Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Lunamonique
Wohnort: 
Bremen

Bewertungen

Insgesamt 413 Bewertungen
Bewertung vom 25.02.2021
Das Seehaus
Morton, Kate

Das Seehaus


ausgezeichnet

Der australischen Schriftstellerin Kate Morton gelang 2006 mit ihrem Roman „Das geheime Spiel“ der Durchbruch. „Der verborgene Garten“, „Die fernen Stunden“ und „Die verlorenen Spuren“ wurden ebenfalls zu Bestsellern. „Das Seehaus“ ist ihr neuestes Werk.

Cornwall 1933, auf der Mittsommernachtsparty von Familie Edevane verschwindet der 11 Monate Sohn Theo spurlos aus seinem Kinderzimmer. Was mit ihm geschehen ist, wird nie geklärt. Siebzig Jahre später stößt Detective Sadie Sparrow durch Zufall auf das verlassene Anwesen Loeanneth. Sadie hat die Ermittlung im Fall Maggie Bailey vermasselt und wurde von ihrem Kollegen Donald dazu überredet, für eine paar Wochen von der Bildfläche zu verschwinden. Sadie verbringt ihren Urlaub bei Großvater Berti in Cornwall. Über das verfallene Haus gerät sie an den alten Vermisstenfall Theo Edevane und beginnt Nachforschungen anzustellen.

Der Start der Geschichte führt zurück in das Cornwall vom August 1933. Eine Frau vergräbt heimlich etwas. Ein weiterer Sprung zurück zum 23.Juni 1933. Hauptfigur Alice ist 16 Jahre jung und in den Gärtner Ben verliebt. Autorin Kate Morton schafft es, den Zauber der vergangenen Zeit einzufangen. Die Idylle des Anwesens Loeanneth wird greifbar. Eleanor und Anthony haben vier Kinder, die Töchter Alice, Deborah, Clemmie und Sohn Theo. Einblicke in Alice und Eleanors Leben bringen dem Leser die Geschehnisse von damals näher. Was ist aus Alice‘ Liebe zu Ben Munro geworden? Warum hat sich Eleanor so verändert? Das Rätsel um Theos Verschwinden wird zum roten Faden der Geschichte. Warum hat niemand etwas bemerkt? Die Geschichte springt immer wieder zwischen Heute und Damals hin und her. Heute ist Alice Edevane 86 Jahre alt und eine berühmte Krimiautorin. Sie hat Loeanneth nie wieder betreten und die Tragödie um ihren kleinen Bruder erfolgreich verdrängt. Detective Sadie Sparrow beißt sich an dem alten Fall fest und versucht per Brief mit Alice Kontakt aufzunehmen. Autorin Kate Morton hat mit geschickten Mitteln ein Verwirrspiel geschaffen, das den Leser von Anfang fesselt und bis zum Schluss nicht mehr loslässt. Im Laufe des Lesens wirkt der Plot immer raffinierter. Mehrere Personen von damals geraten in Verdacht, und es gibt neben Theo noch einen weiteren mysteriösen Fall. Durch die bildhafte Sprache baut sich von Anfang an eine sehr intensive Atmosphäre auf. Jeder Charakter in dieser Geschichte hat eine eigene Persönlichkeit und wirkt real. Die Orientierung fällt trotz der Zeitsprünge leicht. Nur langsam setzt sich das Puzzle zusammen. Die Spannung um das Rätsel bleibt auf einem hohen Niveau. Zudem kommt zusätzliches Interesse für den Fall Maggie und Caitlyn Bailey auf. Die Komplexität des Romans, Erzählstil und Sprache beeindrucken. 604 Seiten packende Lektüre. Nicht ist vorhersehbar. Spuren und Fährten führen ins Leere. Im letzten Buchdrittel steigert sich die Spannung um die ganze Wahrheit. Die Auflösung überrascht und geht ans Herz. Es fällt schwer, die Tränen zurückzuhalten.

Das Cover verzaubert mit einer besonderen Perspektive und idyllischen Landschaft. Nur die Wolken am Himmel deuten auf eine Tragödie hin. Effektvoll eingesetzt sind die Magnolienblüten, die romantisch wirken. Das Cover hat eine hohe Anziehungskraft. Der Titel weckt ebenfalls das Interesse. Der Name Kate Morton bleibt spätestens nach diesem Buch im Gedächtnis. "Das Seehaus" spricht sowohl Krimi- als auch Liebesgeschichten-Fans an. Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 25.02.2021
Hund Couture: Episode 1-4
Hasso Longnose

Hund Couture: Episode 1-4


ausgezeichnet

Ein Mops, der ein Buch schreibt? Hasso Longlose ist immer für Überraschungen gut. Er ist keiner dieser überzüchteten Exemplare sondern ein Retromops mit einer etwas längeren Mops-Schnauze. Eigentlich schade, dass nichts über den Menschen-Autor hinter der Hasso Longnose-Reihe herauszufinden ist. Außer, dass es sich um ein Herrchen handelt.

