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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 02.03.2023
Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel / Die Mordclub-Serie Bd.3
Osman, Richard

Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel / Die Mordclub-Serie Bd.3


ausgezeichnet

Endlich ermitteln sie wieder, die vier Hobbydetektive, die sich jeden Donnerstagvormittag im Puzzlestübchen der idyllischen Seniorenresidenz von Coopers Chase treffen. Der neue Cold Case ist knifflig, denn es geht um den Fall einer spurlos verschwundenen Person. Die Fernsehjournalistin Bethany Waites war einem Mehrwertsteuerbetrug riesigen Ausmaßes auf der Spur, als im Zuge ihrer Recherche ihr Auto nachts von einer Klippe stürzte. Unfall oder Mord? Für letztere Annahme sprechen zwei ungewöhnliche Umstände. Zum einen wurde ihr Fahrzeug auf ihrem Weg von keiner einzigen Überwachungskamera erfasst, zum anderen wurde trotz intensiver Suche ihre Leiche nie gefunden.

Schnell stellt das Quartett unter Leitung der ehemaligen MI6-Agentin Elizabeth fest, dass mehr Leute in den Fall involviert sind, als sie bisher angenommen haben. Und deshalb greifen sie auch ganz unkonventionell auf die Hilfe sowohl einer inhaftierten Drogendealerin als auch auf die eines desillusionierten Kriminellen zurück. Und dann wäre da ja auch noch Viktor, der alte KGBler, mit dem Elizabeth zu aktiven Zeiten eine kurze Liaison hatte und von dem wir in Zukunft wohl noch öfter lesen werden. Das ist zwar längst noch nicht alles, aber mehr wird hier nicht verraten…

Wie bereits in den beiden Vorgängern (die man zum besseren Verständnis gelesen haben sollte) gibt sich Richard Osman auch in „Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel“ nicht mit einem Handlungsstrang und dem bereits bekannten Personenkreis zufrieden. Die Story ist komplex, schlägt Haken und ist kaum vorhersehbar. Die Dialoge zünden wie immer, sind gespickt mit dem Osman eigenen schwarzen Humor und dennoch warmherzig und voller Sympathie für seine vier Musketiere, die diesen Krimi zu einem spannenden Lesevergnügen machen.

Das mag zwar nicht den innovativen und intellektuellen Standards entsprechen, die der Herausgeber des Krimi-Programms eines namhaften Verlags für die aktuelle Spannungsliteratur fordert, erfrischend unterhaltsam ist es aber allemal, auch wenn er es als „Retro-Kram neuerer Bauart“ bezeichnet, der „nichts weiter ist als Ringe im Wasser, nachdem ein Steinchen hineingeworfen wurde“. Offenbar bin ich old school, denn ich schätze die Donnerstagsmordclub-Reihe mit ihren scharfsichtigen Senioren und habe auch diesen Band der Reihe sehr gerne gelesen.

Bewertung vom 28.02.2023
Das kalte Licht des Todes / Detective Eva Harris Bd.1
Goodman, Carl

Das kalte Licht des Todes / Detective Eva Harris Bd.1


gut

Eine neue Reihe, Polizeiroman, weibliche Hauptfigur. Der Autor schon zweimal mit dem BAFTA ausgezeichnet. Diese Vorabinformation wecken Erwartungen, werden aber leider nur teilweise erfüllt. Positiv hervorzuheben sind die Charakterisierungen der Personen, allen voran natürlich Detective Inspector Eva Harris, die hochintelligente Spezialistin für Cyberkriminalität, eine Qualifikation, die für ihren neuen Arbeitsplatz relativ nutzlos scheint.

Die Ausgangssituation in „Das kalte Licht des Todes“ ist wohlbekannt: DI Harris tritt ihren Dienst auf ihrem neuen Revier in Surrey an und bekommt es gleich an ihrem ersten Tag mit einem schockierenden Mordfall zu tun. Noch bevor sie sich ihrem zukünftigen Team vorstellen kann, wird sie zu einem Tatort mit einer weiblichen Leiche beordert. Laut Aussage der Forensikerin vor Ort hat der Mörder sie zuerst betäubt und dann ausbluten lassen. Als wäre das nicht schon genug, hat er ihr auch noch mit chirurgischer Präzision die Augäpfel entfernt. Eine Vorgehensweise, die Erinnerungen an einen Cold Case und einen Mörder weckt, der nie gefasst wurde.

