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Renas Wortwelt

Bewertungen

Insgesamt 86 Bewertungen
Bewertung vom 12.01.2024
Book Lovers - Die Liebe steckt zwischen den Zeilen
Henry, Emily

Book Lovers - Die Liebe steckt zwischen den Zeilen


gut

Die Bücher dieser Autorin verkaufen sich wie geschnitten Brot und erzählen doch immer nur wieder das Gleiche: Feinde, Ehemalige oder wahlweise alte Freunde werden ein Liebespaar. Vor dem Happy End werden einige Probleme eingebaut, die normalerweise vermutlich niemand zur Kenntnis nehmen würde.
So auch in diesem neuen Roman, der mir aber dennoch gegenüber ihren vorigen besser gefiel, denn diesmal ist der Schreibstil leichtfüßiger, die Dialoge spritziger und der Wortwitz prickelnder. Dennoch weiß man auf der ersten Seite, wie es enden wird.
Literaturagentin Nora ist ein Workaholic, einzig ihrer jüngeren Schwester Libby gelingt es, sie ab und zu von der Arbeit wegzulocken. Nora ist eine robuste junge Frau, die nichts anbrennen lässt und genaue Vorstellung hat, wie der Mann sein muss, der sie irgendwann einmal erobernd darf.
Beruflich hat sie mit dem Lektor Charlie zu tun, den sie als arrogant und überheblich ablehnt und mit dem sie sich von Anfang an heftige Wortgefechte liefert. Als Nora auf Libbys Wunsch mit dieser in eine winzige Kleinstadt fährt, um dort ein paar Wochen Urlaub zu machen, begegnet sie dort natürlich ausgerechnet dem Lektor Charlie. Er lehnt zwar die Bücher ab, deren Autorin Nora vertritt, will diese aber dennoch unbedingt lektorieren. Was dazu führt, dass die beiden sich ständig begegnen, auch weil Charlie in der Stadt aufgewachsen ist und sich dort natürlich besonders gut auskennt.
Es kommt, wie es kommen muss: Sie sinken sich in die Arme, merken, dass sie nicht zusammenpassen, gehen auseinander, können ohne einander nicht sein, und so weiter und so fort. Die Hürden , die sich zwischen den Beiden aufbauen, sind mühsam konstruiert, selbst verschuldet und so sinnentleert, dass man sich wirklich wundert, warum sich erwachsene Menschen mit solchen Winzigkeiten befassen. Wo man doch ohnehin weiß, dass sie sich am Ende kriegen und alles gut wird.
Zwischendrin gibt es reichlich Rückblicke und Analysen, warum die beiden und auch Libby sind, wie sie sind. Was sich wie immer aus der Vergangenheit erklärt und wie immer sind die Eltern schuld.
Einzig die bereits erwähnten munteren Dialoge machen wirklich Spaß, der Wortwitz, die spitzen Pfeile, die hin und her gehen, das liest man mit einem Grinsen im Gesicht.
Emily Henry - Die Liebe steckt zwischen den Zeilen
Knaur, Dezember 2023
Taschenbuch, 431 Seiten, 12,99 €

