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Volker M.

Bewertungen

Insgesamt 421 Bewertungen
Bewertung vom 14.06.2024
British Furniture
Payne, Christopher

British Furniture


ausgezeichnet

Warum gab es bisher über die kunstgeschichtliche Entwicklung des englischen Möbels zwischen 1820 und 1920 fast keine monografischen Publikationen? Christopher Payne, international anerkannter Spezialist für europäische Möbel des 19. Jahrhunderts, war sich über die Lücke schon lange bewusst, aber ihm war auch klar, dass es schwierig sein würde, sie zu füllen. Das Problem ist der Eklektizismus jener Epoche, die bewusst auf Stilelemente vergangener Zeiten zurückgriff und dieses Prinzip über einen langen Zeitraum beibehielt. Was wir in Deutschland als „Historismus“ kennen, etablierte sich in England schon um 1820 im Segment der Luxusmöbel. Payne bemerkt in seiner hervorragend illustrierten Monografie, dass selbst der englische Handel diesen Stil oft als „viktorianisch“ missinterpretiert und damit auch fehldatiert. George III und William IV waren kunstaffin und schufen in ihrer Vorbildfunktion die Grundlage dessen, was sich etwa 20 Jahre später im Bürgertum als „viktorianischer Stil“ breit manifestierte.

Payne besitzt ein unfassbar umfangreiches Wissen, das sich aus seiner Zeit als Direktor bei Sotheby‘s und als selbständiger Händler speist. Alle stilprägenden Designer, Hersteller und Luxushändler tauchen in seinen nach Jahrzehnten gestaffelten Kapiteln mit detaillierten biografischen Angaben auf, wobei es allerdings bei den langlebigen Firmen einige Redundanzen gibt. Der Vorteil ist, dass jedes Kapitel autark funktioniert, als Leser hätte ich eine weniger in die Tiefe gehende Wiederholung allerdings bevorzugt. Über den umfangreichen Index im Anhang sind die Referenzen auch leicht wieder aufzufinden.

Besonders hervorheben möchte ich Paynes Fokus auf die verwendeten Materialien. Er ist ein hervorragender Holzkundler und es zeichnet sich im Lauf der Zeit immer deutlicher heraus, dass die Einordnung von nicht datierten Möbeln oft über eine präzise Materialbestimmung möglich ist. Das noch um 1820 als absoluter Luxusstil verwendete Design wird unter Verwendung preiswerterer (aus heutiger Sicht immer noch kostbarer) Furnierhölzer später im Bürgertum demokratisiert. Der Band untersucht, wie im Untertitel zu erkennen ist, die Avantgarde dieser Entwicklung und nicht die spätere „Massenproduktion“. Aufgrund von Paynes enzyklopädischem Wissen um Provenienz und Lokalisation bedeutender Möbel ist das Bildmaterial hierzu äußerst umfangreich und erlaubt dem Leser, ein stilistisches Gespür zu entwickeln. Hinzu kommen zahlreiche Darstellungen, die die Möbel im historischen Wohnkontext zeigen, was zum einen bei der Datierung hilft, zum anderen die praktische Verwendung illustriert.

Die Verarbeitungsqualität englischer Möbel dieser Zeit ist herausragend und nicht zufällig haben sich ungeheure Mengen von ihnen aus bürgerlichem Umfeld erhalten. Die in der Monografie gezeigten Beispiele setzen aber eigene Maßstäbe in Qualität, verfeinertem Design und Materialauswahl. Auch wenn der Autor bescheiden darauf hinweist, dass das Buch keineswegs enzyklopädisch gedacht ist, ist die Informationstiefe insgesamt so hoch, dass es aus meiner Sicht durchaus enzyklopädischen Charakter hat. Payne diskutiert seine Zuschreibungen und begründet die Wahl im direkten Vergleich mit Stücken gesicherter Provenienz. So werden vereinzelt selbst „Handschriften“ von Herstellern/Designern erkennbar.

