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Benutzername: 
herrzett
Wohnort: 
lübeck

Bewertungen

Insgesamt 117 Bewertungen
Bewertung vom 21.10.2021
Raumfahrer
Rietzschel, Lukas

Raumfahrer


sehr gut

Für Menschen, die sich fragen, wie es wohl damals in der DDR und insbesondere mit der Überwachung war, ist dieser Roman wahrscheinlich etwas sehr Aufschlussreiches und sehr an der Realität Anknüpfendes. Rietzschel bedient sich hier an den 'klassischen' Osthemen. Während in der Neuzeit noch einige Baurelikte der Vergangenheit stehen, der Wandel der Zeit deutlich zu spüren ist, Menschen wegziehen, sich nirgends mehr so recht zugehörig fühlen und Einrichtungen schließen, greift er in einer zweiten Zeitebene die Geschichte zweier Brüder auf, die durch den Bau der Mauer getrennt wurden. Einer von Ihnen wurde in der DDR von der Stasi als möglicher 'DDR-Flüchtiger' eingestuft und beobachtet, Post wurde nicht weitergeleitet und auch sonstige Kontaktmöglichkeiten erschwert. Und während der eine von Ihnen ein bekannter Künstler wird, bleibt dem anderen nur... ja, was eigentlich?
Dieses Bild, den Raumfahrer und den damit verbundenen Titel dieses Romans, mag ich total gerne und irgendwie lässt sich sehr viel reininterpretieren. Menschen, die losgelöst sind, nirgends ankommen, nicht vorwärtskommen, sich einfach der Zeit beugen, teilweise von außen gelenkt, so voller Wünsche und doch irgendwie auch unfähig etwas zu bewirken. In diesen Gedanken steckt so viel Osten und so viel Vergangenheit. Der Protagonist Jan hätte mit dem Auftauchen der Stasi-Akten die Möglichkeit zurückzusehen, seine Eltern 'neu' kennenzulernen... eigentlich eine sehr spannende Auseinandersetzung, aber als er diese Akte von einem seiner letzten Patienten im Krankenhaus erhält, lässt ihn das erstaunlich kalt. Es heißt zwar, dass Jan sich für die Vergangenheit interessiert, aber eher er denkt da eher an seine Zeit mit Karolina. Anfangs hatte ich das Gefühl, er wüsste einfach nichts damit anzufangen, noch könnte er dem Kartoninhalt eine Bedeutung geben, aber selbst im weiteren Verlauf tut sich da kaum eine Regung. Und das kann ich dann auch selbst Wochen nach dem Lesen nicht nachvollziehen, aber gut, jeder Mensch tickt anders und vielleicht wollte Rietzschel mit diesem Handlungsstrang einfach nur eine nebenherlaufende Verbindung zur Gegenwart herstellen, aber das eigentliche DDR-Geschehen in den Vordergrund stellen. Aber selbst dann hat sich das Lesen durch Jans Abschnitte für mich etwas in die Länge gezogen, ich hatte die ganze Zeit mit einem gewaltigen Rums gerechnet, aber irgendwie kam da fast gar nichts. Es blieb ruhig, sachlich und gegenwärtig ja, irgendwie dann auch etwas trostlos. Und wenn ich dieses Buch nun mit Rietzschels vorherigem Roman "Mit der Faust in die Welt schlagen" vergleiche, so gab es zwar ein komplett anderes Thema des Ostens, aber er konnte da einfach größere Welten aufbauen und der Frage nach rechter Gewalt auf die Spur kommen, eben etwas, womit auch jede:r heutzutage etwas anfangen kann, sich dazu Fragen stellt und vieles nicht verstehen kann. "Raumfahrer" setzt sich dabei eher mit gegebenen Fakten auseinander, die in der Form nur ein Teil seiner Leser:innen kennen wird oder aus Erzählungen gehört hat und dabei eigentlich recht wenig Raum für eigene, weitschweifende Gedanken lässt. Langer Rede, kurzer Sinn: Ich mochte es gerne, der Roman ist gut erzählt, aber er hat mich weder überrascht noch wirklich berühren können, er ist lesenswert, aber Rietzschels erstes Buch fand ich deutlich stärker.

