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TK

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Insgesamt 107 Bewertungen
Bewertung vom 10.04.2023
Ich, ein Sachse
Meffire, Samuel;Kittstein, Lothar

Ich, ein Sachse


sehr gut

Krasse Biografie

Was Samuel Meffire in seinem Leben erlebt und erfahren hat, ergibt eine wirklich krasse, faszinierende Geschichte. Wenn man nicht wüsste, dass es eine reale Lebensgeschichte ist, könnte man es viel zu leicht für den spannenden, aber extrem überzogenen und unrealistischen Plot einer Fernsehserie halten.

Durch seine Erzählung kann man sehr unmittelbar nachspüren, wie er, als Sohn einer deutschen Mutter und eines kamerunischen Vaters, die letzte Zeit der DDR in Dresden und die auf die Wende folgenden politischen, gesellschaftlichen und letztlich auch persönlichen Umwälzungen wahrgenommen hat. Dieser Wechsel aus einer staatlich verordnet farbenblinden Gesellschaft in eine Welt, in der man als Afrodeutsche*r nicht gefahrlos das Haus verlassen konnte, ist aus seiner Perspektive einerseits wahnsinnig spannend und gleichzeitig unglaublich beklemmend zu lesen, weil sich schon abzeichnet, dass (gerade im desillusionierten Vereinigungsdeutschland) eine gute Zukunft schwer zu finden sein wird.

Es dort als Persönlichkeit herauszuschaffen, um aus der Gegenwart eines geordneten Familienlebens und einer geordneten Existenz von dieser Vergangenheit zu erzählen, bedarf Stärke, schonungsloser Ehrlichkeit und einer Menge (Galgen-)Humor - Eigenschaften, die sich alle im Text und im Erzählstil widerspiegeln, wodurch sich trotz allem eine gewisse amüsante Unterhaltsamkeit einstellt.

Während Meffires eingeschobene Gedichte seinen Gemütszustand eindrücklich verdeutlichen, haben die vielen im Laufe der Erzählung sehr aufgesetzt literarisch-kreativ wirkenden Formulierungen mit unnötig komplizierten Umschreibungen und Metaphern das eigentlich Gesagte recht schwer verständlich gemacht, hier wäre eventuell zur besseren Lesbarkeit eine gewisse sprachliche Reduzierung angemessen gewesen. Letztendlich ist dies allerdings natürlich Meffires Stil und vielleicht die einzig mögliche Art, sein Leben und all die schweren Szenen zu erzählen.

Bewertung vom 02.04.2023
Morgen und für immer
Meta, Ermal

Morgen und für immer


ausgezeichnet

"Was ist die Maßeinheit für Schmerz?"

Wie viele verschiedene Leben kann man in einem Menschenleben durchleben? Wie viel Schmerz und Verlust kann ein Mensch ertragen? "Wie viel kann ein Mensch aushalten, bevor er zusammenbricht oder aufgibt?"

Da die Handlung von "Morgen und für immer" eng mit der Geschichte Albaniens verbunden ist, einem Land, dessen Regierung und Geheimpolizei unter den kommunistischen Ländern eine besonders brutale Form der Kontrolle und Unterdrückung der Bevölkerung ausgebildet hat, gibt es immer wieder erschreckende Passagen, die sehr schwer zu lesen und zu ertragen sind.

Kajans Geschichte ist unendlich traurig, aber gleichzeitig auch immer wieder wunderschön. Ermal Meta schafft es erzählerisch, all der Dunkelheit, dem Schrecken und der Verzweiflung der albanischen Geschichte und des persönlichen Lebens seiner Figuren auch immer Licht, Wärme, Musik und Liebe entgegenzusetzen, so dass insgesamt doch ein Gefühl der Hoffnung überwiegt. "Vielleicht war es ja wirklich so, dass das Leben einen mit der einen Hand ins Leere wirft und mit der anderen zupackt, kurz bevor man auf dem Boden zerschellt."

Eine unglaublich bewegende und beeindruckende Lebensgeschichte, die noch lange im Kopf bleibt.

Bewertung vom 01.04.2023
Die spürst du nicht
Glattauer, Daniel

Die spürst du nicht


ausgezeichnet

Die Geschichte spürst du sehr

Eine Familie der gebildeten, wirtschaftlich gut aufgestellten Oberschicht nimmt also - mit den aus ihrer Sicht besten Absichten - eine Schulfreundin der Tochter, ein Flüchtlingsmädchen aus Somalia, mit in den Sommerurlaub.

