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SimoneF

Bewertungen

Insgesamt 318 Bewertungen
Bewertung vom 12.03.2024
Morden in der Menopause
Dreyer, Tine

Morden in der Menopause


gut

Anhand des Klappentextes hatte ich mir eine humorvollen Roman a la "Achtsam morden" von Karsten Dusse erhofft, der das Thema Menopause auf turbulente, augenzwinkerndene Weise mit einem Mordfall verbindet. Leider konnte "Morden in der Menopause" diese Erwartungen nicht ganz erfüllen. Die Geschichte ist durchaus unterhaltsam und kurzweilig, doch es fehlt mir an Esprit und Sprachwitz. Die Figuren einschließlich der Protagonistin wirkten auf mich unsympathisch und oberflächlich. Besondere Schwierigkeiten hatte ich mit Livs Schwiegereltern, deren Beschreibung, Verhalten und Sprachstil für mich nicht zu 90jährigen Personen passte. Livs Ehemann erschien als ein kleinlauter Feigling, der es nicht fertigbringt, seinen eigenen Vater mit dessen Spielsucht zu konfrontieren und stattdessen lieber jahrelang die Spielschulden bezahlt. Und Livs Moralempfinden ist recht .... flexibel. Auch der Kriminalfall selbst hatte seine Schwachstellen. So erscheint mir die Umstände der unter menopausalen Einflüssen begangenen Morde und die beschriebene Beseitigung der Opfer schon aufgrund der Statur von Opfer und Täterin sehr unlogisch. Der Schluss kommt dann etwas plötzlich und lässt für mich zu viele Fragen offen.

Insgesamt eine nette Unterhaltung für zwischendurch, aber leider nicht mehr.

Bewertung vom 12.03.2024
Das andere Tal
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal


sehr gut

Das Setting von "Das andere Tal" hat mich sofort neugierig gemacht. Ein Tal mit einem See und einer Stadt, eingefasst von einer Gebirgskette im Westen und einer Steppe im Osten, das sich in beiden Himmelsrichtungen wiederholt, wobei die Täler in Ostrichtung jeweils 20 Jahre versetzt in der Zukunft liegen, und in Westrichtung entsprechend jeweils 20 Jahre in der Vergangenheit. Besuche in einem Nachbartal sind nur in Trauerfall erlaubt, streng reglementiert und müssen von speziellen Gremien (Conseils) beider Täler genehmigt werden. Die Besucher dürfen sich nicht zu erkennen geben, nicht eingreifen und nur aus der Ferne beobachten.

Die Geschichte um die Ich-Erzählerin Odile besteht aus zwei Teilen. Im ersten ist Odile 16 Jahre alt und wird zufällig Zeugin eines Besuchs aus dem Osten, in dem sie die Eltern von Edme erkennt, einem Jungen, zu dem sie sich hingezogen fühlt. Hierdurch weiß sie, dass Edme bald sterben muss. Der 2.Teil spielt 20 Jahre später. Mehr möchte ich über den Inhalt nicht verraten.

Der Schreibstil ist flüssig zu lesen, und die Geschichte hat mich von Anfang an gepackt. Allerdings habe ich mich etwas über die Figurenzeichnung gewundert. Odile erschien mir seltsam unbeteiligt und emotional kühl, fast gleichgültig. Angesichts Edmes bevorstehenden Todes und ihrer ersten Verliebtheit hätte ich erwartet, dass sie stärker mit dem Schicksal hadert, Edme beschützen möchte und innere Konflikte um ihr Vorwissen eine größere Rolle spielen. Die anderen Figuren wirkten auf mich eher eindimensional und durchschaubar, es fehlten mir Ambivalenz und persönliche Entwicklungen. Generell empfand ich die Atmosphäre als auffällig kühl und empathiearm, was für einen Roman, in dem emotionale Belastung und starke Trauer angesichts eines Schicksalsschlags mit ausschlaggebend sind für eine Besuchserlaubnis in einem anderen Tal, beinahe paradox wirkt.

