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SimoneF

Bewertungen

Insgesamt 542 Bewertungen
Bewertung vom 12.05.2025
Vuong, Ocean

Auf Erden sind wir kurz grandios (MP3-Download)


gut

Da Ocean Vuongs Debütroman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ von vielen Kritikern sehr gelobt wurde, war ich neugierig auf das Hörbuch.
„Little Dog“, der als kleines Kind mit Mutter und Großmutter von Vietnam in die USA kam, schreibt diesen Roman als Brief an seine Mutter, die ihn nie lesen wird, da sie weder des Lesens noch Schreiben mächtig ist. Hierbei erzählt der Sohn nicht stringent, sondern mäandert ständig hin und her zwischen der Geschichte seiner Großmutter, die während des Vietnamkrieges ein Kind von einem amerikanischen Soldaten bekam, dem Leben seiner Mutter, die sich in einem Nagelstudio abarbeitet, die ihren Sohn liebt und dennoch immer wieder schlägt, und seinem eigenen Aufwachsen in Amerika.
Gewalt ist in diesem Roman immer wieder ein großes Thema, ebenso die ersten gleichgeschlechtlichen Erfahrungen, die der junge Mann mit Trevor macht. Vieles ist so explizit und direkt beschrieben, dass ich das nicht unbedingt hätte lesen müssen. Andere Szenen wiederum sind in wunderschöner, poetischer Sprache verfasst, und man spürt den Lyriker Vuong hinter diesem Roman. Manchmal allerdings wirkt der Sprachstil auf mich zu gekünstelt und verhindert zusammen mit der sprunghaften Erzählweise, dass ich mich richtig auf die Geschichte und die Charaktere einlassen kann und von ihnen berührt werde. So bleiben sie mir leider bis zum Schluss fremd.
Da der Roman keinem roten Handlungsfaden folgt, empfand ich es als sehr anstrengend, dem Hörbuch zu folgen, und ich glaube, dass es mir wesentlich leichter gefallen wäre, das Buch selbst zu lesen. Ich würde das Hörbuch daher vor allem denjenigen empfehlen, die mit Vuongs Schreibstil schon vertraut sind oder das Buch bereits kennen und es gerne noch einmal hören würden. Der Sprecher Julian Horeyseck macht seine Sache jedenfalls hervorragend, er trifft genau den richtigen Ton und liest mit angenehmer und dennoch eindringlicher Stimme.

Bewertung vom 08.05.2025
Peters, Amanda

Beeren pflücken


sehr gut

Die Geschichte spielt in der Grenzregion zwischen den USA und Kanada. In den frühen 60er Jahren kommt eine indigene siebenköpfige Familie wie jedes Jahr nach Maine, um Beeren zu pflücken. Eines Tages verschwindet in der Mittagspause die vierjährige Ruthie. Die intensive Suche der Familie nach ihr bleibt vergebens, und ihr Fehlen verursacht Wunden, die niemals heilen. Insbesondere ihr Bruder Joe, zwei Jahre älter, der sie als Letzter sah, kommt nie darüber hinweg.

Das Buch erzählt die Geschichte aus zwei Perspektiven, die sich kapitelweise abwechseln. Joe blickt am Ende seines Lebens zurück, und anhand seiner Erinnerungen wird nachvollziehbar, wie einzelne Ereignisse die Weichen stellen können für ein ganzes Leben. Sie zeigen aber auch, dass seine Geschwister und Eltern ihre eigenen Wege gefunden haben, um mit Trauer und Verlust umzugehen.
Die andere Perspektive ist die von Norma, einer Frau, die zeitlebens spürt, dass irgendetwas nicht stimmt. Ihre wiederkehrenden Träume fühlen sich real an wie Erinnerungen, und das Verhalten ihrer Eltern ist mehr als seltsam.

