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a.n.
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dd

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Insgesamt 129 Bewertungen
Bewertung vom 03.10.2017
Der Wunderling
Bartók, Mira

Der Wunderling


ausgezeichnet

Hier stimmt einfach alles
Das Cover, filigran, mit Liebe zum Detail, stellt uns den Wunderling vor, klein, jung, voller Leben und doch so zerbrechlich. Man schließt ihn sogleich ins Herz und empfindet Mitleid mit dem kleinen Geschöpf. Die übersichtliche Kapitelübersicht lässt erahnen, was unserem Helden so alles bevorsteht. Im Nachhinein kann man zudem so seine Lieblingsstelle schnell wiederfinden.
Die Handlung ist düster und ernst. Ein Heim für widerspenstige Geschöpfe, in dem kalte Strenge und Lieblosigkeit herrschen. Auch der Wunderling ist dort eingesperrt und durchlebt all das, wovor einem nicht nur als Kind Angst und bange werden kann; Ausgeliefertsein, Ungerechtigkeit, Gefangenschaft. Einzige Lichtblicke sind die inneren Kräfte und Träume des Wunderlings, deren er sich selbst aber erst nach und nach bewusst wird. Inmitten von menschlicher Kälte und innerer Einsamkeit fristet er ein Dasein, das ans Herz geht. Mira Bartok hat eine zauberhafte Fantasiegeschichte geschaffen, die zudem nie den Bezug zur Gegenwart verliert.
Wunderbar gesprochen von Mechthild Großmann, die vielen bislang sicher nur aus dem Münster-Tatort bekannt ist. Sie verleiht durch ihre tiefe Stimme diesem düsteren Märchen den angemessenen Charakter, der es zugleich einzigartig macht. Man kann sich praktisch von Beginn an keine andere Stimme vorstellen, welche die Geschichte um den Wunderling besser interpretieren könnte. Das Erzähltempo ist eher langsam, dafür aber sehr betont, mit verschiedenen Tonlagen, um die jeweils Handelnden besser heraus zu arbeiten und deren Stimmung eindeutig hervortreten zu lassen. Mystik, Düsternis aber auch Hoffnung und Wärme werden durch ihre markante Stimme wunderbar wiedergegeben. Man lauscht ohne Übertreibung andächtig und gebannt. Worte werden im Kopf zu Bildern, die man nicht so schnell vergisst.
All dies macht dieses Hörbuch zu einem kleinen Kunstwerk. Es ist anders, es ist keine Tralala-Geschichte und somit auch ein Hörbuch, das Jung und Alt gemeinsam hören können und vielleicht sogar sollten. Die Geschichte des Wunderling – wunderlich und wunderschön zugleich.

