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Xirxe
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Hannover
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Insgesamt 874 Bewertungen
Bewertung vom 20.03.2021
Wells, Benedict

Hard Land


ausgezeichnet

Im Sommer 1985 findet der 15jährige Sam nicht nur einen Ferienjob in einem Kino, sondern auch Freunde und er verliebt sich zum ersten Mal. Obwohl seine Mutter schwer krank ist, erlebt er die schönsten Monate seines Lebens. Zum ersten Mal ist er anerkannt und kein Sonderling wie in der Schule. Doch dann trifft ihn ein schwerer Schicksalsschlag, der alles wieder zunichte zu machen scheint.
Es ist keine außergewöhnliche Geschichte, die Benedict Wells uns erzählt, sondern vielmehr ein typischer Jugendlichensommer wie er sein sollte, angereichert mit jeder Menge Beigaben aus den 80ern. Nicht zuletzt auch mit einer Playlist der im Buch erwähnten Songs, von der man im Anhang erfährt, wo man sie finden kann.
Wunderschön ist die Sprache, in der der Autor Sam als Ich-Erzähler von dieser Zeit berichten lässt. Einerseits gibt es tragische Ereignisse, die einem als Lesenden fast das Herz zerreißen (ich gebe zu, ich habe hin und wieder ein Tränchen verdrückt), aber kurz danach schildert er selbstironisch Szenen, bei denen man laut lachen muss. Wells trifft den Ton wie auch die Gedanken und Gefühle des später 16jährigen so gut, dass einem Sam schnell ans Herz wächst und man mit ihm leidet, sich freut, ärgert und jubelt.
Auch wenn die Zielgruppe Erwachsene zu sein scheinen und das Umfeld die Südstaaten der USA Mitte der 80er sind, werden sich vermutlich auch heutige Jugendliche in Europa schnell mit Sam identifizieren und mitfühlen können, was ihn bewegt. Denn diese Dinge sind universell und nicht auf Zeit oder Raum begrenzt.
Mit dem letzten Teil hadere ich etwas, denn hier ist der Hang zum Happyend selbst mir

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.03.2021
Wonneberger, Jens

Mission Pflaumenbaum


gut

Kramer, der keinen Vornamen zu haben scheint (oder habe ich den überlesen?), besucht übers Wochenende seine verheiratete Tochter auf dem Land, zu der er kein besonders enges oder gutes Verhältnis hat. Auf dem Weg von der Bushaltestelle zu ihrem Haus trifft er einen alten Mann, der ihn ungefragt mit Informationen über das Dorf versorgt und dem er ihm Laufe des Wochenendes immer wieder begegnet. Das Zusammensein mit seiner Tochter und seinem Schwiegersohn gestaltet sich nicht unproblematisch, sodass Kramer sich fast schon nach der Gesellschaft des schrulligen Alten sehnt.
Tja, viel mehr passiert auch nicht an diesem Wochenende

Bewertung vom 04.03.2021
Cho, Nam-joo

Kim Jiyoung, geboren 1982


ausgezeichnet

Kim JiYoung ist eine junge Frau in Seoul, studiert, glücklich verheiratet und Mutter eines kleinen Mädchens – eigentlich ein perfektes Leben. Eigentlich … Denn plötzlich verwandelt sie sich im Beisein ihres Mannes in andere Personen: ihre Mutter, eine frühere Freundin, immer Frauen aus ihrem näheren Umfeld.

Cho Nam-Joo erzählt sachlich und neutral die Lebensgeschichte JiYoungs, die sich vermutlich nur wenig von der anderer Südkoreanerinnen unterscheidet. Im Vergleich zur Generation ihrer Mutter eher modern aufgewachsen, muss sie nach Schule und abgeschlossenem Studium feststellen, dass die Begünstigungen ihrer Studienkollegen im Arbeitsleben noch wesentlich größer sind als zuvor, obwohl deren Abschlüsse deutlich schlechter sind. Und auch im Alltag muss sie immer wieder realisieren und selbst erfahren, wie respektlos Männer mit Frauen umgehen und auf sie herabschauen.

Die Geschichte ist ein einziges Trauerspiel, das nüchtern aufzeigt (zeitweilig wie ein Sachbuch), wie immens die Benachteiligung von Frauen noch immer ist. Auch wenn Südkorea wirtschaftlich betrachtet ein fortschrittliches Land sein mag, gesellschaftspolitisch scheint es sich in der Steinzeit zu befinden. Doch es wäre unbillig, alleine Südkorea an den Pranger zu stellen. Denn Kim JiYoungs Erlebnisse sind universal – ich wette: Jede Frau wird sich in diesem Buch wiederfinden; die eine mehr, die andere weniger, aber alle haben ihre Erfahrungen gemacht mit Benachteiligungen, Feindlichkeiten und Respektlosigkeiten ihresgleichen gegenüber.

