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Buchstabenträumerin
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Hier blogge ich über Jugendbücher und Romane der verschiedensten Genres: https://buchstabentraeumerei.wordpress.com.

Bewertungen

Insgesamt 170 Bewertungen
Bewertung vom 20.06.2019
Gold und Schatten / Buch der Götter Bd.1
Licht, Kira

Gold und Schatten / Buch der Götter Bd.1


ausgezeichnet

So ein Quatsch! Ja, das dachte ich auf den ersten Seiten von „Gold und Schatten“ von Kira Licht. Doch es kommt ein riesengroßes „aber“: Denn „Gold und Schatten“ ist SO lustig. Ich habe mich herrlich amüsiert, ich hatte einen riesigen Spaß beim Lesen dieser Geschichte. Doch nun erst einmal von Anfang an. Worum geht es? Es geht um griechische Götter, die in unserer heutigen Zeit in Paris leben. Es geht um Livia, ein 16-Jähriges Mädchen, die mit ihren Eltern erst kürzlich in die französische Hauptstadt gezogen ist und seit ihrem Geburtstag seltsame Veränderungen an sich beobachtet, die sie an ihrem Verstand zweifeln lassen. Schließlich kann sie Pflanzen reden hören! Zu allem Überfluss begegnet sie Maél, einem stets dunkel gekleideten Jungen, der ihr gehörig den Kopf verdreht und der etwas vor ihr zu verbergen scheint.

Ich muss zugeben, dieses Buch schreit förmlich nach „Klischee“ und natürlich geht es nicht ganz ohne. Die generelle Struktur der Geschichte orientiert sich stark an ähnlichen Werken des Genres. Livia ist auf den ersten Blick süß und niedlich und naiv, Maél der typische Draufgänger. Es gibt persönliches Drama, es gibt den großen Kampf Gut gegen Böse. So war ich auf den ersten Seiten tatsächlich sehr skeptisch, doch ehe ich mich versah, entdeckte ich noch weitere Facetten.

Zum einen war es ein Vergnügen, mit Livia und Maél durch die Straßen von Paris zu schlendern und den Untergrund zu erforschen. Denn Maél gehört zu den sogenannten „Cataphiles“, Menschen, die den ungesicherten Bereich des Untergrundes erforschen und dort eine Untergrund-Kultur inklusive Kunstausstellungen und Konzerten ins Leben gerufen haben. Es war enorm spannend, als Leser diese andere Welt kennenzulernen.

Darüber hinaus gibt es natürlich die Welt der griechischen Götter und die war nicht weniger interessant. Kira Licht lässt immer wieder Fakten einfließen, die ihrer Geschichte Hand und Fuß geben. Zudem charakterisiert sie ihre Götter so wunderbar herzlich, düster, schräg, amüsant und hoheitsvoll, dass man sich begeistert auf jede neue Begegnung mit einer Gottheit freut. Die Figuren trugen enorm dazu bei, dass „Gold und Schatten“ für mich ein sehr lesenswerter Roman wurde. Zudem ist Livia gar nicht so naiv, wie es anfangs den Anschein hat. Und Maél zeigt auch noch andere Seiten. Dies aber nur am Rande.

Doch was, wie bereits erwähnt, wirklich fantastisch ist, ist der Schreibstil der Autorin. Jung und spielerisch schreibt sie und jeder Schlagabtausch zwischen Livia und Maél kommt von Herzen. Sie geraten teilweise in die absurdesten Situationen und schon wird Situationskomik groß geschrieben. Sicherlich ist das Geschmackssache, nicht jeder teilt den gleichen Humor, doch meiner wurde zu 100 Prozent getroffen. Dadurch wurde der negative Beigeschmack von Kitsch und Klischee für mich so weit aufgehoben, dass ich im Grunde komplett darüber hinwegsehen konnte. Und manchmal steht einem der Sinn nach purer Unterhaltung, nicht wahr?

Fazit

„Gold und Schatten“ von Kira Licht ist ein Contemporary-Fiction Roman, der einige Klischees und bekannte Strukturen bedient. Dennoch ist es für mich kein klassischer Roman dieses Genres, um den ich üblicherweise eher einen großen Bogen mache. Diese Geschichte zeichnet sich dadurch aus, dass sie ein spannendes Thema herrlich amüsant aufbereitet. Griechische Götter in der heutigen Zeit? Da lässt sich viel draus machen. Zwei junge Menschen, die sich bis ins bodenlos gegenseitig aufziehen, nur um nicht zu zeigen, was sie wirklich füreinander empfinden? Das schreit nach schlagfertigen Dialogen. All das setzt Kira Licht auch um, glaubhaft und spielerisch, vollkommen unangestrengt und somit schlicht großartig unterhaltsam. Band 2, „Staub und Flammen“ erscheint am 30. August 2019 – die ideale Sommerlektüre, oder?

