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Betty Literatur

Bewertungen

Insgesamt 80 Bewertungen
Bewertung vom 23.05.2023
Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie / Die Dresden Reihe Bd.1
Stern, Anne

Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie / Die Dresden Reihe Bd.1


sehr gut

„Alles hat seinen Preis. (…) Vor allem das Glück. Ihr Glück, Vater - das der Männer meine ich. Für uns ist keines vorgesehen, wie Sie sehr wohl wissen.“

Dresden 1941
Elise Spielmann, Tochter eines bürgerlichen Hauses und einer Musikerfamilie sucht ihr Glück, muss sich jedoch immer wieder den gesellschaftlichen Konventionen unterwerfen.
Sie hat durch die Unterstützung ihres Vaters schon früh gelernt, die Violine zu spielen,was für junge Frauen eher ungewöhnlich ist und sie ist sehr begabt. Musik bedeutet ihr alles und sie träumt davon, öffentlich aufzutreten oder in einem Orchester zu spielen. Zu der Zeit eine unmögliche Idee.
Nun soll sie jedoch mit einem Mann verheiratet werden, der im Alter ihres Vaters ist.
Der Vater erhofft sich Unterstützung durch den bekannten Komponisten und Musikjournalisten für seine eigenen Pläne, im Orchester der neu eröffneten Semper-Oper Violine spielen zu dürfen. Die Männer sind durch weitere Geheimnisse miteinander verbunden.
Parallel lernt Elise den Bühnenmaler Christian, einen junger Mann aus einfachen Verhältnissen, der früh verwaist ist, kennen und verliebt sich in ihn. Es kommt zu einigen heimlichen Treffen, die Elises Existenz gefährden würden, wenn es herauskäme.
Hinter der Bühne des neuen Opernhauses spielt ebenso das Leben. Es geht um Liebesgeschichten und Skandale, eine junge Ballerina wird ungewollt schwanger und muss das Theater verlassen.
Es ist immer wieder unglaublich, welchen Einschränkungen Frauen in dieser Zeit ausgesetzt waren, wie Prüderie und gesellschaftliche Regeln den Umgang zwischen den Geschlechtern bestimmen. Ebenso der fehlende Zugang zu Bildung.
Traurig ist das Schicksal der Tänzerin, die schwanger ist und nun ihre Lebensgrundlage verliert, ebenso die Geschichte von Elises Freundin, die von Ehemann und Familie verstoßen wird, weil sie eine Affäre hatte.
Die Protagonistin ist sehr klug und selbstbewusst und es gelingt ihr tatsächlich eine für sie wichtige Entscheidung zu treffen.
Obwohl ich weiß, dass Liebe und Gefühle zu der Zeit anders beurteilt wurden, kann ich Elises und Christians anfängliche Schwärmerei füreinander nicht wirklich nachvollziehen. Sie hatten ja nur wenige kleine Begegnungen und kaum Kommunikation. Vielleicht ist gerade das Verbotene, Unerreichbare die Erklärung. Elise sucht auf jeden Fall das Abenteuer und ist bereit, dafür vieles zu riskieren.
In dem kurzer Zeitraum von weniger als einem Jahr, in dem der Roman spielt, erfahren wir viel über die politischen Hintergründe, die sozialen Verhältnisse sowie die Rolle der Frau in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Der politische Umbruch ist bereits zu spüren. Authentisch anmutende Briefe und Texte zeigen den Sprachstil der Zeit.
Ein wirklich spannender Blick auf die gesellschaftliche und politische Phase des Umbruchs- und Aufbruchs, das der Autorin sehr gelungen ist.

Bewertung vom 15.05.2023
Mein großer Naturführer Tiere & Pflanzen
Böskens, Jana

Mein großer Naturführer Tiere & Pflanzen


ausgezeichnet

Dieses Buch ist für kleine und große Naturforscher*innen gedacht, die sich auf Entdeckungsjagd in 4 verschiedenen Lebensräumen
-Wald
-Wiesen und Felder
-Gewässer, Auen Feuchtgebiete
- Stadt und Dorf
begeben können.

