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LichtundSchatten

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Insgesamt 246 Bewertungen
Bewertung vom 03.04.2024
Der Nahe Osten in einer globalisierten Welt
Scianna, Bastian Matteo; Lukas, Stefan

Der Nahe Osten in einer globalisierten Welt


ausgezeichnet

Diese Anthologie verschafft einen fundierten Überblick zum Nahen Osten, mit unterschiedlichen Autoren und Sichtweisen. Es ermöglicht Einblicke über tages-sensationelle Sichtweisen hinaus in tiefere Zusammenhänge.

Im Artikel von Andreas Jäger über Ägypten erfährt man z.B., dass die westlichen Informationen wonach die Jugend Ägyptens säkular eingestellt sei, nie den Tatsachen entsprachen. „Tatsächlich ist Säkularismus in Ägypten ein Schimpfwort. Zwar nimmt religiöses Desinteresse zu, aber kaum ein Ägypter würde sich als nicht gläubig bezeichnen…Wael Ghoneim etwa, der mit seiner Facebook Seite Wir sind alle Khaled Said die ägyptische Religion mit auslöste, begann seine Karriere als Begründer einer islamischen Webseite.“

Insgesamt gab es über emotionale Forderungen hinaus keine Konzepte, so dass irgendwann „Der Islam ist die Lösung“ vor allen stand. Die Straßenschlachten in Kairo wurden von den Fangruppen der großen Fußballvereine durchgeführt, im Westen wurde das lange übersehen. China hatte damals verstärkt Weizen importiert, in Ägypten kam dadurch auch der Ruf nach Brot auf, der Tourismus ging zurück, das Volk hungerte.

Festzuhalten bleibt, dass das neue Ägypten immer noch auf religiösen Vorstellungen basiert, die islamisch und frauenunterdrückend angelegt sind, es gibt hier wenig Freiräume für individuelle, gleichberechtigte Entwürfe. „Auch nach dem jüngste Mordfall meldete sich ein prominenter Scheich der islamischen Al-Azhar-Universität und macht das Opfer selbst für die Ermordung verantwortlich. Sie hätte sich islamischer kleiden sollen.“

Die neuen Machthaber in Ägypten fahren trotzdem einen harten Kurs, der auch Einengungen islamischer Forderungen beinhaltet - und insbesondere den christlichen Kopten neue Freiräume verschafft. Wie immer möchte man sagen, wenn eine solche Konstellation erfolgreich sein kann, ist diese nur mit harter Hand möglich. Ein fataler Irrtum des Westens bestand ingesamt darin, die religiöse Komponente des Islam entweder nicht zu kennen oder völlig zu unterschätzen.

China spielt eine verstärkte Rolle im Nahen Osten. Es konzentriert sich auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit, wobei sicherheitspolitische und überwachende Komponenten im Internet eine besondere Rolle spielen. Repressive Systeme wie in Saudi Arabien oder VAE haben an Sicherheits- und Überwachungstechnologie ein besonderes Interesse, ebenso an KI.

Deutsche Entwicklungspolitik spielt im Nahen Osten ein abnehmende, eher unwichtige Rolle. Andere Player und Interessen sind vorrangiger und dominanter, Israel ist im Zentrum einer fragilen, krisengeschüttelten Region, die neben religiösen Facetten wenig aufzubieten hat, um Menschen in Unabhängigkeit, Frieden und Toleranz zu bringen. Dabei denke ich immer an eine Aussage von Enzensberger: „Als schwere narzisstische Kränkung wird nicht nur die militärische Unterlegenheit gegenüber dem Westen empfunden. Viel schlimmer wirkt sich die intellektuelle und materielle Abhängigkeit aus. In den letzten vierhundert Jahren haben die Araber keine nennenswerte Erfindung hervorgebracht. Rudolph Chimelli zitiert einen irakischen Autor mit dem Satz: ,Hätte ein Araber im 18. Jahrhundert die Dampfmaschine erfunden, sie wäre nie gebaut worden.‘ Kein Historiker wird ihm widersprechen. Alles, worauf das tägliche Leben im Maghreb und im Nahen Osten angewiesen ist, jeder Kühlschrank, jedes Telefon, jede Steckdose, jeder Schraubenzieher, von Erzeugnissen der Hochtechnologie ganz zu schweigen, stellt daher für jeden Araber, der einen Gedanken fassen kann, eine stumme Demütigung dar. Selbst die parasitären Ölstaaten, die von ihrer Grundrente zehren, müssen ihre Technik aus dem Ausland beziehen; ohne westliche Geologen, Bohr- und Verfahrenstechniker, Tankerflotten und Raffinerien wären sie nicht einmal in der Lage, ihre eigenen Ressourcen auszubeuten. Insofern ist selbst ihr Reichtum ein Fluch, der sie ständig an ihre Abhängigkeit erinnert. Ohne die Einnahmen aus dem Rohöl fällt die ökonomische Leistung der gesamten arabischen Welt heute weniger ins Gewicht als die eines einzigen finnischen Telefonkonzerns.“ (Radikale Verlierer" v. Magnus Enzensberger, Spiegel 45/2005, S. 182 ff.)

