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Volker M.

Bewertungen

Insgesamt 374 Bewertungen
Bewertung vom 18.01.2024
Tariq Zaidi
Zaidi, Tariq

Tariq Zaidi


sehr gut

Nordkorea ist das isolierteste Land der Welt. Nur 5000 nicht-chinesische Touristen reisen pro Jahr in das Land und sowohl Reiserouten als auch das Tagesprogramm sind bis ins Detail durch die staatliche Tourismusorganisation vorgegeben. Niemand kann sich dort frei bewegen (nicht einmal die Nordkoreaner), buchstäblich alles wird überwacht. Tariq Zaidi ist dennoch in Nordkorea gereist und hat versucht, hinter den Vorhang zu blicken und das, obwohl selbst das Fotografieren von den staatlichen Aufpassern gesteuert wird. Kann man in so einem Land die Wirklichkeit zeigen? Kann man sie überhaupt sehen?

Zaidis Bilder entsprechen genau dem, was man erwarten würde: Inszenierungen einer Normalität, die Wohlstand und Zufriedenheit suggeriert. „Privat“häuser, ausgestattet mit allen technologischen Bequemlichkeiten, Freizeitvergnügen im Stil der Fünfzigerjahre, moderne Hochhaussiedlungen und gigantische Paradeplätze. Aber es ist manchmal das, was man nicht sieht, das die deutlichere Sprache spricht. Die fehlenden Spuren der Benutzung in den angeblichen Privaträumen, die verkehrsfreien sechsspurigen Straßen in Pjöngjangs Innenstadt oder die völlige Abwesenheit lächelnder Gesichter. Selbst ein „spontanes“ Picknick am Flussufer wirkt mit seinen überquellenden Speisetellern wie ein wohlinszeniertes Theaterstück und der Lebensmittelladen zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass in seinen Regalen die Waren lückenlos gestapelt sind, weil er niemals einen Kunden gesehen hat. Überall präsent sind dagegen die Kims, durch Plakate, Parolen und monumentale Statuen. Uniformen sind allgegenwärtig. Selbst die Kinder wirken manchmal wie ferngesteuerte Marionetten, die einstudierte Kunststückchen vorführen, wie Tiere im Zirkus. Es gruselt einen, wenn man daran denkt, dass alle diese Kinder gezielt für den Krieg gegen Südkorea und die USA erzogen werden. Nordkorea hat die größte stehende Armee der Welt und seine Soldaten kennen nur die Wahrheit, die ihnen vom Regime tagtäglich eingehämmert wird.

Von den landschaftlichen Schönheiten sieht man auf Zaidis Fotos wenig, auch wenn es ein paar ländliche Szenen gibt, die bäuerliches Leben zeigen. Das erinnert dann stark an das China von vor 30 Jahren und auf dem Land scheint auch eine gewisse Entspanntheit zu herrschen, die den Menschen in den Großstädten völlig fehlt. Eine Beziehung baut der Fotograf aber zu niemandem auf, zwischen ihm und der Welt bleibt die unsichtbare Mauer bestehen, die das Regime auch in den Köpfen errichtet hat.

Nachhaltig gestört hat mich bei diesem Buch, dass der Mittelfalz bei einigen Fotos genau durch die zentrale Bildaussage geht, die in einigen Fällen kaum noch erkennbar ist. Sowas sollte einem Layouter wirklich nicht passieren.

„The People’s Paradise“ ist kein Blick hinter die Kulissen Nordkoreas. Die nur einen spaltbreit offene Türe auf dem Titelbild entspricht schon eher der Wahrheit: Man darf ahnen, was sich dahinter verbirgt, aber man ahnt nichts Gutes.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.01.2024
Das Leben der Vivian Maier
Marks, Ann

Das Leben der Vivian Maier


ausgezeichnet

Die Entdeckung der Fotografin Vivian Meier war eine internationale Sensation. 2007 kam der Inhalt einiger Lagerräume zur Zwangsversteigerung, nachdem die Mieterin ihre Lagergebühren nicht mehr gezahlt hatte. Neben Tonnen alter Zeitungen fanden sich fast 150.000 Fotos und Negative in der Hinterlassenschaft, die aber erst einige Jahre später mediale Aufmerksamkeit erhielten. Meiers Fotos spielen mittlerweile in einer Liga mit den Großen ihrer Zeit, werden in Ausstellungen gezeigt und in Galerien gehandelt.