Hasso Longnose hat sich in Pudeldame Victoria von Tann verliebt. Dummerweise sind die Wilkinsons weggezogen und Hasso Longnose weiß nicht wohin. Er versucht in Victorias altem Zuhause ihre Spur aufzunehmen und wird von ihrem Herrchen überrascht. Herr Wilkinson hetzt seine Dogge Arnold auf den Mops. Auf der Flucht muss sich Hasso Longnose schnellstens etwas einfallen lassen. Das Kraftpaket Arnold rückt ihm schon viel zu nah auf den Pelz.

Hasso Longnose stellt sich selbst vor. Der Einstieg mit seiner Flucht ist sehr gelungen. Kurze Beine und zu viel Fett, Hasso ist nicht gerade für sportliche Aktivitäten geschaffen. Klar, dass Dogge Arnold ihn bald einholt. Tricks und Raffinesse sind gefragt. Der Charakter Hasso Longnose überzeugt mit Stärken und Schwächen. Chaos zieht Hasso magisch an. Der Mops gerät mehr als einmal in eine gefährliche Situation. So originell wie Mops Hasso sind auch seine Freunde, die kleptomanische, hyperintelligente Elster Sunny und der fresssüchtige, schwule, superschlaue Hamster Turing. Sunny und Turing kennen für jedes Dilemma einen Ausweg. Bald sind die drei Freunde mal wieder als Team gefragt. Hasso bekommt bei seinen Nachforschungen heraus, dass Pudeldame Victoria in Lebensgefahr steckt. Mops Hasso Longnose, der seit über fünfzig Hundejahren im Modegeschäft tätig ist, sagt für Victorias Rettung sogar seine Modenschau ab. Bald müssen Hasso, Sunny und Turing feststellen, dass ihr Rettungsplan Tücken hat. Gut, dass sie zufällig Puli-Punkerin Pogo begegnen, die ihnen unter die Pfoten greift. Die Geschichte um den verliebten Hasso und seine Freunde wird sehr unterhaltsam und humorvoll erzählt. Störend sind nur die recht schnell auftauchenden Seitenhiebe auf die Menschenwelt. Diese wiederholten Abschweifungen wollen sich nicht so recht in die Story einfügen. Hassos Vermenschlichung nimmt auch zu große Formen an. Schade, es wird viel Potential verschenkt. Wäre die Geschichte in dem Stil wie am Anfang weiter erzählt worden, wäre sie noch mitreißender gewesen. Witzig ist Hassos Signal für Turing. In Turings Hamsterbacken steckt häufig überraschend Nützlicheres. Die originellen Einfälle und Charaktere machen den hohen Unterhaltungswert aus. Schmunzler sind garantiert. Ein diabolisch-hinterlistiger und geldgieriger Feind hinter einer tierfreundlichen Fassade darf nicht fehlen. Die Hasso Longnose-Reihe hat etwas von „Tom und Jerry“ und „Der rosarote Panther“. Leider wird für den Showdown zu viel Überdrehtes aufgefahren und das Finale zieht sich zu lange hin. Hier wäre weniger mehr gewesen. Das Ende entspricht den Erwartungen. Durch die eingestreuten Hinweise lässt es sich schon vorher ein wenig erahnen.

Ein Mops, der ganz stark an Karl Lagerfeld erinnert. Das Cover ist gelungen. Nur die Hintergrundfarbe ist zu dunkel gewählt. Der Name „Hasso Longnose“ lässt sich schwer vergessen. Für Tierliebhaber bieten die Episoden 1-4 ein amüsantes Lesevergnügen. Ein lockerer, abgedrehter Zeitvertreib. Zwar wächst die Spannung auf den Nachfolgeband nicht gerade auf Mopsgröße, aber vielleicht kann der überzeugte Leser am Ende doch nicht widerstehen.