Bewertung vom 03.04.2024
Deals mit Diktaturen
Bösch, Frank

Deals mit Diktaturen


ausgezeichnet

Wer glaubte nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gäbe es einen internationalen Run auf Demokratien, sah sich rasch tief enttäuscht. Schon immer war es notwendig, mit Staatsformen Handel zu treiben, die der Demokratie wenig ähnelten. In diesem Buch erfahren wir, wie Deutschland in diesem Zusammenhang agierte und auch heute noch handelt.

„Bei seinen Auslandsaufenthalten traf der Altkanzler Gerhard Schröder Assad in Syrien, die Machthaber Irans, und bei seinem Chinabesucht kritisierte er Merkel, weil sie die Unterdrückung Tibets moniert hatte.“ Bei mir stellte sich schon immer die Frage, warum bei einer Beteiligung der Grünen an der Regierung Kriege geführt werden und weshalb SPD-Obere deutsche Wirtschaftsinteressen besonders männerbündisch vertreten, dabei aber Menschenrechte ignorieren.

Die Annäherung an Russland bzw. der Handel mit diesem riesigen, rohstoffreichen Land nahm schon unter Kohl Fahrt auf und sollte bis Merkel so weiter gehen. Die danach einsetzenden Sanktionen waren/sind stumpfe Waffen, die „….leicht in einer globalisierten Welt zu umgehen sind.“

Stattdessen musste Deutschland teurer in anderen Autokratien einkaufen (z.B. Aserbaidschan), um noch weniger auf Menschenrechte achten zu können (Bergkarabach/Arzach-Konflikt).

Frank Bösch beschreibt in diesem lesenswerten Buch die Geschichte der BRD von Adenauer bis heute und skizziert die unterschiedlichen Ausgangs- bzw. Weltlagen ganz hervorragend und verständlich.

„Autokratische Herrschaft und Menschenrechtsverletzungen in antikommunistischen Staaten wurden in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten selten thematisiert. Politiker, Diplomaten, Experten und Journalisten äußerten sogar oft Verständnis für das Regieren mit „starker Hand“, da die südlichen Staaten noch nicht reif für die Demokratie seien und dort andere kulturelle Grundlagen beständen.“ Hier ergab sich sogar eine Art selbst-entlastende Zusammenarbeit und oft waren dabei noch ehemalige Mitarbeiter der NS-Zeit beteiligt.

In den 60ern gab es zum ersten Mal migrantische Proteste in Deutschland, die vor allem aus dem Studentenbereich unterstützt wurden. „Die Migranten sprachen von KZs, Vernichtungslagern oder dem Faschismus in ihren Heimatstaaten. Dies verband den Folter in der Ferne mit der deutschen Geschichte.“

In den 70er Jahren intensivierte sich der Kontakt bzw. Austausch mit Diktaturen, trotz des Mehr Demokratie wagen von Brandt. Heute kommen jene Diktaturen zum Zug (für einen Handelsaustausch oder Gaslieferungen), die weniger im Rampenlicht stehen. „Die wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik ist weiterhin ein potentielles Faustpfand, um für Menschenrechte einzutreten.“ (S. 501)

Bewertung vom 02.04.2024
Pfingsten!

Pfingsten!


ausgezeichnet

Die Trinität des Christentums bezeichnet die Heilige Dreieinigkeit: Gott Vater, Gott Sohn und Heiliger Geist. Die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten ist der Start des Christentums und knüpft das Band zwischen Gott, seinem Sohn und den Gläubigen.