In welcher Zeit die Handlung spielt, bleibt unklar. Es gibt Strom und Autos, dennoch wirkt die Welt antiquiert, vieles bleibt vage. Telefone oder andere technische Errungenschaften werden nicht erwähnt, die Grenzbefestigung ist spartanisch, höhere Bildung und Universitäten scheint es nicht zu geben, wie Waren und Rohstoffe importiert werden, die im Tal nicht selbst hergestellt oder gewonnen werden, wird nicht erklärt. Die Täler scheinen sich diesbezüglich zu ähneln, Fortschritt ist nicht erkennbar.

Der promovierte Philosoph Howard bietet mit seinem Roman ein philosophisch höchst interessantes Gedankenspiel, das bemüht ist, die üblichen Widersprüche in Zeitreiseromanen zu vermeiden. Da mir Logik und Stringenz sehr wichtig sind, ist dies für mich ein großer Pluspunkt. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass Howard hier seiner Leserschaft noch deutlich mehr zutraut. So erfährt man nur oberflächlich von der Arbeit des Conseils und des Archivs, innere Strukturen bleiben unklar, und die Chance einer wirklich tiefgründigen Auseinandersetzung mit den Entscheidungskriterien für oder gegen eine Besuchspetition, der Abwägung von Nutzen und Risiken für den Einzelnen und die Gemeinschaft im Tal, die Ängste der Bevölkerung bei bevorstehenden Besuchen, bleibt ungenutzt. Auch sind die Folgen von Störungen, die durch Besucher aus einem Nachbartal hervorgerufen werden können, bei genauerem Hinsehen deutlich komplexer, als es im Buch zunächst den Anschein hat. Da ich nicht spoilern möchte, ist es schwierig zu beschreiben, worauf ich hinaus möchte. Nur so viel: Wenn ein Besuch aus dem Osten im Tal eine Störung verursacht, d.h. den Fortgang des Lebens in irgendeiner Weise beeinflusst, hat dies Auswirkungen auf die Existenz der Menschen in diesem und allen östlichen Tälern. Mit Voranschreiten der Zeit wird jedoch auch im ersten Tal westlich 20 Jahre später der Zeitpunkt erreicht, zu dem im Ausgangstal die Störung stattgefunden hat (und entsprechend 40/60/80... Jahre später in den noch weiter westlich gelegenen Tälern). Um Kontingenz zu erreichen, müsste nun ein Besuch aus dem Ausgangstal im Westtal dieselbe Störung hervorrufen. Doch was ist, wenn die damalige Störung im Ausgangstal gerade dazu führt, dass der Grund für den auslösenden Besuch nicht mehr gegeben ist, etwa weil der zugrundeliegende Trauerfall hierdurch vermieden wurde? Dass dies dem Autor natürlich bewusst ist, klingt ansatzweise an, als Odile in Teil 2 Zeugin eines Fluchtversuchs wird und Überlegungen über die Konsequenzen für sich anstellt. Leider arbeitet er dies nicht stärker aus. Wendet man diesen Gedanken konsequent im Nachhinein auf das Buch an, erscheint manches in einem anderen Licht.

Mich hat dieses Buch noch lange, nachdem ich es beendet hatte, sehr beschäftigt, insbesondere hinsichtlich der komplexen Zusammenhänge, die sich erst bei gründlichem Durchdenken offenbaren. Bezüglich der Bewertung bin ich hin- und hergerissen. Einerseits hat mich die Idee des Buches wirklich begeistert, dennoch bleibt das Gefühl zurück, dass hier das philosophische Potenzial des Gedankenexperiments nicht weit genug ausgeschöpft wurde.

Bewertung vom 10.03.2024
Der ehrliche Finder
Spit, Lize

Der ehrliche Finder


ausgezeichnet

Jimmy, dessen Vater als Versicherungsmakler Kundengelder veruntreut und sich aus dem Staub gemacht hat, und Tristan, der Flüchtlingsjunge aus dem Kosovo, haben sich angefreundet. Der Musterschüler Jimmy bringt Tristan Niederländisch bei, und Tristan holt Jimmy aus seiner Einsamkeit. Als Tristans Familie abgeschoben werden soll, entwickeln Tristan und seine Schwester einen waghalsigen Plan, in dem Jimmy eine entscheidene Rolle zukommt...