Bewertung vom 25.02.2021
Die Gestirne
Catton, Eleanor

Die Gestirne


ausgezeichnet

2013 wird Eleanor Catton im Alter von 28 Jahren für ihren zweiten Roman „The Luminaries“ mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Sie ist damit die jüngste Booker Prize-Trägerin aller Zeiten. In der deutschen Übersetzung hat Melanie Walz den Zauber des Buches unter dem Titel „Die Gestirne“ eingefangen.

Neuseeland, Hokitika, im Jahr 1866, der 27jährige Walter Moody hat sich im Crown Hotel einquartiert. Er will sich einen Brandy und ein bisschen Ruhe gönnen und platzt unversehens im Rauchzimmer des Hotels in eine Geheimversammlung. Einer der zwölf Männer, der Schiffsspediteur Thomas Balfour, verwickelt Walter Moody in ein Gespräch. Die Anderen verfallen in ein befremdliches Schweigen, täuschen Aktivitäten vor. Moody geht auf Balfours seltsame Fragen ein. Kann er die Situation entschärfen? Was planen die Männer?

Sternenbilder und Planeteneinstellungen, das Verzeichnis der handelnden Personen in „Sterne“ und „Verwandte Häuser“ eingeteilt, schon auf den ersten Seiten wird deutlich, dass es sich bei „Die Gestirne“ um ein ungewöhnliches Buch handelt. Eine sehr bildhafte, einzigartige Sprache entführt den Leser ins Jahr 1866 zur Goldgräberzeit in Neuseeland. Der direkte Einstieg mit Walter Moodys Hineinplatzen in eine Geheimversammlung sorgt sofort für Spannung. Wird sich die Situation zuspitzen? Erzählt Walter Moody zu viel? Die verzwickte Lage der Hauptfigur reißt mit. Erst nach und nach wird deutlich um welche Männer es sich in dem Rauchzimmer handelt. Was hat Walter auf seiner schrecklichen Reise erlebt? Im Gegenzug zu Walter Moody plaudert auch Schiffsspediteur Thomas Balfour aus dem Nähkästchen. Hinweise und Andeutungen, ein toter Einsiedler und eine bewusstlose Hure steigern die Spannung. Schicksalhafte Begegnungen, Berechnung, Intrigen, Verrat, Lügen, jeder einzelne Charakter spielt in dieser Geschichte eine wichtige Rolle. Die Verwicklungen sind anfangs undurchsichtig. Es türmen sich gleich mehrere Rätsel auf und im Laufe der Geschichte kommen weitere dazu. Warum hat Walter Moody beim Auslaufen der „Godspeed“ acht, später auf der Reise aber neun Passagiere an Bord festgestellt? Was ist der Grund für die Geheimversammlung? Nicht nur Walter Moody tappt im Dunkeln. Die zwölf Männer im Rauchzimmer können nicht unterschiedlicher sein. Lange Zeit bleibt die Kulisse die gleiche. Berichte und Erzählungen geben erste Anhaltspunkte. Autorin Eleanor Catton fesselt den Leser mit einem raffinierten Plot. Nur wenig lässt sich vorhersehen. Die Geschichte hat viele Überraschungen parat. Bewundernswert menschlich sind ihr die Charaktere gelungen. Jeder hat mit seinen Abgründen zu kämpfen. Es gibt eine große Menge an Hauptfiguren und nur sehr wenige Randfiguren. Die kantonesische Sprache, das Goldgräberleben, Druckarbeiten bei der Zeitung, Schmerzmittel, Waffen, Kleidung, Gewohnheiten, für die Details war viel Recherche notwendig. Die astrologischen Aspekte werden zur Herausforderung. „Die Gestirne“ bietet gleich mehrere Abenteuer in Einem. Schnell entwickelt sich das Buch zum Pageturner. Humor fließt mit ein. Der ein oder andere Schlagabtausch und sprachliche Missverständnisse steigern den Unterhaltungswert. Auch die Spannung findet immer wieder Höhepunkte. Im letzten Drittel des Buches bringen die Auflösungen den Leser zum Staunen. Nicht ganz so gelungen und teils überflüssig sind die kurzen Kapitel zum Schluss. Der Ausklang dagegen setzt einen würdigen Schlusspunkt.

Das Cover mit dem Frauengesicht im Mond wirkt mysteriös. Es verrät nichts bis auf das Außergewöhnliche des Buches. Das sandfarbene Beige und der goldenen Titel passen gut zum Inhalt. Mit 1038 Seiten ist „Die Gestirne“ ein echter Wälzer. Es lohnt sich, diese fesselnde Lektüre in Angriff zu nehmen. Der Roman hat Stil und eine besondere Klasse. Er überrascht mit allen seinen Facetten und einem kniffeligen Plot.