Bewertung vom 24.05.2019
Wir. Hier. Jetzt.
Tucker, K. A

Wir. Hier. Jetzt.


weniger gut

„Wir. Hier. Jetzt“ von K. A. Tucker erinnert vom Stil her stark an Colleen Hoover. Beide schreiben sie New Adult Romane, in denen es immer auch um persönliche oder familiäre Probleme und Herausforderungen geht. Dieser Roman handelt von Kacey, die mit ihrer kleinen Schwester Livie nach Miami zieht, um einen Neustart zu wagen, nachdem bei einem Autounfall ihre Eltern, ihre beste Freundin und ihr Freund starben. Sie muss der Erinnerung entkommen, dafür kämpft sie beim Kickboxen und zu diesem Zweck hat sie auch eine dicke Mauer um sich herum errichtet. Niemand kommt wirklich an sie heran. Bis auf Trent, ihr neuer Nachbar in Miami. Wird Kacey es wagen, sich ihre Gefühle für ihn einzugestehen und sich auf ihn einzulassen? Nun, geübte Leser des Genres New Adult wissen nun sicherlich schon einiges über den Handlungsverlauf. Schafft es der Roman dennoch, mich mit Besonderheiten zu überzeugen?

Im Original heißt Wir. Hier. Jetzt. „Ten Tiny Breaths“, ein Titel, den ich weitaus passender finde, da es einen sehr guten inhaltlichen Bezug gibt. Zehn kleine Atemzüge bilden einen Rahmen um die Handlung, sie fließen durch sie hindurch und sorgen am Ende für einen runden Abschluss. Denn diesen Rat hat Kacey immer von ihrer Mutter erhalten, wenn die Gefühle mit ihr durchgehen wollten. Es ist eine Erinnerung, die sie immer bei sich trägt, die aber niemals zu helfen scheinen. Vor allem nicht, wenn sie Trent gegenüber steht und er ihre Gefühle in Wallung bringt. Ein fürchterlicher Ausdruck, doch er beschreibt ihr erstes Treffen in der Waschküche tatsächlich (leider) recht gut. Da werden die starken Schultern bewundert, der Po, die langen Wimpern, die Augen und die verstrubbelten Haare. Trent ist das wandelnde, männliche New Adult Klischee. In dieser Hinsicht überrascht der Roman von K. A. Tucker also nicht. Auch die unmittelbare Anziehungskraft, obwohl beide sich gerade erst kennenlernen, ist nichts Neues.

Kacey ist da schon ein wenig untypischer. Sie ist knallhart und lässt sich nichts sagen. Statt etwas zu empfinden, spuckt sie ihrem Gegenüber lieber verbal ins Gesicht. Sie steckt voller Wut und wird angetrieben von dem eisernen Willen, dass in Miami alles besser werden wird. Darüber vergisst sie, dass Kontrolle nicht alles ist und dass sie einen wichtigen Teil von sich selbst verleugnet. Das Zusammentreffen mit Trent ist das nicht unbedingt das schlechteste, was ihr passieren konnte.

Allerdings sind mir die Begegnungen von Trent und Kacey vor allem zu Beginn zu einseitig, denn sie denken an nicht viel anderes als an Sex, insbesondere Kacey, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird. Puh. Ich weiß ja, dass sich dies im Genre als gängiger Standard etabliert hat, aber auch in diesen anderen Romanen hat mich die magnetische Anziehungskraft, die anfangs meist jeglicher kommunikativer Substanz entbehrt, bereits gestört.

Im Verlauf der Geschichte darf natürlich auch das Drama nicht zu kurz kommen. So hat nicht nur Kacey mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen, auch Trent scheint einiges zu beschäftigen. Was es damit auf sich hat, erfährt man erst recht spät und natürlich verändert sich in dem Moment der Erkenntnis alles. Teils hat mich diese Entwicklung der Story sehr berührt, allerdings empfand ich die Lösung des Konflikts dann wiederum als etwas halbgar.

