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Benutzername: 
Xirxe
Wohnort: 
Hannover
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 867 Bewertungen
Bewertung vom 04.03.2021
Der Mann im roten Rock
Barnes, Julian

Der Mann im roten Rock


gut

Haben Sie schon einmal von Samuel Pozzi gehört, der von 1848 bis 1918 lebte? Er war Arzt, ein Pionier auf dem Gebiet der Gynäkologie. Und auch sonst ein sehr umtriebiger Mensch, der seiner Zeit in Vielem weit voraus war. Julian Barnes hat es sich zur Aufgabe gemacht, uns diesen Mann ein wenig näher zu bringen – und nicht nur ihn. Wir lernen seine Freunde, weitere Bekannte und Unbekannte kennen und die Zeit, in der er lebte.

Im Plauderton erzählt Barnes nicht nur von Dr. Pozzi und seinen zahlreichen amourösen Verhältnissen, sondern auch eine Vielzahl von Anekdoten über bekannte und weniger bekannte Persönlichkeiten. Beispielsweise worauf Charles de Gaulles Abneigung gegenüber den Briten zurückzuführen war (Faschoda) oder Näheres zum Entdecker des Tourette-Syndroms. Keine Frage, wer sich für die Belle Époque interessiert, wird hier eine reichhaltige Fundgrube an historischen wichtigen aber auch belanglosen Informationen entdecken. Und nicht nur an Schriftlichem: Der Verlag hat aus dieser Lektüre ein wunderschönes Buch gemacht, gedruckt auf hochwertigem Papier mit zahlreichen Farb- und Schwarzweißbildern, die viele der damaligen Persönlichkeiten auf Gemälden oder Photos abbilden. Nur die Biographie des Herrn Dr. Pozzi kommt leider etwas zu kurz, wie ich finde.

Julian Barnes‘ Begeisterung an dieser Epoche und seinen Menschen (zumindest denen aus der gehobenen Schicht) ist überdeutlich zu spüren, was bedauerlicherweise nicht immer zum Vorteil der Lesenden gereicht. Es scheint, als wolle er uns so viel wie möglich an seinem immensen Wissen teilhaben lassen, und so werden viele der erzählten Dinge nur angerissen – zu knapp, wie ich häufig fand. Gerade Dr. Pozzi, dessen Gemälde das Cover des Buches zeigt, kommt meiner Meinung nach leider, wie schon erwähnt, viel zu kurz. Dies mag daran liegen, dass es über und von seiner Person nicht sehr viele Hinterlassenschaften gibt wie beispielsweise Briefe, Tagebücher o.ä. Wenn, dann sind es meist Dokumente aus zweiter oder dritter Hand wie beispielsweise das Tagebuch seiner Tochter oder die Briefe Sarah Bernhardts an Dr. Pozzi. So entsteht zwangsläufig ein ziemlich fragmentarisches Bild des titelgebenden Mannes ‚im roten Rock‘, während sein Freund Robert de Montesquiou-Fezensac wesentlich häufiger Erwähnung findet.

So ist dieses Buch trotz des Titels kein Porträt einer einzelnen Person, sondern vielmehr ein Panorama der Belle Époque mit vielen Informationen aus jener Zeit – Klatsch, Tratsch und Belangloses mit inbegriffen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2021
Sprich mit mir
Boyle, T. C.

Sprich mit mir


sehr gut

Im Rahmen eines einzigartigen Experiments nimmt das Wissenschaftlerehepaar Schemerhorn das Schimpansenbaby Sam bei sich auf, um es wie ein Kind zu erziehen. Es lernt die (Gebärden-)Sprache, Essen, Trinken, auf Toilette gehen. Doch als seine engste Bezugsperson verschwindet, zerbricht die Illusion eines menschgewordenen Affen: Sam, zwei Jahre, tobt und rast. Erst mit dem Auftauchen der Studentin Aimée kehrt wieder Frieden ein und zwischen den Beiden entsteht eine ganz besondere Beziehung. Doch leider ist dies nicht von Dauer.
Obwohl Sam durch Fernsehauftritte einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt und seine Fähigkeiten zweifelsfrei anerkannt werden, wird die finanzielle Unterstützung dieses Experiments beendet. Sam muss in eine Art Forschungslabor, in einen Käfig, gefangen, gemeinsam mit anderen Affen. Doch Aimée will das nicht akzeptieren.

