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Bewertungen

Insgesamt 109 Bewertungen
Bewertung vom 29.06.2011
Geschrieben für dich
Sylvia Brownrigg

Geschrieben für dich


ausgezeichnet

Die Liebe – besonders die erste – kann einen ganz schön durchschütteln, aufwühlen und alles in Frage stellen. Das muss auch Flannery feststellen, als sie auf Anne trifft, die sie mit ihren grünen Augen und ihrer Ausstrahlung augenblicklich in ihren Bann zieht und nicht wieder loslässt.

Schon ziemlich am Anfang, wenn nicht sogar schon im Prolog, ist klar, dass dieser Roman kein klassisches Happy End haben wird. Gut für mich – ich finde Happy Ends meistens langweilig.

Noch nie habe ich ein Buch gelesen, dessen Sprache und Atmosphäre mich dermaßen gefesselt haben. Mehrfach hatte ich vielmehr das Gefühl innerlich einen Film zu sehen, als „nur“ ein Buch zu lesen und ich war von der unglaublichen Bildhaftigkeit des Textes total überfahren. Deshalb war es mir mehr als recht, dass keines der Kapitel länger als 3 Seiten ist, denn ich brauchte immer wieder eine Pause um das Gelesene „verdauen“ zu können.

Sylvia Brownrigg beschreibt Flannerys Sehnsüchte und ihr Verlangen nach Anne, nach einem Zusammensein mit ihr, so echt und intensiv, dass ich in der zweiten Hälfte des Buches oft fast nicht weiterlesen konnte, weil die Situation immer drückender und hoffnungsloser schien. Oft hatte ich das Gefühl, ich sollte Flannery mal wieder anrufen um zu hören, wie es ihr geht und um ihr Mut zuzusprechen. Oder auch Anne um ihr mal gewaltig den hübschen Kopf zu waschen! ;-)

Ich vergebe 5 Sterne für einen Roman der zeigt, dass kein Happy End manchmal trotzdem der Anfang von etwas sein kann und dass Zuversicht und Hoffnung stärker sind als Traurigkeit und Verlust.

Ein ganz besonderes Lob übrigens fürs Cover (Dagmar Schadenberg) und für die Übersetzung (Andrea Krug). Zur Zeit gilt das Buch zwar als vergriffen, ein Nachdruck ist aber laut Verlag bereits in Vorbereitung.

Von manchen Händlern wird als empfohlenes Alter verschiedentlich „ab 13 Jahren“ angegeben. „Ab 16 Jahren“ würde ich persönlich für passender halten. Es ist definitiv kein Kinder- und Jugendbuch.

Zitate:

Durch die Tage stolperte sie, nachts jedoch schwamm sie frei durch die kühlen Gewässer ihrer Einbildungskraft. Im Dunkeln war ihr Körper seiner schüchternen Entschuldigung ledig, und ihre jungen Hände wanderten über ihr Fleisch, wie zum ersten mal. (Seite 22)

Die Träume sagten etwas anders. Unausweichlich. Das tun Träume mit Vorliebe. Verhöhnen dich mit einer frivolen Lebhaftigkeit, die du dir tagsüber verbittest. Schnüffeln in den Schränken in deinem Kopf, durchwühlen die Vorratskammern, stoßen auf Hoffnungen oder Erkenntnisse, von deren Existenz du nichts wusstest. Farben, die du nie zuvor bewusst wahrgenommen hast. Witze von einem Geistesreichtum, den du dir nie zugetraut hättest. (Seite 38)

Es war wie Fliegen. Es war die Geschichte, die du deinem wachen Ich vor den Einschlafen erzählst, in der Gewissheit, dass sie nie die volle, helle Schärfe der Wirklichkeit annehmen wird. (Seite 95)

Flannery hatte nie überlegt, dass das Wort “Schmerz” buchstäblich so gemeint sein könnte, wenn es auf das Herz gemünzt war. Schmerz dieser Art war doch gewiss Einbildung, ein Wort für Liedermacher, ein praktischer Reim auf “Herz”. Er war nicht ernstzunehmen. Doch, das war er. Noch etwas, das sie lernen musste. Das Herz schmerzte, in der Tat. Sie verspürte eine dumpf mahlende Leere in der Nähe ihres Zwerchfells, ein Schmerz, der den Platz von etwas einnahm, das entfernt worden war. Ein Phantomglied. Ein nagender Hunger namens Verlangen. (Seite 150)

Es ist eine alte Geschichte. Eine der ältesten. Sie hätten nicht so weit reisen müssen, um sie zu erleben: Lust – pure, unverhüllte Lust – muss benannt und bestraft werden. Wie sonst könnten wir hoffen, die Ordnung der Welt aufrechtzuerhalten? (Seite 217)

