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R.E.R.

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Insgesamt 283 Bewertungen
Bewertung vom 25.03.2013
Nah und Fern
Sparks, Nicholas

Nah und Fern


ausgezeichnet

“Ich stelle mir das Leben gern wie einen großen Fluss vor, mit Stromschnellen und Wasserfällen. Bei jedem Menschen gibt es Phasen, in denen alles harmonisch läuft. Man sitzt in seinem Kanu, paddelt fröhlich und entspannt dahin. Die Tage vergehen, alles Notwendige wird erledigt, und irgendwie bleibt immer noch genügend Zeit für Ruhe. Aber auf einmal, ohne dass man es merkt, zieht das Tempo an, dass Wasser fließt schneller. Es ist immer noch möglich, alles zu ordnen, doch es kostet mehr Mühe. Dann kommen die Stromschnellen, und jetzt wird’s schwierig. Vielleicht wartet bei der Arbeit ein neues Projekt, vielleicht wird ein Familienmitglied krank, man zieht um, oder man verliert den Job. Gleichgültig, was die Gründe sein mögen - in solchen Zeiten ist man vor allem damit beschäftigt, sein Kanu irgendwie durch die Wellen zu steuern, ohne zu kentern.
Jeder Tag wird ein hektischer Wettlauf gegen die Uhr. Krampfhaft versucht man, allen Ansprüchen gerecht zu werden. Und dann werden die Strudel immer heftiger, immer schneller, man hat keine Wahl, als sich darauf einzustellen. Man kann nicht anders. Schnell, schnell, schnell! Und in der Ferne hört man bereits das Brausen des Wasserfalls. Da bleibt nur noch eine Möglichkeit: Man muss noch schneller paddeln. Man muss die Stromschnellen überwinden und sich irgendwie in Sicherheit bringen. Sonst gerät man in den den Sog des Wasserfalls und dann …auf lange Sicht wird man dem Wasserfall nicht entkommen. Heute weiß ich das. Das Problem war, dass ich es damals noch nicht wusste”.

Manche Bücher kommen einfach zu rechten Zeit. Als hätten sie nur darauf gewartet, genau dann aufzutauchen, wenn man sie am nötigsten braucht. Nicholas Sparks “Die Reise unseres Lebens” ist so ein Buch. Ich versprach mir davon eigentlich nur ein bisschen leichte Unterhaltung. Als ich begonnen hatte zu Lesen, wurde mir klar, dass mir hier jemand aus der Seele schrieb. Sparks hatte genau den Zustand beschrieben, indem ich mich befand. Ich konnte ich mich förmlich paddeln sehen! Ohne irgendeine Idee wie dem Wasserfall zu entkommen sei.

Das Weiterlesen brachte mir dann so etwas wie Erleuchtung. Micah, der große Bruder, sagt an einer Stelle: “Du lässt zu, dass das Leben dich kontrolliert, statt umgekehrt.” Die Entscheidung sich kontrollieren zu lassen, liegt bei jedem einzelnen, führt er dann weiter aus. Etwas ähnliches hatte ein lieber Mensch auch einmal zu mir gesagt, als während eines Kurzurlaubs berufliche Emails eintrafen: “Was würde denn schlimmes passieren, wenn du nicht reagierst?” Die Antwort lautete in diesem, wie auch sicher in den meisten anderen Fällen: NICHTS. Mir wurde plötzlich leicht ums Herz.

Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Dann ist es gut, einen anderen Blickwinkel zu wählen. Sparks geht mit seinem Bruder auf Weltreise. Das muss man sich natürlich erst einmal leisten können. Zeitlich wie finanziell. Daher ist es wohl für die meisten keine Alternative. Im “Club der toten Dichter” bittet Robin Williams als Lehrer seine Schüler auf den Tisch zu steigen, um eine andere Perspektive zu bekommen.

Ich bin weder auf Möbel gestiegen noch habe ich den Globus umrundet. Ich habe einfach das Buch zu Ende gelesen. Bin mit den beiden Brüdern von den Osterinseln, über Indien, Australien, Malta, Lima und Peru bis nach Norwegen gereist. Habe die Geschichte von Sparks (von dem ich vorher noch nie etwas gelesen hatte und auch nichts weiter lesen werde) gratis dazu serviert bekommen.