Die Epoche des „britischen Historismus“ ist aufgrund seiner wiederholten Stilrückgriffe und langen Dauer immer noch schwer zu fassen, durch Paynes Monografie werden aber viele der Entwicklungen erkennbar und auch zeitlich besser auflösbar. Einschränkungen gelten insofern, dass die Abgrenzung zum stilistisch ähnlichen bürgerlichen Segment weiterhin eine Herausforderung bleiben wird.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.06.2024
John Sinclair - Promis lesen Sinclair
Dark, Jason

John Sinclair - Promis lesen Sinclair


ausgezeichnet

Seit über 50 Jahren ist John Sinclair Kult. Der Geisterjäger mit James-Bond Attitüde (ohne dessen Sex-Appeal) kennt sich in Britanniens Grüften und Zombie-Kommunen bestens aus und schießt jedem Ghul auf 200 Meter Entfernung eine Silberkugel in den Schleim. Mehr oder weniger schöne Frauen gehören zu seinem Leben ebenso dazu wie ein Bentley als Dienstwagen. Scotland Yard war ja schon immer für seine großzügigen Spesenregeln bekannt.

Die Sammelbox ist hochkarätig mit Sprechern besetzt, die zur Elite deutscher Trash-Experten gehören: Oliver Kalkofe, Lisa Feller, Hannes Bender, Oliver Rohrbeck und Urban Priol legen sich ordentlich ins Zeug, um tanzenden Skeletten in der Horror-Disco, dem blutrünstigen schwarzen Henker, einer rachsüchtigen Geister-Colette oder einem ganzen Bus voller Zombies Leben einzuhauchen. Nun ja, das trifft es nicht ganz, denn John Sinclair hat es bekanntlich mehr mit den Untoten, aber als Sprecher braucht man den ganzen stimmlichen Einsatz, um diesen hanebüchenen Stories die notwendige satirische Note zu verleihen. Literarisch spielt Jason Dark alias Helmut Rellergerd in der Liga von Dr. Stefan Frank, dem Arzt, dem die Frauen vertrauen und Silvia, der Schicksalsgebeutelten. Ihn zeichnen ein untrügliches Gespür für die falsche Metapher und schräge Bilder aus, gepaart mit Dialogen von deutscher Coolness und britischem Ernst. Dass die Sprecher nicht ständig laut losprusten, zeugt jedenfalls von viel professioneller Beherrschung.

Als Gute-Nacht Hörbuch hat mich die Edition prächtig unterhalten. Sozusagen die Drei-Fragezeichen-Einschlafhilfe für Erwachsene.

(Das Hörbuch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.06.2024
Nacht ohne Morgen
d`Halluin, Benoit

Nacht ohne Morgen


ausgezeichnet

Der Anruf, den Catherine eines Abends erhält, lässt ihre Welt zusammenbrechen: Ihr Sohn Alexis liegt nach einem schweren Unfall in einer New Yorker Klinik im Koma. Zusammen mit Marc, dem rätselhaften Anrufer, fliegt sie in die USA und erfährt unterwegs, was Alexis vor der Familie verheimlicht hatte: Er ist schwul und lebt seit zwei Jahren mit Marc zusammen. Es bleibt nicht das einzige Geheimnis um Alexis. Der Unfall war kein Zufall, sondern ganz offensichtlich ein Mordversuch. Doch wer könnte dem lebensfrohen und empathischen Alexis nach dem Leben trachten?

„Nacht ohne Morgen“ ist die berührende Geschichte zweier traumatisierter Menschen, die sich nach der wahren Liebe sehnen und dabei lange ein falsches Leben im richtigen führen. Marc kompensiert seine Verlustängste durch berufliches Engagement und eine steile Karriere, Alexis gelingt es dagegen nicht, den richtigen Moment zu finden, um sich vor seiner Familie zu outen, obwohl er nie befürchten muss, dass seine Sexualität nicht akzeptiert würde. Beide suchen die Liebe fürs Leben, ohne zu wissen, was das eigentlich für sie bedeutet. Bis sie sich begegnen, durchleben sie mehr oder weniger kurzlebige Beziehungen, die meistens daran zerbrechen, dass sich die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Marc ist über Dreißig, Alexis etwas jünger, aber beiden ist klar, dass ihr schwules Verfallsdatum langsam abläuft.

