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Top-Rezensenten Übersicht

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Gurke
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Berlin

Bewertungen

Insgesamt 160 Bewertungen
Bewertung vom 10.01.2014
Hundherum glücklich
Andeck, Mara

Hundherum glücklich


ausgezeichnet

„Der Hund braucht sein Hundeleben. Er will zwar keine Flöhe haben, aber die Möglichkeit sie zu bekommen.“ (Robert Lembke)

..die Autorin Mara Andeck weiß das, und nimmt uns Leser, die zum Großteil vermutlich ebenfalls Hundemenschen sind, auf humorvolle, aber immer auch informative Weise mit auf eine Reise durch alle Facetten des menschlichen Lebens – angefangen bei Haus, Genen und Kultur, sowie etwas abstrakt in den Himmel und über den Mond zurück in die Zukunft.

Dabei darf man bei „Hundherum glücklich“ nicht mit dem Anspruch herangehen, dass hier ein Ratgeber für schwer erziehbare Fellnasen mit den neuesten Trick aufwartet, denn davon ist der Markt allmählich wirklich gesättigt. Der Bastei Lübbe Verlag hat mehr einem „Bello Allzweckbuch“ die Chance gegeben, welches sich von Hundehaufen zu Hundegedicht und schließlich Hundeklonen zu meinem ersten Highlight in diesem Jahr gemausert bzw. gehundet hat.

Es würde leider schlichtweg den Rahmen einer Rezension sprengen, wenn ich hier alles aufzählen wollte, was mich an diesem Buch bewegt, beeindruckt und berührt hat, denn tatsächlich werden all diese Emotionen von der Schriftstellerin bedient – eben alle jene Gefühle, die man auch als Tierhalter täglich durchlebt.
Um zwei Beispiele zu nennen, fällt mir die Erfindung des „Ash Poopie“ ein, welches von einem israelischen Unternehmen entwickelt wurde, um den Kot der Canis lupus familiaris richtiggehend in Staub verfallen zu lassen oder Laika, der erste Hund im Weltall, der leider durch voreiligen Menschenentschluss verglüht ist.
Auf den ersten Blick sind viele Dinge davon unnützes Wissen, aber viele Fragen („Wie backe ich einen schmackhaften und gesunden Hundekeks?“, „Was sind die Vorteile eines Rassehundes gegenüber eines Mischlings und umgekehrt?“, etc.) habe ich mir selbst schon häufig gestellt. Dafür wäre ich im Freundeskreis vielleicht nur milde belächelt worden, nun habe ich aber endlich ein Sammelwerk mit dem gewissen Wuff gefunden, dass ich uneingeschränkt empfehlen kann. Und wieder einmal zeigt sich, dass egal wie wenig Geld man hat, ein treuer Begleiter (sowie ein tolles Buch) das höchst Glück der Welt ist.

Bewertung vom 10.01.2014
Wenn der Tod lachen könnte

Wenn der Tod lachen könnte


sehr gut

In der Jugend verschwenden wir kaum einen Gedanken an das Ende unserer Lebenszeit, dann lassen wir uns von zahlreichen Blockbustern bzw. Krimis & Thrillern mit den verschiedenen und grausamen Tötungsmethoden unterhalten. Im Alter versuchen wir mit allerlei Medikamenten den körperlichen Verfall aufzuhalten, bis am Schluss uns doch der Sensenmann zu sich ruft – mit einem breiten Lächeln auf den totenköpfigen Lippen.

„Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“ (Mahatma Gandhi)

Welch makaberen Humor der Tod sich über die Jahrmillionen angeeignet hat, davon können wir uns in dieser Anthologie mit 25 Kurzkrimis überzeugen, denn sein Spektrum ist weit und böse und manchmal auch von Misserfolg begleitet, was dann wiederum andere zum Schmunzeln bringt.

An manchen Stellen fehlte mir allerdings die Kreativität, weil der Killer für meinen Geschmack zu oft durch einen simplen Tauschtrick zum Opfer wurde, der auch mit unterschiedlichen Personen aus verschiedenen Berufskreisen nicht aufregender beim fünften Mal wurde.