Das Buch hat mich abgelenkt, unterhalten und mir eine gehörige Portion Gelassenheit geschenkt. Ich muss zwar immer noch heftig paddeln. Aber wer muss das nicht? Die Vita des Bestsellerautoren lehrt jedenfalls eines: Es kann immer noch schlimmer kommen. Da hilft es auch nichts sich selber noch mehr unter Druck zu setzen. Optimistisch bleiben und Gott für das Danken was man hat und was gut ist, lautet die Devise. Das findet Nicholas Sparks und ich auch.

Bewertung vom 17.03.2013
Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter überlebt
Abrahamson, Emmy

Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter überlebt


ausgezeichnet

Das langgezogene “Mamaaaa, du bist so peinlich!” kennt wohl jede Mutter mit halbwüchsigen Kindern. Es ist der Ausdruck tief sitzender Sorge bzw. vorauseilender Vorsicht pubertierenden Nachwuchs, sich mit den oder durch die Eltern nicht lächerlich zu machen. Ich höre es oft und falle dabei noch nicht einmal in die Kategorie “sie befindet sich gerade in einer Hennaphase, ihre Haare sind rostrot und schulterlang, die Nägel hat sie metallicblau lackiert, und an beiden Handgelenken klimpern Silberarmbänder - eine schöne exotische Kartenlegerin, die weiß der Himmel was durch einen Fleischwolf kurbelt”. So beschreibt Alicia ihre polnische Mutter Beata.

Ich drehe nie abgelaufenes Fleisch durch den Wolf um daraus Hamburger zu machen und versuche auch nicht verschimmelten Käse, nach Abkratzen der krebserregenden Pilze in der Béchamelsauce zu verwerten. Trotzdem höre auch ich stets Klagen übers Essen. In meinem Fall wird moniert, dass die Mahlzeiten frisch und meist mit Bio Produkten zubereitet werden. Als mein Sohn einmal vor einem Teller Broccoli Pizza saß (vom Teig aus glücklichen Eiern, Vollkornmehl und gesunden Kräutern bis zum Belag aus knackigem Gemüse und Parmesan aus dem Reggio) fragte er mich, wann es bei uns endlich einmal etwas normales zu Essen gäbe. So etwas wie aufgewärmte Ravioli aus der Dose mit Cola (erwähnte ich schon, dass ich zu den Mahlzeiten zuckerfreie Getränkte reiche?), so wie bei seinem Freund. Alicia formuliert es ähnlich, nur eben anders herum!

Trotzdem ich also eigentlich auf der anderen Seite stehe, nämlich der von Beata (abgesehen von den oben genannten Einschränkungen), fand ich die Lektüre von Emmy Abrahamson von Anfang an einfach nur gut. Sehr gut sogar. Die Geschichte von Alicia, die an ihrer polnischen Mutter samt ihrer zahlreichen Verwandtschaft und allerlei sonstigen polnischen Landsleuten, Sitten und Gebräuchen schier verzweifelt ist humorvoll, kurzweilig und amüsant. Ein echtes Lesevergnügen.

Da wird die von ihrem Mann mißhandelte Cousine Silwia, samt übergewichtiger Tochter Celestyna kurzerhand aus Polen eingeschmuggelt um ihnen im schönen Schweden einen Neuanfang zu ermöglichen. Silwia entpuppt sich als kettenrauchendes Flittchen, das vom arbeiten sowenig hält wie von Körperbedeckender Bekleidung. Die dickliche Tochter klaut die Klamotten und Kassetten von Alicia und stalkt darüber hinaus Ola Olson, den bestaussehenden Jungen der Schule, den sich eigentlich Alicias beste Freundin Natalie als Mann fürs Leben auserkoren hatte. Der aber nach einem Intermezzo beim Besuch von Johannes Paul II in Schweden ein reges Interesse an der vermeintlich katholischen Alicia zeigt. Irrungen, Wirrungen und Katastrophen reihen sich aneinander. Und es ist gut, dass zumindest Beata, die resolute Recycling Köchin immer den Überblick behält.

