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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 2029 Bewertungen
Bewertung vom 07.03.2022
Als hätte jemals ein Vogel verlangt, dass man ihm ein Haus baut
Malcovati, Marie

Als hätte jemals ein Vogel verlangt, dass man ihm ein Haus baut


gut

zwiegespalten

Wie der Klappentext bereits verrät, ist dies ein Roman einer Suche.
Bestimmend sind dabei die entstehenden Beziehungen der Frauen.
Die unterschiedliche Emotionalität der Frauen wird gut herausgearbeitet, dazu dienen auch die Dialoge.

Marie Malcovati hat eine ruhigen, stellenweise poetischen Stil, bei dem viel mitklingt. Dadurch entstehen starke Bilder vor dem inneren Auge des Lesers.
Mir gefällt auch gut, dass so sensibel erzählt wird.Marie Malcovati hat ein erzählerisch dichten Roman komponiert.
Bei all dem Aufwand wundert mich doch, wie sehr mein Interesse im Verlaufe der Handlung abnimmt. Die Autorin hat versäumt, die Relevanz ihres Buches herauszuarbeiten. Daher bleibe ich am Ende zwiegespalten.

Bewertung vom 06.03.2022
Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße (eBook, ePUB)
Leo, Maxim

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße (eBook, ePUB)


sehr gut

Was passierte wirklich?

Maxim Leo hat mit Der Held von Bahnhof Friedrichstraße eine ausgezeichnete und treffende Satire auf die Verklärung ostdeutscher Zustände zur Zeiten der DDR geschrieben.
1983 ist eine S-Bahn aus der DDR in den Westen gelangt, so jedenfalls in diesem Roman.
Michael Hartung, ein ehemaliger Bahnarbeiter wird 30 Jahre nach der Wende unversehens zum Helden, weil er einem Journalisten ein Interview über dieses Ereignis gibt. Dadurch wird über Nacht berühmt und sein Leben ändert sich.
Das es so gekommen ist, lag auch darin, dass der Journalist seine Story praktisch schon vorab fertig hatte, und damit Erwartungen erfüllt.
Dabei hat Hartung die Weichenstellung damals nur aus Versehen ausgelöst.
Das halte ich für realistisch. Man spürt beim Lesen ja auch, das man sich fast wünscht, Michael Hartung wäre wirklich der Held gewesen.

Über die DDR humorvoll zu schreiben ist riskant. Auch der Erfolgsfilm Goodbye Lenin war amüsant, entbehrte jedoch nicht der Ostalgie.

Auch der Held von Bahnhof Friedrichstraße würde ich jetzt nicht überbewerten. Aber es ist ein unterhaltender, witziger Roman, den ich mir gut als Fernsehfilm (ähnlich wie letztes Jahr 3 ½ Stunden) vorstellen könnte.

Bewertung vom 06.03.2022
Die Feuer
Thomas, Claire

Die Feuer


sehr gut

Glückliche Tage in Melbourne

Die australische Schriftstellerin Claire Thomas hat mit Die Feuer ihren dritten Roman geschrieben. Ins Deutsche übertragen hat ihn Eva Bonné.
In diesem sprachlich ansprechenden Roman sind drei Frauen an einem heißen Tag im Theater und sehen ein Stück von Samuel Beckett.
Es sind die siebzigjährige Margot, dann die ca.40jährige Ivy und die junge Platzanweiserin Summer. Sie sind sehr unterschiedlich. Die meiste Zeit zeigt die Autorin die inneren Gedanken der Frauen, die sich kapitelweise abwechseln und verschiedene Themen einkreisen. Dann wieder wird auch gezeigt, was auf der Bühne passiert.

Das aufgeführte Stück ist aber auch entscheidend. Glückliche Tage, bei der eine Frau bis zur Hälfte in der Erde steckt. Es scheint als versinnbildlicht das zum Teil, wie die Protagonistinnen sich fühlen.

Die Gedanken der 3 Frauen gehen auch in die Vergangenheit, manchmal sogar bis in die Kindheit und so ist man als Leser in verschiedenen Ebenen unterwegs. Das kann herausfordernd sein, da man doch sehr aufpassen muss.
Originell auch, wie sie die Pause, in der sich die drei treffen, in Szenen gestaltet
Und das, während es in der Umgebung von Melbourne aufgrund der Hitze brennt.