Die Herausgeberin Sophie Sumburane hatte aber auch ein Gespür für den Exitus par excellence! Meine Favoriten waren eindeutig „Gottes Ohr“ von Petra Tessendorf – wenn ein Blitz nicht nur erleuchtet und dazu in kreativer Tagebuchform verfasst; „Mabel's Sweetest“ von Christiane Nitsche – wenn Selbstgemachtes nicht immer gesünder ist; und „Irgendwann sieht mir jeder ins Auge“ von Eva Lirot – ein Monolog mit dem dunklen Fürsten und einer großen Portion Spaßfaktor.

Andere Geschichten waren bis zur Auflösung auch sehr interessant und obendrein stilistisch mit einem gelungenen Schreibstil abgerundet, wie beispielsweise „Flederfanten“ von Marie Schmidt – wenn der Alltag so trist ist, dass die Traumwelt (fast) real wird; oder „Fehlgriff“ von Andreas Sturm - wenn Rache nicht immer süß ist; und „Mörderischer Valentin“ von Mandy Kämpf – wenn Eifersucht unerträglich wird, die es dann aber auf Grund kleiner Schwächen nicht in meine persönliche Top 3 geschafft haben.

Nicht immer waren die Pointen gelungen, vor allem wenn auf knappen Raum mehr Platz für unnötige Details, als für eine hilfreiche Erklärung verwendet wurde, die selbst mit der gemeinsamen Recherche in einer Leserunde nicht zu knacken waren. Summa summarum ergibt sich daraus ein ordentliches vier Sterne Buch und die intensive Bekanntschaft mit dem Tod, der fair, fies, freundlich und furchtbar flink sein kann.

Bewertung vom 02.01.2014
Die Kälte in dir / Kristina Reitmeier Bd.1
Kern, Oliver

Die Kälte in dir / Kristina Reitmeier Bd.1


sehr gut

Der Sommer hat Stuttgart fest in seinem Griff und lässt die ganze Umgebung gnadenlos schwitzen. Natürlich hat auch die Polizei mit der Schwüle zu kämpfen, deren Reserven sowieso schon auf Sparflamme laufen, da viele Kollegen den verdienten Urlaub angetreten haben. Für die „Soko Hitze“, welche sich mit einem Serientäter befassen muss, der es vordergründig auf das Bauchfett seiner Opfer abgesehen hat, bekommt die Kommissarin Kristina Reitmeier deshalb Unterstützung aus der Landeshauptstadt und muss ihre Führung murrend abgeben. Dabei ist die gebürtige Münchnerin gerade sowieso etwas angefressen, weil sie ihren Führerschein wegen erneuter Raserei für drei Monate abgeben muss und damit ein Stück Freiheit einbüßt. In ihren Augen ist es wie Hohn, dass der eigentlich suspendierte Daniel Wolf den Chauffeur für sie spielen soll, zumal der noch in Ausbildung stehende Kollege einen Alleingang nach dem anderen wagt und damit die ganzen Ermittlungen und sein eigenes Leben in Gefahr bringt.

Oliver Kern hat mich mit dem ungewöhnlichen Motiv seines Täters und der verheißungsvollen Überschrift „Des Wahnsinns fette Beute“ sofort für sich einnehmen können. Es ist schließlich nicht mehr so leicht eingefleischte Thriller-Fans zu erstaunen, doch die Entnahme des Bauchfetts als eine Art Souvenir und gleichzeitig Lebenselixier war eine dicke Überraschung. Eben dieser Punkt ist aber auch an Kritik geknüpft, denn durch das Motiv, welches sich nur schwierig in die Realität eingliedern lässt, wirkte der ganze Tathergang etwas konstruiert und erinnerte an einen futuristischen Frankenstein, der im dunklen Keller an Lipiden herumtüftelt. Doch für den Autor war dieser Handlungsstrang nicht genug, denn er lässt die Protagonisten auch noch in die Fänge der russischen (Müll-) Mafia geraten, was für das friedliche Schwabenland leider an Glaubwürdigkeit verlor und mich die ohnehin schon verzweigte Story nicht erreichte.

Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit das berufliche Pärchen in weiteren Fällen noch harmoniert, sofern sie für ihre Regelwidrigkeiten nicht allzu hart bestraft werden. Die häufigen Einsätze auf eigene Faust sind zwar gut für die Spannung, aber ohne jegliche Absicherung leider ziemlich dämlich, sofern man an seinem Leben hängt. Insgesamt waren Daniel und Kristina aber ein solides Duo, wenngleich sie sich angewöhnen sollten ein Telefonat zeitnah anzunehmen, das würde viel Ärger ersparen.

Das Finale erinnerte mich dann unweigerlich an „Shining“, wobei die Dramatik die durch die Einkesselung der Protagonisten aufgebaut wurde auch hier für meinen Geschmack zu überspitzt war, aber seinen Effekt nicht verfehlte. Wenigstens war der Schreibstil dagegen gleichbleibend gut und angenehm zu lesen, sodass im Wusel der vielen Rückschläge im Präsidium dort der Ruhepol lag. „Die Kälte in dir“ würde ich auf Grund des Fokus auf die Ermittlungsarbeit eher als eine Mischung von Krimi und Thriller bezeichnen – und nun ran an den (Bauch-) Speck.

Bewertung vom 02.01.2014
Horrormüll (eBook, ePUB)
Szrama, Bettina

Horrormüll (eBook, ePUB)


gut

Tier- und Umweltschutz geht uns alle an

In einer Sammlung von Kurzgeschichten hat sich Bettina Szrama mit diesen wichtigen Themen auseinandergesetzt und präsentiert uns in „Horrormüll“ auf zehn ganz unterschiedliche Arten ihre Sichtweise auf die Welt, die immer von einem Unterton von Ungerechtigkeit an den schwachen Lebewesen, Zynismus oder Platz zum Staunen durchzogen sind.

Meine Erwartungen konnte die Autorin damit allerdings nicht ganz erfüllen, was aber nicht an der lobenswerten Idee lag, die im mysteria Verlag erschienen ist, sondern vielmehr an der Umsetzung. Eine Schwäche zieht sich nämlich durch das ganze Werk wodurch der Spannungsaufbau insgesamt litt und was bei der eigentlich guten Story „Der letzte Reiter“ des Verlegers Heinrich Wolf am stärksten ausgeprägt war. Durch zu viele Erklärungen des Offensichtlichen statt raffinierter Andeutungen verliert die Geschichte an Tempo plus Dramatik und wird schnell durchschaubar. Dadurch driftete ich beim Lesen der moralisch geladenen Passagen ein wenig mit den Gedanken ab, weil die Botschaft auf dem Silbertablett präsentiert wird und das eigene Kombinieren nicht mehr gebraucht und gefördert wurde. Wäre die Zielgruppe ein andere gewesen, hätte sich diese Kritik vielleicht in ein positives Merkmal umwandeln können und „Horrormüll“ sich wunderbar als Schullektüre für den Ethikunterricht angeboten, der den Kindern auf mysteriöse bzw. göttliche, aber gleichzeitig deutliche Weise den mahnenden Zeigefinger vorgehalten hätte. Die große Schrift und der wenig anspruchsvolle Schreibstil runden diesen Eindruck ab, da er für ein Buch der erwachsenen Zielgruppe doch zu leicht und geradlinig war. Aufgelockert mit ein paar bunten Bilder, beispielsweise des roten Trabants „Angi“ wäre es ein schönes Vorlesebuch geworden für Kinder gemeinsam mit ihren Eltern, die das Leid der Tiere verursacht durch Menschen hinterfragen wollen oder sich dem Wunder der Nächstenliebe hingeben möchten, obwohl die Kurzgeschichte des Lastfahrers beinahe schon wieder zu brutal anmutet.

Der moralische Aspekt der Sammlung verdient die volle Punktzahl, doch leider hat mich Bettina Szramas Erzählstil nicht so ganz auf der kleinen Reise durch die Abgründe der Bevölkerung abholen können, sodass mir nur kleine Szenen im Gedächtnis bleiben, aber nicht wie erhofft alle Details.

Bewertung vom 02.01.2014
Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte
Joyce, Rachel

Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte


ausgezeichnet

„Glück spielt sich in Sekunden ab.“ (Bernd Eichinger)

..in Byron Hemmings Fall leider auch das Unglück.