Menschen können sich Orten ebenso verwandt fühlen wie anderen Menschen. (Seite 247)

[Gekürzt wegen Begrenzung auf 4000 Zeichen]

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.06.2011
Das Labyrinth der Wörter
Roger, Marie-Sabine

Das Labyrinth der Wörter


ausgezeichnet

Der etwas tumbe Germain, der es von Anfang an im Leben nicht besonders leicht hatte und dem das Lernen immer schwer gefallen ist, begegnet eines Tages im Park Margueritte. Die alte Dame erobert nach und nach sein Herz und als sie beginnt, ihm aus Romanen vorzulesen, beginnt in Germain eine Wandlung, die er nie für möglich gehalten hätte. Doch erst als Margueritte seine Hilfe braucht ist Germain in der Lage einen großen Schritt zu wagen.

Unendlich liebevoll und mit viel Humor erzählt Marie-Sabine Roger die Geschichte eines etwas tumben Mannes, der durch eine kleine alte Dame den eigenen Wert neu zu beurteilen lernt.

Germain, der eine wunderbare Wandlung durchmacht und durch Margueritte zu einem ganz neuen Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten findet, der einem zunächst als der lustige, leicht zurückgebliebene Dummkopf erscheint berührt einen zutiefst und die Figur zeigt eindrucksvoll, dass Bildung und Intelligenz nicht das Selbe sind und emotionale Intelligenz wertvoller ist als jede Hochschulbildung.

Mit viel Herz und einem ganz großen Gespür für Stimmungen, Menschen und Sprache ist hier ein Roman entstanden, der den Leser in tiefster Seele rührt und der mit seinen leisen Tönen zu den ganz Großen in der Gegenwartsliteratur zählt.

Zitate:

Ob Sie es glauben oder nicht, in dem Moment habe ich entdeckt, was es für ein Gefühl ist, wenn sich jemand für einen interessiert. Falls Sie es nicht wissen, kann ich Ihnen sagen: Es ist ganz schön komisch. (Seite 18)

Es war seltsam, ich hatte das Gefühl, dass wir Freunde waren. Ich meine, nicht wirklich, aber so was in der Art. Inzwischen habe ich das Wort gefunden, das mir fehlte: Vertraute. (Seite 20)

Wörter sind wie Schachteln, in die man seine Gedanken einsortiert, um sie den anderen besser präsentieren zu können. (Seite 21)

Denn vor diesem Tag, da habe ich eben gedacht oder nicht gedacht. Entweder das eine oder das andere. Und wenn ich dachte, dann hielt ich mich nicht weiter damit auf, es passierte im Grunde ohne mich. Wenn ich dachte, dann ganz ohne zu überlegen. (Seite 58)

Ich glaube, an diesem Abend hatte ich eine Art Intelligenzanfall. (Seite 60)

Wir sind nur auf Erden, um Dinge weiterzugeben, wissen Sie… Zu lernen, seine Spielsachen zu teilen, ist wahrscheinlich die wichtigste Lektion, die man sich im Leben aneignen muss. (Seite 72)

“Tatsächlich… Ich bin beeindruckt, Germain, Sie haben ein hervorragendes auditives Gedächtnis!” “Ach was, ich kann mir nur ganz gut merken, was ich höre.” (Seite 94)

Landremont, der viel erzählt, wenn der Tag lang ist, sagt immer: “Was dich nicht umbringt, macht dich stark.” Das soll also das Leben sein: Entweder du bist stark, oder du bist tot? Was für eine Scheißauswahl. (Seite 104)

Nun ja, das Privileg des Alters ist: Wenn man sich langweilt, dann weiß man wenigstens, dass es nicht mehr für lange ist. (Seite 150)

17 von 18 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.06.2011
Vor dem Morgen liegt die Nacht
Breitsprecher, Claudia

Vor dem Morgen liegt die Nacht


ausgezeichnet

Ninas Dasein ist von einer Trostlosigkeit, die die Bezeichnung “Leben” fast nicht mehr verdient, als sie unerwartet ihrer Vertrauten aus Kindertagen wiederbegegnet. Was ist vor 25 Jahren zwischen Maria und Nina vorgefallen? Was hat das Mädchen und ihre mütterliche Freundin entzweit? Marias Nichte Michelle versucht die Geschichte der beiden zu ergründen und kommt Nina dabei näher, als es je ihre Absicht war. Kann es eine Aussöhnung geben und gibt es am Ende vielleicht sogar die Chance auf einen Neuanfang?