Benoit d’Halluin findet für die Gefühle der beiden Protagonisten die passenden Worte, zwischen Sehnsucht, Einsamkeit und dem strahlenden Moment, als sich Marc und Alexis begegnen. Mit großer Einfühlsamkeit beschreibt er die Unterschiede der Partnersuche in Europa und den USA und es wird deutlich, warum es dort so extrem schwierig ist, „Mr. Right“ zu finden und dauerhafte Beziehungen einzugehen. Umso schöner ist es, dass man auch als Leser sofort spürt, dass Marc und Alexis einander brauchen, wie die Luft zum Atmen. Zu keiner Zeit gleitet der Autor in pornografische oder triviale Abgründe ab, er befriedigt keinen Voyeurismus, sondern konzentriert sich auf die Gefühlslagen und Zweifel der Protagonisten. Gleichzeitig baut er zunehmend Spannung auf, denn von den ersten Seiten an ist klar, dass Alexis seinen Todfeind kurz vor dem Unfall erkannt hat. In Frage kommen zwar einige ehemalige Partner, deren Eifersucht immer noch lodert, nur wer es letztlich ist, bleibt lange im Dunkeln, auch dank einiger unerwarteter Wendungen.

„Nacht ohne Morgen“ ist eine literarische Liebeserklärung an zwei Menschen, die sich gesucht und gefunden haben. Der Krimi, der sich um das Attentat rankt, ist dabei nur der Auslöser dafür, die ganze Geschichte in raffiniert komponierten Rückblenden zu erzählen, wobei d’Halluin stets die richtige Balance zwischen Emotion und Spannung hält. Ein Roman, den man alleine schon wegen seiner präzisen Sprache auch mehrmals mit Gewinn lesen kann.

Die liebevollen Details in der Buchausstattung, mit farbiger Fadenheftung, Lesebändchen und clever strukturiertem Einband zeigt, dass auch der Verlag weiß, dass er hier eine seltene Perle schwuler Literatur im Programm hat.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.06.2024
Gerd Wegers Krypto-Kompendium
Weger, Gerd

Gerd Wegers Krypto-Kompendium


sehr gut

Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum & Co. kamen für mich als Anlageklasse bisher nicht in Frage. Die Kurse sind mir zu volatil, die Verwahrung zu unsicher, das Betrugs- und Diebstahlrisiko zu hoch und vor allem der fehlende innere Wert ist mir suspekt. Auch die auf dem Buchmarkt angebotene Literatur war mir entweder zu einseitig oder in der Informationstiefe zu dürftig. Mit “Gerd Wegers Krypto-Kompendium“ liegt nun ein umfassendes Lehr- und Nachschlagewerk vor, das auch bisher stiefmütterlich behandelte Themen wie Besteuerung oder Fundamentalanalyse ausführlich und breit behandelt. Meine oben genannten Vorurteile konnten durch sachliche Informationen weitgehend entkräftet werden, so dass ich heute Kryptowährungen als neue Anlageklasse betrachte. Sie diversifizieren ein Portfolio sinnvoll, weisen eine geringe Korrelation zu traditionellen Assets wie Aktien, Anleihen oder Immobilien auf und gelten somit als neue „Konkurrenz“ zu Gold.

Weger beginnt sein Kompendium mit einem ausführlichen und detaillierten Grundlagenteil. Er klärt wichtige Begriffe („Kryptosprech“) und weist auf Begriffsverwirrungen und Unschärfen hin, beschreibt die Unterschiede zwischen Bitcoin und Altcoins sowie zwischen Coins und Token, um dann auf Themen wie Blockchain, Kryptografie, Skalierbarkeit, Forks, private und öffentliche Schlüssel und Mining einzugehen. Aber auch praktische Themen wie die Emission und Börsennotierung von Kryptowährungen und deren Handel (z. B. Auswahlkriterien für Kryptobörsen) und Verwahrung (z. B. über Wallets) kommen nicht zu kurz. Besonders interessant fand ich Wegers Ausführungen zur Preisbildung von Bitcoins und warum es normal ist, dass Bitcoins so volatil sind. Der Autor schließt die Einführung in Kryptowährungen mit Risikofaktoren wie staatliche Regulierungseinflüsse, Besteuerungs- und Sanktionsmöglichkeiten, Insiderhandel, Influencer, Betrug und Hacking ab.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Fundamentalanalyse. Ob Kryptowährungen überhaupt einen inneren Wert haben, ist selbst unter Experten umstritten. Weger zeigt jedoch einen Weg auf, wie man dennoch eine Fundamentalanalyse von Kryptowährungen durchführen kann, und weist gleichzeitig auf die Unterschiede zur Fundamentalanalyse von Aktien hin. Mit seiner Methodik analysiert er andere Quellen als die Bilanzdaten von Unternehmen, um entscheiden zu können, ob eine Kryptowährung einen fairen Wert hat oder unter- bzw. überbewertet ist. Auch eine Chartanalyse ist bei Kryptowährungen genauso möglich wie bei anderen Assets. Welche Unterschiede es gibt und welche technischen Indikatoren man heranziehen kann, beschreibt der Autor sachlich, wenngleich er der Aussagekraft der technischen Analyse kritisch gegenübersteht. Der Sentimentanalyse, also der Analyse der allgemeinen Stimmung der Finanzmarktteilnehmer, die für alle Anlageklassen gilt, steht er dagegen aufgeschlossen gegenüber. Auch hier nennt Weger spezifische Indikatoren, die bei der Anlageentscheidung herangezogen werden können. Um den ganzheitlichen Blick auf das Thema Kryptowährungen abzurunden, geht Weger auch auf steuerliche Fragen mit Schwerpunkt Deutschland, aber auch in anderen Ländern ein.