Die Guten und Bösen sind fast schon ein bisschen klischeehaft dargestellt: Der böse Professor mit schwarzer Augenklappe, der seine Affen ausschließlich als Dinge betrachtet, ob sie nun sprechen können oder nicht. Die herzensgute Aimée, die bis zur Selbstaufopferung liebt. Und der Wissenschaftler Schemerhorn, der deutlich diffuser dargestellt wird, obwohl dennoch schnell klar ist, in welche Richtung sein Handeln gehen wird.

Trotzdem ist T.C. Boyle in diesem Buch ein wirkliches Kunststück gelungen wie ich finde. Er lässt die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven erzählen, auch aus der Sams. Statt diesen aber zu vermenschlichen, in dem er ihm einen ’normalen‘ Tonfall verleiht, sind es seine bruchstückhaften Gedanken, die durch die großgeschriebenen Worte (die, die Sam in der Gebärdensprache kennt und versteht) bestimmt werden. So wirken diese vergleichsweise kurzen Abschnitte überaus glaubhaft.

Ich habe Sam in diesem Buch ins Herz geschlossen und konnte Aimées Handeln in Bezug auf ihn voll und ganz nachvollziehen (anderes hingegen nicht), was mich auch seitdem öfter über die Beziehung Mensch – Tier nachdenken lässt. Ein lesenswertes Buch!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2021
Von Männern, die keine Frauen haben
Murakami, Haruki

Von Männern, die keine Frauen haben


sehr gut

Dieser Band umfasst sieben Erzählungen, die alle ein Thema haben: Wie Männer leiden ohne Frauen. Meist wurden sie zurückgelassen und versuchen, damit zurecht zu kommen – nicht immer mit Erfolg. Während der Eine mit den Folgen seiner Empathie- und Liebesunfähigkeit zu kämpfen hat, sind für einen Anderen seine Gefühle praktisch lebensgefährlich.

Überraschend und originell finde ich Kafkas Geschichte um Gregor Samsa aus der anderen Perspektive: Käfer wird zu Mensch. Auch hier geht ohne Frauen nichts; schon gar nicht, wenn sie vielleicht Erinnerungen an das vorherige Leben wecken

Bewertung vom 04.03.2021
Noch alle Zeit
Häusser, Alexander

Noch alle Zeit


sehr gut

Als Edvard schon über 60 Jahre alt ist, stirbt seine Mutter. Sein ganzes Leben hat er bei und mit ihr gelebt, weil die Anderen verschwunden sind: sein Vater und seine große Liebe Elsie. Seine Mutter konnte nicht ohne ihn leben, also ist er geblieben. Nach ihrem Tod entdeckt er ein Sparbuch mit einem kleinen Vermögen, das sein Leben völlig hätte verändern können. Warum verschwieg es ihm die Mutter? Ob es etwas mit dem Verschwinden seines Vaters zu tun? Edvard macht sich auf nach Norwegen, um dort Antworten zu bekommen.

Alva, nicht einmal halb so alt wie Edvard, bricht ebenfalls zu einer Reise nach Norwegen auf, um eine Reportage über magische Orte zu produzieren. Doch vor allem will sie mit sich selbst ins Reine kommen; will sich darüber klar werden, was mit ihr „nicht stimmt“, wie ihre Mutter immer meint. Denn sie möchte ihrer kleinen Tochter Lina eine gute Mutter sein. Auf der Fähre treffen diese beiden völlig verschiedenen Menschen aufeinander und setzen die Reise gemeinsam fort. Denn Jeder wäre ohne den Anderen verloren.

Es ist ein sehr ruhiges, in einem beinahe schon lyrischen Stil geschriebenes Buch, das neben der Norwegenreise die Lebensgeschichten der beiden ungleichen Menschen erzählt sowie ihre Suche nach der Wahrheit. Eine Wahrheit, die es in dieser absoluten Form nicht gibt wie Beide erkennen werden. Obwohl ich mich mit dieser fast durchweg poetischen Schreibweise nicht so richtig anfreunden konnte (manchmal hatte ich das Gefühl, dem Autoren wäre sie wichtiger als der Inhalt), sind die beschriebenen Landschaften faszinierend. Man meint, die Magie Norwegens fühlen zu können ebenso wie das Fließen der Elbe. Auch die Figuren entwickeln so viel Persönlichkeit, dass ich unbedingt wissen wollte, wohin sie ihr Weg führt.

