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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 16.09.2008
Paris geheim
Troller, Georg St.

Paris geheim


ausgezeichnet

Wer Paris kennen lernen möchte, sollte sich am besten jemandem anvertrauen, der dort lebt, die Entwicklung der Stadt seit Jahrzehnten verfolgt, aus ihr berichtet hat. Wer, wenn nicht Georg Stefan Troller. Abseits der gewohnten Stadtführer begleitet der Leser ihn durch Seitenstraßen, in Keller, an vergessene, wie wiederbelebte oder neu erfundene Orte. Im Vorbeigehen erzählt Toller Anekdoten, erinnert an Historisches, preist das Essen eines Bistros und warnt vor den Trendsettern, die von Quartier zu Quartier ziehen, immer auf der Suche nach einem Ort, der vor ihnen noch niemand trés chic gefunden hat. Durch Trollers Augen fühlen wir den Verlust, den Paris erlitten hat. Auch hier wie in manch anderer Metropole hat die Sanierung all jene in die Banlieus geschwemmt, die sich die Mieten nicht mehr leisten konnten. Kein Buch zum Schmökern, eher eins, um es in die Hand zu nehmen, und damit durch Paris zu schlendern. Ständig auf der Suche nach einem von Trollers Schätzen. Die Straßen, Hausnummer, die geheimen Ort, die Separees gibt der Autor vor. Solange sie noch da sind.
Polar aus Aachen

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.09.2008
Unterm Birnbaum
Fontane, Theodor

Unterm Birnbaum


ausgezeichnet

Wer glaubt, dass auf dem Land keine Verbrechen geschehen, wird in Theodor Fontanes Novelle eines besseren belehrt. Wer Schulden hat, am Kartenspiel hängt, nicht weiß, wie er das Geld zurückbezahlen soll, muss sich etwas einfallen lassen, will er sich nicht der Schande aussetzen. Und sei es ein Mord. Der geschieht früh in der Geschichte und im Verlauf handelt Unter dem Birnbaum vor allem von der Gerechtigkeit. Kommt ein Mörder mit seiner Tat davon? Schafft man es, indem man sich verstellt, dass alle einen für unschuldig erklären? Fontane besaß den Blick und die Sprache, um mit spitzer Feder von dem Geschehen um Abel Hradschek und seine Frau zu berichten. Er besaß auch jenen feinen Humor, der sich am Ende zeigt, wenn es darum geht, wo man den Mörder begräbt, und man sich einig ist, dass die Seele der Kirche gehört, aber man den Menschen nicht verwehren kann, dass Kreuz mit dem Namen umzuwerfen, um eine späte Genugtuung zu erringen. Lug und Trug, ein Franzos, statt eines Polen unter einem Birnbaum, ein Freispruch und eine späte Gerechtigkeit, Theodor Fontane beschreibt seinen Kriminalfall variantenreich. Nicht von außen, indem er über das Dorf schreibt, vielmehr von innen, indem er die Bewohner zu Wort kommen läßt.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.09.2008
Die souveräne Leserin
Bennett, Alan

Die souveräne Leserin


ausgezeichnet

Dieses Buch besitzt Charme. Etwas, was in der Literatur selten vorkommt. Man muss die ganze Zeit schmunzeln. Natürlich führt der Zufall Regie, wenn die Queen in der Nähe ihres Palastes auf einen Bücherbus trifft, dem die Mittel, die Route in Zukunft gestrichen werden sollen. Ausgerechnet einer ihrer Dienstboten begegnet ihr, so dass sie sich angehalten sieht, selber ein Buch auszuleihen. Aber welches? Die Queen liest nicht. Das soll sich von nun an ändern. Norman wird im weiteren Verlauf der Geschichte, nicht nur am Hof Karriere machen und aus der Küche auf einen Stuhl in die Nähe der Gemächer der Queen aufsteigen, er wird sie auch mit seinen Ratschlägen überhäufen, was die Welt der Bücher betrifft. Seinen Hang zur leicht homosexuellen Literatur übersieht die Queen geflissentlich, weil sich für sie ein neuer Kosmos auftaut, der ihre eigene Welt ins Wanken bringt. Die Queen liest. Darf sie das? Der festgezurrte Tagesablauf der Monarchie verändert sich, bringt die vorgegebenen Antworten bei Empfängen und Besuchen ins Wanken. Der Hof ist not amused. Der Premierminister sowieso nicht. Sie verunsichert sogar den französischen Staatspräsidenten, als sie ihn bei einem Staatsbesuch nach seinem Verhältnis zu Jean Genet befragt. Ein wunderbar humorvolles Buch über die Kraft der Literatur, über die Veränderungen, die ein Leser durchlebt, wenn er sich auf sie einläßt, und das Buch eines Autors, der augenzwinkernd Untertan seiner Majestät ist.
Polar aus Aachen