Es ist beeindruckend, wie Lize Spit die gegensätzlichen Welten und Wesenarten der beiden Kinder zeichnet. Beide Kinder haben, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise, Verluste erlebt. Jimmy ist noch sehr kindlich-naiv, flüchtet sich in Tagträume, seine Sammlung aus Flippos, die als Beigaben in Chipstüten enthalten sind, ist sein größter Schatz, und er beneidet Tristan um die Wärme seiner zehnköpfige Großfamilie. Tristan ist zwei Jahre älter und durch die Flucht früh erwachsen geworden. Die Traumata der Flucht sitzen tief bei ihm und seinen Geschwistern, das große Familienbett, das in Jimmys Augen eine heimelige Kuschel- und Spieloase ist, ist für Tristans Familie bittere Notwendigkeit gegen die Albträume und Ängste, die nachts die Familie heimsuchen.

Die Geschichte wird in personaler Form in der dritten Person aus der Perspektive von Jimmy erzählt. Auch wenn das Buch mit 128 Seiten recht dünn erscheint, gelingt es Lize Spit, mit wenigen Worten einen unglaublichen Sog zu entwickeln. Sie erzählt intensiv, lebendig, beklemmend, und man kann sich der Geschichte nicht entziehen.

Ein wirklich bemerkenswertes Buch, das nachdenklich macht und viele Möglichkeiten zur Diskussion bietet. Ich könnte es mir in der Mittelstufe sehr gut auch als Schullektüre vorstellen. Für mich war es das erste Buch von Lize Spit und es hat mich so sehr beeindruckt, dass ihre beiden ersten Romane auf jeden Fall auch noch lesen möchte.

Bewertung vom 10.03.2024
Der Stich der Biene
Murray, Paul

Der Stich der Biene


weniger gut

Angesichts der Lobeshymnen aus der Presse war ich sehr gespannt auf diesen Roman, und auch die Leseprobe klang vielversprechend. Leider wurde ich dennoch mit dem Buch nicht richtig warm.

Murray erzählt die Geschichte der Familie Barnes abwechselnd aus den Perspektiven von Vater Dickie, Mutter Imelda, Sohn PJ und Tochter Cass. Imeldas Kapitel sind komplett ohne Interpunktion verfasst, was den Lesefluss deutlich hemmt und mich zunehmend nervte. Aufgrund der Perspektivwechsel hatte ich die Hoffnung, mich gut in die einzelnen Charaktere einfühlen zu können, was merkwürdigerweise nicht der Fall war. Alle vier blieben mir fremd, und je weiter der Roman fortschritt, desto mehr spürte ich, dass mich ihre Geschichte nicht mehr berührte. Mit Cass konnte ich überhaupt nichts anfangen, ebenso wie mit Dickies Entwicklung zu einem skurillen Prepper. Ich empfand die 700 Seiten zunehmend als langatmig und spannungsarm, erst gegen Ende nahm die Handlung wieder etwas an Fahrt auf, um mich zum Schluss wieder enttäuscht zurückzulassen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Murrays Schreibstil seine Anhänger findet, ich gehöre jedoch nicht dazu. Die gesamte Grundstimmung ist düster und deprimierend, alles dreht sich um Alkohol, Sex, Gewalt und Einsamkeit, so dass die Geschichte schwer zu ertragend ist. Anders als Frank McCourt, der in Angela´s Ashes dem Elend einer katholischen Kindheit in Irland immer wieder mit trockenem Humor begegnet, oder Douglas Stuart, der in Young Mungo eine unglaublich schmerzhafte Kindheit in Glasgow schildert und dem Grauen sprachliche Eleganz und zarte, berührende Momente entgegensetzt, ist Murrays Stil auch sprachlich hart, stellenweise vulgär und stark sexuell aufgeladen. Dies trifft nicht meinen Geschmack. Interessante gesellschaftliche Themen wie Klimawandel wurden zwar angerissen, blieben jedoch eher oberflächlich. Insgesamt war ich erleichtert, als ich das Buch beendet hatte, da es leider meine Erwartungen nicht erfüllen konnte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.03.2024
How to train your dad. Eltern erziehen leicht gemacht
Paulsen, Gary

How to train your dad. Eltern erziehen leicht gemacht


gut

"How to train your dad" habe ich zusammen mit meinem 10jährigen Sohn gelesen. Wir haben uns über viele humorvolle Passagen köstlich amüsiert, insbesondere mein Sohn hat sich teilweise vor Lachen gekringelt. Es fällt auf, dass der Roman sprachlich sehr gehoben und mit vielen Fremdwörtern durchsetzt ist, die der angegebenen Altersklasse ab 10 Jahren nicht unbedingt geläufig sind (Diphthong, Sakrileg, extrudiert, Onfiltration, Linguistik....).

