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darkola77

Bewertungen

Insgesamt 79 Bewertungen
Bewertung vom 31.10.2022
Black Night Falling (Bd. 3)
Terry, Teri

Black Night Falling (Bd. 3)


sehr gut

Da ist es endlich: Das große Finale! So sehr habe ich dem Abschluss der Trilogie um Tabby, den geheimnisvollen Kreis und den Fortbestand unseres Planeten entgegengefiebert – und es hat sich sehr gelohnt!
Teri Terry lässt den Leser*innen keine Atempause und keinen Moment zum Luftholen – und das wortwörtlich, denn: Das Meer und seine Tiefen und Weiten nehmen natürlich auch in diesem Band eine ganz besondere Bedeutung ein. Und ich fühle mich fast wie Jules Verne, wenn es ganz tief hinabgeht. Und was „1000 Meilen unter dem Meer“ auf Tabby wartet, hat mir den Atem stocken lassen… und wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten!
Kein Geheimnis ist dagegen, wie gut sich die Autorin darauf versteht, die Spannung in ihrer Geschichte durch unvorhersehbare Wendungen und ideenreiche Einfälle durchgängig hoch zu halten und die Leser*innen in ihren Bann zu ziehen. Und so bin ich mit Tabby, ihren Freund*innen und Unterstützer*innen unter Wasser und über Land zu den verschiedenen Schauplätzen geeilt, um nicht nur Antworten auf so viele ungelöste Fragen zu finden sondern auch die Vernichtung unseres Planeten zu stoppen.
Und gerade die Klimadebatte und die fortschreitende Vernichtung unseres Lebensraumes durch Menschenhand sind es dann auch, die für mich in diesem Band noch stärker in den Mittelpunkt gerückt und in ihrer Eindringlichkeit verstärkt werden. Das Thema ist der Autorin ein sehr drängendes, da bin ich mir sicher. Und so scheint sie ihre Leser*innenschaft mit ihrer Geschichte nicht nur unterhalten sondern vor allem auch aufrütteln und für die bevorstehende Katastrophe sensibilisieren zu wollen – verbunden mit der Botschaft: Ihr seid der Schlüssel! Ihr könnt den Untergang noch abwenden!
Vor diesem Hintergrund sei Teri Terry auch verziehen, dass sie meiner Ansicht nach gerade im Finale zu viel will: zu viel Message, zu viel Action, zu viel Feuerwerk. Auch, wenn weniger für mich mehr gewesen wäre, so habe ich doch jede Seite genossen und bin Tabby atemlos in den großen Plot gefolgt. Und die Botschaft, ja, die ist bei mir angekommen! Und wird nicht vergessen.

Bewertung vom 23.10.2022
Crossing the Lines - Uns gehört die Nacht
Theisen, Manfred

