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Diamondgirl
Wohnort: 
Stolberg
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 127 Bewertungen
Bewertung vom 23.02.2020
Das verschwundene Mädchen / Cold Case Bd.1
Frennstedt, Tina

Das verschwundene Mädchen / Cold Case Bd.1


sehr gut

Inhalt:
Tess Hjalmarsson arbeitet bei der schwedischen Polizei als Leiterin der Abteilung für ungeklärte Verbrechen (Cold Case). Bei dem aktuellen Fall eines Serienvergewaltigers/Mörders ergibt sich ein Zusammenhang mit einem seit 19 Jahren verschwundenen Mädchen. Im Zuge der Ermittlungen kommen Tess und ihre Kollegen unter anderem dem Vergewaltiger auf die Spur und auch das Dunkel um die verschwundene Annika lichtet sich langsam.

Schreibstil:
Der Einstieg ist spannend und es kommt glaubhaft rüber wie oft gute Polizeiarbeit aus Kleinarbeit und Faktencheck besteht. Wie das in skandinavischen Krimis häufig vorkommt, spielen auch hier die persönlichen Rahmenbedingungen der Akteure eine Rolle.
Die Personen sind glaubhaft entwickelt, wenngleich die privaten Sorgen nicht in den Vordergrund treten, sondern höchstens die Glaubwürdigkeit der beteiligten Personen erhöhen. Tess ist sehr um die hinterbliebenen Angehörigen in ihren Fällen bemüht, um ihnen endlich Gewissheit geben zu können.

Fazit:
Ein guter, klassischer Schwedenkrimi, der authentisch ist und überzeugt. Er weckt durchaus Interesse an den weiteren Fällen, hebt sich aber nicht so sehr deutlich von dem ab, was man als Lesender dieses Genres bereits kennt.

Bewertung vom 13.01.2020
Der Attentäter
Schiewe, Ulf

Der Attentäter


ausgezeichnet

Geschichte zum anfassen

Am 28.06.1914 beenden zwei Schüsse die Leben des Thronfolgers von Österreich-Ungarn, Franz Ferdinand, sowie dessen Frau, der Herzogin Sophie Chotek. Das Buch behandelt die letzte Woche vor diesem allseits bekannten Attentat in Sarajevo, das lange Zeit als Auslöser des Ersten Weltkriegs gilt, was inzwischen jedoch bezweifelt werden darf. Vermutlich war es nur der Funke, der den Kriegsausbruch beschleunigte.

Aufgebaut im Stil eines Tagebuches folgt der Leser den unterschiedlichen Stationen der Geschichte. Eingeleitet wird jeder neue Tag mit originalen Zeitungsberichten aus der Zeit. Die blutjungen Attentäter um Gavrilo Princip, die perspektivlos sind und mit ihrem steten Gefühl der Unterdrückung der Serben durch die machthabenden Österreicher ideale Voraussetzungen für Radikalisierung bieten, sind von der Richtigkeit ihres Tuns absolut überzeugt. Sie wollen Serbien befreien, Volkshelden werden und unsterblich. Allesamt vom Schicksal gebeutelt und vom Umfeld belächelt und ungeliebt sehen sie ihre große Chance, allen zu zeigen, was für tolle Hechte sie tatsächlich sind. Ihren Tod nehmen sie dabei in Kauf, da sie ohnehin krank sind und nicht mehr lange zu leben haben.

Franz Ferdinand - durch seine robuste und unbeherrschte Art nicht eben beliebt beim Volk und bei Hofe - der völlig unzeitgemäß eine Liebesheirat mit Sophie Chotek einging und diese zur geplanten Reise zum Abschluss des Militärmanövers in Bosnien mitnimmt. Eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen sie ihn überhaupt begleiten darf, da sie als nicht standesgemäße Gattin lediglich eine morganatische Ehe schließen durften. Dieser Aspekt der gegenseitigen Liebe, auch für ihre drei gemeinsamen Kinder, wird sehr schön beleuchtet. Franz Ferdinand bekommt so ein deutlich sympathischeres Antlitz als die meisten Geschichtsschreiber ihm haben zukommen lassen.