Für jeden dieser Lebensräume werden dann die spezifischen Tier- und Pflanzenarten anhand von Steckbriefen und Fotos dargestellt.
Das Buch ist gut aufgebaut, Farbschemata helfen, die einzelnen Lebensräume zu finden, die Bilder sind sehr ansprechend, man bekommt Lust, gleich loszuziehen.
Zusatzinformationen über die Welt der Tiere, der Pflanzen und der Pilze sowie den Zusammenhang zwischen Artenschutz und Naturschutz ergänzen dieses Buch.
Ich denke, dass dieser kleine Naturführer sicher sehr nützlich ist und für jeden in der Familie interessant sein kann. Wir haben jedenfalls beim Durchblättern viele spannende Dinge entdeckt.

Bewertung vom 14.05.2023
Wie Sisi sich verwirrte
Obermaier, Sisi;Siesing, Wolfgang

Wie Sisi sich verwirrte


weniger gut

Ja, ich gebe zu, der Titel und auch das Cover haben meine Neugier geweckt. Ich wurde jedoch schnell enttäuscht.

Die tatsächliche Namensvetterin der österreichischen Kaiserin macht sich auf Spurensuche nach sich selbst. 50 Jahre, frisch geschieden, gelernte, ehemals erfolgreiche Wirtschaftsjournalistin.
Sie entwickelt allerlei Ideen, wie sie ihr neues Leben gestalten könnte.
Zwischen literarischen Zitaten, grotesken Albträumen, verwirrenden Alltagssituationen begegnet ihr auch immer mal ein kleines Mädchen im blauen Kleid, Alice aus dem Wunderland.
Einige Fantasien sind wirklich witzig, z.B. als sie eine Begegnung mit 3 alten Männern in einer Dampfsauna hat, ihr Vater, Altkanzler Helmut Schmidt und Heinrich Böll geben ihre Lebensweisheiten zum Besten.
Die realen Situationen sind weniger überzeugend, die Vorstellung, als Modell für den Playboy zu arbeiten, kann ja wohl nur mit dem gesteigerten Alkoholkonsum der Protagonistin zusammenhängen.
Die Überlegungen sind sehr sprunghaft, emotional gesteuert und so versucht sie sich in allerlei Berufsfelder hineinzudenken und diese zu erproben (Lehrerin, Animateurin, Playmate, Fitnesstrainerin, Influencerin, Fotografin, Mental Coach, Polo-Trainerin, Pflegekraft, Ernährungsberaterin, Hundetrainerin, Wetterfee). Begleitet und unterstützt wird sie von ihrem Freund Wolfgang, der Fotograf ist und immer die passenden Kontakte parat hat.
Bis sie dann endlich darauf kommt, Schriftstellerin sein zu wollen.
Dieses Produkt haben wir nun in den Händen. Der autobiografische Hintergrund ist nicht zu leugnen. Die sehr naiven Gedankenspiele, das sprunghafte Verhalten waren für mich kaum zu ertragen. Selbst wenn wir hier von einer starken Midlife-Krise gepaart mit exzessiven Alkoholkonsum ausgehen, stellt sich mir die Frage, was ich mit diesem Buch anfangen soll. Warum macht die Protagonistin nicht das, was sie kann und für das sie qualifiziert ist?

Bewertung vom 11.05.2023
Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4
Benedict, Marie

Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4


sehr gut

1933 wird die Jüdin Hedy Kiesler im Theater für ihre Rolle der Sissi gefeiert und sie wird umworben. Der österreichische Waffenhändler, Friedrich Mandl, ein mächtiger Mann in politischen Kreisen, wird ihr Ehemann, die Eltern erhoffen sich durch diese Verbindung Sicherheit. Hedy ist durchaus fasziniert von dem reichsten Mann Österreichs. Und sie ist nicht völlig unerfahren und ein wenig skandalumwittert. Sie hat als Schauspielerin in einem Film mit Nacktaufnahmen mitgespielt.
Fritz verlangt von ihr, die Schauspielerei aufzugeben und sich fortan um die gesellschaftlichen Anlässe zu kümmern, die er ausrichtet.
Sie kann ihren Mann überzeugen, dass sie ihn auch auf geschäftlichen Terminen begleiten darf und nun ist sie oft die einzige Frau im Raum.
Fritz ist äußerst eifersüchtig, schränkt ihre Freiheiten immer weiter ein und wird gewalttätig. Er betrachtet sie als sein Eigentum.
Die politische Situation in Österreich spitzt sich immer weiter zu. Man erhofft sich Unterstützung durch den italienischen Diktator Mussolini, der auch Gast im Hause Mandl ist und dessen Land von Mandl mit Waffen beliefert wird. Hitler und Mussolini verbünden sich. Und es wird immer wahrscheinlicher, dass Hitler in Deutschland einmarschiert. Fritz, der sich viele Jahre für die Unabhängigkeit Österreichs eingesetzt hatte, entscheidet sich, auch für Hitler Waffen zu liefern. Und Hedy entscheidet sich, ihren Mann zu verlassen.
Die politischen Verhältnisse in Österreich ab 1933 bilden den Hintergrund dieses spannenden Buches, das Streben der mächtigen, konservativen politischen Kreise ihre Macht und ihr Geld zu bewahren, findet vor Hedys Augen und Ohren statt.
Hedy ist eine faszinierende Frau, klug, gebildet, raffiniert. Sie weiß, sich ins Licht zu setzen und ihre „Waffen“ einzusetzen. Auch ihr schauspielerisches Talent ist ihr von Nutzen. Der Gewalt ihres Ehemannes ist sie jedoch hilflos ausgesetzt. Zum Glück bringt sie den Mut auf, ihn zu verlassen.
Hedy beginnt in Hollywood ein neues Leben mit einem neuen Namen: Hedy Lamarr.
Sie hadert damit, ihre jüdische Identität verleugnet zu haben und sorgt sich um das Leben der jüdischen Menschen in Europa, die mittlerweile von Hitler offen verfolgt und vernichtet werden.
Sie will ihr Wissen aus den „belauschten“ Gesprächen nutzen und den Amerikanern helfen, eine perfekte Waffe gegen Hitler zu entwickeln. Dabei ist die Idee, die Steuerung für Tornados zu verbessern, um sie weniger störanfällig und treffsicher zu machen.
Während sie eine weltberühmte und gefeierte Schauspielerin wird, verbringt sie ihre freie Zeit mit der Weiterentwicklung ihrer naturwissenschaftlichen Erfindungen und Ideen. Die Zeit ist jedoch noch nicht reif, eine Kriegswaffe nach den Ideen einer Frau anzuwenden.
Die Autorin Marie Benedict nimmt uns mit in eine grauenvolle Zeit der Vereinnahmung Österreichs durch die Nationalsozialisten, die Verfolgung, Vernichtung und Flucht jüdischer Menschen, das Leben der Migranten in den USA und des Eintritt der USA in den Weltkrieg. Die historischen Entwicklungen, gerade in Österreich, sind sehr detailliert und spannend erzählt.
Wir erleben dies alles aus der Sicht der Ich-Erzählerin Hedy Lamarr, deren Lebensweg, Gedanken, Sorgen und Entscheidungen im Mittelpunkt stehen. Dies führt zu einer starken Identifikation mit der Erzählerin. Allerdings hätte ich mir manchmal auch einen tieferen Blick auf die anderen Personen gewünscht.
So wie in der Chronologie die politischen Ereignisse geschildert werden, bleibt die Sprache oft sachlich und selbst „Liebesgeschichten“ werden einfach „erwähnt“. Die nüchterne Traurigkeit über ihre gescheiterten Beziehungen aber auch gescheiterten Erfolge, ihre Forschung umzusetzen, finden Ausdruck im letzten Satz: „Ich war immer allein gewesen unter meiner Maske, ich war stets die einzige Frau im Raum gewesen.“
Mir hat das Buch sehr gefallen. Es ist die Geschichte einer vielschichtigen, faszinierenden Frau.

