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Benutzername: 
katharina.51
Wohnort: 
Kaiserslautern

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Insgesamt 62 Bewertungen
Bewertung vom 07.09.2020
Wundersuche
Bruckner, Thomas

Wundersuche


gut

Thomas Bruckner, studierter Sozialpädagoge, Journalist, bekannt für seine Beiträge in einschlägigen Magazinen und Zeitungen, leidenschaftlicher Sportler und Weltreisender wird von der schrecklichen Diagnose "Hirntumor" getroffen.
Dort wo die Welt Licht war, versinkt anfangs alles in Dunkelheit, Verwirrung und Ratlosigkeit. Eine Entscheidung soll getroffen werden, sofortige Operation, oder was?
Er war vor sieben Jahren auf Bitten eines Freundes mit ihm nach Brasilien gereist, zu eine Wunderheiler.
Könnte das eine Option für ihn sein? Als Journalist jederzeit, doch als Betroffener?
Er entscheidet sich für das Wagnis. Er legt sich fest für ein halbes Jahr und macht sich auf die Reise. Sein Weg führt ihn auf die Philippinen, wo er viel Hokuspokus erlebt, aber auch Erstaunliches.
Er beobachtet sich selbst bei den Heilritualen und versucht immer in erster Linie objektiver, rational denkender Beobachter zu sein.
Nach enttäuschenden Erfahrungen in Asien und Europa, geht er nach Brasilien zu dem bekannten Heiler. Wie immer steht er im Kampf mit seinem Verstand, seiner Ratio, Geist und Seele müssen sich miteinander auseinandersetzen, er muss lernen loszulassen, sich hinzugeben - und dann geschehen Dinge mit ihm.
Er hat keine Zweifel mehr an der Echtheit der mystischen Vorkommnisse, er hatte sich dem mystischen Geschehen unterworfen.
Zurück in der Heimat ist alles anders, erläßt uns teilhaben an der Akrobatik seiner Gedanken, Gefühle, Erkenntnisse und Weisheiten.
Ein klarer Weg zeichnet sich nicht ab. Auf seiner weiteren Suche reist er bis nach Afrika um Voodoo zu erkunden.
Im Laufe der Lektüre erkennt man, dass der Autor sich nicht unbelesen an sein Experiment gemacht hat.
Er glaubt an die verschiedenen Phänomene und Fähigkeiten von Wunderheilern, aber er glaubt nicht jedem der sich Wunderheiler nennt.
Er versucht mit all seinem kritischen Geist und seinen Erfahrungen die Spreu vom Weizen zu trennen.
Er mokiert sich über Esoteriker, die er nur all zu gut kennt, doch selbst betritt er den "Saal der Wesenheiten". Er will und er will nicht.
Die Krankheit läßt ihn nicht nur Verstandesmensch und kritischer Geist sein, er muss sich auch entscheiden, ob er sich hingibt oder nicht.

Thomas Bruckner schreibt in seinem bekannten unterhaltsamen Stil, es ist natürlich nichts für jedermann, doch interessant sowohl für Feinde als auch Freunde des Themas "Wunderheilung".

Noch eine Nachschrift:
Bruckner betont immer wieder seinen kritischen Verstand, den er überwinden muss, um sich mit Geistern und Dämonen einzulassen.
Nur einmal widersteht er stolz. Es ist in Ghana, wo christliche Dämonen- und Geisteraustreiber ihm eben diese austreiben wollten, und auch seine Krankheit heilen wollten
Warum hat er es ausgerechet da nicht zugelassen und ist geflohen.
Schade für ihn.
Er schreibt das Buch eines verzweifelt Suchenden.

Bewertung vom 26.08.2020
Gipskind
Kögl, Gabriele

Gipskind


sehr gut

Andrea kommt in den sechziger Jahren mit einer Fehlstellung der Hüften auf die Welt. Da man dies leider erst nach neun Monaten erkennt, hat sie eine lange Leidenszeit mit Gips, Operationen und Krankenhausaufenthalten vor sich. Zurück bleiben ihr davon ausgeprägte X-Beine, die ihre Mutter als "deine komischen Haxen" benennt.
Ihre Eltern sind Kleinbauern, die keine Zeit und kein Verständnis für ein ungewöhnliches Kind haben, Arbeit ist das was zählt.
Zum Glück gibt es da die Oma, das ist die, die auch bemerkt hat, dass bei dem Kind nur an den Beinen etwas nicht stimmt, aber nicht im Kopf.
Andrea lernt früh sprechen und sie beginnt zu fragen und zu fragen und infrage zu stellen, was die Mutter auf die Palme bringt und die Oma zum Lächeln. Sie entdeckt früh die Widersprüche zwischen Wort und Wahrheit in der Welt der Erwachsenen.
Und noch was entdeckt sie, wenn man keine Angst vor der Watschn der Mutter hat, kann man alles tun, was man möchte.
Sie entwickelt einen "Gipskopf", worunter man einen sturen Menschen mit starkem Eigenwillen versteht.
Gegen den Widerstand der Eltern, mit Hilfe einer Lehrerin schafft sie es ins Gymnasium.
Ihr eröffnen sich neue Welten, Bücher, Filme, Theater, Musik und Arthur.
Arthur ihr Freund, der nicht war wie die Bauernburschen, kam aus einer anderen Welt und es war eine Welt, die ihr gefiel, in der sie alles entdecken wollte, was es dort gab. Das tat sie!

Die Sprache der Autorin ist geradlinig, schnörkellos, prosaisch und lapidar.
Rasant wird man durch das Buch geführt und stolpert nur manchmal über österreichische Wörter, die man nicht kennt, doch trotzdem versteht.
Wer seine Jugend in den sechziger und siebziger Jahren verbracht hat, der Zeit des Umbruchs und des Paradigmenwechsels, wird sich an vieles erinnern.