Wegers Buch macht seinem Titel „Kompendium“ alle Ehre. Auf über 700 Seiten beleuchtet Weger das Thema Kryptowährungen von allen Seiten. Die sachliche Sprache, die ausgewogene Argumentation und der Verzicht auf reißerische Werbeaussagen machen das Buch zu einem wertvollen Nachschlagewerk. Es ist didaktisch gut strukturiert und zentrale Aussagen oder wichtige Themenpunkte sind im Fließtext fett gedruckt. Im Anhang findet sich ein umfangreiches Literaturverzeichnis mit zahlreichen Internet-Links. Auf der Website des Autors sind diese Links sowie alle Abbildungen des Buches digital zum Anklicken hinterlegt.
Warum bei einem Kompendium dieses Umfangs auf ein Stichwortverzeichnis verzichtet wurde, ist mir völlig unverständlich. Auf eine Anfrage beim Autor, ob ein solches Register auf seiner Website nachgereicht wird, habe ich leider keine Antwort erhalten.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.05.2024
Intelligent investieren
Graham, Benjamin

Intelligent investieren


sehr gut

Benjamin Graham (1894-1976) war ein US-amerikanischer Ökonom und Investor, der als Vater der fundamentalen Wertpapieranalyse (Value Investing) gilt. Sein berühmtester und erfolgreichster Schüler ist Warren Buffett.
Die erste Auflage seines Buches „Intelligent investieren“ (im Original: „The Intelligent Investor“) erschien 1949. Die hier vorliegende neu übersetzte deutsche Ausgabe basiert auf der vierten Auflage von 1973. Mit Kommentaren von Jason Zweig – einem US-amerikanischen Finanz- und Wirtschaftsjournalisten – aus dem Jahr 2003 wurden Grahams Ideen auf die „heutigen“ Finanzmärkte übertragen, wobei Grahams Ausführungen unangetastet blieben.

Grahams Bestseller gehört trotz seines Alters immer noch zur Standardliteratur für Investoren und richtet sich sowohl an Einsteiger als auch Fortgeschrittene. Die Themen sind heute noch hochaktuell: Aktives und passives Investieren, die optimale Zusammensetzung eines Portfolios, die Vorteile von Indexfonds, „Stock Picking“, Risikomanagement (Sicherheitspuffer), die Psychologie des Anlegers, die Vermeidung potenziell folgenschwerer Fehler, der Anleger und seine Berater, Börsengurus und ihre Jünger und natürlich die Strategien zur Wertpapieranalyse, die sich bei Graham über mehrere Kapitel erstrecken und in Vergleichen von Unternehmen und deren Bilanzzahlen enden. Graham gibt so wertvolle Tipps, wie man Blender an der Börse entlarvt.

Als Platzhalter für den impulsiven, unüberlegten Anleger erfand Graham „Mr. Market“, einen manisch-depressiven Investor, wie er im Buche steht. Er bewertet Aktien nicht nüchtern, wie es ein Finanzmathematiker tun würde, sondern bezahlt bei steigenden Kursen bereitwillig mehr als den objektiven Wert und bei fallenden Kursen will er sie häufig verzweifelt unter Wert verkaufen.

Die Neuübersetzung ist gelungen, liest sich verständlich und flüssig (auf das nervige Gendern wurde zum Glück verzichtet) und wirkt auf mich sprachlich behutsam an unsere Zeit angepasst.