„Die Zeit eilt Gott und seiner Ewigkeit entgegen, nicht der Vergangenheit und dem Untergang.“ (Karl Rahner) Mit diesem vorangestellten Zitat (und zwei weiteren) öffnet dieses Buch die spannenden Facetten von Pfingsten, mit einer breiten Palette an erinnernden, auch kritischen, aber vor allem aufbauenden Gedanken.

Wer Halt sucht, findet heute vielfältigste Angebote, jedes 10. verkaufte Sachbuch handelt vom Thema Spiritualität. Die christlichen Ratschläge geraten dabei immer mehr ins Hintertreffen, vor allem Missbrauch und sonstige Skandale forcieren einen fatalen Weg der Kirchenaustritte. Auch diese Themen werden in diesem Buch nicht ausgegrenzt. Philipp Rößler, der ehemalige FDP Mann, spricht z.B. über seine Probleme, aber auch die positiven Aspekte seines Lebens, fundierend auf katholischem Glauben (Heimat Kirche).

„Der Geist von Pfingsten ist der Mut zu Neuem, zum Staunen, zum Leben nach vorn.“ (Thomas de Maiziere) Ob Pfingsten Vielfalt und Buntheit beinhaltet wie Frau OB Rieker ausführt, also automatisch alle Religionen abdecken kann, daran habe ich meine Zweifel.

Im Islam ist es bspw. die größte, nicht vergebbare Sünde, an die Trinität zu glauben. Im Koran, Sure 4, V. 172 heißt es: »Wahrlich, der Messias Jesus, der Sohn Marias, ist ein Gesandter Allahs, und das Wort, das er Maria niedersandte, eine Erfüllung Allahs und sein Geist. Glaubt daher an Allah und seinen Gesandten, sagt aber nichts von einer Dreiheit.“

Jesus sagte: „Ich bin nicht gekommen , den Frieden zu bringen, sondern das Schwert“. (Matthäus 10,34) Übersetzt man diesen Satz tatsächlich aus dem Aramäischen in richtiger Weise (Franz Alt: Was Jesus wirklich gesagt hat) , dann heißt er: Seid nicht gutgläubig, seid wachsam! Wenn Ihr Euch mit anderen zusammensetzt, zieht das "Schwert der Worte" und streitet für Eure Sache. Meine Aufopferung, mein Selbstopfer bedeutet nicht Frieden, Erlösung als Automatismus, sie ist eher der Beginn des Kampfes um Wissen und Wahrheit.

Größtes Problem heute ist, dass von vielen Kritik als Hass umgedeutet wird und wir die Grundlagen des Christentums nicht mehr offensiv vertreten wie das Jesus gesagt hat. Dazu gehört vor allem ein Vergleich unterschiedlicher Religionen und die Bewertung möglicher kultureller Konflikte.

Besonders beeindruckt hat mich der Artikel von Nikodemus C. Schnabel, Mönch der Benediktinerabtei Dormitio Beatae Mariae Virgins mitten im Herzen Jerusalems, das genau zwischen der Altstadt und der Neustadt liegt, also zwischen Israel und Palästina. Er sieht Pfingsten in seiner Abtei vor allem als Ort der Sehnsucht. „Menschen voller Sehnsucht begegnen einem Grenzen niederreißenden Gott…Ein Ort des sehnenden Suchens nach Gott“, der allen offen steht. Schnabel sieht Pfingsten zudem als Momentum der Freiheit und der Inspiration. Seine Worte zum 7.10.2023 zeigen, wie einsam seine Worte werden…man kann nur noch schlicht da sein und nicht weglaufen, muss alles ertragen, trotzdem Gottesdienste feiern, auch an den denkbar skurrilsten Orten.

