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Benutzername: 
mrs-lucky
Wohnort: 
Norddeutschland

Bewertungen

Insgesamt 196 Bewertungen
Bewertung vom 13.12.2021
Spätsommermord (eBook, ePUB)
de la Motte, Anders

Spätsommermord (eBook, ePUB)


sehr gut

„Spätsommermord“ ist der zweite Krimi aus dem „Jahreszeiten-Quartett“ des schwedischen Autors Anders de la Motte. Die 4 Bände enthalten voneinander unabhängige Geschichten, gemeinsam ist ihnen zum einen, dass sie alle in der südschwedischen Region Schonen angesiedelt sind, zum anderen greifen alle Mordfälle auf, die schon einige Jahre zurück liegen aber nie zufriedenstellend aufgeklärt wurden.
Die Rückblenden führen diesmal in den August des Jahres 1990 als fünf Jugendliche in einem ehemaligen Steinbruch das Ende des Sommers feiern und zum letzten Mal dort gemeinsam Baden gehen, bevor sich nach Abitur ihre Wege trennen. Doch der Abend verläuft nicht so harmonisch wie geplant und endet tragisch, denn am nächsten Morgen finden Sie einen ihrer Freunde tot im Wasser des Sees treibend. Die polizeiliche Ermittlung ergibt, dass es sich um einen unglücklichen Unfall gehandelt hat, doch nicht alle in der kleinen Gemeinde Nedanås glauben daran, insbesondere die Familie des Opfers hegt einige Zweifel.
Das spürt auch Anna Vesper schnell, die 27 Jahre später von Stockholm nach Schonen zieht, um in Nedanås die Leitung des Polizeireviers zu übernehmen. Zunächst sind es kleine Hinweise zu dem Fall, mit denen sie konfrontiert wird, dann geschieht ein Mord, der mit den damaligen Ereignissen in Verbindung zu stehen steht.
Der Krimi beginnt eher ruhig, entwickelt aber zunehmend Spannung bis hin zu einigen dramatischen Ereignissen. Mir hat aber auch diesmal wieder insbesondere die psychologische Ebene gut gefallen. In der Zeitschiene in der Vergangenheit sind die wechselnden Stimmungen zwischen den Jugendlichen gut dargestellt, die Szenen wirken lebendig und glaubhaft. Ähnlich sorgen in der Gegenwart die Vorbehalte, die Anna bei der Polizei in Nedanås entgegengebracht werden, für eine sehr beklemmende Stimmung. Die Charaktere polarisieren zum Teil, sind aber alle stimmig entwickelt, die durch jahrelange Schuldgefühle geprägte angespannte Atmosphäre wirkt sehr greifbar und schlüssig. Die Geschichte ist fesselnd geschrieben, liefert einige falsche Fährten und ebenso überraschende Entwicklungen. Für mich steht fest, dass ich „Bluteiche“ den mir noch fehlenden letzten Band der Reihe, unbedingt auch noch lesen möchte.

Bewertung vom 11.12.2021
Was wir verschweigen / River Delta Bd.1 (eBook, ePUB)
Tuominen, Arttu

Was wir verschweigen / River Delta Bd.1 (eBook, ePUB)