Claudia Breitsprecher hat hier mit ihrem ersten Roman eine totale Punktlandung hingelegt. Gekonnt baut sie einen Plot auf, der gleich mehrere Lebensgeschichten so perfekt miteinander verbindet, dass keine zu kurz kommt und jede wie selbstverständlich ihren Platz in der Handlung findet.

Ihre Figuren haben von Anfang an eine Tiefe, die viele andere Autoren auf 1000 Seiten nicht in der Lage sind aufzubauen. Sie hat einen unglaublich guten Blick für Menschen und so ist der Roman fast auch eine ausgereifte Charakterstudie, was ihn aber zu keinem Zeitpunkt langatmig macht. Ganz im Gegenteil.

Egal ob die zarten Bande, die sich zwischen Nina und Michelle entspinnen oder das komplizierte Verhältnis zwischen Michelle und ihren Eltern – alles ist 100% stimmig und sofort glaubhaft. Der Ort der Handlung, Berlin, ist so liebevoll beschrieben, dass sich jeder Berliner oder Berlinliebhaber sofort wohl und Zuhause fühlt.

Das unglaublich feine Sprachgefühl war es aber in erster Linie das mich von der ersten Seite an begeistert und gefangen genommen hat. Eine schöne Wortwahl und gut durchdachte Formulierungen geben dem Roman einen so wunderbaren Rahmen, dass man ihn gar nicht wieder aus der Hand legen mag.

Besser hätte man diese Geschichte nicht erzählen können. Definitiv einer der besten lesbischen Romane, die ich je gelesen habe. Großartig!

Zitate:

Und sie freute sich auf Berlin, auf die alten Freundinnen und Freunde und auf den Frühling mit blühenden Forsythien und sonnigen Straßencafés. Sie würde eintauchen in das Gewühl der City, die vertrauten Orte besuchen und samstags über einen der quirligen Märkte schlendern und sich am kodderigen Ton ergötzen, mit dem die Menschen einander rüde liebkosten. Wie eine lange vermisste Gefährtin war ihr die Stadt, treu und doch in stetem Wandel, launisch und anspruchsvoll, eine atemberaubende Diva, an der es immer neue Facetten zu entdecken gab. (Seite 17)

Glück war zerbrechlich, Liebe gar Wahnsinn. War es nicht leichter, sich in der Monotonie eines vorhersehbaren Alltags einzurichten, als dem Auf und Ab unsteter Gefühle ausgesetzt zu sein und mit der Hoffnung auch immer das bangen durchleiden zu müssen? (Seite 39)

Sie war unordentlich und sie war träge, aber was immer auch geschah in ihrem Leben, ein hartnäckiger Rest abscheulicher Manierlichkeit ließ sich nicht vertreiben. (Seite 40)

Friedrich war achtzehn, als er mit Pinsel und Farbe Worte des Hasses an die Türen seiner Nachbarn schmierte und ihnen die Scheiben einschlug. Johannes war siebzehn, als er half, die Scherben zusammenzukehren und mit Bürste und Schwamm versuchte, die Schmähungen wieder abzuwaschen und dabei doch begriff, dass seine Mühe vergeblich war, dass die Buchstabend den Putz der Häuserwände längst durchdrungen hatten, in Schichten eingesickert waren, die tiefer lagen und die kein Schwamm und keine Bürste zu erreichen vermochte. (Seite 121/122)

Die meisten Menschen sind so verunsichert, dass sie sich mit Statussymbolen eindecken müssen, um ihre Sorgen nicht zu spüren. (Seite 168)

Die Menschen interessieren sich nur für das, was Teil ihrer eigenen Erfahrungswelt ist. (Seite 181)

Manchmal liegt alles Sein in einem einzigen Augenblick, in einem blühenden Garten außerhalb der Zeit, in dessen sinnlicher Fülle alle Fragen sich auflösen, alle Ängste sich verlieren und alle Sorgen bedeutungslos sind […]. (Seite 205)

...
(Wegen Begrenzung auf 4000 Zeichen Rezension leider gekürzt.)

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.06.2011
Taktgefühle
Müntefering, Mirjam

Taktgefühle


sehr gut

Seit Tiffy sich mit zarten 12 Jahren geschworen hat, nie wieder einen Fuß aufs Tanzparkett zu setzen, hat sich die Mittdreißigerin eisern daran gehalten. Und dann kommt ihre beste Freundin Toni plötzlich auf die Idee, sie in einen Lesben-Single-Tanzkurs zu schleppen. Hat die ‘nen Knall? Schließlich lässt Tiffy sich aus Freundschaft dann aber doch dazu überreden und stellt fest, dass Tanzen doch gar nicht so schlecht ist. Nur aus ihrer hübschen Tanzpartnerin Juliane, an der sie mehr als tänzerisches Interesse hat, wird sie so gar nicht schlau. Dafür macht ihr die quirlige Ricarda schöne Augen. Ein ausgewachsenes Liebeschaos droht. Bekommt Tiffy ihr Gefühlsleben in den Griff?