Dann gibt es noch die fiktive Figur Markovic - ein Major des Geheimdienstes, der damit beauftragt wird, unter Serben kursierende Gerüchte von einem evtl. Anschlag zu erhellen und vor allem eben jene Anschläge zu verhindern. Wir alle wissen, dass ihm das leider nicht gelingen wird.

Mir hat dieses Buch ausgesprochen gut gefallen! Eine gelungene Mischung aus Historie und Fiktion. Der stetige Wechsel der Perspektiven, der gegen Ende in gefühlt immer kürzeren Abständen erfolgt, macht es dem Leser leicht, den einzelnen Protagonisten zu folgen und annäherungsweise zu verstehen. Was einem bei den Attentätern noch recht gut gelingt stellt zumindest mich in Bezug auf die Verantwortlichen für die Sicherheit des Thronfolgerpaares vor größere Probleme. Denn trotz aller sich verdichtenden Hinweise besteht vor allem Feldzeugmeister Potiorek auf einem Besuch in Sarajevo vor reichlich jubelndem Volk - völlig die Gefahr verkennend, die sich aus einer solchen Fahrt ergibt; im offenen Fahrzeug, ohne Militär- und mit nur unzureichendem Polizeischutz.

Mit gewissen historischen Anpassungen zur Steigerung der Spannung kann ich absolut leben, zumal wenn sie nicht wirklich entscheidend für den Ausgang der Geschichte sind. So wurde die Anreise der Attentäter aus dramaturgischen Gründen in eben diese sieben Tage des Romans verlegt. Insgesamt wurden selbstverständlich die sehr gut recherchierten Fakten verwendet. Durch die Romanform bieten sich wesentlich mehr Möglichkeiten, dem Leser Geschichte näher zu bringen. Und das ist gelungen, denn spannend ist das Buch definitiv bis zum Schluss. Die Auflockerung der Story durch eine kleine Romanze des Major Markovic passt gut ins Geschehen und bietet am Ende zumindest ein ganz klein wenig Happy-End-Feeling.

Fazit: Ich habe viel gelernt! .....und es hat richtig Spaß gemacht :-)

Bewertung vom 21.10.2019
Die Ewigkeit in einem Glas
Kidd, Jess

Die Ewigkeit in einem Glas


ausgezeichnet

Ein echtes Talent!

Was bin ich froh, dass diese Frau zu schreiben begonnen hat! Schon ihre beiden vorherigen Bücher haben mich rundum begeistert und mit diesem ist es kaum anders, obwohl es dieses Mal eben doch ganz anders ist. Denn zum ersten Mal versetzt Jess Kidd uns in die Vergangenheit...
Bridie Devine ist Privatdetektivin im London des Jahres 1863. Einen speziellen Auftrag erhält sie vom Hausarzt eines Adligen, dessen Tochter Christabel unter mysteriösen Umständen entführt wurde. Überhaupt ist alles um Christabel mysteriös, denn außer dem Arzt und dessen Tochter hat noch niemand der Angestellten sie je zu Gesicht bekommen. Bridie verschafft sich unerlaubten Zutritt zu ihrem Trakt und erkennt, dass diese ein ganz besonderes Kind ist und in großer Gefahr schwebt.
Bridies Kindheit verlief recht turbulent und abwechslungsreich. Das Buch wechselt immer in verschiedenen Erzählsträngen der Gegenwart des Jahres 1863 und verschiedenen Zeiten ihrer Vergangenheit, was jedoch als Kapitelüberschrift klar zu ersehen ist. Parallel verläuft die Geschichte aus Bridies Perspektive und der der Entführer. Ein Beteiligter erzählt zudem Christabel während der Flucht Märchen, die mit und mit einiges klarer erscheinen lassen.