Bewertung vom 10.01.2024
Endling
Schreiber, Jasmin

Endling


sehr gut

Ein Endling ist das letzte Exemplar einer aussterbenden Art. Von dieser Gefahr des Aussterbens sind im Jahr 2041, der Zeit, in der dieser Roman spielt, viele Arten betroffen, viele sind bereits ausgestorben.
Ich-Erzählerin Zoe ist Biologin und forscht über Insekten. Sie geht auf in ihrem Beruf, hat sich geradezu verbissen in ihr Forschungsprojekt und sieht daher ihre weit entfernt lebende Familie nur selten. Doch als ihre alkoholkranke Mutter in eine Reha muss, ist Zoe gezwungen, heimzukehren. Sie muss sich sowohl um ihre sehr viel jüngere Schwester Hanna wie auch um ihre exzentrische Tante Auguste kümmern.
Hanna ist knapp sechzehn, aufmüpfig, typisch Teenager eben. Auguste ist ebenfalls Wissenschaftlerin und Dozentin an der Universität. Sie hat allerdings schon seit Jahren ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Seit ihr Bruder, Zoes und Hannas Vater, an einer Pandemie verstarb. Seither fürchtet sie sich vor Ansteckung und alle, die ihre Wohnung betreten wollen, müssen sich gründlich und umfassend desinfizieren und Schutzkleidung tragen.
Zoe ist entsetzt über die Zustände zuhause und hat ein schlechtes Gewissen, dass sie so lange nicht dort war. Doch gelingt es ihr weder, Hanna zu bändigen, die ebenfalls mehr Alkohol konsumiert, als gut für sie ist, noch Auguste von ihrer Phobie zu heilen.
Da verschwindet Augustes beste Freundin Sophie spurlos. Auch sie ist Wissenschaftlerin, doch forscht sie über Frauen. Frauen werden im Jahr 2041 unterdrückt, haben kaum noch Rechte, dürfen nicht abtreiben, keine Führungspositionen übernehmen und mehr in dieser Art. Sophie hat sich dem nie gebeugt und wurde daher von der Obrigkeit verfolgt.
Auguste will Sophie finden und so begeben sich die drei Frauen gemeinsam auf die Suche. Die Reise führt sie über Italien bis nach Schweden, von gepflegten Weinbergen in die Wildnis der schwedischen Natur.
Der Roman ist fesselnd und spannend, vor allem die Hintergründe, die Beschreibungen der möglichen zukünftigen Zustände, sowohl politisch wie auch für die Natur und die Lebewesen. Das ist erschreckend, beängstigend, gerade auch wegen der Möglichkeit, dass es in der Tat so kommen könnte.
Die Protagonistinnen sind sympathisch und sehr authentisch geschildert. Der Konflikt zwischen Zoe und der sich vernachlässigt fühlenden Hanna ist nachvollziehbar und anschaulich dargestellt. Ein bisschen zu schnell hingegen vollzieht sich für mich die Wandlung Augustes, die ihre Phobie überwinden muss, um die Reise überhaupt antreten zu können.
Ab und zu gleitet der Roman ein wenig zu sehr ins Mystische ab, da verlor ich manchmal den Faden. Die wissenschaftlichen Aspekte, die die Autorin als Kennerin der Thematik einbaut, sind mir etwas zu ausführlich, auch gehören meiner Meinung nach die lateinischen Namen von Insekten und anderen Tieren nicht in einen belletristischen Text.
Das Thema der Behandlung von Frauen, der Mangel an Rechten, wird neben vielen anderen Themen, die der Roman abhandelt, wie Abtreibung, Vergewaltigung, Alkoholismus etc. nicht richtig zu Ende erzählt, auch ist die Geschichte damit etwas überfrachtet an Themen.
Insgesamt aber hat mir der Roman gut gefallen, stilistisch modern, sprachlich abwechslungsreich durch viele spannende Vergleiche.
Jasmin Schreiber – Endling
Eichborn, November 2023
Gebundene Ausgabe, 334 Seiten, 23,00 €

