünschten Sonderbedingungen erfüllt – wegen unübertroffener Aufklärungsquote. Katz, der übersinnliche Seher, der geniale Profiler. Ich denke sofort an Lincoln Rhyme in „Der Knochenjäger“, Professor T oder Patrick Jane in „The Mentalist“.
Katz vertreibt die Zeit, um dann endlos zu sehen. Er hatte sich diese Erfahrung zu seiner Methode der Erkenntnisgewinnung gemacht. Zeitüberwindung als Grundlage der Analyse. Keine schnellen Schlüsse, sondern das langsame Beobachten aller Möglichkeiten, das wiederholte Gedankenspiel, die ruhige, stressfreie Bewegung, das langsame Atmen, der offene Blick.
Sus war nicht nur schön, „sonderschön“ (laut Katz), sie war auch schlau, superschlau. Sie war mit allen Sinnen Fotografin. Ihre Fotos waren nicht nur technisch perfekt, sie waren durchkomponiert wie Kunstwerke, der goldene Schnitt, die Tiefenschärfe, das Licht. Für sie zählte nur der künstlerische Aspekt. Aber als Tatortfotografin wollte sie mit ihren Fotos Aufzeichnungen, Abbilder, Erinnerungsstützen und Tatszenen schaffe. Eine große, kreative Anstrengung, ihre Bilder stellten eine stete Quelle für den Erkenntnisgewinn dar.

Sus und Katz nicht allein ein berufliches Paar, sondern auch ein privates, sehr intimes. Liesa Buch nimmt sich sehr viel Zeit und zelebriert seitenlang das erotische Sexleben der beiden in allen Einzelheiten und einer sehr taktvollen, jedoch direkten Art und Weise; wie es sich Autorinnen nur im BoD leisten können.

Ein Liebespaar, beruflich erfolgreich, keine finanziellen Probleme und doch müssen sie einen Serienkiller jagen, oder jagt er sie.

Im letzten Kapitel leistet sich Liesa Buch einen literarischen Kunstgriff: Sie tritt in ihrem Buch auf, etwas so wie jemand durch die Kinoleinwand hindurchtritt und im Film mitspielt.
Liesa Buch hat auch einen Seitenhieb für die Verlage parat: „Gehypte Bücher bedeuten Katz gar nichts. Er vertrat den Standpunkt, dass etwas, das alle plötzlich gut fanden, irgendwo den Makel des Modischen, des Gefälligen, des Erfolg Suchenden und des Aufmerksamkeit Heischenden haben musste.“
Zusätzliche Infos auf „sus-und-katz.de“. Professionell gestaltete Webseite, sogar mit einem Buch-Trailer, Fotos von Liesa Buch – phantomgleich. Nun kommt der Verdacht auf, Liesa Buch sei ein Fake, „Lies a Buch“.

Eine letzte Frage sei gestattet: „Wo ist Katz?“

Bewertung vom 11.04.2022
Crash
Saygin, Susanne

Crash


sehr gut

„CRASH“ ist nach dem beeindruckenden Debüt mit „Feinde“ der zweite Thriller der Autorin Susanne Saygin. Nicht aalglatt routiniert durchkomponiert, sondern ein Roman der anderen Art. Wie viele ihrer schreibenden Kollegen und Kolleginnen beschränkt sie sich nicht auf eine mehr oder weniger dynamische Suche nach dem Täter, sondern folgt dem Mainstream und widmet sich einem gesellschaftlich brisanten Thema, wie noch in „Feinde“ Korruption, Menschenhandel und Sklavenarbeiter auf dem Bau, nun mit Bossen, Karrieretypen und Tussis im Businesskostüm im Anwaltsmilieu und deren Kunden, hier speziell im Immobilien- und Baugewerbe.

Dr. Torsten Wolf, aufstrebender Wirtschaftsanwalt, mit familiären und ehelichen Problemen belastet, wird mit dem wichtigsten Mandaten der Kanzlei betraut, dem Nolden Konzern. Sein Auftrag: Die Nachfolgerin des verstorbenen Baulöwen Christof Nolden Saskia Nolden auf Kurs bringen und unter Kontrolle halten. In der bevorstehenden Gesellschafterversammlung soll er die Richtigkeit des Jahresabschlusses von Nolden-Bau bestätigen.
Isa, 50, hartnäckige Privatermittlerin, Intimfeindin von Nolden, nach verlorenem Prozess gegen Nolden im Zeugenschutzprogramm, kehrt nach Jahren nach Berlin zurück, vordergründig ihre verschollene Freundin Mira zu suchen, in Wahrheit will sie Rache am Nordens Clan. Als vorgeschobene Zahlenanalytikerin wird sie Wolfs Assistentin. ‚Die Frau in Grau‘. Sie liefert im die entsprechende Munition, um Nolden Bau hochgehen zu lassen. Es wurden 50 Millionen Euro veruntreut. Was wird Wolf tun?

