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Benutzername: 
hasirasi2
Wohnort: 
Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1167 Bewertungen
Bewertung vom 01.07.2024
Die Freundin der Braut
Barreau, Nicolas

Die Freundin der Braut


ausgezeichnet

Die Hochzeit meines besten Freundes

„Glücklich zu sein ist eine Entscheidung. Und die Schatten der Vergangenheit stehen einem dabei manchmal im Weg.“ (S. 172)
Seit der Schulzeit waren Jean-Pierre und Paul beste Freunde und teilten fast alles, auch ihre Leidenschaft für blonde, schlanke Frauen, als sie älter wurden. Genau das wird ihrer Freundschaft zum Verhängnis, als Paul im Studium Jean-Pierre die wunderschöne Camille ausspannt. Das ist schon über 10 Jahre her, doch sie hatten seitdem keinen Kontakt mehr, haben sich nie ausgesprochen oder ausgesöhnt. Um so erstaunter ist Jean-Pierre, als ihm Pauls Einladung zu dessen Hochzeit auf einem Schloss in Aquitanien ins Haus flattert. Er ignoriert sie, bis Paul noch einen Brief mit einer Entschuldigung und der Bitte, unbedingt zu kommen, hinterherschickt. Vielleicht hätte

Und genauso chaotisch, wie ihre Freundschaft geendet hat, läuft der Hochzeitstag für Jean-Pierre. Erst steht seine Ex-Freundin vor der Tür und macht ihm eine ihrer legendären Szenen, dann verletzt sich seine Mamie am Fuß und er muss sie ins Krankenhaus bringen, an einer Tankstelle bremst ihn eine junge Frau an der Zapfsäule aus und touchiert sein Auto, kurz vor dem Ziel stellt er fest, dass er die Einladung mit der genauen Adresse nicht mit hat, also fährt er auf gut Glück durch die Gegend, bis ihm ein Name halbwegs bekannt vorkommt, und dann bleibt auch noch sein Auto liegen … Als er Stunden später endlich auf dem Schloss ankommt, ist das Brautpaar längst verschwunden. Dafür entdeckt er die Frau von der Tankstelle und verbringt einen äußerst vergnüglichen Abend mit ihr.

Jean-Pierre ist introvertiert, liebt Lyrik und lebt das in seinem kleinen Café des Poètes in Paris aus, dessen Wände er mit seinen Lieblingsgedichten geschmückt hat und in dem er regelmäßig Lesungen durchführt. Die Suche nach der großen Liebe hat er fast schon aufgegeben. Seine bisherigen Beziehungen hielten nie lange, wahrscheinlich, weil er die Frauen insgeheim alle mit Camille verglichen und darauf gewartet hat, dass sie ihn verlassen. Juliette, die Frau von der Tankstelle, ist ganz anders. Nicht nur, dass sie rote Haare und grüne Augen hat, in denen Jean-Pierre versinkt, sie trägt auch das Herz auf der Zunge, ist impulsiv, leidenschaftlich, neugierig und temperamentvoll. Und sie kann ihn aus seinem Schneckenhaus locken und mitreißen. Mit ihr zusammen vergeht die Fest wie im Flug und er vergisst beinahe, dass er ja eigentlich wegen Paul da ist. Aber ist der wirklich der Bräutigam?!

„Was man aus Liebe macht, kann nie ein Fehler sein.“ (S. 167)
„Die Freundin der Braut“ ist eine bezaubernde französische RomCom, die ich an einem gemütlichen Sonntagnachmittag regelrecht verschlungen habe. Nicolas Barreau (hinter dem Pseudonym steckt die Verlegerin Daniela Thiele) hat mich wieder von der ersten Zeile an mit dem Pariser und südfranzösischen Flair seines Buches verzaubert.

Bewertung vom 30.06.2024
Agatha Christie / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.21
Lieder, Susanne

Agatha Christie / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.21


gut

Szenen einer Ehe

Nachdem mich Susanne Lieder mit ihrem Buch über Astrid Lindgren so begeistert hatte, war ich gespannt, wie sie sich dem Phänomen Agatha Christie annähert, die ja nur wegen einer Wette mit ihrer Schwester überhaupt zum Krimischreiben gekommen und dann auch noch berühmt geworden ist.

Die Rahmenhandlung bildet der Sommer 1926, als Agatha nach dem Tod ihrer Mutter deren Haus ausräumen muss. Dabei erinnert sie sich an ihr bisheriges Leben zurück und wird von ihrem Mann Arthur eiskalt mit der Forderung nach Scheidung erwischt, weil er sich neu verliebt hat. Sie ist gerade mal Mitte 30 und muss völlig neu anfangen ...

