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Benutzername: 
iGirl
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Bad Nauheim

Bewertungen

Insgesamt 147 Bewertungen
Bewertung vom 15.03.2022
Im Rausch des Aufruhrs
Bommarius, Christian

Im Rausch des Aufruhrs


ausgezeichnet

Im Galopp durch das Jahr 1923

Man muss sich schon etwas auskennen, um allen Bezüge zu politischen und kulturellen Geschehnissen komplett folgen zu können. Gut, dass es ergänzende kurze Abrisse zu den Schlüsselpersonen gibt, im umfangreichen Anhang am Ende des Buchs. Schier unglaublich scheint es mir was alles in ein einziges Jahr hinein passt. Und dennoch es ist ein Schlüsseljahr zu Hitlers Machtbestreben, der aufkommenden Deutschtümelei, bemerkenswerter Kunst, Theater&Literatur, aber auch von Kriminalität, exzessiver Bourgeoisie und verarmenden Proletariat, schnell steigender Inflation und den Ängsten der Menschen um das tägliche Überleben.

In 12 (Monats-)Episoden zeigt sich die intensive Recherchearbeit des Autors, die er in unterhaltsamer Sprache und rasanter Dichte zusammenfasst. Jeder Monat wird anschaulich durch Bilder und durch einen jeweils 1-seitigen Abriss der politischen Geschehnisse und der zunehmenden Inflation, anhand des Kaufpreises eines Brotes, eingeleitet.

Es ist mir nicht möglich mich an alle geschilderten Details dieses komprimierten Wissens um das Jahr 1923 zu erinnern, aber insgesamt konnte ich vieles Bekannte auffrischen und noch viel mehr Neues erfahren. Daher findet 'Im Rausch des Aufruhrs' in der Tat Eingang in meine 'Sachbuch-Abteilung'. Außerdem werde ich dieses schön gestaltete Buch guten Gewissens ebenso gerne verschenken, gerade angesichts des anstehenden Jahres 2023 passt dieser Rückblick auf 1923 wunderbar!

Bewertung vom 15.03.2022
Versteckt vor aller Augen
van Os, Pieter

Versteckt vor aller Augen


ausgezeichnet

Gut und Böse liegen nahe aneinander

Mala, blond, blauäugig und jüdisch. Auf ihren Erzählungen basiert dieses Buch. Es ist eine berührende, an keiner Stelle pathetische, sehr nahe gehende und gleichermaßen unglaubliche Lebensgeschichte. Mala erlebt die Judenverfolgung und Vertreibung seit frühester Kindheit, in Zeiten des 2. Weltkriegs und danach. Ihre Jugend, ihr Mut und ihre Unerschütterlichkeit halfen ihr nach vielen Jahren doch noch in ein eigenes Leben zu finden. Das Buch beruht auf in detektivischer Kleinarbeit zusammen getragenen Fakten. Malas Erzählungen wurden durch den Autor recherchiert: vor Ort, mit betroffenen Personen aus dem Umfeld, durch Gespräche mit Zeitzeugen, mittels Quellenrecherchen in Archiven und aus gefundenen Dokumenten, sowie Bezügen auf Sachbücher, die den schrecklichen Ereignissen nachgingen. Sehr beeindruckend fand ich, dass der Autor an keiner Stelle eine einseitige Anklage erhebt sondern vielmehr die Geschehnisse in einen geschichtlichen Zusammenhang stellt und die verstörenden Vorkommnisse so erklärt.

Es wurde mir wieder einmal vor Augen geführt wie sich die Geschichte im Kreis dreht. Alle töten alle, jeder vertreibt jeden und immer wieder der Versuch einer religiösen Rechtfertigung. Wann lernen wir Menschen eigentlich dazu? Die historischen Bezüge sind erschreckend realistisch. Hierzu ein Zitat aus der Schlusspassage des Buches, in denen auf das Buch 'die russische Seele' Bezug genommen wird: „Der Russe besitzt eine (…) Seele, die mit dem 'Volkscharakter' der weiter westlich lebenden Europäer unvereinbar ist. Ganz gleich, was er beteuern mag, der Russe ist auf Eroberung und Unterwerfung aus“.

Dieses Buch beschönigt und verschweigt nichts. So muss man einige Passagen der menschlichen Grausamkeit auch aushalten können. Dennoch gelingt es dem Autor in sachlicher, erzählerischer Sprache das facettenreiche Bild einer wahren Persönlichkeit zu zeichnen ohne anzuklagen oder zu verurteilen. Hervorragend!