Jess Kidd hat das Talent, Bücher zu schreiben, die man so wirklich keinem Genre zuordnen kann. Eine wundervolle Mischung aus Kriminalfall, Mystery und ein wenig Fantasy. Wobei beides nicht im Übermaß anklingt, sodass auch schlichte Krimifans noch auf ihre Kosten kommen. Es ist der gelungene Versuch, die Gratwanderung der viktorianischen englischen Gesellschaft zwischen beginnendem Fortschritt und trotzdem noch vorherrschendem Aberglauben abzubilden.
Der Roman besitzt außerordentliche Lebendigkeit, auch wenn wie gewohnt wieder einmal ein Toter mit von der Partie ist. Gerade er bringt ordentlich Schwung und auch eine gute Prise Humor in die Story.
Ich bin überhaupt kein Anhänger von Fantasy oder gar Mystery, aber Jess Kidd reißt mich bereits nach den ersten Seiten mit in die Geschichte und mir ist völlig einerlei, ob das alles realistisch ist oder nicht. Es ist einfach gut!
Genug der Worte - selbst lesen ist hier mein finaler Tipp ;-)

Bewertung vom 16.10.2019
Blood Orange - Was sie nicht wissen
Tyce, Harriet

Blood Orange - Was sie nicht wissen


schlecht

Allison ist Anwältin, verheiratet und Mutter einer Tochter. Ihr Leben ist um Ihren Job zentriert Hier muss sie ihren ersten Mordfall vor Gericht vertreten. Mit einem ihrer Kollegen hat sie eine Affäre, die nicht wirklich gut für sie ist, aber sie schafft es nicht sie zu beenden. Genauso wenig bekommt sie ihren Alkoholkonsum in den Griff und auch das Familienleben entgleitet ihr völlig. Ihr treusorgender Ehemann kümmert sich aufopferungsvoll um die Tochter und erträgt ihre Abstürze mit scheinbar unendlicher Geduld.
Das klingt alles sehr nach Klischee und scherenschnittartigen Charakteren ohne großen Tiefgang. So ist es leider auch. Meiner Meinung nach kommt Allison von Anfang zu extrem und vor allen Dingen sehr unglaubwürdig rüber. Im Laufe des Buches gelingt es ihr die Kurve zu kriegen mit viel „zufälliger“ Hilfe von außen und am Ende ist Friede, Freude, Eierkuchen. Die im Klappentext als überraschend angekündigte Wendung ist eher von daher überraschend, da sie ziemlich an den Haaren herbei gezogen ist.
Der glaubwürdige Teil des Buches wird hier eher von den Nebenfiguren erfüllt. In diesem Fall von der Frau, die ihren Mann erstochen haben soll. Er hat sie über Jahre hinweg misshandelt. Der Kollege mit dem sie eine Affäre hat ist als Mann, der zu wissen glaubt, was Frauen "wünschen" sehr gut vorstellbar.
Fazit:
Wirklich spannend ist es nicht, die Charaktere bleiben eher flach und der Plot inklusive der Wendungen überzeugt auch nicht wirklich.

Bewertung vom 22.09.2019
Menschen neben dem Leben
Boschwitz, Ulrich Alexander

Menschen neben dem Leben


ausgezeichnet

Was hätte dieser Mann noch alles schreiben können....

In diesem Roman wird das Leben verschiedener Protagonisten im Berlin der 20er Jahre beschrieben. Der Gemüsehändler Schreiber, der einen Nebenkeller an 2 Arbeitslose für 1,50 Mark die Woche als Schlafplatz vermietet; die Arbeitslosen Fundholz und Tönnchen, die sich ihren Lebensunterhalt erbetteln müssen und schließlich den jungen Arbeitslosen Grissmann.
Grissmann lebt am Rande zur Illegalität, denn seine Gedanken kreisen ständig um evtl. Chancen, zu Geld zu kommen. An anderer Leute Geld, versteht sich, durchaus auch mittels Einbruch, Raub oder Erpressung.
Fundholz hingegen hat sich mit seiner desolaten Lage abgefunden. Er träumt schon länger nicht mehr davon, aus dieser prekären Situation heraus zu finden, sondern fristet sein Leben mit Betteleien. Als ob er nicht schon wenig genug hätte, füttert er auch noch Tönnchen mit durch, der durch eine psychische Beeinträchtigung nicht mehr für sich sorgen kann.
Es gibt noch so einige Mitwirkende, die ebenfalls ihr Päckchen zu tragen haben und für den Handlungsverlauf interessant sind. Trotz ihres trüben Tagesablaufs zieht es sie abends in den Fröhlichen Waidmann, um bei Pfefferminzschnaps, Musik und Tanz dem grauen Alltag für wenige Stunden zu entfliehen, was nicht immer reibungslos vonstatten geht.
Trotz aller Entbehrungen und Tiefschläge bleibt letztlich dennoch ein Hoffnungsschimmer in den Köpfen der Protagonisten, dass es irgendwann ja auch wieder bergauf gehen muss.