„Ich will einen Mann, der mich sieht … Ich will nicht nur versorgt sein, sondern glücklich.“ (S. 54) Agatha hatte sie immer von der großen Liebe und perfekten, harmonischen Ehe geträumt, wie ihre Eltern sie ihr bis zum frühen Tod ihres Vaters vorgelebt haben. Sie schlägt viele Bewerber aus, bis Arthur Christie sie im Sturm erobert. Bis sie dann allerdings wirklich endlich heiraten, vergehen Jahre voller Auf und Abs, in denen er seine Meinung gefühlt jeden Tag ändert. „Das war das wirklich Erstaunliche an Archie: Er war imstande, jetzt und hier eine Meinung zu revidieren, die kurz zuvor noch in Stein gemeißelt war. Und seine neue Meinung, die aktuelle, vertrat er genauso vehement wie die vorherige. Das nicht weniger Erstaunliche war: Man glaubt ihm, man nahm ihm beides ab.“ (S. 176)

Wie man hier vielleicht schon merkt, erfährt man in Susanne Lieders Romanbiographie sehr viel über Agathas Alltag, wobei ihre Ehe mit Archie leider den Anteil, indem es um ihre schriftstellerische Entwicklung und Karriere geht, deutlich überschattet. So kommt die Stelle mit dem im Klappentext erwähnten Gift und ihre daraus resultierende Idee für den Krimi inkl. Hercule Poirots Geburt erst nach der reichlichen Hälfte des Buches, auch wenn er sie ab da als imaginärer Freund / Ratgeber begleitet und immer wieder zum Schreiben anstachelt. Überhaut werden ihre Bücher und Kurzgeschichten oft nur am Rand erwähnt. Die Figur Miss Marple entsteht z.B. erst 20 Seiten vor dem Ende und damit ist Schluss.

Eins vorweg, Susanne Lieder kann wirklich toll schreiben. Ich konnte mich sehr gut in Agatha hineinversetzen, die trotz diverser Fehlversuche nie aufgegeben und immer weiter geschrieben hat. Auch die extrem enge und liebevolle Beziehung zu ihrer Mutter und Agathas Schmerz, als sie sie verloren hat, ist sehr schön beschrieben. Das Einzige, wo ich sie nicht verstehen konnte, was das Festhalten an der Beziehung zu Arthur, der sich von Beginn an nicht gerade wie ein Traummann ver- und sie ewig hingehalten hat.

Vielleicht waren meine Erwartungen einfach zu hoch oder der Klappentext ungünstig gewählt, aber so kann ich leider nur 3 von 5 Sternen geben.

Bewertung vom 28.06.2024
Schöner sterben auf Sylt
Kruse, Tatjana

Schöner sterben auf Sylt


ausgezeichnet

Aller schlechten Dinge sind drei

„Was macht eine Leiche eine Stunde, vierzehn Minuten und zweiunddreißig Sekunden, bevor sie zur Leiche wird? Sie flucht!“ (S. 9)
Über Sylt braut sich ein Sturm zusammen, nicht nur wettertechnisch, sondern auch zwischen Umweltschützern und „Umweltschweinen“. Wie können sich erstere aber auch direkt vor der Rampenabfahrt des Bahnhofs in Westerland festkleben und damit das Abladen des Autozugs blockieren. Robert Garstig, Entsorgungsgigant, will sich ein paar schöne Tage mit seiner Geliebten machen und lässt sich nicht davon aufhalten. Er überfährt eiskalt die Absperrung, wobei ihm egal ist, ob er dabei auch den Fuß eines Klimaaktivisten erwischt. Vielleicht würde er zwei Stunden später noch leben, wenn er das nicht getan hätte. Während sich Roberts Witwe noch aufregt „Ist das die Mordwaffe? Der Golfschläger? … Die hätte man als ›unbenutzt‹ im Set weiterverkaufen können.“ (S. 68), wird schon die zweite Leiche gefunden. Rollo Tögersen, Besitzer einer Fischfangflotte, treibt mit durchgeschnittener Kehle im Hafenbecken von List. Das freut nicht nur die Umweltschützer, sondern auch den Gerichtsmediziner: „Wunderbar, noch ein Fall mit Pfiff. Heute ist mein Glückstag!“ (S. 92). Bis eine dritte Leiche gefunden wird …