Durch die gewählte Erzählweise und den Inhalt des Prologs ist bereits von Anfang an relativ klar, was mit Ruthie passiert ist, und auch, wie die Geschichte wohl ausgehen wird. Spannung kommt daher beim Lesen keine auf. Der sehr ruhig und einfühlsam erzählte Roman legt den Fokus eher auf andere Aspekte: Was macht der Verlust eines Familienmitgliedes mit dem Leben der anderen, wie stark sind familiäre Bande, selbst wenn man nichts von dieser Familie weiß? Und wie geht eine andere Familie mit einem ungeheuerlichen Geheimnis um? Auch die Diskriminierung, der Indigene ausgesetzt waren klingt immer wieder an, wenn auch eher am Rande. So zeigt die US-Polizei im Maine kein Interesse, nach Ruthie zu suchen, und auch die kanadischen Residential Schools, in denen die Kinder der First Nations zwangsweise untergebracht wurden, werden erwähnt.

Insbesondere der Erzählstrang um Joe hat mich sehr berührt, und ich konnte seine Verlorenheit, seine Rastlosigkeit und seine Wut beim Lesen spüren. Bei Norma war ich hin- und hergerissen. Es gab bereits früh Hinweise, die sie hätten stutzig machen können, denen sie aber nicht weiter nachgegangen ist. Das ist auf den ersten Blick seltsam, aber aus eigener Erfahrung im familiären Umfeld weiß ich, dass diese Reaktion durchaus nicht ungewöhnlich ist. Weniger greifbar war für mich die Gleichmut, mit der Norma später alles hinnimmt. Ich hätte mit Wut, mit Verzweiflung, mit massiven Vorwürfen gerechnet. Normas Reaktion erschien mir wenig glaubhaft.

Angesichts des enormen Erfolgs ins Kanada, mit dem auch hier das Buch beworben wurde, hatte ich mir noch etwas mehr erwartet. Dennoch habe ich „Beeren pflücken“ sehr gerne gelesen.

Bewertung vom 05.05.2025
Funke, Cornelia

Die Farbe der Rache / Tintenwelt Bd.4 (eBook, ePUB)


gut

Ich habe die Tintenwelt-Trilogie zwar erst als Erwachsene entdeckt, aber sie hat mich richtig begeistert. Als ich erfuhr, dass diese um einen Band erweitert wird, der 5 Jahre nach dem Ende von Tintentod spielt, war ich gleichermaßen erstaunt wie skeptisch. Wird es gelingen, die ursprüngliche Trilogie zu erweitern und dabei die Qualität zu halten? Nachdem ich den 4. Band gelesen habe, muss ich für mich leider sagen: Nein, es ist nicht gelungen.
Nicht nur der Titel, der merkwürdigerweise vom Schema der Trilogietitel abweicht, wirkte auf mich wie ein Fremdkörper, auch mit der Geschichte wurde ich nicht so warm wie erhofft. Ich hatte mich sehr auf ein ausführliches Wiedersehen mit Meggie, Mo und Co gefreut, doch diese spielen hier nur eine Nebenrolle. Die Hauptcharaktere sind Staubfinger, der Schwarze Prinz und weitere Nebenfiguren der Vorgängerbände. Leider blieben diese teilweise recht oberflächlich und erreichten nicht die Tiefe und Ambivalenz der Charaktere aus der Trilogie. Was Gewalt anbelangt, empfand ich Tintentod schon als recht heftig, und „Die Farbe der Rache“ setzt hier noch eins drauf. Das war mir stellenweise zu viel, gerade auch für ein Jugendbuch.
Während ich bei den ersten Bänden regelrecht durch die Seiten geflogen bin und die Bücher kaum aus der Hand legen konnte, weil die Geschichte so spannend war, fehlte mir diese Spannung hier und ich empfand das Buch über weite Strecken als langatmig. Stellenweise wirkte es, als hätte man die Geschichte krampfhaft in die Länge gezogen.
Insgesamt muss ich sagen, dass es besser gewesen wäre, die Tintenwelt als Trilogie zu belassen.