Bewertung vom 20.09.2017
Der Vater, der vom Himmel fiel
Henderson, J. Paul

Der Vater, der vom Himmel fiel


sehr gut

Das ist eine Familie! Schwierige Charaktere, entsprechend kauziges Verhalten, unherzliches Miteinander. Vor dem inneren Auge des Lesers läuft eine tragikomische Geschichte ab, in der die Beteiligten natürlich am wenigsten zu lachen haben. Für die ist alles bitterernst.
Die Handlung setzt bei der Beerdigung des Vaters ein. Die Familienangehörigen werden uns ohne Umschweife mittels Situationskomik und herrlich deplatzierten Bemerkungen vorgestellt. Stetige Schmunzelmomente sind garantiert, denn hier nimmt keiner ein Blatt vor den Mund. Wie soll es da ausgerechnet Greg, dem schwarzen Schaf der Familie, gelingen, aus diesen Streithähnen wieder eine richtige Familie zu machen? Glück im Unglück – sein Vater lässt ihn dabei nicht im Stich, obwohl sich sein „Erscheinen“ anfangs nicht gerade als große Hilfe erweist.
Wie fast in jeder Familie tun sich auch bei den Bowmans Abgründe auf, die ihresgleichen suchen. Geheimnisse kommen ans Licht, die vielleicht besser im Dunkel geblieben wären. Doch da müssen die Bowmans jetzt durch, dafür wird Greg schon sorgen; zum Vergnügen der Leser.
Handlungstechnisch ist der Vater eher Mittel zum Zweck und fällt nicht weiter ins Gewicht. Obwohl er der Namenspatron des Buches ist, steht er doch eher für das Vermächtnis, das es zu erfüllen gilt. Vorherrschend sind glücklicherweise Wortwitz und Dynamik, aber auch nachdenklich stimmende Situationen, die man mit very britischem Humor verbindet; trocken, schwarz, unvorhersehbar. Die wiederum vorhersehbare Geschichte der Familie Bowman bleibt sich damit treu, der Leser bekommt das, was er von der Lektüre erwartet.
Ähnlichkeiten mit Personen in der eigenen Verwandtschaft waren dabei zwar nicht beabsichtigt, aber eben nicht zu verhindern gewesen. Trotz mancher Absurditäten sind doch alle nur Menschen, ob nun innerhalb oder außerhalb dieses äußerst unterhaltsamen Romans, der mehr hält, als das verwirrende Cover verspricht. Am Ende wird vielleicht sogar alles wieder gut. Doch bis es soweit sein kann, muss jedes einzelne Mitglied dieser Familie so manche Hürde nehmen. Für den amüsierten Leser wird es ein Heimspiel, so er denn humorvolle Familienromane mit leichtem Tiefgang und britischem Flair gern liest.

Bewertung vom 18.09.2017
Die Entdeckung des Glücks
Prophet, Isabell

Die Entdeckung des Glücks


sehr gut

Schon in der Kapitelübersicht klingen Themen rund um das Gefühl des Glücklichseins an, über die gewiss jeder schon einmal nachgegrübelt hat und entweder zu keinem Ende gekommen ist oder das Resultat nicht von Dauer war. Wie kann man das kleine aber dauerhafte Glück, dieses in sich ruhen in sich wachrufen und vor allem auch festhalten? Das Buch wird sehr viele Menschen ansprechen, denn wer hat schon ein Arbeitskollektiv, an dem es nichts auszusetzen gibt oder eine Tätigkeit, die einen wirklich erfüllt? Doch wohl gemerkt: die eben genannten Dinge können wir nicht grundlegend verändern, doch wir können uns ändern. Darauf liegt das Hauptaugenmerk des Buches. Es gibt Antworten und bietet Lösungsansätze, mit denen jeder etwas anfangen und an sich arbeiten kann.
Persönliche Erfahrungen und Empfindungen verschiedener Menschen durchweben die Lektüre gemeinsam mit philosophischen Denkansätzen und wissenschaftlichen Fakten und neuesten Erkenntnissen. Ebenso wird mit der bisherigen Meinung, dass Arbeit und Freizeit strikt getrennt werden sollen, hart ins Gericht gegangen. Es wird erklärt, weshalb dieses ständige An- und Abschalten kontraproduktiv auf unser Empfinden einwirkt. Die Autorin referiert dabei nicht sachlich sondern legt Ursachen, Wirkungen und deren komplexe Zusammenhänge so anschaulich und unterhaltsam dar, dass jeder sehr gut folgen und nachvollziehen kann.
Der Input dabei ist allerdings immens. Ebenso werden eigene Gedanken und Empfindungen sehr stark angeregt. Ein durchgehendes Lesen wäre daher dem Anliegen des Buches nicht angemessen.
Die Wahrnehmung bestimmt unser Empfinden in hohem Maße. Und gerade diese bisherigen Denkschemata, nicht selten durch Erziehung und gesellschaftliche Konventionen bestimmt, sind es, die uns oft daran hindern, das vorhandene kleine Glück überhaupt zu erkennen und als solches anzuerkennen. Und genau da liegt für die Autorin auch der Knackpunkt. Dort setzt sie an und beleuchtet persönliche Erwartungen und Wahrnehmungen und was sie in uns auslösen. Zum sich glücklich fühlen, ohne sich dabei allerdings etwas vorzumachen, braucht man auch die anderen. Glücklich sein kann man wirklich nicht allein, wenn es von Dauer sein soll.
Bei allem Beschriebenen ist nie von dem euphorischen Glück die Rede. Es geht stets um diese innere Zufriedenheit jenseits von höher, schneller, weiter, mehr und besser. Man muss sich auch keine allzu großen Ziele setzen. Was ist dabei, wenn man „überholt“ wird. Sollen die anderen doch hetzen. Wer sich diesem Teufelskreis entziehen will, wird merken, dass dies Kraft und Überzeugung kostet. Zu leicht wird man da als nicht strebsam oder antriebslos angesehen. Daran zeigt sich aber recht schnell, inwieweit man seine innere Überzeugung gefestigt hat.
Man kann nicht alles haben und muss das auch gar nicht. Was dies aber für den Leser im einzelnen bedeutet, obliegt ihm allein. Vernunft, Begehren und Wille sollen im Einklang sein. S. 24 Davon war schon Platon überzeugt. Ängste und Stress im Zaum halten, einen Ausgleich schaffen, der für innere Ruhe sorgt. Vieles wussten wir bereits. Doch es ist sehr interessant zu lesen, wie man all dies mit all seinen notwendigen Tagesaktivitäten gewinnbringend verknüpfen kann; einem Gewinn, der mit Geld nicht zu bezahlen ist.

