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Woertergarten

Bewertungen

Insgesamt 66 Bewertungen
Bewertung vom 16.10.2022
Ein Alman feiert selten allein
Atmaca, Aylin

Ein Alman feiert selten allein


gut

Ein traditionelles Weihnachten aus einer anderen Perspektive

Elif, türkischer Abstammung, aber in Deutschland aufgewachsen, steht vor einer großen Herausforderung: Sie wird Weihnachten mit der Familie ihres Freundes Jonas verbringen. Sie freut sich riesig, zum ersten Mal ein traditionelles deutsches Weihnachten zu erleben. Jedoch wird es auch das erste Mal sein, dass sie Jonas Eltern und Familie trifft. Sie will sich deswegen von ihrer Schokoladenseite zeigen und die Fettnäpfchen vermeiden. Gar nicht so einfach mit einer Familie, die an einer besonders schlimmen Form des Weihnachtswahnsinns leidet.

Mit den zahlreichen Geschenken erinnert das Cover an einen Adventskalender. Jedoch sind die gewählten Farben verwunderlich: Ich assoziiere die weder mit Weihnachten, noch mit Deutschland oder der Türkei. Der Titel ist mir auch bis zum Ende ein Rätsel geblieben: Feiern setzt irgendwie voraus, dass man nicht allein ist. Zusätzlich, wie die Autorin in der Geschichte es selbst beschreibt, feiern Türken in noch größeren Kreisen als Deutschen.

Der Schreibstil ist flüssig bis auf die gegenderte Schreibweise, die an einigen Stellen des Buches zu finden war. Das muss in einem Roman wirklich nicht sein. Dieses sehr kurze Buch erinnert vage an einem Feel-Good-Roman, besonders einige witzigen Szenen und das Ende.

Jedoch finde ich, dass die Autorin mit ihrer bissigen Kritik gegenüber den Deutschen zu weit geht, und das, obwohl ich selber nicht Deutsche bin. Aylin Atmaca stellt Jonas deutsche Familie sehr überspitzt dar. Sie bedient sich nämlich blindlings in den üblichen Klischees und Vorurteile gegenüber den Deutschen. Nur die weißen Socken in den Sandalen waren (vermutlich wegen der Jahreszeit) nicht dabei.

Die wenige Textstellen, in der die Autorin darüber nachdenkt, wie es Jonas bei einer türkischen Feier gehen würde, oder sie ihre Landsleute wegen ihres Verhaltens kritisiert, reichen als Gegengewicht nicht.
Wenn ein deutscher Autor oder eine deutsche Autorin nur halb so scharf Türken oder Menschen türkischer Abstammung kritisieren oder karikieren würde, wäre es schon als Skandal bezeichnet.

Dieser Roman hätte eine interessante und unterhaltsame Karikatur des Weihnachtswahnsinnes, das unsere Konsumgesellschaft jährlich überkommt, abliefern können, wenn es nicht mit diesen interkulturellen Klischees und Vorurteile gegenüber den Deutschen übersät wäre.

Fazit: Eine weihnachtliche Unterhaltung für zwischendurch, die keinen bleibenden Endruck hinterlässt. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Bewertung vom 15.10.2022
Nordfriesische Verschwörung
Kramer, Gerd

Nordfriesische Verschwörung


ausgezeichnet

Nordfriesland in einem anderen Licht

Die Kommissare Flottmann und Hilgersen aus Husum werden mit einer Serie von außergewöhnlichen Ereignissen und Anschlägen konfrontiert. Totschlag und Mord finden sich auch darunter. Hängt vielleicht alles zusammen? Aber wenn ja, wie? Gibt es vielleicht eine (oder sogar mehrere) nordfriesische Verschwörung?

Spätestens mit der Pandemie ist jeder von uns mit dem Thema Verschwörungstheorien konfrontiert worden. Mit diesem ungewöhnlichen Ansatz hat Gerd Kramer ein Prunkstück geschaffen. Wie dieser Krimi es beweist, kann wirklich alles als Grundlage für eine Verschwörung dienen. Es muss nur richtig verpackt und den richtigen Leuten serviert werden.

Wenn es darum geht, sich einen Aluhut für seinen Vorhaben auszusuchen, hat der Täter in Husum scheinbar die Qual der Wahl! Unglaublich wieviele Verschwörungstheorien und -anhänger es gibt… Ausgerechnet in Nordfriesland in der Nähe des Hever-Dreiecks… Gerd Kramer hat diese Thematik sehr gut recherchiert, sei es die Theorien selber, aber auch die Technik, mit der Menschen damit manipuliert werden.