Die Stelle in der sie Alicia aus dem Gefängnis holt und Celestyna vor demselben bewahrt, ist köstlich. “Also es war so. Die arme Celestyna ist eine liebe Verwandte, die zufällig gerade bei uns zu Besuch ist, nur für ein paar Wochen. Sie ist leider nicht ganz richtig im Kopf, weil ihre Mutter sie nicht gestillt hat, und als sie ungefähr ein Jahr alt war, hat sie sie auch noch fallen lassen. Sie dachte, sie kennt diesen Ola aus Polen, und wollte ihn nur besuchen, und was die Fahrräder betrifft, denkt sie, die seien für die Touristen da und überhaupt für alle. Nur darum hat sie eins genommen, ohne vorher zu fragen. Sie hat es nicht böse gemeint, und jetzt ist sie ganz traurig, dass sie die schwedischen Sitten so missverstanden hat. Hab ich schon erwähnt, dass ihre Mutter sie ein paar Mal hat fallen lassen, als sie noch klein war?” Das Verhör im ganzen zu Lesen lege ich hiermit jedem ans Herz.

Auch der Rest der kuriosen Geschichte verspricht reinstes Vergnügen. Das am Ende alles gut wird, steht außer Frage. Aber bis dahin, legt man dieses funkensprühende Werk nicht aus der Hand. Widerspruch zwecklos.

Bewertung vom 17.03.2013
Das Vermächtnis der Montignacs
Boyne, John

Das Vermächtnis der Montignacs


ausgezeichnet

“Sie müssen mir glauben, wenn ich sage, dass es mir unmöglich ist, die schwere Last meiner Verantwortung zu tragen und meine Pflichten als König zu erfüllen, wie ich es wünsche, wenn ich dazu nicht die Hilfe und Unterstützung der Frau habe, die ich liebe.” Mit diesen Worten beendete König Edward VIII im Dezember 1936 eine Verfassungskrise die das vereinigte Königreich seit seiner Thronbesteigung im Januar desselben Jahres in Atem gehalten hatte. Er dankte ab, um Wallis Simpson zu heiraten, eine bereits zweimal geschiedene Amerikanerin. Die Frau, die er liebte und mit der er bis zu seinem Tod 1972 zusammen lebte. John Boyne‘s “Das Vermächtnis der Montignacs” ist ein opulentes Sittengemälde dieser Zeit und ein fesselnder Krimi rund um dieses delikate historische Ereignis.

Nach alter Tradition erben in der Familie Montignac immer die männlichen Nachkommen. Owen Montignac erwartet daher nach dem Tod seines Onkels ein reicher Mann zu werden. Im Testament wird jedoch nur seine Cousine Stella berücksichtigt. Mittellos und von hohen Spielschulden gedrückt, sinnt er auf einen Weg an Geld zu kommen. Ein böser Plan nimmt tödliche Gestalt an.

“Gestalt annehmen” ist in diesem Sinne wörtlich gemeint. John Boyne ist ein sehr guter Erzähler. Die ersten Kapitel dienen ihm dazu die Handlung anzulegen. Und das ist bei ihm genau so spannend, wie im weiteren Verlauf zu sehen wie er diesen Rahmen mit faszinierenden Details und einer immer wieder überraschenden Handlung füllt.

Die Beerdigung des Onkels mit dem folgenden “Leichenschmaus” in der die ersten Ungereimtheiten die Neugier wecken. Die kühle Distanziertheit Owens zu seiner Cousine und der alten Kinderfrau beispielsweise. Oder der kaltblütige Diebstahl von hundert Pfund aus der Börse eines Trauergastes. Boyne zeigt auch ein gutes Gespür für die damalige Zeit. Man wird erinnert an Filme wie “Was vom Tage übrig blieb” wenn er für kurze Sequenzen einen Blick in die Welt der Dienstboten gewährt oder die Atmosphäre im Billardsalon schildert, wo die Männer sich zurückziehen.