Bewertung vom 10.09.2017
Ein Gentleman in Moskau
Towles, Amor

Ein Gentleman in Moskau


ausgezeichnet

Die Machthaber wollen den Grafen brechen, ihn am Boden sehen. Doch jede Schikane und Ungerechtigkeit prallen an ihm ab. Der unverbesserliche Optimist Rostov sieht noch in dieser bitteren Situation noch Wege, menschlich zu bleiben und den Umständen mit einem Augenzwinkern zu begegnen. Egal wo, egal wann, das Leben ist immer lebenswert, wenn man es versteht, sich selbst treu und anderen gegenüber offen zu bleiben. Die Herangehensweise des Grafen macht nicht nur ihn sondern auch das (Hör)Buch zu etwas Bemerkenswertem.
Eine gewalttätige Epoche russischer Geschichte wird anhand des bewegten Schicksals eines Aristokraten der Vergangenheit entrissen und zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung. Er fesselt und macht uns zu Augenzeugen ohne dabei den Blick auf die Hauptfigur zu verdecken. Es sind die kleinen Dinge, die in diesem beengten Terrain zu etwas Wichtigem und Besonderem werden. Ähnlich kleinen Sonnenstrahlen erhellen sie auch diese „Welt“. Action und Exzesse sind nicht nötig, um Aufmerksamkeit bei Leser / Hörer zu erregen. Im übertragenen Sinne sind es die leisen tiefen Töne und bezaubernden literarischen Melodien, die nachhallen. Das „Orchester“ sind dabei bei weitem nicht nur die Hotelgäste.
Man wünscht sich die ganze Zeit, dass alles „gut“ ausgehen möge. Dieser besondere Mensch, dieser Freigeist, durch und durch anständig, wirkt in der Härte, Kälte und Willkür, die außerhalb des Hotels herrscht, wie ein Paradiesvogel im Käfig. Es geht unwahrscheinlich ans Herz, wenn man liest / hört, was Rostov alles auf sich nimmt, um dem Mädchen, das ihm anvertraut wurde, die Gitterstäbe vergessen zu machen und ihr eine Welt zu zeigen, die es trotz allem auch noch gibt. Oder ist es etwa die kleine Sofia, die ihrem väterlichen Freund ganz neue Impulse verleiht, ganz, wie es ihre Mutter einst tat?
Der Hörbuchsprecher Hans Jürgen Stockerl scheint für den Gentleman in Moskau ideal besetzt worden zu sein. Die Stimme geht sofort ins Ohr. Intonation und Stimmlage passen sich perfekt an das Handlungsgeschehen an, als würde Stockerl selbst nur zu gut um die Güte des Romans wissen und dies ihn zu der herausragenden Interpretation zusätzlich beflügeln. Das Ergebnis ist somit auch weit mehr als betontes Vorlesen.
Da viel geschieht, von dem entsprechend berichtet wird, ist stetiges aufmerksames Hören sehr zu empfehlen. Man wird nicht berieselt, man wird mit einbezogen. Den Umständen geschuldet, spielt sich ein nicht unerheblicher Teil der Handlung in den Köpfen der Hauptpersonen ab und führt dazu, dass man die Handelnden, insbesondere jedoch ihre Gedanken- und Gefühlswelt nach der Lektüre selbst lange nicht aus dem Kopf bekommt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2017
Und Marx stand still in Darwins Garten
Jerger, Ilona