„Intelligent Investieren“ ist noch immer eine Fundgrube für jeden Anleger. Die Kommentare von 2003 sind für das Verständnis und die praktische Umsetzung sehr hilfreich, auch wenn sie mittlerweile selber über 20 Jahre alt sind. Allerdings sollte der Leser wissen, dass sich Grahams Ausführungen spezifisch auf den US-amerikanischen Markt beziehen und einige Themen (z.B. Steuergesetzgebung) inzwischen überholt sind. Dies tut dem sehr positiven Gesamteindruck des Buches jedoch keinen Abbruch. Lediglich das fehlende Stichwortverzeichnis und die unpraktische Handhabung des dicken Taschenbuchs, das zum Zuklappen neigt, haben mich wirklich gestört - aber zum Glück gibt es das Buch auch als digitale Version.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.05.2024
Florenz / Welt der Renaissance Bd.2
Roth, Tobias

Florenz / Welt der Renaissance Bd.2


ausgezeichnet

Florenz gilt als Wiege der Renaissance, und viel ist bereits über die Perle der Toskana geschrieben worden. Tobias Roth wirft in seinem Buch einen ganz eigenen Blick auf die Stadt, die er als Literaturwissenschaftler quasi zwischen den Seiten historischer und meist sehr persönlicher Texte entdeckt. Den Rahmen bildet eine kenntnisreich geschriebene Stadtgeschichte, die bei aller Komprimiertheit einen intensiven Eindruck hinterlässt. Stilistisch elegant verwebt Roth das historische Stadtgeschehen mit Zeitzeugenberichten und literarischen Quellen, die den Wandel der Gesellschaft und ihrer Ansichten widerspiegeln, gleichzeitig aber auch für uns menschlich nachvollziehbar bleiben. Darunter sind echte Entdeckungen, die in der Breite kaum bekannt sind, wie das über viele Jahrzehnte geführte private Tagebuch eines Florentiner Spezereienhändlers. Da wird Geschichte in all ihren Facetten lebendig.
Dass die Stadtgeschichte von Florenz nicht nur enorm spannend ist, angefangen vom leisen Staatsstreich der Medici bis zum brutalen Gottesstaat Savonarolas (aber welcher Gottesstaat ist nicht brutal gegen „Ungläubige“...), sondern auch über die Stadtgrenzen hinaus wirkt, versteht sich von selbst. Roth zeichnet aber daneben ein Bild der Renaissance, aus dem einzelne Menschen hervortreten und es sind meist nicht die allgemein bekannten Figuren der Zeitgeschichte, sondern die aus der zweiten und dritten Reihe, die sonst gerne übersehen werden. Wenn dann eine Berühmtheit wie Lorenzo di Medici die Ehre hat, in diesem Buch sprechen zu dürfen, dann als Schöpfer ziemlich schlüpfriger Gedichte, die das sinnenfrohe Leben in den Palazzi kaum besser illustrieren könnten.

Besonders begeistert hat mich Roths Fähigkeit, komplexe Sachverhalte auf den Punkt zu verdichten, ohne dass der Leser inhaltlich überfordert würde. Sein Stil ist einerseits klar und aufgeräumt, andererseits mit einem gewissem Augenzwinkern auch äußerst unterhaltsam. Außerdem hat er offenbar den Rat von Leonardo Bruni beherzigt, dessen Brief an eine begabte Schülerin ebenfalls im Buch zu finden ist: Ein Text braucht Rhythmus und Melodie, um zu wirken. Was gut ins Ohr geht, geht auch gut ins Hirn. Dieses musikalische Sprachgefühl durchzieht Roths Florentiner Geschichte wie ein roter Faden. Dass das Seitenlayout in vielen Aspekten die Druckkunst der Renaissance aufnimmt, mit hilfreichen Marginalien und den geometrisch auslaufenden Schlusszeilen, ist eine schöne Referenz an eine Zeit, in der Bücher noch kostbar und selten waren.