Nun könnte man meinen, die Ermittlungen, die zu dessen Enttarnung führen sollen, böte bereits genügend Stoff für einen spannenden Plot, aber damit gibt sich der Autor nicht zufrieden. Zum einen ergänzt er die Biografie der Protagonistin mit deren geheimnisvoller Vergangenheit, die zahlreiche Probleme nach sich zieht, was mittlerweile ja fast schon ein Must in Krimis ist, zum anderen gibt es zusätzlich in den Reihen der Polizei Kräfte, die alles daran setzen, dass die Ermittlungen der „Neuen“ scheitern. Und dann ist da ja auch noch der Mörder, dessen Motiv ausführlichst beleuchtet wird, was dadurch unvermeidbare Längen generiert. Etwas weniger wäre durchaus mehr gewesen.

Fazit: Für die Fortsetzung der Reihe ist noch reichlich Luft nach oben.

Bewertung vom 24.02.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


ausgezeichnet

In seinem neuen Roman „Das Café ohne Namen“ kehrt der österreichische Autor Robert Seethaler zum ersten Mal seit seinem 2012 erschienenen Roman „Der Trafikant“ in seine Heimatstadt Wien zurück.

Ausgangspunkt ist das Jahr 1966. Aufbruch liegt in der Luft. Wien schüttelt sich den Staub und die Düsternis der Kriegs- und Nachkriegsjahre von den Füßen. In der ärmlichen Leopoldstadt im 2. Bezirk wird ein heruntergekommenes Wirtshaus zur Pacht angeboten. Eine Gelegenheit, die sich Robert Simon, der als Gelegenheitsarbeiter auf dem Karmelitermarkt sein Geld verdient, nicht entgehen lassen will. Seit er als Abräumer in einer Praterkneipe geschuftet hat, träumt er von einer eigenen Wirtschaft, und diesen Traum erfüllt er sich nun mit dem „Café ohne Namen“, eigentlich kein richtiges Café, sondern ein einfaches Beisl für einfache Menschen mit eingeschränktem Angebot. Schnell entwickelt es sich zum Treffpunkt der Leute aus dem Viertel, von denen jeder seine eigene Geschichte mitbringt, seine eigenen Wünsche und Hoffnungen hat und sich nach Gesellschaft sehnt. Alle setzen ihre Hoffnungen in die Zeit, die vor ihnen liegt, träumen von einem bisschen Glück, vielleicht einem sorgenfreien Leben und auch von der Liebe. Träumen und Sehnsüchten stehen die Realität und persönliche Tragödien gegenüber.

Eine junge Frau vom Land findet in einem Jahrmarktsringer den Partner fürs Leben. Ein Kind stirbt bei der Geburt, ein anderes Neugeborenes kämpft drei lange Jahre um sein Leben, während die Mutter in dem Dunkel der Depression versinkt. Eine eifersüchtige Frau macht ihrer Liebschaft das Leben zur Hölle und legt in ihrem eigenen Laden Feuer. Ein explodierender Heizkessel reißt dem Protagonisten die halbe Hand weg.

Alle diese kleinen Geschichten, die bei genauerem Hinsehen existenzielle Lebensfragen thematisieren, erzählt Seethaler mit dem ihm eigenen klaren Ton. Ohne Kitsch und mit einer gewissen Distanz, aber dennoch tiefgründig und voller Empathie, ohne Wertung und immer mit dem gebotenen Respekt vor den Menschen. Tiefgründig und eindringlich in die Herzen der Leser gehend. Eine literarische Perle über Sein und Dasein in Zeiten der Veränderungen.

Bewertung vom 19.02.2023
Die marmornen Träume
Grangé, Jean-Christophe

Die marmornen Träume


ausgezeichnet

Der französische Autor Jean-Christophe Grangé ist hierzulande, wenn überhaupt, am ehesten bekannt durch die Verfilmung seines zweiten Thrillers „Die purpurnen Flüsse“. Vielleicht ändert sich das ja mit seinem neuen Buch „Die marmornen Träume“, einem historischen Kriminalroman, dessen Handlung in Deutschland verortet ist.