Ein ruhiges, sehr gefühlvolles Buch – ideal für kalte Wintertage ;-)

Bewertung vom 04.03.2021
Serpentinen
Bjerg, Bov

Serpentinen


gut

Der Ich-Erzähler des Buches scheint Alles erreicht zu haben: glückliche Ehe und ein gesundes Kind, erfolgreich und anerkannt im Beruf. Doch das Erlebte seiner Kindheit ist nicht vergessen: die Selbstmorde seines Vater, Großvaters und Urgroßvaters, die ihn fürchten lassen, selbst der Nächste zu sein. Die Misshandlungen durch Vater, Mutter und Stiefvater, die sich derart tief eingegraben haben, dass er immer wieder feststellen muss, dass er zu ähnlichen Verhaltensmustern neigt. Seine ärmliche Herkunft aus dem Schwäbischen die ihn glauben lässt, dass er selbst als anerkannter Teil der Hochschule, Professor und Koryphäe seines Fachs, seinen Kolleginnen und Kollegen bürgerlicher Herkunft nicht ebenbürtig sei. Als er mit seinem kleinen Sohn eine Reise in seine schwäbische Heimat unternimmt, brechen all die Erinnerungen, Verletzungen und Demütigungen mit enormer Kraft hervor und es ist klar: Um seinem Sohn ein guter Vater zu sein, muss er seine Vergangenheit hinter sich lassen.

Ein einfaches Lesevergnügen ist dieses Buch wahrlich nicht, denn der Erzählstil ist nicht gerade einladend. Den chronologischen Rahmen bildet die Reise des Ich-Erzählers mit seinem Sohn, währenddessen er immer wieder in kurzen Episoden aus der Vergangenheit schildert, sowohl von seiner Kindheit und Jugend wie auch seiner Zeit als Ehemann und Vater. Die Sätze sind meist kurz und knapp und klingen stakkatohaft, wie getrieben, wohl um den Gefühlszustand des Erzählers wiederzugeben. Namensnennungen gibt es nur für Personen, die ihm nicht (mehr) nahe stehen, während beispielsweise seine Frau M. heißt und der Sohn nur ‚der Junge‘ genannt wird. Hinzu kommt eine recht überschaubare Handlung, sodass alles zusammen genommen kein richtiger Erzählfluss entsteht.

Doch der Autor besitzt die Kunst, Situationen überaus anschaulich zu beschreiben. Beispielsweise über seine Mutter, die als Flüchtling auf die Schwäbische Alb kam, Schwäbisch lernte um anerkannt zu werden und nun dement im Altenheim lebt.

"Jetzt, am Ende, verlor sie die so gründlich erarbeitete Zweitsprache wieder. Sie sprach nur noch die Sprache ihrer ersten Jahre.
Ihr Gedächtnis war fast abgetragen, Schicht für Schicht, bis hinunter zum Plusquamperfekt.
Darunter gab es keine Lage mehr, in der noch etwas gespeichert war.
Ihre Sprache war fast abgetragen. Unter dem Kindheitsdialekt lagen keine Sätze mehr, da lag nur noch Lallen, Keckern, Wimmern."

Auch seine Darstellungen der Vergangenheit sind vielleicht gerade wegen ihrer Knappheit prägnant und treffsicher und ich (aus dieser Zeit und Gegend stammend) habe Vieles wiedererkannt – leider. So bleibt am Ende ein zwiespältiges Leseerlebnis: keine herausragende Geschichte, aber eindringliche Bilder eines Lebens, das die Vergangenheit fast zerstört hätte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.12.2020
Sungs Laden
Kalisa, Karin