Crossing the Lines - Uns gehört die Nacht


gut

Köln gleicht einer Geisterstadt. Das Virus hat die Menschen in ihre Häuser verbannt, Kinder und Jugendliche zum Homeschooling und das Leben auf Eis gelegt.
Für Leon, Lilu, Chiara und Alexander ist diese Warteschleife nur schwer zu ertragen. Sie wollen weiter leben, lieben, feiern. Sie wollen sich als Clique treffen, Abenteuer erleben, Grenzen austesten. Und vor allem wollen sie wieder unbeschwert sein, Schmetterlinge im Bauch spüren, das Adrenalin in ihren Adern. Den Verstoß gegen Regeln, die nächtliche Katz-und-Maus-Jagd mit der Polizei, das Versteckspiel in den Straßen und auf den Plätzen Kölns nehmen sie dafür in Kauf.
Dass sie dabei immer weiter in die Krimininalität ihrer Handlungen abgleiten, scheinen sie zu akzeptieren. Und so ist der Verstoß gegen die nächtliche Ausgangssperre auch nur der Beginn einer Kette von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, die schließlich münden in Körperverletzung, Einbruch, Autodiebstahl.
Dynamik in diese Entwicklung bringt der geheimnisvolle Summer. Wie „magic“ ist er plötzlich in ihrem Leben erschienen, bringt das Gefüge ihrer Freundschaften und Liebe durcheinander, verschiebt ihre Grenzen und überschreitet diese mit ihnen. Jeden Tag einen gefühlten Schritt weiter.
„Crossing the Lines“ hat mich mit gemischten Gefüheln zurückgelassen. Einerseits hat mich die Darstellung the Lockdowns in „meiner Stadt“ geradezu schmerzlich berührt und in die erst gerade vergangenen Monate zurückversetzt. Das ist gut und spricht für die Geschichte.
Andererseits erscheint mir die unsagbar schnelle Entwicklung der Jugendlichen von einem Austesten ihrer Grenzen in Form von Mutproben und Ordnungsverstößen hin zu kriminellem, strafbarem Verhalten wenig glaubwürdig, nicht ausreichend überzeugend und bleibt dazu unreflektiert.
Eine schöne Diskussionsgrundlage und Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung mit sich selbst im Lockdown – das könnte der Roman meiner Ansicht nach sein. Möglicherweise auch direkt in den Schulen eingesetzt, diskutiert und besprochen. Und dabei hoffentlich nie wieder in einem notwendigen Homeschooling.

Bewertung vom 02.10.2022
Kleines Land
Faye, Gaël

Kleines Land


ausgezeichnet

Burundi ist es! Das kleine Land, über das wir Europäer ganz häufig ganz wenig wissen. Und dass in seiner Geschichte in großen Teilen meiner Aufmerksamkeit entgangen ist. Denn: Burundi ist ein Nachbarland Ruandas. Und Ruanda mit seinem Leid, Bürgerkrieg und Völkermord dürfte wohl vielen ein Begriff sein. Und dessen Auswirkungen auf Burundi können da schnell aus dem Blick geraten.
Gael Faye rückt die Menschen in dem „kleinen Land“ in den Fokus – eine wichtige, großartige Leistung! Durch die Augen des Protagonisten Gabriel erleben wir Burundi als das Land der blühenden Mangobäume, der schier endlosen Tage und einer Kindheit, die auch aufgrund der materiellen Sicherheit der Familie, in Teilen wohlbehütet und glücklich ist. Wären da nicht die Streitigkeiten seiner Eltern, die Sehnsucht seiner Mutter und Großmutter nach einem Leben in Ruanda, aus welchem sie vertrieben wurden, und schließlich die zunehmende Verfolgung der Tutsi, der Terror, der Völkermord.
800.000 bis 1 Mio. Menschen fanden in annähernd 100 Tagen den Tod. So die Schätzungen. Die Zahlen sind so groß und unermesslich wie das Leid der Menschen, die Gräuel, Grausamkeiten, das Blutvergießen.
Und auch für Gabriel und seine Familie verändert sich alles. Alles zerbricht. Auch der Verstand.
Noch immer habe ich eine Gänsehaut, wenn ich über die Geschehnisse nachdenke – denen des Romans und deren Entsprechung in der Realität. Kann es nicht begreifen. Erst recht nicht, wie die Vertriebenen hier zu leben vermögen – wie der Kontrast des westeuropäischen Friedens sich in das vom Krieg zerbrochene Innere einzufügen vermag.
Und genau dieses Nicht-Begreifen-Können, meine Fragen und diese Bilder sind es, für die ich Faye dankbar bin. Diese Denkanstöße sind bitter nötig – gerade für uns hier in Europa. Gerade in Gesellschaften, deren Aufgabe und Verpflichtung es ist, geflüchteten Menschen eine neue Heimat zu bieten. Und ihnen Empathie und Verständnis entgegenzubringen – leider nicht immer eine Selbstverständlichkeit.