Wolf, ein ambivalenter Charakter, in der Kanzlei das „Arschloch“ wegen dem unprofessionellen Umgang mit seinen Sekretärinnen, karrieregeil wegen der in Aussicht gestellten Beförderung zum Equity Partner und Gutenachtgeschichten erzählend am Bett seines Sohnes Ben. Er balanciert am finanziellen Abgrund. Wagt er den Absprung nach Australien?

Saskia Nolden versteckt hinter ihrer unbedarften Püppchenmaske und Kunstliebhaberin eine knallharte gefährliche Eso-Retreat-Managerin. Diverse Geldflüsse und was damit finanziert wird, das ist das eigentliche aufklärerische Anliegen von Susanne Saygin. Kein einziger Protagonist wird sympathisch gezeichnet, ein Stilelement von Saygin, ‘wir alle sollen das war sie uns schildert abstoßend finden.‘ Rasant, spannungsreich und hochdramatisch der Plot. Im geschliffenen Schreibstil wechseln einander detailverliebte Nebensächlichkeiten, kaltschnäuzige Dialoge, skurrile und verstörende Aktionen ab.

Zu Noldens Baukonzern passen die unzähligen Baustellen, in denen Saygin „buddelt“. Zu viele Bruchstellen und lose Enden, die nicht geknüpft werden. Dramatik am Ende: „No way out.“

Susanne Saygin, Gewinnerin des Deutschen Krimipreises 2021 hat eine Botschaft an ihre weiblichen und männlichen Leser: „Leute, ihr habt keine Ahnung, ich sage euch was da abgeht.“

Bewertung vom 05.04.2022
Totstück
Mina, Denise

Totstück


ausgezeichnet

„Totstück“ heißt Denise Minas Kriminalroman. So wurden tote Prostituierte von der schottischen Polizei bezeichnet, die in deren Augen keine Menschen waren, sondern Dinge – und demnach niemals lebendig. Das Wort „Totstück“ ist eine Wortschöpfung. Besser lässt sich das zugrundeliegende englische Wort erklären: „Less dead“ der Originaltitel, auch ein Begriff aus der Krimi-Noir-Literatur, der sich auf die Opfer von Serienmorden bezieht, die zu gesellschaftlichen Randgruppen gehören. Sie gelten als „weniger tot“, weil sie vor ihrem Tod praktisch „nie waren“, so die tiefe missbilligende gesellschaftliche Einstellung. Kurz - Sie werden im Wesentlichen ignoriert, von ihrem eigenen gesellschaftlichen Umfeld abgewertet und in der Regel nicht vermisst, wenn sie weg/tot sind. Wie eben hier – Prostituierte in Glasgow.

Die Ärztin Dr. Margo Dunlop geht zu einem, von Tracey, einer Mediatorin der Adoptionsagentur organisierten Treffen mit Nikki, einem Mitglied ihrer leiblichen Familie. Jenette, Margos sterbende Adoptivmutter hinterlässt ihr Briefe, die ihr endlich den Kontakt zu der Familie ihrer leiblichen Mutter Susan ermöglichen sollen. Von Tante Nikki, einer lauten, nervösen und überdrehten Person erfährt Margo, dass ihre Mutter als Prostituierte gearbeitet hat und ermordet wurde.
Vor dreißig Jahren sollen zudem mehrere Prostituierte von einem Glasgower Jack the Ripper ermordet worden sein, der von der Polizei gedeckt wird, weil er vermutlich selbst Polizist war. Und Margo soll Nikki nun helfen, den Täter endlich zu überführen.

Margo erhält Drohbriefe, die vom damaligen Täter geschrieben sein könnten und beginnt mit ihren Nachforschungen.

Aktuell hat Margo jedoch mit eigenen Problemen zu kämpfen, mit Joe unterhält sie eine On-Off-Beziehung. Sie ist schwanger und in der Sorge um ihr Ungeborenes möchte sie wissen, ob ihre Familie irgendwelche genetische Defekte hatte.
Nicht die Suche nach dem Täter steht im Vordergrund, sondern in den eindringlichen und zum Teil verstörenden Dialogen geht es um die Frage, wie die Gesellschaft mit den am Rande der Gesellschaft stehenden Frauen und der Gewalt ihnen gegenüber umgeht.

Denise Mina schreibt keine normalen Krimis, sondern "politische Romane". Denn die Frage, wer der Täter war, ist ihr weniger wichtig als der gesellschaftliche Hintergrund Geächteter und das auf Tapet bringen von ausgeblendeten Realitäten, die uns nicht unbedingt unter den Nägeln brennen.

Sie bildet eine soziale und politische Realität mit schmerzendem Tiefgang ab, hier im schottischen Glasgow und sie ist die wahre "Queen of Tartan Noir".