sehr gut

Der Spannungsroman "Was wir verschweigen" von Arttu Tuominen ist keine leichte Lektüre. Ich habe bewusst nicht die Bezeichnung Krimi aufgegriffen, denn das trifft es meiner Meinung nach nicht, auch wenn die Geschichte mit einem Mord beginnt.
In einem Wochenendhaus am Rande der finnischen Stadt Pori wird mitten in einem Saufgelage ein Mann niedergestochen. Der Leser ist Zeuge der Tat und kennt den Mörder, auch für die hinzugerufene Polizei ist der Täter schnell ausgemacht.
Bei Jari Paloviita, zur Zeit vertretungsweise Leiter des Kriminalkommissariats, werden alte Wunden der Vergangenheit aufgerissen, als er in dem Tatverdächtigen Antti Mielonen seinen besten Freund aus Kindertagen wiedererkennt. Damals haben sie sich ewige Treue geschworen, tragische Ereignisse haben jedoch dazu geführt, dass sich ihre Wege getrennt und völlig unterschiedliche Richtungen eingeschlagen haben. Während Jari bei der Polizei Karriere gemacht hat, ist Antti ins kriminelle Milieu abgerutscht. Doch Jari steht offenbar immer noch in Anttis Schuld, und sein Versuch der Wiedergutmachung bringt ihn in Konflikt mit seiner Position bei der Polizei.
In diesem Roman ist der Kriminalfall zu Beginn der Geschichte nur ein Randthema, das die Ereignisse in der Gegenwart im Jahr 2018 ins Rollen bringt. Der Schwerpunkt liegt in der zweiten Erzählebene im Sommer 1991 und Themen wie Freundschaft, Loyalität und Schuld. Der Leser erfährt, wie die Sommeridylle der beiden Jungen immer mehr ins Wanken gerät und schicksalhafte Ereignisse ihre Freundschaft auf die Probe stellt. Die Stärke des Romans liegt eindeutig auf diesem Teil in der Vergangenheit, die Stimmungen, Gedanken und Gefühle sind gut eingefangen und sorgen für eine zum Teil bedrückende Atmosphäre. Mit den Charakteren in der Gegenwartsebene konnte ich nicht warm werden, sie sind alle mehr oder weniger traumatisiert und leben nebeneinander her. Die hier beschriebene finnische Gesellschaft, dominiert von Gewalt, Alkoholexzessen und dunklen Stimmungen, ist so weit weg von meinem Leben und meinen Werten, dass ich mich nicht mit den Figuren identifizieren kann. Ihre Beweggründe und Handlungen sind für mich nicht wirklich nachvollziehbar. Die Geschichte stimmt dennoch nachdenklich, mir macht es die für mich völlig fremde Welt aber schwierig, die Thematik auf mich zu übertragen und mich in die Figuren hineinzuversetzen. Ich habe nach einem Drittel überlegt, das Buch beiseite zu legen, bin am Ende aber froh, mich weiter darauf eingelassen zu haben, da die Spannung im Verlauf durchaus steigt und mit einigen Überraschungen aufwartet.

Bewertung vom 07.11.2021
Wir sind schließlich wer
Gesthuysen, Anne

Wir sind schließlich wer


sehr gut

Anne Gesthuysens neuer Roman „Wie sind schließlich wer“ spielt wie schon einige frühere Geschichten in ihrer Heimatregion am Niederrhein. Im Mittelpunkt steht diesmal die junge Pastorin Anna von Betteray, die ein privates Trauma zu verarbeiten versucht und gleichzeitig in ihrer neuen Anstellung Fuß zu fassen. Dabei stößt sie in der Gemeinde auf einige Gegenwehr und Misstrauen als junge Frau, noch dazu geschieden und von adliger Herkunft. Auch in ihrer eigenen Familie gilt Anna aufgrund ihrer ungestümen Art und ihrer Lebensweise als schwarzes Schaf, während ihre ältere Schwester Maria sehr zur Freude ihrer standesbewussten Mutter einen Grafen geheiratet und in gut situierten Verhältnissen lebt. Als Marias Ehemann jedoch Betrug vorgeworfen und er verhaftet wird, zeigen sich Risse in der Fassade und kommen einige Lebenslügen ans Licht. In Rückblicken wird deutlich, dass die Schwestern in der Vergangenheit wenig gemeinsam hatten, doch als auch noch Marias Sohn verschwindet, findet die Familie zusammen und versucht gemeinsam, den Jungen zurück zu bekommen.

Auch in diesem Roman hat mir der lebendige Erzählstil der Autorin wieder sehr gut gefallen. Man spürt ihre innige Verbindung mit der Region und deren Bewohnern in der liebevollen Charakterisierung der Personen, wobei sie gleichzeitig nicht an Kritik spart, wenn auch häufig mit einem Augenzwinkern. In der neuen Gemeinde wird Anna sehr ruppig empfangen, Vorurteile sowie ausgeprägter Klatsch und Tratsch sorgen nicht immer für eine angenehme Atmosphäre. Die Bewohner bekommen aber im Verlauf eine Chance zu zeigen, dass ihr Herz am rechten Fleck sitzt.