Flott, gut gelaunt und unkompliziert kommt dieser aktuelle Roman von Mirjam Müntefering daher. Die Figuren sind überzeugend und sympathisch, die Handlung schlüssig und der ganze Plot wie immer gut durchdacht. Tiffy wächst einem gleich ans Herz und man fiebert mit ihr und ihrem Liebeschaos mit, als wäre sie eine gute Freundin.

Die Autorin schafft es treffend die “Frauen von nebenan” zu beschreiben. Kein abgehobener Schnickschnack. Einfach grade heraus. Und genau mit dieser locker leichten Art verzaubert sie ihre Leser und schafft Charaktere, die unheimlich überzeugen. Der Rahmen der Story gewinnt durch die Tanzschule und die schön beschriebenen Tanzeinlagen sehr und gibt hier den letzten Schliff.

Einige ihrer anderen Bücher haben mir zwar noch besser gefallen, aber “Taktgefühle” ist durchaus empfehlenswert und gerade jetzt zur Urlaubszeit genau das richtige.

Ein toller Roman über die Liebe und ihre alltäglichen und nicht ganz alltäglichen Verwicklungen.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.06.2011
Seelenhüter
Whitcomb, Laura

Seelenhüter


gut

Seit 300 Jahren nun schon ist Calder ein Seelenhüter. Das heißt, er begleitet Seelen, die bereit sind ihr irdisches Leben zu verlassen, hinüber ins Leben nach dem Tod. 300 Jahre lang lief auch alles einigermaßen glatt und an sein früheres Leben, das er mit nur 19 Jahren verlassen musste, erinnert er sich kaum noch. Doch eines Tages ändert sich alles, als er am Bett eines todkranken Jungen plötzlich Mitleid mit dessen Mutter verspürt und diese für seine Seelenverwandte hält weshalb er den Jungen nicht mit sich nimmt. Das Schicksaal will es, dass Calder acht Jahre später erneut ans Krankenbett des Jungen beordert wird und wieder bleibt die Seele des Jungen gegen ihren Willen in seinem Körper. Und noch ein drittes Mal kehrt Calder zurück zur Mutter des Jungen ohne dabei an die Konsequenzen zu denken, die das Übertreten der Gesetze der Seelenhüter mit sich bringen können. Genau diese Konsequenzen sind es, die Calder in den folgenden 300 Seiten des Romans ausbaden muss.

Wie schon bei Laura Whitcombes Debüt “Silberlicht” bekommt man in “Seelenhüter” eine völlig andere Geschichte erzählt, als der Klappentext vermuten lässt. So bekommt man weder eine typische Engelgeschichte, noch eine besonders romantische Lovestory geboten. Vielmehr erwartet einen eine komplexe, stellenweise an die griechische Mythologie angelehnte Erzählung über den Übergang einer Seele von Leben ins Jenseits sowie über die Zarenfamilie Romanow. Beides ist allerdings leider kein Thema wofür ich mich besonders erwärmen kann.

Jedoch hat auch dieses Mal der wunderschöne, poetische Schreibstil der Autorin auch inhaltliche Wiederholungen und längere Durststrecken wieder wett gemacht. Fast märchenhaft schildert sie in schillernden Farben zunächst, was einen (vielleicht ;-) ) nach dem Tod erwartet und später die abenteuerliche Reise der Protagonisten ein Mal um die ganze Welt.

Deren Charaktere blieben für mich leider ein wenig blass, ich wurde einfach nicht warm mit ihnen; was vielleicht aber auch an der oben schon erwähnten Langatmigkeit liegen kann. Ich konnte nicht so richtig mitfiebern mit Calder und seinen Gefährten und ich fand stellenweise auch sein Verhalten nicht ganz schlüssig.

Die Idee, ein Stück Zeitgeschichte mit Fantasy und griechischer Mythologie zu vermischen war sehr mutig und ist durchaus gelungen. Nur muss man sich eben auch als Leser darauf einlassen können.

Das Cover finde ich fast so schön, wie das von Silberlicht. Auch hier merkt man wie üblich beim PAN-Verlag, dass sich jemand wirklich sehr viel Mühe gegen hat und mit Lust und Liebe dabei war.