Bewertung vom 05.05.2025
Merz, Lena;Schäflein, Annina

SOS Familienküche


sehr gut

Wie in vielen Familien ist auch bei uns oft die Zeit knapp, und möglichst schnell soll ein warmes Essen auf den Tisch, das nicht nur abwechslungsreich und gesund ist, sondern auch noch allen schmeckt. SOS Familienküche hat mich also sofort neugierig gemacht.
Das Buch beginnt mit einigen Tipps zur effizienten Familienküche, die mir allerdings großteils schon bekannt waren. Hier wird auch klar, dass die Autorinnen keine Berührungsängste haben, Fertigteige, Würzpasten, Mischungen für Bratlinge, Tiefkühlgemüse, Fertigsaucen oder sogar fertig gegarten Reis aus dem Supermarkt zu integrieren. Für ganz schnelle Küche sicher praktisch, für Puristen eher nicht geeignet. Ich muss auch sagen, dass ich selbst keine Fertigprodukte nutze, da mir da einfach zu viele Zusatzstoffe drin sind. Natürlich kann auch jede und jeder eigene Teige für die Rezepte nutzen, aber dann dauert die Zubereitung eben entsprechend länger und der SOS-Charakter passt dann nur noch bedingt. Apropos Zubereitungszeit: Mit den angegebenen Zeiten bin ich teilweise nicht ausgekommen, zum Teil habe ich fast doppelt so lange gebraucht, obwohl ich schon lange koche.
Das Buch beginnt mit den gerade dem Zeitgeist entsprechenden One-Pot-Gerichten, die auf mich manchmal etwa bemüht wirken, wie zB die One-Sheet-Pasta mit Hackfleischbällchen, die komplett auf einem Backblech zubereitet wird. Nudeln auf einem Blech gar zu bekommen, wäre mir doch zu umständlich, da spüle ich im Anschluss lieber einen zusätzlichen Topf.
Es waren einige Gerichte dabei, die in unserer Familie nicht so gut ankommen würden, zB Gerichte mit Shrimps, Kabeljau, Tofu oder asiatisch angehaucht, das trifft einfach nicht unseren Geschmack. Andere empfand ich als so einfach, dass ich dafür kein Kochbuch bräuchte, etwa eine Suppe, die im Wesentlichen aus TK-Gemüse und Buchstabennudeln bestand. Sehr lecker fanden wir den Schupfnudelauflauf mit Rosenkohl, den Flammkuchentoast und die Grillgemüsepfanne mit Halloumi. Auch das Kräuter-Parmesan-Schnitzel mit selbst gemachten Süßkartoffelpommes wird es sicher wieder geben. Unser Liebling ist das Zupfbrot a la Pizza Salami, benötigt allerdings selbst mit Fertigteig mindestens eine Stunde. Wir haben den Hefeteig selbst gemacht, damit ist es für die schnelle Küche schon nicht mehr geeignet.
Sehr gut gefallen haben mir die Topping-Ideen, mit denen man manches Gericht aufpeppen oder ihm einen leckeren Crunch verleihen kann. Auch die Einbindung von veganen Hackalternativen wie Sojaschnetzel oder Sonnenblumenhack finde ich sehr positiv.
Insgesamt würde ich das Buch all jenen empfehlen, die kein Problem damit haben, auch mal ein Convenience-Produkt in die Mahlzeit zu integrieren und Abwechslung für den Familientisch suchen.