Und Marx stand still in Darwins Garten


sehr gut

Das Cover täuscht. Noch gehen die beiden Männer, zwei der herausragendsten Persönlichkeiten, traut nebeneinander her und scheinen zu fachsimpeln. Doch daraus wird nur wenig später eine Diskussion, die in einen heftigen Disput mündet und unaufhaltsam in einem regelrechten Streit endet.
Charles Darwin und Karl Marx haben mit ihrer Arbeit schon zu Lebzeiten den Lauf der Geschichte maßgeblich verändert. Obwohl sie auf völlig verschiedenen Gebieten agierten, stand für sie doch stets der Mensch im Mittelpunkt. Auf wessen Seite steht dabei der Leser / Hörer? Wer hat letztendlich recht? Oder geht es am Ende darum gerade nicht? Eine Begegnung, die es vielleicht gar nicht gab, wird mit schriftstellerischem Können für uns heraufbeschworen.
Vielschichtige Themen wie Philosophie, Religion, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft werden erörtert, die unterschiedlichen Standpunkte emotional verglichen. Je intensiver sich beide Männer in diese Gefilde begeben, umso eindringlicher sprechen sie zu uns. Und so merkt auch vorrangig nur der Leser, dass es doch mehr Gemeinsamkeiten zwischen Darwin und Marx gibt, als ihnen selbst bewusst ist. Da beide zudem ihre eigene Problematik stets mit sich tragen, sind logischerweise auch ihre Gespräche nie frei und losgelöst von privater Enttäuschung, sich missverstanden fühlen, unverrückbarer Überzeugungen und eigener Egozentrik.
Der Sprecher Peter Kaempfe liest eher etwas langsam, was einem Folgen und vor allem dem Mitdenken sehr zugute kommt. Dabei drängt er sich erzählerisch nicht nie in den Vordergrund, sondern überlässt stets den Protagonisten das Feld. Die auf mich nicht sonderlich markant wirkende Sprechstimme trägt den Zuhörer nahezu gleichmütig durch die anspruchsvolle Lektüre. An manchem Stellen, zum Beispiel gleich zu Beginn, hat man es etwas schwerer, der Handlung zu folgen sowie die Wichtigkeit der beschriebenen Ereignisse richtig einzuordnen. Im Buch selbst lesen wäre daher vielleicht eher in Erwägung zu ziehen.