Fazit: Wer sich für die Geschichte der Romanows interessiert und dabei eine komplexe Story mit historischen und Fantasyelementen nicht scheut, der sollte Seelenhüter unbedingt lesen!

Die Altersempfehlung des Verlags (12 – 17 Jahre) finde ich allerdings deutlich zu weit gefasst. Ich würde eher zu 16+ tendieren.

Zitate:
Eine gute Seele singt der Trauer ins Gesicht, steht auf und lebt bewusst jeden Morgen, den sie zur Verfügung hat. (Seite 315)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.06.2011
Das Wörterbuch der Liebenden
Levithan, David

Das Wörterbuch der Liebenden


sehr gut

Ist es nicht das, was wir uns alle manchmal mehr oder weniger heimlich wünschen? Ein Lexikon um nachschlagen zu können, wie der Partner, man selbst und man gemeinsam als Paar funktioniert?

In insgesamt 193 Stichworten schildert David Levithan eine Beziehung mit Höhen und Tiefen, ohne dabei allerdings zu versuchen, die Liebe selbst zu erklären. „love, n. Liebe, f. Das versuche ich gar nicht erst.“ (Seite 142).

Unchronologisch schildert der Ich-Erzähler anhand von Stichworten die Geschichte der beiden Liebenden von ihren Anfängen bis… ja, bis zum Schluss? Oder ist das Ende gar nicht das Ende?

Mit einer einfachen und trotzdem fast schon poetischen Sprache macht David Levithan es seinen Lesern leicht, im Buch anzukommen. Vermutlich könnte man an irgend einer beliebigen Stelle des Buches mit dem Lesen beginnen, denn letztlich hat man die meiste „Arbeit“ mit diesem Buch, nachdem man es ausgelesen hat und Puzzlestück für Puzzlestück zu einem Ganzen zusammen setzen muss. Wie dicht man damit an die im Kopf des Autors gesponnene Geschichte kommt, wird man letztlich allerdings wohl nicht erfahren. Vermutlich wird jeder die Geschichte lesen, die für ihn selbst gerade am besten passt. Obwohl das Buch nur wenige Seiten hat und auch noch längst nicht jede Seite voll bedruckt ist, kann man es schwer in einem Rutsch durchlesen, weil man immer wieder über einzelne Definitionen stolpert und Puzzlestückchen verschieben muss. Besonders gut gefallen hat mir die Melancholie, die sich durch das komplette Buch zog, ohne dabei zu schwer zu wiegen.

Erst beim Schreiben dieser Rezension wurde mir klar, dass ich mich gestern geirrt habe, als ich auf die Frage meiner Lebensgefährtin, wie mir das Buch gefallen würde, mit „Hm, geht so. Bisschen wenig Text für so viel Geld.“ antwortete. Es ist vielleicht wenig Text, der schwarz auf weiß die Seiten füllt; der Text zwischen den Zeilen gleicht das aber locker wieder aus. Deshalb vergebe ich auch sehr gute 4 von 5 Sternen an ein Buch, das mir wieder einmal gezeigt hat, dass die Geschichte nicht aufhört weil man das Buch zuschlägt. Die Geschichte lebt weiter und manchmal verlangt sie eben ein bisschen mehr Beschäftigung, als man ursprünglich dachte.

Zuletzt noch ein großes Lob an die wirklich gelungene Covergestaltung!

Zitate:
ineffable, adj. (unbeschreiblich, unsagbar, Adj.)
Am Ende werden diese Wörter nur ein schwacher Abglanz sein, bar aller Empfindungen, die sich in Worte nicht fassen lassen. Über Liebe zu schreiben ist letztlich so, als versuche man, das Leben selbst in ein Lexikon zu packen. Egal, wie viele Wörter es enthält, es werden nie genug sein. (Seite 125)

only, adj. (einzig, Adj.)
Das ist das Dilemma, oder? Wenn du Single bist, hast du Freud und Leid des nur ich. Bist du zu zweit, hast du Freud und Leid des nur ich. (Seite 159)

posterity, n. (Nachwelt, f.)
Ich versuche, mir nicht vorzustellen, wie wir gemeinsam alt werden, hauptsächlich deshalb, weil ich überhaupt nicht ans Älterwerden denken möchte. Beides – die Jahre-, die vergehen, und die Jahre, die wir gemeinsam haben – ist zu gewaltig, um sich damit zu befassen. Aber eines Morgens gab ich nach. Du hast noch geschlafen, und ich stellte mir dich vor, wie du immer älter würdest. Wie deine Haare ergrauten, die Haut faltig würde, dein Atem kürzer. Und ich dachte: Wenn das hier weitergeht, wenn es Bestand hat, dann werden, wenn ich sterbe, die Erinnerungen an mich das Größte sein, was ich je vollbracht habe. Deine Erinnerungen werden bleibendster Eindruck sein. (Seite 166)