Die Idee, einen Ratgeber für Welpenerziehung auf den Vater anzuwenden, war sehr vielversprechend,  doch die Handlung geriet an einigen Stellen recht langatmig, da sich inhaltlich einiges wiederholt. So wird das Containern von  Vater und Sohn, die Vorliebe des Vaters für Flohmärkte, seine Missgeschicke beim Frisieren von Motoren und die pinkfarbene Latzhose von Carl doch ziemlich ausgewalzt und immer wieder von Neuem beschrieben. Insgesamt fehlte mir bei dem Roman ein Höhepunkt, es plätscherte eher etwas ziellos vor sich hin, bis relativ plötzlich Schluss war. Etwas befremdet hat mich, dass die Aggressionen des Pitbulls gegenüber Stinktieren, die "zerfetzt" und "niedergemetzelt" werden, und die latente Gefährlichkeit des Tieres auch gegenüber Carl relativ unbekümmert beschrieben werden. Einen Pitbull als Familienhund in einem Jugendbuch empfinde ich grundsätzlich als unpassend. Auch einige Ausdrücke, die sich auf Ausscheidungen beziehen, hätte ich in der Häufigkeit nicht gebraucht.

Insgesamt ist "How to train your dad" eine unterhaltsame und sehr lustige Geschichte mit einer tollen Idee, die inhaltlich leider etwas hinter unseren Erwartungen zurückbleibt.

Bewertung vom 06.03.2024
Das Gras auf unserer Seite
Velasco, Stefanie de

Das Gras auf unserer Seite


ausgezeichnet

Da ich im selben Alter wie die drei Protagonistinnen bin, ging ich mit bestimmten Erwartungen an diesen Roman heran und war nach den ersten Seiten etwas überrascht, dass ich mich mit keiner von ihnen identifizieren konnte. Weder teile ich ihre Zuneigung zu Hunden, die im Buch sehr großen Raum einnimmt, noch kann ich mich in der typischen Berliner Lebensart wiederfinden, die jede der drei Frauen auf ihre eigene Weise verkörpert. Zudem ist Charlys teils vulgäre Ausdrucksweise zunächst gewöhnungsbedürftig. Dank des sehr lebendigen und lockeren Schreibstils, der auch immer wieder Passagen in Form von Chatverläufen enthält, fand ich allerdings schnell Gefallen daran, mich in die Welt der drei Freundinnen hineinzuversetzen und ihren Alltag und ihre Lebenseinstellung kennenzulernen. Gerade weil sich ihre Lebensentwürfe deutlich von meinem unterscheiden, war dies spannend und bereichernd. Die Autorin nimmt kein Blatt vor den Mund und stellt sich radikal der Frau-findet-nur-Erfüllung-mit-Kind-Sicht entgegen, was ich als sehr befreiend empfand, da dieses Denken nach wie vor in der Gesellschaft und auch der Literatur zumindest latent weit verbreitet ist. Fazit: Ein leichter, erfrischender, moderner, sehr lebendiger und unverblümter Roman jenseits aller Rollenklischees.

Bewertung vom 06.03.2024
Zeit, sich aus dem Staub zu machen
Petkovic, Andrea

Zeit, sich aus dem Staub zu machen


ausgezeichnet

Andrea Petkovic war mir zwar bereits seit Jahren namentlich bekannt, da ich mich aber nur am Rande für Tennis interessiere, bin ich erst wirklich auf der Frankfurter Buchmesse 2022 auf sie aufmerksam geworden, wo sie zusammen mit Frank Weidermann Interviews für die ZEIT führte. Ihre reflektierte, zurückhaltende und sympathische Art ist mir positiv im Gedächtnis geblieben, und so war ich nun neugierig auf ihr (zweites) Buch.