Der Roman liest sich flüssig, spannende Szenen wechseln sich mit unterhaltsamen ab, trotzdem konnte mich diese Geschichte nicht wirklich überzeugen. Viele der Figuren erscheinen zu klischeehaft, angefangen bei Annas und Marias Mutter, die ihren Standesdünkel über alles setzt, bis hin zu der altjüngferlichen Haushälterin des Pfarrers, die Anna abweisend und herrisch behandelt. Auch das Verhalten der Familie nach Saschas Verschwinden habe ich als seltsam und nicht nachvollziehbar empfunden. Es werden einige interessante Themen angeschnitten, insgesamt erscheint die Geschichte aber eher oberflächlich, Probleme werden nicht wirklich angegangen, sondern wandeln sich zu schnell und wie zufällig in Idylle um. Der Roman bietet gute Unterhaltung ist aber aus meiner Sicht der bisher schwächste der Autorin.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.11.2021
Weihnachten mit Christina (eBook, ePUB)
Bauer, Christina

Weihnachten mit Christina (eBook, ePUB)


sehr gut

Blättert man durch das Buch „Weihnachten mit Christina“ von der österreichischen Bloggerin Christina Bauer, kommt schnell Vorfreude auf die nahende Adventszeit und die Weihnachtsfeiertage auf. Neben einer vielfältigen Auswahl an Rezepten für Plätzchen bietet das Buch Anregungen zu selbstgebastelten Weihnachtsdekorationen, Geschenkverpackungen oder auch kulinarischen Kleinigkeiten zum Verschenken. Großformatige Bilder, die zum Teil dem Stil nach einem Foodblog entstammen könnten, zum Teil aus dem privaten Fotoalbum der Autorin, unterstreichen die heimelige Stimmung.
Man spürt aus den einleitenden Passagen, aber auch aus den Rezepten und Tipps, dass die Autorin mit Leib und Seele Bäuerin und Bäckerin ist. In der Einleitung geht sie darauf ein, wie wichtig ihr in der Küche regionale und biologische Zutaten sind, ihre Rezepte sind entsprechend eher bodenständig, ohne viel exotisches Zubehör, wer regelmäßig backt, der hat vieles vermutlich in seiner Küche vorrätig.
Bei den Plätzchen bilden Mürbteig, Lebkuchenteig und Spritzgebäck die Basis, werden verfeinert, verschiedene Toppings oder Füllungen sorgen für weitere Abwechslung und dafür, dass für jeden Geschmack etwas dabei ist. Das Buch richtet sich nicht unbedingt an Anfänger, die Teige und Arbeitsschritte dürften aber auch ohne große Vorkenntnisse nachvollziehbar sein. Hilfreich sind die Tipps, zum Teil direkt bei einigen Rezepten aber auch in den ersten einleitenden Kapiteln. Dort sind grundlegende Schritte ebenso erklärt wie Hinweise zur Fehlervermeidung, Vorratshaltung oder die Verwendung übrig gebliebener Zutaten. Zu jedem Rezept findet man mindestens ein großes Foto zur Veranschaulichung, wie das Ergebnis aussehen soll.
Das Buch bietet eine schöne Sammlung an verschiedenen Plätzchen, Kleingebäck, weihnachtlichem Kuchen oder Stollen. Auch wenn das Backen zu Weihnachten mit meinen Kindern bei mir ebenfalls schon eine Tradition hat und sich ein paar Klassiker wie Vanillekipferl und Zimtsterne bei uns bereits etabliert haben, sind mir gleich ein paar Rezepte aufgefallen, die ich ausprobieren möchte. Spannend klingen zum Beispiel die Sterne mit „Tiramisu-Füllung“ oder die Kürbiskernkipferl. Versuchen möchte ich ebenfalls die weichen Lebkuchen, an die ich mich bisher nicht herangetraut habe, der Trick mit dem Apfelmus im Teig, um diese weich und saftig zu halten, klingt interessant.
Und dann wären da noch die Espressokekse mit Mandeln und die Vanillekugeln, oder doch lieber die Schokokekse mit Eierlikörfüllung, die Butterwölkchen oder Spritzgebäck mit Schokolade?
Ich glaube, ich werde es Christina nachmachen, und dieses Jahr schon im November mit dem Plätzchenbacken starten.