Bewertung vom 25.02.2021
Gun Street Girl / Sean Duffy Bd.4
McKinty, Adrian

Gun Street Girl / Sean Duffy Bd.4


ausgezeichnet

„Gun Street Girl“ ist Band 4 der Krimireihe rund um Detective Inspector Sean Duffy. Ein Doppelmord scheint ein glasklarer Fall zu sein, aber irgendetwas ist an der Sache faul. Eigentlich kann Detective Inspector Sean Duffy seiner Intuition trauen.

Belfast 1985, der gemeinsame, nächtliche Einsatz von RUC, Gardai, FBI, MI5 und Interpol endet in einem Desaster. Kurz darauf muss Detective Inspector Sean Duffy im Fall eines tätlichen Angriffs auf eine Prostituierte vermitteln. Am nächsten Morgen wird er zum Tatort eines Doppelmordes gerufen. Die Hinweise auf den Täter sind eindeutig. Es bleibt ein ungutes Gefühl. Neue Opfer lassen alles in einem anderen Bild erscheinen.

Ein Geräusch am Anfang einer Geschichte. Der Einstieg mit der Falle für Waffenschmuggler und Sean Duffys Reaktion auf das „absurde Drama“ ist sehr gelungen. Autor Adrian McKinty weiß, seine Leser zu unterhalten und zu fesseln. Die Ereignisse überschlagen sich. Unterschiedliche Fälle, die jeder eine andere Art von Einsatz erfordern. Sean Duffys Intelligenz, außergewöhnliche Beobachtungs- und Kombinationsgabe ist besonders beim Doppelmord gefragt. Einer der Neuen im Team, Alexander Lawson, erweist sich als hilfreicher als gedacht. Eigentlich hat sich Detective Sergeant McCrabban mit Duffys Hilfe den Fall des toten Millionärsehepaares geangelt. Das Rätselhafte nimmt zu, Crabbie verlässt sich auf Duffys Gespür. Erst eine überraschende Wende lässt das Ausmaß erkennen. Der Plot ist raffiniert gestrickt. Die Spannung baut sich am Anfang schnell auf und hält bis zum Ende. Unruhen in Nordirland, eine anhaltende Gefahr, Duffys feste Regel, sein Auto vor jeder Fahrt nach Sprengsätzen zu kontrollieren machen die angespannte Atmosphäre stets greifbar. Dumme Jungenstreiche heizen die Stimmung auf. Was ist harmlos, was kann eskalieren? Nicht nur die ständige Unsicherheit ist gut eingesetzt. Falsche Fährten, Andeutungen, winzige Hinweise auf Lügen, das stumme Einverständnis zwischen Crabbie und Duffy, aber auch zwischen Duffy und Lawson, beeindruckt. Jeder Charakter hat Persönlichkeit, Eigenarten, Talente ergänzen sich. Musik, Einsichten, Gedanken, mit den unterschiedlichsten Stilmitteln werden Duffys Emotionen in Szene gesetzt. Die Verwicklungen nehmen zu, Fragen türmen sich auf. Wie hängt alles zusammen? Wer ist der Mörder? Was für ein Motiv steckt hinter den Taten? Nur langsam rückt die Auflösung näher. Das Tempo bleibt dabei hoch. Keine Verschnaufpause fürs Team und den Leser. Eines der Highlights sind die Ermittlungen in London. Detective Inspector Sean Duffy lässt sich keine Steine in den Weg legen. Ein verführerisches Angebot hat seine Tücken. Autor Adrian Mc Kinty überzeugt mit einem ganz eigenen Stil und einer Hauptfigur, die auch ihre Schwächen hat. Zum Schluss steigt die Spannung noch einmal. Schicksalhaftes am Ende berührt.

Eine Kämpferin allein auf weiter Flur? Der Titel irritiert etwas. Erst auf den letzten Seiten erklärt sich der Zusammenhang. Eine gewalttätige, düstere Welt, in der sich Sean Duffy auf seine Art und Weise zurechtfindet. Das Cover hätte mit einer zentralen, männlichen Figur seinen Alltag auf den Punkt bringen können. Der Effekt von Titel, Details und Autorennamen in Orange-Rot lässt sich nicht abstreiten. Im Nachwort geht Autor Adrian McKinty auf interessante, historische Details ein, die er in den Krimi eingefügt hat. Ein empfehlenswertes Buch für alle, die ungewöhnliche und packende Bücher lieben.