Auch wenn Viele das Wort Emanzipation nicht mehr hören können oder wollen: Dieses Buch macht überdeutlich, dass es noch ein weiter Weg ist, und zwar auf der ganzen Welt, bis wir tatsächlich von Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann reden können.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2021
Kröger, Merle

Die Experten


ausgezeichnet

Nach dem Ende des II. Weltkrieges waren die deutschen Nazi-Wissenschaftler begehrte Arbeitskräfte; die USA wie auch die Sowjetunion holten mehr als 1.000 von ihnen ins Land. Doch nicht nur bei den Siegermächten war das Interesse groß an den erfahrenen Raketenbauern und Flugzeugingenieuren – auch in Ägypten fanden sie besondere Beachtung. Ab Anfang der 60er Jahre begannen immer mehr deutsche Staatsbürger an ägyptischen Rüstungsprojekten mitzuarbeiten, was nicht nur wegen Deutschlands Vergangenheit heikel war, sondern ebenso dass ehemalige Nazigrößen mitmischten.

Hier setzt Merle Krögers Roman ein, der eher eine spannende Familiengeschichte als ein Thriller ist (was aber keine Abwertung sein soll!). Die 16jährige Rita muss mit ihrer Familie nach Ägypten, genauer nach Kairo ziehen, wo ihr Vater im Auftrag der dortigen Regierung gemeinsam mit früheren Kollegen Flugzeuge konstruieren soll. Nur der ältere Bruder bleibt zurück, der sich so gar nicht in Vaters gewünschte Richtung entwickelt. Rita beginnt als Sekretärin zu arbeiten im Bereich der Raketenbauer und stellt bald fest, dass ihr neues Leben doch nicht so übel ist. Als Expertentochter genießt sie jede Menge Privilegien und die Familie ist finanziell gut aufgestellt; Kairo und überhaupt Ägypten sind aufregend schön. Aber plötzlich geschehen Dinge, die sie das Tun der Deutschen in Frage stellen lässt. An ihrem Arbeitsplatz detonieren Briefbomben, die Tote und Verletzte zur Folge haben; ein Kollege verschwindet und es machen die verschiedensten Gerüchte die Runde.

Die Geschichte Ritas basiert auf der Familiengeschichte einer Freundin Merle Krögers, die geschickt mit den wahren historischen Geschehnissen im Zusammenhang mit den Experten in Ägypten verflochten wird. Alle realen Figuren werden in dokumentarischer Form (knapp und sachlich) dargestellt, sowohl für vergangene wie auch künftige Zeiträume, was des öfteren zu ungläubigem Staunen bei mir führte (Wie, so ein Nazi an so einer Stelle?). Auszüge aus BND-Akten sowie Artikel aus diversen Zeitschriften und Zeitungen ergänzen das Ganze und vermitteln auf diese Weise einen Überblick über die damalige gesellschaftliche Situation im Nahen Osten wie auch in Deutschland.

Merle Krögers Schreibstil mag nicht Allen gefallen. Sie schreibt meist kurz und knapp im Präsens, detailliert und meist sehr sachlich. Dennoch ist das Buch trotz seiner fast schon dokumentarischen Form spannend, unterhaltsam und nicht zuletzt informativ. Ein historischer (Thriller)Roman und Geschichtsschreibung in seiner besten Form!!!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2021
Phillips, Julia

