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Aischa

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Insgesamt 544 Bewertungen
Bewertung vom 13.12.2023
Maman
Schenk, Sylvie

Maman


sehr gut

Eigentlich hatte ich ehrlich gesagt nach Helga Schuberts "Vom Aufstehen", Kim de l`Horizons "Blutbuch" und Annie Ernauxs "Der junge Mann" die Nase voll von autofiktionalen Erzählungen. Dieses oft weinerliche Um-sich-selbst-Kreisen geht mir im Privatleben schon auf die Nerven, und auch als zeitgenössische Literaturgattung kann ich dieser Art sich auszudrücken meist wenig abgewinnen.

Doch bei diesem Roman von Sylvie Schenk, einer französischen Autorin, die in Deutschland lebt und seit einigen Jahrzehnten auch auf Deutsch schreibt, ist das anders. Sie erzählt auf sehr berührende und intensive Weise über ihre verstorbene Mutter. Dabei ist vieles unweigerlich Fiktion, denn "Maman" war sehr verschlossen, und auch von der weitläufigen Verwandtschaft sind nur noch spärliche Gerüchte in Erfahrung zu bringen. Nicht zuletzt wohl deshalb, weil die Mutter der Autorin ein Adoptivkind ungewisser Abstammung war und somit zeitlebens unter Standesdünkeln der französischen Klassengesellschaft zu leiden hatte.

Gut gefällt mir daran, dass Schenk deutlich abgrenzt, was an wenigen Fakten über Großmutter und Mutter vorhanden ist, welche Erinnerungen mündlich überliefert wurden und was sie letztlich für ihren Roman dazu erdichtet hat. Letzteres taucht oft als interessante Erzählperspektive auf, nämlich indem sie sich selbst als kleines Mädchen auf eine Art Zeitreise schickt und beispielsweise neben ihrer Mutter deren eigene Kindheit miterlebt. So manches Mal stockte mir der Atem, weniger aufgrund des harten Lebenswegs der Protagonistin als vielmehr wegen der schonungslos ehrlichen Darstellung durch die Autorin. So beschreibt Schenk ihre Mutter unter anderem wie folgt: "Sie war ein stummer Mensch mit blauen Augen und einem Verstand, der damit beschäftigt war, seine Mängel zu kaschieren." Oder: "Sollte ich mir nicht eingestehen, dass ich sie als einen einfachen, leicht zurückgebliebenen Menschen ansah ..., von dem ich mich vor allem abgrenzen wollte." Darf man so über die eigene Mutter schreiben? Ja, denn Schenk reflektiert ihr Verhältnis zur Mutter, hat beim Schreiben die nötige Distanz und zeigt überdies klar auf, welchen Anteil die erbarmungslose Gesellschaft an diesem armen, zerbrochenen Leben hatte. Ein unschuldiges Kind leidet bis ins Erwachsenenalter darunter, nicht dazu zu gehören, allein aufgrund der Abstammung als minderwertig zu gelten. Ein weiterer roter Faden, den Schenk durch ihre Erzählung spinnt, dreht sich um uneheliche Kinder und deren Väter, die sich aus der Verantwortung stehlen. Laut ihrer Beobachtung hat sich hier über die letzten Jahrzehnte nur wenig geändert, oder zumindest noch nicht genug.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.12.2023
Frankie
Köhlmeier, Michael

Frankie


ausgezeichnet

Der aktuelle Roman von Michael Köhlmeier hat mich extrem positiv überrascht, ich könnte regelrecht davon schwärmen.

Überrascht war ich zunächst deswegen, weil mich Coming-of-Age-Stories in der Regel nicht sonderlich interessieren; meist langweilen mich Erzählungen über Jugendliche beim Eintritt ins Erwachsenenleben eher - zu lange ist es wohl her, dass diese Themen meine Themen waren. Doch das ist in dieser Geschichte ganz anders, oder besser gesagt spielt es einfach keine Rolle.

Womit wir beim Schwärmen angelangt sind: Dieser Mann kann einfach schreiben, ich bin schockverliebt in Köhlmeiers Stil, hier sitzt jedes Wort, da wirkt jeder Satz authentisch, und keiner ist zu viel, hier war ein Meister der Schreibkunst am Werk. So wie man ja über gute Schauspieler*innen (mit einem Augenzwinkern) sagt, sie könnten ein Telefonbuch vorlesen und man würde gespannt an ihren Lippen hängen, so bin ich versucht, mir vorzustellen, Köhlmeier könne über die größte Banalität oder auch eine komplett surreale Szenerie schreiben, und ich würde alles hingerissen verschlingen und nichts hinterfragen, einfach deshalb, weil er so gut schreibt.