reservation, n. (Vorbehalt, m., Einschränkung, f.)
Es gibt Phasen, da fürchte ich, mich längst verloren zu haben. Soll heißen, mein Ich ist so untrennbar an das Zusammensein mit dir gebunden, dass ich nicht länger existieren würde, falls wir uns trennten. Diesen Gedanken hebe ich mir für Momente tiefster Unzufriedenheit auf. Ich hatte nie beabsichtigt, so abhängig von jemandem zu werden. (Seite 174)

7 von 10 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.06.2011
Für 'ne Moment
Niedecken, Wolfgang

Für 'ne Moment


ausgezeichnet

Wolfgang Niedecken hat seine Memoiren geschrieben. Viele werden jetzt denken: „Ach, noch einer der meint, er hätte was zu erzählen!“ Aber Niedecken ist eben kein 17jähriger Hollywood-Jüngling der meint, alles gesehen zu haben, nur weil er einmal seine Nase hinter den Hollywood Hills hervor gereckt hat. Niedecken hat was zu erzählen. Und wie er erzählt. Er macht nicht den Fehler, den viele machen, die sich an der Niederschreibung ihrer Lebensgeschichte versuchen. Er fängt nicht bei dem kleinen Jungen an und hört bei dem weisen Mann auf. Er erzählt, wie man eben erzählt. Kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, bleibt nur in groben Zügen chronologisch. Von seiner Kindheit in der Kölner Südstadt in der es in den Nachkriegsjahren keine Spielplätze sondern Trümmer gab, von Rittern auf der Vringspooz, Internatsjahren und kölschem Klüngel „… Kölscher Klüngel? Dä jitt et jar nit… ävver et ess schon besser, wemmer einer kennt!“
Über seine Zeit als Künstler im Big Apple, Anfänge in der Musik und die ersten Erfolge mit BAP. „Ein Auftritt im „Chlodwig Eck“ und vielleicht noch einer in einem Vorort von Köln, das war schon fast eine Tournee. Zumindest, wenn man fest daran glaubte.“
Man erfährt viel über den Mann, mit der „merkwürdije Sprooch“. Über den Künstler Niedecken und seine musikalischen Vorbilder ebenso wie über Vorbilder in der Bildenden Kunst. Von den Kinks und Bob Dylan bis zu Larry Rivers, Julian Schnabel und Michael Buthe.
Ein außergewöhnliches Treffen mit Heinrich Böll, ein Song mit Joseph Beuys, ein unverhofftes Duett mit Bob Dylan… Niedecken verwischt die Grenzen zwischen den Künsten und vor allem gibt es keine Grenzen zwischen ihm als Mensch und seiner Kunst. Nichts, was er nicht für seine Kunst verwendet. Egal ob seine Erinnerungen und Erlebnisse, die in seine immer aussagekräftigen Liedtexte einfließen oder alle erdenklichen Gefühle und Materialien, die in seinen Gemälden und Installationen Verwendung finden. Der BAP-Frontmann ist von seiner Kunst nicht wegzudenken. Weder von der einen noch von der anderen. „What’s wrong with Staples?“
Seine Erzählung über seinen ersten Besuch in Afrika sind der Teil des Buches, der wohl jedem im Halse stecken bleibt und gerade deshalb bin ich ihm dankbar, dass er ihn nicht ausgespart, nicht über die Maßen geschönt oder unangenehmes weggelassen hat. Er verschließt die Augen nicht und erspart es auch seinen Mitmenschen nicht, wenigstens darauf hingewiesen zu werden, dass man mit offenen Augen besser sieht und dass man Dinge und Zustände, für die man einmal bewusst die Augen geöffnet hat, nicht mehr ausblenden kann. Nach der Lektüre des Buches fühlt man sich, als hätte man eine ganze Nacht lang mit einem guten alten Freund eine Flasche Whisky geleert und sich dabei seine unglaublich spannende, großartige und interessante Lebensgeschichte angehört. Die teilweise offenen, teilweise versteckten Hinweise auf sein Liedgut sind dabei kleine Schmankerl, die den geneigten BAP-Fan wissend schmunzeln lassen. Seit langem begleitet mich Niedeckens Musik, seine wunderbaren Texte, die nie sinnentleerter Schmonz sind und mit denen er sich zum Glück nie untreu wurde, auch wenn es einige hartnäckig versuchten, durchs Leben und auch, wenn es hin und wieder mal ein Album gab, das mir besser gefiel als ein anderes, habe ich immer die unverkennbare Handschrift entdecken können, die hinter allem stand. Genau wie in diesem Buch, indem er einmal mehr zeigt, dass sich Heimatverbundenheit und Fernweh nicht ausschließen und kein Fehler zu dumm ist, als dass man nicht doch noch etwas aus ihm lernen könnte. -Aufgrund der Begrenzung auf 4000 Zeichen gekürzt