Berlin, 1939. Der Zweite Weltkrieg steht vor der Tür, und das tägliche Leben hat sich mit der Machtübernahme durch die Nazis verändert. Man duckt sich aus Angst vor Hitlers Schergen. Gestapo und SS üben ihre Macht gnadenlos und mit aller Härte aus. Für alle anderen gilt die Devise „nur nicht auffallen“, es sei denn, man gehört zu denjenigen, die sich im Schatten der Nationalsozialisten gemütlich eingerichtet und/oder Karriere in der Partei gemacht haben. Und man genießt die Annehmlichkeiten, die damit einhergehen, wie den exklusiven Club im Adlon, dem ersten Haus am Platz. Doch dann wird in dessen unmittelbarer Nähe eine aufs Grausamste verstümmelte Dame der oberen Gesellschaft gefunden, ausgeweidet und mit durchschnittener Kehle, und sie wird nicht die einzige bleiben. Aber wer steckt hinter den Morden? Ist es ein kaltblütiger Killer, der Freude am Töten hat oder doch ein Wahnsinniger mit einer Mission? Und wenn ja, welchen Plan verfolgt er?

Drei Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund und Motivation bemühen sich um die Aufklärung der Morde: Frank Beewen, von oberster Stelle mit der Aufklärung der Morde beauftragt. Simon Kraus, Psychiater und Traumforscher, der nicht nur berufliche Verbindungen zu den Opfern hatte und schließlich Baronin von Hassel, ebenfalls Psychiaterin, aber auch Leiterin der Anstalt, in der Beewens Vater untergebracht ist, die selbst mit alkoholvernebeltem Hirn schneller als die beiden Männer die richtigen Schlüsse zieht. Fokussiert darauf, dem Mörder das Handwerk zu legen, gibt es immer wieder Situationen, in denen das Trio nicht die erforderliche Vorsicht walten lässt und tief in den nationalsozialistischen Sumpf gerät, der gefährlich für Leib und Leben ist.

680 Seiten bieten Grangé ausreichende Möglichkeiten, um zum einen die Charakterisierung seiner Protagonisten bis ins Detail stimmig auszuarbeiten und zum anderen die Geschichte, die er erzählen möchte, logisch aufzubauen und zu entwickeln. Wir kennen das aus seinen früheren Büchern. Diese Vorgehensweise generiert zwar Längen zu Beginn, aber Geduld lohnt sich, denn im zweiten Teil zieht die Spannung mächtig an. Hier zeigt er ein realistisches Bild der Verhältnisse, die 1939 in Nazi-Deutschland herrschen und von Willkür, Grausamkeit und Gewalt geprägt sind. Schonungslos hält er uns den Spiegel vor, zeigt eine verrohte Gesellschaft, die nicht nur ihr Mitgefühl sondern auch ihre Moral verloren hat, in der der Mensch des Menschen Wolf ist. Derjenige, der dagegen angeht, um seine Menschlichkeit zu retten, muss zu den gleichen Mitteln wie seine Widersacher greifen, da Gewalt sich in diesem Stadium der Historie nur mit Gewalt bekämpfen lässt. Dabei hat man aber glücklicherweise nie den Eindruck, dass den drastischen Beschreibungen voyeuristische Motive zugrunde liegen, denn wir wissen alle, dass in dieser dunklen Zeit wesentlich schlimmere Dinge als die beschriebenen geschehen sind.

Ein historischer Kriminalroman, verankert in dem dunkelsten Kapitel unserer deutschen Geschichte, der die Natur des Menschen auf den Prüfstand stellt und zum Nachdenken anregt. Lesen!

Bewertung vom 17.02.2023
Kuckuckskinder / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.11
Läckberg, Camilla

Kuckuckskinder / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.11


gut

Fjällbacka ist im Feiermodus. Das Ehepaar Bauer, er ein bekannter Schriftsteller – man munkelt sogar, er wäre der nächste Nobelpreisträger – hat Freunde und Bekannte zu einer Festivität anlässlich ihrer Goldenen Hochzeit geladen. Die gesamte Schickeria des schwedischen Dörfchens ist anwesend, mit Ausnahme des Fotokünstlers Rolf Stenklo. Man feiert ausgelassen, der Alkohol fließt in Strömen. Auch Erika Falck und Patrik Hedström, sie Schriftstellerin, er Polizeibeamter, sind unter den Gästen. Am nächsten Morgen wir der verkaterte Patrik zu einem Tatort gerufen. Rolf Stenklo ist tot, liegt ermordet in der Galerie, in der er noch am Abend zuvor seine Ausstellung vorbereitet hat.