Ähnlich wie das bereits zuvor erschienene Buch "Der Reisende" hat mich sein Erstwerk "Menschen neben dem Leben" begeistert. Erzählt wird aus der dritten Person und das so gekonnt, dass ich immer wieder verwundert war, dass man einen solchen Schriftsteller so lange ignorieren konnte in Deutschland. Man ist innerhalb einer Seite in der grauen Zeit der Weltwirtschaftskrise und spürt förmlich die weitgehend vorhandene Hoffnungslosigkeit der Menschen. Boschwitz verrät uns die Gedankengänge der Protagonisten, als ob er selbst bereits in ähnlichen Situationen gewesen wäre. Aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt steuert alles auf einen Showdown im Waidmann hin, wo die Ereignisse sich quasi überschlagen.

Boschwitz Sprache hat absolut nichts antiquiertes an sich sondern könnte auch vor wenigen Jahren niedergeschrieben worden sein. An einigen Stellen war der Text sogar hochaktuell - bspw. wenn er von der Umweltbelastung des starken Verkehrs auf Berlins Straßen berichtet.
Dass ein so junger Mensch einen solch tiefen Blick auf die Gesellschaft werfen und dann auch noch derart eindrucksvoll formulieren kann, ist in meinen Augen herausragend. Als ob er gewusst hätte, dass ihm nicht viel Zeit zum schreiben vergönnt sein würde.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.09.2019
Washington Black
Edugyan, Esi

