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Phoebe Caulfield

Bewertungen

Insgesamt 65 Bewertungen
Bewertung vom 18.09.2021
DAFUQ
Jarmysch, Kira

DAFUQ


gut

Hohe Erwartungen nicht ganz erfüllt

Anja Romanowa, 28, lebt in Moskau und nimmt an einer unerlaubten Demonstration gegen die Korruption in Russland teil. Dafür wird sie mit neun Tagen Arrest bestraft. In der Arrestanstalt, kein Gefängnis, trifft sie in ihrer Zelle auf eine Reihe weiterer Frauen, die dort aus den unterschiedlichsten Gründen ebenfalls einige Tage Arrest absitzen. Diese Frauen stehen für verschiedenste Milieus und Schichten im heutigen Russland. Die Schilderungen der neun Tage Arrest aus den Augen Anjas wechseln ab mit Rückblenden in ihre Jugend/Kindheit und Studienzeit. Hierüber erfahren die Leser_innen mehr über die Person Anja.

Die Geschichte, die einen Einblick in die heutige russische Gesellschaft bietet, hat mich sehr interessiert. Und das Buch versucht hier sicher auch sein bestes, quasi die Arrestzelle als russischer Minikosmos und die Rückblenden für den persönlichen Erfahrungs- und Entwicklungsweg von Anja. Allerdings fand ich es wirklich sperrig zu lesen, was in meinen Augen auch an der etwas unsauberen Übersetzung lag. Allzu oft bin ich an Worten und Formulierungen hängen geblieben, die einfach nicht zur story, den Charakteren oder der Tonalität des Buches passen wollten. Der Schreibstil erschien mir etwas hölzern oder gestelzt, wobei ich nicht sagen kann, wie dies im Original wirkt. Im Deutschen hat es mich eher kalt gelassen. Die Figuren blieben blass und zu eindimensional.

Nun mag Kira Jarmysch vielleicht eher aus dem journalistischen als dem literarischen Schreiben kommen. Wichtig finde ich trotzdem, dass sie mit dem Buch ihrer Generation eine Stimme gibt, die über die Grenzen Russlands hinaus Gehör finden kann. Man muss sich jedoch schon wirklich für das Thema „Russland heute“ interessieren, damit man beim Buch bleibt. Die Übersetzung erleichtert einem das Buch leider nicht.

Bewertung vom 03.09.2021
Die Sache mit dem dritten L / Leo und Lucy Bd.1
Elbs, Rebecca

Die Sache mit dem dritten L / Leo und Lucy Bd.1


sehr gut

Ein galaktisches Abenteuer auf „der Insel“ Köln-Chorweiler

Für Leo sind Buchstaben und Lesen eine echte Herausforderung, denn Leo ist ein „Legosteintiger“. Jedoch haben seine beste Freundin Lucy und Cornelius, ein Junge aus Leos Klasse, eine pfiffige Idee, wie sie Leo helfen können. Und so begleiten die Leser_innen die drei Helden, denn das sind sie alle drei, bei den Vorbereitungen Leos‘ für den Vorlesewettbewerb. Auf dem Weg dorthin begegnen wir nicht nur vielen weiteren Figuren aus Leos Nachbarschaft, sondern erleben auch das ein oder andere Abenteuer.

Es fällt leicht den Einstieg in die story zu finden. Kurze Sätze und kurze Kapitel ermöglichen es Kindern schnell der Handlung zu folgen und darüber selbst schnell Leseerfolge zu erreichen.
Die verschiedenen liebevollen Figuren bringen viele unterschiedliche Facetten aus dem echten Leben ins Buch. Ich persönlich fand dies fast ein bisschen zu viel – wirkte auf mich sehr betont divers, hätte es meiner Meinung nach in dieser Fülle nicht gebraucht. Auch die Hundefängergeschichte fand ich eigentlich etwas überkonstruiert, 50 Seiten weniger hätten dem Buch keinen Abbruch getan.

Besonders berührt hat mich aber die Passage in der verschiedene Figuren berichten, mit welchen Worten sie mal am schlimmsten beschimpft bzw. beleidigt wurden. Hier könnte ich mir vorstellen, dass Kinder sich gut in diese Situation hineinversetzen und Trost bzw. Unterstützung darin finden können.
Gelungen find ich das Thema Legasthenie thematisiert. Die dazu passenden Illustrationen erklären anschaulich welche Brücken sich Kinder bauen können, um den „Legosteintiger“ zu zähmen.

Eine gelungene Geschichte über Freundschaft, das Zusammenhalten und Durchhalten, und darüber, wie man den „Legosteintiger“ besiegen kann.