Später wird man Zeuge eines Schwurgerichtsprozesses in dem Richter Roderick Bentley über das Schicksal eines jungen Mannes zu entscheiden hat, der des Mordes angeklagt ist. Bentleys Sohn Gareth ist im gleichen Alter und man kann sich bei der Urteilsverkündung schon denken, dass der Kronrichter die Entscheidung wohl noch einmal bedauern wird.

Die Zusammenhänge schälen sich langsam heraus. Wie verknüpft man die Mesalliance des englischen Königs, mit der kriminellen Energie des Kunstgaleristen Owen und der Naivität eines ebenso faulen wie einfältigen Sprösslings eines Richters? Boyne hat einen Weg gefunden. Und auch hier überzeugt das Wie. Wechselnde Schauplätze, vom vornehmen Club bis zu billigen Spelunke. Atmosphärische Studien. Jane, die Frau des Richters, die nur an Mode und ihrer gesellschaftlichen Stellung interessiert ist. Bis die Realität sie einholt, sie aber trotzdem immer die “stiff upper lipp” bewahrt.

John Boyne schafft in jedem seiner Romane, die ich bisher gelesen habe, etwas neues. In der “Junge im gestreiften Pyjama” blickt er durch die Augen eines Kindes auf das unvorstellbare Grauen eines Konzentrationslagers. Im “Jungen mit dem Herz aus Holz” lässt er eine Marionette den Sinn des Lebens erklären. Und hier schreibt er einen facettenreichen Roman, der das London von 1936 lebendig werden lässt. Eine Geschichte zu der man gerne zurückkehrt, weil man sie aufgrund lästiger Pflichten wie Büro oder Hausarbeit verlassen muss.

Für Owen scheint übrigens dasselbe zu gelten wir für König Edward VIII. Ohne die Frau die er liebt, kann auch er nicht sein, was er sich wünscht. Und so wird er zu jemand anderem. Zu jemand vor dem ihm zuweilen selber graut. Zu jemand dessen Geschichte der Leser schaudernd, aber nicht minder gespannt, folgt.

Bewertung vom 23.02.2013
Unter Haien
Neuhaus, Nele

Unter Haien


sehr gut

Nele Neuhaus begeistert seit einigen Jahren die deutsche Leserschaft mit ihren Taunus Krimis. Die Fälle um das Ermittlerduo Oliver Bodenstein und Pia Kirchhoff stehen regelmäßig an der Spitze der Bestsellerlisten. “Unter Haien” ist das erste Buch das die heutige Starautorin schrieb und für das sich seinerzeit kein Verleger fand. In einem sympathischen Vorwort erzählt Neuhaus von der Geschichte hinter der Geschichte. Wie sie diesen Thriller, der ihr so am Herzen lag, zuerst auf eigene Kosten veröffentlichte. Und sich nun freut das ihr Erstling, dank ihrer Krimis, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird. Zurecht.

Alex Sontheim ist eine junge, erfolgreiche Investmentbankerin. Als Leiterin der Abteilung M&A der Bank LMI ist sie der neue Stern am Himmel der New Yorker Finanzbranche. Auf einer Party lernt sie den mächtigen und unermesslich reichen Unternehmer Sergio Vitali kennen. Warnungen eines Kollegen und sogar des Bürgermeisters Nick Kostidis vor dem Italiener schenkt sie keine Beachtung. Bis ihr klar wird, woher der Reichtum und die Macht ihres Geliebten stammen. Als sie hinter das Geheimnis kommt, ist nicht nur Alex Leben in Gefahr.

“Unter Haien” folgt ganz der Tradition eines John Grisham. Alex Sontheim ist eine Heldin, die ähnlich wie Mitch McDeere in “die Firma” ahnungslos in kriminelle Machenschaften verstrickt wird. Mit den von ihr ausgehandelten Firmenübernahmen verdient ihre Bank Millionenbeträge, die unversteuert auf Schmiergeldkonten in einem Steuerparadies landen. Alex stößt zufällig auf dieses System. Durch die Hilfe ihres Mitarbeiters Mark und dessen Freund Oliver, einem Journalisten der sich auf Betrug mit Offshore Firmen spezialisiert hat, findet sie auch heraus wer mit dem Geld bestochen wird. Ein Korruptionsskandal auf höchster Ebene, der sich durch alle Bereiche von Polizei bis FBI, von der Stadtverwaltung bis zur Gerichtsbarkeit zieht.