Bewertung vom 05.01.2024
Der Jahrestag
Bishop, Stephanie

Der Jahrestag


sehr gut

Selten ist man beim Lesen so nah dran an der Protagonistin, die hier auch die Ich-Erzählerin ist. So nah, ja fast in ihr drin und damit in ihren Gefühlen. Das macht diesen Roman so besonders und gleichzeitig auch so schwierig, will man sich nicht zu sehr hineinziehen lassen.
Die Schriftstellering J.B. Blackwood ist inzwischen sehr erfolgreich, soll sogar in Kürze mit einem renommierten Preis ausgezeichnet werden. Ihr Mann Patrick, der einiges älter ist als sie, ist hingegen eher auf dem absteigenden Ast, sein Erfolg ist rückläufig. Kennengelernt hat sich das Paar, als er ihr Professor an der Hochschule war.
Daraus resultierte eine unausgewogene Beziehung, in welcher er stets der dominierende, bestimmende Part war und sie ihm folgte. Was darin gipfelt, dass sie ihm nicht davon berichtet, dass sie diesen hohen Preis erhalten soll.
Zur Feier ihres Jahrestags und auch, um ihre Beziehung zu retten, gehen sie auf Kreuzfahrt. Das Schiff fährt durch arktische Meere, mit dem Ziel Japan. Doch während eines Sturms geht Patrick über Bord, kann nicht gerettet werden. Dem Unglück, für das es keine Zeugen gibt außer J.B. selbst, ging ein heftiger Streit zwischen den Beiden voraus.
J.B., die fassungslos ist über den Unfall, den Verlust, die völlig verloren ist, wird mehrfach von den Behörden verhört, muss schließlich eine Leiche identifizieren. Ihr zur Seite stehen ihre Agentin und eine weitere Mitarbeiterin. Trotz des Vorfalls reist J.B. nach New York, um den Preis entgegen zu nehmen. Doch statt über ihr Buch wollen alle nur über den Tod ihres Mannes sprechen.
Hierbei bekommt man einen interessanten Einblick in den Literaturbetrieb, über die Abläufe, den Druck und die Zwänge, die damit zusammenhängen.
All das wird ausschließlich aus der Sicht J.B. erzählt, mit vielen Rückblicken auf die Beziehung zwischen ihr und Patrick, von den Anfängen bis zum Unglück. Man erfährt vieles über die Abhängigkeit, in die sich diese Frau von ihrem Mann begeben hat, in die sie, ohne sich zu widersetzen, hineinwuchs. Und schließlich muss sich J.B. vor Gericht verantworten, wird für das Unglück zur Rechenschaft gezogen. Doch immer noch ist man als Leserin im Ungewissen, was tatsächlich geschah. Das macht diesen Handlungsstrang spannend. Und das Ende durchaus unvorhersehbar.
So nah ich beim Lesen dieser Frauenfigur kam, so fremd blieb sie mir am Ende dennoch. Es fiel mir schwer, Empathie für sie zu empfinden, da sie gleichzeitig auch recht kalt beschrieben ist. Daher hat mich dieser Roman zwiegespalten zurückgelassen: Einerseits die spannende Rahmenhandlung und die fesselnde Schilderung der unausgewogenen Paarbeziehung, andererseits diese kühle Protagonistin, deren Gefühle ich oft nicht nachempfinden konnte.
Stephanie Bishop - Der Jahrestag
aus dem Englischen von Kathrin Razum
dtv, November 2023
Gebundene Ausgabe, 464 Seiten, 26,00 €