Bewertung vom 02.04.2024
Die Datenbank der Ewigkeit
Huber, Johannes

Die Datenbank der Ewigkeit


ausgezeichnet

Spannende Rückblicke und Kurzfassungen von alten Schriften über den Sinn des Lebens:

Zarathustra (Reinige Dein Denken)
Heraklit (Erkenne was Du bist)
Laotse (Suche das Wunder)
Ägypten (Heile deinen Körper, um Deine Seele zu heilen)
Platon (Erinner Dich)
Cicero (Lass los)
Seneca (Lerne Sterben)
Platin (Sieh dich an)
Augustinus (Hoffe auf Gnade)
Rumi (Durchschreite eine Tür, damit sich die nächste öffnet)

Es geht darum, mit der alles waltenden Weltenseele, der Energie hinter allem, eins zu werden: Lassen wir los, um Fröhlichkeit, Harmonie, Milde und innere Größe zu erlangen. Der Ort dafür? Hinter gut und böse, über allem Streit, dort, wo Ideologien, Hass und Hetze ausgeblendet sind. Die meisten Denker und Philosophen kannte ich, aber in dieser Zusammenführung fand ich sehr gute, lesenswerte Gedanken und Hilfestellungen, die neu justieren und mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen neu Hoffnung geben - in einer überladenen, überfrachteten Zeit voller Zerwürfnisse.

Bewertung vom 02.04.2024
Vom Westen nichts Neues
Feroz, Emran

Vom Westen nichts Neues


weniger gut

Wie lebt ein afghanisch aussehender Mann und Muslim im Westen und wie verhält er sich in seinem Heimatland, wie kommt er in diesen beiden Welten gut durch und findet sich selbst? Darum geht es in diesem Buch.

Emran Feroz hört irgendwann in Innsbruck ein Paar darüber reden, dass in Afghanistan die Blutrache gelte. Hintergrund: in Innsbruck hatte ein 22 Jähriger Afghane seine Frau mit einem Messer umgebracht. Wir lesen: „Nachdem ich die abschätzigen Worte des Mannes gehört hatte, hätte ich ihm am liebsten einen verbalen Einlauf verpasst. Ich hätte ihm gerne gesagt, das das heutige Afghanistan schon vor zweitausend Jahren eine Kultur hervorgebracht hat, die in Wissenschaft, Kunst oder Architektur den Europäern weit voraus war.“

Er redet in der Folge von begnadeten afghanischen Kriegern, großen Poeten, schwertschwingenden Frauen. Als im finsteren Deutschland noch Hexen verbrannt waren, gab es in Afghanistan kriegerische Frauen, die mit dem Schwert wem nochmal nachfolgten? Wow, darauf muss man erst mal kommen.

Ich soll mich jetzt auch dafür interessieren, dass Afghanen im Iran von ihren Glaubensbrüdern auf Baustellen benutzt werden. „Für einen Hungerlohn werden sie zu Tausenden ausgebeutet, damit die Hochhäuser und Wolkenkratzer iranischer Großstädte durch ihren Schweiß wachsen.“ Für Feroz werden ausländische Mörder eher entmenschlicht als inländische, in diesem Fall österreichische. Man solle das Ganze doch mal mit dem „Massaker von Kandahar“ vergleichen, lese ich.

Nichts lese ich in diesem Buch über die kulturellen Unpässlichkeiten des Islam und jene Länder, in denen er die Mehrheit hat. Wie sieht es dort mit den anderen Religionen aus? Gibt es diese überhaupt noch? Und warum ist das so? Wie steht es mit dem Knabentanz in Afghanistan und warum werden Buben dort im Harem mitgenommen?

Stattdessen lese ich, der Tirol Dialekt sei primitiv und klinge hässlich, so sein Vater. Ich lese über unzählige afghanisch-pakistanische und weitere Grenzdialekte, von denen der Autor auch einige studierte und diese ausführlich erklärt. In Österreich käme man am besten mit einem tirolerisch klingenden "Servus" ans Ziel einer temporären Verständigung bzw. Integration. Auch sein Vater hätte das irgendwann begriffen.

Muslime in Westeuropa werden zu verlorenen Seelen, denen die Heimat fehlt. Sie nehmen in Innsbruck lieber Türsteher Jobs an als Kellner sein zu müssen, der Alkohol auftragen muss, mithin war er ein kosmopolitischer Türsteher, der vor allem seinen eigenen Freunden Einlass gewährte, aber einen betrunkenen Engländer hinauswirft, der auf der Toilette einer jungen Frau etwas antun möchte. Eurozentrische Sichtweisen würden in einer multipolaren Welt immer weniger Bedeutung haben, schreibt Herr Feroz.