Bewertung vom 08.05.2023
Noch wach?
Stuckrad-Barre, Benjamin von

Noch wach?


ausgezeichnet

Ein polarisierendes Buch


Die „Personen und Handlungen dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“ (Heinrich Böll, Die verlorene Ehre der Katharina Blum)

Der Erzähler, selber Künstler und Autor, ist seit vielen Jahren der beste Freund des Chefredakteurs eines bekannten deutschen Senders und er hadert sehr mit den Machenschaften dieses Senders, der vor allem durch laute, reißerische Nachrichten auffällt. Sie machen sich zur Stimme Deutschlands. (WIR!) Dieser Fernsehsender vermarktet hemmungslos jede Nachricht, Hauptsache sie verkauft sich. Die öffentlich bloß gestellte Ehefrau eines bekannten Fußballers nimmt sich das Leben, nachdem ihr Privatleben seziert wurde.

Er erfährt jedoch auch, dass es dort zu sexueller Belästigung von Frauen durch den stellvertretenden Chefredakteur kommt und informiert seinen Freund darüber. Dieser sagt ihm zu, dass er das selbstverständlich ernsthaft verfolgen werde.
In einer Sucht-Selbsthilfegruppe trifft er mit Sophia zusammen, die bei dem Sender arbeitet und mit dem stellvertretenden Chefredakteur eine „Beziehung“ hatte. Sie schildert ihm einige Details.
Der Erzähler, der viel Zeit in einer hippen Gruppe in Hollywood am Pool des berühmten Château Marmont, Hollywoods Kulthotel, verbringt, erfährt von Rose, dass sie ebenso sexuellen Übergriffen ausgesetzt war. Und auch ihre Freundin „Baseballs“, die in der Redaktion des Senders gearbeitet hatte, werde bald in die Öffentlichkeit treten. Dafür bittet sie um seine Unterstützung.
In den USA wird der Skandal zum Harvey Weinstein öffentlich und Rose ist eine der ersten, die ihre Geschichte erzählt.
Und in Berlin rühren sich die Frauen in der Redaktion. Sophia und der Erzähler sammeln die Informationen der Betroffenen. Die Berichte der Frauen sind erschreckend. Die Frage, ob und wie die Öffentlichkeit informiert wird, ist kompliziert. Die Frauen befürchten vor allem berufliche Nachteile sowie Verleumdungen: „Dann müssen die Frauen sich auch nicht wundern.“
Man einigt sich auf ein Compliance-Verfahren, am Ende bleibt der Täter, der Chefredakteur, zwar ein bisschen angeschlagen, weiter in seiner Position.

Der Erzähler zieht den Leser in seinen Sog. Er bestimmt die Sichtweise, auch wenn er das ja eigentlich nicht will. „… und ich mag dieses Gefühl überhaupt nicht. Moralisch im Recht zu sein oder sich auch nur zu wähnen macht so dumm, das ist immer das Problem.“
Die Stimmen der Frauen rütteln auf. Sie bekommen nächtliche Nachrichten. „Noch wach? Scheiß klimanalage-komm und wärm mich-starke vermissung- bin da-köroer an körper jetzt-wo du“ (Anm.: Originalzitat, da es sich um eine „Kurznachricht“ per Telefon handelt) oder werden aufgefordert ihn sofort (nachts) zu treffen. Wenn sie seine Bedürfnisse nicht erfüllen, werden sie „abgelöst“ und öffentlich bloßgestellt.
Benjamin von Stuckrad-Barre beherrscht die Vielfalt der Sprache.
In beißender Ironie zeigt er seine Kritik am Machtgebaren dieses mächtigen Senders und dieser mächtigen Männer, Männer als Karikaturen ihrer selbst. Seine Wortakkrobatik zeigt sich in herrlichen Wortneuschöpfungen (schweinepeinliches Feuerwehrschweifauto, irrer Blendwörter-Lalltext, Peer Group-Reinheitsgebot).
Stakkatohaft werden Ereignisse, Überlegungen, weitere Gedanken aneinandergereiht, es gibt so viel zu „bedenken“.