Die Person Vivian Meier blieb dennoch weitgehend im Dunkeln, denn für Interviews war es zu spät. Sie starb 2009 an den Folgen eines schweren Sturzes und es sollte sich bald herausstellen, dass die Recherche nach ihrer Biografie ungeahnte Schwierigkeiten mit sich brachte. Vivian Meier hatte Zeit ihres Lebens mit niemandem über ihre Herkunft gesprochen, sie war unfähig, längere Freundschaften aufrechtzuerhalten und brach den Kontakt zu Freunden, Arbeitgebern und Bekannten oft völlig unvermittelt ab. Schon zu Lebzeiten war sie ein Mysterium, nach ihrem Tod schienen alle Spuren ins Leere zu laufen.

Dass es Ann Marks dennoch gelang, diese geheimnisvolle Biografie zu enthüllen, ist ihrem detektivischen Spürsinn und einer weit überdurchschnittlichen Hartnäckigkeit zu verdanken, denn wie sich zeigte, ist kaum ein biografisches Dokument in Vivian Meiers Genealogie ohne Fälschung oder Verfälschung ausgekommen: Schon ihre schillernden Eltern und Großeltern verwischten ihre Herkunft, es wimmelt von falschen Geburts- und Heiratsurkunden, einige ihrer Vorfahren gerieten mit dem Gesetz in Konflikt und nicht wenige litten an ernsthaften psychischen Störungen – genau wie Vivian Meier, die im fortgeschrittenen Alter ein ausgewachsenes Messie-Syndrom entwickelte. In dieser undurchsichtigen Gemengelage ist es Ann Marks gelungen, die Wahrheit aufzudecken und mit einigen Menschen zu sprechen, die Vivian Meier noch persönlich kannten. Hier entsteht der Eindruck, als habe man es mit zwei völlig unterschiedlichen Personen zu tun: Die einen beschreiben Meier als empathisch, witzig und liebevoll, die anderen als eiskalt, emotional verkrüppelt und empathielos. Auch Meiers Fotos von sozial Abgehängten zeigen oft eine gnadenlose Distanzlosigkeit, die für die Portraitierten nicht selten entwürdigend gewesen sein muss. Diese beiden Persönlichkeitsbilder zusammenzubringen, ist nicht einfach, aber Ann Marks entdeckt Muster, die sich psychologisch nachvollziehen lassen und auch wenn postume psychologische Diagnosen immer mit großer Vorsicht zu genießen sind, ist die Datenlage (auch in Selbstzeugnissen) doch so umfangreich, dass sie in diesem Fall überzeugen. Mich hätte noch interessiert, welche künstlerischen Einflüsse auf Vivian Meier wirkten, denn es ist auffällig, dass sie immer auf der jeweiligen Höhe ihrer Zeit fotografierte, aber dieses Rätsel wird wohl nie gelöst werden, da in ihrem Nachlass keine Fotobücher vor 1976 erhalten sind. Dass sie sich auch davor intensiv mit zeitgenössischer Fotografie beschäftigt hat, steht außer Frage.

Ann Marks schreibt in einem sehr sachlich nüchternen Stil und neigt im letzten Drittel des Buchs ein wenig zu inhaltlichen Redundanzen und der detaillierten Bildanalyse einzelner Fotos (die sich jedoch nicht räumlicher Nähe zum Text befinden), aber die sachliche Eindringtiefe ist angesichts der Schwierigkeiten dennoch bemerkenswert. Einige hundert Fotografien aus Meiers Nachlass illustrieren sowohl ihre Lebensgeschichte als auch die künstlerische Entwicklung, wobei nicht nur zahlreiche der bei Schirmer-Mosel bereits publizierten Meisterwerke in Verkleinerung zu sehen sind, sondern auch Material aus dem erweiterten Familienalbum. Im Anhang finden sich aufschlussreiche Angaben zur Informationsbeschaffung und den persönlich interviewten Zeitzeugen, sowie ein ausführliches Quellenverzeichnis.

Auch wenn ein Rest von Geheimnis bleibt, wird man Vivian Meier näher als in diesem Buch nicht mehr kommen können.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.01.2024
BILD MACHT POLITIK

BILD MACHT POLITIK


ausgezeichnet

„Bild – Macht – Politik“ ist der Begleitkatalog zur gleichnamigen Ausstellung, die noch bis zum 3. März in der Österreichischen Nationalbibliothek stattfindet. Es ist die größte Einzelausstellung Okamotos, seit er 1985 mit 69 Jahren Selbstmord beging, und sie würdigt nicht nur einen bedeutenden Reportagefotografen, sondern insbesondere den Künstler, der die Sehgewohnheiten der Bildberichterstattung im Nachkriegsösterreich maßgeblich beeinflusst hat.

In den USA ist Yoichi Okamoto besonders durch seine Arbeit als offizieller Fotograf des Weißen Hauses in der Amtsperiode Lydon B. Johnsons bekannt. Er dokumentierte buchstäblich jeden Schritt des Präsidenten und das, obwohl er zeitweise massivem öffentlichem Druck ausgesetzt war. Johnson entließ ihn daraufhin zwar, stellte ihn aber kurz darauf wieder ein. Bis heute ist die Amtszeit Johnsons die am besten dokumentierte aller amerikanischen Präsidenten.