Bewertung vom 01.09.2021
Barbara stirbt nicht
Bronsky, Alina

Barbara stirbt nicht


ausgezeichnet

Und ganz langsam dreht sich die Geschichte …

Es ist der neue Alltag von Walter Schmidt, in den die Leser_innen langsam hineingezogen werden. Dessen Frau fällt nach Jahrzehnten für die tägliche rund-um-Versorgung aus und Walter muss sehen, wie er zurechtkommt. Die Beschreibungen über diese Misere bewegen sich zwischen urkomisch über erbarmungslos bis zutiefst traurig und berührend.
Zu Beginn meint man sich in einer harmlos-witzig und hochgradig unterhaltsamen Geschichte über einen zur Hausarbeit unfähigen und kaltschnäuzigen Rentner-Patriarchen zu befinden. Und dann beginnt Alina Bronsky ganz allmählich und behutsam diese Annahme zu drehen.
Mit großem Fingerspitzengfühl und viel Empathie erfahren die Leser_innen, welche Geschichten und Schicksale hinter den gemeinsamen Ehejahren von Barbara und Walter stecken (geprägt von Flucht, Vertreibung, Assimilation u.a.). Und wie Walter sich in diesen späten Lebensjahren auf seine ganz eigene Art bemüht, dieser, ihrer Geschichte doch noch zumindest eine gute Wendung zu geben.
Obwohl ich die Lektüre sehr genossen habe, hat mich das Ende etwas irritiert. So rührend der Part ist, wirkte er für mich etwas „angeflanscht“. Hätte das Buch meiner Meinung nach nicht gebraucht und wäre eher Material für ein weiteres.
Ein wunderbar typischer Bronsky-Roman – sehr unterhaltsam und gleichwohl mitfühlend bis in die kleinste Nebenfigur. Und dies etwa nicht durch ausufernd erklärende Szenen, sondern durch ganz präzise Worte, Dialoge und lediglich Andeutungen. Kein Mensch ist ohne Geschichte und diese kann einen auch im hohen Alter (erst) einholen.

Bewertung vom 20.08.2021
Der Brand
Krien, Daniela

Der Brand


sehr gut

ein Blick auf unsere aktuelle Gesellschaft

Habe das Buch an einem Sonntag mit Genuß "weggelesen". Ich mag die Art des Schreibens von Daniela Krien und auch ihre präzisen Beobachtungen - ob nun in der Familie oder von derzeitigen Gesellschaftsphänomenen. Im Nachgang, nachdem ich die Story hab etwas sacken lassen, erscheint mir dieses Buch leider nicht ganz so komplex wie seine Vorgänger. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass sich mit der Verkleinerung unser aller Lebensradius' durch Corona in 2020, ebenso dieses Buch auf einen engere Perspektive beschränkt.

Bewertung vom 19.08.2021
Der Mauersegler
Schreiber, Jasmin

Der Mauersegler


ausgezeichnet

eine tief berührende Geschichte und eine Sprache, die ihres gleichen sucht

Was für ein wunderschönes Buch. Nicht nur der Schutzumschlag, sondern auch die auf die Buchdeckel geprägten Mauersegler und das Lesebändchen. Hier spürt man direkt die Liebe zum Buch.

Wie schon in „Marianengraben“ ist es diese unfassbar starke, gleichzeitig zarte und unprätentiöse Sprache von Jasmin Schreiber, die mich streckenweise einfach weggeblasen hat. Die Autorin schöpft aus einem Vorrat an berührenden Naturvergleichen und -beschreibungen, wie ich sie so noch nirgends gelesen habe.
Im letzten Viertel des Buches erscheint mir diese besondere Sprache nicht mehr ganz so im Vordergrund. Das spiegelt jedoch vermutlich den Weg der Hauptfigur Prometheus (Marvin) zurück in sein Leben wider und tut der Geschichte keinerlei Abbruch.

Eine Geschichte, die sicher nicht leicht und sofort zu verdauen ist und einem streckenweise das Herz zerreißt. Menschliches Handeln kann so widersprüchlich sein („warum gute Menschen schlechte Dinge tun“) und die Konsequenzen einen zu einem gänzlich anderen Menschen werden lassen.

Mit diesem zweiten Roman überzeugt Jasmin Schreiber wieder auf voller Länge und sichert damit ihren Platz in der aktuellen Literaturlandschaft. Ihre unvergleichliche Sprache und die Geschichte berühren die Leser ganz tief.

Danke L., ohne den dieses Buch überhaupt nicht entstanden wäre.
Dieser Danksagung der Autorin kann ich mich aus vollstem Herzen anschließen.