Es stellt sich die Frage, ob wir bei diesem Buch von einem „Roman“ sprechen können, denn die Geschehnisse sind mehr real als fiktional, das trifft auch auf die Protagonisten zu. Obwohl der Autor, zu Beginn des Buches ausdrücklich darauf hinweist (hinweisen muss?): „Dieser Roman ist in Teilen inspiriert von verschiedenen realen Ereignissen, er ist jedoch eine hiervon losgelöste und unabhängige fiktionale Geschichte.“. Es ist kein Geheimnis, dass es sich bei dem am Ende des Buches Ex-Freund des Erzählers um Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, und den zum Erzählzeitpunkt 2019 sehr mächtigen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt handelt. Da war Heinrich Böll doch mutiger….
Ein wichtiger Blick auf ein wichtiges Thema. Ob der Erzähler nun wirklich auf Seiten der Me-Too-Bewegung steht? Ich weiß es nicht. Er möchte politisch korrekt rüberkommen, ist vorsichtig bei seinen Urteilen. Vielleicht möchte er auch seine Rolle in diesem schauderhaften Schauspiel rechtfertigen. Zum Verhalten seiner Geschlechtsgenossen jedoch ist sein Urteil klar.
Ich kann das Buch unbedingt empfehlen, zumal es gerade so kontrovers diskutiert wird.

Bewertung vom 06.05.2023
Mutterhirn. Was mit uns passiert, wenn wir Eltern werden
Conaboy, Chelsea

Mutterhirn. Was mit uns passiert, wenn wir Eltern werden


sehr gut

Verändert sich das Gehirn von Eltern während der Schwangerschaft und wenn ja wie?
Diese Frage möchte Chelsea Conaboy, amerikanische Wissenschaftsjournalistin und selber Mutter zweier Kinder, aufgrund wissenschaftlicher Recherche vor allem der Neurowissenschaften beantworten.
„Das Mutterhirn ist nicht gleichbedeutend mit dem weiblichen Gehirn und nicht mit dem Gehirn der Gebärenden. Es ist vielmehr das Gehirn, das man sich „durch Fürsorge verdient“, wie die feministische Philosophin Sara Ruddick es beschreiben würde.“
Bereits während der Schwangerschaft finden deutlich nachweisbare Veränderungen im Gehirn statt. „Das Volumen von Hirnarealen, die bei der Fürsorge und Erziehung eine entscheidende Rolle spielen, einschließlich jener Areale, die unsere Motivation, Aufmerksamkeit und sozialen Reaktionen beeinflussen, hat sich erheblich vergrößert.“
Die Autorin räumt die Ideologie des „Mutterinstinkts“ beiseite. Die Beziehung zwischen Baby und Mutter entwickelt sich, angepasst an die Bedürfnisse des Kindes, diese „Beziehung“ entwickeln auch Väter, Adoptiveltern, gleichgeschlechtliche Paare. Die Gehirne dieser „versorgenden“ Personen verändern sich in ihrer emotionalen Aufnahmefähigkeit und Sensibilität. Unser Gehirn ist ein komplexes Gebilde, das immer in Bewegung ist und sich veränderten Umständen anpasst. So beeinflussen auch die massiven Hormonveränderungen vor und nach einer Schwangerschaft das Gehirn. Wenn Eltern auf Schreie ihres Babys reagieren, das Kindchenschema als „niedlich“ empfinden und ihre Kinder versorgen und beschützen, so wird dies durch bestimmte Hirnareale gesteuert.