16 von 16 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.06.2011
Unberechenbare Geometrie der Liebe
Guzner, Susana

Unberechenbare Geometrie der Liebe


sehr gut

Als Maria sich schon damit abgefunden hat, dass die Liebe sie kein zweites Mal mehr finden würde, trifft sie die verführerische Eva. Hals über Kopf, vom einen auf den anderen Moment, auf den ersten Blick verliebt sie sich in die geheimnisvolle Spanierin und beide stolpern in eine rasante Affäre ohne zu wissen, wohin sie führen wird. Aber Eva scheint ein Geheimnis zu umgeben. Auf Annäherung folgt unweigerlich immer wieder ein Wegstoßen und Maria weiß bald nicht mehr, woran sie ist. Was ist los mit Eva? Spielt sie nur ein Spiel?

In einer ungewöhnlich schönen und ausgereiften Sprache erzählt die gebürtige Argentinierin Susana Guzner eine Liebesgeschichte, die einen von der ersten Seite an gefangen nimmt.

Bei aller Romantik und trotz aller Liebesschwüre wird sie nie schmalzig und plump und geht den Schwierigkeiten, die zwangsläufig das Zusammenleben eines frisch verliebten Paares trüben, wenn der Alltag Einzug hält, nicht aus dem Weg.

Die Gefühle ihrer Protagonisten vermittelt sie gekonnt und auch wenn sie zunächst nicht immer nachvollziehbar sind, erscheinen sie nie fehl am Platz. Ein winziger Hinweis auf Evas Geheimnis hätte für meine Begriffe aber schon etwas früher im Buch kommen dürfen, so dass einige Verhaltensweisen ein wenig schlüssiger geworden wären.

Die Schauplätze des Romans runden die Story ab und klingen wunderbar nach. Auch die Übersetzung ist hervorragend gelungen und hat die Schönheit der Sprache erhalten.

Susana Guzner schreibt mit richtig viel Talent und von den spanischen Leserinnen wurde Unberechenbare Geometrie der Liebe nicht ganz zu Unrecht zum besten zeitgenössischen Roman lesbischen Inhalts gewählt.

Ein wirklich toller Roman über die Liebe zwischen zwei Frauen und die Gefahr, der man sich aussetzt, wenn man versucht, mit der Liebe Spielchen zu spielen.

Zitate:


Und diese unverschuldete Gewalt ließ mich rasen vor Wut und Ohnmacht, ihre hasserfüllten Krallen gruben sich tief in meine Haut. Ich wollte weinen, mehr noch, meine Seele flehte mich an zu weinen, diesen verbissenen Kummer herauszulassen, an dem ich qualvoll zu ersticken drohte. (Seite 20)

Die Angewohnheit der allermeisten Leute, negative Umstände hinzunehmen, als hätten sie es nicht anders verdient, wie eine berechtigte Strafe für irgendeine Sünde, ist erstaunlich. Ich fürchte allerdings, dass sie sich nicht aus freuen Stücken in stoischer Gelassenheit üben. Vielmehr ist dieses Verhalten ein beweis für den grauen Konformismus, den wir mit der Muttermilch einsaugen und der in bedrohlichen Situationen umso sichtbarer wird. (Seite 32)

Wahre Liebe bedeutet, auch den dunklen, niederträchtigen Teil zu akzeptieren, den wir alle in uns tragen. (Seite 189)

Die Seele ist eine Hellseherin. (Seite 361)

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.05.2011
Den Tod vor Augen / Numbers Trilogie Bd.2
Ward, Rachel

Den Tod vor Augen / Numbers Trilogie Bd.2


ausgezeichnet

England 2027 – Adam hat die Gabe seiner Mutter Jem geerbt. Er sieht den Menschen in die Augen und weiß, wann sie sterben werden. Als ihm in London tausende Menschen mit dem gleichen Todesdatum begegnen weiß er, dass die Stadt auf eine schreckliche Katastrophe zusteuert. 01012028 – es ist immer die selbe Zahl. Als er erfährt, dass seine Mutter etwas über 2028 wusste und auch noch andere die Katastrophe vorhersehen, versucht er alles, um das Schlimmste zu verhindern. Aber niemand hört auf einen verrückten 17jährigen, der die Apokalypse voraussagt.