Enkel jener deutschen und österreichischen Männer, die vor kurzem noch einen Genozid an Juden vollführten, würden heute Stimmung machen gegen Minderheiten und sich „zu der Behauptung versteigen, menschenverachtende Ideologien wie der Antisemitismus seien hauptsächlich unter muslimischen Einwandererfamilien zu finden.“ Wer tatsächlich antisemitisch sei, nun das mag jeder auf Seite 173 unten nachlesen. Emran Feroz benennt deutsche und österreichische Vorfahren in dieser Hinsicht knallhart.

„Viele Afghanen sind der Überzeugung, dass sich ihr Glaube und ihre Traditionen in vielerlei Hinsicht nur in Afghanistan verwirklichen lassen.“ Gerne hätte ich mehr über diesen Glauben und die Traditionen gelesen statt Anklagen gegen den Westen zu lesen. Und ob diese im Westen integrationsfähig sind.

Bewertung vom 01.04.2024
'Mich wundert, dass ich so fröhlich bin' Johannes Mario Simmel - die Biografie
Graf-Grossmann, Claudia

'Mich wundert, dass ich so fröhlich bin' Johannes Mario Simmel - die Biografie


ausgezeichnet

Als Junge begegnete mir Johannes Mario Simmel zum ersten Mal, als ich alle Bände von Karl May in der örtlichen Bibliothek ausgelesen hatte. Obwohl ich ihn noch nicht mitnehmen sollte, tat ich es und wurde nicht enttäuscht. „Es muss nicht immer Kaviar sein“ oder „Lieb Vaterland magst ruhig sein“, so viele Titel habe ich verschlungen und ihre Botschaften aufgenommen. Die typischen Titelbilder, hier auf Seite 113 zu sehen, sind auch heute noch präsent in meiner eigenen Bibliothek. Ich lese immer wieder darin.

Diese Biografie von Simmel ist höchst lesenswert, spannend und vermittelt die Hintergründe zu einer Buch- und Ideenproduktion ohnegleichen. Simmel entwickelte seine Bücher vor Hintergründen (Halbjude, 2. Weltkrieg), die höchst nachvollziehbar sind, keineswegs Trivialliteratur, sondern menschlich und zielorientiert auf gegenseitiges Verständnis und Toleranz weisend. „Sein Werk lebt von couragierten Menschen, von Idealismus, Hingabe und Ausdauer. Und auch von der Hoffnung, selbst wenn diese sich immer wieder als illusorisch entpuppt.“

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.03.2024
Amelie
Schmidt, Felix

Amelie


weniger gut

Liebe hat viele Spielarten und große Altersunterschiede gehören dazu. Hier erlebt ein alternder Sonnyboy das Verlassenwerden. Man wundert sich nur, dass dieses Thema nicht stärker publizistisch begleitet wird, spielt doch der bedeutendste deutsche Intellektuelle, der sich gerne auch in sloternden Radlerhosen ablichten lässt, eine gewisse nun ja … Rolle.

Hübsch blondierte Unschuld verwirrt Männer soweit, dass deren Leben und Denken in Gefahr gerät. Mir wurde beim Lesen ganz schummrig und ich dachte, ja, kann man wirklich so unselbstständig liebEnd und ehrlich sein? Man kann!

Ob der Leser etwas lernt aus diesem Sammelsurium aus Selbstmitleid und Egomanie? Nicht alle Bücher müssen geschrieben werden!

Bewertung vom 29.03.2024
Die deutsche Russland-Illusion
Himmelreich, Jörg

Die deutsche Russland-Illusion


gut

Die Ukraine muss den Krieg unbedingt gewinnen, um den gefrässigen, despotischen Bär Russland zu zähmen. So lese ich dieses Buch.

Der Autor sieht einen immer währenden imperialen Expansionsdrang Russlands nach Europa und begründet dies u.a. mit dem mongolischen Denken/Verhalten aus der Vergangenheit. Um das zu verhindern, „…muss Deutschland alle Waffen, die die Ukraine benötigt und die ihr helfen, Russland zu besiegen, zur Verfügung stellen.“ Scholz verhalte sich bar jeder Verantwortung für die Ukraine, Deutschland und Europa.