Vieles in „Wir. Hier. Jetzt.“ konnte mich also leider nicht überraschen oder störte mich sogar. Es gibt aber dennoch Aspekte, die ich sehr gelungen fand. Da wären zum Beispiel Storm und Mia, Kaceys alleinerziehende Nachbarin und ihre fünfjährige Tochter. Auch der Schreibstil lässt nichts zu wünschen übrig. K. A. Tucker schreibt emotional und sie hat ein Händchen dafür, die Spannung aufrecht zu halten, so dass man das Buch ungern aus der Hand legen möchte.

Bewertung vom 11.05.2019
Ein Sommer in Brandham Hall
Hartley, Leslie Poles

Ein Sommer in Brandham Hall


ausgezeichnet

„Ein Sommer in Brandham Hall“ von L. P. Hartley ist eine Geschichte von tragischer Schönheit. Es geht um Marian, die Tochter des Herrn von Brandham Hall, und den Pächter Ted, die sich allen gesellschaftlichen Konventionen zum Trotz ineinander verliebt haben. Und es geht um den jungen Leo Colston, der seine Sommerferien auf Brandham Hall verbringt, und der dazu auserkoren wird, die heimlichen Botschaften der beiden zu übermitteln. So wird er wider besseren Wissens hineingezogen in ein Spiel von Liebe, Eifersucht und Verzweiflung.

Ein altes Tagebuch weckt Leo’s Erinnerungen an diesen verhängnisvollen Sommer im Jahr 1900, den er bislang zu vergessen suchte. Doch mit dem Aufschlagen der ersten Seite wird er mit Macht hineingezogen in die Vergangenheit, die ihn für den Rest seines Lebens verändern sollte. L. P. Hartley beschreibt die Erlebnisse seines Protagonisten sehr gefühlvoll. Er gibt sich ganz der kindlichen Naivität hin, mit der er damals allem und jedem begegnet ist. Damit einher geht der drängende Wunsch, etwas Bedeutsames leisten zu wollen, jemand Bedeutsames zu sein, nicht nur ein unwichtiges Kind. Leo möchte über sich hinauswachsen.

Dies führt dazu, dass er alles, was geschieht, durch einen fantasievoll-verklärten Schleier wahrnimmt. Er bauscht seine Funktion als Bote auf, er fabuliert sich seine eigenen Theorien zusammen über Ted und Marian, während er doch tatsächlich von den Erwachsenen als Werkzeug für ihre eigenen Zwecke benutzt wird. Der Autor zeichnet sehr präzise den Weg einer Figur, die ihr wahres Ich verleugnet, um sich neu zu erfinden, nur um am Ende auf tragische Weise zu realisieren, dass nicht nur ihr dies geschadet hat, sondern auch anderen Menschen in ihrem Umfeld.

L. P. Hartley ist sehr stark darin, der kindlichen Wahrnehmung treu zu bleiben. Als Ich-Erzähler verfälscht nichts die Erinnerungen und dadurch wirkt alles wahnsinnig echt. Als Kind erkennt Leo nur langsam, in Bruchstücken und Ahnungen, was tatsächlich während seines Aufenthalts geschieht. Ergänzt wird dies von reflektierenden Kommentaren des erwachsenen Leo. So reimt man sich als Leser schon recht früh die gesamte Bandbreite der Tragödie zusammen. Umso schmerzhafter ist es, Zeuge davon zu werden, wie sehr Leo hofft, wichtig zu sein, wie viel ihm die Rolle als Bote bedeutet, und wie stark eben diese Rolle ihn am Ende in die Verzweiflung treibt.

Ich liebe es, wie L. P. Hartley der Natur und dem Wetter symbolische Kraft verliehen hat, hier kann man seiner Interpretationslust freien Lauf lassen. Da wäre die Tollkirsche, die in einem dunklen Winkel von Brandham Hall wächst, gleichzeitig wunderschön verlockend und todbringend gefährlich. Da wäre die Hitze, die immer weiter zunimmt und Leo dazu verhilft, aus seiner Haut zu fahren, jemand anderes zu werden, wie eine Raupe, die sich zu einem Schmetterling entfaltet. Diese Metaphern und Symbole tragen enorm dazu bei, das Innenleben von Leo zu erfühlen und die emotionalen und psychischen Folgen seiner Botenrolle zu verstehen.