Washington Black


gut

Washington Black wächst als Sklavenjunge auf einer Plantage auf Barbados auf und erzählt in diesem Buch von seinem Leben von 1830-1836. Der Verwalter der Plantage ist ein brutaler Master, der weder mit Folter noch Hinrichtungen Probleme hat. Auch, wenn sie lediglich zur Machtdemonstration bzw. als Drohgebärde dienen. Als der Bruder des Verwalters auf der Plantage eintrifft, erbittet er sich die Arbeitskraft des kleinen Wash als Gehilfen, was ihm auch gewährt wird. Ab da hat Wash es deutlich besser als die allermeisten Sklaven der Plantage. Titch - so der Rufname des Bruders - behandelt ihn ausgesprochen gut und sorgt auch wirklich gut für ihn. Er ist dabei, eine Art Luftschiff zu bauen, das an einen steuerbaren Heißluftballon erinnert. Als ein schreckliches Ereignis Wash in Lebensgefahr bringt, beschließt Titch mit ihm in dem Luftschiff von der Insel zu fliehen.
Der Schreibstil ist einfach toll! Ich habe trotz einiger Story-Schwachpunkte dieses Buch einfach verschlungen und immer voll Ungeduld darauf gewartet, endlich weiterlesen zu dürfen. Das macht viele Ungereimtheiten und Schwächen wett. Wer Spaß an einem unterhaltsamen Abenteuerroman hat, der wird hier gut bedient. Durch den ersten Abschnitt, der sich verstärkt mit der Sklaverei beschäftigt, hat es durchaus einen gehobenen Stellenwert. Alle Folgeabschnitte hingegen sind eher Coming of Age Abenteuerroman. Nicht vom Stil her, aber vom Inhalt. Dass dieser Roman an Jules Verne erinnert, kann ich nachvollziehen. Auch da kam es nicht darauf an, wie realistisch die Geschichte war, sondern nur wie mitreißend.
Leider gibt es viele Zufälle in diesem Buch, die in der Masse etwas unrealistisch sind. Auch bleibt vieles im Unklaren. Charaktere, die sich im Buch entwickeln, verschwinden einfach auf Nimmerwiedersehen und finden nicht einmal gegen Ende des Buches auch nur Erwähnung. Obwohl manche Rolle den Lesenden so erreichte, dass man einfach wissen will, was aus ihm geworden ist. Da holt einen der größte Nachteil der Ich-Erzählung ein. Man kann immer nur sehen und hören, was der Protagonist erlebt. Der Rest bleibt im Dunkeln. Aber es gäbe sicherlich genügend Tricks, diesen Punkt zu umgehen und die Leute nicht so enttäuscht zurück zu lassen.
Das Buch erfuhr im englischsprachigen Raum viel Lob und wurde sogar Buch des Jahres. Das weckte natürlich Hoffnungen auf eine großartige Lektüre, die es leider nicht erfüllen konnte. M. E. verzettelt sich die Autorin etwas in der Geschichte. Was vielversprechend beginnt auf der Plantage im Sklavenalltag, verweilt nach der Flucht über weite Teile in einer etwas fadenscheinigen Abenteuer-Geschichte. Zuviel scheint nicht durchdacht bzw. geradezu unrealistisch.
Leider verzettelt sich die Story in Nebenschauplätzen, an denen quasi nichts passiert und alles nur so vor sich hin dümpelt, bis wieder einer der grandiosen Zufälle eintritt und sie in die nächste Richtung schubst. Der Teil auf der Plantage zeugt von Aufklärungsbereitschaft. Der Lesende erfährt viel über das Leben und Leiden der schwarzen Bevölkerung als Sklaven und auch über die Allmacht der weißen Herrschaft. Aber genügt dieser Ansatz im vielleicht ersten Viertel des Buches, es über den grünen Klee zu loben? Reicht der Beginn auf einer Sklavenplantage aus für ein Buch des Jahres? Denn was dann folgt erfüllt in meinen Augen kaum irgendeinen Anspruch sondern dient nur dem Fortkommen der teils abenteuerlichen Geschichte, die auf ein Finale zuzusteuern scheint, das am Ende gar nicht wie erwartet stattfindet. Das Ende ernüchtert auch den noch so begeistert Lesenden und lässt zumindest mich mit einigen Fragezeichen zur gelesenen Handlung zurück. Es erscheint fast so, als hätte die Autorin gewisse Punkte abarbeiten wollen, aber dann während des Schreibens vollkommen den Überblick verloren, wie sie all diese Punkte miteinander sinnbringend verknüpft bekommt.

Gestört hat mich definitiv, dass mit der Buchbeschreibung und dem Cover eine völlig falsche Erwartung an den Roman geweckt wird.

Bewertung vom 03.08.2019
Im Wald der Wölfe / Jan Römer Bd.4
Geschke, Linus

Im Wald der Wölfe / Jan Römer Bd.4


sehr gut

Ich mag seine Römer-Krimis

Jan Römer möchte eigentlich nur eine ruhige Zeit im abgeschiedenen Thüringer Frauenwald verbringen, in einer Hütte einer kleinen Ferienanlage. Dass das ein frommer Wunsch bleibt zeigt sich, als mitten in der Nacht eine blutüberströmte Frau an die Tür seiner Hütte klopft. Sie erzählt ihm von ungeklärten Mordfällen, die sich über Jahrzehnte ziehen und durch die Verwendung eines Wolf-Brandmales auf der Stirn der Getöteten miteinander verbunden scheinen. Man muss kein Hellseher sein um zu ahnen, dass Römer sich nicht heraushalten kann und die Jagd nach dem Wolf aufnimmt.