Das Verschwinden der Erde


sehr gut

Kamtschatka ist als weitgehend unberührtes Naturparadies bekannt, in dem Besuchende Vulkane, Geysire, Braunbären und mehr entdecken können. Doch wie die Menschen in diesem dünn besiedelten Teil Russlands (die Halbinsel ist etwas größer als Deutschland mit ca. 310.000 dort Lebenden verschiedener Ethnien) leben, dürfte weitestgehend unbekannt sein.
Julia Phillips erzählt in monatlichen Abständen in 13 Geschichten von Frauen und Mädchen, die in irgendeiner Form mit dem Verschwinden zweier kleiner Mädchen in Berührung gekommen sind; sei es durch Pressemitteilungen, Verwandtenberichte oder ähnlichem. Auch wenn der Vermisstenfall scheinbar im Vordergrund steht (das erste Kapitel handelt davon), ist er letztlich ’nur‘ die Verbindung zwischen den Frauen über die hier berichtet wird, die aus den verschiedensten Gegenden der Halbinsel kommen und so unterschiedlich sind wie ihre Herkunft. Männer, zumindest wenn sie leben, tauchen in diesen Geschichten fast nur als unangenehme Zeitgenossen auf: Schwätzer, unzuverlässig, autoritär, sexistisch – nur die Toten scheinen die wirklich Guten zu sein.
Durch die Porträts dieser Frauen, die meiner Meinung nach nicht alle gelungen sind, entsteht ein Panorama der Gesellschaft Kamtschatkas, die sich aufgrund diverser Missstände wie fehlender Infrastruktur, Korruption und Rassismus gegenüber Indigenen und Gastarbeitern mühsam durchs Leben kämpft. Doch nicht nur das Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen ist schwierig, auch die Indigenen selbst haben Probleme innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft: Generationenkonflikte, das Festhalten an Traditionen gegen die Wünsche der Jüngeren, Engstirnigkeit und ebenso hier Rassismus.
Auch wenn es sich praktisch um einzelne Geschichten handelt: Durch das geschickte Einflechten von kurzen Sätzen, meist ganz beiläufig, erfährt man immer wieder etwas über das Schicksal der Frauen, die schon erwähnt wurden. Manchmal ist auch etwas detektivischer Scharfsinn gefragt um sich Zusammenhänge aus vorhergehenden Kapiteln zu erschließen, was das Lesevergnügen aber nicht mindert, ganz im Gegenteil. Schlussendlich versöhnt das Ende mit all den offenen Fragen, die eventuell noch geblieben sind, sodass ich das Buch mit einem zufriedenen Seufzer zur Seite legte.
Vor dem Hintergrund der grandiosen Landschaft Kamtschatkas zeigt die Autorin das Leben von Frauen, die wenig bis nichts verbindet, aber eines gemeinsam haben: Wünsche und Sehnsüchte, die wohl nie in Erfüllung gehen werden.

Bewertung vom 04.03.2021
Ohde, Deniz

Streulicht


gut

Ich bin bei diesem Buch hin- und hergerissen. Die Lebensgeschichte der Protagonistin, die in einer bildungsfernen Arbeiterfamilie aufwächst, in der der Vater Alkoholiker ist und von fortwährender Sammelwut beherrscht wird, ist grandios beschrieben. Deniz Ohde, von deren eigenen Erfahrungen sicherlich viel in dieses Buch eingeflossen ist, schildert so überzeugend dieses Milieu, dass man kaum glauben kann, dass dies ein fiktiver Roman ist. Der Vater, ‚vom selben Schlag‘ wie der Großvater, der im selben Haus lebt, kennt nur Pflichten – ‚das Wort Wunsch war verboten‘ ebenso wie Gefühle, die zu den Frauen gehörten. Ihre Mutter ist Türkin, ebenso bildungsfern wie der Vater, aber dem Leben, dem Schönen, dem Neuen viel mehr zugetan, doch ohne die Möglichkeit, sich dem zuzuwenden.

Und trotzdem schafft es die Ich-Erzählerin, die unter latenter Diskriminierung und auch dadurch an schon fast krankhaften Minderwertigkeitskomplexen leidet, im 2. Anlauf das Abitur zu bestehen und an einer Universität, fern von daheim, zu studieren. Doch ihre Herkunft, durch die sie ‚doppelt gestraft‘ ist, verfolgt sie weiter.

Wie schon geschrieben: Es ist beeindruckend dargestellt. Aber leider nur grau in grau. In dem ganzen Buch gibt es im Leben der Hauptfigur absolut nirgendwo auch nur irgendwo einen Lichtblick. Menschen sollen an Problemen wachsen, ok, vielleicht nicht an allen, aber doch an manchen. Aber diese junge Frau wächst nicht, sie kämpft sich durch und bleibt so klein wie am Anfang. Je weiter ich mit dem Lesen kam, umso öfter habe ich mich gefragt, was sie überhaupt am Leben hält. Ihre Herkunft ist es sicherlich nicht und ihr neues Leben – na ja.

