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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 517 Bewertungen
Bewertung vom 04.09.2023
Kleine Probleme
Pollatschek, Nele

Kleine Probleme


ausgezeichnet

Der Protagonist dieses überaus witzigen Romans ist ein Prokrastinierer wie er im Buche steht; ob Abwasch oder Reparatur der Regenrinne, er verschiebt es auf später. Doch nun, am letzten Tag des Jahres, will er sein Leben von Grund auf ändern und beschließt, seiner "Aufschieberitis" ein Ende zu machen. Er erstellt eine 13 Punkte umfassende Liste, die er unbedingt vor Jahreswechsel erledigen möchte.

Nele Pollatschek erzählt diesen Stoff als fulminant komisches Kammerspiel, voller Referenzen aus der Populärkultur und gespickt mit philosophischen Fragestellungen. Die Lektüre bietet ein Potpourri an Gefühlen, ich habe laut aufgelacht, als der Literaturbetrieb mit seinen Hypes um non-binäre Autofiktion auf den Arm genommen wird, ich musste bei slapstick-artigen Einlagen des Protagonisten schmunzeln, habe mich dabei ertappt, mich in der ein oder anderen Aufschiebe-Situation wieder zu erkennen, war von der Unfähigkeit der Romanfigur genervt, aber auch schnell wieder mit der Geschichte versöhnt.

Fazit: Wirklich lustige Unterhaltung auf hohem Niveau, unbedingt lesen! Und der hochwertige Schutzumschlag mit Prägung macht noch mehr Lust, immer wieder zu diesem Buch zu greifen.

Bewertung vom 28.08.2023
Mary & Claire
Orths, Markus

Mary & Claire


ausgezeichnet

Nach "Max" und "Picknick im Dunkeln" greift Markus Orths auch für seinen aktuellen Roman wieder zu prominenten Figuren: Die titelgebenden Protagonistinnen sind die Stiefschwestern Mary Shelly und Claire Clairmont. Während letztere vor allem als Geliebte des schillernden Pop-Literaten Lord Byron bekannt wurde, ist Mary als Autorin von "Frankenstein" in die Literaturgeschichte eingegangen.

Orths zeichnet die vielfältig verflochtenen Lebensläufe der ungewöhnlichen Frauen mit viel Liebe zum Detail, es entsteht eine mitreißende Geschichte, die die Ménage-à-trois mit dem jungen Schriftsteller (und späterem Ehemann Marys) Percy Shelly als abenteuerlich und dennoch völlig glaubwürdig darstellt. Gut gefällt mir, dass auch Claires Talent zum Schreiben gewürdigt wird; ist sie doch landläufig weniger als Schriftstellerin der Romantik sondern vielmehr als Gouvernante und für Ihre Liebschaften bekannt.

Es fällt auf, dass in diesem Roman nahezu alle Figuren für die Literatur brennen, ja dass sie dem Schreiben eine zentrale Bedeutung für ihr Sein zuweisen. Und Markus Orths verfügt glücklicherweise selbst über die nötige Leidenschaft für Sprache, um diese Hingabe ans Schreiben in faszinierende Wortbilder zu kleiden. So etwa, wenn es über Marys Vater heißt: "William muss Gedanken aus dem Kopf pflücken oder meißeln und anschließend zu Papier bringen."

Ein mitreißender Roman voller Sprachwucht, der mich für Stunden beinahe alles um mich herum vergessen ließ. So muss Literatur sein.

Bewertung vom 21.08.2023
Tasmanien
Giordano, Paolo

Tasmanien


weniger gut

??? - Noch nie habe ich eine Rezension mit Fragezeichen begonnen, aber der neueste Roman von Paolo Giordano lässt mich mit derart vielen Fragen zurück, dass ich nicht recht weiß, wie ich meine Bewertung anders anfangen soll.