Aber was genau macht dieses Buch zu einem derart gelungenen? Die Story ist schnell erzählt, wenngleich ich das Ende nicht vorweg nehmen möchte. Im Mittelpunkt steht der Ich-Erzähler Frank - "Frankie" - ein vierzehnjähriger Junge, dessen Leben bei seiner alleinerziehenden Mutter aus den Fugen gerät, als sein Großvater nach 18 Jahren Strafvollzug aus dem Gefängnis entlassen wird. Der Opa ist eine großartige Type, ein harter, selbstbezogener Kerl mit Hang zum Philosophieren; er wirkt wie einem Quentin-Tarantino-Film entsprungen. Frank nabelt sich von der Mutter ab, verlässt seine wohlbehütete Kinderstube und tappst seinem Großvater in die rauhe Wirklichkeit hinterher, gleichermaßen abgeschreckt wie fasziniert.

Kohlmeiers Universum ist von präzise umrissenen Figuren bevölkert, gespickt mit Anspielungen auf Tierfabeln, voll von charakteristischer, teils lakonischer Sprache und ironischen Twists. Gerne mehr davon!

Bewertung vom 05.12.2023
Brot sucht Aufstrich
Schell, Valesa

Brot sucht Aufstrich


ausgezeichnet

Die Deutschen sind für ihre Brotkultur bekannt, immerhin mehr als 3.000 verschiedene Brotspezialitäten enthält das deutsche Brotregister. Während der Corona-Pandemie haben überdies Viele das Brotbacken für sich entdeckt, und da kommt dieses wunderschön gestaltete Buch von Valesa Schell doch wie gerufen:

60 Rezepte laden dazu ein, sich leckere Brotaufstriche selbst zuzubereiten. Die Bandbreite ist groß, es gibt Herzhaftes und Süßes, Vegetarisches und Veganes und einige wenige Aufstriche mit Fisch. Es werden zahlreiche Ideen für die trendigen Butter- oder Frischkäseboards vorgestellt, die eigentlich nur eine optisch sehr ansprechende Darreichungsform sind, aber das Auge isst ja bekanntermaßen mit.

Die meisten Aufstriche sind schnell zubereitet, und alles, was ich bislang getestet habe, ist wirklich lecker! Die Rezepte sind sehr übersichtlich gestaltet, und ein besonderer Pluspunkt ist in meinen Augen, dass fast immer unterschiedliche Zubereitungsarten erläutert werden, je nachdem ob man von Hand, mit dem Mixer/Thermomix-Gerät oder lieber mit einem Pürierstab arbeiten möchte. Angaben zu Haltbarkeit, Brotempfehlungen und Tipps für die Resteverwertung bereichern die Rezepte zusätzlich.

Der einleitende Theorieteil ist knapp gehalten, bietet aber nichts desto weniger hilfreiche Informationen zu Küchengeräten, Hygiene und Grundzutaten.

Ein rundum gelungenes hochwertiges Hardcover mit vielen Fotos, die Appetit machen. Ich möchte es allen ans Herz legen, die Lust haben, ihre Brotzeit gesund, abwechslungsreich und nachhaltig zu gestalten.

Bewertung vom 01.12.2023
Stay With Me
Adebayo, Ayobami

Stay With Me


ausgezeichnet

Ayòbámi Adébáyò's debut is convincing across the board. At the centre is Yejide, a young woman torn between old traditions and a modern partnership. The young couple would actually be happy if it weren't for the all-overshadowing pressure to have a child. In Nigerian society, a childless woman is considered a tragedy that she probably brought on herself. And so Yejide's mother-in-law tries to solve the supposed misfortune pragmatically, as has always been done in the Yoruba tribe: She provides her son with a young second wife. I particularly liked the humorous passages in which outdated, ossified traditions are criticised with a wink. For example, when Yejide kneels in front of her mother-in-law as a sign of respect until her legs go numb, while her husband uses his mother's long monologues to make shopping lists: As his mother is illiterate and cannot read what he has written, he is only too happy to let her believe that he values her advice so much that he immediately writes down every word.