Bewertung vom 26.09.2021
Ausweglos
Faber, Henri

Ausweglos


gut

Vor einigen Jahren hielt eine Mordserie in Hamburg nicht nur die Stadt in Aufruhr, sondern ließ die Ermittlungen der zuständigen Kriminalbeamten immer wieder ins Leere laufen. Der berüchtigte Ringfinger-Mörder, so wie ihn die Medien damals tauften, treibt nun scheinbar wieder sein Unwesen. Vier Frauen hat er auf dem Gewissen. Vier Frauen, die hinterlistig in ihrer Wohnung mit einem Schnitt durch die Hauptschlagader am Hals getötet, mit weiteren Stichen versehen und dem Ringfinger beraubt wurden. Doch dieses Mal ist einiges anders, denn der Täter hat zusätzlich einen Mann bedroht, bevor er seine Tat ausführen konnte. Es gibt somit einen Zeugen. Dumm nur, dass dieser bis auf die ungefähre Statur und zahlreiche eigene Blessuren sehr wenig zu berichten weiß. Sind die Ermittlungen also schon bevor der Fall erneut aufgerollt wird, wieder zum Scheitern verurteilt? Woher kannte der Täter die Frau? In welchem Zusammenhang steht dieser Fall mit den vorherigen und warum taucht er ausgerechnet jetzt wieder auf? Fragen über Fragen und mittendrin ist Elias, dessen Leben seit den damaligen Geschehnissen auf anderen Wegen verläuft, da sie ihn den Job in der Mordkommission gekostet haben und ihn, vor allem die Bilder von damals, nie wieder losgelassen haben.

Ja, ich glaube so kann man es grob zusammenfassen, ohne wirklich viel von diesem Fall zu erzählen, denn gefühlt ist auch hier jeder Hinweis ein Spoiler. Und auch wenn das nun alles schon recht spannend normal (für einen Thriller) klingt, so muss ich sagen, gibt es hier Wendungen und gerade durch das betroffene Paar, dass sich so sehnlichst ein Kind wünscht und dadurch auf vieles verzichten muss, weitere Verstrickungen und und und in dieser Form alles außer Standard ist. Aber auch dieses Buch hat so seine Höhen und Tiefen - so muss man es leider sagen, denn schon nach den ersten 50 bis 100 Seiten war ich kurz davor diesen Thriller wieder wegzulegen. Es gibt immer mal wieder so spannende Einwürfe, die sich ein paar Seiten lang halten, aber mit dem Sprung zu einer anderen Perspektive/ zu einer*einem anderen Protagonist*in, sofort wieder verloren gehen und dann so ein bisschen ins Langweilige abdriften. Dieser Erzählungswechsel zwischen Linda (der Partnerin des bedrohten Mannes), Noah (ihrem Freund) und dem Ermittler Elias, der in seiner Vergangenheit auch so einiges verbockt hat und natürlich vor einigen Jahren schon einmal mit dem Fall des Ringfinger-Mörders zutun hatte und über Umwege nun auch Teil des aktuellen Ermittler-Teams ist, hat mich an manchen Stellen so genervt, aber an den überlappenden Stellen auch so begeistert. Gerade Lindas Perspektive habe ich stellenweise nur noch überflogen, Noahs ähnlich und Elias hat mich quasi durch das Buch gerettet bis dann alles mehr aufeinander aufbaut und die Spannung erhalten bleibt. Und dafür bin ich ihm dann tatsächlich sehr dankbar, denn am Ende kommt hier so einiges zusammen, die Spannung schwappt über, eins führt zum anderen, zu etwas noch größerem und dann hat mich dieser Thriller gleich auf mehreren Ebenen begeistern können... aber bis dahin ist auch ein weiter Weg. Leider darf ich nun wenig über den besten Teil bzw. die Auflösung selbst verraten, aber damit hatte ich nur bedingt gerechnet, dachte zwischenzeitlich die ganze Geschichte würde sich in eine komplett andere Richtung entwickeln und dann hat die Falle plötzlich zugeschlagen und die letzten 100 - 150 Seiten haben mich voll und ganz in Beschlag genommen. Ob dies nun so wie es geschildert wurde möglich erscheint oder doch recht konstruiert, sei mal so dahingestellt, für mich ist jeder Krimi in irgendeiner Form etwas abstrus, aber wie Faber am Ende alle Stricke zusammenführt, das ist schon ganz gut und spannend. Also alles in allem eine gute Unterhaltung mit etwas Ausbaupotenzial.