Okamotos Bildästhetik ist stark von Henri Cartier-Bresson beeinflusst, dessen suggestives und emotionales Konzept er perfekt beherrscht. Dynamischer Bildaufbau, eine exzellente Balance der Kontraste gepaart mit einem großen erzählerischen Talent machen seine Fotos zu Paradebeispielen für herausragende Bildreportagen in der Nachkriegszeit. Ab 1945 arbeitete Okamoto in Salzburg für die Militärverwaltung und wurde damit zum Dokumentar des kriegszerstörten Wien, eine Aufgabe, die er mit viel Empathie und Feinfühligkeit umsetzte. Auch wenn er nicht dezidiert zu den Sozialfotografen zählt, kannte er keinerlei Berührungsängste zu sozial Benachteiligten und hatte ein offenes Auge für soziale Missstände.

Der Ausstellungskatalog ist stark biografisch strukturiert, mit vielen Beispielen aus Okamotos öffentlichem und privatem Portfolio, wobei seine Wiener Zeit und die Jahre im Weißen Haus im Fokus stehen. Die Autoren der Einzelbeiträge setzen sein Werk aber immer auch in einen größeren Kontext und untersuchen den Einfluss, den Okamotos Bilder auf die öffentliche Wahrnehmung hatten. So wie man Okamotos Vorbilder auf den ersten Blick erkennt, so unzweifelhaft ist die Wirkung, die seine Bilder auf die nachfolgenden Fotografengenerationen bis in die Gegenwart hatte.

Die mit großer Kennerschaft zusammengestellte Bildauswahl konzentriert sich allerdings nur auf Okamotos Glanzzeit zwischen 1945 und ca. 1970, das spätere Werk für TIME LIFE, die amerikanische Umweltschutzbehörde oder das Smithsonian Institute werden weitgehend ausgeblendet, ebenso wie sein Selbstmord nicht erwähnt wird. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Aspekte zum Verständnis der Person von Bedeutung wären, die im Katalog vor allem auf der Arbeitsebene sichtbar wird. Der Mensch Okamoto bleibt dagegen weitgehend im Dunkeln.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.01.2024
Wand- und Bodenstanduhren der Habsburgermonarchie
Andréewitch, Stephan; Archard, Paul; Graef, Alexander

Wand- und Bodenstanduhren der Habsburgermonarchie


ausgezeichnet

Österreichische Uhren wurden schon immer etwas unterschätzt. Auf Auktionen und im Handel tauchen sie zwar regelmäßig auf, aber die Sammlerschaft rekrutiert sich hauptsächlich aus Österreich, weshalb sie preislich, verglichen mit ihrer handwerklichen Qualität, noch relativ erschwinglich sind. Ein Grund ist sicherlich, dass die österreichische Uhrmacherei in der Forschung deutlich unterrepräsentiert war und viele Aspekte noch nicht systematisch untersucht wurden. Einen wesentlicher Schritt in diese Richtung haben Stephan Andréewitch, Alexander Graef und Paul Archard mit ihrer Monografie zu den Wand- und Bodenstanduhren der Donaumonarchie gemacht. Es ist nicht nur ein exzellenter Bildband, mit Abbildungen bedeutender Uhren, die zum Teil der Öffentlichkeit auch nicht zugänglich sind, sondern er liefert die umfangreichste Zusammenstellung österreichischer Großuhrmachermeister und deren Mitarbeiter, ihrer biografischen Daten und Wirkungszeiträume, die es derzeit gibt. Anhand von alten Zunftbüchern ist es nach jahrelanger Arbeit gelungen, den publizierten Bestand um Tausende, bisher nicht erfasste Namen zu erweitern und auch bekannte Uhrmacher mit wesentlichen Informationen, wie z. B. Lebensdaten, Adressen, erteilten Privilegien und bedeutenden Einzelwerke in Verbindung zu bringen. Auf diese Weise wird erkennbar, dass ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts Österreich ein wesentlicher Player in der internationalen Uhrenproduktion wurde und auch technologisch eigene Beiträge lieferte. Vor allem im Bereich der Gebrauchsuhren wurden Wien und Prag zu Hotspots der europäischen Uhrenproduktion, mit teilweise beeindruckendem Output.