Es sollte ein ganz besonderer Sommer für die Freunde James und Byron werden - mit einem kleinen Ereignis, das es so vorher noch nicht gab und alles unwiderruflich verändert.
Im Jahre 1972 wurde beschlossen, dass zum Ausgleich des Schaltjahres zwei Sekunden in der Zeit hinzugefügt werden müssen. Der genaue Zeitpunkt war allerdings noch ungewiss und so warteten die beiden Jungs ein wenig ängstlich, aber auch neugierig auf den Zeiteinschub. Byron war sich vollkommen sicher, dass in zwei Sekunden eine Menge passieren kann, doch seine Mutter beruhigte ihn, denn das sei doch fast gar nichts.. Als die Hemmings in eben jener Spanne allerdings einen Unfall mit einem kleinen Mädchen verursachen, kann niemand den Wirkungsradius erahnen, der sich aus zwei kleinen Sekunden ergibt.

Schließlich kann die Zeit nicht aufgehalten und manche Entscheidungen nur schwer rückgängig gemacht werden und so wird aus einem kleinen unbedachten Funken ein wütendes Lauffeuer mit ungeahnter Verwüstungskraft.

Rachel Joyce hat in ihrem zweiten Roman sehr eindrucksvoll beschrieben, wie die frühkindlichen Erfahrungen gepaart mit fehlender Fürsorge ein Kind in Psychosen und Zwangsneurosen werfen können, die es selbst mit professioneller Hilfe im Erwachsenenalter nicht in den Griff bekommt. Aus den anfänglichen Ritualen, welche die Erkrankten selbst entwickelt haben, um sich eine Art Sicherheit zu erbauen, wird schnell eine Schutzmauer, die kaum noch zu überwinden ist und die Betroffenen in die Einsamkeit verdammen – wie es bei Jim, dem Mann aus den Kapiteln der Gegenwart der Fall ist.

Die Kapitel aus der Vergangenheit der 70er Jahre haben mir zu Beginn mehr gefallen, weil ich sie schon aus der Hörprobe kannte und es mir leichter fiel mit dem sensiblen Byron Mitleid zu haben, der sich einerseits wie ein sinkender Anker an seiner Mutter und dem klugen James festklammert und andererseits schon die Verantwortung für eben jene übernimmt, als er ihren schlechter werdenden Gemütszustand erkennt. Im Laufe der Handlung hat sich auch der stotternde Jim mehr geöffnet und den Zuhörern in langsamen Schritten seine Verbindung zu Byron offenbart.

Das Hörbuch habe ich sehr genossen, wobei der Sprecher Wanja Mues einen großen Anteil daran hatte, indem er die Tiefgründigkeit des Gesagten mit seiner ruhigen Art unterstrich und die Poetik der Autorin hervorhob. Der Wahl-Berliner konnte die Emotionen des Protagonisten wunderbar einfangen und Trauer, Schmerz und Lichtmomente von Anfang bis Ende an die Zuhörer weitergeben.

Rachel Joyces Erfolg kann man nicht aufhalten und die Entscheidung für das Buch oder Hörbuch wird vermutlich niemand der an guter Literatur Freude hat, bereuen.

10 von 12 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.12.2013
Blutiger Engel / Alice Quentin Bd.2
Rhodes, Kate

Blutiger Engel / Alice Quentin Bd.2


ausgezeichnet

„Ehrlich, diese Leute haben Taschenrechner dort, wo bei anderen die Seele sitzt.“ (S.124)

Diese Charaktereigenschaft von Bankern ist wohl zu Zeiten der Krisen und Turbulenzen allerorts mit Geldgeschäften eindeutig negativ konnotiert, da sie nur ihre eigenen Boni aus Aktienverkäufen vor Augen und jegliche Menschlichkeit auf dem großen Börsenparkett abgelegt haben. Die Banken sind ein Sündenpfuhl für Gier, Hass und Neid und wer verliert, der fliegt. Da ist es eigentlich nicht verwunderlich, als in der brütenden Hitze von London ein erfolgreicher Angestellter der „Angel Group“ in die Gleise der einfahrenden U-Bahn gestoßen wird. Auf dem Revier wird das Verbrechen als Einzeltat von einem wütenden Anleger abgetan, doch DCI Burns und Alice Quentin, Psychologin im Dienste der Polizei, sehen in der Tat den Auftakt eines Serienmörders, denn schließlich sind die Zeichen die der Mörder hinterlässt von verheißungsvoller Natur: ein Engelsportrait und weiße Federn. Als kurz darauf der nächste Banker brutal stirbt und ein Patient von Alice zum Stalker mutiert, vergisst sie beinahe ihr Privatleben und die frische Liebelei mit dem charmanten Andrew Piernan – ein Ex-Angestellter bei der „Angel Group“.