Sungs Laden


ausgezeichnet

Es gibt Bücher, da möchte man am liebsten ewig weiterlesen und noch viel lieber selbst Teil dessen sein, von dem da erzählt wird. ‚Was man von hier aus sehen kann‘ von Mariana Leky gehört für mich beispielsweise in diese Kategorie und ‚Sungs Laden‘ reihe ich direkt daneben ein

Bewertung vom 30.12.2020
1000 Serpentinen Angst
Wenzel, Olivia

1000 Serpentinen Angst


weniger gut

Die Jury des diesjährigen Deutschen Buchpreises scheint eine Vorliebe für Häppchenliteratur zu haben – zumindest ist es nach ‚Aus der Zuckerfabrik‘ bereits das zweite Buch, das keine fortlaufende Geschichte erzählt, sondern aus eher kurzen Sequenzen zusammengesetzt ist. Tja, und ich muss feststellen: Meins ist das nicht.

Eine junge schwarze Frau, geboren und aufgewachsen in der DDR, erzählt – obwohl, nein, das stimmt nicht, sie erzählt nicht, sie antwortet. Es sind Dialoge, in denen die junge Frau von einer meist unbestimmten Person zu bestimmten Ereignissen usw. befragt wird, die sie dann mehr oder weniger ausführlich beantwortet. Es geht um Alltagserfahrungen aus der Kindheit wie aus ihrem Erwachsenenleben; der Enge und die fehlende Freiheit in der DDR; der alltägliche Rassismus in Ost und West; in den USA plötzlich das Gefühl zu haben, Teil einer Gemeinschaft zu sein; um Liebe, Einsamkeit und Familie.
Doch es kommt kein richtiger Lesefluss auf, obwohl es richtige gute Stellen in diesem Buch gibt, die beispielsweise deutlich machen, was es bedeutet, als BürgerIn eines Landes in der Minderheit zu sein:
"Was soll mir meine weiße Großmutter antworten auf die Frage, …, was es bedeutet, keinen Ort zu kennen, an dem man selbst die Norm ist?" (S. 82)
Aber dieses dauernde Frage-Antwort-Spiel, das von Ort zu Ort und Zeit zu Zeit springt, empfand ich irgendwann einfach nervig und ertappte mich dabei, dass ich anfing diagonal zu lesen. Kein gutes Zeichen.
Dazu surrealistisch anmutende Szenen, in denen ein Snackautomat eine wichtige Rolle spielt – ach ne, das ist mir doch zu viel des Guten. Aber vielleicht bin ich auch einfach nur altmodisch.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.12.2020
Der Heimweg
Fitzek, Sebastian

Der Heimweg


weniger gut

Eines vorweg: Ich mag abstruse Bücher (Dario Fo und Carolo Manzoni) und gewalttätige Szenen schrecken mich nicht ab (wie beispielsweise in ‚Der Minusmann‘) – also sollte ich von Sebastian Fitzeks neuestem Werk eigentlich recht angetan sein. Tja, dem ist leider nicht so, denn auf Etwas kann ich nicht verzichten: guten Schreibstil und (zumindest im Kontext der Geschichte) logische Geschehnisse. Insbesondere an Letzerem mangelt es enorm.
Bei einem Heimweg-Telefon, das Menschen, die sich insbesondere Nachts unsicher fühlen, telefonisch begleitet, meldet sich eine Frau, die so verzweifelt klingt, dass trotz ihrer verworrenen Geschichte der erfahrene Jules sofort weiß, dass hier tatsächlich extreme Gefahr droht. Denn neben einem gewalttätigen Ehemann wird sie von einem Serienkiller bedroht.
Eigentlich ist das mehr als ausreichend, um einen richtig spannenden Psychothriller zu schreiben, doch Sebastian Fitzek will mehr

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.12.2020
Das Gartenzimmer
Schäfer, Andreas

Das Gartenzimmer


sehr gut

Adam Rosen und seine Frau Elsa lassen sich 1909 von dem jungen, später sehr erfolgreichen und berühmten Architekten Max Taubert ein Haus entwerfen und bauen. Die schöne Dahlemer Villa wird schnell zu einen bekannten Treffpunkt der kulturell gebildeten Oberschicht. Jahrzehnte später, Mitte der 90er, erwirbt das Ehepaar Lekebusch das mittlerweile seit langem leerstehende Gebäude und lässt es aufwändig restaurieren. Besonders Hannah Lekebusch ist derart fasziniert von der Vergangenheit des Hauses, dass sie einen Pilgerort für Taubert-Fans erschafft – sehr zum Leidwesen ihres Mannes und Sohnes.