Bewertung vom 26.09.2021
Der perfekte Kreis
Myers, Benjamin

Der perfekte Kreis


gut

Das ist es also, der berühmt, berüchtigte zweite Roman und ehrlich gesagt, hat mich "Der perfekte Kreis" schon sehr enttäuscht. Zwar gibt es einige Parallelen zu Myers Erstling, aber die Handlung ist dann doch etwas eintönig. Als Leser*in begleitet man die beiden Freunde insgesamt 10 Mal auf ihren Touren durch die Felder. Redbone und Calvert setzen sich dabei immer wieder neue, größere oder spektakulärere Ziele, werden hin und wieder von Anwohnern überrascht und in ihren Gesprächen werden hier und da weitreichende Themen wie Kolonialismus, Müll, Monokulturen, Regionalismus, der generelle Einfluss der Menschen auf die Umwelt, sowie die globale Erwärmung eingestreut, aber bis auf ein paar Grundzüge lernt man die beiden Protagonisten kaum kennen und in der Geschichte gibt es kaum begeisterungsfähige Aufs und Abs. Es plätschert so hin, lässt sich mal eben so fix lesen, aber im Großen und Ganzen gibt einem die Geschichte recht wenig und das ist schade. Auch ein Punkt, über den ich lange nachdachte und irgendwie fraglich finde, ist, dass jedes Kapitel den jeweils von den beiden etwas später ausgedachten Namen für das Kornkreiskunstwerk, wie der Longbarrow-Wal, der White-Whattle-Schlüssel oder der High-Bassett-Butter-Barrel-Whirlpool trägt und dann in den teilweise am Ende des jeweiligen Kapitels angehängten 'Zeitungsberichten' eben auch jene Namen auftauchen. Dass sich die beiden Künstler und die Redakteure die gleichen Namen für etwas ausdenken... hmm.
Und so ist es dann eben nur ein nettes Buch über eine ungewöhnliche Freundschaft, sehr ruhig und sicherlich ein nettes Verlegenheitsgeschenk für Freunde, bei denen man nicht weiß, was sie gerne lesen, aber die auf der Rückseite versprochene "berührende Liebeserklärung an die englische Landschaft, die Natur und nicht zuletzt an die Freundschaft" ist dann eine vielleicht doch etwas zu hochgegriffene Beschreibung.

Bewertung vom 30.08.2021
Löwenherzen
Neitzel, Gesa

Löwenherzen


sehr gut

Ich weiß nicht warum, aber mit diesem Buch tat ich mich so ein bisschen schwer. Auch wenn das Gefühl beim Lesen ähnlich war, wie bei ihren anderen Büchern, so konnte mich die Geschichte einfach nicht mehr so mitreißen. Gesa erzählt von ihren Gedanken, Beobachtungen und irgendwie ja auch Abenteuern mit Frank und ihren gemeinsamen Reisen durch Botswana, Namibia und Sambia. Neben tollen Naturbeschreibungen und Begegnungen wird auch auch immer mal wieder deutlich, welches Recht sich der Mensch herausnimmt und wie er Einfluss auf Ökosysteme nimmt, die es eigentlich zu schützen gilt. Gerade das versetzt mich immer so ein bisschen in Staunen und macht mich gleichzeitig sprachlos, allerdings ist es eben auch nichts 'neues' oder emotional aufwühlendes, bei dem man als Leser*in mit fiebert. "Frühstück mit Elefanten" hatte noch dieses Ziel, am Ende die abgeschlossene Ausbildung zur Rangerin, bei dem man bis zum Ende mit ihr gehofft hat, aber dies ist eben mehr eine Geschichte, die weitererzählt wird, ohne dass man auf etwas hinarbeitet. Es ist mehr ein Eindruck, die Anfänge einer gemeinsamen Reise bei der es immer wieder Hürden zu überwinden gilt. Wahrscheinlich würde ich auch noch alle kommenden Bücher von ihr lesen, einfach um mich an diesem Gefühl und der lockeren Reiseberichterstattung zu erfreuen, dennoch habe ich gerade hier so das Gefühl, dass das wichtigste bereits erzählt wurde und alles was kommt nur noch eine Art Add-on ist.