Auf den Überwachungsvideos an den Tatorten ist immer wieder dieselbe junge Frau zu sehen: Pia. Sie gehört zur Gruppe der „Letzten Tage“, die sich um den Anführer Hubertus von Dobenstein gescharrt hat. Kein Wunder, dass die Polizei da mal genauer nachfragt. Ihre Schwester Mia ist überzeugt, dass Pia zwar vielleicht von Hubertus verblendet und radikal ist, aber einen Mord traut sie ihr nicht zu. Bei ihren Bemühungen, Pias Unschuld zu beweisen, wird sie (gegen ihren Willen) von dem Enfant terrible Fred (Frederick Ragnar Mencksen der Fünfte) unterstützt. Der exzentrische Sohn einer Hamburger Hanseatenfamilie liebt den Müßiggang, ausgefallene Kleidung und gilt als „…, sympathisch, aber schräg.“ (S. 27). Und er ist wahrscheinlich zum ersten Mal im Leben wirklich verliebt, in Mia, die ihn leider (noch nicht?) will. Ob da sein Wahlspruch „Ich bin erfahren, einsatzfreudig, und ich gehe gern auf alle Wünsche ein.“ (S. 110) weiterhelfen kann?!

Tatjana Kruse, die Königin der Krimödie, hat wieder zugeschlagen und mordet da, wo anderen Urlaub machen. Dabei lässt sie kein Vorurteil aus, kein Klischee ungenutzt verstreichen und kein Auge trocken. Ihre Protagonisten sind herrlich überspitzt und lassen das Kopfkino laufen. Wer bei Fred nicht sofort Austin Powers (natürlich in viel jünger, schöner und reicher) in seinen durchgeknallten Kostümen vor dem inneren Auge hat, sollte ihn unbedingt googeln. Und auch bei Hubertus von Dobenstein und seinen Beweggründen bleiben keine Fragen offen: „Ich halte ihn für den Hugh Hefner unter den Klimaschützern …“ (S. 168).

Doch natürlich ist „Schöner sterben auf Sylt“ auch wieder ein wirklich spannender Krimi, der sich genau wie das Unwetter über der Nordsee immer mehr zuspitzt. Wird der Mörder erneut zuschlagen, bevor die Polizei oder Fred und Mia ihn stoppen können?!

Ein etwas anderer Küstenkrimi mit viel Sylt- und Urlaubsflair.

Bewertung vom 27.06.2024
Jahreszeitenküche
Kindler, Ben;Wien, Antonia

Jahreszeitenküche


ausgezeichnet

Passt perfekt in meine Küche

Das Konzept des Jahreszeitenküche-Kochbuchs von Ben Kindler sind vegetarische Gerichte passend zur Jahreszeit, dabei legt er sein besonders Augenmerkt auf frisches Obst und Gemüse, am liebsten vom Markt oder Hof seines Vertrauens. Ich habe mich die letzten Wochen jeweils passend zum Wetter durch die Rezepte gekocht und bin begeistert. Er kommt ohne Edel- oder Ersatzprodukte aus und achtet darauf, dass er nicht zu viele Zutaten verwendet, wodurch man die Gerichte nicht nur leichter nachkochen kann, sondern die einzelnen Komponenten auch sehr gut zur Geltung kommen.

In einer kurzen Einführung geht er auf Basics wie Küchenwerkzeuge / Utensilien, Gewürzen, Grundzutaten (wie Essig, Öl etc.), Pasta- und Reissorten, Toppings, Dressings und Brot & Co ein, damit ist das Buch auch für Anfänger sehr gut geeignet.

Die Frühlingsküche besticht durch die ersten frischen Kräuter, Salate und Gemüse, ausgefallenen Spargelrezepte und Bodenständiges wie Kartoffelrösti mit Spiegelei.

Im Sommer, wenn es richtig heiß ist, bevorzuge ich genau wie Ben kalte oder lauwarme Suppen und Salate, kurzgebratenes Gemüse (z.B. mit Polenta und Kräuterpesto) und leichte Pasta. Unser Highlight in dem Kapitel war der Burrata mit Pfirsich und Tomaten: Sehr erfrischend und mit dem weißen Balsamicoessig und Olivenöl perfekt abgerundet. Ich habe neben den Basilikumblättern zusätzlich noch getrocknete Basilikumblüten vom letzten Jahr darüber gestreut. Aber auch den im Ofen gebackenen Quark-Beeren-Schmarrn wird es noch öfter geben.

Der Herbst darf den gerne etwas deftiger sein, dickere Suppen und reichhaltige Pasta-Varianten warten genauso aufs Nachkochen wie das Süßkartoffelpüree mit glasierten Birnen wartet schon darauf, das Kürbisrisotto mit Chili-Öl und die Topfenknödel mit Balsamico-Zwetschgen.