Bewertung vom 03.09.2017
Der Sandmaler
Mankell, Henning

Der Sandmaler


gut

Cover, eine Frau, wie in Sand gezeichnet, verletzlich und filigran. Welche Spuren wird Afrika bei ihr hinterlassen? Afrika, der schwarze Kontinent, nicht nur für Elisabeth bislang eine weiße Landkarte. Zu verschieden scheinbar die Menschen, zu schwer ein Verstehen. Beinahe ehrfurchtsvoll nähert sich Mankell dem Land und den Bewohnern, nie wirklich wertend sondern stets auf das Verstehen bedacht, ohne dabei irgend eine Art von Durchschauen für seine Hauptfigur zu beanspruchen.
Elisabeth hat Augen und Herz geöffnet, egal, was ihr widerfährt, ganz gleich, wem sie begegnet. Alles, was auf sie einwirkt ist für sie ein Zugewinn, wenn auch negativer Natur. Ihr Begleiter Stefan hingegen grenzt sich beinahe ab, zeigt wenig Interesse an dem, was ihn umgibt, was Afrika für viele so faszinierend macht, als könnte man Afrika nur lieben oder hassen, wenn man charakteristische Aspekte ausklammert.
Für Elisabeth wird der Aufenthalt zum Augenöffner, für Stefan beinahe nur Zeitvertreib. Diese Diskrepanz in der Wahrnehmung hinterlässt natürlich auch Spuren in ihrer Persönlichkeit und wirkt sich demzufolge auch auf ihre Freundschaft aus.
Der Roman ist Mankells erster Afrika-Roman und das merkt man ihm leider auch an. Er widmet sich dieser spannenden Thematik weniger tiefgehend als man es von ihm erwartet hat. In seinen späteren Werken über Afrika konnte er hingegen die Ansprüche seiner Lesegemeinde weit besser bedienen. Doch sehe ich dies eher als Zeichen seiner eigenen Entwicklung im Hinblick auf ein sich mehr und mehr Einlassen. Manch anderer wird aber vielleicht etwas enttäuscht von der etwas gedämpften Ausdruckskraft sein.
Eine literarische Momentaufnahme des Kontinents aus dem Jahre 1971, ein erstes vorsichtiges Annähern. Leider kann man beim Lesen das Wissen um die derzeitigen dortigen Zustände und die spätere Ausdrucksintensität des Autors nicht ganz ausblenden.

Bewertung vom 23.08.2017
Töte mich
Nothomb, Amélie

Töte mich


gut

Kurz und gut. Die Schrift ist groß, die Seitenzahl überschaubar, das Lesevergnügen dauert nur wenige Stunden. Die Handlung an sich wirkt von Beginn an konstruiert. Außerdem gelingt es der Autorin nicht so recht, das eigentliche Handlungsgeschehen geschmeidig mit den kleineren Nebenschauplätzen zu verbinden. Der Lesefluss kommt daher bisweilen ins Stocken. Schauplatz und Handelnde fallen irgendwie aus der Zeit. Das Geschehen an sich hätte überall und schier in jeder Epoche spielen können, von Autos und Pistolen einmal abgesehen.
Graf Neville, sachlich, abgeklärt, nicht gern Gefühle zeigend ist der unfreiwillige Hauptakteur. Familiäre Dinge werden nicht nach außen getragen. Fast ebenso mechanisch wie Neville wirken die anderen Beteiligten. Ich hatte beim Lesen stets das Gefühl, als stünden sie sich selbst nicht wirklich nah. Und so blieben auch mir die Handelnden fremd.
Der Graf lässt seiner Tochter die Zeit und Freiheit zu pubertieren, was sich einerseits als Nachteil, andererseits sogar als ursächlicher Fehler erweist, wenn man der Wahrsagerin Glauben schenkt. Ihrer ungeheuerlichen Prophezeiung kann sich auch der Leser nicht entziehen. Man kann nicht mehr frei handeln, wenn man die vermeintliche Zukunft kennt und das Bevorstehende mit aller Macht abzuwenden versucht. Neue Verwicklungen werden so heraufbeschworen, die vielleicht alles noch viel schlimmer machen.
Die inhaltliche Güte der Lektüre liegt im Ermessen jedes einzelnen Lesers. Mir persönlich fehlte jegliche Aussagekraft oder Message außer vielleicht dem Sprichwort „und erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“ ein literarisches Denkmal zu setzen. Diese Intention allerdings halte ich für unwahrscheinlich. Vom Preis-Leistungs-Verhältnis her gesehen, ist das Buch entweder viel zu kurz oder eben ein wenig zu teuer.