Wie wir es von Camilla Läckberg gewohnt sind, gibt es aber noch einen zweiten Handlungsstrang, der von Erika bedient wird. Für ihr neues Buch recherchiert sie eine lange zurückliegende Brandkatastrophe, bei der zwei Personen ums Leben gekommen sind. Ein Unglücksfall oder Mord? Im Laufe der Handlung gräbt sie eine Vielzahl von Hinweisen aus, die allesamt darauf hindeuten, dass zwischen den beiden Fällen eine Verbindung besteht.

Die Verschränkung von Gegenwart und Vergangenheit ist ein vertrautes Muster der schwedischen Autorin, das sie in ihren Falck-Hedström-Krimis immer wieder benutzt, um die Handlung aufzubauen. So auch in „Kuckuckskinder“ (Band 11). Keine Frage, sie versteht ihr Handwerk, man weiß schon bereits im Vorfeld, was man bekommt. Aber hier wurde dies über die Maßen ausgereizt. Gleicher Aufbau, gefällig Sprache, jede Menge Privatleben und viel zu viel Drumherumgerede, das den Fall überlagert und in den Hintergrund drängt. Zu allem Überfluss scheint die Autorin auch noch der Meinung zu sein, sie müsste aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen in ihre Story einarbeiten, was bereits in dem Vorgänger („Die Eishexe“, 2018) in die Hose ging. Nein, sie ist nicht in der Lage, die gewählte Thematik glaubwürdig und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl zu transportieren. Dazu kommt der wenig glücklich gewählte Titel (im Original „Gökungen“ = Der Kuckuckskönig), der die Richtung für die Interpretation der Geschehnisse bereits vorgibt.

„Kuckuckskinder“ ist ein langatmiger, weitgehend anspruchsloser und vorhersehbarer Kriminalroman, der zwar die Erwartungen erfüllt, aber keinerlei Überraschungen bietet. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Bewertung vom 14.02.2023
Sibir
Janesch, Sabrina

Sibir


sehr gut

Sabrina Janesch erzählt in „Sibir“ nicht nur eine Geschichte von Freundschaft, sondern beschreibt auch ein ererbtes Trauma und dessen Auswirkungen, die bis in die Gegenwart einer Familie reichen, die auf ihrer Suche nach Heimat und Beständigkeit zum Spielball der Politik wird und so im Laufe der Zeit immer wieder die vertraute Umgebung hinter sich lassen muss.

Im Zuge einer Vergeltungsmaßnahme für die Gräueltaten der Nazis räumen 1945 Rotarmisten das galizische Dorf (Südukraine), in dem der zehnjährige Josef mit seiner Familie lebt und deportieren alle Deutschstämmigen nach Sary Arka, eine Steppenlandschaft im Norden Kasachstans, in der Menschen aus aller Herren Länder Zwangsarbeit leisten müssen. Auf die Erwachsenen warten in dieser Einöde Entbehrungen und harte Fron, Josef hingegen findet dort in dem einheimischen Tachawi einen Freund, mit dem er die Gegend erkundet und unbeschwerte Tage verlebt. Eine Freundschaft, die bis Mitte der fünfziger Jahre Bestand hat, als Josef samt Familie nach Deutschland ausreist und in einer Kleinstadt in Norddeutschland landet.

Die Siedlung am Ortsrand wird zum Wohnort, aber Heimat ist sie nicht. Die kasachische Steppe, die Erinnerungen an Menschen, an Leben und Erleben, all das wird im Tresor der Erinnerungen verschlossen und kommt er wieder an die Oberfläche, als Anfang der neunziger Jahre der Eiserne Vorhang fällt und viele Deutschstämmige die Gelegenheit beim Schopf packen, Russland verlassen und nach ihrer Ankunft mit ähnlichen Problemen wie er zu kämpfen haben. Sie gehören nicht dazu, sind Fremde im eigenen Land. Eine Erfahrung, die auch seine Tochter Leila machen musste, der er sich nach und nach öffnet, als die Erinnerungen an die Zeit in Kasachstan sein Denken fluten. Und wie bei Josef ist es auch bei Leila der Freund, dessen Gegenwart und Unterstützung das Erwachsenwerden erträglich macht.