Im Winter greift Ben Kindler auf frische Salate und Lagergemüse zurück und süße Sachen für die Seele – den Winterspeck sieht unter dem dicken Wollpulli ja keiner und die überbackene Pfannkuchen mit Quarkfüllung und Aprikosenmarmelade sind jede einzelne Kalorie wert. Außerdem kann man super vorbereiten. Wer es deftiger mag, macht sich eine große Pfanne Käsespätzle oder die fantastischen gebratenen Pad-Thai-Nudeln. Die haben uns echt umgehauen und das Zeug zum neuen Lieblingsrezept. Hervorragend gewürzt, mit verschiedenen Gemüsen und Erdnüssen verfeinert, machen sie satt und glücklich.

Und wenn man doch Fleisch oder Fisch essen will oder hat Gäste, die nicht vegetarisch leben, kann man die Rezepte ganz leicht um tierische Produkte ergänzen, wie z.B. die oben erwähnten Pad-Thai-Nudeln mit asiatischer Hähnchenbrust.

Die Gerichte werden durch sehr appetitanregende Fotos von Joss Andress in Szene gesetzt, außerdem gibt es Angaben zur Personenzahl, sowie Vorbereitungs-, Zubereitungs- und Ruhezeiten.

Ein tolles, alltagstaugliches vegetarisches Kochbuch für jeden Geschmack!

Bewertung vom 26.06.2024
Mord in Shady Hollow / Shady Hollow Bd.1 (MP3-Download)
Black, Juneau

Mord in Shady Hollow / Shady Hollow Bd.1 (MP3-Download)


sehr gut

Wurde Otto zweimal ermordet?

„Otto war ein Kauz, dessen liebstes Hobby es war, anderen Tieren auf die Füße zu treten.“ Trotzdem sind die Einwohner von Shady Hollow erschrocken, als er eines Morgens erstochen im Teich schwimmt. Denn er hat sich zwar mit fast allen gestritten, aber niemandem geschadet. Und es kommt noch schlimmer. Die Leichenschau ergibt, dass der Kröterich vergiftet wurde, bevor man ihn erstach. Gibt es zwei Täter oder nur einen, der ganz sicher gehen wollte?! Die Polizei scheint nicht besonders motiviert zu sein, den Fall aufzuklären. Der Chief geht lieber angeln und Deputy Orville Brown ist überfordert. Er schießt sich schnell auf den kleinkriminellen Waschbären Lefty ein, weil sein Pfotenabdruck am Seeufer gefunden wurde. Aber die Journalistin Vera Vixen, eine schlaue Füchsin, die früher für das Verbrechensressort einer großen Zeitschrift geschrieben, sieht das anders: Lefty ist zu doof, um einen Obststand ausrauben und musste von der Polizei schon mal aus der Bank befreit werden, die er eigentlich ausrauben wollte … Also nimmt sie eigene Ermittlungen auf.

„Mord in Shady Hollow“ ist der Auftakt einer charmanten Cosy-Crime-Reihe, in der Tiere die Täter, Opfer und Ermittler sind. Das klingt zuerst zwar etwas ungewöhnlich, aber die Autorinnen haben es geschafft, für jeden Protagonisten das passende Tier zu finden.
Neben der schlauen Füchsin Vera als Ermittlerin, gibt es u.a. ein Stinktier als ihren stets muffeligen und auf Krawall gebürsteten Chef, eine immer aufgeregt quasselnde Kolibridame als Klatschreporterin, eine Eule als allwissenden Philosophieprofessor, eine Räbin als krimiliebende Buchhändlerin, einen sehr entspannten Elch, der das Café des Örtchens führt, ein Bieberfamilie als Sägewerkbesitzer, einen geheimnisvollen Pandabären, der gerade ein chinesisches Restaurant eröffnet hat und eben die beiden sehr gemütlichen Braunbären als Polizisten.
Mir gefällt zudem, dass die Tiere stellenweise unerwartet philosophisch sind: „Mord ist nicht angsteinflößend, weil er verrückt ist, sondern weil er unumkehrbar ist.“

Die Ermittlung gestaltet sich als unterhaltsamer Wettstreit zwischen Vera und Deputy Orville, denn während er noch Handbücher wälzt, kann sie auf die Unterstützung ihrer Freunde, ihre gute Nase und ihre langjährige Erfahrung im Verbrechensressort zählen. Durch einen weiteren Toten und immer neue Hinweise und Verdächtige wird die Spannung bis zum Schluss gehalten. Zudem erinnern Shady Hollwow und Jo`s Café erinnern sicher nicht nur zufällig an Stars Hollow …

Besonders erwähnen möchte ich die Sprecherin Astrid Kohrs, die es schafft, jedem Tier eine einzigartige Stimme zu geben: wenn der Kolibri sirrt und schwirrt, wird auch ihre Stimme atmelos, während sie bei den Bären behäbig klingt und bei Vera schlau und gewitzt. Eine ganz großartige Leistung.