Fazit

„Ein Sommer in Brandham Hall“ von L. P. Hartley erzählt bedächtig, aber äußerst eindringlich von einem Jungen, der ungewollt und unwissend in die Heimlichkeiten einer verbotenen Liebe hineingezogen wird. Nichts schlimmes ahnend wird er zum Werkzeug von Erwachsenen, die ohne an mögliche Folgen zu denken, ihren Vorteil suchen. Der Roman ist kunstvoll geschrieben, sprachlich auf einem sehr hohen Niveau und reich an Symbolen. Eine Geschichte, die man nicht zum Zeitvertreib nebenher liest, sondern eine Geschichte, in der man vollends aufgehen kann, die einen einlädt, die Botengänge gemeinsam mit Leo zu gehen, die Welt mit seinen Augen zu sehen und gleichzeitig einen Blick über den kindlichen Tellerrand zu werfen und die zweite Erzählebene zu erleben. Denn Leo’s Erinnerungen sind nur die vordergründige Geschichte, dahinter tut sich eine ganze Welt an verschiedenen Figuren, Emotionen und Erfahrungen auf. Wundervoll!

Bewertung vom 28.04.2019
Der Schein
Blix, Ella

Der Schein


sehr gut

„Der Schein“ von Ella Blix, dem Pseudonym von Antje Wagner und Tania Witte, ist ein spannendes Jugendbuch und eine unterhaltsame Internatsgeschichte – mysteriös, unheimlich, humorvoll und emotional. Im Zentrum der Geschichte steht Alina, die als junges Mädchen ihre Mutter verloren hat und nun in einem Internat auf einer Ostseeinsel gestrandet ist. Sie knüpft nicht nur neue Freundschaften und schlägt sich mit Liebeskummer herum, sie beobachtet außerdem einige seltsame Dinge, unter anderem ein schwarzes Schiff, das alle zehn Jahre an der Nordküste der Insel erscheint. Mit der Kombination aus Mystery und Jugendbuch haben die Autorinnen bei mir einen Nerv getroffen, ich fühlte mich bestens unterhalten. Fasziniert war ich auch von dem Spiel mit dem Begriff „Schein“. Einerseits sind geheimnisvolle Lichterscheinungen gemeint, andererseits ist nichts so, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Lediglich im Mittelteil fand ich die Balance zwischen Internatsgeschichte und Mystery etwas unausgewogen, für jüngere Leser fällt dies aber sicherlich weniger ins Gewicht. Also: Gerne mehr davon!

Bewertung vom 24.04.2019
Too Late
Hoover, Colleen

Too Late


weniger gut

„Too Late“ von Colleen Hoover konnte mich leider nicht allzu sehr überzeugen. Die Geschichte ist wie immer sehr gut geschrieben, sie lässt sich hervorragend lesen, sie ist emotional. Was mir nicht gefiel war, dass die Figuren bis auf Asa wenig Entwicklung zeigen und sich insgesamt recht passiv und oft widersprüchlich verhalten. Besonders unangenehm fand ich aber die permanenten Sexszenen, die eingesetzt wurden um die verschiedensten Dinge zu zeigen: Wie schlecht es Sloan geht und wie sehr sie sich selbst zurücknimmt, wie sehr Luke und Sloan ineinander verliebt sind und welche kaputte Vorstellungen Asa von Liebe hat. Das war schlicht zu viel, zu heftig und meiner Meinung nach unnötig. In dieser Hinsicht ist „Too Late“ ganz anders Hoover’s übrigen Romane. Auch das Ende fällt sehr aus dem Rahmen. Das gefiel mir im Großen und Ganzen sehr gut, doch der abschließende Showdown wirkt dann wieder zu erzwungen und auf Teufel komm raus zusammengebastelt. Aber: Colleen Hoover sagt im Nachwort selbst, dass „Too Late“ ein Ausnahmewerk ist, ein nicht geplantes Buchbaby, daher Schwamm drüber und ich freue mich auf all die neuen Geschichten aus ihrer Feder.

Bewertung vom 14.04.2019
Flamingofeuer
Laura, Lay

Flamingofeuer


ausgezeichnet

Darf es literarisch im Frühling etwas verspielter sein? Vielleicht eine Kombination aus Erotik, viel Humor, Fantasie und klugem Storytelling? Dann ist „Flamingofeuer“ von Laura Lay, dem Pseudonym von Antje Wagner, exakt das richtige Buch. Leon Walsky war ein gefeierter Autor, für kurze Zeit war er wegen seines Erotikromans „Die Augenbinde“ eine Berühmtheit. Sein Folgewerk findet jedoch keine Abnehmer, er verliert alles, was er hat und lebt in einer Bruchbude. In dieser Situation erreicht ihn die Nachricht einer Unbekannten, die sich Tanja R. nennt und die ihn bittet, ihr erotische Geschichten zu schreiben, deren inhaltliche Ausrichtung sie selbst bestimmen darf. Leon lässt sich darauf ein und so beginnt ein vielschichtiger Roman, die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion verwischen, und Stück für Stück wird klar, dass Leon sich in der Vergangenheit in irgendeiner Weise strafbar gemacht hat. Was das war, bleibt bis zum Ende offen.