Bewertung vom 17.08.2017
In tiefen Schluchten / Tori Godon Bd.1
Chaplet, Anne

In tiefen Schluchten / Tori Godon Bd.1


sehr gut

Dörfliche Idylle, viel Natur und Ruhe sind zwar sehr erstrebenswert, doch eben nicht auf Dauer und vor allem nicht für unsere Spürnase Tori, eine ehemalige Anwältin, die sich allerdings nicht ganz ohne Grund in diese nicht gerade überlaufenen Gefilde, ins südfranzösische Bergdorf Belleville, zurück gezogen hat. Sie hat stets ein wachsames Auge und mindestens ein weit offenes Ohr auf ihre Mitmenschen gerichtet und so fällt es ihr auch mit als erstes auf, dass ein Hotelgast, ein holländischer Höhlenforscher, verschwunden ist. Sie geht der Sache nach, sie wühlt in der wechselhaften Geschichte des Landstriches und in den uralten überlieferten Geheimnissen der Dorfbewohner. Der Staub, den sie dabei aufwirbelt, nimmt aber im schlimmsten Fall nicht nur ihr sprichwörtlich den Atem. Keiner will etwas gesehen haben und dennoch wissen alle irgend etwas. Gerade in diesen kleinen nahezu abgeschlossenen Gemeinschaften passiert allerdings bekanntlich so allerlei.
Alte Wunden, die nie verheilt sind, Unrecht, das nie richtig gesühnt wurde. Kann sich Geschichte wiederholen? Welchen Anteil daran trägt jeder Einzelne? Wo ist der Punkt, an dem die Vergangenheit die Gegenwart berührt? Der Autorin ist es gelungen, historische Geschehnisse lebendig zu machen und mit der Gegenwart zu verknüpfen. Es wird deutlich, in welchem Maße Vergangenes selbst im Hier und Jetzt nicht abgeschüttelt werden kann und wie dies die Menschen mitunter über Generationen prägt. Auch Geschichte kann spannend sein. Hier ist der Beweis.
Ein richtiger Krimi ist es allerdings nur am Rande, der vielmehr durch den, wie schon erwähnt, geschichtlichen Background und die anschaulichen Beschreibungen von Landschaft sowie dörflichem Geschehen besticht und fesselt als durch kaltblütige Morde und reißerische Aktionen. Praktisch ein guter Barnaby; handfest, stimmig, teilweise spannend und mit vielen kauzigen Charakteren. Wer als den Inspector mag und sich darüber hinaus noch für Geschichte begeistern kann, dem gefällt auch dieses unterhaltsame aber eben nur mäßig spannende Buch.

Bewertung vom 06.08.2017
Liebe wird überschätzt
Parrella, Valeria

Liebe wird überschätzt


sehr gut

Finden, erinnern, verlieren, loslassen, überwinden, vergessen, neu beginnen. Und dies alles bei weitem nicht nur in partnerschaftlichen Beziehungen oder was erlaubt oder opportun ist. Ein Gefühlsreigen durch Menschenherzen.
Goethes Spruch „Welch ein Glück, geliebt zu werden ...“ schwingt in jeder der acht faszinierenden Liebesgeschichten mit.
Es geht nicht um Happyends, herkömmliche Klischees werden im vorliegenden Buch nicht bedient. Vielmehr werden Beweggründe geschildert, was Menschen so auf sich nehmen für einen anderen Menschen und auf welchen verschlungenen Gefühlspfaden sie sich dabei bewegen.
Wunsch, Handeln, Resultat; Liebe, egal zu wem oder zu was, hat für gewöhnlich einen Anfang, doch hat sie je ein wirkliches Ende? Und erstens kommt es anders …, kein Ende der hier geschilderten Geschichten ist voraus zu sehen. Jede Erzählung behandelt andere Konstellationen und Facetten der Liebe. Schmerzvoll und unerfüllt lieben ist eben auch eine Spielart, die nur auf den zweiten Blick sinnlos erscheint. Niemand kann aus seiner Haut und eben dieser Umstand geht unter die Haut. Daher löst die Lektüre auch beim Leser die unterschiedlichsten Gefühle aus, ist doch jeder schon selbst durch dieses Minenfeld gewandert.
Wunderschön und bitter zugleich. Die jeweiligen Hauptfiguren, die Liebenden und Geliebten, erscheinen so nah. Die Autorin versteht es, zu berühren, indem sie selbst emotional, dabei teilweise sehr sensibel und gleichzeitig mit etwas Abstand am Innersten derjenigen rührt, deren bewegende Schicksale sie beschreibt. Verschieden lag fallen dabei die einzelnen Intermezzi aus. Sie vermittelt so den Eindruck, als steht die Auswahl stellvertretend für noch unzählige weitere Geschichten, die zwar er- und gelebt wurden, nur noch nicht aufgeschrieben sind. Die Liebe – eine unendliche Geschichte, ein nie zu Ende geschriebenes Buch.