Bewertung vom 03.01.2024
Betrug
Smith, Zadie

Betrug


sehr gut

So sehr ich mich für die Hauptfigur im Roman, die wunderbare Eliza Touchet, begeistern kann, so ratlos lässt mich das Buch ansonsten zurück. Auf mehreren Zeitebenen, in kurzen und sehr kurzen Episoden, in vielen Rückblicken erzählt die Autorin von Ereignissen im 19. Jahrhundert rund um die Schriftsteller Ainsworth, Dickens und deren Kreis.
Eliza Touchet ist die Cousine – oder was auch immer – von William Ainsworth. Sie lebt seit Jahren in seinem Haushalt, erträgt seine Launen und nun auch seine neue, sehr viel jüngere und ungebildete Frau. Eliza ist eine beeindruckende Figur, mit einer ganz besonderen, geradezu mikroskopischen Beobachtungsgabe gesegnet. Diese gestattet es ihr auch nicht, sich selbst falsch zu sehen, falsch einzuschätzen, sich und ihre Rolle.
Eliza, die sowohl ihren Vetter William Ainsworth wie auch dessen inzwischen verstorbene Frau Frances liebt, ist selbst verwitwet und hat kein Interesse daran, diesen Zustand zu ändern. In den zahlreichen, blitzlichtartigen Rückblenden erfahren wir, welches Leben sie geführt hat und was es bedeutet, neben einen missachteten Schriftsteller leben zu müssen. Ainsworth, der in steter Fehde mit Dickens lebt, ist ein enttäuschter alter Mann geworden.
Als roter Faden zieht sich der Prozess um einen vermeintlichen Betrüger durch den Roman. Sowohl Eliza wie auch Ainsworths neue Frau sind von diesen Vorgängen gefesselt und führen ebenso wie die gesamte Öffentlichkeit heiße Diskussionen über Recht oder Unrecht der Ansprüche dieses angeblich wieder aufgetauchten Erben einer reichen Lady.
Die Figur der Eliza steht für Emanzipation, sowohl der Frauen wie auch der Sklaven, sie steht für freie Sprache, offenes Denken. Die Beobachtungsgabe Elizas zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie ihre Beobachtungen mit fein geschliffenen, ironischen, ja fast sarkastischen Bemerkungen kommentiert. Auch sich selbst schätzt sie völlig richtig ein, was sie so besonders sympathisch macht.
Ansonsten hat mich der Roman recht ratlos zurückgelassen, habe ich mich doch immer wieder in den unzusammenhängenden Episoden verloren, deren zeitliche Zuordnung nicht immer möglich war, oft ganz fehlte. Außer man hat die entsprechenden Vorkenntnisse über die Zeit und ihre Literatur.
Stilistisch hingegen ist der Roman ein Diamant, die Sätze sind pointiert, fein ziseliert, gefeilt, poliert und faszinierend.
Zadie Smith – Betrug
aus dem Englischen von Tanja Handels
Kiepenheuer & Witsch, November 2023
Gebundene Ausgabe, 524 Seiten, 26,00 €

Bewertung vom 22.12.2023
Mördchen fürs Örtchen
Birkefeld, Richard;Bliefert, Ulrike;Busch, Petra

Mördchen fürs Örtchen


sehr gut

Allein schon Titel und Autorenname zaubern mir jedes Mal ein Grinsen ins Gesicht, wenn ich das lese. Wer denkt sich sowas aus? Schlicht genial, finde ich.
Und das gilt ebenfalls für den Inhalt dieser witzigen, unterhaltsamen Sammlung an kuriosen, teils völlig absurden Geschichten um Mord und Totschlag – also genau das, was man bei gewissen Verrichtungen zur Ablenkung lesen möchte.
Da werden Frauen zu Furien, die sich gegenseitig beklauen, wohlgemerkt auf besagtem Örtchen. Da verschwinden andere Frauen von der Toilette und werden eingerollt in einen Teppich wiedergefunden. Da versucht Friedhelm verzweifelt, in Ruhe auf dem Klo sein Sudoku zu lösen, doch seine Angetraute stört, bis …
Bei den illustren Autorinnen und Autoren, die zu diesem Spaß beitragen, verwundert es auch nicht, dass die kleinen Geschichten so gelungen sind. Neben Ralf Kramp finden sich Elke Pistor, Jutta Profijt, Claudia Rossbacher, Klaus Stickelbroeck, Tatjana Kruse, Nina George, Carsten Sebastina Henn und viele andere, allesamt Garanten für urkomische und spannende Unterhaltung.
Die Länge der Geschichten übrigens schwankt, so finden doch alle sicher die passende für die Länge ihrer diversen Geschäfte.
Spritzig-witzige, mörderisch gute Kurzgeschichten – ich weiß schon, wo dieses Buch künftig seinen Platz finden wird…
Der Herausgeber übrigens „promovierte zum Thema „Überkommene Handlungsmuster und Herausbildung konkreter Lebenszusammenhänge bei der täglichen Körperentleerung“ und verfasste das Standardwerk Kulturelle Phänomene der regelmäßigen Stuhlgangs im historischen Kontext“. (S. 247)
W.C.Schüssel - Mördchen fürs Örtchen
KBV, Oktober 2023
Taschenbuch, 249 Seiten, 14,00 €