Bewertung vom 03.10.2021
Der Tod und das dunkle Meer (eBook, ePUB)
Turton, Stuart

Der Tod und das dunkle Meer (eBook, ePUB)


sehr gut

Stuart Turtons zweiter Roman „Der Tod und das dunkle Meer“ ist ebenso außergewöhnlich wie sein erster Roman, er ist keine leichte Kost mit seiner komplexen Geschichte, kann aber ein spannender Schmöker sein, wenn man sich darauf einlässt.
Da der Autor bewusst darauf verzichtet, seine Romane irgendeinem Genre unterzuordnen, unterlasse ich den Versuch, diese Geschichte damit zu umschreiben. Sie spielt vor historischer Kulisse, Schauplatz der Handlung ist überwiegend ein Segelschiff der Ost-Indien-Kompanie, das im Jahr 1643 eine mehrmonatige Reise von Indonesien nach Amsterdam antritt. Neben der wertvollen Fracht befinden sich auch einige Passagiere an Bord, zum Beispiel Generalgouverneur Jan Haan mit seiner Frau Sara Wessel und Tochter Lia auf dem Rückweg nach Europa, wo er auf die Aufnahme in einen einflussreichen Rat hofft.
Die Reise steht unter keinem guten Stern, kaum sind die Passagiere an Bord, als sich Zeichen mehren, dass ein Teufel an Bord sein Unwesen treibt, mordet und allen an Bord Versprechungen macht, wenn sie seinen dunklen Mächten folgen. Der private Ermittler Samuel Pipps wäre prädestiniert, die seltsamen Vorfälle zu untersuchen, hat er doch gerade für den Generalgouverneur einen Schatz gefunden, doch er befindet an Bord in Arrest. So macht sich sein Assistent und Freund Arent Hayes mit Unterstützung von Sara Wessel an diese Aufgabe.
Der Beginn zieht sich etwas, da zunächst die Figuren vorgestellt und die Umstände erklärt werden, doch mit Zuspitzung der Ereignisse steigt die Spannung. Der Roman erinnert mit seiner Szenerie an frühere Mantel-Degen-Filme, die Figuren wirken lebendig, auch weil der Autor sich die Freiheit nimmt, seine Figuren nicht immer historisch korrekt handeln und sprechen zu lassen.
Die Vielzahl an Charakteren macht es nicht immer leicht, beim Lesen den Überblick zu behalten, mir hat die außergewöhnliche Mischung insgesamt aber wieder sehr gut gefallen. Die Geschichte ist abwechslungsreich und originell, der Stil, in dem die Rätsel gelöst werden müssen, erinnert zusammen mit der Art, wie einige der Figuren auftreten, an die Kriminalromane Arthur Conan Doyles. Das Ende habe ich als etwas schwach empfunden, was dem Lesevergnügen aber nicht wirklich schadet, ich werde auf jeden Fall nach weiteren Werken Stuart Turtons die Augen offenhalten.