Bewertung vom 07.03.2022
Das Bitcoin-Komplott
Brandhorst, Andreas

Das Bitcoin-Komplott


sehr gut

Die Macht-Macher
Das „Bitcoin Komplott“ ist ein rasanter Ritt gespickt durch Intrigen, Machtmenschen, Finanzgeschäfte und die Kryptowährung Bitcoin. Wer hätte es erwartet: die Mächtigen werden mächtiger, skrupelloser, gieriger – auf Kosten der 'normalen' Menschen. Man möchte laut schreien: Völker der Welt erhebet Euch!

Doch zu den Protagonist*innen: da ist Martin Freeman, Sohn eines Finanzspekulanten und seine Freundin Dakota, die Hackerin, kurze Zeit begleitet die Geschichte auch Jasmin, die etwas naive Schwester Martins. Und dann sind da 'die Sieben' Finanzhaie, die weltweit agieren und die Weltherrschaft durch geschickte Finanzmanipulationen hervorrufen wollen. Im Zentrum der Spekulation steht dabei der Bitcoin und deren mysteriöse Gründungsperson : Satoshi Nakamoto. Natürlich tummeln sich auch mehrere Geheimdienste mit unterschiedlichen Interessen und hinterlassen dabei eine Menge Tote. So beginnt eine atemlose Jagd durch undurchsichtige Verflechtungen. Wer gehört zu den Guten und wer sind die Bösen?
Es ist schon ein Wahnsinnsszenario - sieben Finanz-Personen stürzen die Welt ins Chaos. Irgendwie klingt das ja nach cooler Story, aber irgendwie eben auch beängstigend realitätsnah. Die Verknüpfung der Wirtschafts- und Finanzwelt und die verbundene Hilflosigkeit erleben wir aktuell sehr sichtbar. Und eine Handvoll Machtmenschen zieht finanzielle Vorteile daraus.

Die Geschichte ist spannend aufgebaut. Da es zahlreiche Handlungsstränge gibt und ebenso viele Akteure muss man als Lesender aufmerksam bleiben, um nichts zu verpassen. Das ist aber angesichts der Spannung auch leicht. Da Andreas Brandhorst als Spiegel-Bestseller-Autor beworben wird muss ich allerdings auch einen kritischen Punkt anmerken (ein Punkt, den ich in meiner Bewertung abziehe): die Dialoge sind teilweise etwas fad und manche Handlungen ähneln sich (immer wieder die Pistole am Kopf, die geplante Hochzeit, die vielen Billionen im Wallet und kaum sind die Protagonisten angekommen steht schon wieder ein Geheimdienst da). Gut fand ich allerdings den Hintergrund der Story, wodurch ich einiges zum Bitcoin und dem Mechanismus dahinter gelernt habe. Das regt durchaus zum Grübeln an.

Mein Fazit: 'Das Bitcoin-Komplott' lässt sich gut und schnell lesen. Ein wirklich interessantes Szenario.

Bewertung vom 24.02.2022
Pyramidenspiel
Arte, Juan

Pyramidenspiel


ausgezeichnet

Ein Szenario für die Zukunft?

'Pyramidenspiel' ist ein Buch, das man in einem Rutsch durchlesen will. Die klare Sprache und der sich (pyramidengerecht) zuspitzende Handlungsaufbau machen es bis zur letzten Seite zu einem spannenden Lesevergnügen.
Worum geht’s? Wir befinden uns im Jahr 2084. Die Welt ist gespalten in funktionierende Menschen mit implantierten Chips, gesellschaftlich anerkannt und die Chiplosen, ausgestoßen und ohne Zugang zu den Vorzügen des Systems. Allerdings zahlen die 'Gechippten' einen hohen Preis: absolute soziale Kontrolle, reduziert auf Arbeiten und Konsumieren, geringe Aufstiegschancen, Verlust der Privatsphäre. Die Macht weniger Wirtschaftsgiganten bestimmt die Regeln. Doch eine Gruppe von Rebellen will dem ein Ende setzen.

Freundschaft, Gemeinschaft, Mut, Angepasstheit, Verrat und Machtwille liegen eng beieinander. Nicht immer ist es leicht vorhersehbar wer Freund und wer Feind ist, da die verschiedenen Player durchaus eigene Interessen verfolgen. Dadurch steigt im Verlauf der Handlung ständig die Dynamik und Spannung. Das Ende ist scheint zunächst alles andere als eindeutig zu sein.