Die Faszination des Buches ist der einmaligen Mischung geschuldet. Die glitzernde Welt der Reichen und Schönen, New Yorker High Society, Liebe, Lust und Leidenschaft, Intrigen, Macht, Gewalt, Korruption, Mafia, Drogenhandel sind nur einige der Themen die Neuhaus unterbringt. Die heldenhafte Unschuld der schönen Bankerin gegen das Böse verkörpert durch einen gewissenlosen Teufel im Designer Anzug. Großes Kino zwischen Buchdeckeln.

Der Roman ist ein echter Schmöker, den man nur ungern aus der Hand legt. Die Handlung ist, obgleich sie unnötige Längen hat, unglaublich spannend. Für meinen Geschmack gab es ein paar Leichen zuviel und auch die brutale Gewalt der sich Alex am Ende gegenübersieht, fand ich zu heftig. Aber darunter hat mein Gesamteindruck nicht gelitten. Ein sehr guter Thriller, dem man viele Leser wünscht, wie auch Nele Neuhaus in ihrem Vorwort ganz richtig schreibt.

12 von 17 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.02.2013
Mansfield Park

Mansfield Park


schlecht

Verfilmungen von Jane Austens Klassikern sind mittlerweile ebenso beliebt wie ihre Werke. BBC Serien und Hollywood Blockbuster liefern den Anhängern der englischen Pfarrerstochter belebte Bilder der Helden, die man schon in den Büchern liebte. Aber bei einigen filmischen Umsetzungen ist Vorsicht geboten, wie zum Beispiel in der vorliegenden Version von “Mansfield Park” aus dem Jahr 1999. Hier hat man Fanny Price Gewalt angetan.

Die Handlung des Buches wurde grausam zusammengestrichen und noch dazu mit biographischem Material aus dem Leben der Schriftstellerin verwoben. Heraus kommt ein ärgerliches Gemisch, das die ursprüngliche Handlung lediglich als Grundgerüst verwendet und deren Figuren wenig bis gar nichts mit ihren literarischen Vorbildern gemein haben.

Fanny Price, die wohl streng moralischste und vor allem schüchternste Heldin Jane Austen, wird hier zur energiegeladenen Möchtegernschriftstellerin, die den von ihr geliebten Vetter Edmund lautstark jauchzend durch das Herrenhaus jagt! Fanny Price, die den wankelmütigen Henry Crawford im Roman auch nicht auf zehn Schritte an sich herankommen lässt, um diesen nur ja nicht zu ermuntern, spaziert im Film allein mit dem Lüstling am Hafen von Portsmouth, lässt sich in aller Öffentlichkeit küssen und nimmt seinen Antrag an!

Auch wenn die Regisseurin, die gleichzeitig als Drehbuchautorin fungierte soviel Verstand besitzt diesen Fauxpas in der nächsten Szene aus der Welt zu schaffen, an diesem Film ist nichts mehr zu retten. Es ist eigentlich eine Zumutung, dass ein solches Machwerk überhaupt den Titel von Jane Austens Buch tragen darf.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.02.2013
Glits
Wolfe, Robert

Glits


ausgezeichnet

"Wir haben Max Bretter dazu befragt, einen DNA-Experten aus Leiden, er ist so eine Art Evolutionsprofessor, der auch alles über Sprache weiß. Eine gute Kombination für diese Sache, sollte man meinen. Aber sein bisheriges Fazit ist: Entweder eine einzigartige biologische Abweichung oder es kommt … nicht aus unserer Atmosphäre."