Bewertung vom 25.02.2021
Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford
McBride, James

Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford


ausgezeichnet

Nach „Die Farbe von Wasser“ ist „Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford“ das neueste Werk von Autor, Komponist und Saxophonist James McBride. Der Roman wurde mit dem National Book Award ausgezeichnet.

Der Brand in eine Kirche bringt die Notizbücher des Diakons und Amateurhistorikers Charles D. Higgins ans Licht. Die Aufzeichnungen handeln vom Gemeindemitglied Henry „Zwiebel“ Shackleford Higgins. Er behauptet, der einzige überlebende Neger des Überfalls 1859 auf den amerikanischen Gesetzlosen und Sklavenbefreier John Brown auf Harpers Ferry zu sein.

Der Prolog über den verstorbenen Charles D. Higgins und seinen heimlichen Nachlass lässt den Humor der nachfolgenden Geschichte erahnen. Er hat seine Interviews mit Henry Shackleford schriftlich festgehalten. Berichtet wurde von Higgins Notizbüchern am 14.Juni 1966. Henrys Erzählungen führen zurück nach Kansas ins Jahr 1857. Der zwölfjährige Sklave Henry gerät in den Krieg zwischen Sklavenhaltern und bibeltreuen Abolitionisten. Henrys Pa schneidet in Dutchs Kneipe einem Durchreisenden die Haare, der sich ausgerechnet als der gefürchtete Freiheitskämpfer und Sklavenbefreier Old John Brown entpuppt. Der Master der beiden Sklaven Dutch Henry Sherman ahnt John Browns Vorhaben. Es kommt zu einer Auseinandersetzung. Old John Brown nimmt Henry mit auf seine Flucht. Durch ein Missverständnis hält er den Jungen für ein Mädchen und nennt sie Henrietta. Henry merkt bald, dass ein Leben als Mädchen auch seine Vorteile hat. Autor James McBride lässt Henry seine Abenteuer aus der Ich-Perspektive erzählen. Die Sprache passt er der damaligen Zeit und dem Charakter des Jungen an. Der Roman erhält dadurch eine besondere Intensität und durch den ungewöhnlichen Sprachstil einen hohen Unterhaltungswert. John Browns Bande besteht aus seinen Söhnen und Farmern. Es entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen Johns Sohn Frederick und Henry alias Henrietta. Fred wird zu Henrys Beschützer. Seine etwas dümmliche Art macht ihn sympathisch. Im Kampf erweist er sich als knallharter Haudegen. Autor James McBride hat nicht nur mir Fred eine besondere Persönlichkeit erschaffen. Old John Brown mit seinen endlosen Predigten, die am Ende nie so richtig Sinn ergeben, ist ein weiterer unschlagbarer Charakter. Der US-amerikanische Abolitionist John Brown hat von 1800 bis 1859 gelebt und ist eine wahre Figur in der historisch überlieferten und mit Phantasie ausgeschmückten Geschichte.

Henry findet sich plötzlich in der Wildnis wieder und muss sich den unterschiedlichsten Herausforderungen stellen. Das Glück ist in den unmöglichsten Situationen an seiner und Johns Seite. Old John Brown hält Henrietta für seinen Glücksbringer. Henry versucht mehrmals zu fliehen. Ihre Wege kreuzen sich immer wieder. „Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford“ hat auch schreckliche Szenen parat. Für sein Ziel der Sklavenbefreiung gehen Old John und seine Bande über Leichen. Das Grausame wird nicht überstrapaziert. Henrys Leben steht im Mittelpunkt. James McBride beweist mehr als einmal sein Händchen für Situationskomik. Bei Old John läuft niemals alles nach Plan. Pannen pflastern seinen Weg. Nicht jeder fällt auf Henrys Täuschung rein. Der Junge lernt schnell, sich aus den misslichsten Lagen zu manövrieren. Zum skurrilen Showdown hin nimmt die Spannung noch einmal zu. Wie kann Henry seinen Hintern retten? Die Mischung aus „Django Unchained“ und „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ hat ein paar überraschende Wendungen parat.

Der Titel lässt eine ungewöhnliche Geschichte erahnen. Weder Titel noch Cover können auf den Inhalt vorbereiten. „Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford“ ist ein herrlich schräges Abenteuer mit dem gewissen Augenzwinkern. Autor James McBride lässt aber auch die Ernsthaftigkeit des Themas "Sklaverei" durchblicken und berührt mit dem Ende von Henry und Old Johns gemeinsamer Geschichte.