Schon der erste Band der Reihe (und gleichzeitig das Erstlingswerk von Rachel Ward) “Numbers – Den Tod im Blick” habe ich verschlungen und für außerordentlich gelungen befunden. Mit diesem Buch jetzt ist der Autorin gelungen, was wenige schaffen. Nämlich einen zweiten Band, der den schon wirklich tollen ersten Band noch um Längen schlägt.

Mit unglaublich viel Feingefühl baut sie ihre Hauptcharaktere auf und spinnt um sie herum eine so spannende, fast schon dystopische Story, dass man das Buch kaum noch aus der Hand legen kann. Immer wenn man denkt, dass es jetzt nicht mehr schlimmer kommen kann, wird es garantiert doch noch ein bisschen schlimmer und selbst die größte Müdigkeit kann einen nicht dazu bewegen, das Buch wegzulegen.

Rachel Ward hat das große Talent Stimmungen einzufangen und ohne überdimensioniertes Drama das Schicksal ihrer Protagonisten zu vermitteln. Das macht ihren Schreibstil angenehm klar und präzise und das Buch zu einem wahren Pageturner, der bis zum Schluss voller Überraschungen steckt.

Gab es in Band 1 noch kleinere Holprigkeiten und den ein oder anderen ungelenken Satz, so merkt man hier deutlich, dass der Stil flüssiger geworden ist und die Übung den Meister, oder in diesem Fall die Meisterin, gemacht hat.

Auch die Übersetzung ist toll gelungen und man hat zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass irgendetwas nicht passt. Ebenso das Cover, das mir sogar noch besser gefällt als das erste. Rundum ein gelungenes Paket.

Ist das Schicksal vorherbestimmt oder haben wir es doch ein Stück weit in der Hand? Findet es heraus!

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.05.2011
Verdammt starke Liebe
Dijk, Lutz van

Verdammt starke Liebe


ausgezeichnet

Stefan ist 15 Jahre alt als er sich zum ersten Mal Hals über Kopf verliebt. Einige Monate lang ist er glücklich zusammen mit Willi, der ebenso sehr in ihn verliebt ist. Ihr gemeinsames Glück währt allerdings nur so lange, bis Willi an die Ostfront versetzt wird. Denn es ist 1940 und die Nazis haben Polen besetzt.

Wochenlang hört Stefan kein Wort von Willi und als er die Sehnsucht und die Ungewissheit nicht mehr aushält, schreibt er Willi einen Brief. Einen Brief, der Willi vermutlich nie erreicht hat sondern ihm und Stefan zum Verhängnis werden soll.

Stefan wird verhaftet und gefoltert, überlebt Gefangenschaft und Konzentrationslager nur sehr knapp; was aus Willi wurde, soll er Zeit seines Lebens nicht erfahren.

Ergänzt wird die Neuauflage des 1992 zuerst aufgelegten Werkes durch eine Zeittafel zur Geschichte der Homosexuellenverfolgung sowie ein Nachwort des Autors.

Ich habe dieses Buch in einer Nacht, in nur wenigen Stunden, durchgelesen. Lutz von Dijk hat ein Stück der Lebensgeschichte von Stefan K. so unglaublich nah und mit einer ebenso fesselnden wie eindringlichen Art geschildert, dass es mir – obwohl ich es stellenweise gern getan hätte – einfach nicht möglich war, zu vergessen, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt.

Besonders beeindruckend fand ich Stefans Umgang mit der Erkenntnis, ganz offensichtlich schwul zu sein in einer Zeit, in der es noch wirklich gefährlich war, dazu zu stehen. Vermutlich kann sich niemand hier in Deutschland heute noch ernsthaft vorstellen, was es damals, 1940 in Polen für Konsequenz hätte haben können bzw. dann ja auch tatsächlich hatte. Scheinbar unerschrocken hat Stefan sich sich selbst und seiner Liebe gestellt.

Dieses Buch hat mich aufgewühlt, bewegt und mich wieder einmal vor die Frage gestellt, ob man nicht mehr tun müsste um Homophobie, die auch heute noch – wenn auch oft subtiler und in Deutschland zumindest nicht mehr akut lebensbedrohlich – existiert, endlich auszurotten.

Denn: “Es ist immer ein Verbrechen, Liebe zu bestrafen und Gewalt zu tolerieren. Allein umgekehrt macht es doch einen Sinn.” (Stefan K.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.