Janesch formuliert feinfühlig und emotional, glücklicherweise aber ohne Kitsch und Pathos. Sie überzeugt durch bildhafte Beschreibungen vor allem in den Passagen, in denen sie uns mit in das kasachische Dorf mit seinem Vielvölkergemisch nimmt. Und ja, ich fand den Ausflug in die Vergangenheit der russlanddeutschen Gemeinschaft, die Abschnitte, die Josefs Jugendjahre beschreiben, wesentlich interessanter als die Beschreibungen von Leilas Erlebnissen in der deutschen Gegenwart.

Die Autorin lässt uns abwechselnd an diesen beiden Leben teilhaben, verschränkt sie, zeigt Gemeinsamkeiten auf. Sie erzählt von Scham und Schuld, und nicht zuletzt von der tiefen Sprachlosigkeit, dem Schweigen und dem Trauma, das sich von Generation zu Generation weitervererbt. Lesen!

Bewertung vom 11.02.2023
Wer ohne Sünde ist / Rebecka Martinsson Bd.6
Larsson, Åsa

Wer ohne Sünde ist / Rebecka Martinsson Bd.6


ausgezeichnet

Es ist so weit. Mit „Wer ohne Sünde ist“ müssen wir Abschied nehmen von Rebecka Martinsson, Åsa Larssons sechsbändige Reihe, in deren Zentrum die Staatsanwältin aus Kiruna steht. Allerdings finde ich die Genre-Zuordnung problematisch, denn die schwedische Autorin hat in ihren Romanen so viel mehr als lediglich einen spannenden Thriller zu bieten. Es sind die großen Fragen, die sie immer wieder thematisiert. Was bist du bereit aus Liebe zu tun? Wie hoch liegt die Messlatte für deine persönliche Moral? Welche Auswirkungen haben Ereignisse aus der Vergangenheit auf deine Gegenwart? Daraus entstehen komplexe und gut komponierte, oft berührende Dramen mit Zwischentönen, die die strikte Trennung zwischen Gut und Böse hinterfragen. Ergänzt wird dies mit außergewöhnlich gelungenen Naturbeschreibungen, ohne dabei die Besonderheiten des Handlungsortes Kiruna, Bergbaustadt im Norden Schwedens, zu vernachlässigen, deren problematische Umsiedlung hier ebenfalls Thema ist.

Zum Inhalt: Ein toter Alkoholiker, ein weiterer Toter in dessen Gefriertruhe, der sich als ein lange vermisster Boxer entpuppt und ein Gerichtsmediziner, der Rebecka Martinsson um Hilfe bittet. Ein simpler Cold Case? Bei weitem nicht. Das organisierte Verbrechen hat Einzug im Norden Schwedens gehalten und nutzt die unübersichtliche Situation, die sich aus dem beschlossenen Abriss und geplanten Wiederaufbau Kirunas ergibt, zum eigenen Vorteil und füllt sich die Taschen. Korruption, Drogenhandel, Zwangsprostitution, Gewaltverbrechen, all das gehört mittlerweile zum Alltag. Vergangenheit und Gegenwart überlappen sich. Auch bei Rebecka, die sich endlich mit ihrer komplizierten Familiengeschichte auseinandersetzen muss.

Viel Stoff? In der Tat, aber nicht zu viel, als dass Åsa Larsson damit überfordert wäre. Routiniert wie immer verbindet sie die verschiedenen Handlungsstränge, so dass zum Ende hin alle Unklarheiten beseitigt und alle Fragen höchst zufriedenstellend geklärt sind. Es bleibt das Bedauern darüber, dass diese großartige Reihe nun ihren Abschluss gefunden hat. Nachdrückliche Leseempfehlung!