Claire Thomas Schreibweise ist geschickt gemacht, gerade weil sie einen einzigen Ort, das Theater, als Ausgangspunkt wählt.

Bewertung vom 05.03.2022
Für diesen Sommer
Klönne, Gisa

Für diesen Sommer


ausgezeichnet

Momente der Erinnerung

Gisa Klönne beschreibt in ihrem Roman eine Vater-Tochterbeziehung

Ein Vater, eine Tochter, ein Haus voller Erinnerungen. Dieser Text des Verlags zum Buch ist sehr zutreffend.

Franziska ist Anfang 50, als sei wieder nach Hause kommt, um sich um ihren kranken, verwitweten Vater zu kümmern. Aber ihre Beziehung zueinander ist seit langem gestört.
Schon die Eingangsszene, als Franziska vor der Haustür steht ist stark, sie wird überflutet von Erinnerungen.Auch die Gedanken des Vaters werden beschrieben. Das ist ausgezeichnet gemacht. So erfährt man die Emotionen hautnah.
Gisa Klönnes Stil ist wirklich aufregend. Immer wieder blitzen Momente der Erinnerungen hoch. Daraus bildet sich eine ganze Familiengeschichte.
Gemacht ist das sorgfältig, aber doch mit einer Leichtigkeit, die den Roman so gut lesbar macht.

Abschließend möchte ich noch das Cover erwähnen, das ein Gemälde der Malerin Kim Reuter zeigt und wirklich gelungen ist.

Bewertung vom 05.03.2022
Die Macht der Worte / Die Buchhändlerin Bd.2
Thorn, Ines

Die Macht der Worte / Die Buchhändlerin Bd.2


sehr gut

Der Wandel der Zeit

Die Buchhändlerin – Die Macht der Worte wirft einen Blick auf Deutschland in den fünfziger und sechziger Jahren und setzt Christa Hanfs Geschichte aus dem ersten Teil fort.
Im Deutschland dieser Zeit ist die Vergangenheit an die schlimme Zeit und Schuld noch sehr lebendig.
Jago und Christa trennen sich. Auch Christas Adoptivsohn Heinz geht fort, als überraschend sein Vater wieder auftaucht. Doch diese Trennungen sind nicht endgültig.
Interessant an dem Buch ist auch der literarische Hintergrund, der durch Bücher und die Literaturlandschaft dieser Zeit eingebunden wird. Da gibt es z.B.die Lesungen der Gruppe 47, Peter Handkes Publikumsbeschimpfung, die Frankfurter Bucmesse, manche bekannte Namen werden genannt. Und auch die geschäftlichen Abläufe in der Buchhandlung sind interessant.
Natürlich spielt auch der politische Wandel der Zeit eine Rolle.

Die Macht der Worte ist ein Roman, der mir anfangs etwas schematisch vorgekommen ist, mit der Zeit aber mehr und mehr an Profil gewinnt.

Bewertung vom 05.03.2022
Der fürsorgliche Mr Cave
Haig, Matt

Der fürsorgliche Mr Cave


gut

Besessenheit eines Vaters

Matt Haigs Romane „Ich und die Menschen“ und „Wie man die Zeit anhält“ hatten mich beeindruckt und Der fürsorgliche Mr Cave hat ein ähnliches Niveau, ohne ganz daran zu kommen. Schließlich ist es ein Frühwerk des Autors.

Die Story eines Mannes, der seine 14jährige Tochter kontrolliert, mit seiner Fürsorge erdrückt und praktisch gefangen hält. Anlass ist der Unfalltod seines Sohnes und die Angst, dass auch Byrony etwas passieren könnte. Er will sie vor der Umwelt schützen, um jeden Preis.
Terence Caves Motive mögen aus seiner Sicht begründet sein, aber er ist ein Täter.
Der Clou des Romans ist, dass die Erzählperspektive aus der Sicht des Vaters ist. Dadurch werden seine Emotionen dem Leser nahe gebracht, ohne das man sich unbedingt mit ihm identifiziert.
Terence Gedanken werden immer wirrer, seine Besessenheit nimmt zu. Manchmal geht mir das zu weit, es wir erzählerisch konfus und ich kann ihn trotz Matt Haigs psychologischen Bemühungen nicht ganz verstehen. Seine Trauer aber schon.
Ich denke es liegt daran, dass der 2008 geschriebene Roman schon älter ist. Matt Haig hat sich seitdem handwerklich gesteigert.