Chelsea Conaboy zitiert Forscherinnen, die die Intensität der Veränderungen während einer Schwangerschaft mit denen in der Pubertät vergleichen. „Neue Elternschaft ist ein Prozess, der Zeit braucht.“
Neben aktuellen Forschungsberichten kommen zahlreiche Frauen zu Wort, die die Mutterschaft ganz unterschiedlich erlebt haben und auch die Autorin bringt ihre persönlichen Erfahrungen mit ein.
Die Idealisierung der Mutterschaft hat eine lange Tradition, sie ist jedoch kulturell und auch historisch unterschiedlich ausgeprägt und hängt oft mit der jeweiligen gesellschaftlichen Rolle der Frau zusammen.
Dieses Buch vermittelt wichtige Erkenntnisse darüber, dass Mutter- oder Elternschaft nicht (nur) biologisch determiniert ist, sondern durch Anpassungen im Gehirn aufgrund veränderter Bedingungen entsteht.
Außerdem räumt es mit dem verklärenden Mythos der Mutterschaft auf, die nicht immer positiv verläuft. So kann es auch werdenden und jungen Müttern/Eltern helfen, die Gefühlsstürme, die über sie hereinbrechen, zu verstehen.
Als „Elternratgeber“ ist das Buch eventuell zu komplex und wissenschaftlich aufgearbeitet, aber gerade die große wissenschaftliche Recherche macht es so glaubhaft.

Bewertung vom 05.05.2023
Going Zero
Mccarten, Anthony

Going Zero


ausgezeichnet

„Schöne neue Welt. Schöne neue Welt?“
Gelingt es dir, 30 Tage unterzutauchen, ohne dass die Sicherheitsbehörden dich aufspüren, dann bekommst du 3 Mio. Dollar.
Dieses Experiment des Unternehmens WorldShare, die sogenannte „Fusion-Initiative“, gemeinsam mit der US-Regierung, soll beweisen, dass es nicht möglich ist unentdeckt zu bleiben.
10 Personen sind nach dem Bewerbungsverfahren auserkoren worden, den Überwachungsmechanismen von FBI, CIA, NSA zu entkommen. An oberster Stelle der Verfolger steht Cy Baxter, ein Multimillionär, Chef von World-Share, der mit seinen neuen Überwachungs- und Ermittlungs-Programmen einen Milliardenmarkt erschließen will.
Die ersten TeilnehmerInnen werden schnell erfasst, der Zugriff auf sämtliche persönliche Daten, Bewegungsprofile klappt wunderbar.
Lediglich die Bibliothekarin Kaitlyn, ein völlig unterschätze Teilnehmerin hält länger durch als erwartet.
Viele TeilnehmerInnen machen kleine Fehler, die ihnen zum Verhängnis werden. Aber die Verfolger greifen auch durchaus auf illegale Überwachungsmethoden zurück, z.B. ein Programm, mit dem man Zugriff auf jeden Fernseher im Land hat und ihn als Abhörgerät nutzen kann.
Die letzten 9 Tage ist neben Kaithlyn nur noch ein weiterer Kandidat unauffindbar und Cy ist besessen, das Programm erfolgreich zu beenden. So wird auch der Vorletzte Kandidat gefunden.
Es gibt erstaunliche Wendungen, die gesuchte Kandidatin bleibt unauffindbar. Stattdessen richtet sie eine Drohung an Cy und nun wird die Geschichte zum Polit-Thriller.
Der Roman ist sehr spannend geschrieben, parallel dazu erschrickt die „Lässigkeit“, mit der sämtliche persönliche Daten recherchiert, verwendet, analysiert und hochgerechnet werden, um auch bereits zukünftige Entscheidungen vorauszusehen. Letztlich geht es um den Milliardenmarkt an Programmen, um Datenschutz, um Macht und hemmungslose Kriminalität.
Es ist wirklich keine schöne neue Welt.
Ich kann das Buch sehr empfehlen.