Bewertung vom 21.12.2023
Der Duft von Schokolade
Arenz, Ewald

Der Duft von Schokolade


sehr gut

Es geht vor allem um Düfte in diesem Roman aus dem Wien der Kaiserzeit, so dass er, wenn auch gänzlich anders, doch ein wenig an das berühmte „Parfüm“ von Patrick Süßkind erinnert.
Dabei sind die beiden Bücher überhaupt nicht zu vergleichen, es sei denn aufgrund der beiden Geschichten innewohnenden Mystik um Gerüche und Düfte und das, was sie in bestimmten Menschen auslösen.
August Liebeskind, ein junger Mann aus gutem Hause, quittiert den Dienst, um demnächst in der Schokoladenfabrik seines Onkels als Einkäufer zu arbeiten. Im beschaulichen Sommer vor Arbeitsbeginn begegnet er Elena Palffy, einer mysteriösen, selbstbewussten Frau, die so ganz anders ist als die Frauen, die August bisher kannte. Er verliebt sich Hals über Kopf in sie, obwohl sie verheiratet ist. Doch ihr Mann ist verschwunden, wird für tot gehalten, sie scheint in seinem Tod verwickelt, nichts ist klar, alles ist dubios.
Elena hält ihn mal auf Distanz, mal scheint sie seine Gefühle zu erwidern. August ist wie vernarrt, doch eines Tages ist sie plötzlich verschwunden. Gerade, als ihr Ungemach droht wegen des vermutlichen Todes ihres Mannes, der ihr zur Last gelegt werden soll.
August ist sehr empfänglich für Düfte, insbesondere alle Gerüche von Gewürzen, Schokoladen und Konfekt. Bestimmte Düfte wecken ihn ihm Ahnungen, Vorahnungen von baldigem Geschehen ebenso wie Kenntnis von Vergangenheit. Auch ist August ein begnadeter Konfektmacher und findet darin sein Glück. Bis Elena wieder auftaucht…
Der Stil des Romans passt perfekt zur erzählten Zeit, gemächlich, mit ein wenig Wiener Schmäh, mit viel Atmosphäre plätschert er ruhig und unaufgeregt dahin. So entwickelt sich keine Spannung, wohl aber bekommt man viele Bilder geliefert, vom Wien der damaligen Zeit, von der Schokoladen- und Konfektherstellung, von Düften und Gerüchen. Dadurch wird der Roman zäh und klebrig wie Karamell. Ich habe mir oft mehr Tempo gewünscht, hätte gern mehr Handlung und weniger Beschreibung und Erzählen gefunden. So angenehm der Schreibstil von Ewald Arenz auch ist, so sehr geht er zu Lasten des Plots, des Tempos und des Spannungsbogens. Und leider wurde ich auch mit den beiden Hauptfiguren nicht warm. August war mir zu unbedarft und Elena zu steif, zu unnahbar.
Wie die anderen älteren, jetzt, nach dem Erfolg von „Alte Sorten“ und „Der große Sommer“ neu aufgelegten Büchern des Autors, so konnte mich auch dieser nicht ganz abholen und überzeugen.
Ewald Arenz - Der Duft von Schokolade
DuMont, November 2023
Taschenbuch, 272 Seiten, 13,00 €

Bewertung vom 18.12.2023
Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt / Die Mordclub-Serie Bd.4
Osman, Richard

Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt / Die Mordclub-Serie Bd.4


ausgezeichnet

Den ersten Band um den Seniorenclub, der immer donnerstags einen Mord aufklärt, habe ich zwar nicht gelesen, dafür alle anderen. Und dieser neue ist in meinen Augen fast der beste bisherige, hat er doch neben der eigentlichen, spannenden und überraschenden Krimihandlung noch weitere Aspekte, die der Autor mit Feingefühl und Empathie behandelt.
Es ist Weihnachten in Coopers Chase und unsere vier Freunde, Joyce, Elizabeth, Rob und Ibrahim wünschen sich eigentlich nur ein Jahr ohne Mord. Doch natürlich werden ihre frommen Wünsche nicht erhört, im Gegenteil, es ist ausgerechnet ein Bekannter und guter Freund von Elizabeths Ehemann Stephen, der ermordet aufgefunden wird. Kuldesh wird erschossen in seinem Auto auf einem Waldweg gefunden, niemand hat eine Ahnung, was geschehen sein könnte.
Doch der Mordclub, unterstützt wie immer von den befreundeten Polizisten Chris und Donna, kommt recht schnell darauf, dass die Tat im Zusammenhang mit Drogenschmuggel bzw. -handel stehen muss. Nur wie Kuldesh, ein seriöser Antiquitätenhändler, dahinein geraten sein könnte, das ermitteln sie erst nach und nach. Und erleben einige Überraschungen.
Wieder stehen die vier Senioren im Mittelpunkt, wieder haben sie mit ihren eigenen Problemen zu schaffen und wieder geht es auch um die Befindlichkeiten der Kommissare, die nun plötzlich eine Ermittlerin aus anderen Abteilungen vor die Nase gesetzt bekommen.
Und auch diesmal sind in die laufende Handlung hin und wieder die Tagebucheinträge von Joyce eingefügt, die das Innenleben der Protagonisten analysieren und diesen zusätzlichen Tiefgang verschaffen, der diesen Roman zu mehr als einem Krimi macht.
Elizabeths Ehemann Stephen verfällt immer mehr seine Demenz und unausweichliche Entscheidungen stehen an. Denen sich Elizabeth mit der ihr eigenen Härte und Entschlossenheit stellt, die ihr aber doch einiges abverlangen. Doch auf ihre Freunde kann sie sich verlassen. Wie Richard Osman gerade diesen Aspekt, diese Belastung und die emotionale Gratwanderung beschreibt, das ist absolut gelungen. Da wird nichts beschönigt, aber auch nichts verkitscht. Da wird nicht unnötig auf die Tränendrüse gedrückt und genau dadurch wird es so berührend.
Aber auch Ibrahim öffnet sich und man erfährt einiges aus seinem Leben. So lernt man nach und nach die Figuren immer besser kennen und lieben. Und hofft auf noch viele weitere Bände mit dem Donnerstagsmordclub.
Richard Osman - Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt
aus dem Englischen von Sabine Roth
List, November 2023
Taschenbuch, 432 Seiten, 17,99 €