Was ich jedoch mitnehme, ist erneut dieses Bild von der unberührten Natur, ihre Gefahren und gerade auch die Herausforderungen für die Menschheit. Ich glaube an dieser Stelle brauche ich nur recht wenig von dem eigentlichen Reisebericht an sich wiedergeben. Einige von euch werden vielleicht schon mal eine Safari in Afrika gemacht haben oder haben diese wahnsinnig beeindruckenden Bilder aus zahlreichen Dokumentationen vor Augen. Und dieses Buch baut nun darauf auf, erweckt Bilder der schützenswerten Natur und gibt den Leser*innen somit etwas an die Hand, für was wir uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten einsetzen und kämpfen müssen. Der Mensch darf in puncto Natur nicht weiter Gott spielen, weiter Ökosysteme, sowie Tiere gefährden, Temperaturerhöhungen einfach so hinnehmen. Gesa zeigt uns, was wir von der Natur lernen können, wie wir im Einklang mit ihr und den anderen Lebewesen leben sollten oder was wir/ wie wir von den Einheimischen lernen können. Dieses Buch ist dabei so von Neugier geprägt und natürlich gibt es auch hin und wieder recht brenzliche Situationen oder Rückschläge für die beiden, aber auch diese haben sie weiter zusammengeschweißt. Dieses Buch ist ein Reisebericht, ein Stück weit Liebesgeschichte, aber vor allem eins: eine große Liebe zur Natur.

Bewertung vom 08.08.2021
Auszeit
Lühmann, Hannah

Auszeit


ausgezeichnet

Gerade nach den letzten Zeilen habe ich mich lange gefragt, was Hannah Lühmann mir mit dieser Geschichte sagen mag. Eine Auszeit. Im östlichen Bayern. Zwei Freundinnen. Zwei ganz unterschiedliche Lebenswelten, von denen die der Henriette stets am präsentesten ist. Ich kann nicht einmal sagen, dass mir diese Protagonistin wirklich sympathisch ist, vielleicht weil sie auch so egoistisch wirkt. Ein Ich-Mensch, der sich immer weiter in sich selbst verzweigt und dadurch nicht vorwärts kommt. Eben das genaue Gegenteil von Paula und irgendwie sind es dann auch ihre Worte und ihre Entscheidung, am Ende, die mich berührten und zum Nachdenken gebracht haben. Eigentlich nicht nur am Ende, immer wieder. Und irgendwie fand ich es dann auch an ihr ganz spannend zu sehen, wie sie mit ihrer Freundin und dem Leben umgeht. Teilweise sehr schmerzhaft, manchmal auch eher gedankenverloren nähert sich der*die Leser*in Henriettes Problemen und Ängste, der Frage nach dem Kind und ihrer Aufgabe. Sehr bemerkenswert finde ich dabei diese Aufbruchsstimmung, in all dieser Ruhe, und den plötzlich neu gefassten Drang etwas im Leben verändern zu wollen, gar zu müssen.

"Auszeit" ist für mich so ein kleiner winkender Zaunpfahl. Eine Geschichte, die davon zeugt, dass es nie zu spät ist, sein Leben neu zu hinterfragen, Sachen anzugehen oder zu ändern, selbst wenn das ganze Leben auf dieser Vorstellung beruht. Es ist aber auch so ein Buch, das während des Lesens so leicht und dünn erscheint, aber im Nachgang wahnsinnig viel Mühe und Gedanken kostet. Schon ewig habe ich nicht mehr so lange über ein Buch, dessen Bedeutung und die einzelnen Funktionen der Protagonisten nachdenken müssen. Und irgendwie bin ich nun auch schon einige Wochen später, nicht wirklich schlauer geworden. Ich reime mir Dinge zusammen, finde Paula nach wie vor großartig und diese akzeptierende Ruhe, sowie das Ungesagte, dieses nicht ganz zu Ende Erzählte und doch zu Ende Erzählte... Und so wird dann aus diesem gerade einmal 173-seitigen Roman etwas riesiges, was man irgendwie noch sehr lange mit sich rumschleppt und das finde ich wahnsinnig faszinierend. Vielleicht ist es das optimale Geschenk, für jede*n, der*die gerade im Leben feststeckt, nach Antworten sucht, sich in Gedanken verrannt hat oder eben auf diesen berüchtigten Wink mit dem Zaunpfahl wartet. Der Mensch ist zu vielem fähig, er muss sich manchmal nur auf etwas neues einlassen um seinen Weg zu erkennen.