Darin schreibt sie über die letzten eineinhalb Jahre ihrer Tenniskarriere und über ihren Abschied vom Hochleistungssport. Sehr persönlich und ehrlich schildert sie den schmerzhaften Prozess, die altersbedingten Grenzen des Körpers im Profisport anzuerkennen, und ihre Identitätskrise in den Monaten nach dem letzten Match. Wer ist man eigentlich noch, was macht einen Menschen noch aus, wenn das, worüber man sich seit seiner Jugend definiert hat, woran man sein gesamtes Denken, Handeln und Fühlen ausgerichtet hat, plötzlich wegbricht?

Andrea Petkovic schreibt offen und klar, lebendig und glaubwürdig. Ihre Direktheit auch im Umgang mit eigenen Schwächen gefällt mir sehr, und ihrem Schreibstil merkt man an, dass sie eine sehr selbstkritische, gebildete und intelligente Frau ist. Da massive Umbrüche im Leben, welche die eigene Identität infrage stellen, viele Ursachen haben können, ist das Buch auch für nicht tennisaffine Leser und Leserinnen interessant. Ich konnte mich sehr gut in Andrea Petkovic einfühlen und habe auch einige ermutigende Gedanken daraus für mich mitgenommen.

Bewertung vom 02.03.2024
Over My Dead Body
Evans, Maz

Over My Dead Body


ausgezeichnet

Miriam Price ist Ärztin, Mitte 40, bei ihren Mitmenschen gefürchtet, und mausetot. Nun hat sie ein Problem, denn da nach außen alles auf einen Unglücksfall hindeutet, erklärt man ihr im Limbus, dass sie unter diesen Umständen vorerst nicht im die Ewigkeit eingehen kann, da es durch Corona bedingt dort zu Engpässen kommt und priorisiert werden muss. Es sei denn, sie kann bei der gerichtlichen Untersuchung auf der Erde nachweisen, dass sie ermordet wurde. Da sie als Geist auf der Erde nicht mehr interagieren kann, leichter gesagt, als getan...

Maz Evans erzählt herrlich bissig und mit viel rabenschwarzem, britischem Humor aus der Perspektive von Miriam Price. Hierbei hält sie wunderbar die Balance, Charaktere und Handlung sind schräg, driften aber (bis auf die etwas übertriebene Szene mit dem Ferrari) auch nicht ins Klamaukhafte ab. Vielmehr entwickelt die Geschichte insbesondere in der zweiten Hälfte ganz nebenbei eine Tiefe, die einem als Leser die Kostbarkeit des kurzen Lebens vor Augen führt. Auch der Krimianteil ist raffiniert und spannend bis zu Schluß (auch wenn ich schon etwas früher eine bestimmte Ahnung hatte).

Ich habe lange kein Buch mehr gelesen, bei dem ich so viel lachen musste wie bei dieser Geschichte. Wer britischen Humor mag, kommt an diesem Buch nicht vorbei!

Bewertung vom 28.02.2024
Der Lärm des Lebens
Hartmann, Jörg

Der Lärm des Lebens


gut

In den letzten Jahren haben viele Schauspieler*innen autobiographische oder autofiktionale Bücher veröffentlicht, und normalerweise interessiere ich mich nicht dafür. Bei Jörg Hartmann war ich allerdings neugierig, da er auf mich sehr sympathisch, bodenständig und humorvoll wirkt, auch wenn er eher auf schwierige, oft negative behaftete Figuren abonniert scheint (Weißensee, Das Ende einer Nacht, Die vermisste Frau, Dortmunder Tatort).