Bewertung vom 07.02.2023
Rotwild / Berling und Pedersen Bd.2
Grund, Maria

Rotwild / Berling und Pedersen Bd.2


sehr gut

Drei Jahre sind vergangen und noch immer knabbert Sanna Berling an diesem einen Fall, den sie nicht abschließen konnte. Sie hadert mit ihrer eigenen Unfähigkeit und hat deshalb nach einer längeren Auszeit die Brandruine verkauft, ihr Team verlassen und die Koffer gepackt. Gemeinsam mit ihrem Wolfshundmischling zieht sie aufs Land, möchte auf dem dortigen kleinen Revier einen Neuanfang wagen, nie mehr Mörder jagen, sondern sich nur noch mit banalen Gesetzesübertretungen beschäftigen.

Aber es kommt anders als gedacht. Zuerst ist da diese seltsame Puppe, die ein Jogger bei seiner täglichen Runde gefunden hat und bei Sanna und ihrem Kollegen abliefert. Und dann ist da noch der Notruf, dem sie nachgehen muss. In einer verfallenen Hütte im Wald findet sie einen jungen Mann, der im Sterben liegt. Sein Körper ist mit unzähligen Wunden übersät. Aber es ist bereits zu spät, er kann ihr nicht mehr sagen, wer ihm das angetan hat. Ein schockierendes Bild, das sich einbrennt und Sanna der Bitte ihres Vorgesetzten zustimmen lässt, gemeinsam mit ihrer Ex-Kollegin Eir Pedersen die Ermittlungen aufzunehmen und den Mörder seiner gerechten Strafe zuzuführen.

„Rotwild“ hat alle Zutaten, die man von einem skandinavischen Thriller der neuen Generation erwartet: die typische nordisch-düstere Atmosphäre, problembeladene Ermittlerinnen, die mit traumatisierenden Erlebnissen aus der Vergangenheit kämpfen und nicht zuletzt einen Mordfall, der mit barbarischen Details aufwartet.

Allerdings gibt es gegenüber dem Vorgänger einen nicht zu vernachlässigenden Fortschritt. Hat sich die Autorin dort fast ausschließlich auf die Handlung konzentriert, widmet sie sich hier verstärkt der Charakterisierung der beiden Protagonistinnen, wobei aber der komplexe Fall dadurch nicht in den Hintergrund gedrängt wird. Hier merkt man einfach die frühere Drehbuchautorin, die genau weiß, wann sie wie welche Knöpfe zu drücken hat, damit die Spannung sich steigert. Und das tut sie…

Im Handlungsverlauf gibt es allerdings immer wieder Situation, in denen durch Rückblenden auf „Fuchsmädchen“, den Vorgänger und ersten Band dieser Reihe, Bezug genommen wird, weshalb es für ein besseres Verständnis von Vorteil ist, wenn man diesen gelesen hat.

Bewertung vom 05.02.2023
Wintersterben
Krüger, Martin

Wintersterben


ausgezeichnet

Valeria Ravelli hat noch nicht wieder zu alter Stärke zurückgefunden, denn noch immer stecken ihr die Ereignisse ihres Einsatzes in Eigerstal in den Knochen, plagen sie Flashbacks. Aber ihr Vorgesetzter bei Interpol kann auf ihre posttraumatischen Belastungsstörungen keine Rücksicht nehmen. Sie ist seine beste Ermittlerin, und ihre Fähigkeiten werden im Fall eines Leichenfundes in den Walliser Alpen dringend benötigt.

In einer Höhle nahe des Bergdorfs Steinberg ist der barbarisch zugerichtete Leichnam eines Mannes gefunden worden. Seine Identität ist geklärt, es handelt sich um Gress, einen deutschen Staatsbürger mit schillernder Vergangenheit, der nicht nur für das BKA gearbeitet hat, sondern auch für die französische Fremdenlegion im Einsatz war. Was wollte er in diesem Schweizer Bergdorf? Und wer hatte einen Grund, ihn zuerst zu foltern und danach zu ermorden? Fragen, die nur vor Ort geklärt werden können. Und so macht sich Ravelli auf den Weg nach Steinberg, während ihr neuer Partner Colin Bain vor Ort bleibt und versucht, Hintergrundinformationen zu Gress auszugraben.

