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Bewertungen
Insgesamt 176 BewertungenBewertung vom 20.03.2023 | ||
Meeresrauschen, Urlaub, Sommer: Trotz der verlockenden Aussichten weigert sich der zehnjährige deutsche Waisenjunge Michael beharrlich, als seine amerikanische Adoptivmutter ihn in New York in den Zug Richtung Boston setzen will. Das traumatisierte Kind fürchtet sich vor den Tunneln und dem Fremden im Allgemeinen. Wir schreiben das Jahr 1950 und der Zweite Weltkrieg, in dem Michael seine Eltern verlor, ist noch nicht lange vorbei. Als er in Cape Cod Bekanntschaft mit der exzentrischen Künstlerin Mrs. Aitch macht, scheinen zarte Sonnenstrahlen die dunklen Wolken vertreiben zu können. Doch die Freundschaft ist fragil, denn Mrs. Aitch hadert selbst mit ihrer Existenz und mit ihrem Ehemann, dem berühmten amerikanischen Maler Edward Hopper, dessen Gemälde "Sea Watchers" übrigens auch das Cover ziert. |
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Bewertung vom 13.03.2023 | ||
Oxford, Anfang der 1960er-Jahre: Als sich die beiden zwölfjährigen Jungen Ellis und Michael erstmals begegnen, bemerken sie gleich, dass dies der Beginn einer außergewöhnlichen Freundschaft sein könnte. Den zeichnenden Ellis und den lesenden Michael eint nicht nur die Liebe zur Kunst. Vielmehr herrscht zwischen ihnen selbst eine seltsame Anziehungskraft. Und so überrascht es nicht, dass es zwei Jahre später zum ersten Kuss der beiden kommt. Mehr als 30 Jahre später sitzt Ellis in einer Art Midlife-Crisis vereinsamt in seinem Haus und blickt zurück auf diese Freundschaft, die zarte Liebe - und auf das Leben mit seiner fünf Jahre zuvor tödlich verunglückten Ehefrau Annie. Auf die lichten Tage also, die in der vorherrschenden Dunkelheit allerdings kaum Hoffnung geben... |
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Bewertung vom 16.02.2023 | ||
Irgendwo in der DDR zu Beginn der 1960er-Jahre: Der zehnjährige Hans ist ein Träumer und Einzelgänger. Sein einziger Freund ist Nachbarsjunge Karl-Georg und auch seine Eltern scheinen eher mit sich und ihren Problemen beschäftigt, als sich liebevoll um ihr einziges Kind kümmern zu können. Als der Vater beschließt, unter den vage bleibenden gesellschaftlichen Bedingungen nicht mehr weiterleben zu wollen, ändert sich für Hans alles. Denn von der Stadt ziehen sie auf eine Insel mitten in einem See. Während der Junge anfangs nur mit dem verwilderten Hund Bull Freundschaft schließt, fühlt er sich nach und nach eins mit der ansonsten unbewohnten Insel. Doch gerade, als er sein persönliches Paradies gefunden zu haben scheint, meldet sich die Schulbehörde und bestellt ihn zum Besuch der Volksschule ein... |
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Bewertung vom 30.01.2023 | ||
Es wäre aufgrund der Serienkiller-Thematik zu einfach, Bret Easton Ellis' jüngst bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen neuen Roman "The Shards" als schnöden Psychothriller zu lesen oder zu bezeichnen. Denn in dem 740 Seiten schweren Pageturner steckt so viel mehr, als man es auf den ersten Blick erwarten könnte. Bereits im Vorwort, das bis sage und schreibe Seite 24 andauert, erkennt man die große Fabulierlust des Autors, seine Liebe zum Detail, seinen Blick für vermeintliche Nebensächlichkeiten. Es soll nicht das letzte Mal sein, dass man sich während der Lektüre an Stephen Kings große Werke erinnert fühlt. Ellis betont in seinem Vorwort fast schon obsessiv, wie stark ihn die Vorkommnisse im September 1981 traumatisiert hätten und erklärt, warum er sich erst jetzt in der Lage fühle, diese Geschehnisse niederzuschreiben. Denn der Protagonist und Ich-Erzähler - und hier beginnt bereits das Verwirrspiel mit den Leser:innen - heißt eben Bret Ellis und nur "Easton" scheint einen Keil zwischen Hauptfigur und Autor treiben zu wollen. Bret ist ein Erzähler, der mit zunehmender Dauer immer paranoider und unzuverlässiger zu werden scheint. Es ist daher dringend zu empfehlen, bei der Lektüre auf jeden kleinsten Zwischenton des Erzählers zu achten, jede Äußerung gerade im Finale des Buches auf die Goldwaage zu legen. Denn ansonsten entgehen der Leserschaft möglicherweise zentrale Details. |
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Bewertung vom 10.01.2023 | ||