Bewertung vom 06.09.2022
Stille blutet / Mordgruppe Bd.1
Poznanski, Ursula

Stille blutet / Mordgruppe Bd.1


ausgezeichnet

Atemlos – nicht nur durch die Nacht sondern durch jede einzelne Seite und jedes Kapitel. Bis zum schaurigen Ende voll Überraschungen!
Der Thriller hält alles und noch viel mehr, was ich als treue Anhängerin von Ursula Poznanski von ihren Büchern kenne, erwarte und inzwischen auch gewohnt bin: Eine raffiniert und dabei gut nachvollziehbar und zugänglich konstruierte Geschichte, interessant und glaubhaft ausgearbeitete Figuren und vor allem ein Plot, bei dem mir regelmäßig und immer und immer wieder der Atem stockt.
Mit „Stille blutet“ stellt Poznanski uns ein neue Ermittlerin vor. Fina Plank ist nicht die typische Heldin. Von ihrem Kollegen gemobbt und selbst kritisch und unzufrieden mit ihrem Äußeren muss sie ihren Platz in dem Kommissariat erst finden und sich mit ihren Fähigkeiten und einem guten Instinkt unter Beweis stellen. Die aktuelle Mordserie bietet ihr hierfür Möglichkeiten und Herausforderung genug, denn die Fälle erscheinen in ihren Motiven und Zusammenhängen undurchsichtig, das Vorgehen des Täters mehr als rätselhaft.
Und diese Fragezeichen gepaart mit einer nicht enden wollenden Spannung und einem Lesevergnügen, das durch die Seiten treibt und über die Zeilen fliegen lässt, hält sich durchgängig und auf hohem Niveau bis zum großen Finale. Auch, wenn nicht alle Rätsel gelöst zu sein scheinen und zugleich Lust auf mehr und den Folgeband machen, steht eines für mich doch ohne Frage fest: Poznanski ist auch mit „Stille blutet“ ein Pageturner gelungen – und zugleich ein neues Lieblingsbuch für all diejenigen, die von ihren guten Geschichten verwöhnt sind und Nerven wie Drahtseile haben.

Bewertung vom 06.08.2022
Der letzte Schrei
Sagiv, Yonatan

Der letzte Schrei


ausgezeichnet

Schrill, fesselnd und mit viel Esprit und Wortwitz – Yonatan Sagivs „Der letzte Schrei“ ist ein Fest! Und sich gemeinsam mit dem Privatermittler Oded Chefer auf die Spur des Mörders zu begeben, gleicht einem wilden Ritt durch die Höhen und Tiefen der Tel Aviver Gesellschaft, deren oberen Zehntausend, ihre queeren Communitys und auch ihre sozialen und moralischen Abgründe.
Ein Popsternchen wieder zum Strahlen zu bringen und den Grund für ihre tiefe Traurigkeit zu ermitteln, ist denn schon als Auftrag durchaus ungewöhnlich für einen Detektiv. Chefer selbst ist dies ebenso mit wenig Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten, analytisch und chaotisch zugleich in seinem Vorgehen und mit einer Identität als queere Person, über sich selbst in der weiblichen Person sprechend. Emotionen, soziale Beziehungen und seine Rolle in diesen beschäftigen ihn sehr und lenken ihn kurzzeitig immer wieder von seinen Ermittlungen ab, lassen ihn sein Ziel jedoch nie aus dem Auge verlieren.
Fernab des üblichen ist auch das Milieu, in dem Chefer seine Ermittlungen aufnimmt. Im Dunstkreis eines PR-Moguls und einer alternden Popdiva stößt er auf allerlei Ungereimtheiten und darauf, dass viel zu viel Geld auch viel zu viele Schlupflöcher vor Recht und Gesetz und Raum für ein Wertesystem des Hedonismus und Selbstbezugs bietet.
Die Figuren und deren Umfeld des LGBTI* mag für einen Kriminalroman ebenso schillernd sein, wie es die Figuren zum Teil selbst sind. Auch heute ist Transsexualität noch mit vielerlei Klischees und Vorurteilen belegt, die Sagiv augenzwinkernd aufnimmt, verwirft und soziakritisch einen Blick hinter die Fassade aus Schminke und schönem Schein richtet. Die Dialoge und Ausführungen über Gendertheorie und die Möglichkeiten und Fragen, die sich auftun, gesellschaftlich geschaffene Zuweisungen als reines Konstrukt anzuerkennen, sind dabei ebenso klug wie humorvoll. Den mahnenden Zeigefinger erhebt Sagiv jedoch nie, Geschichte und Charaktere wirken für sich selbst.
„Der letzte Schrei“ hat auch bei mir seine Wirkung nicht verfehlt – gerade auch, weil er so viel mehr ist als ein gut konstruierter Krimi. Er ist ein Spiel mit den Geschlechtern und ihren Rollen, ein Blick auf das, was so selbstverständlich sein sollte. Und es doch häufig noch nicht ist. Vor allem aber ist er ungewöhnlich witzig, ungewöhnlich unterhaltsam und eine große Freude von der ersten bis zur letzten Seite.