Da wäre zunächst das Offensichtliche: Der Protagonist des Romans weist zahlreiche Übereinstimmungen zur Vita des Autors auf, gleicher Vorname, gleiches Alter, beide sind Physiker, arbeiten aber als Journalisten und Romanautoren. Es bleibt Giordano zu wünschen, dass dies die einzigen Parallelen zwischen ihm und seiner Romanfigur sind, zu kaputt ist nämlich sein Alter Ego. Der erfundene Paolo sieht sich Enthauptungsvideos an, entflieht seiner dysfunktionalen Ehe und masturbiert in wechselnden Hotelzimmern wochenlang exzessiv, kommt mit seinem Roman nicht so recht voran, und auch die Beziehungen zu seinen Freunden sind gelinde gesagt sehr seltsam. Eine Entwicklung der Figur war für mich nicht erkennbar, und es bleibt die Frage: Was will mir der Autor damit sagen?

Das Cover erinnert deutlich an das Gemälde "Der Wanderer über dem Nebelmeer" von Caspar David Friedrich. Das Bild wird als Lebensallegorie gedeutet, ein Mann steht auf dem Gipfel und blickt in die Ferne, das kann als Metapher für Leben und Todesahnung, bislang Erreichtes und Hoffnung für die Zukunft gesehen werden. Der Wanderer im Roman ist auf der Suche, aber wieso er so unzufrieden ist, erschließt sich mir nicht. Sucht er nach einem Sinn? Was ist die Ursache für seine große Lebenskrise?

Zudem ist die wörtliche Rede nicht durch Anführungszeichen markiert, dies erschwert die Lektüre leider deutlich. Der Stil ist sehr unterschiedlich - in großen Teilen recht nüchtern, eher wie in wissenschaftlichen Veröffentlichungen als so wie man es in einem Roman erwarten würde. Dann aber gibt es brutal detaillierte Schilderungen der Folgen der über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben. Leider habe ich nicht den Hauch einer Ahnung, was das in diesem Roman zu suchen hat. Ja, Paolo möchte einen Roman über die Bomben schreiben, aber wieso? Es gibt davon schon viele, und was bewegt ausgerechnet ihn dazu?

Ebenso wenig konnte ich mich den Schilderungen terroristischer Anschläge der letzten Jahre anfangen. Sie werden relativ distanziert aufgezählt, aber wozu?

Mein Fazit: Eine Ansammlung wichtiger aktueller Themen, von Klimakatastrophe über Terrorismus zu atomarer Bedrohung, aber leider gelingt es Giordano nicht, dies in eine lesenswerte Geschichte zu bringen, die wirre Erzählung ist misslungen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.08.2023
Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2
Yokomizo, Seishi

Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2


ausgezeichnet

Sehsüchtig hatte ich gehofft, dass nach "Die rätselhaften Honjin-Morde" auch weitere Bände der Reihe um den kauzigen Privatdetektiv Kosuke Kindaichi ins Deutsche übersetzt würden. Nun liegt endlich "Mord auf der Insel Gokumon" vor, und ich wurde nicht enttäuscht.
Schon das Setting bietet reichlich Grusel, war die karge Felseninsel doch einst Piatenstützpunkt und später Sträflingskolonie. Die Geschichte spielt im Japan kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges und erschien im Original bereits 1971. Ich habe mich sehr gerne auf die spannende Zeitreise eingelassen.
Im Vordergrund stehen natürlich die Morde und deren Aufklärung, und Seishi Yokomizo versteht es ebenso meisterlich wie seine britischen Kolleg*innen Arthur Conan Doyle und Agatha Christie, zahlreiche Hinweise auf den Tathergang, aber auch falsche Fährten einzubauen, so dass man fieberhaft miträtselt und letztendlich doch von der Auflösung überrascht wird. Neben dem Kriminalfall kann man aber auch einiges über die japanische Gesellschaft vor gut 70 Jahren erfahren. Diese war nach dem zweiten Weltkrieg sehr gebeutelt; einerseits wirtschaftlich, andererseits werden starre Traditionen in Frage gestellt, etwa der bedingungslose Gehorsam und ein - aus heutiger und westeuropäischer Sicht - seltsam anmutender Ehrbegriff.
Ursula Gräfe hat diesen Whodunit (inklusive einiger Haikus) nicht nur großartig übersetzt, sondern auch um ein hilfreiches Glossar ergänzt. Bleibt zu hoffen, dass sie noch viele der 77 Originalbände der deutschsprachigen Leserschaft zugänglich macht.