Andreas Schäfer erzählt abwechselnd vom Leben der BewohnerInnen und den Gästen des Hauses, mit dem jede und jeder Einzelne auf ganz eigene Art und Weise verbunden ist. Während das Ehepaar Rosen die Villa vorbehaltlos liebt, trifft es bei Lekebuschs nur bei Hannah auf bedingungslose Hingabe. Alles ordnet sie dem Ziel der originalgetreuen Wiederherstellung unter, während ihrem Sohn Luis die Villa Rosen eher Unbehagen vermittelt und Ehemann Frieder die Beinahe-Obsession seiner Gattin gehörig auf die Nerven geht. Die Kapitel wechseln zwischen den Zeiten zu Beginn und Ende des 20. Jahrhunderts, was jedoch nicht zu Verwirrung führt, da die vergangenen Ereignisse immer wieder in Verbindung mit dem gegenwärtigen Geschehen stehen und damit Erklärungen liefern. So begleitet man nicht nur die Figuren durch die Geschichte, sondern auch das Haus, das durch die detaillierte Beschreibung des Autors fast schon eine eigenständige Persönlichkeit entwickelt.

Doch diese Liebe zum Detail könnte für manch architektonisch und an Design nicht so Interessierte ein Manko darstellen, vielleicht weil manche Ausführungen schon fast an ein Sachbuch erinnern.

"Die quadratischen Fassaden mit den Fensterflächen wiesen weder Sockel noch Dachgesimse auf, nicht mal Fensterkreuze. Der einzige Schmuck, …, bestand aus vier Backsteinstufen hinauf zur Eingangstür, breit und weit vorkragend." (S. 125/126)

Dennoch lohnt sich die Lektüre, denn Andreas Schäfers Sprache ist so ausdrucksvoll und bilderreich, dass man die Personen tatsächlich zu kennen glaubt und sich nichts lieber wünschen würde, als selbst dieses Haus zu besuchen – mir ging es zumindest so

Bewertung vom 28.12.2020
Der erste Tote
MacGabhann, Tim

Der erste Tote


sehr gut

Andrew, Journalist, und Carlos, Fotograf, berichten seit Jahren gemeinsam über den mexikanischen Drogenkrieg und glauben, es könne sie nichts mehr erschüttern. Doch als sie bei einer Recherche für einen Beitrag über die Ölindustrie in Poza Rica, Veracruz, einen entsetzlich verstümmelten Toten finden und Carlos auf eigene Faust Nachforschungen anstellt, wird er grausam ermordet. Andrew macht alleine weiter ... Ob der Verlag diesem Buch einen Gefallen getan hat, es als Thriller zu vermarkten, ist fraglich. Denn den Großteil der Geschichte nimmt die Darstellung der Lebensverhältnisse in Mexiko ein: das Verschwinden unzähliger Menschen; die Ermordung unschuldiger Mexikanerinnen und Mexikaner; die Korruption, die weit in die Reihen der Politik und der Polizei reicht; das Zugrunderichten der Lebensbedingungen der Einheimischen zugunsten eines schnellen Profits im Ölgeschäft. Man merkt, dass Tim MacGabhann, der seit längerem in Mexico City als Journalist lebt, weiß wovon er schreibt. Seine Schilderungen von Mexikos Alltag wirken so realistisch und überzeugend, dass die Suche nach Carlos' Mörder etwas in den Hintergrund gerät. Spannend und packend ist dieses Buch allemal, doch wer einen typischen Thriller erwartet, wird wohl eher enttäuscht sein. Im Mittelpunkt steht nicht die Aufklärung des Mordes an Carlos, sondern die Hauptfigur Andrew, der verzweifelt versucht in diesem Sumpf aus Kriminalität und Korruption zu überleben und bei seiner Suche nach den Schuldigen das Alltägliche wie auch seine Erinnerungen erzählt. Mir hat es gefallen und ich bin gespannt auf die zwei angekündigten Fortsetzungsbände.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.