Die Darstellung der mongolischen Überfälle und die danach folgenden Erpressungen/Ausbeutungen des Volkes als Charakter russischer Obrigkeitsmaßnahmen klingen nachvollziehbar. Auch die nicht vorhandene Trennung von Staat und Kirche. Russen wären mithin im asiatischen, obrigkeitshörigen Fatalismus gefangen. Anführer sollten hart bleiben, nach innen und außen. Man unterwirft sich diesen Despoten, weil man die Zwangsmaßnahmen fürchtet und agiert eher privat.

Der Autor entspricht damit einer Darstellung von Marx: „Der blutige Schlamm mongolischer Sklaverei und nicht die rüde Herrlichkeit der Normannenzeit war Moskaus Wiege, und das moderne Russland ist nur eine Metamorphose dieses mongolischen Moskaus.“ Leider hat dann die zentrale Idee von Marx, der Sozialismus, nichts zu einer Änderung beigetragen. Im Gegenteil, Stalin war noch härter und despotischer.
Die Gottgleichheit der Herrscher sei auch auf die nicht erfolgte Trennung von Staat und Kirche zurückzuführen.

Es geht für den Autor in die richtige Richtung, Deutschland „kriegstauglich“ zu machen. Man solle sich wirtschaftlich nicht von Autokraten abhängig machen! Also auch nicht von Saudi Arabien und Aserbaidschan?

Ich kann viele Argumente von JH nachvollziehen, sehe das russische Verhalten aber stärker durch ein Gefühl für die eigene Nation geprägt, die im Kampf gegen die Wurzeln (Mongolenherrschaft) und europäischer Skepsis agiert. Keine russische Hilfe für Europa (Siebenjähriger Krieg, Kampf gegen Napoleon, Rettung Preußens 1805-1815, Rettung Österreichs 1849, Rettung Frankreichs 1875, Friedfertigkeit Alexanders III., Haager Konferenzen, Kampf gegen Deutschland 1914-1917) hat die tief sitzende Angst vor den mongolischen Russen in ein Gegenteil verkehrt. Heute ist das Grenzland Ukraine der Zankapfel, in dem ein Anti-Russland geschaffen werden soll, ohne Russland jemals wirklich verstehen zu wollen.

Iwan Iljin sagte dazu (hellsichtig): „Sie werden den universellen russischen "Besen" in Zweige teilen, diese Zweige einen nach dem anderen brechen und damit das verblassende Feuer ihrer Zivilisation entfachen. Sie müssen Russland zerstückeln, um es durch die westliche Gleichung zu führen und es zu entfesseln und dadurch zu zerstören: ein Plan aus Hass und Machtgier. ... Um sich Russland in einem Zustand dieses anhaltenden Wahnsinns vorzustellen, reicht es aus, sich das Schicksal der "unabhängigen Ukraine" vorzustellen.“

Jörg Himmelreich formuliert solche Sätze: „Deutsche Russlandpolitik muss eine Strategie entwickeln. Eine Strategie entwickelt man, indem man ein Ziel definiert und dann die notwendigen Instrumente zu dessen Umsetzung bestimmt.“

Wenig mehr als das Denken von Marx kann ich darin erkennen, eine zu einseitige Skepsis in Richtung Russland. Eine Wertediskussion findet nicht statt. Wo befindet sich der Westen in Bezug auf die Kirche? Wo stehen in Europa die Familie und die Nation? Wie werden Grenzen definiert? Bietet die völlig Auflösung aller Werte in den Universalismus nicht gerade jenen Ansatzpunkt, den die russische orthodoxe Kirche noch lebt und heute durch Putin dem Westen vorhält?

Meines Erachtens geht es heute darum: Setzt sich ein westlich geprägter (woker) Universalismus durch oder eine in wenigen Regionen konzentrierte neue Großraumordnung (Russland, China) mit alternativen Gesellschafts- und Systemkonzepten? Der Westen scheint kompromisslos in seinem Anspruch und erfährt durch Putin ein klares Kontra. Die Konfliktlinie Ukraine ist dabei ein wichtiges Zeichen bzw. auch ein Zugang zum Meer, den Russland niemals aufgeben wird.