Bewertung vom 08.08.2021
Die Verlorenen / Jonah Colley Bd.1
Beckett, Simon

Die Verlorenen / Jonah Colley Bd.1


sehr gut

Normalerweise starten Thrillerreihen immer etwas gemütlicher, erklären erst das Setting und alle Gegebenheiten, bevor es wirklich zur Sache geht, aber in Simon Becketts "Die Verlorenen" stürzt sich der*die Leser*in mit dem Protagonisten Jonah Colley gleich in den Nervenkitzel. Ich mag ja nun noch nicht zu viel verraten, aber irgendwie merkt man total, dass in diesem Auftakt wahnsinnig viele Möglichkeiten und Geschichten für nachfolgende Teile vorbereitet werden. Und obwohl man sich ständig mit irgendwelchen Fragen konfrontiert sieht oder vielleicht auch gerade deswegen, hat "Die Verlorenen" eine enorme Sogwirkung. Bereits nach dem Anlesen wollte ich diesen Thriller nicht mehr aus der Hand legen und später hatte ich dann eher damit ein Problem, dass dieses Buch bald zu Ende ist und musste mich sehr zurückhalten. Beckett gelingt es scheinbar spielend immer wieder neue Spuren, Mordfälle und Ereignisse in den fortschreitenden Ermittlungsstrang einfließen zu lassen und dass der Protagonist Jonah Colley, zwar zur bewaffneten Spezialeinheit der Londoner Polizei gehört, aber nicht direkt an der Ermittlung beteiligt, sondern auf der anderen Seite der Anklagebank sitzt und zeitgleich Zielperson ist, kommt diesem Spiel unglaublich zu Gute. Jede*r Leser*in, Protagonistin (bis auf der Mörder/die Mörderin) und die Detectives tappen quasi durchgehend im Dunkeln, sieht sich mit Vertuschungen und verheerenden Hinweisen konfrontiert, bis es zur Auflösung kommt, man erneut um Jonah und andere Beteiligte bangt und dann auch eigentlich schon auf die Fortsetzung und weitere Auflösung wartet. Sicherlich sind dabei einige Handlungen und Taten ein wenig überzeichnet und drüber, vielleicht ist auch nicht immer alles hundertprozentig logisch, aber der Mensch ist ein unverständliches Wesen und eine ständig tickende Zeitbombe und was da dann alles möglich ist… ach, wir wollen es lieber nicht wissen. Mir hat dieses Buch zumindest sehr viel Freude bereitet, Nerven abverlangt und gut bis schrecklich gut unterhalten, allerdings und das wäre dann für mich wahrlich auch der einzig mögliche Kritik- und Knackpunkt, es ist etwas schade, dass dieses Buch bzw. dieser Fall nicht ganz für sich abgeschlossen ist und sehr viel offen bleibt. Daher kann ich es dann auch verstehen, wenn Leserinnen hier etwas enttäuscht sein werden, aber im Hinblick auf das was da noch alles kommen könnte, ist es eben auch eine unglaubliche Chance auf eine großartige Reihe. Für Krimi- und Thrillerfans, auch jene, die diese Form der spannenden Unterhaltung nur sehr selten aufsuchen, ist es jedenfalls ein tolles Buch, bei dem man garantiert nichts falsch machen kann. Mehr darf und kann ich an dieser Stelle dann auch schon nicht mehr sagen, denn jedes weitere Wort wäre gefühlt ein Spoiler und könnte den Überraschungseffekt an der ein oder anderen Stelle kosten. Also viel Spaß beim Selbstlesen!