Als der fast 91-jährige Albert Pawlak an Heiligabend vor seinem Computer in Vancouver zusammenbricht, ist es nicht die erste lebensbedrohliche Situation, der er sich ausgesetzt sieht. Schon ein paar Jahre zuvor musste er sich nach einem Herzinfarkt einer Operation unterziehen. Doch im Vergleich zu dem Leben, das Albert führte, muten diese eigentlich doch so dramatischen Ereignisse fast unspektakulär an. Denn Albert lebte ein "Leben in vier Welten": vom Nationalsozialismus über die neu gegründete DDR, von der Flucht in die Bundesrepublik bis zur Auswanderung nach Kanada. |
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Bewertung vom 27.12.2022 | ||
Als Kapitän Marlow seinen Flussdampfer in den Kongo steuert, weiß er noch nicht, dass diese Fahrt sein bisheriges Verständnis von menschlicher Zivilisation über den Haufen werfen wird. Sein Auftrag ist es, den erfolgreichen, aber erkrankten Handelsagenten Kurtz aufzuspüren und in die Heimat zurückzubringen. Doch je tiefer der Dampfer in die afrikanische Wildnis eindringt, desto bedrohlicher wird die Reise. Marlow und seine Begleiter sehen sich mehr als einmal Angriffen vom Flussufer ausgesetzt. Doch das eigentliche Grauen lauert dort, wo Marlow es nicht erwartet hatte: im Herzen der Finsternis, dem Schrecken des englischen Kolonialismus. |
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Bewertung vom 23.12.2022 | ||
Die geheimste Erinnerung der Menschen Der junge senegalesische Autor Diégane ist auf der Suche nach sich selbst und nach dem großen Roman, der ihm den schriftstellerischen Durchbruch bringen soll. Als er in Paris die rätselhafte Schriftstellerin Siga D. trifft, hat dies für ihn weitreichende Konsequenzen. Denn Siga übergibt ihm ein Buch, das 80 Jahre zuvor den französischen Literaturbetrieb gehörig durcheinander wirbelte: "Das Labyrinth des Unmenschlichen" von T.C. Elimane, der seinerzeit zunächst als "schwarzer Rimbaud" gefeiert, kurz darauf aber als Plagiator verschmäht wurde. Der Roman und das Schicksal des verschwundenen Elimane lassen Diégane fortan keine Ruhe mehr. Und so begibt er sich auf eine weitere große Suche, die ihn in längst vergangene Zeiten und an geheimnisvolle Orte führt... |
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Bewertung vom 30.11.2022 | ||
Als der Erzähler im zarten Alter von zehn Jahren von seinem Großvater erfährt: "Dein Vater stand im Krieg auf der falschen Seite", ist das eine solch prägende Information, dass sie das weitere Leben des Jungen erheblich beeinflussen wird. Noch dazu, weil der Großvater ergänzt, er sei ein "Verräterkind". Ein Begriff, der nicht nur den Vater brandmarkt, sondern auch das Kind. Dabei hatte ihm der Vater doch ausführlich über seine Heldentaten in der französischen Résistance berichtet. Was macht es mit einem Menschen, wenn er erkennt, dass sein Vater ihn jahrelang belogen hat? Wie fühlt es sich an, ein "Verräterkind" zu sein? Darüber schreibt Sorj Chalandon in seinem neuesten gleichnamigen Roman, der in der deutschen Übersetzung von Brigitte Große jetzt bei dtv erschienen ist. Dass "Verräterkind" als Autofiktion und damit als äußerst persönliches Werk angesehen werden kann, erfahren die Leser:innen schon in der Widmung. |
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Bewertung vom 24.11.2022 | ||
Dirnen, Vagabunden, Bettler. Wer die bisherigen drei Historischen Romane von Albrecht Sommerfeldt kennt, weiß, dass sich der Hamburger Autor gern auf die Seite der Schwachen und Hilfsbedürftigen schlägt. In seinen Geschichten regieren Schmutz und Armut, manchmal auch Gewalt und ein wenig Spuk. So auch im jüngst erschienenen Erzählband "Gassengeflüster", mit dem Sommerfeldt die Pause bis zu seinem neuen, für das nächste Jahr geplanten Roman "Sold und Sühne" gewohnt kreativ und spannend überbrückt. |
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Bewertung vom 21.11.2022 | ||
Mithu Sanyal über Emily Brontë / Bücher meines Lebens Bd.2 "Out on the wily, windy moors, we'd roll and fall in green." Für nicht wenige Kinder und Jugendliche der 1970er- und 1980er-Jahre dürften diese Worte aus Kate Bushs Song "Wuthering Heights" aus dem Jahre 1978 die erste Begegnung mit einem der großen Klassiker der Weltliteratur gewesen sein. So auch für Mithu Sanyal, die in der neuen, von Volker Weidermann herausgegebenen Reihe "Bücher meines Lebens" eben jenes "Sturmhöhe" von Emily Brontë von 1847 als "lebensprägende, lebensverändernde Kraft" bezeichnet. Sanyal setzt sich in "Mithu Sanyal über Emily Brontë" äußerst intensiv und persönlich mit der früh gestorbenen Autorin und ihrem einzigen veröffentlichten Roman auseinander. Und macht ganz nebenbei Lust darauf, das Werk wieder und wieder lesen zu wollen - in möglichst vielen der zahlreichen deutschen Übersetzungen. |
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