Wer einmal richtig eintauchen möchte in das Leben im Florenz der Renaissance, der wird hier in 200 Seiten auf Wegen geführt, die man so noch nicht kannte und die wie neue Puzzleteile ein Bild komplettieren, das dennoch niemals fertig werden wird.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.05.2024
Ferne Länder, ferne Zeiten

Ferne Länder, ferne Zeiten


ausgezeichnet

Reisen war über Jahrhunderte eine gefährliche Sache, die man niemals nur aus Neugier oder auf der Suche nach Erholung unternahm. Am Ende des Mittelalters begann dann die Zeit der Entdeckungsreisen, aber erst mit der Aufklärung wurde das Reisen zu einem Element bürgerlichen Lebens. Mit Thomas Cook wurden Reisen ab 1840 dann für ein breites Publikum erschwinglich und es begann das Zeitalter des Massentourismus. Um 1900 gab es einen ersten Boom, der sich, nur unterbrochen durch die beiden Weltkriege, bis heute fortsetzt. Mittlerweile schrumpft die touristische Welt allerdings wieder. Die meisten islamischen Regionen sind für „ungläubige“ Besucher nicht mehr sicher zu bereisen, andere ehemals vielbereiste Länder werden von Klimakrise oder politischen Unruhen destabilisiert.

Die Ausstellung „Ferne Länder, Ferne Zeiten“ im Folkwang-Museum Essen fokussiert sich auf die Goldene Zeit des Tourismus zwischen 1900 und etwa 1970 mit einem deutlichen Schwerpunkt auf den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg. Werbeplakate waren immer schon Spiegel ihrer Zeit und bieten sich daher als gesellschaftliche Projektionsfläche an. Destinationen werben parallel zu den Reiseanbietern um ihre Gäste und damals wie heute locken die Plakate mit einer idealisierten Welt, die Sehnsüchte weckt und nicht selten Klischees bedient. Um 1900 sind die Adressaten vor allem begüterte (Groß)bürger, später demokratisiert sich das Reisen, während gleichzeitig die Reiseziele internationaler werden.

Neben den gesellschaftlichen Entwicklungen spiegeln Reiseplakate auch den stilistischen Wandel der Kunst. Jugendstil, Art déco und die Moderne hinterlassen ihre unverwechselbaren Spuren in der Handschrift der Designer, wobei eher wenige namentlich bekannt sind. Tourismusplakate waren nie Innovationstreiber, sondern bedienten den aktuellen Zeitgeist.

Der Katalog zeigt technisch hervorragende Reprografien der Plakate in der Ausstellung, die zwar meist auf etwa ein Viertel verkleinert sind, was aber aufgrund des auf Fernwirkung angelegten Designs keine Auswirkungen auf Lesbarkeit oder Wirkung hat. Die editorischen Beiträge beschränken sich auf einige wenige und sehr knapp gefasste Einwürfe, die eher Denkanstöße als tiefere Analysen sind. Die Plakate sprechen ihre eigene Sprache, die auch nach 100 Jahren noch genauso verständlich ist wie damals. Sie brauchen weder Übersetzer (übrigens ein echtes Charakteristikum von Tourismusplakaten), noch Erklärer. Sie sind einfach in Farbe gedruckte Sehnsucht.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.05.2024
Panni tartarici
Fircks, Juliane von

Panni tartarici


ausgezeichnet

Seide verbinden wir intuitiv mit China und tatsächlich kommt der kostbare Stoff seit der Antike aus dem Osten. Nicht immer wurden fertig gewebte Textilien gehandelt, sondern auch das Rohmaterial, das dann im Mittelmeergebiet veredelt wurde. Das Spätmittelalter war eine Zeit besonderer wirtschaftlicher Blüte und politischer Stabilität, das den Handel über die Seidenstraßen sicher und verlässlich machte. Es ist also kein Wunder, dass sich kostbare Textilien aus dieser Periode vergleichsweise häufig erhalten haben, insbesondere in den Schatzkammern von Kirchen und Klöstern.

„Panni tartarici“ verweist auf die damals gängige Bezeichnung für flächendeckend goldgewirkte Seidentextilien, wobei im Namen bereits eine wichtige Information steckt: China wurde im Spätmittelalter bis 1368 von den fremdländischen Mongolen („Tartaren“) beherrscht, die ein Weltreich schufen, das bis in den Iran reichte. Gerade diese große räumliche Ausdehnung garantierte den sicheren Austausch von Waren, wobei zwischen dem westlichen und dem östlichen Tatarenreich enge kulturelle und politische Bindungen bestanden.