Adébáyò is not only a great storyteller - I could hardly put the book down, I was so captivated by the story - but she also displays extraordinary psychological intuition. The author maps tangled familial relationships with nuance and precision, and her intimate understanding of her characters’ fears, yearnings and self-delusions. The novel is a breathtaking mirror of today's Nigeria and a touching family story full of love, betrayal, grief and hope, full of deep feelings and yet without any kitsch.

Bewertung vom 29.11.2023
Die Frauen des Hauses Wu
Buck, Pearl S.

Die Frauen des Hauses Wu


sehr gut

Dies ist mein erstes Werk von Pearl S.Buck, die (als erste Amerikanerin) 1938 den Literatur-Nobelpreis verliehen bekam. Eine durchaus umstrittene Würdigung, nicht wenige Kritiker ordnen ihre Bücher unter Trivialliteratur ein. "Die Frauen des Hauses Wu" ist vermutlich nicht ihr bestes Buch, aber dennoch ein sehr lesenswertes. Vor allem, wenn man sich für den Wandel Chinas vor und während des zweiten Weltkriegs interessiert.

Die chinesische Gesellschaft war über Jahrtausende sehr abgeschlossen, man wusste im Westen nur wenig über Land und Leute, und dies galt bei Erstveröffentlichung des englischen Originals im Jahr 1946 noch sehr viel mehr als heute. Insofern nimmt es kaum Wunder, dass Bucks detaillierte und unterhaltsame Schilderungen chinesischer Feudalherrschaft und des harten bäuerlichen Alltags schnell zu Bestsellern wurden. Meines Erachtens kann man Bucks literarisches Werk nicht von ihrer Biografie trennen. Als Tochter eines Missionars wuchs sie im Kaiserreich China auf, studierte in den U.S.A., zog schließlich jedoch mit ihrem Ehemann wieder nach China und nach der Trennung wieder in die U.S.A.

Sie galt aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen schnell als ausgewiesene China-Kennerin, und sie setzte sich sehr für die Völkerverständigung vor allem zwischen US-Amerikanern und Chinesen ein. Sie ist in hohem Maß karitativ engagiert und veröffentlicht - vor allem in ihrer zweiten Lebenshälfte - sehr viel. Ich denke, dies ist auch unter dem Aspekt zu betrachten, dass Buck mit ihren Büchern möglichst viel Geld für wohltätige Zwecke verdienen wollte.

Aber zurück zu den "Frauen des Hauses Wu": Buck schildert die wohlhabende Großfamilie Wu, im Zentrum steht Madam Wu, die zur Überraschung vieler an ihrem 40 Geburtstag verkündet, ihrem Ehemann eine Konkubine zur Seite stellen zu wollen. Dies kann als eine (für heutige und westliche Einstellung seltsam anmutende) Form der Empfängnisverhütung gesehen werden; galt es doch als äußerst unschicklich, in ihrem hohen Alter (sic!) noch schwanger zu werden. Doch dies ist nur ein vorläufiger Höhepunkt, es folgen weitere große Umbrüche, die die damalige chinesische Gesellschaft in ihren Grundfesten erschütterte und die durch das Kriegsgeschehen noch verstärkt wurden.

Buck zeichnet eine - auch heute noch - außerordentlich fesselnde Gesellschaftsstudie, eingebettet ist eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Ja, manchmal fühlte ich mich in den Plot von "Dornenvögel" versetzt, aber die Charakterzeichnungen sind doch wesentlich komplexer gezeichnet, als dies bei Trivialliteratur der Fall ist. Und vor allem werden unvorhersehbare Entwicklungen geschildert.

Für mich in jedem Fall ein sehr interessanter, lesenswerter Roman, der auch sprachlich überzeugt. Zu Recht ein Klassiker, der wie jedes vor langer Zeit erschienene Buch auch im Kontext der damaligen Zeit gelesen werden sollte.

Bewertung vom 28.11.2023
Marschlande
Kubsova, Jarka

Marschlande


ausgezeichnet

Nahezu 500 Jahre trennen die beiden Protagonistinnen in Jarka Kubsovas neuestem Roman: Da ist zum einen die historisch verbriefte Abelke Bleken, eine Hufenbäuerin in den Marschlanden, die 1583 aufgrund des Vorwurfs der Hexerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Und im Gegenwartsstrang begleiten wir die (fitkive) Geografin Britta Stoeve, die mit Ehemann und zwei Kindern in ein Haus im Hamburger Speckgürtel gezogen ist.