16 von 17 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.09.2008
Farm der Tiere
Orwell, George

Farm der Tiere


ausgezeichnet

Ob Orwell sich bewußt darüber war, als er Farm der Tiere schrieb, dass er mit seinem Bauernhof einen modernen Klassiker verfasste, der es in die Schulbücher schaffte, wo er Leichterhand mit Interpretationen überfrachtet werden kann? Es muss ihm Freude bereitet haben, seine politische Analyse der Tierwelt anzuvertrauen. Die Geschichte von den Revolutionären, die ihre eigene Revolution auffrisst, wird oft mit den politischen Verhältnissen hinter dem eisernen Vorhang verglichen. Das Gleichnis jedoch reicht weit über die konkreten Missstände, Fehlentwicklungen hinaus, legt vielmehr menschliche Schwächen bloß, die auch bei einem Systemwechsel nicht gleich ad acta gelegt werden, und gipfelt in dem Satz, dass manche Tiere eben gleicher sind. Orwell war ein politischer Schriftsteller, jemand, der sich eingemischt hat. Mit der Farm Tiere ist ihm gelungen, den Ideologen, dem Machtstreben einen hässlichen Spiegel vorzuhalten. Vor allem ist es eine wunderbare literarische Farce.
Polar aus Aachen

7 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.09.2008
Small World
Suter, Martin

Small World


ausgezeichnet

In seinem ersten Roman beweist Martin Suter bereits sein ganzes Talent. Konrad Lang leidet an Alzheimer, doch nicht nur, dass er unfreiwillig in seinem Alltag versinkt, Dinge vergisst, nicht wieder erkennt, ihn plagen Erinnerungen. Das ist bei vielen Menschen so. Lang jedoch wußte nicht, dass er sie besaß. Sie tauchen wie aus einem fremden Leben auf, verunsichern sein jetziges und setzten ihn auf die Spur, um Verlorenes zurückzugewinnen. Der Thriller versteckt sich in der Geschichte einer Familie, die alles daran setzt, dass Ereignisse der Vergangenheit nicht wieder ans Tageslicht gezerrt werden. Suter wechselt Schauplätze Stimmen und beweist von leichter Hand, wie geschickt er mit Spannung umzugehen versteht. Wenn sich das Ende nähert, ahnt man, was geschehen ist, was überhaupt nicht stört, weil Suter seine Geschichte mit einem Augenzwinkern serviert. Teilweise lakonisch, teilweise amüsant, vor allem sezierend, wozu Menschen fähig sind. Martin Suter behält dies alles nicht nur in diesem Roman fest im Blick.
Polar aus Aachen

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2008
Der Seelenbrecher
Fitzek, Sebastian