Bewertung vom 24.02.2021
Was wir scheinen
Keller, Hildegard E.

Was wir scheinen


gut

„Was wir scheinen“ ist der erste Roman von Literaturprofessorin und -kritikerin Hildegard E. Keller und befasst sich mit der politischen Theoretikerin und Publizistin Hannah Arendt. Von 2009 bis 2019 war Hildegard E. Keller Jurorin beim Ingeborg-Bachmannpreis in Klagenfurt.

„Was wir scheinen“ ist ein Roman. Die in ihm erfundenen Welt ist von historischen Fakten inspiriert, durch Recherchen in historischen Quellen gestützt und insgesamt doch eine Schöpfung der Autorin.“

Es fällt anfangs schwer, der Hauptfigur nahe zu kommen. Die Geschichte wird in zwei Handlungssträngen erzählt und führt in unterschiedliche Jahrzehnte und Lebensabschnitte. Der Roman startet mit der Reise nach Tegna am 25. Juli 1975 und einem letzten Sommer. „Immer wieder adoptierte der Traum Satzfetzen. Welcher Instinkt leitete ihn? Wie schon so oft hatte sie die Stimme mit dem rollenden R gehört, die Stimme aus dem Glaskasten oder auch vom Tonband.“ Der zweite Handlungsstrang beginnt in Manhattan 1941 und befasst sich mit der Flucht und dem Ankommen. Als roter Faden erweist sich bald der Eichmann-Prozess. Die Eindrücke von Journalistin und Gerichtsbeobachterin Hannah Arendt finden sich in Leben und Werken wieder. Erinnerungen an den Strafprozess und Verbrecher im Glaskasten verfolgen sie bis ins hohe Alter. Der Erzählstil hat etwas Unnahbares. Geschichtliches wird in Dialoge verpackt, Themen wechseln, Gespräche ufern aus. Der Fokus liegt so sehr auf den Dialogen. Herausstechen besondere Begegnungen, wie im Museum. Hannahs direkte Art auch beim Schreiben macht sie sympathisch. Heinrich und sie sind ein interessantes Paar. Schnupper und Stups, die Spitznamen untermalen das Warmherzige. Highlights sind auch die Gedichtfragmente, die immer wieder in die Geschichte eingestreut werden. Wegbegleiter, Loyalität und Freundschaft spielen eine wichtige Rolle. Hannahs Einsatz für die Wahrheit beeindruckt. „Wenn Sie sich dem Selberdenken verschreiben, werden Sie die Leute verwirren. Nicht per se durch das, was Sie denken, sondern durch die Tatsache, dass Sie selber denken.“ Der Schlagabtausch mit den Studenten ist unterhaltsam. Hannahs Ansichten geben Denkanstöße und animieren dazu, die Perspektive zu wechseln. Manchmal ist das Band zwischen Leser und Roman bzw. Hauptfigur etwas fadenscheinig. Die streitbare, eigenwillige Hannah gefällt.

Das Cover setzt den Fokus auf den Titel. Die Gestaltung ist zu blass und unauffällig. Ein Untertitel mit einem Hinweis auf Hannah Arendt hätte zusätzliches Interesse wecken können. „Was wir scheinen“ hat nicht die erwartete Intensität und droht öfters den Leser zu verlieren. So manches Zitat hinterlässt Eindruck. „Vielleicht ist das, was einem Menschen geschieht, nur dazu da, seine Eigentümlichkeit zu vollenden.“

Bewertung vom 15.02.2021
Der andere Sohn / Karlstad-Krimi Bd.1
Mohlin, Peter;Nyström, Peter

Der andere Sohn / Karlstad-Krimi Bd.1


ausgezeichnet

„Der andere Sohn“ bildet den Auftakt zur Karlstad-Krimireihe vom Autorenduo Peter Mohlin und Peter Nyström. Das Debüt der besten Freunde spielt in ihrem Heimatort Karlstad in Schweden.