Neben den wichtigsten Protagonisten und ihrer Biografie liegt ein weiterer Fokus auf dem Ausbildungsgang mit vergleichenden Auszügen aus den Zunftordnungen verschiedener Städte. Auch die merkantilen Aspekte wurden untersucht. Die regelmäßig stattfindenden Gewerbeausstellungen in Wien, Pest und Prag zeigten auch Produkte der österreichischen Uhrmacherkunst und auf den Weltausstellungen in London 1851 (die erste überhaupt) und Wien 1873 waren sie ebenfalls präsent.

Ein wichtiges Kapitel ist die Stilkunde, die insgesamt drei Perioden formal unterscheidet. Hier werden auch die typischen Stilelemente erkennbar, die österreichische Uhren grundsätzlich kennzeichnen, wie die typischen Dachkonstruktionen ab etwa 1800 („Laterndluhr“ und später die vereinfachte „Dachluhr“) und die absolut charakteristischen halbkreisförmigen bzw. sich verjüngenden unteren Abschlüsse bei Wanduhren, die dann im Regulatorstil ab 1850 im ganzen deutschsprachigen Raum große Verbreitung fanden. Der anschließende, sehr umfangreiche Katalog mit qualitätsvollen Beispielen aus allen Großuhrenkategorien, Technologien, mit und ohne Komplikationen, ergänzt die vorangegangenen Kapitel mit inhaltlich ausführlichen Steckbriefen und wirklich hervorragenden Aufnahmen, die oft auch Einblicke in die (ausgebauten) Uhrwerke zeigen.

Im wegen des Umfangs in einen zweiten Band ausgegliederten Lexikon sind über 14000 Uhrmacher erfasst, die sich nicht nur aus den Zunftbüchern der Hauptstadt Wien ableiten, sondern auch Ofen, Pest und Prag berücksichtigen. Zwar sind die originalen Wiener Zunftbücher irgendwann nach 1973 aus dem Uhrenmuseum verschwunden, aber es gab zum Glück noch Abschriften aus den Zwanzigerjahren, die entsprechend bearbeitet wurden. Auch wenn damit noch einige Zunftbücher der kleineren Produktionsorte auf ihre Auswertung warten, ist hiermit ein sehr wesentlicher Schritt vollzogen und vermehrt das publizierte Wissen enorm.

„Die Wand- und Bodenstanduhren der Habsburgermonarchie“ darf man mit Fug und Recht als die zukünftig maßgebliche Referenz ansehen, und das nicht nur für Großuhren, denn viele Betriebe stellten ebenfalls Kleinuhren her.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.01.2024
The Art Deco Style
Duncan, Alastair

The Art Deco Style


ausgezeichnet

Art Deco war ursprünglich ein ausgesprochener Luxusstil, dessen Objekte als Einzelstücke oder in Kleinstserien hergestellt wurden. Dass dieser Stil in den Dreißigern zum Mainstream wurde und dann auch in die Massenproduktion ging, hat diesen Luxusaspekt etwas überdeckt, aber ohne die frühen Kunden und Sammler hätte sich das Art Deco nie durchgesetzt. Alastair Duncan hat in seinem umfangreich illustrierten Band genau diese Avantgarde-Sammlerschaft in den Focus gestellt, die als Zündfunke und Wegbereiter dienten.

Zunächst stellt er einige der ganz frühen Vertreter der Arts Décoratifs vor, die teilweise schon ab 1915 eine Art Proto-Stil produzierten. Manche von ihnen haben diese Ambitionen bald wieder aufgegeben, andere sind früh verstorben, aber es gibt auch Beispiele wie Eileen Gray, die zu den frühen (wenn auch nicht den ersten) Protagonisten zählt und sich stilistisch von da aus fortentwickelte. Allen gemeinsam ist, dass sie entweder Franzosen sind, oder stark von einem Aufenthalt in Paris beeinflusst wurden. Art Deco ist primär ein französischer Stil, der sich erst Mitte der Zwanziger langsam internationalisiert.

Der Hauptfokus liegt allerdings auf den sehr wohlhabenden Sammlern (auch wenn es im engeren Sinn zunächst ausschließlich Kunden sind), die sich im neuen Stil einrichten ließen. Darunter sind überraschend viele Personen aus der damaligen Modebranche, die selber eigene Modehäuser führten und in der High Society eng vernetzt waren. Die im Art Deco gestalteten Verkaufsräume haben daher einen nicht geringen Anteil am Erfolg gehabt. Alastair Duncan stellt die Personen in prägnant geschriebenen Biografien vor und zeigt parallel in historischen Aufnahmen die Inneneinrichtungen und einzelne, herausragende Stücke, die später mit gesicherter Provenienz in Auktionen versteigert wurden oder in Museen landeten. Duncan hat auch nicht übersehen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg der Stil schlagartig verschwand und um 1970 erst wiederentdeckt wurde. Auch hier waren Couturiers wie Karl Lagerfeld und Yves Saint Laurent die Vorreiter. Heute gehören Art Deco Möbel mit Provenienz und von bedeutenden Künstlern zu den am höchsten bewerteten Möbeln überhaupt.