Kubsova schreibt sehr atmosphärisch, die Geschichte ist voller wunderbarer Landschafts- und Tierbeschreibungen, oft herrscht eine düstere, aufwühlende, ja bedrohliche Stimmung, aber es gibt auch hoffnungsvolle Abschnitte. Ich mochte den klaren, direkten Stil, und die (nicht übertriebene) Verwendung von Plattdeutsch bei manchen Dorfbewohnern sorgt für sympathisches Lokalkolorit. Besonders haben mir die Übergänge zwischen den Kapiteln gefallen: Diese wechseln zwischen den beiden Zeitsträngen, jedoch verknüpft die Autorin jedes Ende eines Kapitels so geschickt an den Beginn des folgenden, dass eine Kontinuität erzeugt wird, die man mit mehr Abstand gar nicht vermuten würde. Mich hat dies an filmische Überblendungen erinnert.

Überhaupt ist das in meinen Augen eine der großen Stärken des Romans, und zugleich für mich die größte Überraschung: Nämlich dass einerseits bereits im Mittelalter viele starke Frauen eine von Männern unabhängige Existenz führen konnten und wie weit wir andererseits noch heute von echter Gleichberechtigung der Geschlechter entfernt sind. (Und wie wenig wir uns dies oft eingestehen wollen.) Die Romanfigur Britta führt nur oberflächlich betrachtet ein emanzipiertes Leben. In Wirklichkeit hat sie viel zu oft ihre eigenen Wünsche denen der Familie, insbesondere denen ihres Ehemannes, untergeordnet. Ihre akademische Karriere ist durch Erziehungsarbeit in weite Ferne gerückt. Dafür trägt sie die Verantwortung für den reibungslosen Ablauf des Familienalltags praktisch alleine, der Mental Load ist nicht partnerschaftlich aufgeteilt. Und auch bei der nachkommenden Generation liegt noch Vieles im Argen, wie unter anderem am Cyber-Mobbing gegen Brittas Tochter gezeigt wird.

Ein sehr lesenswertes Buch, das zu meinen persönlichen literarischen Highlights in diesem Jahr zählt!

Bewertung vom 27.11.2023
Lichtspiel
Kehlmann, Daniel

Lichtspiel


gut

Seit seinem Erfolgsroman "Die Vermessung der Welt" schätze ich Daniel Kehlmann als großartigen Erzähler, der historische Figuren mit Witz und Intelligenz zum Leben erweckt. Das ist ihm auch in seinem neuesten Werk gelungen, und er zieht aus seinem literarischen Werkzeugkasten so manche Überraschung.

Gleich zu Beginn der Geschichte beeindruckte er mich mit der Darstellung von Pabsts ehemaligem Regieassistenten beim Auftritt in einer Fernseh-Talkshow. Psychologisch einfühlsam zeigt Kehlmann, wie der an Demenz erkrankte ältere Herr verzweifelt versucht, Erinnerungslücken zu füllen, wie ihn seine Krankheit und die Reaktionen der Umgebung verunsichern und er dadurch aggressiv wird. Ein weiteres Glanzstück ist eine geradezu surreal anmutende Szene, in der Pabst vor den NS-Propagandaminister Goebbels zitiert und von diesem vorgeführt wird.

Der Roman gliedert sich in drei große Teile: Pabsts erfolgloser Versuch, in Hollywood Fuß zu fassen, seine Rückkehr ins Deutsche Reich (die eigentlich nur als kurze Stippvisite geplant war und mehr oder weniger erzwungen wurde) sowie die Zeit nach Kriegsende. Neben wirklich großartigen Szenen muss man sich leider auch durch Mittelmäßiges lesen. Kehlmann verliert sich einerseits in biografischen Details und lässt es andererseits an Tiefe fehlen. Vor allem das ethische Versagen seines Protagonisten erschließt sich mir nicht, wodurch dreht sich Pabsts moralischer Kompass von gut zu böse? Und wieso erfindet Kehlmann für das Ehepaar Pabst einen Sohn?