Bewertung vom 08.07.2021
Betreff: Falls ich sterbe
Setterwall, Carolina

Betreff: Falls ich sterbe


ausgezeichnet

Das Leben schreibt die emotionalsten Geschichten, so oder so ähnlich könnte man dieses Buch kurz zusammenfassen, denn was Carolina Setterwall (in der Übersetzung von Susanne Dahmann) mit ihrem autofiktionalen Roman „Betreff: Falls ich sterbe“ ist nichts anderes als das harte, schicksalhafte Leben, ihr Leben und bittere Realität. Ihr Freund Aksel stirbt in der Nacht, während sich Carolina um ihren gemeinsamen Sohn Ivan kümmert, an einem Herzanfall. Er war gerade einmal Mitte dreißig, sie wollten sich eine Familie aufbauen, ihr Sohn erblickte vor wenigen Monaten die Welt und nun ist... ist alles schwarz. Im Schock bewegt Carolina sich durch die nächsten Tage, Wochen, Monate und wird eigentlich nur noch von ihren Freunden und der Familie gehalten.
Sie muss wieder lernen mit dem Leben und ihrem neuen Alltag klar zu kommen, erneut Fuß zu fassen und mit ihrem Schmerz umzugehen. Sehr nahbar, bewegend und intensiv lässt Carolina uns an den Gedanken, dem Leben und der Trauer an dem Leben ihrer Protagonistin teilhaben. In zwei parallel verlaufenden Erzählsträngen berichtet sie von der schlimmsten Zeit ihres Lebens und dem Kennenlernen ihres Freundes, ihrer Beziehung, sowie alltäglichen Momenten, Gedanken, Diskussionen. Sehr aufwühlend, persönlich und nahbarer erzählt sie von dem, was in ihr vorgeht und wie sie sich langsam ihren Weg zurück ins Leben kämpft und dabei stets diese schmerzvolle Erfahrung erinnert wird. Bereits die ersten 50 Seiten haben mich wahnsinnig mitgenommen und es wird auch nur minimal besser. Ich war schockiert, aufgelöst, bewegt von Carolinas Schicksal, konnte sie zwar nicht immer verstehen, noch fand sie wahnsinnig sympathisch, aber puh... das macht was mit einem. Dieses Buch hat es einfach in sich, berichtet sehr offen, reflektiert und ehrlich von gedanklichen Abgründen, von den schwierigen, verzweifelten Phasen der Mutterschaft, der Partnerschaft und Elternschaft, gibt Einblicke wie es ist mit Ängsten und Therapien umzugehen, beweist was Familie heißt, was Selbstbestimmung bedeutet und macht und was eben auch das Schicksal für einen gewaltigen Einfluss hat.
Das Leben ist kostbarer und fragiler Schatz und ja, ich glaube das muss einem irgendwie viel häufiger bewusst werden. Bewusst sein.
Am liebsten würde ich nun sowas sagen wie: das müsst ihr einfach lesen, aber dieser Roman ist wahrscheinlich nichts für sehr nah am Wasser gebaute Menschen. Dieses Buch trifft tief ins Herz und das auf eine wahnsinnig ergreifende, bewundernde und schonungslose Art und Weise. Unvergleichbar toll.

Bewertung vom 18.06.2021
Hauskonzert
Levit, Igor;Zinnecker, Florian

Hauskonzert


ausgezeichnet

Was ich an diesem Buch so liebe und zeitgleich so faszinierend finde, ist der ungeschönte Einblick in das Leben dieses Supertalents. Auf der einen Seite begleitet man den Pianisten Igor Levit auf Konzerte oder seinen 33. Geburtstag, auf der anderen beschreibt er seine Empfindungen über die ersten Anzeichen der Pandemie, den Stillstand, seine Zweifel und Überforderung mit dieser für ihn sehr schwierigen Zeit, es folgen politische Anmerkungen, kleinere und größere Aufreger, tiefgründige Gedanken, Ausschnitte aus seiner Vergangenheit, die Bedeutung der Musik... Durch diese Mischung aus Interview, Erzählung und Bericht zwischen Zinnecker und Levit hatte ich mit jeder Seite das Gefühl ihm als Person näher zu kommen, ihn zu verstehen und eben das auch zu fühlen. Den Menschen hinter der Musik kennenzulernen. Ich fand es großartig, wie reflektiert Levit mit sich selbst ins Gericht geht, sich selbst aber auch häufig einfach so impulsiv neu herausfordert und vieles einfach nur geschieht, weil er gerade Bock darauf hat. Worte wie "Ich habe in dieser Zeit - vielleicht zum ersten Mail überhaupt - gespürt, dass ich kein Fake bin. Dass ich nicht nur so tue, als ob. Ich habe mir zum ersten Mal selbst geglaubt, dass ich Pianist bin." oder "Es gibt aber kein Koste es, was es wolle. Es gibt Kosten, die sich mit Geld nicht decken lassen. Ich will auch keinen Trost - es gibt nichts zu trösten. Wir alle, die wir von der Musik leben, wurden unserer Existenz beraubt. Und nochmal: Daran ist kein Politiker schuld, daran ist niemand schuld, nur die Zeit selbst." haben mich z.B. sehr beeindruckt. Levit ist so herrlich bodenständig und bricht doch hier und da häufig einfach mal aus, mal mehr trotzig und kindlich, mal mehr aus Lust sich herauszufordern oder eben seine Meinung kundzutun. Und so ganz nebenbei lernt man die Musik einfach mehr zu schätzen. Durch ihn habe ich nun begonnen klassische Stücke zu hören und auf mich wirken zu lassen. Und wenn man dann immer an seine Worte denkt, ergibt es so ein herrlich bewegendes Gesamtbild, das mich emotional zwar hin und wieder auch überfordert, aber auch neugierig macht. Ich kann dieses Buch so auch in keine Schublade packen, es ist mehr ein verbindendes Element zwischen der Musik, der Emotion, unterschiedlichsten Gedanken und den Herausforderungen der heutigen Zeit. Und dann ist da eben noch Levit, der einem fast freundschaftlich aus seinem Leben erzählt, von Höhen und Tiefen berichtet, teilweise gar eine Vorbild- und Mut-mach-Funktion einnimmt.