Sehr gut gefielen mir die jeweils zu Anfang der Kapitel gewählten Zitate bekannter Personen, die im jeweiligen Bezug zum Kapitel stehen. Auch gut fand ich die aktuellen Bezüge (Firmen, Produkte, Musik, Bücher, Corona, social media). Ein breites Schmunzeln hatte ich bei der Namenslotterie. Gruselig fand ich den Gedanken, dass es (wieder mal) zensierte Bücher gibt und die 'Kunst des Lesens' verloren geht. Ebenso erschreckend stelle ich mir ein Sozialrating (das in China bereits praktiziert wird) und dessen Auswüchse vor.

Mein Fazit: 'Juan Arte' ist mit seinem Debüt 'Pyramidenspiel' ein sowohl äußerst spannender als auch nachdenklich machender Roman gelungen. Eine solche Gesellschaft möchte ich mir gar nicht vorstellen - wehret den Anfängen! Dazu finden sich in dem Buch zahlreiche Denkanstöße, die den Roman von einem einfachen Krimi/Thriller unterscheiden und daher umso lesenswerter machen.

Bewertung vom 17.02.2022
Ein Präsident verschwindet / Philipp Gerber Bd.2
Langroth, Ralf

Ein Präsident verschwindet / Philipp Gerber Bd.2


sehr gut

Spionage oder Komplott?

„Ein Präsident verschwindet“ schildert das unglaubliche Geschehen um das Verschwinden Otto Johns, des Anfang der 50er Jahre amtierenden Verfassungsschutzpräsidenten. Eng und detailreich begleiten wir Lesende die Ereignisse von Johns Verschwinden am 20.07.1954 bis zur Rückkehr am 12.12.1955. Fast unglaublich, dass es sich dabei um eine wahre Geschichte handelt. Eine starke Figur ist der mit der Angelegenheit betraute Philipp Gerber. Mit eigener Kriegsvergangenheit, danach Arbeit für die Amerikaner und letztendlich gelandet beim deutschen BKA hat er Verbindungen in die höchsten politischen Kreise. Doch plötzlich ist seine Geliebte, die Journalistin Eva Herden, in die Geschichte um John verwickelt und steht unversehens als Verräterin und Mörderin unter Verdacht. Also beginnt eine rasante Jagd, flankiert von zwielichtigen Gestalten, Morden, Entführungen, Intrigen der Geheimdienste aus Ost und West.

Die Geschichte ist in solider Thriller-Art geschrieben. Viele Dialoge, schnelle Handlungswechsel, zahlreiche Strippenzieher, unvorhersehbares Ende. Zusätzlich hat der Autor detailreich recherchiert und daher eine Realitätsnähe erreicht, die mich erstaunt zurück lässt. So lange sind die 50er-Jahre nicht her und es erschreckt mich doch immer wieder welcher ämtereinnehmende Nazisumpf sich in die Nachkriegszeit hinüber gerettet hat, sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland.

Sehr gut fand ich die Zusammenfassung der Recherchen im Nachwort. Auch das Cover finde ich farblich sehr gut gestaltet, durchaus passend für die 'grün uniformierte' Zeit des Kalten Krieges. Ein kleines Schmunzeln hatte ich bei den Kapitelüberschriften, die mich an die Zeit der Schreibmaschine erinnern. Vorteilhaft ist es, wenn man ein wenig Vorwissen zum Zeitgeschehen mitbringt, da immer mal wieder Bezug auf andere Ereignisse genommen wird.

Mein Fazit: Der Thriller verbindet wahres Geschehen und Figuren der Nachkriegszeit, kalten Krieg im geteilten Berlin, politische Verwicklungen, undurchsichtig agierende Geheimdienste, Spionage, Verrat und ein wenig Liebe – und dann noch von einem Profi geschrieben.