Bewertung vom 05.05.2025
El-Bahay, Akram

Ein Weg aus Tinte und Magie / Die Buchreisenden Bd.1


gut

Einmal in das eigene Lieblingsbuch zu reisen – diese Möglichkeit klingt sehr verlockend, und die Libronauten machen diesen Wunsch für zahlungskräftige Kundschaft wahr. Dabei wird der Reisende von Libronauten begleitet , die die Fähigkeit haben, allein durch ihre Stimme sich und den Gast in die Geschichte hineinzulesen. Einer von diesen ist der junge Adam. Als eines Abends eine gefährliche Reise in ein düsteres Werk ansteht, weicht der Kunde von den vereinbarten Regeln ab und entwischt Adam. Dieser macht sich auf die Suche und findet den Gast vor einer geheimnisvollen Tür, die mitten im Wald steht…
Die Geschichte beginnt spannend und das erste Drittel fliegt beim Lesen nur so dahin. Adam entwischen kurz hintereinander zwei seiner Kunden, und er entdeckt hierdurch in den Geschichten Ungereimtheiten, die dort ursprünglich nichts zu suchen haben. Bald kommt Adam weiteren mysteriösen Vorgängen auf die Spur, und er muss sich fragen, wem er noch vertrauen kann. Leider flachte für mich danach die Geschichte zunehmend ab, und mir fehlte ein durchgehender roter Faden. Immer wieder riskieren die Protagonisten viel, um etwa einen bestimmten Gegenstand in ihren Besitz zu bringen, fangen danach jedoch erstaunlich wenig damit an. Adam wurde mir immer unsympathischer, und die Motivation für sein Handeln war für mich nicht glaubhaft. Teilweise wirkte er auf mich ziemlich kindisch und wenig intelligent. Ich konnte zu keiner Person eine Bindung aufbauen und merkte, dass mich der Fortgang der Handlung immer weniger interessierte. Hier spielte sicher auch eine Rolle, dass ich die Bücher, in die gereist wurde, nicht besonders mochte, wie etwa Alice im Wunderland. Auch blieben mir bis zum Ende dieses ersten Teils der Dilogie zu viele Fragen offen. Dass sich die meisten Rätsel erst in einem zweiten Band lösen, ist ja meist so, bei den Buchreisenden habe ich am Ende des ersten Teils allerdings das Gefühl, überhaupt keine Antworten bekommen zu haben.
Insgesamt habe ich mir von „Die Buchreisenden“ mehr erwartet, und ich werde den zweiten Band wohl nicht mehr lesen.

Bewertung vom 27.04.2025
Labba, Elin Anna

Das Echo der Sommer


sehr gut

Seit ich letztes Jahr von Ann-Helen Laestadius „Zeiten im Sommerlicht“ gelesen habe, interessiere ich mich für die Geschichte der Samen. Diese wurden über Jahrhunderte systematisch diskriminiert, und die Samen kämpfen zum Teil bis heute um Anerkennung und den Erhalt ihres Lebensraumes.

„Das Echo der Sommer“ thematisiert die rücksichtslose Flutung samischer Dörfer in Schweden, um den steigenden Energiebedarf des Landes durch Wasserkraft zu decken. Immer wieder werden zwischen 1923 und 1972 Staudämme errichtet und erhöht. Die Auswirkungen auf die Samen sind massiv: Weidegrund für die Rentiere verschwindet, der Fischfang als Lebensgrundlage gerät in Gefahr, da sich die Gewässer verändern, und die Dörfer mit den traditionellen Koten versinken im gestauten Wasser. Entschädigungen gibt es keine bzw. erst ab 1972, und diese sind minimal.
Bei der Lektüre dieses Buches bin ich durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen. Es hat mich richtig wütend gemacht zu lesen, wie herablassend und respektlos die Samen behandelt wurden. Entscheidungen würden über ihre Köpfe getroffen, und sie hatten (als gesamtes Dorf) sogar einen gesetzlichen Vormund, der ihre Interessen „vertrat“. Jeglicher Fortschritt wurde ihnen verwehrt, insbesondere auch der Anschluss an das Elektrizitätsnetz, für das sie so viel opfern mussten. Auch wurde ihnen untersagt, in rechteckigen Häusern zu wohnen, sogar Fenster waren verboten. Das ist aus heutiger Sicht unfassbar, massiv diskriminierend und widerspricht jeglichem Gerechtigkeitsempfinden.