Nun beginnt das Spiel zwischen Tanja R. und Leon: er schreibt, sie kommentiert und fordert neue Geschichten ein. Er schreibt, sie lenkt und Leon wird, auch wenn er ihre aggressive und fordernde Art nicht leiden kann, schnell auch von ihr abhängig. Unter ihrer Führung schreibt er so intensiv und so viel, wie schon lange nicht mehr. Sie fordert ihn heraus und treibt ihn an seine Grenzen – sie beflügelt ihn und seine Fantasie. Das Hin und Her zwischen den beiden fand ich äußerst interessant, mal befremdlich, mal amüsant. Schnell wird klar, dass der ganze Roman sehr spielerisch ausgelegt ist. Die erotischen Geschichten fügen sich als einzelne Kapitel zwischen den Email-Kontakt zwischen Leon und Tanja R., Beschreibungen seines Alltags und seinen Erinnerungen an eine gewisse Laura ein. Dadurch spiegeln sie immer einen Teil von Leon’s realen Erfahrungen, Wünschen und Vorstellungen wieder.

Er schreibt sich selbst, Tanja R. und auch die geheimnisvolle Laura in seine Geschichten hinein. Ihre Personas ändern sich ständig, ebenso ihre sexuelle Identität. Sie sind mal schüchtern, mal selbstbewusst, mal dominant. Ist es zu heftig? Es gibt Szenen, in denen BDSM eine Rolle spielt, und die für einige Leser sicherlich weniger angenehm zu lesen sind. Eine Gratwanderung, die – wie ich finde – schriftstellerisch aber sehr souverän gemeistert wurde. Einerseits durch den Ton und andererseits durch die Wortwahl und die damit einhergehende Ästhetik von „Flamingofeuer“. Nie wirken die Geschichten platt oder peinlich, immer bleibt eine gewisse künstlerische Distanz bestehen.

Nichtsdestotrotz haben die Geschichten natürlich ihren Reiz. „Flamingofeuer“ fühlt sich tatsächlich wie im oben genannten Zitat an wie eine Reise. Eine Reise durch die verschiedenen Facetten und Nuancen von Erotik. Hinzu kommt der wie immer großartige Schreibstil von Antje Wagner. Sie bringt Humor in der Geschichte, wo man keinen vermuten, inklusive herzhaften Lachmomenten. Sie reichert die unscheinbarsten Momente mit Poesie und Schönheit an. Doch in erster Linie ist „Flamingofeuer“ eine lockere und leichte, aber intelligent aufgebaute Lektüre mit einer Figur, die einen ausgeklügelten Plan verfolgt, der bis zum Ende im Verborgenen bleibt. Dieser erotische Roman hält einige Überraschungen für den Leser bereit.

Fazit

Antje Wagner hat mit „Flamingofeuer“ einen fantasievollen und clever konstruierten erotischen Roman geschrieben. Anstatt peinlich oder platt zu sein, kommt er durch das schriftstellerische Können der Autorin sinnlich und humorvoll daher. Die Figuren sind ebenfalls sympathisch, Leon Walsky als Autor, der nicht an seinen ersten Erfolg anknüpfen kann, die ominöse und herrische Tanja R., die seine Geschichten lesen möchte und die geheimnisvolle Laura, mit der Leon scheinbar einmal etwas verband. Die Erotik zeigt sich in „Flamingofeuer“ in allen denkbaren Facetten, gängige Rollenbilder werden aufgelöst. Ein äußerst vergnügliches Abenteuer für neugierige Leser.

Bewertung vom 09.04.2019
Die Stille zwischen den Sekunden
Witte, Tania

Die Stille zwischen den Sekunden


ausgezeichnet

Wer gerne feinfühlige, spannende, emotionale und lebensnahe Jugendbücher liest sollte unbedingt zu „Die Stille zwischen den Sekunden“ von Tania Witte greifen. Mich hat die Geschichte komplett von den Füßen gerissen und ich bin in jeglicher Hinsicht begeistert. Die Figuren, der Schreibstil, die Story, der Spannungsbogen – alles ist rund, alles ist plausibel. Und vor allem geht einem das Schicksal jeder einzelnen Figur nahe, sei es auch die kleinste Nebenfigur. Es geht um das Leben in einer multikulturellen Großstadt, den Schulalltag, die erste Liebe, Freundschaft, Blogs und YouTube. Darüber hinaus geht es um Kriegserfahrungen, Verlust und unverarbeitete Traumata und die Folgen wie eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Schuldgefühle des Überlebenden.