Bewertung vom 10.02.2022
Die dritte Hälfte eines Lebens
Herzig, Anna

Die dritte Hälfte eines Lebens


ausgezeichnet

Das unerbittliche Dorf

Anna Herzig ist mit 'Die dritte Hälfte des Lebens' ein wunderbares Debüt gelungen. Sie verliert kein Wort zu viel in ihrer Geschichte um einige Leben im österreichischen Dorf Krimmwing. Schnell, teils stichpunktartig treibt sie uns Lesende durch die Leben ihrer Protagonist*innen. Es sind besondere Menschen, deren Leben miteinander verknüpft sind – natürlich, es ist ja eben leben im Dorf.
Es geht um den Seppi, der auch Peter heißt und später dann anders, der als uneheliches, ungeliebtes Kind der jungen Rosa Steinlachner geboren wird. Er, farbig, ist ein Außenseiter im Dorf, ebenso wie sein einziger Freund Frido. Und das Dorf braucht seine Außenseiter, um seinen eigenen Neid, seine Unzulänglichkeit, sein Versagen transferieren zu können. Der „El-Kah-Ih“ Rathbauer ist auch anders, aber eben anders anders, queer, und außerdem wohlhabend. Und dann ist da noch die Liesl, körperlich anders, die den Frido geheiratet hat und ihn gar nicht mehr hergeben will und außerdem ist die Liesl für das Dorf viel zu unabhängig. Doch auch den Seppi bekommt das Dorf nicht so leicht los. Ungewöhnliche Figuren, berührende Geschichte, beeindruckende Sprache.

Als Lesende war ich gefordert jedes einzelne Wort zu berücksichtigen. Eine kurze Pause der Aufmerksamkeit und Wesentliches wäre verloren, unentdeckt, unverstanden geblieben. Und doch hat es sich gelohnt, da jedes Wort eine besondere Bedeutung einnimmt und die Besonderheit seiner Figuren, deren Erleben, deren Gefühlswelt unterstreicht. Ungewöhnlich fand ich die Überschriften der kurzen Kapitel. Letztendlich machen aber auch diese einen Sinn in dieser ungewöhnlichen Geschichte ohne Anfang und ohne Ende.

Mein Fazit: Für mich ist „Die dritte Hälfte eines Lebens“ ein literarisch gelungenes Werk, das den Blick auf tradierte Denkweisen, Kopf-Schubladen und im Dorf lebende 'andere' Charaktere richtet. Irgendwie vorbei und dennoch aktueller denn je. Hervorragend gelungenes Erstlingswerk – Chapeau!

Bewertung vom 07.02.2022
Todland / Juncker und Kristiansen Bd.2
Faber, Kim;Pedersen, Janni

Todland / Juncker und Kristiansen Bd.2


ausgezeichnet

Dunkle Geheimnisse und starke Charaktere

Anfangs dachte ich es wird wieder ein Skandinavienkrimi sein im düsteren Umfeld mit Kommissaren und Kommissarinnen, die ein schweres Bündel privater Probleme mit herumschleppen und hatte mit wenig Leseüberraschung gerechnet. Aber es kam schnell anders. Die Story handelt davon, dass ein geplantes Attentat hätte verhindert werden könnte, bei dem viele Menschen ums Leben kamen. Doch Charlotte, Journalistin und Junckers Frau, erhält von einem Whistleblower darüber eine Information. Plötzlich ist gar nicht mehr klar wer davon wusste. Signe Kristiansen, ehemalige Kollegin Junckers, beschließt mit Charlotte zusammen zu recherchieren. Aber kurz darauf werden diejenigen, die Informationen über die Vertuschung liefern, ermordet und Charlotte gerät in große Gefahr. Zeitgleich wird die Leiche eines bekannten Staatsanwalts gefunden und Juncker startet mit den Ermittlungen. Schnell entspinnen sich verschiedene Handlungsfäden und es bleibt äußerst undurchsichtig wer in die Verschwörung verwickelt ist.

Als Leserin wurde ich durch 12 Tage Ermittlungsarbeit und Recherche gejagt und kam kaum zum Durchatmen vor lauter Spannung. Sehr gut hat mir die Frauenpower in der Geschichte gefallen. Die Protagonistinnen treiben die Handlung voran und arbeiten intelligent zusammen. Da sind: Charlotte und Signe, Nabiha (neue Kollegin Junckers), die Hackerin Veronika und Karoline, die feinsinnige Tochter Junckers. Sie alle tragen in ihrer besonderen Weise zur Lösung bei. Ich fand die verschiedenen Handlungsstränge sehr stark erzählt, zu den politischen Verwicklungen, den hinderlichen polizeilichen Zwängen, den dunklen Familiengeheimnissen und dem unvorhersehbaren Ende.