Dass Russland ein Islam-Problem hat, vor allem in seinen ehem. südlichen Vasallenstaaten, wer wollte es negieren? Putin hat dem Islam kompromisslose Härte gegenüber gezeigt und ich bin nicht sicher, ob die Anschläge 1999 auf Mietshäuser in Moskau tatsächlich, wie von Himmelreich angeführt, vom KGB inszeniert waren. Israel kämpft heute im Grunde einen seit Jahrzehnten dauernden Krieg gegen den Islam, der sich in Gestalt der Hamas kompromisslos und intoleranter denn je zeigt. Russland hat seine Erfahrungen und China ebenso, dem Westen muss aktuell durch Israel klar werden, welche Probleme dadurch entstehen werden. Tadschiken haben aktuell einen Anschlag in Moskau durchgeführt, eine Region, in dem der Islam verboten ist bzw. unter Kontrolle gehalten wird. Der islamische Staat in Syrien wurde dort von Putin besiegt, ein Hinweis auf die weitere Vorgehensweise in dieser Hinsicht.

Bewertung vom 25.03.2024
Basteln am Ich
Ahrbeck, Bernd

Basteln am Ich


ausgezeichnet

Das Foto eines Navy-Matrosen, der bei der Siegesfeier 1945 auf dem Times Square eine Krankenschwester küsst, kennt jeder. Nun soll es gehen: Wegen „Inklusivität“ und „Awareness“ entfernt das US-Veteranenministerium dieses wunderschöne Bild. „Es erstaunt, mit welcher Heftigkeit gekämpft wird, um eine neue moralische Ordnung durchzusetzen, und welche Strategien dafür verfolgt werden.“

Bernd Ahrbeck durchlüftet in diesem Buch die oft kindischen Verdrehungen der Wahrheit, denen wir aktuell ausgesetzt sind. Das unantastbar Gute legt sich über unsere Seelen und alles, was wir auszudrücken haben, umschlingt Ohren, Mund und Verhalten. Darüber wacht das Oberkommando Weltmoral mit einer intellektuellen Substanz, die einen frösteln lässt.

„Ein solcher Eifer setzt ein gehöriges Maß an Realitätsverkennung voraus.“ Das unantastbar Gute fordert seinen Preis, auch wenn dabei Existenzen zerstört werden und kollektive Angst entsteht. Diejenigen, die ausgrenzen, haben den höheren Deutungsanspruch. „Wer eine missliebige Meinung vertritt, habe eben jeden Schutzanspruch verloren.“

Dem neuen Machtstreben eines universell gleichen, autonom gestaltbaren Ich sind natürliche Grenzen gesetzt. Je mehr diese in der Wirklichkeit sichtbar werden, umso stärker tritt eine Cancel Culture an den Tag, die diskreditieren und vernichten will. Die Lehre des evident Guten sieht sich nicht als Ideologie, sondern als nicht hintertragbare Wahrheit. Und genau hier beginnen die Probleme.

Erziehung braucht Grenzen ebenso wie Staaten, die Freiheitsrechte garantieren können. Die grenzenlose, gute Welt ist ein Traum, der einer bleiben wird. „Wir ziehen Valium der Angst vor, daher stammt unsere Vorliebe für eine borderless world, eine Wiege für alte, verwöhnte Kinder.“ (R. Debray)

Minderheiten beanspruchen heute umfassende Vorrechte, aus ihren Ecken kommen die Definitionen des Humanen und Fortschrittlichen, alle sollen sich ihren Gefühlen unterwerfen. Auf der Strecke bleiben die Vernunft, die Suche nach Wahrheit und der Wille zur Aufklärung. Bernd Ahrbeck skizziert in diesem Buch eine fröstelnde Zeit, in der Haltungen wichtiger sind als Wissen, in der es darum geht, die Vorherrschaft der Weißen zu zerschlagen, den Kapitalismus gleich mit - und dann?

Die Bestandsaufnahme dieses Buches lässt frösteln und vermittelt die fatale Erkenntnis, dass Wissen heute nicht mehr schafft, sondern in Wünschen&Haltungen erstarrt, die vor die Aufklärung zurückgehen, bei Suggestion höchster Machbarkeits- und Erlösungsphantasien.

