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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 11.01.2018
13 Stufen
Takano, Kazuaki

13 Stufen


ausgezeichnet

Seine Sporen hat sich der in Los Angeles ausgebildete Japaner Kazuaki Takano als Drehbuchschreiber verdient, bevor er sich, vielleicht sogar inspiriert durch die Romane Stephen Kings (und hier insbesondere „The Green Mile“), dem Schreiben von Thrillern zuwandt.
„13 Stufen“ ist sein Erstling (2001 im Original), womit Takano äußerst erfolgreich in Japan war. Gleichzeitig ist das erst sein zweites Buch, das nach dem 2011 veröffentlichten und 2015 in der Übersetzung unter dem Titel „Extinction“ erschienenen Roman, ins Deutsche übersetzt wurde.

Die Ausgangssituation ist schnell erzählt: Kihara wartet in der Todeszelle auf seine Hinrichtung. Er soll seinen Bewährungshelfer und dessen Frau bestohlen und ermordet haben. Nur dumm, dass er sich an den Tathergang nicht mehr erinnern kann, denn durch einen Unfall bei der Flucht leidet er an Amnesie. Eventuell hätte er ja noch eine Chance gehabt, der Todesstrafe zu entgehen, wenn er glaubhaft seine Tat bereuen könnte. Aber wie soll man etwas bedauern, an das man sich nicht erinnern kann?

13 Stufen muss der Verurteilte auf seinem Weg zum Strick hinaufsteigen, und 13 Beamte aus unterschiedlichen Institutionen müssen der Hinrichtung zustimmen. Doch es gibt jemanden, der berechtigte Zweifel an der Schuld Kiharas hat und zwei ungewöhnliche Ermittler beauftragt, dessen Unschuld zu beweisen. Ein ehemaliger Wärter und ein auf Bewährung entlassener Totschläger, in ihren Händen liegt nun das Schicksal des Todeskandidaten.

Takano vermittelt seinen Lesern in diesem Roman einen interessanten Einblick in das japanische Strafrecht sowie den Umgang dieser Nation mit Schuld und Sühne. Auf uns Europäer wirken diese japanischen Formalien sehr gewöhnungsbedürftig, allein schon der Umstand, dass ein Täter Reue zeigen und einen finanziellen Ausgleich zahlen muss, um in den Genuss einer Begnadigung zu kommen. Und dann ist da natürlich noch das alles überlagernde Thema Todesstrafe, das aus den verschiedenen Perspektiven der handelnden Personen beleuchtet wird und nicht nur das finale Ereignis sondern auch den Weg dahin kritisch betrachtet.

Eine beeindruckende Lektüre, unaufgeregt und ohne Effekthascherei erzählt, die inhaltlich sowie formal die Funktionsweise des japanischen Rechtssystems transportiert und zum Nachdenken anregt, ohne das Urteil des Lesers in vom Autor geplante Bahnen zu lenken.

Bewertung vom 10.01.2018
Blutzeuge / Jane Rizzoli Bd.12 (eBook, ePUB)
Gerritsen, Tess

Blutzeuge / Jane Rizzoli Bd.12 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die Autorin Tess Gerritsen startet 2001 mit „Die Chirurgin“ eine Reihe, in der Jane Rizzoli und Maura Isles, beide für die Bostoner Mordkommission tätig, im Mittelpunkt stehen. Es ist der erfolgreiche Auftaktband der Rizzolo & Isles-Thriller. 2010 kommt in den Vereinigten Staaten der „Film zum Buch“ in Gestalt der dazugehörigen Fernsehserie dazu, die ab 2012 auch in Deutschland ausgestrahlt wird und nun nach sieben Staffeln an ihrem (vorläufigen?) Ende angelangt ist. Aber glücklicherweise müssen die Fans nicht auf das Bostoner Dreamteam verzichten, denn mit dem aktuellen Thriller „Blutzeuge“ ist mittlerweile der 12. Band der Reihe erschienen und bietet unterhaltsame Spannung, ganz so, wie wir es von Tess Gerritsen gewohnt sind:

Im tiefsten Winter werden in Boston kurz nacheinander zwei Leichen entdeckt. Bei der ersten handelt es sich um eine Produzentin von Horrorfilmen, der man post mortem die beiden Augäpfel entfernt und in ihren Händen platziert hat. Der zweite Leichnam ist männlich und wurde nach dem Tod mit Pfeilen gespickt. Weitere Tote folgen, Jane Rizzoli und ihre Kollegen stehen vor einem Rätsel. Welchen Sinn haben diese bühnenreifen Inszenierungen der Leichen? Gab es zu Lebzeiten Verbindungen zwischen ihnen? Die Nachforschungen laufen auf Hochtouren und zeigen auch bald erste Ergebnisse. Die Toten wuchsen gemeinsam in einem katholischen Kinderheim auf, das wegen eines verschwundenen Mädchens sowie Misshandlungen in mehreren Fällen vor Jahren in die Schlagzeilen geriet. Maura Isles, nicht nur Gerichtsmedizinerin und Janes Freundin sondern auch locker mit einem katholischen Geistlichen liiert, liefert schließlich den entscheidenden Hinweis, der auf die Spur des Täters führt…

Verschiedene Perspektiven forcieren von Beginn an das Tempo und halten den Spannungsfaktor durch geschickt gesetzte Cliffhanger durchgängig hoch, wobei die Autorin geschickt zwischen den Ereignissen in der Vergangenheit, den aktuellen Mordfällen und dem Privatleben der Ermittler hin und her switcht. Abwechslung und Auflockerung ist also zu jeder Zeit garantiert. Logisch aufgebaut geht es Gerritsen nicht um besonders blutrünstige Schilderungen der Morde sondern vielmehr Fragen der Wahrnehmung, um das Spielen mit Einbildung und Realität und um die Faktoren, die das Verhältnis zwischen Täter und Opfer bestimmen. Und das hat die Autorin wirklich clever umgesetzt.

Leser, die einen spannenden und unterhaltsamen Thriller suchen, werden hier gut bedient. Und die Kenntnis der Vorgänger ist nicht unbedingt zwingend erforderlich, allerdings aber hilfreich, wenn man an den Protagonisten und ihrer persönlichen Entwicklung interessiert ist.

Bewertung vom 04.01.2018
Nachtlichter
Liptrot, Amy

Nachtlichter


ausgezeichnet

Die Orkneys, eine Inselgruppe ganz oben im schottischen Nordwesten. Wasser, Wind, Gras und Steine. Kaum Perspektiven für die Zukunft. Kein Wunder, dass es die jungen Inselbewohner auf das Festland zieht. Nach Süden, dorthin, wo das Leben pulsiert. In die Metropolen. Nach Edinburgh oder London.

So auch Amy Liptrot, die als Achtzehnjährige den Sprung in die Großstadt wagt. Voller Vorfreude auf diesen neuen Lebensabschnitt. Ein Elternhaus hinter sich lassend, in dem eine zutiefst religiöse Mutter und ein manisch-depressiver Vater zurückbleiben. Dann die Metropole mit ihren Verlockungen an jeder Straßenecke. Partytime. Drogen, der Alkohol fließt in Strömen. Aber die Einsamkeit tief drinnen bleibt. Noch mehr Party, noch mehr Alkohol, bis alle Freunde das Weite gesucht haben und auch der Job weg ist – Absturz. Amy Liptrot ist ganz, ganz unten angekommen. Aber sie rappelt sich auf und sucht Hilfe. Macht einen Entzug, eine Therapie. Doch sie weiß auch um die Fallstricke, die auf diesem schweren Weg lauern. Sie braucht Abstand von ihrem bisherigen Leben, damit der Therapieerfolg nicht gefährdet wird, damit sie der Versuchung nicht nachgibt und rückfällig wird. Zurück zu den Wurzeln, zu den Orten ihrer Kindheit und Jugend, nach zehn Jahren zurück auf die Orkney Inseln.

Im Angesicht der rauen Elemente, fernab des städtischen Komforts, ohne Ablenkungen, zurückgeworfen auch sich selbst, und so findet sie jeden Tag ein bisschen mehr zu sich zurück. Erstmals setzt sich Liptrot mit ihrer Heimat intensiv auseinander. Studiert die Geschichte, beobachtet das Meer, setzt Steinmauern, hilft beim Lammen und wird zur Wachtelkönig-Beauftragten der örtlichen Vogelschutz-Stiftung. Und sie findet eine neue Droge – das tägliche Schwimmen in der eiskalten See zu jeder Jahreszeit.

Aber auch das Schreiben, die Reflexionen ihrer Vergangenheit und Gegenwart, helfen der Autorin bei der Verarbeitung ihrer Sucht. Und so ist „Nachtlichter“ entstanden, ein Bestseller in Großbritannien, der sowohl mit dem „Wainwright Prize for Best Nature and Travel Writing“ als auch mit dem „PEN Ackerly Prize“, der für gelungene Autobiographien vergeben wird, ausgezeichnet wurde.