Auch einige Nebenfiguren fand ich recht seltsam dargestellt. Greta Garbo und Louise Brooks wirken schablonenhaft, Leni Riefenstahl gerät zu einem tumben Hanswurst. Kehlmann überträgt viele Filmtechniken ins Literarische, "Lichtspiel" ist voller Überblendungen und Loops, es gibt häufige Perspektivwechsel und Szenen im magischen Realismus. Doch leider zieht sich Vieles zu sehr in die Länge oder bleibt an der Oberfläche, so dass mich die Geschichte leider trotz der abwechslungsreichen Erzähltechnik immer wieder gelangweilt hat.

Fazit: Einige hervorragende Abschnitte, aber als Ganzes doch etwas enttäuschend.

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.11.2023
Unsere liebste Weihnachtszeit
Krais, Milena;Rehbock, Anka

Unsere liebste Weihnachtszeit


ausgezeichnet

Hier ist der Name Programm: Dieses wunderschöne und hochwertig gestaltete Hardcover (mit praktischem Lesebändchen) lässt die Liebe der beiden Autorinnen zur Weihnachtszeit deutlich erkennen.

43 süße Rezepte und 16 kreative Basteleien laden zum Nachmachen ein. Und das ist wirklich einfach, schon Kindergartenkinder können mit basteln und auch bei vielen Plätzchenrezepten wurde an eine Variante gedacht, die auch die Kleinen erfolgreich meistern können. So müssen die klassischen Vanillekipferl nicht unbedingt zu perfekten Miniaturhörnchen geformt werden, sondern der Teig sieht auch zu kleinen Kugeln oder Würsten geformt toll aus, schmeckt ebenso lecker und macht den Nachwuchs-Bäcker*innen großen Spaß.

Überhaupt besticht das Buch durch viele ebenso kreative wie einfach umzusetzende Ideen. Mal wird ein schnell gemachter Rührkuchen aus der Springform durch einen raffinierten Anschnitt zum zauberhaften Winterstern, mal verwandeln sich getrocknete Laubblätter mit roter und weißer Acrylfarbe ruck-zuck in goldige Weihnachtsmänner. Klassiker wie ein gedeckter Apfelkuchen oder die Linzer Torte werden durch Wintermotive aus Teig zum Hingucker auf der weihnachtlichen Kaffeetafel.

Alle Rezepte, die ich bislang ausprobiert habe, waren unkompliziert zu backen und haben bei Familie und im Freundeskreis großen Anklang gefunden. Auch wer gerne Selbstgemachtes verschenkt, bekommt hier zahlreiche Ideen geliefert.

Ein rundum gelungenes weihnachtliches Back- und Bastelbuch für die ganze Familie!

Bewertung vom 14.11.2023
Unsereins
Mahlke, Inger-Maria

Unsereins


ausgezeichnet

Natürlich wäre es unfair oder zumindest vermessen, wollte man Inger-Maria Mahlke auch nur ansatzweise mit dem Literaturpreisträger Thomas Mann vergleichen. Und doch hat man ihn bei der Lektüre von "Unsereins" unweigerlich im Kopf, und dies nicht nur, weil er hier zur Romanfigur wird. Nein, wer je "Buddenbrooks - Verfall einer Familie" gelesen oder eine der Verfilmungen gesehen hat, wird sich beim Lesen des neuesten Romans von Mahlke definitiv daran erinnert fühlen. Schon der formale Aufbau weist Ähnlichkeiten auf: 15 Teile (gut, bei Buddenbrooks sind es "nur" elf) mit zahlreichen Kapiteln erzählen von einer kinderreichen Lübecker Familie inmitten des kaisertreuen Großbürgertums. Die Zahl der handelnden Personen ist - trotz des vorangestellten Verzeichnisses - eine Herausforderung; ich gestehe, dass ich nicht nur anfangs oft hin- und herblättern musste, um den Überblick zu behalten.