Juliane von Fircks hat ihre 2016 in Mainz verfasste Habilitationsschrift mit Mitteln der Abegg-Stiftung nun in erweiterter Form als Buch veröffentlicht, wobei ich gleich zu Beginn feststellen will, dass diese Habilitation sprachlich außergewöhnlich klar und verständlich geschrieben ist. Die in den Kunstwissenschaften leider sehr ausgeprägte Tendenz, wissenschaftliche Unsicherheiten mit wolkigen Buzzwords oder steilen (aber unbelegten) Thesen zu verschleiern, ist in diesem Band nicht einmal ansatzweise vorhanden. Es ist damit nicht nur für ein Fachpublikum interessant, sondern aufgrund der vielschichtigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Bezüge auch für interessierte Laien spannend zu lesen.

Die Autorin untersucht einerseits die materielle Herkunft der Seidentextilien, wobei sie die verschiedenen Herstellungsschritte und beteiligten Kulturkreise differenziert. Auf der anderen Seite steht die europäische (und ansatzweise auch mongolische) Rezeption der kostbaren Stoffe im Spätmittelalter, sowohl aus sakraler als auch weltlicher Sicht. Interessant ist, dass die heute noch erhaltenen, ursprünglich weltlichen Textilien meistens aus einem kirchlichen Überlieferungskontext stammen.
Dass der kulturelle Austausch entlang der Seidenstraßen keine Einbahnstraße war, belegt die Autorin am Beispiel der ersten goldgewirkten Stoffe, die ihren Ursprung in der islamischen Welt hatten, aber am Ende des 13. Jahrhunderts als Technologietransfer nach China wanderten und dort zur Perfektion reiften. Als flächendeckendend gewebte Goldstoffe waren sie eine echte Innovation, die bei den Eliten Europas großen Anklang fand und als „Panni tartarici“ zur Handelsware wurden.
Anhand repräsentativer Fallbeispiele untersucht von Fircks die Funktionen und Kontexte (bzw. deren Veränderung) von sakral und weltlich genutzten Panni tartarici. Hier zeigt sich die Adaptation höfischer Lebensart durch den Klerus, während das bürgerliche Patriziertum die Goldseiden nur für kirchliche Stiftungen verwendete und nicht selbst trug. Erstaunlicherweise ist allen Gesellschaftsschichten die exotische Herkunft der kostbaren Gewänder stets bewusst und deutet sie entsprechend symbolisch um.
Das letzte Kapitel widmet sich der Darstellung von Panni tartarici in der spätmittelalterlichen Tafelmalerei, die fast zeitgleich mit der Verfügbarkeit der Stoffe in Europa einsetzt. Andere Luxusstoffe wurden dagegen erst mit deutlicher Verzögerung als Bildthema entdeckt und stellten somit eine historisierende Verbindung zur glorreichen Vergangenheit dar. Auch das Mittelalter kannte eben seine „gute alte Zeit“.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.05.2024
Schnecken, Muscheln & Tintenfische an Nord- und Ostsee
Janke, Klaus

Schnecken, Muscheln & Tintenfische an Nord- und Ostsee


ausgezeichnet

Auf den ersten Blick ist die Muschelwelt am Spülrand deutscher Meere eher monoton, doch wer genauer hinsieht, kann eine erstaunliche Vielfalt entdecken. Zahlreiche Vertreter ähneln sich zwar äußerlich, sind letztlich aber eigenständige Arten. Mit einem guten Bestimmungsbuch lassen sie sich oft gut voneinander unterscheiden, vor allem, wenn man Verwechslungsarten im direkten Vergleich hat.

Klaus Janke beschreibt in seinem Buch über 200 Muschel-, Schnecken- und Tintenfischarten, die an deutschen Stränden mehr oder weniger häufig zu finden sind. In der Nordsee treffen zwei Klimazonen aufeinander, so dass hier Faunenelemente aus den Nordmeeren mit atlantischen zusammentreffen, was die Vielfalt deutlich erhöht. Andererseits befinden sich viele Arten hier auch an der Verbreitungsgrenze und sind dementsprechend selten.