Das ist natürlich viel Stoff für ein Jugendbuch, aber Tania Witte hat die Themen meinem Empfinden nach sehr feinfühlig verarbeitet und es trotz dieser Vielfalt geschafft, richtig in die Tiefe zu gehen und dort ihren Finger aufzulegen, wo es wehtut, wo es so richtig im Herzen schmerzt. Das erreicht sie, indem sie immer ganz nah an ihrer Protagonistin Mara bleibt. Es geht um ihre verwirrenden Empfindungen und nicht unmittelbar um medizinische und psychologische Fakten.

Mara ist eine äußerst interessante und vielschichtige Figur. Sie wächst in recht behüteten Verhältnissen auf. Allerdings begann sie schon früh damit, Verantwortung zu übernehmen, da ihre Mutter oft gedankenlos und zerstreut ist. Sie kocht, sie kümmert sich um den Haushalt, sie ist die zuverlässige Konstante in der Familie. Die Schule nimmt sie ernst, aber nicht zu ernst, Freundschaften pflegt sie wenige, doch die wenigen sind ihr sehr wichtig. Bei ihren Freundinnen Sirîn und Lyd kann sie Kraft tanken. Lyd ist ihr Ruhepol und Sirîn ist ihr so nah wie eine Zwillingsschwester. Gemeinsam führen sie einen Kochblog und nebenbei dient dieser Blog auch als Alibi, wenn sie immer Mittwochs heimlich in den Skaterpark gehen. Dort darf Sirîn nämlich nicht hin, strengstens verboten von ihren Eltern.

Doch mit einem Bombenattentat, dem sie auf dem Heimweg vom Skaterpark nur knapp entgeht, gerät ihr ganzes Leben aus den Fugen. Am gleichen Tag hat sich ihre Mutter verplappert und den Eltern von Sirîn verraten, dass sie nicht bei ihnen zu Hause ist. Plötzlich muss Mara nicht nur mit dem Schock des Unglücks umgehen, sondern auch damit, dass ihr der Kontakt zu ihrer Freundin beinahe vollständig verwehrt wird. Sie setzt alles daran, mit ihr zu sprechen, sie sehen zu dürfen, doch überall wird sie abgewiesen und die Eltern verhalten sich äußerst merkwürdig. Planen sie gar, Sirîn wieder in die Heimat zu schicken, nur weil sie ihnen den Skaterpark verheimlicht hatten? Noch dazu tritt auf einmal der Schulschwarm Chriso auf den Plan, der mit ihr über das Attentat sprechen möchte.

Alles im Leben von Mara ist also ziemliches Durcheinander, von ihren Gefühlen ganz zu schweigen, und dennoch liest sich „Die Stille zwischen den Sekunden“ sehr mühelos. Der rote Faden ist immer da und so wie sich Mara an bruchstückhaften Informationen festhält, so hangelt man sich auch als Leser durch die Geschichte, immer auf der Suche nach Antworten. Man fiebert mit Mara mit, bangt um Sirîn, hofft bei Chriso und wird am Ende mit einer Wendung konfrontiert, die man nicht kommen sieht.

Fazit

„Die Stille zwischen den Sekunden“ von Tania Witte packt einen von den ersten Seiten an. Bei diesem Jugendbuch blieben bei mir keine Wünsche offen: Die Figuren sind sehr authentisch und ihre Gefühle sind äußerst nachvollziehbar, der Schreibstil ist jung und frisch und die Spannung spitzt sich immer weiter zu, bis am Ende alles ganz anders ist, als man vermutet. Die Geschichte ist sehr emotional in jeglicher Hinsicht, es geht um Freundschaft und Liebe, aber auch um Verlust und die Bewältigung von Traumata. Trotz des herausfordernden Themas wirkt „Die Stille zwischen den Sekunden“ nie gestelzt oder gekünstelt, sondern immer echt und aus dem Leben gegriffe

Bewertung vom 04.04.2019
Warum die Vögel sterben
Pouchet, Victor

Warum die Vögel sterben


weniger gut

Dieser Debütroman von Victor Pouchet lässt mich mit vielen Fragezeichen zurück. Und einer gewissen Leere und einer vagen Unzufriedenheit. Leider, denn ich hatte mir sehr viel von der Geschichte erhofft. Vögel, die aus unbekannten Gründen tot vom Himmel fallen und ein Student, der sich daran macht, dieses Rätsel zu lösen? Und damit ungewollt einen Selbstfindungsprozess anstößt? Das macht neugierig!