Im letzten Kapitel stellt Duncan die neue Generation der Sammler vor, meist reiche Amerikaner, die historische Statussymbole suchen. Hier sieht man deutlich, wie besondere Stücke in einem Kreislauf von 30 bis 40 Jahren immer wieder auf dem Markt kommen, bis sie am Ende in einem Museum landen. Leider nur zu oft im Depot, wo dann bedauerlicherweise niemand mehr einen Nutzen von ihnen hat.

Das hervorragend illustrierte Buch beleuchtet eine ganz neue Facette in der Entwicklung des Art Deco und zeigt auch, wie vielgestaltig der Stil in der Frühphase war. Stets überraschend und in der Materialauswahl und -verarbeitung von höchstem Anspruch getragen.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.01.2024
China to go
Sieren, Frank

China to go


schlecht

Frank Sieren gilt allgemein als „Chinakenner“, jedoch bekommt das Bild langsam Risse. Sein neues Buch „China to go“ bezieht eine Position, die sich vordergründig als neutral bezeichnet, indem der Autor vorgibt, die „Pros“ und „Contras“ gegeneinander abzuwägen, dann aber in stereotyper Regelmäßigkeit die Sicht Chinas als die „richtige“ darstellt und keine Gelegenheit auslässt, den Westen und insbesondere die USA zu kritisieren.

Besonders auffällig ist, dass Sieren sehr gerne Studien zitiert, die im Westen durchgeführt wurden und zu dem Schluss kamen, dass entweder Chinas moralische Verfehlungen halb so wild sind oder China technologisch und gesellschaftlich in fast jeder Hinsicht überlegen ist. Interessanterweise werden die genauen Quellen kaum jemals zitiert, sodass eine Überprüfung nur selten möglich ist. Es gibt auch kein summarisches Quellenverzeichnis am Ende. Die Studienergebnisse stehen also unkommentiert im Raum und Fakten, die dem entgegenstehen, werden schon mal gerne „übersehen“. Die Öffentlichkeit weiß z. B. von 114 in China inhaftierten Journalisten, aber Frank Sieren stellt nur fest, dass das bei 1,4 Milliarden Einwohnern ja nur sehr wenige wären und in der Türkei säßen viel mehr Kritiker im Gefängnis. Und die Türkei sei sogar NATO Mitglied! Mit dem Hinweis, die anderen seien noch viel schlimmer, lässt sich fast jede Schandtat relativeren.

Die auf schnellen Konsum getrimmten Kapitel sind selten länger als 4 Seiten und neigen dementsprechend zu starken Verkürzungen, die dann fast immer zu Gunsten Chinas ausgehen. Sieren begründet diesen Telegrammstil mit der „TikTok-Generation“, die größere Informationsmengen nicht verarbeiten könne. Nun ja, es sind genau diese Köpfe, die China schon immer gerne erreichen wollte.

Ein besonders übles Kapitel ist aus meiner Sicht dem Thema „Meinungsfreiheit“ gewidmet. Sieren ist der Überzeugung, dass Kritik an der Politik der KP auch in China möglich sei. Das darf er gerne den 114 Journalisten oder der Million Uiguren erklären, die genau deshalb gerade inhaftiert sind. Auch zu Maos Zeiten gab es bekanntlich die Möglichkeit, offen Kritik zu üben. 1956 ließ er unter dem Motto „Lasst 100 Blumen blühen“ die Dämme brechen, aber nur, um seine Feinde zu identifizieren und sie anschließend zu liquidieren. In China sitzt die Zensurschere mittlerweile fest in den Köpfen von Medien und Bevölkerung, da braucht man nur mal öffentlichkeitswirksam ein paar Minister oder reiche Unternehmer verschwinden zu lassen und schon wissen die kleinen Leute wieder, was sich zu kritisieren schickt.

Zweifellos gibt es vieles, was in der EU und den USA nicht gut läuft und auch nicht alles, was in China passiert, ist grundsätzlich schlecht. Durch die aus meiner Sicht manipulative Darstellung von Frank Sieren ist es aber fast unmöglich, in diesem Buch die positiven von den negativen Seiten wirklich zu unterscheiden. Zu oft ertappt ein kundiger Leser den Autor bei Auslassungen und teilweise wirklich dreisten Verdrehungen. Kann man da den Rest noch glauben?