Ich mag die Romane um Jan Römer und seine Freunde Mütze und Arslan. Linus Geschke hat einen für mich ausgesprochen fesselnden, gut zu lesenden Schreibstil, ohne viel auf Action zu bauen. Die Ermittlungen sind wichtiger Bestandteil der Geschichte, aber auch der Blick hinter die Stirn des Täters.
Das Buch ist gegliedert in unterschiedliche Zeit- und Blickwinkelstränge. Man ist also immer bestens informiert, was die Vorgänge angeht. Sogar die lange zurückliegenden Ereignisse um die jeweiligen Morde werden geschildert und lassen die Lesenden das sich entwickelnde Drama miterleben.
So weit, so gut und das Buch war wirklich spannend fast bis zur letzten Seite.
Nun hatte ich, weil ich dieses Buch geschenkt bekam, kurz vorher den mir noch fehlenden 2. Band vorgenommen und muss leider sagen, dass mir dadurch einige Floskeln auffielen, die sich im jetzigen 4. Band der Reihe wiederholten. Hat man einige Monate Pause zwischen den Bänden, fällt es einem sicher nicht auf; so jedoch war ich naturgemäß vorbelastet.

Leider ging mir auch das immer wiederkehrende Hohelied auf "wahre" Freunde, absolute Verlässlichkeit dieser Freunde und grenzenloses Vertrauen in selbige irgendwann etwas auf den Wecker. Vor allem, wenn es deswegen zu unlogischen Handlungen im Roman führt. Daher gibt es von mir einen Punktabzug - zum ersten Mal bei einem Römer-Krimi.
Ich hoffe dennoch, dass es eine Fortsetzung gibt, auch wenn das Ende irgendwie in Richtung "das war's" geschrieben ist. Keine schlechte Idee, sich so alles Weitere offen zu halten. Auf jeden Fall würde ich gerne Mütze und vor allem Arslan wieder treffen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.07.2019
All die unbewohnten Zimmer
Ani, Friedrich

All die unbewohnten Zimmer


ausgezeichnet

Ein Buch wie ein Puzzle

In dem vorliegenden Buch von Friedrich Ani kann man, wenn man bereits Bücher von ihm gelesen hat, alte Bekannte treffen. Es sind Jakob Franck, der seinen Kollegen die meist unangenehme Aufgabe abnimmt die Angehörigen über den Tod des Opfers zu informieren, Tabor Süden, der gar kein Polizist mehr ist, sondern für eine Detektei nach vermissten Personen sucht, Polonius Fischer ein ehemaliger Mönch der jetzt Chef des K111 (bekannt als die 12 Apostel) ist und Fariza Nasri die nach einer langjährigen Pause wieder in den Dienst zurückkehrt.
Diese vier Ermittler arbeiten zusammen und doch jeder mit den eigenen Methoden an zwei Morden, die anfänglich nichts miteinander zu tun zu haben scheinen. Ein Polizist wird erschlagen als er zwei Kinder verfolgt, die Obst gestohlen haben und eine Frau wird auf offener Straße scheinbar ohne Motiv erschossen.
Am Anfang gibt es offensichtliche Ermittlungsansätze und Ergebnisse, aber mit jedem Kapitel kommen neue Aspekte dazu die die Situation in neuem Licht erscheinen lassen. So als hätte man in einem Puzzle ein Teil, was so aussieht als ob es passt, aber wenn man dann versucht die Lücke zu schließen, merkt man, dass da doch ein anderes hingehört.
Am Ende des Buches hat man ein stimmiges Bild über die Abläufe der Morde, die Umstände die dazu geführt haben und ein recht überraschendes Finale.
Ganz nebenbei hat man auch noch ein gesellschaftspolitisch hochaktuelles Buch gelesen, da hier u. a. Bereiche wie Migrationspolitik, Vorurteile, Rassismus, Fluch und Segen der sozialen Netzwerke, Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland etc. geschickt mit eingeflochten werden.
Der Autor schafft es mit seinem ruhigen, intensiven Erzählstil den Lesenden in seinen Bann zu ziehen und hat mich wieder einmal total gefesselt.