Die Geschichte konnte mich zu Beginn begeistern, als ich noch davon ausging: es kommt etwas Ungewöhnliches und Gutes auf mich zu. Beobachtungen, die sich interpretieren lassen, und die am Ende ein zusammenhängendes Gesamtbild ergeben. Doch entweder konnte ich dieses Gesamtbild nicht sehen oder es gibt keines. Letztendlich war „Warum die Vögel sterben“ für mich nicht mehr als eine flüchtige Erscheinung ohne tieferen Sinn, ein Spiel mit Zusammenhängen, die vielleicht richtig sind, vielleicht aber auch nicht, ein Spiel mit den Erwartungen des Lesers – die bei mir am Ende nicht erfüllt wurden. Ich konnte die Intention des Autors über weite Teile nicht verstehen und am Ende wollte ich es auch nicht mehr. Mir fehlte es zu sehr an Griffigkeit und Substanz.

Autor Victor Pouchet ist zugleich der Protagonist Victor Pouchet – inwiefern die Figur am Autoren selbst angelehnt oder frei erfunden ist, bleibt ungeklärt. Er studiert, driftet aber dabei eher ziellos und, mir schien es, ein wenig unglücklich durchs Leben. Er kann sich nicht dazu aufraffen, seine Promotion zu schreiben, sein Vater und er sind einander entfremdet und überhaupt hatten sie schon immer eine schwierige Beziehung. Mit der Figur von Victor wurde ich nicht richtig warm. Er wirkt unterkühlt und nachdenklich, in sich gekehrt und deprimierend träge. Vielleicht ist dies auch dem sehr trockenen Schreibstil zu Verdanken.

Es fielen also Vögel tot vom Himmel. Und dies noch dazu im Heimatort von Victor. Und nicht nur ein Mal, sondern mehrmals entlang der Seine. Zudem spielten Vögel schon immer eine sonderbare Rolle in Victors Leben, sie haben beinahe eine symbolische Macht. Sind die herabgefallenen Vögel also ein Zeichen? Sollen sie ihm etwas über seine Kindheit und seine Beziehung zu seinem Vater sagen? Um der Sache auf den Grund zu gehen, betritt er einen Vergnügungsdampfer und schippert über die Seine. Doch kaum hat er das Schiff betreten, lässt er die Gedanken schweifen, sie mäandern im gleichen gemächlichen Tempo wie das Schiff vor sich hin. Das kann seinen Reiz haben, ich liebe Geschichten, die entschleunigen, die eine Figur zur Ruhe kommen lassen und Raum für Reflexion bieten.

Doch in „Warum die Vögel sterben“ driften die Gedanken von Victor meinem Empfinden nach zu weit fort von der Handlung. Die Geschichte verliert sich stattdessen in wenig interessanten Beobachtungen und Anekdoten. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, doch diese Ausführungen empfand ich leider als langweilig, zumal ich keinen Bezug zu Victors Leben noch zu den vom Himmel gefallenen Vögeln ausmachen konnte. Viele Leser hat eben dieses Nichtssagende und Vage begeistert, mich konnte Pouchet damit nicht kriegen.

Fazit

„Warum die Vögel sterben“ von Victor Pouchet ist ein Debütroman, mit dem ich persönlich wenig anfangen konnte. Die Geschichte liest sich anfangs gut, im Verlauf jedoch schleppender, da der Autor vermehrt Beobachtungen, Berichte und Ausführungen einschiebt, die meinem Empfinden nach nichts mit der tatsächlichen Handlung zu tun haben. Der Frage, warum die Vögel vom Himmel gefallen sind, wird wenig nachgegangen, vielmehr verliert sich der Protagonist auf der Fahrt über die Seine in seinen Gedanken. Doch auch die trugen für mich nicht dazu bei, die Geschichte anregender zu gestalten. Die Figur begibt sich zwar auf eine Reise zu sich selbst, reflektiert viel über sich und seine Familie, seine Kindheit, kommt jedoch zu keinem Schluss. Alles bleibt offen, nichts führt dazu, dass die Figur sich in irgendeiner Weise entwickelt. Oder sie tut es und mir fehlte schlicht der rechte Zugang.