Bewertung vom 24.06.2024
Sie tanzt am liebsten barfuß
Hucke, Petra

Sie tanzt am liebsten barfuß


sehr gut

Das Flirren eines Sommers

„Manchmal tanzt du in deinem Zimmer. Barfuß. Manchmal bist du witzig, zumindest in Gedanken – in Gesellschaft traust du dich nie.“ (S. 28)
Seit dem Tod ihres Bruders ist es still im Haus geworden. Gillian Granger, die schon immer unsicher war, hat sich noch mehr zurückgezogen. Wenn sie sich wenigstens endlich für einen Ehemann erwärmen würde, hofft ihre Mutter, immerhin ist Gillian schon über 20! Doch die empfindet sich als zu groß, hässlich und schlaksig, sowas findet doch kein Mann schön! Als dann die Nachricht kommt, dass ihr Großonkel auf Guernsey gestorben ist, schickt ihre Mutter sie zusammen mit dem Dienstmädchen Tessa hin, um sich um das Erbe zu kümmern. Bis dahin hatte Gillian noch nie von dem Zweig der Familie gehört.
Am Tag nach der Beerdigung wird eine Kiste ins Haus ihres Großonkels geliefert, die sie bei der Anreise angeblich verloren hat. Sie hat die Truhe noch nie gesehen, aber es steht ihr Namen drauf, als öffnet sie sie. Darin sind lauter Dinge, die ihr nicht gehören, ihr und der Inselbewohnern aber neue Impulse geben werden.

Petra Hucke hat für ihren Roman eine ungewöhnliche Erzählperspektive gewählt, an die ich mich erst gewöhnen musste. Sie lässt sie von der Gran`Mère du Chimquière, einer alten Statue vor der Friedhofsmauer von Grandes Roches, einem Ort auf Guernsey, erzählen. Die „Großmutter“ steht schon sehr lange da, kennt die kleinen und großen Geheimnisse „ihrer“ Kinder, der Bewohner der Insel, und ist der Meinung, dass die stille Gillian genau die richtige ist, bei der Lösung einiger Probleme zu helfen.

Gillian blüht auf Guernsey auf. Niemand sieht sie schräg an, weil sie gern barfuß läuft (zum ersten Mal in ihrem Leben am Strand) oder tanzt. Sie, die sich bisher nur ungern anfassen oder gar umarmen lässt, nimmt plötzlich andere in den Arm, um sie zu trösten oder Kraft zu spenden, und es fühlt sich völlig natürlich an. Außerdem hat sie sich immer eine Freundin gewünscht und auf die gleichaltrige Tessa gehofft. Jetzt begreift sie, dass sie die dafür gleichberechtigt und nicht wie ein Dienstmädchen behandeln muss.
Zudem lernt sie eine funktionierende Gemeinschaft kennen, in der man füreinander da ist. Zum Beispiel, als Henriettas Mann nach drei Jahren auf See wieder nach Hause kommt. Dann stehen alle Nachbarn hinter ihr und auch Gillian hilft unbewusst mit den ersten Stücken aus der geheimnisvollen Truhe.
Mit jedem weiteren Geschenk aus der Truhe hilft sie einem anderen Bewohner. Nur für ihr eigenes Problem findet sie keine Lösung. Sie hat sich in den wunderschönen Alexander verguckt, der außerhalb des Dorfes allein in einem Haus lebt und noch schüchterner als sie zu sein scheint.

Das Buch ist wie das Flirren eines Sommers, alles ist etwas unscharf, manchmal auch verwirrend wie ein Fiebertraum, wenn Gran`Mère wieder einmal eingreift und ihre Magie wirken lässt – man sollte sich auf ein phantastisches Abenteuer einlassen können …

Bewertung vom 24.06.2024
Das kleine Bücherdorf: Sommerzauber / Das schottische Bücherdorf Bd.4
Herzog, Katharina