So ist dieses Buch eine wirklich gut geschriebene Geschichte mit völlig deprimierenden Inhalt. Ein wenig Licht, vielleicht auch nur Streulicht, hätte ihr mehr als gut getan!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2021
Waldman, Amy

Das ferne Feuer


sehr gut

Inspiriert von einem Bestseller in den USA, in dem ein Arzt schildert, wie er Frauen in Afghanistan hilft, reist die junge Berkeley-Studentin Parvin in das Heimatland ihrer Eltern, um diese Arbeit zu unterstützen. Doch die Realität des kleinen Dorfes über das geschrieben wurde, ist weit von dem entfernt, was Parvin sich vorgestellt hat. Die von Spenden erbaute Klinik steht leer, da kein Personal bezahlt wird. Und viele der im Buch erzählten Geschichten stehen im Widerspruch zu dem, was die im Dorf Lebenden berichten.

Parvin ist eine weitgehend typische Vertreterin ihrer Generation: voller Idealismus und Begeisterungsfähigkeit, wenn es darum geht, Gutes in der Welt zu tun. Ohne Zweifel an ihren Vorbildern, Professorin Banerjee und dem Arzt Crane, die sie zu dieser Reise ermutigen, reist sie nach Afghanistan um dort mit einer Welt konfrontiert zu werden, die sie sich in den USA nicht im Entferntesten hat vorstellen können. Die Armut der Menschen; die bestehenden und von Allen akzeptierten Hierarchien im Dorf (insbesondere die Stellung der Frauen in der Gemeinschaft); der Glaube an die Nichtbeeinflussbarkeit des Schicksals – und die ganz offenbar nicht so positiven Auswirkungen des Aufenthaltes von Crane.

Amy Waldman, die Afghanistan durch ihre Tätigkeit als Leiterin der Büros der New York Times in Neu-Delhi kennt, weiß um die Zwiespältigkeit vieler Hilfsangebote für die Armen, bei denen die tatsächlichen Bedürfnisse der Betroffenen meist keine Rolle spielen. Häufig dient die Unterstützung nur dazu, die Spender in gutem Licht dastehen zu lassen und ist viel zu oft nicht von langer Dauer – siehe leerstehende Schulen und Kliniken, für die es kein Personal gibt. Die Autorin zeigt überzeugend, wie in Parvin die Zweifel wachsen: an dem Arzt, ihrer Professorin, überhaupt dem Engagement ihres Landes, den USA. Sie stellt sich immer mehr Fragen, die sich auch den Lesenden stellen: Wie manipulierbar sind wir? Was ist wirkliche Hilfe? Was tut den Menschen gut?

Auch wenn die Figur Parvins nicht immer überzeugend dargestellt wird (so blauäugig ist wohl selbst eine US-Amerikanerin nicht, vor allem wenn sie Studentin in Berkeley ist

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2021
Barnes, Julian

Der Mann im roten Rock


gut

Haben Sie schon einmal von Samuel Pozzi gehört, der von 1848 bis 1918 lebte? Er war Arzt, ein Pionier auf dem Gebiet der Gynäkologie. Und auch sonst ein sehr umtriebiger Mensch, der seiner Zeit in Vielem weit voraus war. Julian Barnes hat es sich zur Aufgabe gemacht, uns diesen Mann ein wenig näher zu bringen – und nicht nur ihn. Wir lernen seine Freunde, weitere Bekannte und Unbekannte kennen und die Zeit, in der er lebte.

Im Plauderton erzählt Barnes nicht nur von Dr. Pozzi und seinen zahlreichen amourösen Verhältnissen, sondern auch eine Vielzahl von Anekdoten über bekannte und weniger bekannte Persönlichkeiten. Beispielsweise worauf Charles de Gaulles Abneigung gegenüber den Briten zurückzuführen war (Faschoda) oder Näheres zum Entdecker des Tourette-Syndroms. Keine Frage, wer sich für die Belle Époque interessiert, wird hier eine reichhaltige Fundgrube an historischen wichtigen aber auch belanglosen Informationen entdecken. Und nicht nur an Schriftlichem: Der Verlag hat aus dieser Lektüre ein wunderschönes Buch gemacht, gedruckt auf hochwertigem Papier mit zahlreichen Farb- und Schwarzweißbildern, die viele der damaligen Persönlichkeiten auf Gemälden oder Photos abbilden. Nur die Biographie des Herrn Dr. Pozzi kommt leider etwas zu kurz, wie ich finde.