China versucht seit vielen Jahren auch im Westen die Deutungshoheit über sein menschenverachtendes Gesellschaftssystem zu erlangen und Bücher wie dieses sind im Politbüro nicht nur willkommen, sondern sie gehören zur Langzeitstrategie. „Am chinesischen Wesen soll die Welt genesen“. Frank Sieren hat sich mit diesem Buch jedenfalls einen Bärendienst erwiesen. Ernst nehmen kann ich ihn nicht mehr.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 30.12.2023
Max Dudler

Max Dudler


ausgezeichnet

Max Dudler ist ein führender Vertreter der Gegenwartsarchitektur, dessen Entwürfe sich durch klare Linien, einfache geometrische Elemente und ein geschicktes Spiel von Licht und Schatten auszeichnen. In erster Linie gestaltet er öffentliche Gebäude, insbesondere seine eleganten Bibliotheken sind bekannte Schöpfungen.

Die nun in dritter Auflage vorliegende Monografie versammelt Dudlers wichtigste Werke und verbindet sie gleichzeitig chronologisch mit seiner Biografie, angefangen bei seinem Durchbruch, dem auch heute noch eindrucksvollen Bewag-Büro am Lützowplatz bis hin zu laufenden Projekten, vor allem in Berlin. Neben den schwarz-weißen Architekturfotografien mit Außen- und oft auch Innenansichten sind verkleinerte Auf- und Grundrisse zu sehen, ergänzt durch kurze Hintergrundinformationen über Auftraggeber, Lokalität und künstlerisch/funktionale Umsetzung des jeweiligen Projekts. Dudlers Handschrift wird dabei mit jeder Seite deutlicher und erweist sich schon in seiner Anfangsphase als völlig ausgereift: Der Kubus als wesentliches Gestaltungselement gliedert fast alle seine Fassaden, die kaum jemals Rundungen kennen. Die repetitiven Geometrien und hochwertigen Baumaterialien haben oberflächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit der Architektur des Dritten Reiches, aber es gibt einen grundsätzlichen Unterschied: Dudlers Architektur will niemals einschüchtern und meistens sind seine kubischen Fassaden durch viele Fensteröffnungen von außen gut einsehbar und transparent. Ein wunderbares, aus meiner Sicht sogar das schönste Beispiel ist die Bibliothek der Humboldt-Universität in Berlin, die trotz der formalen äußeren Strenge innen geradezu luftig wirkt. Bei Funktionalität und Dauerhaftigkeit macht Dudler keine Kompromisse, genauso wie er auf ausgesuchte Materialien großen Wert legt. Nach eigener Aussage ist das sein Beitrag zur Nachhaltigkeit, da er auch Sanierung und Instandhaltung bereits in sein Konzept integriert (Das Bewag-Haus sieht noch wie neu aus). Die teilweise enormen freien Innenvolumen sind allerdings aus heutiger Sicht energetische Kostenfallen, da warme Luft nach oben steigt, der Nutzungsraum sich aber hauptsächlich in den unteren Etagen befindet. Ein weiterer Nachteil der glatten Oberflächen in den gezeigten Innenräumen ist sicher die unangenehme Überakustik.

Dudlers Architektur gliedert sich hervorragend in ihre jeweilige Umgebung ein, wie man ebenfalls am Bewag-Haus gut erkennen kann. Gerade die Verbindung von Alt und Neu ist eine besondere Spezialität des Büros. Auch hierzu finden sich viele Beispiele in der Monografie, die übrigens nicht nur ausgeführte Projekte, sondern auch Wettbewerbsentwürfe und nicht realisierte Ausschreibungen enthält. Auffällig sind die oft überdurchschnittlich langen Bauzeiten, wobei offenbar seit 2015 zunehmend Projekte auch nicht mehr realisiert wurden. Dudlers Perfektionismus und seine teuren Materialien sind in Zeiten leerer öffentlicher Kassen sicherlich hinderlich. Es ist zweifellos Statement Architektur: Aber Statement Architektur, die zweifellos die Zeiten überdauern wird.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.12.2023
Bossard Luzern 1868-1997
Jürg A. Meier, Jürg A.;Chadour-Sampson, Beatriz;Preiswerk, Eva-Maria

Bossard Luzern 1868-1997


sehr gut

Die bis 1997 existierende Firma Bossard in Luzern gehörte zu den führenden Gold- und Silberschmieden der Schweiz und war eine treibende Kraft des Historismus. Ihre Stilkopien und stiltreuen Eigenschöpfungen sind handwerklich hervorragend und gehören zum Besten, was damals hergestellt wurde. Das Schweizer Nationalmuseum besitzt nicht nur den Firmennachlass mit zahlreichen Modellen und Zeichnungen, sondern verfügt außerdem über einen reichhaltigen Bestand an Bossard-Objekten aus der Frühzeit. 10 Jahre nachdem das Firmenarchiv erworben wurde, erscheint nun die umfangreiche Monografie über das Haus Bossard.