Wer dem Coverbild nach von einer Lektüre mit Urlaubsstimmung ausgeht, wird sich, ganz wie die Figuren des Buches, mit vielen unangenehmen Erkenntnissen konfrontiert sehen, vor denen man nicht die Augen verschließen kann und denen es sich als Mensch zu stellen gilt.

Der erzählerische Fokus der Handlung ist ganz anders gelegt, als ich das zuerst angenommen und erwartet hätte. Gerade dadurch aber kann Glattauers unglaublich präzise, scharfe Gesellschaftsbeobachtung ihre aufrüttelnde Wirkung entfalten. In seiner unverwechselbaren Glattauerschen Sprache, mit charmant-österreichischem Einschlag, kann man sich den aufgeworfenen emotionalen, moralischen, aber zuletzt vor allem menschlichen Fragestellungen nicht entziehen.

Der wahrgenommene Wert eines Menschen, eines Lebens, die kühle Bewertung von angenommenen Fluchtgründen aus einem privilegierten, sicheren Leben heraus, und damit die Einteilung in "schlechtere" und "bessere" Geflüchtete, Gutmenschentum in seiner ursprünglichen und seiner instrumentalisierten Bedeutung, die Unsichtbaren und Unhörbaren einer Gesellschaft... - wichtige und aktuelle Themen des Umgangs mit der Flüchtlings"krise" in Europa sind hier schmerzhaft spürbar gemacht.
Wirklich großartig beobachteter und erzählter, berührender und bedrückender Roman!

Die Hörbuchfassung verstärkt die Wikung des Romans noch einmal, sie ist unglaublich gut eingelesen und die verschiedenen Rollen in ihren sprachlichen und charakterlichen Eigenheiten perfekt herausgearbeitet. Emotion wie auch Sprachwitz werden hervorragend transportiert. Vor allem auch die Social-Media-Passagen und Kommentare, die in der gedruckten Form vermutlich etwas trocken wirken können, sind (wunderbar österreichisch) lebendig gemacht. Absolute Empfehlung!

Bewertung vom 01.04.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


sehr gut

"Das Glück ist die Fähigkeit zu Wünschen"

Bei mir zu Hause befinden sich viele schöne, aus Mülltonnen gerettete Bücher, in einem wunderbaren, vom Sperrmüll geretteten Schrank, und mein Beruf beinhaltet, glorifiziertes Altpapier antiquarisch zu verkaufen... Mit Arno Geigers glücklichem Geheimnis kann ich mich also sehr gut identifizieren, und den Jagdtrieb, die Entdeckungen, die er auf seinen Touren macht und die Freude über gefundene Schätze sehr gut nachvollziehen.

Faszinierend ist, wie viel der so gefundenen Materialien in Geigers literarischen Werke eingeflossen ist und wie viel seinen Schreibprozess beeinflusst hat. Ein sehr spannender Ansatz für eine Autoren-Autobiographie, "...mehr eine Geschichte vom Durchhalten als vom Finden", mit vielen eindrücklichen Gedanken übers Schreiben an sich, Lesen, Bücher, Literatur und alles, was sich so auf Papier festhalten lässt und Aussagen über Menschen und Gesellschaft trägt.

Nebenbei ist "Ein glückliches Geheimnis" ein Buch mit unglaublich vielfältig zitierbaren Sätzen, treffenden Beobachtungen und wohlformulierten, klugen Gedanken.

Bewertung vom 28.03.2023
Superpflanzen
Schwarzer, Elke

Superpflanzen


ausgezeichnet

Sympathische Superhelden für jeden Gartennotfall

Elke Schwarzers Buch Superpflanzen versammelt eine ganze Menge Pflanzenvorschläge für die verschiedensten Gartenstandorte, an denen andere Pflanzen schlappmachen, und die vielem was Wetter, Klima, Boden und Schädlinge ihnen entgegenwerfen könn(t)en, standhalten.

Dabei sind die Pflanzen allesamt so sympathisch und humorvoll charakterisiert, in ihren Eigenheiten und eventuellen Ansprüchen, dass man sie wirklich gerne persönlich im Garten kennen lernen möchte. Dazu kommen die wirklich traumhaft schönen Fotos der Pflanzen bzw. Blüten. Hier hätte ich mir lediglich für eine bessere Identifikation und ein umfassenders Gesamtbild auch eine Ansicht der ganzen Pflanze gewünscht, was aber den Seitensteckbrief gesprengt hätte.

So ist jeweils auf einer Seite das Wichtigste über eine Pflanze festgehalten, so dass man einen guten Ausgangspunkt hat, um sich selbst mehr Informationen zu beschaffen. Vor allem die Sortenempfehlungen in Kombination mit den Informationen zu Bezugsquellen am Ende des Buches sind da sehr hilfreich.