Bewertung vom 10.08.2021
Die Überlebenden
Schulman, Alex

Die Überlebenden


ausgezeichnet

Alex Schulmans Roman „Die Überlebenden“ ist fiktiv aber autobiographisch inspiriert, beim Lesen habe ich mich oft gefragt, wie viel dieser beklemmenden Familiengeschichte wohl aus persönlichen Erfahrungen entstammen mag, für den Autor hoffe ich, nicht allzu vieles.
In zwei Zeitschienen bekommt der Leser einen Eindruck vom Leben dreier Brüder und ihrer Eltern in der Vergangenheit und der Gegenwart. Dabei werden die Szenen in der Gegenwart in umgekehrter Reihenfolge wiedergegeben und mit Rückblenden eines schicksalhaften Sommers durchsetzt.
Beide Zeitstränge beginnen am selben Ort, an dem Sommerhaus der Familie am Ufer eines schwedischen Sees, zu dem die Brüder Nils, Benjamin und Pierre als Erwachsene zurückkehren, um dort die Asche ihrer verstorbenen Mutter zu verstreuen.
In der Vergangenheit sind die Jungen sieben, neun und 13 Jahre alt, und schon zu dieser Zeit zeigt sich das ambivalente Verhältnis der Familienmitglieder zueinander, das am Ende des Sommers weitere Risse bekommt. Die Idylle am See ist trügerisch, die Jungs buhlen um Aufmerksamkeit durch ihre Eltern, die jedoch meist mit sich selbst beschäftigt sind, kurze gemeinsame Aktionen und Zuneigungsbekundungen können nicht über das allgemeine Desinteresse der Eltern an ihren Söhnen hinwegtäuschen. Der Vater schürt eher noch den Wettbewerb unter der Jungen, wobei sein durch Alkohol getrübtes Urteilsvermögen zu einigen kritischen Situationen führt.
Es ist oft beklemmend zu lesen, wie ratlos die Kinder dem unberechenbaren Verhalten ihrer Eltern ausgesetzt sind, sie einerseits aufeinander angewiesen sind, dann aber wieder in Streit und Rivalität verfallen, sowohl in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Liebe und Verrat liegen stets dicht beieinander.
Die Stärke des Romans liegt insbesondere in den Szenen der Vergangenheit, die bildhaften Darstellungen muten filmisch an, die Gegenwartsschiene erschient etwas distanzierter.
Die Schilderungen wirken erschreckend authentisch, obwohl man wenig über die Charaktere erfährt und nur nach und nach einige wenige Informationen über die Geschichte der Familie erhält. Das Buch ist keine leichte Kost, insbesondere bei der rückwärts erzählten Geschichte der Gegenwart drohte ich manchmal den Faden zu verlieren.
Insgesamt hat mich der Roman sprachlich und inhaltlich mit seiner Ausdrucksstärke beeindruckt, auch nach Beendigung des Buches hallt seine Düsternis nach und lässt mich die Geschichte nicht los.

Bewertung vom 05.08.2021
Der Nachtwächter (eBook, ePUB)
Erdrich, Louise

Der Nachtwächter (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Der Nachtwächter“ weckt die bekannte amerikanische Autorin Louise Erdrich nicht nur die Aufmerksamkeit auf eine wichtige Epoche in der Geschichte der Native Americans, sondern ehrt auch den Einsatz ihres Großvaters für sein Volk.
Seit dem 19.Jahrhundert wurden die amerikanischen Ureinwohner in Reservaten zusammengedrängt, oft auf zu kleinen Landflächen schlechter Qualität. Dort kämpfen sie ums Überleben, sind gezwungen, sich dem Lebenswandel und den Ideologien der Weißen anzupassen, und versuchen dabei, ihre eigene Identität und ihre Gebräuche aufrechtzuerhalten. Anfang der 1950er Jahre wird vom Kongress ein Gesetz verabschiedet, dass die zugesicherten Anrechte der Native Americans zurücknimmt, sie zur Zahlung von höheren Steuern verpflichten soll und zur Umsiedelung in die Städte bewegen, was einer Auslöschung der Stämme gleichkommt.
Dies betrifft auch den Stamm der Turtle Mountain Band of Chippewa, dessen Vorsitz Louise Erdrichs Großvater zu dieser Zeit innehatte. Im Roman lebt Thomas Wazhashk diese Rolle, er kümmert sich um seine Farm, die Belange seines Stammes und schreibt während seiner Nachtwachen in der Lagersteinfabrik Briefe an öffentliche Stellen und Personen, um für ihre Rechte einzustehen. Als er von dem geplanten Terminierungsgesetz hört, kann er den Inhalt zunächst nicht glauben, setzt sich dann intensiv damit auseinander und organisiert eine Delegation nach Washington, um dort ihr Anliegen zu vertreten.
Neben diesem Hauptthema gibt die Autorin einen Eindruck in das Leben der Chippewa zu dieser Zeit. Der Leser nimmt an den Gedanken und Eindrücken mehrerer Stammesmitglieder teil aber auch einiger Weißer, die im Reservat leben oder dieses besuchen. Es wird eindrucksvoll vermittelt, wie die verschiedenen Personen und unterschiedlichen Generationen mit dem Umbruch in ihrer Gesellschaft umgehen, sich der Lebensweise der Weißen anpassen oder an den Anforderungen scheitern, sich zum christlochen Glauben bekennen und dennoch ihre alten Gebräuche und Ahnen ehren. In vielen Szenen und Gesprächen zeigt sich, wie unterschiedlich die Werte der Weißen und der Chippewa sind, wie anders ihr Blick auf die Welt und ihr Umgang mit der Natur.
Mich hat das Buch sowohl inhaltlich als auch sprachlich beeindruckt. Trotz der vielen Charaktere hatte ich nie den Eindruck, den Überblick zu verlieren. Die Autorin weckt auf sensible Weise Verständnis für das Leben und Denken der Native Americans für das Leid, dass sie erfahren haben, aber sie zeigt auch die Stärken auf, die in der Gemeinschaft einer Familie oder eines Stammes stecken können. Diese wunderbar feinsinnige Geschichte hat mein Interesse geweckt, noch weitere Geschichten dieser Autorin zu entdecken.