Als Gegengewicht für die erwähnten Elaborate stellt der Autor wissenschaftlich bewiesene Fakten und physische. Phänomenen, wie Luftspiegelungen vor.
Besonders interessant fand ich die Details über die Forschung im Bereich der Akustik. Mir war nicht klar, dass es so viele Anwendungsmöglichkeiten gibt, an den der faszinierende, hochsensibel Leon Gerber gearbeitet hat oder hätte können.

Das schöne Cover mit maritimem Flair sorgt für Lokalkolorit, in dem es an die Nordsee und Fischkutter erinnert. Es hat nicht nur eine metaphorische Bedeutung, da ein Fischernetz auch eine Nebenrolle in der Handlung spielt.

Den Schreibstil ist flüssig und sehr angenehm zu lesen. Wegen der unterschiedlichen sich aneinanderreihenden Situationen und Vorfälle ist der Plot zuerst schwierig nachzuvollziehen. Aber so soll es in einem spannenden Krimi auch sein.

Da ein Krimi ohne Ermittler kein Krimi wäre, möchte ich auch noch vom Duo Flottmann und Hilgersen berichten. Zwei Persönlichkeiten, die nicht unterschiedlicher sein könnten, und die sich zwischendurch gegenseitig hänseln. Mir hat den Austausch zwischen diesen zwei antagonistischen Kommissaren sehr gefallen. Mit ihren vielen Ecken und Kanten, sowie ihrer lokalen Verankerung in Husum und ihren Lebensgefährtinnen wirken beide sehr authentischer, lebendig und erfrischend.

Leon Gerber, der nicht direkt zur Ermittlungsteam gehört, ist mit seiner Hochsensibilität eine sehr bemerkenswerte Figur. Er hat den Kommissaren die Lösung auf einem silbernen Tablett serviert. Jedoch bin ich mir nicht sicher, ob er die Vorfälle und seine eigene Rolle überhaupt mitbekommen hat.

Eine weitere sich im Bannkreis der Ermittler befindende Figur darf man nicht vergessen: Bogomil… Er trägt nicht zur Lösung bei, aber was für ein lockerndes Highlight !

Ob alles wirklich zusammenhängt, wie Hilgersen Alexander von Humboldt zitiert, wird der Leser dieses fantastischen nordfriesischen Krimis selber rausfinden. Dieses Buch lohnt sich auf jeden Fall auch für das Ermittlungsteam (mit Anhang)!

Bewertung vom 07.10.2022
Flieg weiter, Gordon
Zipper, Gerd

Flieg weiter, Gordon


ausgezeichnet

Der kleine Flugplatz auf der Schwäbischen Alb

Nach dem Tod seines Vaters möchte Gordon ihren gemeinsamen Traum erfüllen : eine Bücker 131 Jungmann aus den dreißigen Jahren zu restaurieren. Die Suche erweist sich als schwierig, Schwieriger als die Liebe seines Lebens zu finden: Amelie, die sich perfekt in seinen Freundeskreis des Flugplatzes einfügt.
Aufgrund einer degenerativen Seherkrankung gerät Gordon unter Zeitdruck: Doppeldeckerrestaurierung oder Amelie? Sein Leben droht, aus den Fugen zu geraten.

Gordons Eigensinn und Besessenheit, die der Bücker gilt, weisen auf einem starken Charakter hin. Für seinen Traum und den seines Vaters war er bereit, einiges im beruflichen und im privaten Bereichen zu opfern. Zum Glück ist es ihm alles gelungen und es kommt für Gordon zu einem Happy End.
Zusätzlich kann Gordon auch stolz auf sich sein: dank seinem Enthusiasmus hat er einen Jugendlichen mit der Fliegerei angesteckt und ihm dadurch die Möglichkeit gegeben, sich in eine andere Richtung weiterzuentwickeln.
Weitere Personen spielen eine wichtige Nebenrolle um Gordon herum. Jedoch ist ihre Vergangenheit (z.B. Pia) für die Hauptgeschichte um Gordon teilweise überflüssig.

Das Cover ist sehr gut gelungen. Auf der Vorderseite spielt ein Kind in Fliegerbekleidung mit einem Flugzeugmodell, wie Gordon es auch wahrscheinlich tausende Male gemacht. Er träumt davon, aufzusteigen und die Erde von oben zu sehen. Auf der Rückseite, die Zeit als Erwachsener mit der Bücker 131 Jungmann und die Vogelperspektive auf der Schwäbischen Alb, die auch im Roman mehrmals beschrieben wird.