Gleichzeitig war ich sprachlos, wie gelassen und geradezu demütig die Samen diese Behandlung hinnahmen und als gottgegeben akzeptierten. Wer protestierte und sich zur Wehr setzte, wurde zum Außenseiter bzw. zur Außenseiterin in der Gemeinschaft. Es fiel mir daher schwer, mich in die Protagonistinnen hineinzuversetzen, da mir diese Ergebenheit völlig fremd ist. Gerade Inga, die junge Tochter, hätte ich manchmal am liebsten wachgerüttelt: Wo bleibt ihr Kampfgeist? Was ist mit ihrer Lebensplanung? Warum organisiert man sich nicht strategisch über die Dörfer hinweg zu einem großen konzertierten Protest, macht international auf sich aufmerksam? (Zumindest in den späteren Jahren, bei den Flutungen in den 1940ern war durch den Zweiten Weltkrieg der Fokus der Allgemeinheit auf den Krieg gerichtet). Aber vermutlich ist meine Denkweise viel zu modern geprägt und setzt auch ein gewisses Maß an Bildung und Rechtswissen voraus, das den Samen ebenfalls verwehrt wurde. Der innere Widerstand ihrer Mutter Ravdna war für mich viel besser verständlich, aber auch bei ihr habe ich einen echten Plan, eine Strategie, vermisst.

Elin Anna Labba schreibt in einer sehr poetischen Sprache, Schilderungen der Natur nehmen großen Raum ein und in jedem Satz ist die tiefe Verbundenheit zwischen den Samen und der Natur, ihrer Demut gegenüber der Schöpfung spürbar. Ich muss gestehen, dass mir das manchmal zu viel wurde und ich lieber in einer etwas nüchterneren Sprache mehr über die Flutungen, die weiteren Lebensumstände und die rechtliche Situation der Samen in Schweden erfahren hätte. Das Buch fokussiert vor allem auf die Wahrnehmungen und Empfindungen von Ravdna und Inga, selbst ihr Alltag als Samen bleibt relativ vage.

Der Text ist immer wieder durchsetzt von samischen Sätzen und Begriffen. Hier hätte ich mir ein Glossar am Ende des Buches mit Erklärungen gewünscht.

Fazit: Ein sehr aufwühlendes Buch, das die Diskriminierung der Samen im 20. Jahrhundert thematisiert und den Samen eine Stimme gibt. Insbesondere für alle, die ein Faible für poetische Sprache haben, ein sehr lesenswertes Buch.

Bewertung vom 21.04.2025
Swanberg, Johanna

Sommer ohne Plan


weniger gut

Cassi befindet sich in einer privaten Krise, hat ihren gutbezahlten Beruf als Restaurantmanagerin hingeworfen und alle Brücken hinter sich abgebrochen. Sie lebt in einer kleinen Kellerwohnung, weiß nichts mit sich und ihren Mitmenschen anzufangen, als sie durch Zufall auf eine Immobilienanzzeige für ein heruntergekommenes altes Haus auf dem Land aufmerksam wird. Kurzentschlossen kauft sie das Haus und zieht dort hin. Durch ein Missverständnis verbreitet sich im Dorf das Gerücht, dass Cassi eine Art Selbsthilfe-Guru ist und ihre Dienste in Sitzungen und Kursen anbietet. Nach der ersten Verwunderung erkennt Cassi die Möglichkeiten, die sich ihr dadurch bieten und spielt mit...

Ich hatte eine humorvolle, mit einem Augenzwinkern erzählte kurzweilige Geschichte erwartet. Leider haben sich meine Hoffnungen nicht erfüllt.  Cassi ist mir von Anfang an äußerst unsympathisch, sowohl was ihr altes, in Rückblenden beschriebenes Ich als Restaurantmanagerin angeht, als auch die neue Cassi im Dorf. War sie früher perfektionistisch, unerbittlich mit sich und anderen, wenig empathisch und bestimmend, so vegetiert sie jetzt ungewaschen vor sich hin, betrügt durch ihre angebliche Erfahrung als Selbsthilfecoach und zeigt noch immer wenig aufrichtiges Interesse an ihren Mitmenschen. Mit einer Ausnahme: Mit Pavel, einem alten Mann, der ihr handwerklich hilft, verbindet sie bald eine Freundschaft, in der Cassi auch selbstlos handeln kann.