Bewertung vom 04.08.2021
Die Verlorenen / Jonah Colley Bd.1
Beckett, Simon

Die Verlorenen / Jonah Colley Bd.1


weniger gut

Da mir Simon Becketts Reihe um David Hunter sehr gut gefallen hat, war ich neugierig auf seinen neuen Thrille „Die Verlorenen“, das Lesevergnügen blieb jedoch schnell auf der Strecke.
Jonah Colley, Hauptfigur des Auftakts der neuen Krimireihe des Autors, ist Mitglied einer bewaffneten Londoner Polizeieinheit. Zehn Jahre lang hat er nichts von seinem ehemaligen besten Freund Gavin gehört, als dieser ihn unvermittelt in einem Anruf um Hilfe bittet, da Jonah in seiner aktuellen Situation die einzige Person sei, der er noch trauen könne. Doch als Jonah den Treffpunkt am Slaughter Quay erreicht, gerät er in eine Falle, findet Gavin ermordet vor, wird selbst niedergeschlagen und schwer verletzt.
Hinweise vom Tatort lassen Jonah hellhörig werden und auf eigene Faust Nachforschungen anstellen. Vor 10 Jahren ist Jonahs Sohn Theo von einem Spielplatz spurlos verschwunden, er wurde nie gefunden, Jonah leidet schwer an seiner Mitschuld daran. Kann es sein, dass Gavin etwas zu dieser Sache herausgefunden hat? Wieso taucht in den aktuellen Ermittlungen der Name Owen Stokes auf, der schon beim Verschwinden Theos kurz als Verdächtiger galt?
Der Krimi beginnt spannend, entwickelt sich aber zunehmend zu einer Farce. Die Charaktere wirken sehr klischeehaft und reagieren unglaubwürdig. Dass Jonah Colley einer Eliteeinheit der Polizei angehört, wird zu Beginn erwähnt, sein Verhalten passt in keiner Weise zu diesem Berufsbild. Er agiert naiv, begibt sich blind in offensichtliche Gefahrensituationen, erscheint dann wieder als eine Art Superheld, wenn er trotz schwerer Verletzungen und heftiger Prügeleien mit einem sowieso schon zertrümmerten Knie, weiter macht, als wäre nichts gewesen. Ich konnte die Figur Jonah Colleys, der immerhin im Mittelpunkt dieser neuen Krimiserie stehen soll weder ernst nehmen, noch konnte er Sympathien bei mir wecken. Bei den anderen Personen sieht es nicht viel besser aus, sie erfüllen Stereotypen, reagieren gerne mal cholerisch, voreingenommen und wenig nachvollziehbar.
Auch inhaltlich zeigt die Geschichte Schwächen. An der David-Hunter-Reihe von Beckett hat mir neben dem Schreibstil besonders gut gefallen, wie sorgsam recherchiert die Krimis wirkten, schlüssig aufgebaut und mit interessanten Hintergrunddetails. Das alles fehlt hier, stattdessen wirkt die Handlung sehr konstruiert, Spannung wird aufgebaut, in dem Fragen bewusst nicht beantwortet werden, die Charaktere Wissen zurückhalten. Dadurch wirken beispielsweise die Ermittlungsarbeiten der Polizei, die insgesamt nur eine Nebenrolle spielen, sehr unprofessionell.
In einer Art Showdown am Ende des Buchs, versucht der Autor, die Fäden irgendwie zusammen zu führen, die Erklärungen wirken aber ebenso wenig glaubhaft wie der Rest des Krimis. Die Motivation hinter den Taten wirkt an den Haaren herbeigezogen und lässt diesen Auftaktband endgültig zu einer Enttäuschung werden.