Die überragende Person der Firmengeschichte ist zweifellos Johann Karl Bossard, der mit großem Geschäftssinn und einer kompromisslosen Fokussierung auf Qualität seine Gold- und Silberschmiede innerhalb einer Generation an die Spitze der Zunft hob. Ihm und seinem Werk gilt die überwiegende Zahl der Kapitel, angefangen beim biografischen Hintergrund über die Entwicklung der einzelnen Geschäftsfelder bis hin zu spezifischen Einflussfaktoren auf den „Bossard-Stil“. Letzteres ist von besonderem Interesse und dank der Bestände aus dem Nachlass auch sehr gut rekonstruierbar. Johann Karl Bossard war nicht nur Gold- und Silberschmied, sondern gleichzeitig Antiquitätenhändler, und aus dieser Quelle schöpfte er nicht nur Teile seines großen Vermögens, sondern ließ auch von vielen Objekten präzise Zeichnungen und Abgüsse fertigen. Sie wurden später, neben originalen Renaissancestichen, zu seinen wichtigsten Inspirationsquellen und nicht selten exakt kopiert. Dieser Aspekt wird von den Autoren ausführlich beleuchtet, allerdings zu meiner Überraschung keineswegs kritisch, sondern mit einer Neutralität, die an Parteinahme grenzt. Ein großes Problem der Bossardschen Stilkopien ist, dass sie selten gemarkt wurden und damit von Originalen der Renaissance kaum unterscheidbar sind. Für den Experten gibt es zwar Hinweise, wie z. B. veränderte Herstelltechniken (Halbschalen vs. Vollguss, Befestigung der Klingen etc.), aber bis heute tauchen Bossard-Kopien immer wieder als vermeintliche Originale in Auktionen auf. Auch betätigte sich Bossard als Restaurator, wobei die Grenzen zwischen Original und Ergänzung für den Betrachter nicht mehr erkennbar sind. Nach heutigem Verständnis muss man viele Bossard-Schöpfungen als bewusste Fälschungen ansehen, diese Bewertung sucht man in der Monografie jedoch vergebens. Damit übernehmen die Autoren unkritisch die Position des 19. Jahrhunderts. Am Beispiel eines Renaissance-Pulverhorns wird zumindest ein Fall im Detail beschrieben, bei dem erst eine akribische historische Nachrecherche die Fälschung entlarvte, die sich bereits in Museumsbesitz befand.
Während des Historismus war Bossard in jeder Hinsicht führend und wahrscheinlich einer der besten Experten für Renaissance-Silber überhaupt. Seine wissenschaftlich-enzyklopädische Herangehensweise ist auch heute noch bewundernswert, aber mit dem Aufkommen neuer Stile zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlor die Firma zunehmen den Anschluss. Die handwerkliche Qualität blieb zwar überragend und einige Entwürfe sind auch künstlerisch überzeugend, aber eine geänderte Tischkultur, alternde Sammlerkreise und ein sich wandelnder Geschmack haben den Markt grundlegend verändert.

Bei aller Kritik, die ich übe, hat das Werk einen unleugbaren Nutzen, indem es nicht zuletzt mit seinen brillanten Abbildungen die unglaubliche Formenvielfalt und handwerkliche Perfektion Bossards einem breiten Publikum vermittelt. Die hochqualifizierten Autoren beschreiben differenziert stilistische, kulturhistorische und technologische Merkmale, die auch Sammlern von Renaissance-Silber als Hilfsmittel dienen können, um Bossards Kopien zu erkennen. Die Monografie hat also in jeder Hinsicht ihre Berechtigung.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.12.2023
Die Sektion (Steidl Nocturnes)
Heym, Georg

Die Sektion (Steidl Nocturnes)


ausgezeichnet

Dass Georg Heym trotz seines literarischen Talents dem Publikum heute unbekannt ist, hat einen simplen Grund: Er starb mit nur 24 Jahren bei einem Schlittschuhunfall, als er einem ins Eis eingebrochenen Freund helfen wollte. Schon seine literarischen Phantasien drehten sich oft um den Tod und dessen Ausweglosigkeit. Düster sind diese Geschichten, so düster, dass Ernst Rowohlt von ihnen zwar fasziniert war, die Publikation aber ablehnte, da er fürchtete, keine Käufer zu finden. Das war 1911, wenige Monate vor Heyms Unfalltod. Einige der Prosastücke veröffentlichte Rowohlt dann postum doch noch, aber Heym blieb nur als Lyriker einigermaßen in Erinnerung.