Bewertung vom 15.12.2023
Wie die Schweden das Träumen erfanden
Jonasson, Jonas

Wie die Schweden das Träumen erfanden


ausgezeichnet

Dieser kleine Roman macht soviel gute Laune, soviel Spaß, dass man ihn fast gleich noch einmal lesen möchte. Jonas Jonasson, dessen „Hundertjähriger“ immer noch unvergessen ist, hat sich hier eine so leichter, locker-flockige Geschichte ausgedacht, die genau das richtige ist für trübe Novembertage.
Dabei ist das Ganze schon recht absurd, völlig unmöglich aber vielleicht auch nicht. Und es zeigt, wie leicht es sein kann, Grenzen zu überschreiten.
Der deutsche Bettenfabrikant Kaltenbacher ist überall erfolgreich, nur in Schweden bisher noch nicht. Das soll sich ändern, deswegen plant man die Errichtung einer ganz neuen Fabrik eben genau dort. Der Juniorchef begibt sich nun in das Land der zukünftigen Erfolge, um den perfekten Standort zu finden. Beste Chancen hat ein Gelände in Stockholm, wofür sich auch die zuständige Senatorin Ingela Franzén vehement stark macht, unterstützt von ihrem dubiosen Geschäftsfreund und eigennützigen Berater Kenneth Carlander.
Nun hört allerdings auch Julia Bäck, frisch gewählte Bürgermeisterin von Halstaholm, einem verlassenen Nest in der schwedischen Provinz, von den Plänen der Deutschen. Und sie ist sofort überzeugt, dass genau ihre Stadt der perfekte Ort für die neue Fabrik ist, steht dort doch seit vielen Jahren ein riesiges Firmengelände leer. Die paar Kleinigkeiten wie fehlende Parkflächen, deutsche Schulen oder eine gute Verkehrsanbindung, die lassen sich doch ganz einfach herbeischaffen. Oder etwa nicht?
Gedacht, getan, es gelingt Julia, Kaltenbacher Junior nach Halstaholm zu locken. Und sie findet einige Verbündete für ihren Plan, die Stadt für den ersten Besuch des Deutschen herzurichten, wenn auch die Mischung etwas merkwürdig erscheint. Stehen doch an ihrer Seite eine uralte ehemalige Lehrerin ebenso wie ein altkluger Zehnjähriger, der fließend Deutsch spricht.
Als Konrad Kaltenbacher zum ersten Mal nach Halstaholm kommt, findet er Julia noch viel sympathischer, als das bereits während ihrer zahlreichen Telefonate der Fall war. Auch seine beiden Töchter scheinen sehr angetan von der jungen Frau. Man ahnt hier, worauf das hinausläuft.
Das Ganze zu lesen macht solchen Spaß, immer wieder überrascht Julia ihre Mannschaft mit neuen Ideen, wie als sie den Kreisel in der Stadt in Angela-Merkel-Kreisel umbenennt oder ähnliches. Man sprintet regelrecht durch dieses kleine Buch, hat es binnen kürzester Zeit durchgelesen und möchte am liebsten wieder von vorne beginnen. So fröhlich ist die Grundidee, so unbeschwert die Umsetzung, so liebenswert die Figuren, so komisch die Dialoge.
Wenn auch Konrad etwas steif daherkommt und seine kleinen Töchter etwas arg zuckrig brav und altklug geschildert sind, die Einwohner von Halstaholm machen das alles wett.
Statt noch weiter zu schwärmen von diesem kleinen feinen Roman, empfehle ich lieber, ihn so schnell wie möglich selbst zu lesen.
Jonas Jonasson - Wie die Schweden das Träumen erfanden
aus dem Schwedischen von Astrid Arz
C. Bertelsmann, November 2023
Gebundene Ausgabe, 160 Seiten, 22,00 €

Bewertung vom 11.12.2023
Tödlich währt am längsten
Kramp, Ralf

Tödlich währt am längsten


gut

Wenn einen die Opfer nicht ernst nehmen, weil sie den Überfall für einen Aprilscherz halten, wenn das Paket nicht das enthält, was bestellt wurde, dann kann sich das nur Ralf Kramp ausgedacht haben.
Seine neuen bitterbösen Geschichten, wie der Untertitel sie nennt, sind gewohnt skurril, völlig absurd, urkomisch und zeigen dennoch authentisch wirkende Menschen in Situationen, in die wir alle nie geraten möchten.
Wenn auch das Sammelsurium an Geschichten in diesem Band ein wenig wirkt, als hätte der Autor den Bodensatz seiner Festplatte zusammengekehrt, um eine neue Anthologie zu füllen, so sind sie doch durchweg unterhaltsam. Zwar wird man des immer gleichen Humors, der sich stets ähnelnden Pointen, die man schließlich erahnen kann, nach einiger Zeit müde. Aber dafür sind es ja Kurzgeschichten, die man immer mal zwischendurch wieder hervorholt, wenn man etwas Aufmunterung braucht – oder vielleicht gerne auch mal jemanden beseitigen möchte… ?
Dabei sind die Täter selten erfolgreich, sondern werden vielmehr am Ende meist selbst zum Opfer. Egal ob Ehemann oder Ehefrau, die sich des leidigen Partners entledigen möchten, ob eifersüchtiger Bruder, der sich endlich den ewig gewinnenden Bruder vom Hals schaffen möchte, ob es die Anhalterin ist, die nicht dort ankommt, wo sie hin möchte – alle Geschichten sind aus dem Leben gegriffen und trotzdem völlig fern von aller Realität. Und sogar in Gedichtform bringt Ralf Kramp noch seine Krimis, nicht weniger humorvoll als die prosaischen.
Ein Lesespaß, den man am besten in kleinen, bekömmlichen Dosen zu sich nimmt.
Ralf Kramp – Tödlich währt am längsten
KBV, Oktober 2023
Taschenbuch, 251 Seiten, 14,00 €