Bewertung vom 23.07.2017
Schluss mit Muss
Mairhofer, Tanja

Schluss mit Muss


sehr gut

Gegönnte Unordnung, freiwilliger Verzicht, der natürlich nicht als solcher gesehen wird, das sind nur einige der zahlreichen Weisheiten, die uns die Autorin sehr schmackhaft zu machen versteht. Für einige wenige könnte diese Lektüre somit zum ultimativen Ratgeber avancieren, da er auch immer eine passende Ausrede oder vermeintlich plausible Rechtfertigung für das eben nicht tun bereithält, der man bisweilen so gar nichts entgegen setzen kann.
Hier hat jemand die Menschen und sich selbst genauestens beobachtet und mehr oder weniger tiefgründig analysiert. Die dargestellten Sichtweisen sind schlüssig und witzig zugleich. Jeder wird beim Lesen leicht feststellen, wie er selbst konditioniert wurde. Sehr zum Nachdenken anregend sowie zum eigenen Beobachten und Schlussfolgern motivierend, stellt man sich danach doch Fragen wie „ist das, was alle machen, wirklich immer richtig“, will ich selbst wirklich oder habe ich nur ein schlechtes Gewissen“. Gewöhnung trifft auf Überzeugung. Die eigenen Handlungs- und Denkmuster wird es aber leider bei den meisten nicht dauerhaft beeinflussen, stünde man doch damit ziemlich allein auf weiter Flur. Lacher und Aha-Effekte sind aber auf jeden Fall garantiert.
Während des Lesens war ich stets hin und her gerissen. Dieses Handeln frei nach dem Motto „mir doch egal“ oder „ich bin okay so wie ich bin“ mag ich eben bei vielen gar nicht, da es doch meist in egoistischer Weise ausgelebt wird. Ebenso sieht die Autorin manche Dinge einfach zu schwarz / weiß und urteilt für meinen Geschmack zu pauschal. Die beschriebenen Personen-Typen sind doch charakterlich sehr extrem und auch für einen Laien schnell als das zu identifizieren.
Wer schlank / mollig sein will, soll es eben sein und das darf er auch, ohne dass darüber jemand die Nase rümpft. Wer seine Wohnung sauber mag, ist noch lange kein Pedant. Ich hätte mir viel lieber eine Art Plädoyer Für „Leben und leben lassen“ gewünscht; ohne persönliche Gesamtbeurteilung, denn jeder Mensch ist nicht nur so oder so. Andererseits trägt es enorm zur eigenen Schadenfreude bei, wenn man liest, wie Möchtegerne ihr Fett wegbekommen.
Mir kommt es aber manchmal so vor, als ob Frau Mairhofer der Ablehnung der eigenen Person ein „Angriff ist die beste Verteidigung“ einfach vorweg nimmt. Und dies tut sie auf sehr unterhaltsame, aufheiternde und kluge Weise. In vielen Dingen hat sie wiederum einfach Recht. Wo aber die Grenze ist, an der sich der innere Schweinehund nicht mehr als „Retter“ sondern eher nur noch als kontraproduktiv darstellt, konnte auch sie nicht genau definieren.