Bewertung vom 31.03.2019
So sieht es also aus, wenn ein Glühwürmchen stirbt
Voß, Maike

So sieht es also aus, wenn ein Glühwürmchen stirbt


sehr gut

Dieses Buch ist keine leichte Kost. Es ist keine locker-leichte Liebesgeschichte. Es ist keine oberflächliche Romanze. „So sieht es also aus, wenn ein Glühwürmchen stirbt“ von Maike Voß ist eindringlich, intensiv und bedrückend. Es ist eine wahrhaftige Achterbahn der Gefühle. Es geht um die Freunde Leon und Viola und darum, welche Folgen eine gemeinsame Nacht haben kann. Was bedeutet das für die Freundschaft? Wie soll man damit umgehen? Vor allem aber geht es um jeweils vorangegangene Erfahrungen von Leon und Viola und welchen Einfluss diese auf ihr Leben, auf ihr Selbstbild, ihre Psyche und letztendlich auf ihre Beziehungen bzw. Beziehungsfähigkeit haben.

Viola und Leon könnten glücklich sein miteinander. Sie sind Freunde, doch beiden ist klar, dass sie mehr füreinander empfinden. Leon möchte mit ihr zusammen sein, doch Viola scheut davor zurück, regelrecht panisch nimmt sie Abstand von Leon, nachdem sie einander in dieser einen Nacht ihre Gefühle füreinander offenbarten. Eine Reaktion, die für beide ziemlich heftige Folgen hat. Viola kämpft gegen ihre Gefühle an, sie darf sich nicht verlieben, zu groß ist die Angst, verletzt zu werden. Leon hingegen sucht sie verzweifelt und droht unter der Sorge und den Selbstzweifeln zusammenzubrechen.

Lange Zeit bleibt unklar, was genau Viola und auch Leon widerfahren ist und weshalb diese Nacht und der anschließende Funkkontakt sie jeweils so sehr belastet. Doch Stück für Stück erfährt man mehr und man ahnt, was beide dazu bewegt, so zu handeln. Sie tragen Verletzungen mit sich, die sie zu Magneten machen, die einander abstoßen. Der eine will, was beim anderen den Fluchtinstinkt weckt. Der andere sehnt sich nach etwas, was er nicht haben kann. Sie lieben sich, aber sie können nicht miteinander, zu schwer wiegen die Erfahrungen, die sie in ihrem Leben gemacht haben.

Ich fand der ernsten Ansatz von „So sieht es also aus, wenn ein Glühwürmchen stirbt“ sehr gut. Es ist angenehm, eine Geschichte zu lesen, die Liebe auf eine realistische Weise kompliziert darstellt. Kein Bad Boy-Gehabe, kein Kitsch, schlicht zwei junge Erwachsene, die versuchen, im Leben klarzukommen, nachdem sie bittere Erfahrungen gemacht haben. Maike Voß beschreibt die Emotionen und Gedanken von Leon und Viola sehr bildhaft, reichlich Metaphern lassen nachempfinden, wie es in den Herzen und Köpfen der beiden aussieht. Man leidet so sehr mit ihnen und man hofft auf ein glückliches Ende – gönnen würde man es ihnen.

Angesichts der Intensität der Gefühle wurde es mir zwischenzeitlich zu anstrengend, ich fühlte mich gefangen in dieser vertrackten Situation. Passt natürlich hervorragend zur Geschichte, doch leicht machte es das Lesen bisweilen nicht. Das sollte man wissen, ehe man sich auf das Buch einlässt.

Weitere Themen, die Maike Voß aufgreift sind: der Tod der Eltern und die damit einhergehende Trauer, Verlustangst, Missbrauch. Dies alles hat Leon und Viola geprägt und sie zu den Menschen gemacht, die sie in der Geschichte sind. Gebrochene Menschen, die ein wenig den Glauben an das Gute im Menschen und das Schöne im Leben verloren haben. Wie bereits gesagt, es ist keine leichte Kost. Mich hat das Buch fertig gemacht, vor allem das Ende. Es ist aufreibend, sich mit den Ängsten und Sorgen von Viola auseinanderzusetzen und es ist herzzerreißend mitzuerleben, wie Leon leidet.

Fazit

„So sieht es also aus, wenn ein Glühwürmchen stirbt“ von Maike Voß ist keine romantische Liebesgeschichte, es ist ein knallhartes Jugendbuch über zwei Jugendliche, die im Leben schlechte Erfahrungen gemacht haben und unter diesen leiden. Sie lieben sich, drohen aber an dieser Liebe zu zerbrechen. Maike Voß beschreibt dies klar und direkt, dabei aber immer sehr bildhaft. Mich hat die Geschichte extrem mitgenommen, manchmal wurde es schier unerträglich. Kurz gesagt: Haltet euch fest, das Buch ist richtig gut, aber heftig.