Sehr hilfreich für die Lektüre sind die technischen Daten und das Glossar, die der Geschichte einen zusätzlichen Geruch von Öl und Kerosin verleihen. Erwähnenswert sind auch die kleinen Flugzeugbilder die als Trennzeichen innerhalb der Kapitel dienen. Sie passen wunderbar zum Roman. Originell sind auch die im ganzen Buch verstreuten Zitate von verschiedenen Figuren.

Das Lesen dieses Romans ist wie einige Stunden Kunstfliegen: Loopings, Höhen, Tiefen. Zwischen Glück und Enttäuschung schwebt der Leser mit Gordon und seiner Clique über die Seiten. Da die ganze Gemeinschaft rund um den Flugplatz und den Flugverein eine wichtige Rolle in Gordons Geschichte spielt, würde dieser gefühlvoller und spannender Roman auch den (Unter-)Titel wie „Der kleine Flugplatz auf der Schwäbischen Alb“ verdienen.

Bewertung vom 01.10.2022
Lass es raus, Knotenklaus
Regett, Julia

Lass es raus, Knotenklaus


ausgezeichnet

Algenmarmelade kann für Mut und Freunde sorgen

Klaus ist ein talentierter, aber auch schüchterner Oktopus, der gern Algenmarmelade nascht. Eines Tages entdeckt er einen Knoten in einem seiner Tentakeln. Ohne diesen speziellen Tentakel, keine Algenmarmelade.
Deswegen nimmt er seine ganzen drei Herzen in die Hand, um nach Hilfe zu suchen. Zufällig trifft er auf die kleine, aber mutige Garnele Gitti auf.
Mit Gitti sucht Klaus jemanden, der sein Tentakel vom Knoten befreien könnte. Dabei lernt er mehrere Meeresbewohner mit unterschiedlichen Talenten und Eigenschaften.
Mit „Lass es raus, Knotenklaus“ hat Julia Regett ein bewegendes Kinderbuch gezaubert, das von Ängsten und Mut, aber auch Wut und Akzeptanz erzählt. Freundschaft und Liebe können einem überall begegnen.
Blau wie das Meer ist das Cover ein Hingucker. Die Zeichnungen sind im ganzen Buch kindergerecht und so lebendig, dass man als (Vor-)Leser sich anfühlt, als ob man selber im Ozean abgetaucht wäre.
Julia Regetts Zeichenstil und Schreibstil passen sehr gut zusammen. Auf neue Geschichten von Julia Regett bin ich sehr gespannt.
Erwähnenswert ist auch das besondere Engagement des Verlags: ausschließlichen Deutschland und vegan hergestellte Bücher, deren Erlöse einen Teil an einem tierischen Stiftung gespendet wird.

Bewertung vom 20.09.2022
Stachlige Eltern und Schwiegereltern
Berger, Jörg

Stachlige Eltern und Schwiegereltern


sehr gut

Wie erwachsene Kinder mit schwierigen Eltern klarkommen

Stachelig! Wie der Titel, so das Coverbild mit Kakteen… Jörg Berger befasst sich in diesem Ratgeber mit der Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, die, wie jede Beziehung, schwierig sein kann.

Sieben elterlichen Verhaltensmuster werden vorgestellt: ein Cartoon und eine Checkliste unterstützen die Zuordnung der Eltern in einer der Kategorien. Egal ob es um grenzüberschreitende oder um blendende Eltern geht, die Kapitel sind gut strukturiert und logisch aufgebaut: Anhand Situationsbeispiele wird nach der Checkliste noch klarer, wie das betrachtete Verhalten sich äußert. Danach geht es um mögliche Ursachen, die meisten in der Vergangenheit der Eltern zu suchen sind. Der Autor stellt auch Ansätze und Maßnahmen vor, die man umsetzen kann, um den Wind aus dem Segel des betroffenen Elternteils zu nehmen.

Das Buch erinnert daran, dass man nicht für seine Eltern verantwortlich ist. Als erwachsenes Kind ist es auch wichtig zu akzeptieren, dass nicht alle Beziehungen „gerettet“ werden können. Grenzen setzen oder Abstand halten sind oft die einzigen Lösungen in verfahrenen Situationen. Mit ein bisschen Nachdenken können die Erkenntnisse aus diesem Buch auch in anderen Fällen von schwierigen Beziehungen angewendet werden.