Ein Wesen, klein wie ein Zwerg, mit menschlichen Gliedmaßen die seltsam verschoben wirken und einer durchsichtigen Haut wie flüssiges Glas, hält den niederländischen Geheimdienst in Atem. Das Wesen, aufgetaucht aus dem Nichts, gibt den Experten Rätsel auf. Vor allem die Sprache lässt sich nicht entschlüsseln. Hohe singende Laute, wie der Gesang von Walen oder der Klang von Violinen unter Wasser. Lediglich einige Jugendliche verstehen das Wesen und geben ihm kurzerhand den Namen Glits. Jay und Rachel, zwei aus dieser Gruppe entwickeln jedoch ein besonderes Verhältnis zu dem Wesen. Als der ratlose Geheimdienst beschließt, das Wesen zu “beseitigen“, retten sie den Glits. Eine gefährliche Flucht auf Leben und Tod beginnt, die die Realität der Beteiligten außer Kraft setzt und den Rhythmus ihres Lebens der Figuren neu komponiert.

Ich habe das Buch in einem Rutsch gelesen, fast ohne es aus der Hand zu legen. Die fesselnde Dramaturgie hält das Adrenalin beim Lesen konstant oben. Die, überzeugend in Szene gesetzten, Ereignisse erzeugen allein durch ihre Entwicklung Spannung. Das Verschwörungsszenario des Geheimdienstes, die Versuche das Rätsel um das Wesen zu lösen, die Einbeziehung der Jugendlichen die den Glits verstehen, das daraus resultierende Echo in der Öffentlichkeit das die Existenz des Glits und die Flucht der Jugendlichen auslöst, die abenteuerliche Verfolgungsjagd.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht Jay. Ein Einzelgänger, der von seinen Mitschülern gemobbt wird, sich heimlich ritzt und am liebsten für sich alleine bleibt um Rap Songs zu komponieren. Als er vom Geheimdienst angeheuert wird, um mit dem geheimnisvollen Wesen zu kommunizieren, hält er das zunächst für einen Scherz. Durch den Kontakt mit dem Glits ändert sich seine Haltung. “Eigentlich war er nicht besonders gut darin, die Gedanken oder Gefühle anderer Menschen zu erkennen, aber jetzt ging es wie von selbst. Er sah und verstand. Vielleicht war seine Zugbrücke doch nicht ganz geschlossen. Ein kleiner Spalt, aber gerade groß genug, um zu verstehen, was in anderen vorging.”

Es sind diese treffenden Begriffe, die mir besonders gefielen. Wolfe beschreibt beispielsweise den “Schlummermodus”. Ein Zustand in dem Jay sich die meiste Zeit seines wachen Lebens befindet. Wer immer einen Teenager zu Hause hat, wird mir zustimmen, dass hier großartig beobachtet und formuliert wurde. Oder die oben beschriebene Zugbrücke. Auch hier findet Wolfe den richtigen Ausdruck. Eine Zugbrücke ist in ihrer ursprünglichen Definition eine Sicherungsvorkehrung. Ist die Brücke geschlossen, kann der Feind nicht eindringen. Jay schottet sich ab, um sich zu schützen. Durch den Glits öffnet sich diese Zugbrücke. Auch wenn es nur ein Spalt ist, er genügt.

“Niemand im Umkreis von 20 Metern war nicht beglückt von der Echtheit dieses Wesens. Beglückt von diesem Wunder, von der alles erklärenden und alles erhebenden Schlichtheit des Glits. Alle wurden an einem Punkt berührt, der seit Langem tief in Ihnen steckte”.

Robert Wolfe schafft es diesen Punkt zu berühren. Ganz einfach und schlicht, ein guter Erzähler der mit seiner Sprache Bilder schafft, die im Kopf hängen bleiben. Die alles erklären und das erhebende zeigen. Noch wichtiger aber ist: Er trifft den Nerv und den Ton derjenigen, für die das Buch bestimmt ist. Mein Teenager zu Hause hat sofort danach gegriffen. Cover und Klappentext hatten ihn neugierig gemacht und von da an, war das Lesen keine Frage mehr. Ein Schriftsteller der den “Schlummermodus” nicht nur erkennen und beschreiben kann, sondern es noch dazu schafft ihn auszuschalten, der ist wahrhaftig gut.