Ein Gartenbuch, das gleichzeitig sehr informativ ist, und so unterhaltsam, dass man gleich Lust bekommt, das eine oder andere Plätzchen für Neuzugänge im Garten zu suchen. Auch wenn ich viele der Pflanzen schon bei mir habe, also auf einem guten Weg zu einem möglichst klimafesten Garten bin, konnte ich doch auch bei bekannten Pflanzen noch einiges Neues erfahren, und natürlich neue Pflanzenhelden entdecken.

Ich hätte mir noch ein paar mehr Nutzpflanzen erhofft, häufig sind es ja dann Obst- und Gemüsepflanzen, die nicht so heldenhaft mit Widrigkeiten umgehen können - Vielleicht gibt es darüber ja das nächste Buch? Bis dahin hoffe ich darauf, dass mit den gepflanzten Schattenspendern und Windbrechern auch für andere Nachbarn im Garten das Mikroklima positiv beeinflusst wird. Zum Retten und Beschützen sind Superhelden ja schließlich da!

Bewertung vom 23.03.2023
Kleine und große Wunder der Natur
Dawnay, Gabby

Kleine und große Wunder der Natur


ausgezeichnet

So schön!

Was für ein wunderhübsches Buch, schon von außen mit dem leinenartigen Einband und den glänzenden kupfernen Elementen. "Vorlesegeschichten mit ganz viel Sachwissen" für Kindergartenkinder, bei denen auch die Erwachsenen schwärmen, weil die Illustrationen so wunderschön gelungen und niedlich sind, und die Sprache so poetisch ist.

Die Altersempfehlung ist ab 4 Jahren, in dem Alter verstehen die Zuhörer sicher auch die Erklärungen und Zusammenhänge, aber auch jüngere Kinder hören bestimmt gerne zu und lassen die Bilder, auf denen es viel zu entdecken gibt, auf sich wirken.
Die Geschichten und Illustrationen wirken sehr sanft und träumerisch, eignen sich daher sehr gut zum Runterkommen, Einschlafen oder für eine kurze Entspannung und Achtsamkeitsübung zwischendurch.

Die Themenzusammenstellung ist sehr schön gewählt, neun verschiedene kleine und große Wunder der Natur gibt es in den Geschichten zu entdecken. Auf die Geschichten folgt jeweils noch eine etwas wissenschaftlichere, erklärende Zusammenfassung zum Thema. Der Informationsgehalt anderer Kinderbuchreihen zur Wissenvermittlung mag größer sein, aber Neugier, Beobachten und Staunen stehen hier im Vordergrund, und der Respekt und die Bewunderung der Welt, die uns umgibt.

Bewertung vom 21.03.2023
Die letzte Erzählerin
Barba Higuera, Donna

Die letzte Erzählerin


sehr gut

Geschichten bewahren Erinnerungen

In diesem wunderschön gestalteten Buch beschreibt Donna Barba Higuera eine faszinierende und erschreckende Zukunfts- und Gesellschaftsvision: Wenn man sämtliche Unterschiede zwischen den Menschen beseitigt, verhindert man vielleicht die Notwendigkeit von Konflikten, Kriegen und Not, aber man hat ihnen auch alles genommen, was ihre Menschlichkeit ausmacht.
Ein Kollektiv mit streng regulierten Gefühlen, keiner Individualität, keiner Familie, keiner Kultur, keiner Identität... Menschen ohne Geschichten, die keine Vergangenheit und keine Zukunft haben.
Eine spannende Mischung aus dystopischer Science Fiction und mexikanischer Folklore, emotional geschrieben und philosophisch sehr zum Nachdenken anregend!

Die Altersempfehlung ab 11 Jahren würde ich allerdings so nicht uneingeschränkt unterschreiben, das Buch ist in seinen Themen und auch in der Handlung doch recht komplex und anspruchsvoll. Meine 12-jährige, sehr gute Leserin jedenfalls hat etwa das erste Drittel gelesen und war dann doch etwas überfordert, so dass sie erst einmal nicht mehr weiterlesen wollte. Im Bereich ab Jugendbuch und YA dürften Buch und Lesende deutlich besser zusammenpassen.

Bewertung vom 18.03.2023
Keine gute Geschichte
Roy, Lisa

Keine gute Geschichte


sehr gut

Kaputt

Eine gute Geschichte ist es tatsächlich nicht, will es gar nicht sein, kann es gar nicht sein, bei all den kaputten Menschen, die sie enthält.
Ein Stadtviertel wie eine Depression, dem Arielle geglaubt hat entkommen zu sein, und das ihr doch, genau wie die Depression, in ihr neues, eigentlich perfekt seinsollendes Leben gefolgt ist.
Ein Stadtteil als Parallelwelt von verschwundenen Müttern, verschwundenen Mädchen, Armut, Chancenlosigkeit und Disfunktionalität, die von Generation zu Generation zu Generation immer weitergegeben werden.