„Blutiger Engel“ ist bereits der zweite Fall um die Londoner Psychologin mit einem ausgeprägten Drang zur Bewegung als Hilfe zum Stressabbau. Obwohl ich den Vorgänger nicht kannte, habe ich mich sofort wohl in der Szenerie und im Kreise Protagonisten gefühlt, was daran liegt, dass die Hauptstadt von England einen ganz eigenen Charme und perfekte Voraussetzungen für einen Serienmörder hat, sowie interessante Menschen den Weg pflastern. Entgegen den Vorurteilen ist das Wetter auf der Insel zudem herrlich sommerlich und der Schreibstil der Autorin ebenso frisch und unbeschwert, dass die Schwüle fast greifbar wird.

Ich habe mich noch nie für Börsengeschäfte interessiert und dennoch war ich vollkommen fasziniert von den schillernden Gebäuden, die nach außen hin ihre Macht präsentieren und im Inneren eine eigene korrupte Welt erschaffen. Auf Grund der herrschenden Devise, dass nur die Stärksten die Spitze erreichen, ist die Täterfrage lange unklar und damit auch Alice durch allerlei privater Probleme in großer Gefahr, weil sie sich ausgelaugt und permanent verschwitzt nicht vollständig auf ihre Fähigkeiten verlassen kann und zu einem großartigen Showdown führt.

Beim Lesen hatte ich durchweg das Gefühl, dass das Unheil in der stickigen Luft schwebt und man die ganze Zeit mit einem weiteren Angriff aus der Dunkelheit rechnen muss, was mir bei einem Thriller schon länger gefehlt hat und bei Kate Rhodes endlich mal wieder volles Programm war – dafür gibt es natürlich die volle Punktzahl!

Bewertung vom 23.12.2013
Die Liebe der Baumeisterin
Rehn, Heidi

Die Liebe der Baumeisterin


ausgezeichnet

Die Eintracht baut das Haus, die Zwietracht reißt es nieder.

Kein anderes Sprichwort beschreibt das Schicksal der jungen Dora aus Preußen besser. Ihr Vorfahr Laurenz Selege hat gemeinsam mit seiner Gemahlin Agnes sowohl in der Bau- als auch in der Braukunst erste Maßstäbe gesetzt, sodass diese Traditionen auch in den folgenden Generationen streng nach geltender Geschlechterordnung fortgeführt werden. Für die Protagonistin mit den verschiedenfarbigen Augen bedeutet dies, dass sie ihre Leidenschaft für die prächtigen Bauwerke nicht ausüben darf, weil ihr als Frau der Platz an den Gärbottichen zugeteilt wurde, obwohl sie viel geschickter mit den schwierigen Zeichnung zurechtkommt als ihr Bruder Jörg.
Die Heirat mit dem 50-Jährigen Kammerrat Urban Stöckel öffnet ihr aber ungeahnte Türen, weil der gutmütiger Ehemann ihr Talent bei dem eigenen Hausbau fördern möchte, doch tragischerweise bei einer Besichtigung des Grundsteins erschlagen wird. Der Verdacht des Mordes fällt auf den stellvertretenden Bauherren Veit Singeknecht, der schon vorher die Nähe zu Dora suchte und daraufhin eilig geflohen ist. Im Angesicht der Witwentrauer werden Doras Gefühle für Veit immer deutlicher und so reist sie ihm nach Krakau nach und gerät dabei in den Verruf der Hexerei.