Bewertung vom 01.08.2022
A Psalm of Storms and Silence. Die Magie von Solstasia / Das Reich von Sonande Bd.2
Brown, Roseanne A.

A Psalm of Storms and Silence. Die Magie von Solstasia / Das Reich von Sonande Bd.2


sehr gut

Große Magie und eine Reise voller Abenteuer, Schrecken und wunderbaren Geschichten – all dies habe ich mir von einem Wiedersehen mit Malik und Karina versprochen und wurde mit noch viel mehr belohnt!
Gemeinsam und doch räumlich voneinander getrennt, kämpfen die beiden um ihr eigenes Überleben, für die Zukunft Sonandes sowie ihre Liebe zueinander. Und so gewaltig die Herausforderungen sind, so groß und voller Leid und Tücke sind auch die Aufgaben, denen sich Malik und Karina auf ihrem Weg dahin stellen und die Opfer, sie erbringen müssen.
Während Malik zunehmend in die Fänge Farids gerät und seinen Kräften, seinen Manipulationen und Plänen zunehmend ausgeliefert ist, durchstreift Karina gemeinsam mit ihren Gefährt*innen Sonande auf der verzweifelten Suche nach einem Weg, das Land und seine Menschen vor dem apokalyptischen Untergang durch die Große Mutter zu bewahren. Gefahren gehen dabei nicht nur von den erzürnten Gottheiten und ehemaligen Verbündeten aus, die tiefsten Abgründe tragen Malik und Karina selbst in sich. Und sowohl die zahlreichen Feind*innen als auch die eigene Furcht, Ängste und Hoffnungslosigkeit erscheinen als schier unbesiegbare Gegner*innen.
Wie schon in „A Song of Wraiths and Ruin“ erweist sich Roseanne A. Brown als großartige Griot, Geschichtenerzählerin. Sie vermag es gekonnt, die verschiedenen Fäden der Geschichte zu einem großen Netz der Magie zu verweben und damit lebendige Charakter und eine fesselnder Geschichte in einer ganz eigenen Welt zu erschaffen. Ganz besonders und ganz besonders ungewöhnlich machen diese dabei für mich die vielfältigen Elemente einer dem Afrofuturismus zugehörigen Mystik – ein Genre, das erst nach und nach seinen Siegeszug auch in Europa feiern konnte.
Den eurozentristischen Blick immer wieder zu hinterfragen, ist mit Brown nicht nur ein wunderbares Lesevergnügen sondern auch eine kulturelle und kulturgeschichtliche Entdeckungsreise in eine Erzähltradition, die bei all dem Verschiedenen, Neuen zugleich Teil unser diversen, heterogenen europäischen Gesellschaft ist. Damit sind die gemeinsamen Stunden mit Malik und Karina neben einem fantasievollen Abenteuer auch ein Eintritt in eine Welt für mich, in welcher ich gerne weitere Schritte gehen und neue Pfade betreten möchte.