Bergdörfer sind schon wegen ihrer Lage und der überschaubaren Bewohnerzahl meist ein Kosmos für sich. Die Verbindungen zur Außenwelt sind rar gesät und Neuankömmlinge werden meist misstrauisch beäugt. Das Dunkel, das sich über den abgeschiedenen, von undurchdringlichen Wäldern umgebenen Ort legt, das seltsame Benehmen der Einwohner, kreiert eine Ausgangssituation, die bereits von Haus aus beim Lesen unbehagliche Gefühle weckt. Und genau hier liegt die Stärke von Martin Krügers „Wintersterben“, einem Thriller, den ich in einem Rutsch gelesen habe. Dem Autor gelingt es mit wenigen Pinselstrichen und vagen Andeutungen eine frostige und bedrohliche Atmosphäre zu schaffen, in der man auch als Unbeteiligter ständig auf der Hut ist und um die Unversehrtheit der Protagonistin bangt. Die Spannungskurve ist von Beginn an hoch, entwickelt einen Sog, denn man möchte unbedingt wissen, wie sich die Geschichte entwickelt und ob sich die eigenen Vermutungen bestätigen. So sieht man auch über die eine oder andere Ungereimtheit im Handlungsverlauf gerne hinweg.

Wer einen Thriller lesen möchte, der mit atmosphärischen Beschreibungen punktet, ist hier an der richtigen Adresse. Und ja, auch wenn „Wintersterben“ bereits nach „Waldeskälte“ der zweite Band der Reihe mit Valeria Ravelli ist, kann man diesen ohne Kenntnis des Vorgängers lesen.

Bewertung vom 03.02.2023
Der Kriminalist Bd.1
Sullivan, Tim

Der Kriminalist Bd.1


sehr gut

„Der Kriminalist“ ist der erste Band der Krimireihe mit DS George Cross, der für die Major Crime Unit der Polizei von Somerset und Avon arbeitet. Cross ist Asperger-Autist, was sich allerdings nicht negativ auf seine berufliche Qualifikation auswirkt. Im Gegenteil. Brillant in seinem Job, hat er die höchste Aufklärungsquote der Einheit und wird insbesondere von der Staatsanwaltschaft geschätzt, da er nicht nur äußerst akkurat ermittelt sondern die Ergebnisse auch logisch nachvollziehbar präsentiert. Im Gegensatz dazu geht der Umgang mit Vorgesetzten und Kollegen leider nicht so glatt über die Bühne, denn hier machen sich seine Detailversessenheit und sein Mangel an Empathie immer wieder störend bemerkbar.

So auch im Fall der Leiche im Park, offenbar das Opfer einer Auseinandersetzung unter Obdachlosen mit tödlichem Ausgang. Ein Verdächtiger ist schnell gefunden, doch Cross bezweifelt dessen Schuld. Gemeinsam mit seiner Partnerin, die ihn im Auge behalten soll, stellt er Nachforschungen an und findet tatsächlich eine Verbindung zu einen fünfzehn Jahre zurückliegenden Cold Case. Ein Mord, der nie aufgeklärt wurde. Und wenn Cross einmal Witterung aufgenommen hat, lässt er bei seiner Suche nach Gerechtigkeit nicht locker, auch wenn er mit seinen Ermittlungen in ein Wespennest sticht und einflussreiche Kräfte des Polizeiapparates verprellt.

Ich mag Polizeiromane und bin spätestens seit Gil Ribeiros Leander-Lost-Reihe ein Fan von Ermittlern, die wegen ihrer besonderen Fähigkeiten aus dem Rahmen fallen. Aber im Gegensatz zu diesem hat Cross kein Team im Rücken, das ihn unterstützt und auf das er sich verlassen kann, was allerdings bei ihm nicht nur an seiner Unnachgiebigkeit während der Ermittlungen liegt. Es sind auch seine persönliche Eigenheiten, insbesondere die Distanziertheit gegenüber seinen Kollegen, die ihn unzugänglich und zum Außenseiter machen, was der Autor Tim Sullivan (von Haus aus Drehbuchautor) in allen Facetten gelungen aufzeigt.

Die Protagonisten sind sehr gut charakterisiert, die Story ist spannend, das Handlungsgerüst logisch aufgebaut und unerwartete Wendungen sorgen immer wieder für Überraschungsmomente. Ein gelungener Auftakt mit einer sympathischen Hauptfigur, von der ich gerne in Zukunft noch mehr lesen möchte (im Original liegen bereits sechs Bände vor, die hoffentlich bald den Weg zu der Übersetzerin Frauke Meier finden).