Mein Fazit: „Todland“ ist ein scharfsinnig geschriebener Krimi mit akzentuierten Charakteren und einer schlüssigen, handlungsreichen Geschichte. Das ist ein Buch das man guten Gewissens an Krimi-Lebhaber verschenken kann und natürlich auch sich selbst einige Stunden Lesespannung gönnen kann.

Bewertung vom 04.02.2022
Milch Blut Hitze
Moniz, Dantiel W.

Milch Blut Hitze


ausgezeichnet

Starke Charaktere mit berührenden Lebensgeschichten

Ich nehme mein Fazit hier gleich vorweg: Milch-Blut-Hitze ist ein sehr gutes Buch!
Die Autorin, Dantiel W. Moniz, gibt in 11 Kurzgeschichten beeindruckende Einblicke in Lebensgeschichten von Mädchen, Jugendlichen, Frauen, wenig Männern. Es sind starke Themen die sie ihre Protagonistinnen erzählen lässt, dabei geht es um Selbstmord, Selbstzweifel, Bigotterie, Krankheit, Schwangerschaft, Mutterrolle, Rassismus, Missbrauch, Freundschaft, Beziehung, Liebe. Ein wahrer Ritt durch menschliche Emotionen.

In den Geschichten dreht es sich nicht um die großen, bekannten, beeindruckenden Leben, sondern um die vielen normalen Menschen, eben diejenigen, die nicht mit dem 'goldenen Löffel im Mund geboren' sind, eben die, die es nicht immer einfach haben. Und es geht um starke Gefühle, um das unvergleichliche Erlebnis der Kinderfreundschaft, der Liebe, um Stolz, um das verlassen werden, um das verletzt werden, um rassistische Erfahrungen, um das Mutter werden oder sein. All das ist in einer klugen und feinsinnigen Sprache geschrieben und doch gleichermaßen mit teils schonungsloser Direktheit. So gelang es der Autorin mich als Lesende von Seite 1 an zu fesseln und intensiv an der Gedankenwelt ihrer Protagonistinnen teilhaben zu lassen.

Die Geschichten haben mich nicht unberührt gelassen. Obwohl man nur einen kleinen Einblick in die verschiedenen Leben bekommt hatte ich wirklich bei jeder Geschichte das Gefühl, dass ich mehr von den Figuren erfahren möchte, am liebsten gleich ein ganzes Buch über jeden einzelnen lesen möchte. Aber vielleicht wird Dantiel W. Moniz das ja noch machen – ein Buch zu jeder ihrer Protagonistinnen – ich würde sie alle lesen!

Bewertung vom 27.01.2022
Zusammenkunft
Brown, Natasha

Zusammenkunft


ausgezeichnet

Geschichte einer verletzten Seele

Natasha Brown kannte ich bisher nicht, bin aber überzeugt davon, dass man von ihr noch einiges hören wird. Bereits zu Beginn der Geschichte spuckt sie uns Sätze entgegen, die ihre gefühlte Erniedrigung und ihren Ekel transportieren. Reflektiert und detailliert schildert 'sie', die Protagonistin, ihre verwirrende, verstörende und schonungslose Gedankenwelt. Sie hat sich nach oben gekämpft, ist intelligent und erfolgreich und sieht sich dennoch konfrontiert mit abschätzigen Bemerkungen und 'männlichem' Verhalten ihrer Kollegen zu ihrem 'Schwarzsein' und 'Frausein'. Sie ist eine Meisterin der Verdrängung, sogar ihrer Krankheit, dem Krebs - doch zu welchem Preis? Sie schafft es mit 'ihm, dem Sohn' in den Olymp der besitzenden Weißen aufzusteigen und teilnehmen zu dürfen an der Zusammenkunft. Doch will sie das alles wirklich?

Das Buch ist ungewöhnlich geschrieben, fordert mich als Lesende zu hoher Konzentration, um den Gedankenfetzen folgen zu können und doch bleibt für mich vieles offen. Einerseits finde ich das schade, andererseits bietet es viel Raum für meine eigene Interpretation. Ich hatte das Gefühl im Kopf von 'ihr', der Protagonistin, zu sitzen und dort jedes Wort, direkt an mich gerichtet, aufzunehmen. Insgesamt ist 'Zusammenkunft' ein bedrückender, aber auf alle Fälle lesenswerter Roman, zu einem höchst aktuellen Thema unserer Zeit, betrachtet durch die Augen einer betroffenen schwarzen Frau.