Das kleine Bücherdorf: Sommerzauber / Das schottische Bücherdorf Bd.4


sehr gut

Das Kleid ihrer Träume

„Welche Geschichten außer meiner eigenen hast du mir zu erzählen?“ (S. 72)
Seit Jahren betreibt Ann das Vintage & Couture in Swinton, einen Second-Hand-Laden für Couture. An jedem Kleidungsstück stecken Briefe der Vorbesitzerinnen, wenn Ann sie noch darum bitten konnte, ansonsten denkt sie sich die Geschichten dazu selber aus.
Von Beginn an hängt im Schaufenster ein Brautkleid, das Valentino angeblich für Jackie Kennedy entworfen hat, bevor er berühmt wurde. Eines Tages betritt eine Kundin den Laden und will es kaufen, aber Ann würde sich nie davon trennen, weil es eine ganz besondere Bedeutung für sie hat. Die Kundin gibt sich als Lektorin eines Verlag zu erkennen. Sie hat von den Briefen gelesen und bietet ihr einen Vertrag für einen Roman an, der sich um das Valentino-Kleid dreht. Ann, die unter einem geschlossenen Pseudonym sehr erfolgreich erotische Liebesromane schreibt, ist begeistert – endlich würde ein Buch unter ihrem Klarnamen erscheinen. Doch da sie nur ungern erzählen möchte, was sie mit dem Kleid verbindet, beginnt sie nach dessen Vorbesitzerin zu forschen. Dabei hilft ihr ausgerechnet ihre erste große Liebe Ray, der ihr vor Jahren das Herz gebrochen hat und jetzt zurückgekehrt ist, um Swinton Manor in ein Luxushotel umzubauen.

„Sommerzauber“ ist der letzte Band der bezaubernden Bücherdorf-Reihe von Katharina Herzog und hat mich sofort wieder in den Swinton-Kosmos gezogen. Ich liebe ihren wunderbar leichten, mitreisenden Schreibstil, die sympathischen Protagonisten und das Prickeln, das nicht nur in Anns Büchern vorkommt – denn neben Ray bringt auch ihr Ex-Mann Colin ihr Herz plötzlich wieder zum Tanzen. Und dann ist da noch ihre Tochter Isla, die zu ihrer Hochzeit mit Alec unbedingt das Valentino-Kleid tragen möchte. Kann Ann, die das Kleid für einen Unglücksboten hält, ihr das ausreden?

„… mit jedem Buch wurde sie süchtiger nach diesen kleinen Auszeiten, die ihr die Möglichkeit gaben, ihre Gefühle und Leidenschaften auszuleben, die in ihrem Alltag auf der Strecke blieben.“ (S. 18)
Ich mochte Ann sofort, die ihre Kreativität und unerfüllten Sehnsüchte in ihren „Nackenbeißer“-Romanen auslebt. Als jetzt die Gefahr besteht, dass ihr Pseudonym gelüftet wird, hat sie natürlich Angst, was die anderen Bewohner von ihr denken – zumal die Bücher auch noch hauptsächlich als eBooks veröffentlicht werden, ein echter Frevel im Bücherdorf! Dass sie dazu auch noch plötzlich zwischen zwei eigentlich längst Verflossenen steht, macht es noch spannender. Und was sie
Über das Brautkleides herausfindet, hat mich sehr berührt und die Geschichte perfekt abgerundet.

Damit wir Leser:innen beruhigt mit der Reihe abschließen können, erzählt Katharina Herzog auch die Geschichten der anderen Einwohner weiter. So erfährt man z.B., wie es Vicky, Graham und Finlay inzwischen geht und dass sich Nanette regelmäßig mit Lord Spencer trifft. Ein gelungener Abschluss der Reihe, auch wenn es sicher noch weitere Geschichten zu erzählen gäbe.

Bewertung vom 22.06.2024
Graue Schnauze, großes Herz
Frey Dodillet, Michael;Strodtbeck, Sophie

Graue Schnauze, großes Herz


ausgezeichnet

Macht das Abschiednehmen etwas leichter

„Genauso wie es zu Beginn des Hundeleben mindestens zwei bis drei Jahre braucht, bis der Hund voll da ist, sind es am anderen Ende oft zwei bis drei Jahre, in denen er immer weniger wird. Ein Abschied in mehreren Akten.“ (S. 179)
Wenn man seinen Hund zum allerersten Mal im besten Fall als Welpen auf den Arm nimmt, denkt man nicht darüber nach, wie er mal endet. Bei unserem Buddy waren bald wir der festen Überzeugung, dass er entweder beim Spielen tot umfällt oder überfahren wird, weil er leider trotz Schleppleine immer wieder abgehauen ist. Anfang Juni diesen Jahres ist er 16 geworden und sein Ende nicht mehr weit. Wie der Beagle der Tierärztin und Autorin Sophie Strodtbeck hat er schon lange überall Tumore, inzwischen breiten sie sich von der Milz in Richtung Lunge aus. Und wie sie haben wir ihm und uns versprochen, dass er gehen darf, bevor er nicht mehr gehen kann – aber noch läuft er, wenn er inzwischen auch 25 min pro Kilometer braucht. Doch noch rennt er die letzten 200 m bis zum Fressnapf (dem Laden) wie ein junger Gott. Und auch seinen Lieblingseisalden, den es erst seit einem Jahr gibt, findet er trotz Demenz problemlos.