Dieser historische Roman aus der Feder von Heidi Rehn ist vollgepackt mit der Atmosphäre des 16.Jahrhunderts und vielschichtigen Charakteren, die das ohnehin schon fesselnde Mittelalter mit ihrer persönlichen Geschichte gelungen abrunden und greifbarer machen. Besonders positiv finde ich dabei, dass die arrangierte Hochzeit hier einmal glücklich geschildert wird und es nicht nur jähzornige Ehemänner in der Vergangenheit gab.
Mit Worten, die wie frisch aus der guten Stube der Seleges eingefangen sind, wird der Schreibstil an keiner Stelle langweilig. Hin und wieder gibt es detaillierte Ausführungen zu den Giebeln und Erkern der geplanten Objekte, die man bei dem Titel auch erwarten muss/darf und zwar sehr plastisch erklärt wurden, aber trotzdem bei mir nicht Doras Eifer auslösen konnten. Dem geschickten Bierbrauen von ihrer Schwägerin war ich beim Lesen näher, obwohl mich dann bei den herrschaftlichen Burgen und Schlössern auf Doras Reise doch noch das Baufieber packte und ich nachdem ich mich von den Seiten widerwillig gelöst habe das gelesene im Internet noch einmal leibhaftig anschauen wollte und von der Pracht z.B. der Marienburg ebenso überwältigt wurde.

Zudem gibt das Buch einerseits ein sehr anschauliches Bild über die Schaffenszeit von Herzog Albrecht in Preußen, der als gutgläubige Marionette seines Hausvogts Egbert Göllner ein verhängnisvolles Urteil über Dora fällt, und andererseits eine authentisches Darstellung der polnischen Königin Bona Sforza, wobei mir letztere noch stärker durch ihre feministischen Gedanken im Gedächtnis geblieben ist und die eingestaubten Ansichten mit ihrer italienischen Lebensfreude neu anordnet.

Dieser über 700 Seiten starke Ausflug in die Geschichte ist der Autorin auch ohne brutale Folterszenen sehr eindringlich gelungen und mit einer Mischung von Fakten, tiefen Gefühlen und Dramatik (wie das durch die Chronik belegte verheerende Feuer im Kneiphof) reich an Überraschungen. Vielleicht werden es einige LeserInnen der Protagonistin sogar gleichtun, indem sie demnächst eine Bündel Schafgarbe unter ihr Kopfkissen legen oder in das Buch pressen, denn ihre magische Gabe ist Fluch und Segen zugleich, aber immer wahrhaftig.

Bewertung vom 20.12.2013
Radieschen von unten / Elfie Ruhland Bd.2
Mey, Frida

Radieschen von unten / Elfie Ruhland Bd.2


sehr gut

Mord ist ihr Hobby

Undurchdringbares Chaos gibt es für Elfie Ruhland nicht, sondern nur Unordnung, die es schnellstmöglich aufzuräumen gilt. Während die Protagonistin bei ihrem neuen Job die Steuerunterlagen für das Bestattungsunternehmen „Pietas“ sortieren will, traut sie ihren Augen über so viel Schludrigkeit nicht. Juliane Knörringer, Chefin und Hausdrachen, die sonst die perfekte Vorzeigedame gibt, hat die Papiere und Scheine über die letzten Monate hinweg wie ein Messie in allen möglichen Kartons im Keller gesammelt und keinerlei Überblick darüber. Elfies Arbeitsplatz, ein Gartentisch in einem winzigen Büro, passt zudem überhaupt nicht zu dem luxuriösen Foyer mit edlen Särgen aus aller Welt. Als die Protagonistin an ihrem ersten Tag Zeuge eines lautstarken Disputs wird, beschließt sie, den schimpfenden Rentner mit der ungehörigen Beschuldigung, dass die Rechnung für die Beerdigung seiner Frau getürkt sei, zu beobachten und zur Not auch einen Schritt weiterzugehen – einige Stunden später ist Jo Wilfert mausetot.