Bewertung vom 23.06.2021
Von hier bis zum Anfang (eBook, ePUB)
Whitaker, Chris

Von hier bis zum Anfang (eBook, ePUB)


sehr gut

Nach der Lektüre von Chris Whitakers Roman „Von hier bis zum Anfang“ bin ich froh, dass ich mich vom dem sehr pathetisch bis kitschig klingenden Klappentext nicht habe abschrecken lassen, denn ansonsten hätte ich einen außergewöhnlichen und bewegenden Roman verpasst.
Der Autor ist Brite, sein Roman spielt jedoch in Amerika in der fiktiven kalifornischen Kleinstadt Cape Haven, in der Jeder Jeden zu kennen scheint. Vor dreißig Jahren wurde der damals 15-jährige Vincent King des Mordes an der 7-jährigen Sissy Radleys angeklagt und verurteilt. Nun hat er seine Strafe abgesessen und kehrt in seine Heimatstadt zurück, doch die Menschen dort haben seine Tat weder vergessen noch vergeben sie ihm. Nur der Polizist Walker, Vincents Freund aus Kindertagen, hält weiter zu ihm. Walk ist so etwas wie die gute Seele des Ortes, versucht Frieden zwischen den Bewohnern zu halten und zu verhindern, dass sich der Ort verändert. Die Rückkehr Vincent Kings reißt alte Wunden auf, der Tod Sissy Radleys hat nicht nur Vincents Leben nachhaltig verändert.
Die Familie des Mädchens ist durch ihren Tod zerbrochen, der Vater weggezogen, die ältere Schwester Star Radley und damalige Freundin Vincent Kings leidet an Depressionen, verfällt immer wieder dem Alkohol und schafft es nicht, sich um ihre beiden Kinder Duchess und Robin zu kümmern. Walk hält ein Auge auf die kleine Familie, die Hauptlast trägt jedoch die 13-jährige Duchess, die sich rührend um ihren kleinen Bruder kümmert und sich mit ihrer schroffen Art eine Fassade geschaffen hat gegen die Anfeindung und Ablehnung ihrer Mitschüler.
Es gibt einige tragische Helden in dieser Geschichte, Walk und Duchess sind zwei davon, sie erzählen abwechselnd aus ihrer Perspektive von den Ereignissen, die Vincent Kings Rückkehr auslöst und das Leben der Radley-Kinder nachhaltig beeinflusst.
Mich hat der Stil der Erzählung beeindruckt, der mit knappen und präzisen Sätzen eine eindrucksvolle Atmosphäre und eine intensive Nähe zu den Hauptfiguren schafft. Insbesondere Duchess ist ein bemerkenswerter Charakter, sie erscheint aufgrund ihrer Lebensumstände älter als 13 Jahre, und ist in anderen Situationen wiederum ein trotziger Teenager, der seinen Platz im Leben sucht.
Vieles wirkt überspitzt, die Zahl der involvierten Personen ist sehr begrenzt, dennoch wirkt der Roman nie unglaubwürdig, die Figuren wirken im Gegenteil so real, dass man meint sie über die Straßen spazieren zu sehen und ihnen im Kopfkino zu folgen. Die Stimmung ist eher düster, dennoch gibt es ebenso ans Herz gehende Szenen wie solche zum Schmunzeln.
Vieles in der Geschichte ist nicht so, wie es zu Beginn der Geschichte scheint, der Autor überrascht den Leser immer wieder mit unerwarteten Wendungen, erst ganz zum Schluss offenbaren sich die tatsächlichen Zusammenhänge und das ganze Ausmaß der tragischen Umstände.
Für mich ist dieser Roman sowohl inhaltlich als auch sprachlich eines der Lese-Highlights des Jahres.