Als mir „Graue Schnauze, großes Herz“ letztes Jahr im Herbst auf der Buchmesse ans Herz gelegt wurde, war mir noch nicht klar, wie nah mir das Thema jetzt gehen würde. Inzwischen fühle ich sehr mit Sophie Strodtbeck und Michael Frey Dodillet mit. Sie haben (hatten) auch beide alte Hunde und kennen das Drama, wenn die lieben Kleinen immer sturer und langlebiger werden – unser Hund liegt lt. Tierarzt seit über einem Jahr im Sterben, allein seit April ist er dem Tod schon dreimal von der Schippe gesprungen.

Nach dem Lesen weiß ich, ich hätte das Buch schon vor 2 Jahren gebraucht, aber zum Glück haben wir vieles intuitiv richtig gemacht. Mit viel Humor und Kompetenz erzählen die beiden AutorInnen von ihren „Problemhunden“ und deren Älterwerden. Wie geh man z.B. mit der nächtlichen Unruhe, veränderten Fressgewohnheiten (Wir haben momentan 4 verschiedene Sorten Futter auf Vorrat und testen jeden Tag, was gerade genehm ist.), Erblinden und anderen Alterserscheinungen um? Wie lange bzw. oft lässt man den Tierarzt noch eingreifen, wenn es auf Kippe steht? All das erzählen sie mit viel Humor am Beispiel ihrer eigenen Tiere, bei denen ich mir mehr als einmal gesagt habe, dass Buddy zum Glück nicht ganz so schlimm war. Vielleicht sehe ich das inzwischen aber auch nur schon zu verklärt.

Am Ende schließt man das Buch mit einem lachenden und einem weinenden Auge und fühlt sich etwa besser auf das Abschiednehmen vorbereitet.

Bewertung vom 18.06.2024
Forgotten Garden
Gosling, Sharon

Forgotten Garden


ausgezeichnet

Wiederbelebung

Luisa ist erst 36, hat sich aber nach dem frühen Tod ihres Mannes zurückgezogen und arbeitet nicht mehr als Landschaftsarchitektin, weil sie das zu sehr an ihn erinnert. Da ruft der Patenonkel ihres Mannes an. Er hat in Collaton an der Küste Land gekauft, das er einem Wohltätigkeitsprojekt spenden will. Sie wollten damals doch einen Gemeinschaftsgarten anlegen, jetzt könnte sie das Projekt verwirklichen.
Obwohl sie schon nein gesagt hat, sieht Luisa es sich trotzdem an. Der Ort wirkt vernachlässigt, viele Geschäfte und Häuser stehen leer. Das Gelände für den zukünftigen Gemeinschaftsgarten ist komplett verwildert. Doch es hat Potential. Dann lernt sie Cas kennen, einen örtlichen Lehrer, der direkt nebenan einen Boxclub für Kinder aus schwierigen familiären Verhältnissen betreibt. Er findet die Idee toll, die Brache wiederzubeleben. Doch außer Harper, die gemeinnützige Arbeit leisten muss, hilft am Anfang niemand Luise. Erst nach und nach kommen immer mehr Bewohner und bringen ihre speziellen Fertigkeiten ein. Aus Einzelgängern wird wieder eine lebendige Gemeinschaft. Der Garten und die Einwohner blühen auf, Luisas Projekt trägt Früchte. „…Harper … hatte unversehens den Gedanken, dass Pflanzen die Welt verändern könnten.“ (S. 285)

„Forgotten Garden“ von Sharon Gosling erzählt genau wie ihre vorherigen Bücher eine sehr bewegende Geschichte.

Luisa hat sich abgeschottet und den Tod ihres Mannes nie überwunden. Sie will sich nicht wieder verlieben, um den Schmerz des Verlustes nicht noch einmal erleben zu müssen. Doch sie findet die Situation in Collaton erschreckend und erkennt sich in der Verlorenheit der Jugendlichen wieder. Und sie hofft, mit ihrem Projekt etwas bewegen zu können – doch dafür muss sie die Menschen von ihren Vorstellungen und Visionen überzeugen. Ihre ersten Unterstützer sind Cas` Schüler, denen es egal ist, ob sie sich am Boxsack oder dem Unkraut abreagieren.
Neben ihrer Muskelkraft bringen die Jugendlichen auch besondere Kenntnisse und Begabungen ein. Harper, die seit Jahren für ihren jüngeren Bruder sorgt, interessiert sich vor allem für das Problem der Klimaveränderung und Bewässerung, und Mo kennt sich mit Social Media aus. Aber der Gemeinschaftsgarten hat auch Gegner.