Allerdings ist dieses Buch sehr einseitig: Es setzt voraus, dass die Eltern (oder Schwiegereltern) das Problem sind. Es stellt nie das Empfinden des erwachsenen Kindes in Frage, obwohl in jeder Beziehung zwei Parteien gehören, die aufeinander treffen.
Den Schwiegerkindern wurde nur ein kurzer Kapitel gewidmet. Wegen des Titels hätte ich ein bisschen mehr erwartet.
Zusätzlich irritiert mich, dass in einem der Kapitel Hochsensibilität mit Narzissmus und Borderline gleichgestellt und als psychische Belastung kategorisiert wird.

Fazit: Interessante und verständliche Ansätze und eine nachvollziehbare Struktur. Jedoch teilweise zu einseitig und für Schwiegerkinder nur wenig geeignet.

Bewertung vom 17.09.2022
Träume / Das Tor zur Welt Bd.1
Georg, Miriam

Träume / Das Tor zur Welt Bd.1


ausgezeichnet

Zwei Gesichter für das Hamburg der Jahrhundertwende und die Ballinstadt

Die junge Ava und ihre Familie leben im Alten Land. Auf dem Moorhof sind die Lebensbedingungen sehr schwer. Als im Sommer 1892 die Tiere krank werden, entscheidet der Vater, mit seiner Familie über Hamburg nach Amerika auszuwandern. Gleichzeitig bricht die Cholera in Hamburg aus.
Zwanzig Jahre später ist Ava wieder in Hamburg und träumt von einem neuen Versuch.

Claire Conrad gehört zu einem ganz anderen Kreis: ihre Familie ist reich. In ihren Träumen steht Markus Godebrink, der Erbe einer reichen Reederei.

Aus unterschiedlichen Gründen landen Ava und Claire in der Auswandererstadt. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkünfte freunden sie sich miteinander an.

Das gelungene Cover hebt sehr gut hervor, dass in diesem Roman zwei Frauen aus unterschiedlichen sozialen Schichten im Mittelpunkt stehen. Mit dem Auszug aus der Hamburger Stadtkarte ist die Hansestadt als Handlungsort klar erkennbar. Dieser Auszug verziert auch der ersten Seite jedes Teils des Buches.

Von Anfang an wird dem Leser nahe gelegt, unter welchen schwierigen Bedingungen die Überfahrt stattfinden konnte. Jedoch spielt die Überfahrt nach Amerika in „Das Tor zur Welt - Träume“ nur eine untergeordnete Rolle: Der Schwerpunkt liegt auf Ava und Claire mit Hamburg und der Auswandererstadt als Kulisse.

Miriam Georg hat zwei starken Frauenfiguren ins Leben gerufen. Beide haben Träume genauso wie die Auswanderer, den sie in der Auswandererstadt begegnen. Es brauchte aber einen Ort wie die Ballinstadt, damit diese zwei Frauen sich anfreunden. Sei es der Charakter, die Herkunft, die Denkweise, die Erfahrungen… Ava und Claire sind so unterschiedlich, dass sie vermutlich auf vertrautem Terrain nie zusammengekommen wären, geschweige voneinander gelernt hätten.

Mit einem lebhaften Schreibstil und wahrheitsgemäßen Beschreibungen der Umständen in Hamburg, auf dem Veddel und im Alten Land entführt Miriam Georg den Leser in die faszinierenden Zeiten des Cholera-Ausbruchs und der Auswanderung, die die Hansestadt geprägt haben.

Auch menschenrechtliche Themen werden angesprochen, wie die Völkerschauen im Hagenbeckschen Tierpark und die Unterdrückung und Bevormundung der Frauen in der Gesellschaft der Jahrhundertwende (mit der bei Frauen verbreiteten Diagnose Hysterie). Diese sind besonders interessant in der Geschichte eingearbeitet, da die Vielfalt an Charakteren ermöglicht, dass unterschiedliche, sogar moderne, Meinungen vertreten werden.

Die eingebettete Erzählung einer früheren Überfahrt nach Amerika unterstützt das Aufbauen der Spannung im ganzen Roman. Als Leser versteht man schon früh, dass etwas mehr als Freundschaft Ava und Claire verbindet. Jedoch löst sich am Ende dieses ersten Band das Rätsel nicht komplett auf. Deswegen freue ich mich schon auf den zweiten Band „Das Tor zur Welt - Hoffnung“, um weitere besonderen Stunden mit Ava und Claire zu verbringen.