Bewertung vom 03.05.2023
Als wir Vögel waren
Banwo, Ayanna Lloyd

Als wir Vögel waren


sehr gut

Ayanna Lloyd Banvo hat ihren ersten Roman veröffentlicht, der in ihrer Heimat Trinidad spielt.
Darvin arbeitet als Totengräber in Port Angeles, einer fiktiven Stadt in Trinidad, obwohl seine Religion des Rastafari den Umgang mit Toten verbietet, aber die finanzielle Not ist groß. Er muss auch gegen ein weiteres Gebot verstoßen und seine langen Haare opfern. Er tut sich schwer mit der Atmosphäre auf dem Friedhof und den anderen Totengräbern und er ahnt recht bald, dass auf dem Friedhof merkwürdige Dinge passieren.
Yejide ist von ihrer Großmutter in die alten Mythen ihrer Familie eingeweiht worden und sie soll nach dem Tod der Mutter das Erbe der matriarchalen Reihenfolge fortsetzen. Der Tod hat in ihrer Familie eine besondere Bedeutung. Ebenso die Geschichte um die schwarzen Vögel, die Corbeaux, Aasvögel, die den Tod begleiten. Yejide leidet unter der Last, die ihr als „Erbin“ auferlegt wird. Sie kann die Toten hören und bei den Lebenden den Tod als Schatten sehen.
In einer Vision sehen die beiden Protagonisten sich bereits, bevor sie sich auf dem Friedhof wegen der Beisetzung von Yejides Mutter begegnen. Und sie wissen beide, dass sie zusammengehören. Sie vertrauen einander ihre Geheimnisse an.
Sprachgewaltig und poetisch nimmt uns die Autorin mit in eine fremde, exotische Welt voller Farben und Gerüche, die so gut beschrieben wird, dass man sich die Atmosphäre bildlich vorstellen kann.
Der verschachtelte Erzählstrang aus Sicht der beiden ProtagonistInnen schafft Spannung und lässt in ihre Gedanken blicken.
Der tiefe Glaube, die Mythen der beiden Hauptpersonen sind verwirrend und faszinierend zugleich.
Ich bin dankbar für dieses Buch, das ein ungewöhnliches Thema auf bewegende Art und Weise behandelt und uns Einblick in eine fremde Kultur gewährt.

Bewertung vom 03.05.2023
Kastenbrote
Schell, Valesa

Kastenbrote


ausgezeichnet

Es gibt ein neues Brotbackbuch von Valesa Schell, in dem sie nur Rezepte für Kastenbrote vorstellt. Die Gare findet bereits in der Kastenform statt, so dass man einen Arbeitsschritt, der sonst nötigen Stockgare, überspringen kann.
Die Brote werden entweder mit Hefe, Sauerteig, Lievito Madre hergestellt, es gibt herzhafte, süße und Vollkornbrot-Rezepte.
Valesa Schell erläutert die Grundlagen des Brotbackens, der unterschiedlichen Zutaten sowie der verschiedenen Triebmittel.
Sie beschreibt die Herstellung und Pflege von Sauerteig und Lievito Madre.
Die Rezepte sind abwechslungsreich, die Umsetzung erfordert wegen der Gärzeiten etwas Zeit. Einige Brote benötigen Zutaten, die man vielleicht nicht im Haus hat.
Ansprechende Bilder machen Lust, sofort zu beginnen.
Hinweise auf Bezugsquellen sowie Internetblogs sind für Einsteiger hilfreich.
Ich bin begeistert von dem Buch, habe bereits den Brotbackkurs von Valesa Schell ausführlich getestet.

Bewertung vom 02.05.2023
Gelegenheiten
Schneider, Romy

Gelegenheiten


sehr gut

Eine Frau geht ihren Weg.
Die Protagonistin Karla entschließt sich, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen und endlich ihren Traum, ein Buch zu schreiben, zu verfolgen.
Sie mietet ein kleines Haus in der Provence, ihrem Sehnsuchtsort. Zur Begrüßung findet sie eine Flasche Roséwein mit dem vielversprechenden Etikett „Pour toutes les occasions“, für jede Gelegenheit.
In der Nähe befindet sich ein Weingut, wo sie diesen Wein kaufen möchte. Sie lernt dort den Winzer kennen, der die Weinprobe mit ihr als „Occasion“ bezeichnet. Und es finden sich weitere „Gelegenheiten“, an denen die beiden zusammentreffen.
Karla schreibt fleißig an ihrem Buch und genießt die französische Lebensart.
Sie verfolgt sehr konsequent und gradlinig ihren Weg, sie hat verstanden, was wirklich wichtig ist im Leben.

Eine schöne Geschichte über die Selbstfindung einer Frau, gerahmt in der wunderbaren Natur der Provence in den wechselnden Jahreszeiten und eine Liebesgeschichte, die nicht kitschig ist.