Jörg Hartmann schreibt überraschend persönlich, gibt teilweise tiefe Einblicke in seine Gedanken und Gefühle. Sehr berührend schildert er die letzten Besuche bei seinem dementen Vater und dessen Beerdigung. Eher nachdenkliche Passagen wechseln sich mit humorvollen ab, und an einigen Stellen musste ich laut lachen, etwa wenn er die Proben für ein Vorsprechen beschreibt, bei denen ein Mettbrötchen am Buffet eine Rolle spielt. Jörg Hartmann erzählt nicht chronologisch, sondern springt zwischen Begebenheiten aus der Kindheit und Aktuellem, zwischen seinen taubstummen Großeltern und seinen Schauspielberuf hin und her, dies allerdings sehr elegant, sprachgewandt und natürlich, so dass es stets flüssig zu lesen ist. Besonders gut gefielen mir die Passagen über Hartmanns Schauspielstudium, da diese mit viel trockenem Witz erzählt werden. Weniger anfangen konnte ich mit einigen Anekdoten aus dem Ruhrpott, diese wirkten teilweise sehr banal. In der zweiten Hälfte fällt das Buch leider meiner Meinung nach deutlich ab. Hartmann hadert mit den Problemen unserer Zeit, mit der Vergänglichkeit des Lebens, mit der Sattheit unserer Konsumgesellschaft. Allerdings fehlt mir in seinen Ausführungen der Tiefgang, und da ist nichts, was nicht den meisten von uns auch durch den Kopf geht. Das Buch zieht sich, Hartmann wirkt schwermütig und melancholisch. Etwas befremdet war ich von Hartmanns Art, andere Menschen zu bezeichnen. Eine der Krankenpflegerinnen seines Vaters nennt er immer nur "die Korpulente", einen Mann, dem er in China begegnete, den "Zahnramponierten" bzw. "Zahnlädierten". Über die neureichen Eltern eines Kindes aus der Kita seines Sohnes, bei denen seine Familie zum Kindergeburtstag eingeladen war, zieht er mit boshaftem Spott her. Auch wenn ich seine Antipathie gut verstehen kann, frage ich mich doch, ob hier nicht auch eine gehörige Portion Sozialneid mitspielt, und wie es sich für diese Familie anfühlen muss, wenn sie sich im Buch wiedererkennen sollte.

Fazit: Für eingefleischte Hartmann-Fans ein empfehlenswertes, sehr persönliches und unterhaltsames Buch. Meine Erwartungen hat es leider nicht ganz erfüllt. Auch wenn Jörg Hartmann viel Sprachgefühl beweist und ich mir generell vorstellen könnte, ein weiteres Buch von ihm zu lesen, hat mich der Inhalt nicht überzeugt, da ich viele Passsagen als nichtssagend oder oberflächlich empfand.

Bewertung vom 22.02.2024
Lichtungen
Wolff, Iris

Lichtungen


sehr gut

Dieser Roman - mein erster von Iris Wolff - lässt mich zwiegespalten zurück. Einerseits mochte ich den Schreibstil sehr, die Sprachbilder, die einfühlsame und behutsame Erzählweise, die mir einen Eindruck von Levs Gefühlswelt und der Stimmung in Rumänien zur Zeit Ceausescus und auch nach dem Zusammenbruch des Regimes gibt. Auch das Hin- und Hergerissensein bzw. die Identitätssuche als Deutsch-Rumäne in Siebenbürgen ist sehr eindrücklich beschrieben. Auf der anderen Seite hatte ich meine Schwierigkeiten mit der besonderen Erzählweise, welche die Geschichte zeitlich rückwärts entwickelt, mit dem Wiedersehen von Lev und Kato nach Jahren beginnt und schrittweise in die Kindheit zurückgeht, wobei selbst innerhalb einzelner Kapitel zusätzliche Zeitsprünge in Rückblenden oder Erinnerungen eingebaut sind. Dies beeinträchtigt den Lesefluss, da ständig Personen vorkommen, deren Verhältnis zu Lev man erst im Laufe der Geschichte einordnen kann und die zunächst "in der Luft hängen". Auch den emotionalen Zugang zu den Figuren erschwerte es mir erheblich und führte dazu, dass ich ständig zurückblättern und Passagen nochmal lesen musste, um mir ein vollständiges Bild machen zu können.

Ich lese sehr gerne komplexe Romane (etwa von Jonathan Lee) und bin gerne bereit, mich auf neue Erzählweisen einzulassen. Insofern empfand ich "Lichtungen" durchaus als bereichernd. Dennoch blieb das Lesevergnügen etwas auf der Strecke. "Lichtungen" ist für mich ein Roman, den man am besten zweimal lesen sollte, da man dann nach dem ersten Durchgang bereits die Figurenkonstellation und den Handlungsrahmen kennt und beim zweiten Mal sicher einen besseren Blick für die Details haben wird.