Der gesellschaftskritische Hintergrund hat mir sehr gut gefallen. Da sind zum einen die Jugendlichen, deren Eltern schon lange jegliche Hoffnung verloren haben und die ihre Kinder sich selbst überlassen. Seit die Fabrik vor Jahren (oder Jahrzehnten?) stillgelegt wurde, interessieren sie sich für nichts mehr. Doch die Jugend will dem Elend entkommen. Harper z.B. fiebert dem Tag ihrer Volljährigkeit entgegen, damit sie Collaton endlich zusammen mit ihrem kleinen Bruder verlassen und sich woanders eine echte Zukunft aufbauen kann.
Sharon Gosling zeigt auch, was Umweltbewusstsein bewirken kann, dass wir neuen Idee gegenüber aufgeschlossen sein sollten und dass wir von den nachfolgenden Generationen lernen können (und müssen) und was man zusammen alles erreichen kann. „… so habe ich gelernt, wie widerstandsfähig eine Gemeinschaft sein kann.“ (S. 391)

Mein Tipp für Fans von John Ironmongers „Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen“.

Bewertung vom 15.06.2024
Promise Boys - Drei Schüler. Drei Motive. Ein Mord.
Brooks, Nick

Promise Boys - Drei Schüler. Drei Motive. Ein Mord.


sehr gut

Der Retter der verlorenen Jungen

„… einige Leute haben nicht begriffen, dass wir Männer formen wollten, und nicht kleine Jungs verhätscheln.“ (S. 28)
Die Urban Promise Prep Scholl ist eine reine Jungenschule, die benachteiligte bzw. „schwierige“ Jugendliche auf Kurs bringen und den Besuch des Colleges vorbereiten soll. Und sie scheint wirklich erfolgreich zu sein. Die Zahl derer, die es nicht auf eine weiterführende Schule schaffen, ist verschwindend gering. Um so größer ist der Schock, als Direktor Kenneth Moore eines Tages nach dem Unterricht erschossen wird. Die Verdächtigen sind drei Schüler, die an diesem Tag nachsitzen mussten: J.B., der extrem schlau ist, Trey, einer der besten Basketballspieler der Schule, und Ramón, der sehr gut kochen kann und von einem eigenen Restaurant träumt. Sie alle sind keine typischen Nachsitzer und an dem Tag wirklich wütend auf Moore – aber auch wütend genug, um abzudrücken?

„Promise Boys“ ist ein sehr spannender Jugendkrimi, auch wenn der Erzählstil etwas gewöhnungsbedürftig ist. Ich vermute, dass sich der Autor am Konsumverhalten der TikTok-Generation orientiert hat und darum immer wieder Sprüngen und Wechsel zwischen den Erzählenden in die zum Teil sehr kurzen Kapitel einbaut, um die jungen Leser bei der Stange zu halten.
Das Setting aber ist großartig. Die Promise ist ein Vorzeigeprojekt, dass sich u.a. durch Spenden finanziert und mit den Erfolgen seiner Schüler wirbt. Allerdings erreichen Moore und die Lehrer das nicht durch besonders ausgeklügelte Lehrmethoden, sondern durch militärischen Drill und absolutem Gehorsam. Nach außen spielt man sich als Retter der Jungen auf, in Wirklichkeit werden sie mit unnachgiebiger Härte und Strenge erzogen und dabei oft gebrochen. „Nicht auffallen, gute Noten schreiben und dafür aufs College kommen, weit weg von hier.“ (S. 45) Sie dürfen nicht miteinander reden oder lachen und müssen immer im Gänsemarsch auf einer blauen Linie hintereinandergehen, alle im genau gleichen Takt. Ihre Uniform hat perfekt zu sein, nirgendwo ein Schmutzfleck, eine verrutschte Naht oder fehlende Krawatten, Schuhe, in denen man sich spiegeln kann. Außerdem werden schlechte Schüler vor dem Abschluss einfach weggelobt, um die Zahlen zu beschönigen.

Nick Brooks erzählt die Handlung abwechselnd aus der Sicht der Verdächtigen, ihrer Familien und Freunde. Die drei wurden nach der Befragung durch die Polizei von der Schule suspendiert, haben Hausarrest und drehen fast durch, denn sie wissen, dass sie es nicht waren. Aber vielleicht einer der anderen beiden? Unabhängig voneinander stellen sie erste Ermittlungen an, kommen aber erst weiter, als sie sich endlich zusammenschließen. Doch das gegenseitige Vertrauen fällt den Außenseitern schwer – was, wenn der Täter doch unter ihnen ist und für seine Zwecke benutzt!?

Mich konnte der Täter am Ende überraschen – Euch auch?!