Bewertung vom 07.08.2023
Marianengraben
Schreiber, Jasmin

Marianengraben


gut

O.k., die Romanidee ist jetzt nicht sonderlich originell: Eine junge Frau, die sich die Schuld am Tod ihres kleinen Bruders gibt und letztlich am Weiterleben verzweifelt, trifft auf einen schrulligen alten todkranken Mann und hilft ihm (zunächst widerwillig) seine letzte Mission zu erfüllen. Das hat man so oder so ähnlich schon Dutzende Male gelesen oder im Kino gesehen. Und doch habe ich diese Geschichte gern gelesen.

Zum einen erzählt Jasmin Schreiber herrlich unpathetisch und meist kitschbefreit von emotional hoch aufgeladenen Themen wie dem Tod und davon, wie zurückbleibende Familienangehörige es schaffen können, nicht dauerhaft in Trauer zu versinken, sondern wieder ins Leben zurück zu finden. Und zweitens ist der Roadtrip des ungleichen Duos zwar immer wieder mehr als seltsam, um nicht zu sagen: Eine Unwahrscheinlichkeit reiht sich an die andere. Aber die Dialoge der beiden, die noch dazu oft unvermittelt abbrechen, weil der alte Herr keine Lust hat, sich zu öffnen, sind einfach zu witzig.

"Marianengraben" ist sicher kein Ersatz für eine Psychotherapie, aber ein leichter, unterhaltsamer Roman zu schweren Themen.

Bewertung vom 07.08.2023
Lass mich dir von einem Mann erzählen, den ich kannte
Fletcher, Susan

Lass mich dir von einem Mann erzählen, den ich kannte


sehr gut

Die britische Autorin Susan Fletcher zeichnet in diesem Roman ein eindrucksvolles Porträt einer Ehe. Ihre Protagonisten Jeanne und Charles Trabuc haben wirklich gelebt - Monsieur Trabuc leitete die Nervenheilanstalt in Saint-Rémy, deren bekanntester Patient wohl der Maler Vincent van Gogh war.

Vincent spielt auch eine Rolle im Roman, denn Jeanne ist auf besondere Weise von dem sehr eigensinnigen, aber auch sehr kranken Künstler angezogen. Sehr einfühlsam schildert Fletcher das Gefühlsleben Jeannes, die seit dem Auszug ihrer erwachsenen Söhne sehr einsam geworden ist. Von der Dorfgemeinschaft wird sie als Zugezogene abgelehnt, ihr Mann kommt praktisch nur noch zum Essen und Schlafen nach Hause. Wirkliche Gespräche gibt es zwischen den Eheleuten längst nicht mehr, der letzte Sex liegt Jahre zurück und selbst Zärtlichkeiten werden kaum noch ausgetauscht.

In Rückblenden erfährt man, dass die Ehe anfangs sehr glücklich war. Natürlich habe ich während der Lektüre spekuliert, was wohl dazu geführt haben mag, dass die Beziehung der Trabucs so kalt und lieblos wurde. Und wie so oft ist nicht alles so, wie es zunächst den Anschein hat.

Fletchers Stil ist sehr eigen, manchmal etwas arg abgehackt, das war für mich anfangs durchaus gewöhnungsbedürftig. Aber sie versteht es bestens, Stimmungen zu vermitteln, die Erzählung steckt voller feiner Zwischentöne. Da ich darstellende Kunst sehr schätze, haben mir auch die Beschreibungen von van Goghs Bildern sehr gefallen.

Der Roman ist eine besondere Zeitreise in die Provence Ende des 19. Jahrhunderts und eine eindrucksvolle Aufforderung, auch in einer langjährigen Ehe nie aufzuhören, ehrlich und offen miteinander zu sprechen.

Bewertung vom 31.07.2023
Reisehandbuch Costa Brava und Girona
Biarnés, Nicole

Reisehandbuch Costa Brava und Girona


sehr gut

Autorin und Übersetzerin Nicole Biarnés zog bereits vor zwei Jahrzehnten nach Katalonien, wo sie inzwischen auch als Reiseführerin tätig ist. Mit dem vorliegenden Handbuch teilt sie ihr umfangreiches Wissen über ihre Wahlheimat mit reiselustigen, kulturell interessierten Leser*innen.

Auf den ersten Seiten erfährt man Grundlegendes zur "Wilden Küste", von Transportmittel über einen interessanten geschichtlichen Abriss bis zu hilfreichen Verhaltenstipps, um nicht unabsichtlich anzuecken.