Es ist immer schwierig bei einer Reihe nicht mit dem ersten Teil zu beginnen und so gingen einige Insider-Witze, ohne das Vorwissen von „Manchmal muss es eben Mord sein“, leider an mir vorüber. Deshalb wusste ich beispielsweise lange nicht, dass Ludwig, Elfies Verlobter, schon seit 30 Jahren tot und begraben ist und sie mit ihm per Grablicht kommuniziert. Das oft erwähnte rote Notizbuch erschließt sich mir auch erst kurz vor dem Ende komplett, was aber nicht daran rütteln konnte, dass ich Elfie trotzdem als eine imposante Erscheinung mit einer gesunden Prise Gerechtigkeitssinn wahrgenommen habe. Ihre ungewöhnliche Freizeitbeschäftigung, welche gewisse unliebsame Menschen, die in der Nähe von Elfie sind, wie durch einen Unfall aus dem Leben reißt, gibt dem Titel der 80er Jahre Serie „Mord ist ihr Hobby“ eine ganz neue Bedeutung. Für mich hatte das Buch aus diesem Grund einen hohen Unterhaltungswert, auch weil wir (und zu ihrem Glück auch die Polizei) einer netten älteren Dame diese kriminelle Energie normalerweise nicht zutrauen würden.

Dieser Bestatter-Krimi ist durch viele ulkige Charaktere im Zusammenspiel mit Elfies forscher und ergebnisorientierter Art sehr kurzweilig, obwohl sie gerne noch häufiger die Initiative ergreifen sollte – wie in der letzten Balkon-Szene. Dem aufmerksamen Leser wird zwar ziemlich früh klar, dass die Täterfrage nicht schwierig zu beantworten ist, wenn man den Anspruch an eine spannende Ermittlungsarbeit aber abschaltet, wird man kaum enttäuscht werden und sich selbst plötzlich über Radieschen schmunzeln sehen. Allen anderen, die trotzdem meckern, streckt Mops Amadeus einfach weiterhin vom Cover die Zunge heraus.

Mein Fazit: Leg dich niemals mit einem Senioren an, denn gemordet wird immer und in allen Generation.

Bewertung vom 18.12.2013
Willst du mein Single sein
Godazgar, Peter

Willst du mein Single sein


ausgezeichnet

„Bist du eigentlich ein Junge oder ein Mädchen?“ (S.176)

Das ist eine Frage, die wohl niemand im Grundschulalter während des Schwimmunterrichts gerne hören würde, aber Tino Liebes Lebensweg schon sehr gut vorzeichnet.
Mit 34 Lenzen arbeitet er nun als Buchhändler und kann auf eine beachtliche Single-Zeit von sieben Jahren blicken, für die auch kein Ende in Sicht ist. Die Einsamkeit hat ihn etwas verschroben werden lassen und sein Kontakt zu der weiten Welt dort draußen beschränkt sich auf seine Kumpel Markus und Thorsten, sowie die zwei törichten Kolleginnen, die in ihm allerdings einen schwulen Hochstapler sehen – zumindest teilweise. Als er eines Abends den neuen Frauenroman der Autorin Romelia Rauchhaupt, die Tino durch mehrere Lesungen persönlich kennt, liest und dort über einen leidenschaftlichen Quickie auf dem Info-Tresen einer – besser seiner – Buchhandlung stolpert, vermutet er dahinter eine versteckte Anspielung auf ein erotisches Knistern und beschließt bei der bald stattfindenden Lesung ganz galant diese Szene zu hinterfragen und hoffentlich aus dem Club der frustrierten Singles auszubrechen.

Ich habe dieses Buch an einem Tag verschlungen und saß dabei unter anderem in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Genau dann, wenn Tino über Sex und Selbstbefriedigung philosophiert hat, was nicht zu knapp war, haben für mein Gefühl immer die älteren Damen in mein Buch geschmult – was mir schon ein bisschen unangenehm war. :-D

Ansonsten finde ich den Humor von Peter Godazgar toll, weil er direkt und nicht so künstlich verspielt ist. Mich nervt es ungemein, wenn ein Autor auf eine unterschwellige Art lustig sein will, aber der Gag dann wie ein Hammerschlag auf die Leser einschlägt und jeglicher Spontanität entbehrt. Dadurch wirkt selbst der beste Wortwitz platt, hier gelingt es Tino aber wenigstens für uns Außenstehende Stimmung in sein triste Single-Dasein zu bringen. Wie Tinos Kalender mit Flirt-Tipps entblättert der Protagonist seine Schwächen mit schonungsloser Ehrlichkeit und wandelt diese damit in liebenswerte Stärken um, was die unglücklichen Männer in der realen Welt vielleicht zum Vorbild nehmen sollten.