Bewertung vom 23.07.2022
Das Reich der Vampire Bd.1
Kristoff, Jay

Das Reich der Vampire Bd.1


ausgezeichnet

Ein Ritt in die Hölle und zurück – das war es, wie sich die Geschichte für mich anfühlte. Und der Ritt war gut, sehr gut sogar!
Jay Kristoff entwirft eine Welt, in der die Menschen die Vorherrschaft verloren haben. Der Tagestod, die verminderte Strahlkraft der Sonne, hat sie zu Gejagten gemacht und zu Futter – für die Vampire und weitere Geschöpfe und Wesen der Dunkelheit. Diesen Kreaturen und dem nahenden Ende der Menschheit stellt sich der Orden der Silberwächter entgegen, deren Brüder – halb Mensch, halb Vampir – über sagenumwobene Fähigkeiten und den unbändigen Willen zu Kampf und Sieg verfügen. Und dabei geht es dann auch schon mal – oder vielmehr: beständig – blutig und grausam zu. Schwachen Gemütern oder Leser*innen mit einem empfindlichen Magen sei die Lektüre daher nicht angeraten.
Da Horror und Gedärme mich allerdings so gar nicht schrecken – ganz im Gegenteil! –, war die Geschichte ein Riesenspaß, eine großartige Unterhaltung und ein episches Lesevergnügen für mich. Mit Gabriel und seinem stotternden Schwert Flammenzunge durch die Welt aus Dunkelheit und Schrecken zu reisen, bedeutete für mich Spannung, völlig überraschende und unerwartete Wendungen und Kämpfe und Schlachten, die sich gegenseitig überboten – an Anzahl und Qualität der Gegner*innen, Kreativität der Verletzungen und Orten und Kulissen des Blutvergießens.
Dazu passend ist auch die Sprache der Figuren häufig hart, direkt und ja, ich möchte sagen, auch vulgär. Passt zudem Setting und tat meinen Ohren nicht weh, überrumpelte sie zu Beginn allerdings ein wenig. Das schaffte allerdings auch die Leichtigkeit, mit der Jay Kristoff es sich gestattete, sich von liebgewonnenen Charakteren zu trennen – und so auch den Leser*innen Schmerz zuzufügen. Oder anders: Es wird nicht nur gelitten, sondern auch gestorben. Und zwar kräftig. Doch manchmal bewahrheitet sich auch das Sprichwort: Totgesagte leben länger.
Jay Kristoff hat 1157 g oder auch 1019 Seiten beste Dark Fantasy geschaffen! Ich habe mit Gabriel gelitten, gehofft und hätte am liebsten noch mein imaginäres Schwert gezogen – so sehr hat mich die Geschichte gefesselt, begeistert und in ihren Bann gezogen. Das Buch war jede Seite, jedes einzelne Gramm wert. Und auch, wenn meine Hände noch schmerzen von dieser monumentalen Lektüre, kann ich es schon jetzt kaum erwarten, den nächsten Band in eben diesen zu halten.