Dann geht es auch schon los, von Alt Empordà im Norden bis zu den südlichen Ausläufern der Costa Brava. Biarnés führt ihre Leserschaft nicht nur die Küste entlang, sondern zeigt ebenso das reizvolle Hinterland. Besonders gefallen mir dabei außergewöhnliche Tipps, die nicht in klassischen Reiseführern zu finden sind, wie z. B. Girona anhand eines Kräuterspaziergangs mitten durch die Stadt zu entdecken, oder eine kleine Strandbar in der Nähe von Empuriabrava, in der Einheimische zum Sonnenuntergang tanzen.

Zahlreiche Karten geben Orientierung, wobei ich es praktisch gefunden hätte, wenn Übersichtskarten in den Innenseiten der Klappenbroschur abgebildet wären. Doch hier findet sich - wie bei allen Reisehandbüchern des Reisedepeschen Verlags - der nördliche und der südliche Sternenhimmel. Die Texte sind sehr persönlich geschrieben, die Autorin erzählt von ihren Vorlieben, aber auch von besonderen Menschen, denen sie begegnet ist. Dazu passen die zahlreichen Farbfotos mit ganz eigenem Reiz; sie wirken oft wie aus einem privaten Fotoalbum, nicht so "aalglatt" und poppig, wie in den Hochglanzprospekten der Tourismusbüros.

Die Fülle an Informationen geht leider etwas zu Lasten der Lesbarkeit: Manche Anschriften, websites etc. sind doch arg klein geraten und (vor allem auf farbigem Hintergrund) nur schwer zu entziffern.

Davon abgesehen sind die Reisetipps für die Costa Brava rundum gelungen, und ich freue mich schon sehr darauf, diese Region in ein paar Wochen selbst zu erkunden.

Bewertung vom 24.07.2023
Nachhaltig mit Genuss
Svensson, Paul;Mourtada, Zeina

Nachhaltig mit Genuss


sehr gut

Die libanesischstämmige Köchin Zeina Mourtada und der in seiner schwedischen Heimat recht bekannte Koch Paul Svensson haben sich für dieses Kochbuch zusammen getan, um zu zeigen, wie man zu Hause gesund und nachhaltig kochen kann, ohne gänzlich auf tierische Produkte zu verzichten, wenn man das (noch) nicht möchte.

Das heißt konkret, die meisten der 77 Rezepte sind vegetarisch oder vegan, es gibt aber auch einige mit Fleisch oder Fisch. Sehr gut gefällt mir, dass die Gerichte oft einen internationalen Einfluss erkennen lassen, aber dennoch möglichst regionale Zutaten verwendet werden. Um auch möglichst einfach saisonal kochen zu können, hätte ich mir eine Einteilung nach Jahreszeiten gewünscht (statt nach Eintöpfen, Ofengerichten etc.).

Die Rezepte sind übersichtlich und gut verständlich auf je einer Doppelseite angeordnet, mit großformatigen, sehr ansprechenden Fotos, die Lust machen, sofort den Kochlöffel zu schwingen. Es gibt wenig Salat, viel Eintöpfe und Aufläufe. Das Buch ist vielleicht nicht ganz so abwechslungsreich wie andere Kochbücher, v.a. wer Hülsenfrüchte nicht mag, ist hiermit nicht sonderlich gut beraten. Ich jedoch liebe Kichererbsen, Bohnen und Co. und kann die Rezepte von Herzen empfehlen! Ich koche leidenschaftlich gerne und probiere regelmäßig Neues aus, und dennoch gehört das hier vorgestellte "Mac and Cheese im Bhutan-Stil" zum Besten, das ich seit langem zubereitet und gegessen habe!

Der ausführliche Theorieteil zu nachhaltiger Ernährung gibt neben dem bekannten "regional, saisonal und bio! auch weitergehende, interessante Empfehlungen, aber hier fehlen mir Quellenangaben und weiterführende Literaturangaben.

Hilfreich fidne ich die Tipps im Anhang, wie man Lebensmittel retten kann, sprich: weniger wegwerfen muss. Echt überraschend, was man mit braunen Bananen oder welkem Salat noch Schmackhaftes zubereiten kann!