Die Fotos zeigen meist „unbewohnte“ Schalen, wie man sie am Strand findet, in einigen Fällen hat der Autor aber Zeichnungen gewählt, weil auf Fotos die entscheidenden Merkmale nicht deutlich genug zu erkennen sind. Zu jedem Steckbrief gibt es eine kurze textliche Beschreibung der artspezifischen Merkmale, sowie Informationen zur geografischen Verbreitung und der Lebensweise. Zu einigen Arten gibt es noch interessante Hintergrundinformationen, z. B. zur menschlichen Nutzung, der Fortpflanzung oder Verwechslungsmöglichkeiten. Eine Reihe Arten ist ohne Sezieren des Weichtierkörpers nicht eindeutig zu bestimmen. In den Fällen verzichtet der Autor auf eine Aufschlüsselung und zeigt nur exemplarisch die häufigsten Arten.

Die Beschreibungen sagen leider so gut wie nie etwas zur Häufigkeit, was aus meiner Sicht aber eine wichtige Information wäre. Ansonsten ist das handliche und wettertaugliche Bestimmungsbüchlein in jeder Hinsicht ein hilfreicher Begleiter am Strand. Denn es gibt dort erheblich mehr zu finden, als man auf den ersten Blick meinen könnte.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.05.2024
Pflanzenparadiese in Deutschland
Martin, Anne Chr.;Feldhoff, Stefan

Pflanzenparadiese in Deutschland


ausgezeichnet

Um die Natur steht es in Deutschland nicht gut. Neben Biotopzerstörung und Umweltgiften macht vor allem der rasante Klimawandel vielen Arten das Leben schwer. Ursache ist immer der Mensch.
Aber wir haben auch Natur- und Nationalparks als biologische Archen eingerichtet, die seltenen Pflanzen und Tieren ein relativ sicheres Refugium geben und die zumindest teilweise auch als Erholungsräume genutzt werden dürfen. Anne-Christine Martin und Stefan Feldhoff haben 12 Parks erwandert und nicht nur stimmungsvolle Landschafts- und Pflanzenfotos mitgebracht, sondern auch eine umfangreiche Liste mit empfehlenswerten Wandertouren, die sowohl die regionaltypische Flora und Fauna im Blick haben als auch naturerzieherische Angebote, die von Vereinen oder Gemeinden bereitgestellt werden. Herausgekommen ist ein ganz besonderer Wanderführer, der aufgrund seines großen Formats zwar nicht zum Mitnehmen geeignet ist, dafür aber fast 300 Fotos attraktiver Pflanzen zeigt, die man mit großer Sicherheit im jeweiligen Gebiet zu sehen bekommen (sofern man während der Blütezeit unterwegs ist). Hervorzuheben ist, dass nicht nur die Raritäten gezeigt werden, sondern auch häufigere, dafür aber auffällige Arten, die man unterwegs nicht verfehlen wird.

Jedes Kapitel beginnt mit einer kurzen geobotanischen Einleitung, die die besonderen klimatischen oder geologischen Verhältnisse beschreibt, die verantwortlich für die jeweiligen Pflanzengesellschaften sind. Vom Hochgebirge bis zum Niedermoor braucht jedes Biotop besondere Anpassungen, damit Pflanzen überleben können. Nicht unerwähnt lassen die Autoren die zahlreichen Bedrohungen, sei es durch Skipisten und -lifte, die mitten durch Naturparks gehen oder das Verschieben von Klimazonen durch den Klimawandel. Nur wenige Regionen sind so gut geschützt wie der Bayerische Wald, in dem Wanderer nur sehr begrenzten Zugang haben.

Die Beschreibung der Wanderrouten ist kurz und beschränkt sich weitgehend auf Aussagen zu den botanischen oder geologischen Highlights, dem Schwierigkeitsgrad und der Weglänge. Eine Ausschnittskarte liefert grobe Informationen zum Höhenprofil und der Bewaldung, ist aber für eine echte Wanderkarte meistens nicht präzise genug. Im Internet finden sich auf den gängigen Wanderportalen jedoch immer entsprechende GPS-Routen, die man runterladen kann. Solange GPS-Empfang ist, kann man danach wunderbar wandern und verläuft sich nie.

Die Autoren haben sich botanische Expertise bei Peter Gutte, dem ehemaligen Leiter des botanischen Gartens der Uni Leipzig geholt, der auch Hintergrundinformationen beigesteuert hat.

Ein gelungener Mix aus Spezial-Wanderführer und Bildband mit qualifizierten und abwechslungsreichen Empfehlungen, die erkennbar in der Praxis überprüft wurden.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.