Bewertung vom 04.06.2022
Die neue Wildnis
Cook, Diane

Die neue Wildnis


ausgezeichnet

Ein bequemes Bett oder ein Schlafplatz auf dem Waldboden? Der Gang in den Supermarkt oder die Jagd auf wilde Tiere? Das Siechtum Deines Kindes oder eine letzte Chance auf sein Überleben?
Um das Leben ihrer Tochter zu retten, entscheiden sich Bea und Glen zu einem ungewöhnlichen Schritt: Als Teilnehmer*innen einer Studie lassen sie die Stadt mit ihren krankmachenden Lebensbedingungen hinter sich und durchwandern als Teil einer Gruppe die schier endlose Weite des Wildnisstaates. Das Leben als Nomad*innen verlangt ihnen dabei alles ab, und neben Unterernährung, Verletzungen und Todesfällen sind es vor allem die sozialen Konflikte, die den Mitgliedern zusetzen und einen Großteil ihrer Gedanken und Kräfte einnehmen.
Trotz all der Widrigkeiten scheinen Bea und Glen ihr ursprüngliches Ziel erreicht zu haben: Ihre Tochter Agnes wächst zu einem starken, selbstbewussten Mädchen heran, wird Teil der sie umgebenden Natur und Ordnung, emotional dabei verschlossen und abweisend ihrer Mutter gegenüber.
Bestimmt wird das Leben der Gruppe jedoch nicht nur von der Wildnis und den Lebensbedingungen, welche diese ihnen bietet, sondern auch von den Rangern als Vertreter des Staates, die mit Vorgaben, Regelungen und Sanktionen die Menschen sowohl auf deren Wanderungen lenken als auch deren Annehmlichkeiten auf ein absolutes Minimum beschränken – und sie dabei scheinbar zunehmend ihrer Willkür aussetzen.
Der Einbruch der Außenwelt in das abgeschottete Leben der Gruppe lässt zunehmend Fragen nach dem Fortbestand der Studie wie auch nach Vorgängen in dem Wildnisstaat aufkommen, welche darauf hindeuten, dass zentrale Informationen und Entwicklungen deren Mitgliedern vorenthalten werden. Doch wie soll es für die Menschen weitergehen, wenn sie tatsächlich die Wildnis verlassen müssen? Die Ungewissheit über die eigene Zukunft zerrt nicht nur an den Nerven der einzelnen sondern scheint sie in dieser zentralen Frage auch als Gruppe zu spalten.
Dass wir Menschen in den Industrieländern verschwenderisch mit unseren Ressourcen umgehen, ist uns bekannt, die Auswirkungen dessen mögen sich viele von uns aber nur ungern vor Augen führen. Diane Cook scheut sich nicht davor, ein mögliches Szenario aufzuzeigen, wohin uns Klimawandel, Umweltverschmutzung und Überbevölkerung führen können. Das alles gelingt ihr, ganz ohne den „mahnenden Zeigefinger“ zu erheben sondern ausschließlich in Form eines packenden Pageturners – der vielleicht nicht mehr lange im Bereich der Science Fiction bleiben wird.

Bewertung vom 26.05.2022
Amelia
Burns, Anna

Amelia


sehr gut

Ein Krieg auf den Straßen und in den Herzen der Menschen – die Troubles in Nordirland zerreißen ein Land und dessen Bewohner*innen, bilden einen Riss mitten durch die Gesellschaft. Die Folgen für das gegenwärtige Leben aber auch für die Träume, Wünsche und Möglichkeiten auf eine glückliche, selbstbestimmte Zukunft sind erheblich – sowohl für den*die einzelne*n als auch die Gesellschaft als Ganzes.
Das Grauen und die zerstörerische Kraft der Bomben, Straßenkämpfe wie auch dessen Auswirkungen auf Familien und Freundschaften schildert Anna Burns den Leser*innen eindringlich anhand der Figur der Amelia Boyd Lovett. Amelia, 1969 selbst noch ein Kind, erlebt die Kämpfe auf den Straßen und Vierteln Belfasts hautnah – verborgen unter dem Tisch und hinter dicken Holzbrettern vor den Fenstern und zugleich doch schutzlos ausgeliefert. Die Bomben, welche in den Wohngebieten ihrer Stadt detonieren, richten denn auch Verwüstungen in ihrer Seele an – Zerstörungen, von denen sie sich ungeachtet ihrer Kämpfe in ihrem Inneren auch in den folgen Jahrzehnten nicht zu erholen vermag.
Trotz all der Bilder des Schreckens – und davon gibt es zahlreiche in der Geschichte – gelingt es Anna Burns, sich nicht in den Grausamkeiten, der Trauer und Hoffnungslosigkeit zu verlieren. Ihr Tonfall ist oftmals ironisch, sarkastisch, die Handlung voll von teils skurrilen Figuren, Ereignissen und Momenten, dabei sich nach und nach zunehmend von der Realität entfernend – so wie auch Amelia selbst diese immer weniger zu fassen bekommt.
Eine Schwere mag während der Lektüre aus diesem Grunde auch nicht so recht aufkommen. Zugleich sind die innere Zerstörung und die Schäden, welche die jahrzehntelange Bedrohung und das Blutvergießen immer und immer wieder vor den eigenen Augen hinterlassen haben, in ihrer Tragweite nur umso deutlicher und gewaltiger in ihren Ausmaßen sicht- und spürbar. Und auch die Trauer und Betroffenheit über einen Krieg, der Europa geprägt hat und auch heute noch Teil des Lebens der Menschen in Irland und Großbritannien ist, war für mich das, was mich mit Amelia in der Geschichte verbunden hat – und auch nach der letzten Seite für mich geblieben ist.