Bewertung vom 06.12.2023
Florence Butterfield und die Nachtschwalbe
Fletcher, Susan

Florence Butterfield und die Nachtschwalbe


sehr gut

Mord oder Selbstmord, das ist eine Frage in diesem geruhsam erzählten Roman, der kein Krimi sein will
Dieses Seniorenheim namens Babbington Hall scheint ein Idyll zu sein. Ein wunderschönes altes Haus, liebevoll renoviert, mitten in einem großen Garten, voller mehr oder weniger skurriler alter Menschen. Eine davon die liebenswerte Florence Butterfield, 87 Jahre alt und auf den Rollstuhl angewiesen.
Florrie, wie sie genannt wird, kann gut zuhören und so vertraut sich Renata, die Heimleiterin, ihr eines Tages an und erzählt von ihrer neuen Liebe, ihren Zukunftsplänen. Doch am nächsten Tag stürzt Renata aus dem Fenster. Alle vermuten Selbstmord, doch Florrie glaubt nicht daran. Wer frisch verliebt ist und von Paris träumt, bringt sich nicht um.
Florence Butterfield hat selbst ein sehr abwechslungsreiches Leben, ein Leben voller Abenteuer, aber auch voller Schmerz, hinter sich. Viele Erinnerungsstücke bewahrt sie in einer kleinen Kiste auf, in der sie immer mal wieder kramt, und holt so die damaligen Ereignisse wieder zurück. Doch es gibt ein Geschehen in ihrer Vergangenheit, über das sie niemals spricht.
Während Florrie einerseits in ihren Erinnerungen versinkt und uns als Leser daran teilhaben lässt, versucht sie andererseits zu beweisen, dass Renatas Sturz kein Selbstmordversuch war, sondern ein Mordversuch. Hilfe findet sie beim Mitbewohner Stanhope Jones, der ebenfalls nicht an Selbstmord glaubt. Den beiden alten Leuten wird dabei schnell klar, dass der potentielle Mörder bzw. Mörderin in Babbington Hall leben muss. Doch es dauert lange, bis sie der Wahrheit nahe kommen.
Geruhsam, ohne Effekthascherei oder Dramatik, so, wie sich alte Menschen durchs Leben bewegen, so bewegt sich der Roman durch die Ereignisse. Immer wieder wird die aktuelle Handlung unterbrochen durch die Rückblicke auf Florries Leben. Nicht immer sind diese Einblicke in die Vergangenheit besonders spannend, warmherzig und berührend wohl aber schon. Besonders aber berühren die aktuellen Gedankengänge Florries, ihre genaue Beobachtungsgabe, ihr jung gebliebener Verstand, ihre Güte und ihre Abgeklärtheit. „… Wir lassen die Kinder, die wir einmal waren, nicht hinter uns. Wir wachsen einfach um sie herum, so wie Bäume um ein Fahrrad wachsen, das am Stamm angelehnt stehen bleibt – und Florrie erfreut sich an diesem Vergleich.“ (S. 88).
All dies so wahrhaftig, so glaubhaft darzustellen, ist ein großes Verdienst von Susan Fletcher. Ein Roman, der vor allem dazu anregt, über das eigene Verständnis vom Älterwerden nachzudenken.
Susan Fletcher - Florence Butterfield und die Nachtschwalbe
aus dem Englischen von Silke Jellinghaus und Katharina Neumann
Kindler, November 2023
Gebundene Ausgabe, 495 Seiten, 24,00 €