Bewertung vom 12.02.2013
Klack
Modick, Klaus

Klack


sehr gut

"Schließlich erspähte ich zwischen einer Mama-Puppe und einem Kinderdreirad das Päckchen mit der Aufschrift Box 620 Agfa Clack. Obwohl ich mir noch nie einen gewünscht hatte, wusste ich plötzlich, dass mir ein Fotoapparat zu meinem Glück fehlte, und zeigte darauf."

Zum Glück eines jeden Menschen gehören vor allem auch glückliche Erinnerungen. Kostbare Momente die man aufbewahrt. Im Gedächtnis, aufgeschrieben im Tagebuch oder als Bild im Fotoalbum. Markus, ein pubertierender fünfzehnjähriger, trifft unbewusst eine weitreichende Entscheidung. Von einem Freilos, dass er auf dem Ostermarkt gewonnen hat, sucht er sich als Gewinn die Kamera „Agfa Clack„. "Eine exquisite Wahl" lobt der Budenbesitzer und spornt mit den Worten: "Schießen Sie los, junger Mann" zum Fotografieren an. Und Markus lässt sich nicht lange bitten. Das erste „Opfer“ des vermeintlichen Paparazzo wird die eigene Schwester Hanna, die sich unerlaubterweise bei einem Fahrgeschäft mit "Negermusik" aufhält.

Klaus Modick ruft allein in seinem Epilog dutzende Erinnerungen an die 1960er Jahre wach. Songtitel, Werbeslogans, Kosmetikprodukte, Zeitschriften. Längst vergessen geglaubte Namen und Begriffe steigen aus den Seiten empor und kitzeln in der Nase wie der Staub der Erinnerungen den sie aufwirbeln. Modick hat sich für seinen unterhaltsamen Roman die Spanne von Ostern 1961 bis zum November 1962 ausgesucht. Ein Zeitraum der einiges bereit hält: Mauerbau, Rüstungswettlauf, Kuba Krise um nur drei der weltbewegenden Ereignisse zu nennen. Dazu kam in Deutschland die noch die Sturmflut im Winter und die Fernsehsensation „Das Halstuch“ von Francis Durbridge.

Diese epochalen Ereignisse erlebt man mit Markus bzw. anhand seiner „Schnappschüsse„ die jedem Kapitel in einem Epilog vorangestellt werden. Sehr schön gelingt so der Blick vom Großen auf das Kleine. Anhand der Fotos lässt der Autor „Erinnerungsquellen sprudeln“. Vom Checkpoint Charlie zum Stachelbeerkompott mit Schlagsahne. Von den Mauertoten zum „fernsehenden Deutschland“ mit Mettigeln und Käse-Trauben-Spießchen. Vom umschwärmten Präsidenten Kennedy zu den misstrauisch beäugten „Spagettifressern“ in der Nachbarschaft.

Ausgerechnet Clarissa, die Tochter der italienischen Gastarbeiterfamilie Tonetti, raubt Markus Herz und Verstand. Um den Enkel vor „den Zigeunern“ zu schützen, lässt die Großmutter zunächst einen Stacheldrahtzaun und später sogar eine Mauer zwischen den Grundstücken ziehen. Indes der „Checkpoint“ im Garten nutzt nicht viel und die „Flucht“ gelingt dem Jungen auf vielfältige Weise.

Es ist ein reicher Fundus, ein opulentes Album das Modick hier aufblättert. Eine Reise in die Vergangenheit unseres Landes und seiner Menschen. Im Epilog zu seinem Kapitel über „Weihnachten 1961“ schreibt der Autor: „Es gibt keine reinen Fakten der Erinnerung. Sie bleibt immer eine Konstruktion, ein Mosaik aus Beobachtungen, Reflexionen, Sprache, Bildern, Klängen, Reizen und Gefühlen, eine sich ständig verändernde, instabile Collage.“ “Klack” ist eine solche Collage, wenn auch nicht instabil und sich ständig verändernd. Humorvoll, gut formuliert, interessant und intelligent. Die feine Kunst einer bemerkenswerten Lektüre.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.02.2013
Das Schicksal ist ein mieser Verräter
Green, John

Das Schicksal ist ein mieser Verräter


ausgezeichnet

“In jeder Krebsbroschüre oder Website oder Infoseite zu dem Thema werden Depressionen als Nebenwirkung von Krebs genannt. Doch in Wirklichkeit sind Depressionen keine Nebenwirkungen von Krebs. Depressionen sind eine Nebenwirkung des Sterbens. Eigentlich ist fast alles eine Nebenwirkung des Sterbens”.