Aber die nicht immer einfache Lektüre lohnt sich unbedingt. Mahlke, ebenso wie Thomas Mann in Lübeck aufgewachsen, schafft ein interessantes, hervorragend recherchiertes Sittengemälde des ausgehenden 19. Jahrhunderts und knüpft damit zeitlich an Manns ersten großen Gesellschaftsroman an. Sie zeigt Ausschnitte aus höchst unterschiedlichen Lebenslinien, von Kaufmanns- und Senatorenfamilien, Gymnasiasten, Angestellten und Dienstboten. So unterschiedlich die Lebensumstände der Figuren auch sind, eines ist allen gemein, insbesondere den Frauen: der Mangel an Freiheit. Nicht nur die damalige Mode mit ihren steifen Korsetts, sondern vor allem gesellschaftliche, soziale und familiäre Normen schnüren die Frauen regelrecht ein. Mädchen lernen schon früh, dass sie in der Öffentlichkeit zu schweigen haben. "In Diensten" sind sie völlig abhängig vom jeweiligen Dienstherrn, hat sie dieser geschwängert, werden sie entlassen und sehen oft als einzigen Ausweg aus der Schande den Suizid.

Aber auch Bürgerliche waren weit davon entfernt, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Studieren war den Männern vorbehalten, ein Frau "aus gutem Hause" kam der Bildung noch am nächsten, indem sie einen Professor heiratete. Und auch die Freiheit der Männer war beschränkt: Homosexualität war strafbar, Schwule lebten in ständiger Angst vor Denunziation. Und wer wirtschaftlich oder politisch Karriere machen wollte, musste geschickt taktieren und nur ja keine der Konventionen verletzen.

Mahlkes Stil ist oft detailreich, dann wieder sehr zurückgenommen, manches wird nur angedeutet, vieles knapp geschildert, etwa die häusliche Gewalt in einer Familie: "Sein Vater war Schlachtergehilfe, seine Mutter schwanger oder am Stillen, mit Hämatomen von violett bis gelb bedeckt." Mit knapp 500 Seiten ist der Roman recht umfangreich, doch ich möchte keine Seite missen. "Unsereins" ist ein anspruchsvolles, gewichtiges Epos, das die volle Aufmerksamkeit der Leser*innen fordert, dafür aber tiefe Einblicke in das Ende der deutschen Kaiserzeit erlaubt.

Bewertung vom 06.11.2023
Ein Hund kam in die Küche
Mall, Sepp

Ein Hund kam in die Küche


ausgezeichnet

Der mehrfach preisgekrönte Südtiroler Sepp Mall mach in diesem klugen Roman en Stück Zeitgeschichte seiner Landsleute sichtbar, das viele wohl lieber vergessen würden, nämlich dass sich im Zuge der sogenannten "Option" viele Südtiroler für die Auswanderung vom faschistischen Italien ins nationalsozialistische Deutschland entschieden und somit von (im Nazisprech) "Volksdeutschen" zu "Reichsdeutschen" wurden.

Dabei geht es Mall weniger um politisch-ideologische Motivationen, diese werden zwar auch behandelt, doch eher nebenbei. Vielmehr zeigt er auf, wie die Suche nach Heimat fehlschlagen kann, wie schnell sich Migrantinnen und Migranten entwurzelt fühlen können. Selbst dann, wenn sie wieder in ihre Ursprungsland zurückkehren. Zudem verdeutlicht die Geschichte einmal mehr, wie grausam, ja bestialisch die Ideologie der Nationalsozialisten in die Praxis umgesetzt wurde. Anton, der kleine Bruder des Protagonisten, ist mehrfach behindert, "zurückgeblieben", wie man im Heimatdorf sagte. Dies erfasst die gründliche reichsdeutsche Bürokratie umgehend, und den Leser*innen wird schneller klar als Antons Familie, was dies für seine Zukunft bedeutet - er hat schlichtweg keine.

Was mich an diesem Roman sehr beeindruckt hat ist, wie er es schafft, das eigentlich Unsagbare in Worte zu kleiden. Sepp Mall gelingt dies hier, in dem er konsequent aus der Sicht von Kindern erzählt. So wird die Auswanderung, die wohl zu abstrakt für das Vorstellungsvermögen einer Grundschülerin ist, eben zu einer "Wanderung" und die unbekannten Sudetendeutschen zu "Schwedendeutschen". Starke Bilder und nur wenige, aber stets durchdacht gewählte Worte, mehr braucht Mall nicht, um gegen das Vergessen anzuschreiben.

Ein guter, wichtiger Roman, gerade in heutiger Zeit. (Anmerkung für Bibliophile: Der Leykam Verlag hat der Geschichte ein wunderbares Gewand gegeben, in Form eines hochwertig ausgestatteten Hardcovers mit bezaubernder Gestaltung!)