Der Seelenbrecher


sehr gut

Man nehme: Eine Klinik in einem Funkloch, einen Serienmörder, etwas Amnesie , ein verborgenes Geheimnis, ein Handvoll überraschender Wendungen und einen Schneesturm, der alle dazu verdammt, an Ort und Stelle zu bleiben. Natürlich darf auch das Rätsel nicht fehlen, mit dessen Lösungen man sich der Erlösung nähert. Und schon hält man die Mixtur für einen Thriller in der Hand. Der Held ist natürlich derjenige, der sein Gedächtnis erst mühsam wieder zusammensetzen muss. Das alles kommt einem ein wenig bekannt vor. Katzenbach und Fitzek liegen da schon nah beieinander. Trotzdem gelingt es dem Autor durch die Variation einer Rahmenhandlung, der Idee des Seelenbrechers Spannung aufzubauen. Auch wenn die Figuren teilweise holzschnittartig dem Plot unterworfen sind, treibt Fitzek seine Geschichte vor sich her und wartet gegen Ende mit einer Überraschung auf. Ein Psychothriller, der nur unter einem leidet: Irgendwie hat man das weite Strecken lang schon einmal gelesen. Etwas für Fitzek-Liebhaber und jene, die den Psychothriller gerade erst für sich entdecken.
Polar aus Aachen

8 von 10 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2008
Ungefähre Landschaft
Stamm, Peter

Ungefähre Landschaft


ausgezeichnet

Wie steht es um die Liebe bestellt in unserer Zeit? Die verliebt sind, werden antworten: bestens, die auf der Suche sind, sich für katastrophal entscheiden. Das war in den vergangenen Jahrhunderten nicht anders. Peter Stamm hat ein feines Gespür dafür, den Unterschied herauszustreichen. Sei es in dem profanen Mittel der Mails, über die sich ungeniert Bekanntschaften schließen, wenn nicht gar Affären anbändeln lassen, sei es in dem Gefühl übrig geblieben zu sein, etwas zu verpassen. Das Alleinerziehen hängt Kathrine zum Hals heraus. Neben der großen Hoffnung auf die einzig wahre Liebe prägt vor allem die Sehnsucht, den Alltag nicht mehr allein zu bewältigen, die überstürzte Sucht nach Kontakten zum anderen Geschlecht. Kathrine, Zöllnerin, achtundzwanzig hat ein Kind, lebt in einem Umfeld, das allzeit von Schnee bedeckt zu sein schneit, und findet sich nicht ab. Sie scheut nicht vorm Abenteuer zurück, nicht mal vor einer zweiten Ehe. Und doch bleibt sie empfindsam, ist nicht abgestumpft. Dass sie enttäuscht wird, erwartet man schon bald in der Geschichte. Peter Stamm beweist auch in diesem Roman, dass er die Sprache besitzt, seine Leser nicht nur in fremde Welten zu entführen, er geht auch hier mit seinen Figuren so liebevoll um, dass sie einem mit all ihren Eigenarten vertraut erscheinen. Die Atmosphäre stimmt nicht nur draußen in der Landschaft, auch in den Häusern, zwischen den Menschen. Wobei sich die Risse nicht zukleistern lassen. Ein wundervoll poetisches Buch, durch das man bis ans Ende gleitet.
Polar aus Aachen

0 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2008
Chronik eines angekündigten Todes
García Márquez, Gabriel

Chronik eines angekündigten Todes


ausgezeichnet

Mit Márquez wird immer der Begriff der Magie verbunden. Magie ist etwas, was uns zu verzaubern vermag, ohne dass wir ahnen, wie sie zustande kommt. Bei Márquez jedoch vermögen wir es festzumachen: Es ist die Sprache, die bilderreich eine überbordende Atmosphäre schafft, vor allem jedoch ist es auch der scharfe Blick auf die Wurzeln Lateinamerikas. Wer glaubt, dass Vorkommnisse wie in Chronik eines angekündigten Todes nur noch in Büchern und Filmen auftauchen, sollte sich von den Zentren überall auf der Welt wegbewegen, um vermehrt auf Menschen zu treffen, bei denen die Ehre ein Begriff ist, dem sie alles unterstellen. Wie absurd das Schicksal dabei Regie führt, zeigt Márquez in seinem Roman. Die Braut ist nicht unberührt, ob der Mann es ist, spielt in diesem Dorf keine Rolle. Es gilt, den Ritualen Genugtuung zu verschaffen. Was sich bewährt hat, als Voraussetzung für eine Ehe angesehen wird, darf nicht mit Nachsicht bedeckt werden. Und so treten die Brüder auf, um sich zu rächen. Wir sind bei Shakespeare angekommen. Wessen Ehre ist die höhere? Am Ende nur jene, die überlebt. Ein kurzer Roman, dessen Bilderreichtum, dessen Abgründe mitten in Gabriel Garciá Marquez Magie führen.
Polar aus Aachen