So beginnt die siebzehnjährige Hazel zu erzählen. Sie, die seit Jahren an Krebs erkrankt ist und viel über den Tod nachdenkt. Bis ihre Mutter sie zu einer Selbsthilfegruppe schickt, um mit den vermeintlichen Depressionen fertig zu werden. In der Gruppe lernt sie Augustus kennen. Ebenfalls siebzehn, ebenfalls an Krebs erkrankt, aber mit guten Heilungsaussichten. Beide verlieben sich, obwohl Hazel sich dagegen wehrt. Denn ihre Chancen gesund zu werden tendieren gegen Null. “Die Schlampe Zeit” und das “Schicksal als mieser Verräter” arbeiten gegen das junge Glück. Dennoch schaffen die beiden “ihren gezählten Tagen” eine gefühlte “Ewigkeit” abzugewinnen.

Respekt, Mitgefühl, Trauer, Freude, Rührung, Wut und Scham sind nur einige der Gefühle die John Green mit seinem Buch in mir weckte. Die Eindringlichkeit seiner Prosa hat mich wieder einmal beeindruckt. Obwohl die Sprache so zart ist, wie die Erzählerin selber. Deswegen wirkt jeder Satz. Die “metaphorische Tiefe” auszuloten ist nicht nur etwas, das Augustus brillant beherrscht, sondern vor allem sein geistiger Vater.

“Manchmal liest man ein Buch, und es erfüllt einen mit diesem seltsamen Missionstrieb, und du bist überzeugt, dass die kaputte Welt nur geheilt werden kann, wenn alle Menschen dieser Erde dieses eine Buch gelesen haben. Und dann gibt es Bücher, über die du mit niemandem reden willst, weil das Buch so besonders und kostbar und so persönlich für dich ist, dass darüber zu reden sich wie Verrat anfühlt.”

John Green hat mit “Das Schicksal ist ein mieser Verräter” ein Buch geschrieben das, wie ich finde, genau dazwischen liegt. Es kann helfen zu missionieren, über den Tod nachzudenken. Man kann daraus über den Umgang mit Todkranken lernen. Beispielsweise “nach jemandes Lebenserwartung zu fragen, ohne direkt zu fragen.” Allerdings ist es trotz aller sprachlichen Leichtigkeit ein schweres, forderndes Buch. Es fordert das Bewusstsein heraus, sich mit seinem Inhalt zu befassen. Wirklich zu befassen. Und wer denkt oder spricht schon gern vom Tod. Es kratzt auch an der Seele. Zwischen Himmel und Erde und kurz vor dem Sterben, gibt es mehr als man ahnt. John Green gewährt einen Blick darauf. Und wer lässt sich schon gern seinen Seelenfrieden rauben.

Am Ende steht kein Happy End, sondern ein Ende, dass uns alle betrifft, die wir sterblich sind. Ein Ende das einen aber auch nicht wirklich traurig zurück lässt. John Green lässt erkennen, das Liebe größer ist als der Tod. Das Liebe den Tod überdauert. Das Liebe das Leben mit dem Tod verbindet. Wer Liebe verstehen will, findet hier die Anleitung dazu.

Ich habe mit einem Zitat aus dem Buch begonnen und werde auch ans Ende eines setzen. “Peter van Houten war der einzige Mensch, der a) verstand, wie es sich anfühlt zu sterben und b) nicht gestorben war.” “Sie schaffen es in ihrem Buch, meine Gefühle zu beschreiben, bevor ich sie überhaupt habe.” Den ersten Satz schreibt Grace über ihren Lieblingsautoren Peter van Houten. Den zweiten schreibt sie an ihn. Beide Aussagen treffen für mich auch auf John Green zu.

7 von 11 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.