Bewertung vom 24.07.2023
Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
Knecht, Doris

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe


gut

Uff. Mit Erleichterung habe ich diesen Roman nach den letzten Seiten zugeklappt. Ich breche die Lektüre eines einmal begonnenen Buchs so gut wie nie ab - hier hätte ich es tun sollen.

Doris Knecht erzählt zu viel Belangloses, zu viele Wiederholungen, es ist ein nicht enden wollendes Kreisen der Protagonistin um die Frage, wo und wie sie nach dem Auszug ihrer erwachsenen Kinder wohnen möchte. Dabei hatte die Geschichte durchaus vielversprechend angefangen: "Der Hund hat schon wieder ins Autor gekotzt." Ein origineller erster Satz, der hoffen lässt, dass es ohne viel Geschwurbel zur Sache geht, dachte ich. Als sich dann noch eine der beiden Töchter der Ich-Erzählerin darüber beschwert, dass sie seit Jahren wider ihren Willen in den Werken der schreibenden Mutter vorkommt, und diese daraufhin statt von ihrer Tochter von ihrem Sohn schreibt, war ich wirklich angetan, ich freute mich auf eine witzige, unterhaltsame Story.

Aber weit gefehlt. Die kurzen Kapitel mäandern um den bevorstehenden Umzug. Die derzeitige Wohnung kann sich die Protagonistin alleine nicht leisten, mit Untermietern möchte sie den Alltag nicht teilen. Kurze Neidanfälle auf Freundinnen und Schwestern, die rechtzeitig in Eigentum investiert haben, o.k. Aber das hat man dann nach einigen Abschnitten kapiert, ebenso wie die Tatsache, dass es die eine, absolute Wahrheit in Bezug auf Erinnerung nicht gibt.

Dazwischen findet sich reichlich erzählerisches Füllmaterial, das mich nicht interessiert: dass die Hauptfigur nicht gerne Ski fährt, oder die detaillierte Schilderung des Ausmistens ihres Hausstands vor dem Umzug - einfach langweilig. Auch sprachlich konnte ich keine Höhepunkte entdecken, alles plätschert so vor sich hin.

Doris Knecht ist Schriftstellerin und Kolumnistin für diverse österreichische Zeitungen und Magazine. Vielleicht hätten die kurzen Kapitel als Kolumnen besser funktioniert - für einen Roman reicht es meines Erachtens nicht, jedenfalls nicht für einen guten.

Bewertung vom 20.07.2023
22 Bahnen
Wahl, Caroline

22 Bahnen


sehr gut

Die erst 28jährige Germanistin Caroline Wahl hat mich mit ihrem Romandebüt sehr beeindruckt und bewegt. Sie erzählt die Geschichte der jungen Tilda, die Erstaunliches leistet: Sie studiert Mathematik und jobbt regelmäßig an der Supermarktkasse, nicht nur, um ihr Studium zu finanzieren, sondern auch, um ihrer achtjährigen Halbschwester ein einigermaßen normales Leben zu ermöglichen. Die Väter haben sich längst aus dem Staub gemacht, die Mutter der beiden ist nicht in der Lage (oder willens?), sich um ihre Töchter zu kümmern. Im Gegenteil, betrunken wird sie zur gewalttätigen Furie, vor der die jüngste nicht immer rechtzeitig fliehen kann.

Als wäre das nicht schon genug Last auf Tildas Schultern bekommt sie auch noch eine Promotionsstelle angeboten, für die sie wegziehen müsste. Was tun? Die eigene Karriere verfolgen, endlich der familiären Hölle entkommen, aber die kleine Schwester eben dort zurück lassen? Neben diesem Dilemma spinnt Wahl einen weiteren spannenden Handlungsfaden, rund um den tragischen Unfalltod eines Freundes von Tilda. Und außerdem darf man sich als Leser*in auf eine völlig kitschbefreite Liebesgeschichte freuen.

Caroline Wahl schreibt knapp und dennoch präzise, scharf und bissig, aber auch Zärtlichkeit hat ihren Platz. Besonders die Dialoge schaffen Authentizität. Ein wirklich berührender Roman. Da verzeihe ich sogar die seltsame Marotte, sämtliche Zahlen, selbst in Zusammensetzungen, als Ziffern zu schreiben.