Bewertung vom 31.05.2021
Sommer der Träumer
Samson, Polly

Sommer der Träumer


schlecht

Eine sommerliche Auszeit wäre wahrscheinlich gerade für jeden von uns eine willkommene Abwechslung. Einmal allem entfliehen können, sich treiben lassen und neue Leute kennenlernen. Ach, das wäre ein Traum...

So ähnlich dachte sich das wahrscheinlich auch die 18jährige Erica Hart in Polly Samsons Roman "Sommer der Träumer". Als ihre Mutter stirbt und zuhause zwischen ihr und ihrem Vater eine ständige Spannung herrscht, kommt die Einladung von Charmian Clift, Buchautorin und Freundin ihrer Mutter, mehr als gelegen. Gemeinsam mit ihrem Freund Jimmy Jones und ihrem Bruder Bobby macht sie sich auf den Weg nach Griechenland. Die griechische Insel Hydra ist Rückzugort für viele Künstler, Musiker, Maler und Freiheitssuchende. Dort angekommen, treffen sie neben dem kanadischen Musiker Leonard Cohen auf zahlreiche bekannte Persönlichkeiten und werden Teil der dort ansässigen Künstlergemeinschaft. Erica lernt zum ersten Mal die Unbeschwertheit des Lebens kennen, genießt die Freiheit und Gesellschaft - sie lässt sich treiben. Laue Sommernächte, Musik, Gespräche bei Mondlicht, bewundernswerte, 'neue' Freunde. Alles wirkt gerade bei dieser Kulisse traumhaft, doch der anfängliche, schillernde Schein trügt, denn Geldnöte, Gewaltausbrüche, Polygamie, Alkoholexzesse und menschliche Abgründe machen auch vor der Insel nicht Halt.

Eigentlich eine sehr spannende Ausgangslage, die gerade das Leben der Bohemians in den 60er Jahren beleuchten und 'begleiten' soll. Auch wenn es sich hierbei um einen fiktiven Roman handelt, so könnten sich einzelne Situationen auf der Insel Hydra tatsächlich ereignet haben, denn viele der erwähnten Künstler haben einen Bezug zu eben jener griechischen Insel, lebten in den 60ern dort oder gehörten der Künstlergemeinschaft an. Doch so faszinierend und gut recherchiert das vielleicht klingt, genauso überfordernd war dieser Roman für mich. Die Geschichte enthält viel, 'redet' wie ein Wasserfall ohne wirklich voran zu kommen oder Bilder entstehen zu lassen und liefert ein buntes Potpourri aus Gesprächen, Gedanken und kurzen Landschaftsbetrachtungen. Alles zieht vorbei und so hatte ich dann beim Lesen auch ständig das Gefühl, ich würde den Protagonisten nur hinterherlaufen, nur einzelne Fragmente aufschnappen, teilweise Dinge nicht verstanden oder bereits nach wenigen Zeilen wieder vergessen haben. Unter einem "Sommer der Träumer" stelle ich mir dann doch eher etwas anderes, zum Verweilen einladenderes und inspirierenderes vor. Gerade dieses wohlige Sommergefühl wurde durch die zahlreichen Dialoge, Probleme und Aufregungen unterdrückt und ich fühlte mich sehr schnell verloren. Auch sprachlich konnte Polly Samson bzw. ihr Übersetzer Bernhard Robben mich nicht begeistern, eine Frau, die sich nicht gerne als "Kleine", dafür aber gerne als "Puppe" ansprechen lässt, "Darling" hier und da, Sätze wie "Charmian weiß bestimmt, wie sehr ich sie anhimmle, trotzdem scheint sie sich jedes Mal zu freuen, wenn sie mich sieht. Ich gehe ihr mit den Kleinen zur Hand, gebe ein gutes Beispiel, indem ich mein Geschirr abräume oder den Tisch decke..." oder "Sie zieht die Augenbrauen hoch, macht auf teuflisch sexy und tippt an die Spritze." Ach, puh... vielleicht ist es für die 60er passend, aber nein es ist nichts mehr für mich. So habe ich dieses Buch dann auch recht schnell abgebrochen und der unvergessliche Sommer, durfte ohne mich hektisch, aufregend im sommerlichen Griechenland voranschreiten.