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2008
Afrika, Dunkel lockende Welt
Blixen, Tania

Afrika, Dunkel lockende Welt


ausgezeichnet

Es gibt Bücher, die gehen verschollen, bedürfen der Neuentdeckung. Der Run auf Tania Blixen nach dem Hollywoodstreifen Jenseits von Afrika war immens, fast so als würde der Kontinent neu entdeckt. Der erste Satz: "Ich hatte einmal eine Farm am Fuße der Ngongberge." ging um die Welt. Dabei handelte es sich nicht einmal um einen Afrika-Schmöker, der von der guten alten Zeit schwärmte. Detailreich schildert Tania Blixens autobiographisch Erzählung die Härte des Überlebenskampfes, eine kolonialisierte Welt, in der die weiße Oberschicht, es sich gut gehen läßt. Gleichzeitig jedoch ist es die Geschichte von einer Frau, die Mut besitzt, ohne die klassische Männerwelt auskommt, versucht sich durchzusetzen und erscheint gegen Ende trotz ihres Scheiterns und ihrer Rückkehr nach Europa wie eine Siegerin. Sie hat sich bewiesen, dass sie es kann, dass sie selbst in einer widern Welt die Stirn hebt. Nicht zuletzt ist es die Geschichte einer großen Liebe, die auf der Leinwand ausgeschlachtet und mit prächtigen Bildern ausgestattet wurde. Afrika, Tania Blixens Welt lebt jedoch vor allem von den inneren Bildern, der Sprache, die die Autorin längst wieder in Europa für ihr versunkenes Paradies gefunden hat.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2008
Diana oder Die einsame Jägerin
Fuentes, Carlos

Diana oder Die einsame Jägerin


ausgezeichnet

Noch heute ranken die Männerphantasien um Jean Seberg. Wer sie in Godards Außer Atem gesehen hat, dem haftet das Bild einer jungen Zeitungen verkaufenden Amerikanerin im Gedächtnis, die sie allzu gerne von sich gegeben hat: unbeschwert, ständig auf der Suche nach dem Abenteuer, dem Leben, naiv und doch mit dem Esprit der Freiheit behaftet. Carlos Fuentes erzählt in seinem Roman von der Begegnung zwischen ihr und ihm. Nur heißt sie hier Diana Soren und hat zufällig auch die Jungfrau von Orleans gespielt. Der Autor steckt in einer Krise und läßt sich auf eine unbeherrschbare Liebe ein, verfällt Sebergs betörendem Sinn, bis zum Äußersten zu gehen, und den quälenden Zweifeln. Fuentes zeichnet vor allem die Widersprüche nach und nimmt sich als Autor nicht aus. Rückblickend erscheint ihre Liebe von Anfang an wie eine Totgeburt. Sie zu erleben, erweist sich für ihn jedoch als etwas, das durch sein ganzes Leben nachhallt. Dass er die Fiktion vortäuscht, um von sich zu erzählen, mag als Schutz gedacht sein, doch durch sie vermag er womöglich, tiefer zu graben, als es ihm in einer Autobiographie gelungen wäre. Zwei Künstler, die sich auf schwankendem Boden begegnen, wo jeder im anderen den Halt sucht und ihn nicht findet. Gleichzeitig beschreibt Fuentes eine Zeit, die sich im Umbruch befindet, die Lösungen in Händen zu halten glaubt, sich ihnen radikal verschreibt und ihr Scheitern nicht erträgt. Ein Roman nicht für Schlüssellochgucker, eher für Literaturliebhaber, die sich einem Seitenblick in das Leben eines Autors nicht verwehren.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.