Julian Barnes‘ Begeisterung an dieser Epoche und seinen Menschen (zumindest denen aus der gehobenen Schicht) ist überdeutlich zu spüren, was bedauerlicherweise nicht immer zum Vorteil der Lesenden gereicht. Es scheint, als wolle er uns so viel wie möglich an seinem immensen Wissen teilhaben lassen, und so werden viele der erzählten Dinge nur angerissen – zu knapp, wie ich häufig fand. Gerade Dr. Pozzi, dessen Gemälde das Cover des Buches zeigt, kommt meiner Meinung nach leider, wie schon erwähnt, viel zu kurz. Dies mag daran liegen, dass es über und von seiner Person nicht sehr viele Hinterlassenschaften gibt wie beispielsweise Briefe, Tagebücher o.ä. Wenn, dann sind es meist Dokumente aus zweiter oder dritter Hand wie beispielsweise das Tagebuch seiner Tochter oder die Briefe Sarah Bernhardts an Dr. Pozzi. So entsteht zwangsläufig ein ziemlich fragmentarisches Bild des titelgebenden Mannes ‚im roten Rock‘, während sein Freund Robert de Montesquiou-Fezensac wesentlich häufiger Erwähnung findet.

So ist dieses Buch trotz des Titels kein Porträt einer einzelnen Person, sondern vielmehr ein Panorama der Belle Époque mit vielen Informationen aus jener Zeit – Klatsch, Tratsch und Belangloses mit inbegriffen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2021
Boyle, T. C.

Sprich mit mir


sehr gut

Im Rahmen eines einzigartigen Experiments nimmt das Wissenschaftlerehepaar Schemerhorn das Schimpansenbaby Sam bei sich auf, um es wie ein Kind zu erziehen. Es lernt die (Gebärden-)Sprache, Essen, Trinken, auf Toilette gehen. Doch als seine engste Bezugsperson verschwindet, zerbricht die Illusion eines menschgewordenen Affen: Sam, zwei Jahre, tobt und rast. Erst mit dem Auftauchen der Studentin Aimée kehrt wieder Frieden ein und zwischen den Beiden entsteht eine ganz besondere Beziehung. Doch leider ist dies nicht von Dauer.
Obwohl Sam durch Fernsehauftritte einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt und seine Fähigkeiten zweifelsfrei anerkannt werden, wird die finanzielle Unterstützung dieses Experiments beendet. Sam muss in eine Art Forschungslabor, in einen Käfig, gefangen, gemeinsam mit anderen Affen. Doch Aimée will das nicht akzeptieren.

Die Guten und Bösen sind fast schon ein bisschen klischeehaft dargestellt: Der böse Professor mit schwarzer Augenklappe, der seine Affen ausschließlich als Dinge betrachtet, ob sie nun sprechen können oder nicht. Die herzensgute Aimée, die bis zur Selbstaufopferung liebt. Und der Wissenschaftler Schemerhorn, der deutlich diffuser dargestellt wird, obwohl dennoch schnell klar ist, in welche Richtung sein Handeln gehen wird.

Trotzdem ist T.C. Boyle in diesem Buch ein wirkliches Kunststück gelungen wie ich finde. Er lässt die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven erzählen, auch aus der Sams. Statt diesen aber zu vermenschlichen, in dem er ihm einen ’normalen‘ Tonfall verleiht, sind es seine bruchstückhaften Gedanken, die durch die großgeschriebenen Worte (die, die Sam in der Gebärdensprache kennt und versteht) bestimmt werden. So wirken diese vergleichsweise kurzen Abschnitte überaus glaubhaft.

Ich habe Sam in diesem Buch ins Herz geschlossen und konnte Aimées Handeln in Bezug auf ihn voll und ganz nachvollziehen (anderes hingegen nicht), was mich auch seitdem öfter über die Beziehung Mensch – Tier nachdenken lässt. Ein lesenswertes Buch!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2021
Murakami, Haruki

Von Männern, die keine Frauen haben


sehr gut

Dieser Band umfasst sieben Erzählungen, die alle ein Thema haben: Wie Männer leiden ohne Frauen. Meist wurden sie zurückgelassen und versuchen, damit zurecht zu kommen – nicht immer mit Erfolg. Während der Eine mit den Folgen seiner Empathie- und Liebesunfähigkeit zu kämpfen hat, sind für einen Anderen seine Gefühle praktisch lebensgefährlich.

Überraschend und originell finde ich Kafkas Geschichte um Gregor Samsa aus der anderen Perspektive: Käfer wird zu Mensch. Auch hier geht ohne Frauen nichts; schon gar nicht, wenn sie vielleicht Erinnerungen an das vorherige Leben wecken