Fazit: Ein sehr empfehlenswertes Buch, das wesentlich mehr ist als nur ein Krimi.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.07.2019
Fünf Tage in Paris
Rosnay, Tatiana de

Fünf Tage in Paris


gut

Kurz zur Rahmenhandlung: Eine 4köpfige Familie trifft sich in Paris, um den 70. Geburtstag des Vaters und gleichzeitig den 40. Hochzeitstag der Eltern zu feiern. Die Tochter kommt aus London und der Sohn, inzwischen ein bekannter Fotograf, aus Los Angeles angereist. Die Eltern selbst wohnen auf einem ländlichen Gut, das sie wiederum von den Eltern des Vaters erbten. Die Mutter stammt aus den USA.
Genau zum Zeitpunkt der geplanten Feierlichkeiten erlebt Paris eines der schlimmsten Regenereignisse seit Beginn des 20. Jhd. und versinkt immer mehr in den Fluten der unaufhörlich steigenden Seine. Dass Vater Paul während des Essens einen Schlaganfall erleidet und auch Mutter Lauren ganz plötzlich schwer erkrankt, macht die Situation nicht einfacher.

Das hätte echt was werden können, mit dieser Konstellation. Leider übertreibt die Autorin es m. E. mit den Schicksalsschlägen. Man kommt sich vor wie in einem der Katastrophenfilme der 80er, in denen möglichst viele Protagonisten möglichst viel mitmachen müssen. Statt sich auf eine Person zu konzentrieren verstrickt sich die Autorin in zahlreichen Wollknäueln und verpasst den richtigen Zeitpunkt, sich auf 2 oder 3 Farben zu beschränken. Hinzu kommen noch unverarbeitete Erlebnisse aus der Kindheit, sodass man irgendwann gar nicht mehr weiß, welchem Protagonisten es eigentlich am schlechtesten ging in seinem Leben.
Dazu gesellen sich mehr oder weniger interessante Ausführungen, wie diese oder jene Straße von Paris überflutet aussieht und wie schlimm das alles für die Bevölkerung ist. Stimmt ja auch, aber genau die Verzweiflung dieser Menschen wird außen vor gelassen und nur nebulös angedeutet. Sie wird gerne über Fotomotive vermittelt, die der berühmte Fotograf noch neben der Sorge um Vater und Mutter mitnimmt.
Vermutlich ist das Buch für Pariskenner wesentlich interessanter, ich hingegen konnte mit den meisten Namen und Schauplätzen nicht viel anfangen und mich langweilte es insgesamt, da es mir eher als Seitenfüller erschien. Der Schreibstil ist nicht schlecht, riss mich jedoch auch nicht vom Hocker.

Achtung Spoiler:
Für meinen Geschmack hat die Autorin einfach zu viel unterbringen wollen in ihrem Roman. Zwei lebensgefährlich Erkrankte reichen nicht - jemand muss noch das aktuelle Thema Homophobie bedienen und dann muss ein Beteiligter durch einen fürchterlichen Unfall behindert geblieben sein. Ach was sag ich... Fürchterlicher Unfall alleine reicht gar nicht - das kann man noch ganz, ganz grauslig ausschmücken, sodass auch eine Phobie zurück bleibt. Und stimmt... Ist noch gar keiner fremdgegangen und häusliche Gewalt nach Alkoholmissbrauch passt sicher auch noch mit rein. Dann müsste jetzt noch jemand Suizid begangen haben, der den Beteiligten ganz nah stand. So.... jetzt ist aber alles fein komplett. Obwohl... Zeuge eines Mordes - ja das rundet das Ganze noch fein ab.
Dazu noch die stattbekannten Allerweltsprobleme (als ob das noch zählen würde) wie Vater, der nicht mit Sohn spricht; Sohn, der sich unverstanden fühlt und aus der Familie flieht; Mutter, die sich ungeliebt von Vater fühlt; Tochter, die sich nicht traut sich von ihrem Mann zu trennen; Enkeltochter, die sich um ihre Mutter kümmern muss, weil die sich nicht gegen ihren Mann wehren kann; Vater der eigentlich mit überhaupt niemandem redet außer mit Bäumen etc., etc.