Bewertung vom 30.05.2021
Das Flüstern der Bienen
Segovia, Sofía

Das Flüstern der Bienen


ausgezeichnet

Sofía Segovias Roman "Das Flüstern der Bienen" ist für mich eine der größten Überraschungen in diesem Frühjahr. Zwar hatte ich bereits nach dem Lesen des Klappentextes eine spannende, etwas übersinnlich angehauchte Schicksals-Geschichte erwartet, aber dieser Roman bietet einfach so viel mehr und beinhaltet eine so bewegende 'Brüder'-Geschichte, dass ich nur begeistert davon sprechen kann. Dieses Buch ist eine Art Familien-/Generationenroman, der in den Anfängen des 20. Jahrhunderts in Mexiko spielt und ein spannendes Abbild des Lebens und der Gesellschaftsschichten während der spanischen Grippe, der Landreform in Mexiko und einer sich stets weiterentwickelnden Welt mit all ihren Herausforderungen, technologischen Fortschritten und Anforderungen darstellt. Es ist aber auch ein Spannungsroman, ein Krimi und ein Stück weit Traumaverarbeitung oder vielleicht auch eher ein Drama, das sich in der Familiengeschichte der Morales abgespielt hat. Jedenfalls hat sich dieses Buch, sei es aufgrund seiner thematischen Vielschichtigkeit und Verflechtungen oder doch aufgrund dieses ganz besonderen Jungen und Findelkinds Simonopio, nach und nach zu einer meiner liebsten Geschichten in diesem Jahr entwickelt.

Zu Anfang war ich allerdings noch etwas skeptisch und brauchte einige Seiten um mich in dem Erzählstil einzufinden. Eher ruhig und unaufgeregt erzählt Sofia Segovia diese Geschichte aus verschiedenen Perspektiven bzw. die einzelnen Kapitel folgen jeweils einem anderen Blickwinkel. Sie springt dabei von einem allgemeinen Erzähler, der mal aus Sicht der Mutter, des Vaters oder des Bruders… die Situation schildert, zu dem Ich-Erzähler Francisco, dem Sohn der Morales, der auf sein Leben zurückblickt. Dadurch kommt es insgesamt zu einer sehr vielstimmigen und von diversen Emotionen und Ansichten begleiteten Erzählung, die die Leser*innen sehr intensiv mit den einzelnen Protagonisten verbindet. Seite für Seite lernt man dabei das Geheimnis um Simonopio und seine Bienen, sowie die familiäre Beziehung zwischen den Morales und ihren Angestellten und Freunden kennen und schätzen. Sofia Segovia verflicht dabei sehr faszinierend dieses 'familiäre Band' mit zahlreichen historischen und technischen Fakten und Gegebenheiten. Inspiriert von einer realen Geschichte eines Dorfes in Mexiko, nimmt sie ihre Leser*innen mit in eine ganz andere Zeit und diese stolpern dann quasi ganz nebenbei von einer aufwühlenden Geschichte in die nächste. Und das macht dann vielleicht auch den Reiz dieses Buches aus. Es ist ein Stück weit genreübergreifend und eine Mischung aus historischem Roman, Familienroman, Spannungsroman und doch irgendwie zeitweise auch ein Krimi. In Mexiko/Lateinamerika war dieses Buch ein Publikumsliebling und monatelang in den Bestsellerlisten vertreten und das meiner Meinung nach zurecht. Während andere Romane nämlich sehr schnell ins Kitschige, leicht Unterhaltsame oder Vorhersehbare kippen, punktet dieses Buch bis zum Schluss durch seine Wendungen, Umbrüche und neuen Herausforderungen und hält dabei stets einen gewissen literarischen Grad aufrecht. Ich glaube mehr möchte ich an dieser Stelle auch nicht verraten, für mich war es jedenfalls ein großes Lesevergnügen und obwohl ich gerne einen Bogen um dicke Bücher mache, dieses hätte ruhig noch etwas dicker sein können.