„Vor zehn Jahren ist in der schwedischen Kleinstadt Karlstad eine junge Frau spurlos verschwunden. Ihre Leiche blieb verschollen, den einzigen Verdächtigen Billy musste man laufen lassen. Doch die Tat ist nie vergessen worden, die Schuldzuweisungen sind nie verstummt. Nun wird der Cold Case neu aufgerollt.“

Der direkte Einstieg mit rätselhaften Geschehnissen und einer ansteigenden Gefahr ist sehr gelungen. Die Geschichte wird in zwei Handlungssträngen erzählt. Die Eltern der vermissten Emelie Heimer und Sissela gehen mit der bedrückenden Ungewissheit und Trauer unterschiedlich um. Längst hat sich ein Keil zwischen sie geschoben. Der verdeckte Ermittler und FBI-Agent John Adderley trifft eine selbstmörderische Entscheidung, um ins Cold-Case-Team aufgenommen zu werden. Seine persönliche Verwicklung im Vermisstenfall sorgt für zusätzliche Spannung. Was ist damals geschehen? Wer ist der Täter? Die Fragen bilden den roten Faden der Geschichte. Emelie hatte ihre Geheimnisse und wenig von sich preisgegeben. Die Ermittlungen erweisen sich damals wie heute als schwierig. Johns Recherche ist unvoreingenommener. Er hat damit und auch aufgrund seiner Erfahrungen entscheidende Vorteile. John Adderley ist eine interessante Hauptfigur mit Stärken aber auch Schwächen. Ein Traumata macht ihm zu schaffen. Er eckt gerne mit seinen eigenwilligen Ermittlungen und Alleingängen an. Zwei Frauen bilden in dieser Geschichte einen ebenbürtigen Gegenpol mit ihrer scharfsinnigen und direkten Art. Wer hat etwas zu verbergen? Das Undurchsichtige, Rätselhafte und mögliche Gegenspieler und Verfolger sorgen für Spannung. Eine Freundschaft berührt. Dramatische Wendungen sind gut inszeniert. Es lässt sich nur wenig vorausahnen. Der Plot hat Raffinesse. Im letzten Buchdrittel zieht das Tempo an. Wer ist einen Schritt voraus? Schicksale erschüttern. John muss sich seinen eigenen Dämonen stellen. Ein fesselnder Krimi bis zum Schluss.

Cover und Titel wecken die Neugierde und stimmen auf eine packende Geschichte ein. Das Autorenduo fällt mit großer Schrift ins Auge. „Der andere Sohn“ überrascht mit einem geheimnisvollen Fall und Verstrickungen und entwickelt sich schnell zum Pageturner. Ein sehr gelungenes Debüt, das die Vorfreude auf Band 2 schürt.

Bewertung vom 09.02.2021
Das Leben braucht mehr Schokoguss
Lindberg, Ella

Das Leben braucht mehr Schokoguss


sehr gut

In „Das Leben braucht mehr Schokoguss“ von Ella Lindberg verändert ein Praktikum Mias Leben. Ella Lindberg ist das Pseudonym von Mara Winter. Von ihr stammen u.a. „Das Glück fällt wohin es will“, „Glitzerkram“ und „Das geheime Kapitel“.

Mia hat ein Praktikum in einer Schweizer Schokoladen-Manufaktur ergattert. Dummerweise gibt es gleich am ersten Tag Missverständnisse. Den Sprung ins kalte Wasser meistert sie besser als gedacht. Nur der gutaussehende Juniorchef macht sie zunehmend nervös.

„Für alle, die ein paar tröstliche Worte, eine Umarmung oder eine Tasse heiße Schokolade brauchen.“ Mit wenige Worten wird ein breites Lesepublikum angesprochen. Anfangs stiehlt eine resolute Sitznachbarin im Flugzeug der Hauptfigur ein bisschen die Show. Mit Mias Hang zu katastrophalen Improvisationen steigt der Unterhaltungswert. Originell ist die Schokoladen-Manufaktur mit Laden und Café als Kulisse für eine Liebesgeschichte. Eine Verwechslung fordert Mia heraus, die sich gar nicht so schlecht schlägt. Ihr Ideenreichtum kollidiert ab und zu mit den besonderen Umständen. Fettnäpfchen pflastern nicht selten ihren Weg. Der Humor nimmt zu und gibt der Geschichte einen pfiffigen Anstrich. Mia hilft Juniorchef Fabian aus einer Patsche. Die beiden verstricken sich in einem einsturzgefährdeten Lügengebilde. Wie kommen sie da wieder raus? Es geht nicht weniger, als um die Rettung der Schokoladen-Manufaktur und um eine Großmutter, die mehr auf Zack ist als alle denken. Elisabeth ist ein Highlight, genau wie Maja aus dem Café. So ganz nebenbei hat die Geschichte ein paar Lebensratschläge parat. Immer mal wieder die Perspektive ändern kann hilfreich sein. Mia macht es vor. Manchmal steht selbst sie auf dem Schlauch. Anderen kann sie viel leichter helfen als sich selbst. Mit ihr geht eine Veränderung vor sich. Sie wird selbstbewusster und erkennt ihre Stärken. Eine liebenswerte, leicht chaotische Person, die ihren Beliebtheitsgrad im näheren Umfeld steigert. Bridget Jones lässt grüßen. Wer Fan der Filme ist, wird auch Mias Schoko-Abenteuer lieben. Im letzten Buchdrittel kommt der Humor aus Wendungs-Gründen zu kurz. Missverständnisse, Irrungen und Wirrungen werden etwas zu sehr ausgereizt. Die Idee fürs Ende tröstet, auch wenn reichlich Zuckerguss ausgeschüttet wird.