Am Ende gibt es für den letzten Tinosaurier nur ein halbes Happy End, aber eine perfekte Beziehung zu seiner Traumfrau als Schlusswort hätte mir auch nicht gefallen, zumal ich beispielsweise Kat(h)rin nicht an seiner Seite sehe! „Willst du mein Single sein?“ war wie eine kleine Etappe aus dem Leben dutzender einsamer Herzen (nur viel lustiger) und dank Romelias Hilfe kann Tino etwas unverkrampfter auf das weibliche Geschlecht zu gehen und macht damit dem starken Geschlecht Mut, dass niemals Hopfen und Malz verloren sind, man muss nur mal über den Bierkrug schauen. ;-)

Bewertung vom 18.12.2013
Zwischen uns die Zeit
Stone, Tamara Ireland

Zwischen uns die Zeit


gut

Anna ist Crossläuferin und ein wahrer Musikjunkie. Täglich absolviert sie laut singend ihre Runden über den Sportplatz der Universität, bis sie eines Morgens auf den Rängen einen Jungen mit strubbeligen Haaren entdeckt, der mit seinem Lächeln ihr Herz völlig aus dem Takt bringt. Als sie beschließt ihn anzusprechen, verschwindet er plötzlich ohne Fußspuren im Schnee zu hinterlassen, sodass Anna schon an eine Halluzination glaubt. Im Schulflur trifft sie den Unbekannten aber wieder – Bennett ist ein neuer Mitschüler und dann auch noch in Annas Spanischunterricht, doch von einer Begegnung in der Frühe will er nichts wissen und tut ahnungslos. Vorsichtig kommen sich die beiden näher und mit dem wachsenden Vertrauen weiht Bennett die Protagonistin in seine Fähigkeiten ein, von denen die Menschen seit jeher träumen: er kann durch die Zeit reisen.

Die Hauptcharaktere sind erfrischend normal gezeichnet und es fällt dem Leser leicht mit ihnen Sympathie aufzubauen. Bennett wirkt durch seinen Erfahrungsschatz mit seiner Gabe jedoch reifer, was auch in mehreren Szenen deutlich wird, als Anna etwas übertrieben in den beliebten pubertären „Zick-Modus“ wechselt und ihren Freund mit Vorwürfen überhäuft – zum Ende wird sie dann aber wieder ausgeglichener.

Als größtes Manko empfinde ich den drastischen Eingriff in die Zeit, weil das Schicksal der Charaktere weitestgehend ohne Folgen bleibt und damit suggeriert wird, dass Unachtsamkeit leicht wieder ausgebügelt werden kann, was für 12-Jährige mit allerlei Blödsinn im Kopf nicht gerade ein Vorbild sein sollte. Zumal die Lage nicht völlig aussichtslos und durchaus ein guter Ausgang möglich war. Die Autorin verfolgt an diesem Punkt eine sehr sanfte Denkweise, die mich leider vergeblich auf eine Reactio des Universums warten ließ, wo doch jede Veränderung in der Vergangenheit zu einer Kettenreaktion ähnlich eines Butterfly-Effects führt.

Auch im Verlauf der eigentlichen Reisen durch Raum und Zeit büßt Tamara Ireland Stone ihre Ausdrucksstärke ein. Der erste Trip des Pärchens nach Thailand war wunderbar romantisch beschrieben, bei dem ich beinahe selbst den Sand unter den Füßen spüren konnte, wohingegen der zweite Ausflug nach Italien nur einem Abstecher zum Kaffee gleichkam und mir im Zeittunnel die Schmetterlinge verloren gingen.

Leider habe ich erst während der Lektüre erfahren, dass die Amerikanerin aus der Thematik einen Mehrteiler machen möchte, obwohl das Ende dafür erstaunlich abgeschlossen ist und gut als Einzelband stehen könnte. Die letzte Szene bedient sich dann auch mühelos den Regeln eines rührseligen Liebesromans und lässt mich noch wanken, ob ich „Time after time“ (ET in Englisch Okt. 2013) unbedingt auf meinen Wunschzettel schreiben muss oder ob ich nicht doch zu gestanden für solche Liebesbeweise bin. :-D

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.