Arielle ist keine sympathische Protagonistin, und es ist unangenehm und schmerzhaft, aus ihrer Perspektive zu erleben, sowohl die Depressionserfahrungen als auch die Rückkehr in ihre Vergangenheit, die genauso aussieht wie die Gegenwart.
Und doch gibt es in den Menschen, die sie wieder an sich heran lässt, Lichtblicke und Hoffnungsschimmer, zwei Worte, die zu dieser Welt kein bisschen passen, die aber doch, wie die bunten Buchstaben auf dem Cover, durch das Grau hindurchdringen.

Keine gute Geschichte, aber eine starke, knallharte, schmerzhaft ehrliche Geschichte, die man eigentlich nicht hören möchte, aber vor der man sich doch gefesselt nicht verschließen kann.

Bewertung vom 16.03.2023
Willodeen - Das Mädchen und der Wald der verschwundenen Tiere
Applegate, Katherine

Willodeen - Das Mädchen und der Wald der verschwundenen Tiere


sehr gut

"Die Natur weiß mehr als wir"

"Die Welt ist alt, und wir sind es nicht, das darf man nie vergessen." Eine wichtige Botschaft, besonders für Kinder, die ja noch länger auf der Welt sein werden als diejenigen, die jetzt erwachsen sind.
Alle Lebewesen sind für das Gleichgewicht der Natur wichtig, auch die vermeintlich hässlichen, und kein Lebewesen darf sich das Recht herausnehmen, darüber zu entscheiden, ob ein anderes leben darf. Diese doch recht ernste Thematik ist altersentsprechend sehr gut gelungen, eindrücklich, aber nicht verstörend erzählt.
Die Geschichte ist sehr schön geschrieben, mit sehr gut verständlichen Beschreibungen und einer wunderbar poetischen Sprache, die beim Lesen Bilder einer Welt entstehen lassen, in der es noch Magisches gibt. Besonders bei den Kapiteln aus der Sicht des Kreischers empfindet man tiefes Verständnis und Empathie für diese Wesen.

Das Cover mit dem Kreischer-Gesicht, das man erst auf den zweiten Blick wahrnimmt, dann aber nicht mehr übersehen kann, ist super gestaltet. Das Summbärchen ist fast schon zu niedlich dargestellt, was im Rahmen der Geschichte natürlich Sinn ergibt, es könnte aber von der Zielgruppe (ab 10) schon als zu kindlich empfunden werden.

Für Kinder, die nun einmal in einer von Erwachsenen bestimmten Welt groß werden, und sich demgegenüber machtlos, ungehört und unbedeutend fühlen, ist Willodeen eine tolle, starke Figur:
"Hör nicht auf, wütend zu sein, Willodeen. Es ist ein Teil, der zu dir gehört. Du siehst die Welt anders. Du machst dir Gedanken. Das ist ein Geschenk."

Bewertung vom 14.03.2023
Wolfskinder
Buck, Vera

Wolfskinder


sehr gut

"Immer brav schweigen, wenn man überleben will"

Eine scheinbar idyllische Bergwelt, in der doch immer wieder junge Frauen verschwinden, eine religiös abgeschottete, unzugängliche Siedlung auf einem Berg, fernab von Zivilisation und Modernität, die aus der Zeit gefallen scheint - ideale Voraussetzungen für das Setting dieses Thrillers.

Die Handlung wird aus der Sicht verschiedener Akteure erzählt, wodurch das Leben in Jakobsleiter als auch das in der "echten Welt", und die Bilder und Meinungen, die beide jeweils voneinander haben, sehr eindrücklich zu erleben sind.
Zu Anfang wirken vor allem die Polizei- und Pressecharaktere eher karikiert, aber im Laufe der Geschichte werden die Figuren realistischer. Vor allem die Kinder aus Jakobsleiter sind beeindruckend charakterisiert, besonders Edith, deren anerzogene Sicht auf die Welt eine tief verstörende Wirkung hat.

Die Dramaturgie der Handlung ist absolut geschickt und kunstvoll aufgebaut. Während man sich anfänglich durch die verschiedenen Charaktere und die Logistik des Settings erst einmal in die Geschichte hineinfinden muss, wird sie dann zunehmend spannender und schneller, packt den/die Lesende/n und lässt nicht mehr los.