Bewertung vom 20.04.2022
Singe ich, tanzen die Berge
Solà, Irene

Singe ich, tanzen die Berge


sehr gut

Das Buch ist ein Fest – ein Fest der Worte, Bilder, Ideen! Und vor allem ist es ein ganz einzigartiges Kleinod, das Irene Solà in ihrem Schaffensakt der Natur geradezu entrissen hat und nun ihren Leser*innen zum Geschenk macht. Ein Geschenk, mit welchen sie diesen so einiges an Hingabe, Bereitschaft und Konzentration abverlangt – und auch das eine oder andere zumutet.
Schier ungewöhnlich sind Ansatz und Erzählperspektiven, welche die junge Autorin für ihre Erzählung wählt, kommt hier doch die Natur selbst mit all ihren menschlichen und nicht-menschlichen und auch „dinglichen“ Bewohner*innen zu Wort, um gemeinsam eine große Geschichte zu erzählen. Es ist die Geschichte der Pyrenäen selbst, konzentriert und exemplarisch fokussiert auf ein kleines Dorf in eben diesen Bergen.
Alle finden sie hierfür Gehör: die Menschen und ihre Geister, Tiere und Pflanzen und Regen und auch die Pyrenäen selbst. Und all diesen Ich-Erzähler*innen leiht Solà eine ihnen eigene Stimme, ihre eigene Sicht auf die Welt und die Geschehnisse, die sie umgeben. Gleichberechtigt, ob nun Mann oder Frau, Rehbock oder Pilz.
Das ist viel – viel gewollt, viel erwartet, viel umgesetzt. Und ja, es ist auch ein Vergnügen in der Lektüre, aber auch eine Anstrengung, die auf Seiten der Leser*innenschaft erforderlich ist, um möglichst viel zu verstehen und viel zusammenzufügen. Denn gleich Ketten auf einer Schnur reiht sich mit jeder neuen Perspektive, mit jedem weiteren Kapitel Figur an Figur, Puzzlestück an Puzzlestück – und heraus kommt… Ja, was eigentlich? Kunst? Sicherlich! Eine Geschichte, die zu fesseln versteht? Immer wieder. Ein Experiment? Auch das.
Was die Erzählung für mich vor allem ist: ein Ausdruck der schier unbegrenzten Spiel- und Schaffensräume, welche Sprache bietet und Literatur entstehen lässt. Gefällig sollten diese dabei nicht sein, vielmehr vermag Solà es, ihre eigenen Wege zu beschreiten und Bekanntes und Gewohntes konsequent hinter sich zu lassen – um so in Abgrenzung etwas Neuartiges und sehr Individuelles zu erschaffen.