Insgesamt einfach viel zu viel in eine Familie und deren Geschichte gesteckt und viel zu viel gequirlt statt ruhig fließen zu lassen. Das kenne ich deutlich besser!

Bewertung vom 01.07.2019
Die Nickel Boys
Whitehead, Colson

Die Nickel Boys


sehr gut

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Colson Whitehead bringt den Lesenden die "schöne" Welt Amerikas wieder einmal näher. Sein Roman spielt in den frühen 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Martin Luther Kings Reden beeindrucken den jugendlichen Elwood stark und er nimmt sich vieles davon zu Herzen und ist bestrebt, in dessen Sinn leben und zu kämpfen.
Obwohl erst 16, bekommt er ein Stipendium für das College. Lediglich die Anreise muss er selbst bewerkstelligen und versucht es mangels Geld per Anhalter. Leider setzt er sich genau ins falsche Auto, denn dieses ist gestohlen und er wird bei einer Kontrolle mit verhaftet und als Autodieb verurteilt. Er muss in die Besserungsanstalt Nickel Academy und seine Zukunftsträume kann er nur schwer aufrecht erhalten.
Erneut kombiniert Whitehead Fiktion und Wirklichkeit. Die im Buch geschilderte Nickel-Academy existierte nicht in Wirklichkeit, sondern lehnt sich stark an die Dozier School for Boys an, die tatsächlich in Florida existierte. Die grausame Wirklichkeit lässt sich auf der HP der Whitehouseboys im Original nachlesen. Alle Charaktere des vorliegenden Buches sind frei erfunden, was dem Wahrheitsgehalt der Vorkommnisse jedoch keinen Abbruch tut.
Nun mag man berechtigterweise feststellen, dass zumindest ähnliche Zustände zu jener Zeit auch in anderen Ländern in "Besserungsanstalten" für Jugendliche und Kinder herrschten. Dies wird sicher wahr sein und auch der Autor erwähnt hie und da, dass im Trakt der weißen Jungs ebenfalls geschuftet und gelitten wurde. Aber eben im Bereich der schwarzen besondere Ausnahmezustände herrschten. Und das hatte eindeutig rassistischen Hintergrund. Unter ähnlich schlimmen Grausamkeiten litten hierzulande z. B. Juden, in der Türkei vermutlich Kurden und Armenier, in Europa generell Roma und Sinti. Was es aber keinen Deut besser macht, denn es geht ja im Grunde nicht ausschließlich um ein Problem der Schwarzen, sondern um Rassismus im Allgemeinen.
Schwarze hatten auch in den 60ern, die so ewig ja schließlich noch gar nicht her sind, in einigen Bundesstaaten der USA einen viehähnlichen Stellenwert. War einer nicht gefügig oder gar rebellisch, versuchte man ihn gefügig zu machen und sogar auszutilgen wie ein lästiges Insekt, nur im Nickel dazu noch auf besonders grausame Weise, um die eigenen niederen Triebe noch zuvor daran zu befriedigen.
Dankbarer Weise verzichtet Whitehead auch in diesem Roman wieder auf zu viel Details und zu genaue Schilderungen. Ein solches Buch wäre für mich nur schwer erträglich, wenn ich den Protagonisten zu tief folgen würde. Er versteht es, das Unbeschreibbare anzudeuten, sodass man als Lesender trotzdem alles "versteht", jedoch eine gesunde Distanz halten kann. Ich möchte mich gar nicht mit den Protagonisten identifizieren - ich möchte sie nur beobachten und mitfühlen - nicht "mitleiden".
Der Schreibstil ist wieder hervorragend! Es macht einfach Spaß, seinen Erzählungen zu folgen, selbst wenn etwas scheinbar Belangloses geschildert wird.
Ich hoffe, dass dieses Buch, das mich gegen Ende dann auch noch richtig überraschen konnte, viele Menschen erreichen wird.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.