Bewertung vom 03.03.2022
Niu
Werner, Kathrin

Niu


sehr gut

Begegnung in New York

Niu ist ein Debütroman.Carmen und Thomas sind nach New York gezogen. Dort wird eine Frau mit dem ungewöhnlichen Namen Niu hinzukommen.
Der kurze, dicht erzählte Roman ist in einer Weltstadt angesiedelt und hat durch die Konzentration auf nur drei Figuren streckenweise doch kammerspielartige Elemente.
Dennoch werden viele Schauplätze in Manhattan abgelaufen und New York ist wichtig für das Buch. Am meisten lebt das Buch aber von dem rätselhaften Charakter Niu, die ein Sphinxartige Figur ist.

Bewertung vom 03.03.2022
Ellis
Mariani, Selene

Ellis


ausgezeichnet

Selena Mariani erzählt in ihrem Debütroman empathisch und sensibel von der tiefen, aber wechselhaften Freundschaft zweier Mädchen, Grace und Ellis. Nach den Jugendszenen treffen die beiden sich auch als junge Frauen wieder.
Die Perspektive ist durchgängig die von Ells, die halb Italienerin, halb Deutsche ist. So spielen auch so einige Passagen in Italien. Diese Konflikt mit der Herkunft ist ein wichtiges Thema im Buch.
Die Kapitel springen zeitlich viel.Das ergibt einen eigentümlichen Erzählfluss.

Ich habe den Roman sehr gerne gelesen.

Bewertung vom 02.03.2022
Mein Abschied von Deutschland
Politycki, Matthias

Mein Abschied von Deutschland


gut

Dieser Essay, den ich nie hatte schreiben wollen


Matthias Polityckis Romanen bin ich gewogen, z.B. zuletzt 2020 Das kann uns keiner nehmen.

Dass er plötzlich ausgewandert ist, hat mich überrascht. In diesem Essay „Mein Abschied von Deutschland“ schreibt er ausführlich über seine Probleme mit Sprach- und Denkverbote.

Auch nachdem ich dieses Buch beendet habe,verstehe ich Poltyckis drastische Reaktion nicht. Die meisten von uns können froh sein, in Deutschland leben zu dürfen.

Jeder Satz des Essays zeigt Polityckis Wut und der kompletten Ablehnung. Meiner Meinung nach verhindert das, der Problematik wirklich auf den Grund zu gehen.

Seinen Einwänden kann man entgegensetzen, dass sprachlicher Wandel unvermeidbar, oft auch nützlich ist. Die Sprache, die wir in früheren Jahrzehnten benutzt haben, kann man durchaus kritisieren. Political correctness ist nicht per se schlecht. Eine Sprache, die Menschen nicht herabsetzt, ist zu begrüßen.

Dennoch, Matthias Politycki bringt zahlreiche Beispiele, wo das ganze zu weit geht. Wo die Sprache lächerlich wird, wo es zur Zensur und Selbstzensur kommt. Diese Passagen in dem Essay unterstütze ich.

Bewertung vom 02.03.2022
Radikale Kompromisse
M'Barek, Yasmine

Radikale Kompromisse


sehr gut

Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiss

Gleich zu Beginn des Buches zeigt Yasmine M´Barek an der Gendern-Debatte, wie wenig Konsens von den verhärteten Fronten angestrebt wird..
Dieses Buch aber plädiert für Kompromisse und das liegt auf meiner Linie, ob radikale Kompromisse immer das richtige sind, ist die Frage.
Yasmine M´Barek beklagt, wenn Diskussionen über wichtige Themen abgewürgt werden, als Beispiel nennt sie den Ausstieg aus der Atomenergie.

M´Barek gibt immer wieder Beispiele, wie Sprache die Diskussionen verhärten und Kompromisse verhindern, z.B. die Begriffe Schwarze Null oder die Phrase „OK Boomer“.

Yasmine M´Barek vermag zu argumentieren.
Radikale Kompromisse ist ein unterhaltsames Polit-Buch.