Cassis Verhalten in Bezug auf ihrem vermeintlichen Esoterik-Kult und ihre ständiges Geschwafel auf Kalenderspruchniveau war mir selbst beim Lesen peinlich. Ich war eher verärgert als belustigt, und empfand die Geschichte nicht als humorvoll. Der versprochene Witz oder gar Situationskomik stellte sich für mich nicht ein, sondern eher Fremdscham für Cassi. Die Handlung war sehr schnell vorhersehbar, und ich war einfach nur erleichtert, als ich das Buch beendet hatte. Meinen Geschmack hat es leider überhaupt nicht getroffen, und auch das sprachliche und erzählerische Niveau empfand ich als sehr durchschnittlich.  Daher leider nur 2 Sterne.

Bewertung vom 18.04.2025
Ruban, Paul

Der Duft des Wals


sehr gut

Hugo, seine Frau Judith und die ca. zehnjährige Tochter Ava verbringen ihre Ferien in einem mexikanischen 5-Sterne-Ressort am Meer – ein letzter Versuch, um die kriselnde Ehe zu retten. Céleste, die Stewardness, verbindet ihren Flug mit einem anschließenden Urlaub im selben Hotel. Der erhoffte Traumurlaub wird empfindlich gestört, als eines Nachts ein Wal strandet und aufgrund der Fäulnisgase im Inneren explodiert. Der Gestank, der sich über die gesamte Hotelanlage ausbreitet, ist übelkeitserregend und penetrant. Das Hotelpersonal müht sich erfolglos, den Geruch zu übertünchen. Zwei der Angestellten sind der Fahrer Waldemar und das Zimmermädchen Belén.

Hugo, Judith, Ava, Céleste, Waldemar und Belén erzählen die Geschichte abwechselnd aus ihrer Perspektive. Jede und jeder trägt sein Päckchen mit sich herum und reagiert unterschiedlich auf die Lage. Insbesondere die Blickwinkel der drei Familienmitglieder fand ich sehr interessant, da sie zeigen, wie jede:r von ihnen die eigene familiäre Situation beurteilt und mit den Gegebenheiten umgeht. Die Charaktere sind teilweise sehr skurril, insbesondere die tiefgläubige, sich selbst geißelnde Céleste und Ava, die ständig alles mit ihrem Etch A Sketch zeichnet und durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist.

Was ich etwas schade fand ist, dass sich die einzelnen Erzählperspektiven kaum in ihrem Sprachduktus unterscheiden. Das hätte die Charaktere für mich noch greifbarer gemacht. Bei Ava passt der sehr erwachsene, abgeklärte Ton meines Erachtens auch nicht so gut zu einer Zehnjährigen.
Insgesamt sind Handlung und Figuren sehr skurril, mit abgründigem Humor, und ich habe viel darüber nachgedacht, was mir der Autor damit sagen möchte. Manches bleibt mir unklar, an anderen Stellen lässt sich relativ leicht Gesellschaftskritik herauslesen. Auch der achtlose Umgang mit der Natur, ihre Ausbeutung und Zerstörung werden thematisiert – und die Folgen werden von den Menschen so lange ignoriert und symptomatisch behandelt, bis die Natur eines Tages zurückschlagen wird.

Bewertung vom 18.04.2025
Sampson, Freya

Ms Darling und ihre Nachbarn


ausgezeichnet

Dorothy Darling lebt seit 34 Jahren in Shelley House, einem historischen Mietshaus, das inzwischen ziemlich in die Jahre gekommen ist und seinen Glanz eingebüßt hat. Dorothy jedoch hängt an diesem Haus und fühlt sich dafür verantwortlich, dass alles ordnungsgemäß abläuft. Regelmäßige Kontrollgänge, Beschwerdebriefe an den Vermieter und die genaue Beobachtung der Nachbarn und ihrer etwaigen Regelverstöße gehören daher zu Dorothys Tagesroutine – ihrem wachsamen Blick entgeht nichts. Eines Tages zieht Kat, eine junge Frau mit pinken Haaren, als Untermieterin bei ihrem Nachbarn Joseph und dessen Hund Reggie ein, sehr zu Dorothys Missfallen. Doch es kommt noch schlimmer: Alle sechs Parteien bekommen Post vom Vermieter: Das Haus ist zu räumen, es muss einem Neubau weichen und wird abgerissen. Während Dorothy den Brief konsequent ignoriert, geht Joseph auf die Straße und demonstriert. Bis er eines Tages bewusstlos in der Wohnung liegt. Die Spekulationen sprießen: Was ist passiert? War es ein Unfall oder wurde nachgeholfen? Wie geht es nun weiter? Und wer kümmert sich um Reggie? Kat und Dorothy müssen wohl oder übel zusammenarbeiten, auch wenn jede ihre eigenen Interessen verfolgt.