Das Cover setzt zurecht auf den Titel, der nicht nur Frauenherzen höher schlagen lässt. „Das Leben braucht mehr Schokoguss“, das ist eindeutig wahr. Eine warmherzige Liebesgeschichte nicht nur für Bridget-Jones-Fans, sondern für alle, die mal wieder schmunzeln und lachen möchten. Vorurteilen wird der Kampf angesagt. „Vielleicht war es auch einfach nur ein dummes Vorurteil, und vielleicht muss man von Zeit zu Zeit mal seine Glühbirnen austauschen.“ Kein schlechter Rat!

Bewertung vom 01.02.2021
Von riesengroß bis klitzeklein
Klee , Julia

Von riesengroß bis klitzeklein


gut

„Von riesengroß bis klitzeklein“ - Ein Zoom-Bilderbuch“ von Sabine Rothmund lädt kleine und große Betrachter auf eine ungewöhnliche Reise ein.

„Zoom dich vom Wiesenblümchen bis ins Weltall ... und erlebe eine Geschichte voller überraschender Wendungen! Mit diesem Bilderbuch können Klein und Groß die Welt aus einer ganz neuen Perspektive betrachten! Wie durch eine Kamera, die immer weiter weg zoomt, gibt es auf jeder Seite so viel zu entdecken.“

Die Cover-Illustration zieht alle Blicke aufs Bilderbuch. Tierische Akteure stimmen auf eine ungewöhnliche Reise ein. Die Erwartungen schnellen hoch. Kunterbunt geht es auf der ersten Doppelseite zu. Ganz nah ist die Wildblumenwiese mit ihren Bewohnern. Gerne hätten es noch mehr Insekten sein können. Nur vier ziehen mit samt der Blumen die Blicke auf sich. Unerwartet sind die Verbindungen zwischen den einzelnen Doppelbildern. Es geht um den Natur- und Umweltschutz und das weltweite Müllproblem. Im Fokus stehen die großen Illustrationen. Der Text ist kurz und kindgerecht gehalten und stammt von Julia Klee. Mit einer Kuh beginnt eine ungewöhnliche Reise. So mancher Meeresbewohner wundert sich über den Müll, der ihnen in die Quere schwimmt. Das Bilderbuch ist für Kinder ab 5 Jahren gedacht und bringt ein Problem auf sanfte Weise auf den Punkt. Was fehlt ist der Humor vom Cover. Der Zoom-Effekt hat Überraschungen parat. Die Geschichte ist zu kurz geraten und hätte gerne noch den ein oder anderen Zauber parat haben können. Schön ist die Idee mit der Luftpost am Ende, auch wenn ein Luftballon nicht besonders umweltfreundlich ist. Die Giraffen sind sehr gelungen, und ihr Staunen steckt an. Auf den letzten Doppelseiten entwickeln die Botschaften des Buches nochmals Intensität. Fridays for Future weckt Impulse. Mitmachen kann jeder. Der Blick für den Reichtum der Natur wird geschärft. Die Idee zum Bilderbuch mit dem Zoom-Effekt ist originell. Es hätte sehr gerne noch mehr erzählt und gezeigt werden können. Kinder ab 5 Jahren haben vielleicht höhere Ansprüche an Unterhaltungswert und Umfang.

Die hohen Erwartungen an das Bilderbuch für die ganze Familie werden nicht ganz erfüllt. Die Illustrationen sind sehr gelungen. Der Text erzählt die Geschichte sehr treffend. Immer mehr von dem was eigentlich geschieht wird anhand der Zeichnungen offenbart. Ein warmherziges Abenteuer, das noch mehr als 48 Seiten verdient hätte.