„Die Sektion“ versammelt sowohl Kurzgeschichten aus dieser Erstpublikation als auch bisher unbekannte Werke aus dem Nachlass. Heym erweist sich hier als ein Meister des Unheimlichen, dem es mit Worten mühelos gelingt, eine unterschwellige Bedrohung aufzubauen, ohne das eigentliche Grauen beim Namen zu nennen. Dabei nimmt er oft eine ungewöhnliche Opferperspektive ein, sei es, dass er die Wonnen einer Leiche bei der Leichenöffnung beschreibt oder ein fiktives Tagebuch Ernest Shackletons findet, das eine ganz andere, schauerliche Geschichte von dessen Südpolexpedition erzählt und selbst seine Version des ersten Liebeskummers ist weniger tragisch als besessen dämonisch. Heym gehört stilistisch zu den Expressionisten und seine oftmals verzerrte oder ins Extreme gesteigerte Wahrnehmung bestimmt die Erzählweise. Aussichtslos wie Kafka, grausam wie Poe, dabei mit einer ganz eigenen Musik der Sprache, die rhythmisch und präzise schwingt. Auffällig ist das enorm reichhaltige Vokabular und hohe Bildungsniveau, das ich einem 23-Jährigen nicht zugetraut hätte. Die Geschichten weisen jedenfalls stilistisch und inhaltlich weit in eine Zukunft, die Heym niemals haben würde. Aus ihm wäre ohne Zweifel ein Erzähler von Rang geworden, hätte er nur lange genug gelebt.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.12.2023
Barbarenwall und Transitland
Zerres, Jutta

Barbarenwall und Transitland


ausgezeichnet

Die Alpenprovinzen des Römischen Reiches sind so etwas wie die Stiefkinder der Forschung. Die Befundlage ist verglichen mit dem Kernland nicht besonders reichhaltig und Ausgrabungen sind aufgrund des Geländes oft aufwendig und teuer. Schon die alten Römer hielten das Bergland für rückständig und unkultiviert, für sie war es Barbarenland.

Bisher fehlt in der deutschsprachigen archäologischen Literatur eine umfassende Darstellung dieser Region, die Jutta Zerres hiermit vorlegt. Sie füllt diese Lücke, indem sie die deutsche, englische, italienische und französische Literatur auswertet und systematisch strukturiert. Neben ausführlichem Kartenmaterial zeigt sie von ausgewählten Orten auch aktuelle Ansichten und wichtige Funde, sowohl in situ als auch aus Museen und Sammlungen.

Schon die Frage nach der Abgrenzung der einzelnen Provinzen bereitet Schwierigkeiten, da historische Orte nicht immer eindeutig zuzuordnen sind und sich die Provinzgrenzen im Lauf der Zeit verschoben haben. Jutta Zerres diskutiert den Stand der Forschung anhand antiker Quellen und der archäologisch belegten Siedlungsgeschichte und stellt dann die Entwicklung der Verkehrswege sowie ausgewählte Ortschaften der Alpes Maritimae, Alpes Cottiae und Alpes Atrectianae im Detail vor. Die Angaben sind so ausführlich, dass sie sich auch zur Planung einer Reise mit archäologischem Fokus eignen (im Anhang befindet sich zusätzlich eine Liste der Orte, Ausgrabungsstätten und Museen). In diesem Zusammenhang verweist die Autorin auch auf Spolien in der Umgebung antiker Siedlungen, die heute oft die einzigen noch sichtbaren Zeugen sind. Auf- und Grundrisse von erhaltenen Großgebäuden, sowie einige Rekonstruktionszeichnungen ergänzen den fokussierten Text.

Ein eigenes Kapitel ist der Frage nach der Romanisierung gewidmet. Hier hat die Forschung erhebliche Fortschritte gemacht und das Bild einer kulturell abgekoppelten Region revidiert. Auch wenn die Alpenprovinzen hauptsächlich dem Transit dienten, waren sie in eine reichsweite Planung eingebunden und insbesondere an den Orten der großen Alpentransversalen ist die römische Dominanz auch heute noch in den Straßenzügen der Altstädte und an den Großdenkmälern ablesbar. Dauerhafte Militärpräsenz ist dagegen nicht belegt, so stammen die Soldatengräber in erster Linie von Durchreisenden. Deren Epigrafik ist übrigens ein eigenes Kapitel gewidmet. Außerdem untersucht Jutta Zerres die Funde und Befunde zur lokalen Wirtschaft (Holz, Metall, Steine) und den lokalen Religionen und Kulten, die zwar nicht sehr häufig sind, aber dennoch ein einigermaßen geschlossenes Bild zeichnen.

Der hervorragend illustrierte Band richtet sich sowohl an das Fachpublikum als auch den interessierten Laien und vermittelt den aktuellen Kenntnisstand gut strukturiert, verständlich und kompakt. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis im Anhang fehlt natürlich nicht.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.