Bewertung vom 24.03.2024
Das kulturelle Erbe von Arzach

Das kulturelle Erbe von Arzach


ausgezeichnet

Die Republik Arzach, bis 2017 Republik Bergkarabach, war ein de-facto-Staat in Bergkarabach und Zentrum des Bergkarabachkonflikts. In diesem Buch erfahren wir die notwendigen Hintergründe und kulturellen Belange zu einer Region, die uns immer wieder in den Nachrichten begegnete.

„Die Situation hat sich mit der faktischen Kapitulation der Republik Arzach im Zuge einer gewaltsamen Übernahme am 20. September 2023 noch einmal verschärft.“ Die Region wurde am 1. Januar 2024 an Aserbaidschan übergeben, die Kulturgüter scheinen massiv gefährdet. Die Zivilbevölkerung der Region ergriff geschlossen die Flucht nach Armenien. Über 100.000 Menschen flohen in wenigen Tagen. Diese sind wohl überwiegend bei Freunden und Familien untergekommen. Aserbaidschan möchte Spuren der armenischen Geschichte als vermeintliche Fälschungen beseitigen, ein Konzept mitten aus dem System eines Islam, der für sich alleine die korrekte religiöse Sichtweise beansprucht.

Dieses Buch als Sammlung der Vorträge einer interdisziplinären Tagung (15.–19.7.2022 in Jerewan und Hermon/Vayots Dzor) gliedert sich in 5 Bereiche:

Kultur von Arzach und ihre Bewahrung
Geschichte und Theologie
Aktuelle Kriege und ihre Folgen
Region im globalen Kontext
Kulturelle Schätze von Arzach

Arzach steht für das Verhältnis der beiden monotheistischen Religionen Christentum und dem Islam ganz generell. Jeder möge die marginalisierten christlichen Bevölkerungszahlen von mehrheitlich muslimischen Staaten selbst erforschen. Toleranz, die wir in Europa anderen Religionen entgegenbringen, wird in islamischen Staaten wenig bis nicht gelebt. So sind in der einst ebenfalls von Armeniern bewohnten aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan Zeugnisse der armenischen Kultur wie Kirchen und Friedhöfe systematisch vernichtet worden, was durch Auswertung von Satellitenbildern belegbar ist.

„Die Zivilisation, die sich vor Tausenden von Jahren in der Region von Arzach zu entwickeln begann, ist nicht nur ein Wert für sich, sondern ein integraler Bestandteil der Weltgeschichte.“ (S 83) Bereits im ersten Jahrhundert kam das Christentum in diesen Teil der Welt, es wurde im 3 Jh. zur offiziellen Staatsreligion. Bis heute war dort eine christliche Kultur vorhanden, für die es keinen Grund gibt, sie aufzulösen, zumal Muslime bei uns in Europa Asyl finden und wir mit Aserbaidschan Handel treiben. Warum finden wir hier keine Hinweise oder diplomatische Vermittlungsbemühungen aus Wirtschaft und Politik?

Durch den von Aserbaidschan geführten Krieg in 2020 kamen 10 staatliche und 2 nicht staatliche Museen unter die Kontrolle Aserbaidschans, in denen ingesamt 20885 Exponate von nationaler Bedeutung aufbewahrt werden. Sie drohen komplett verlustig zu gehen, entsprechende Anfragen wurden von Aserbaidschan nicht beantwortet. Darüber hinaus werden christlich kulturelle Verhaltensweisen, Wissen und Bräuche dem Vergessen anheim gestellt. Arzach und seine gelebte Kultur vor Ort gehen ihrem Ende entgegen.

Hören wir etwas in den Medien, von Vertretern der deutschen Wirtschaft, Parteien oder vom Außenministerium? 100.000 Menschen einfach vertrieben. Wenig ist darüber zu lesen oder zu sehen, die Bilder lohnen wohl nicht und Gasgeschäfte mit Aserbaidschan scheinen wichtiger. Die Marginalisierung des Christentums schreitet auch in in Deutschland voran. So ist sogar die öffentliche Präsentation dieses Buches in Deutschland von Aserbaidschan verhindert worden.

Umso wichtiger sind die in diesem Buch versammelten Informationen, die mitten in einem aufgeklärten Europa ein treffendes Zeugnis darüber ablegen, wie wenig das Christentum und die Armenier hier noch interessieren. Hauptsache, man spielt die Europaleague im Fußball und kann dort gegen Baku antreten. Es ist mehr als traurig.