Die meisten, die schon mal zur Miete in einem Wohnblock gelebt haben, dürften jemanden kennen, der ähnlich wie Dorothy über die Einhaltung der Hausordnung wacht und das Verhalten seiner Nachbarn beobachtet. Mir kam jedenfalls auf Anhieb eine frühere Nachbarin in den Sinn, deren Bild ich beim Lesen vor Augen hatte und die uns junge Leute damals ins Visier nahm.

Zu Beginn scheinen die Nachbarn in Shelley House bis auf die Anschrift nichts gemeinsam zu haben, und so kocht jeder sein eigenes Süppchen. Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto besser lernt man die einzelnen Charaktere kennen, ihre Ängste, ihre Vergangenheit und die Gründe, warum sie so sind, wie sie sind. Man sieht sie in einem anderen, neuen Licht und entwickelt ein Verständnis für ihr Handeln. Das gilt auch für die Hausgemeinschaft untereinander. Mir hat das sehr gut gefallen und auch zu denken gegeben.

Für mich ist „Ms Darling und ihre Nachbarn“ ein wunderbarer Wohlfühlroman, der auch nachdenkliche, humorvolle und spannende Elemente enthält. Ich empfehle ihn auf jeden Fall sehr gerne weiter!

Bewertung vom 18.04.2025
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

Mitten in einem Naturreservat in den Adirondack Mountains befindet sich ein Feriencamp, das alljährlich für zwei Sommermonate Jugendliche beherbergt. Im Sommer 1975 ist auch Barbara van Laar, die dreizehnjährige Tochter der Besitzer dabei. Gegen Ende des Camps verschwindet sie plötzlich spurlos, und eine großangelegte Suche beginnt. Barbaras Familie hat einen Sommersitz auf dem weitläufigen Grundstück, und 14 Jahre zuvor ist bereits Barbars kleiner Bruder Bear plötzlich verschwunden und nie wieder aufgetaucht...

Diese Geschichte hat auf mich von der ersten Seite an einen Sog entwickelt. Sie wird abwechselnd aus der Sicht unterschiedlicher Personen erzählt - u.a.  einem Mädchen aus dem Sommercamp, einer Betreuerin, einer Polizistin,  Barbaras Mutter und einem Feuerwehrmann, und springt dabei zwischen verschiedenen Zeitpunkten in den 1950er Jahren, 1961, 1963 und 1975 hin und her. Diese Art des Erzählens, wenn sich durch Rückblenden und Perspektivwechsel nach und nach die Puzzleteile zu einem Ganzen zusammensetzen, mag ich besonders gerne, da man hierdurch die einzelnen Charaktere aus mehreren Blickwinkeln kennenlernt. Es ist beeindruckend, dass es der Autorin Liz Moore gelingt, trotz dieser Sprünge ein angenehm zu lesendes Werk zu schaffen, bei dem man als Leserin jederzeit den Überblick behält.

"Der Gott des Waldes" ist kein klassischer Thriller, sondern eher ein raffiniert konstruierter literarischer Kriminalroman, der neben der Lösung des Falles den Blick auch auf gesellschaftliche Themen richtet. So wirft die Geschichte auch einen Blick auf die traditionellen Rollenmuster und deren allmählichen Wandel im Laufe der Jahre, auf Vorurteile gegenüber weiblichen Kriminalbeamtinnen noch in den 70er Jahren und auf die Macht, die Reichtum und Status verleihen.

Ein sehr spannender und gesellschaftskritischer Roman, den ich definitiv weiterempfehlen möchte!