Eine höchst beeindruckende Lektüre, zum einen wegen der schonungslosen Offenheit, mit der die Autorin ihre Sucht beschreibt, zum anderen wegen der beeindruckenden Schilderung dieser rauen Inselgruppe im hohen Norden. Lesen!

Bewertung vom 03.01.2018
Angstmörder / Nicholas Meller Bd.1
Stassen, Lorenz

Angstmörder / Nicholas Meller Bd.1


weniger gut

Lorenz Stassen hat sein Handwerk in der Fernsehbranche des Vorabendprogramms gelernt, was man seinem Erstling „Angstmörder“ anmerkt. Er hält sich nicht lange mit Vorgeplänkel auf, sondern führt den Leser gleich mitten in das Geschehen. Den Plot entwickelt er gradlinig und weitgehend schnörkellos, arbeitet meiner Meinung nach aber, gerade was die Charakterisierungen des Personals angeht, mit zu vielen Klischees.

„Angstmörder“ ist der typische Buddy-Krimi: da ist zum einen Nicholas Meller, erfolgloser Anwalt mit russischen Wurzeln, zum anderen Nina Vonhoegen, die ihm zur Seite gestellt ist. Eine taffe junge Rechtsreferendarin mit einer Körperbehinderung, die sich allerdings nicht weiter einschränkend auf ihr Verhalten auswirkt. Der Dritte im Bunde ist der Serienkiller, der – natürlich – ein dunkles Geheimnis mit sich herumschleppt, das für sein gestörtes Verhalten verantwortlich ist. So weit, so bekannt, aber Stassen kann es nicht lassen, diesen Figuren Stereotypen mit auf den Weg zu geben, die meiner Meinung nach nicht nötig gewesen wären. So gipfelt die Herkunft Mellers beispielsweise in dessen Unterstützung durch die Russenmafia. Nun ja…

Die Entwicklung der Story geht Stassen routiniert an, hier gibt es nichts zu kritisieren. Thematisch am aktuellen Zeitgeschehen, mit einigen Twists, die für Spannung sorgen sollen. Ok. Aber sprachlich konnte mich dieser Krimi nicht überzeugen: zu einfach, zu schlicht, die Dialoge zu simpel. Alles in allem ordentliches Handwerk, das nicht aus der Masse herausragt – ganz in Ordnung für einen Erstling, unter dem Strich aber leider doch nur Dutzendware.

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Bewertung vom 18.12.2017
Menschenfischer / Kommissar Marthaler Bd.6
Seghers, Jan

Menschenfischer / Kommissar Marthaler Bd.6


ausgezeichnet

Robert Marthaler ist zurück. Der Frankfurter Kommissar löst in „Menschenfischer“, dem sechstem Band der Reihe, gleich zwei Fälle. Zum einen geht es um einen ungelösten Mordfall an einem männlichen Jugendlichen, der in das Jahr 1998 zurückdatiert, zum anderen um zwei Roma-Jungen, die verschleppt und in einem stillgelegten Bergwerksstollen unterhalb der Loreley ermordet aufgefunden werden.

Jan Seghers, Pseudonym von Matthias Altenburg, Journalist und Schriftsteller aus Frankfurt, greift hier einen ungelösten Mordfall auf, der Ende der neunziger Jahre im Frankfurter Großraum für Furore sorgt: In Frankfurt-Höchst wird der verstümmelte Leichnam eines Jungen gefunden und trotz Zeugenaussagen und Phantombild verlaufen alle Ermittlungen im Sande. Bis heute ist/sind der/die Täter noch immer nicht gefasst.

Was wäre wenn…? Diese Frage mag sich Seghers gestellt haben, als er den Mordfall Tristan B. seinem aktuellen Kriminalroman mit Kommissar Marthaler als Ausgangspunkt zugrunde legt und eine Geschichte drum herum konstruiert, die so oder so ähnlich tatsächlich passiert sein könnte. An Brisanz gewinnt diese Annahme natürlich auch dadurch, dass sich Vergleiche mit unserer aktuellen bundesrepublikanischen Wirklichkeit aufdrängen, denn an Stelle der beiden Roma-Jungen aus dieser Story könnten das hier und heute auch unbegleitete Flüchtlingskinder sein.

Die Marthaler-Krimis zeichnen sich zwar durchgängig durch ihren Realitätsbezug aus, wirken aber trotz der detaillierten Beschreibungen der Polizeiarbeit nie trocken oder langatmig. Das liegt vor allem daran, dass Seghers seinem Protagonisten immer interessante „Typen“ zur Seite stellt. In diesem Fall sind es neben seinem Freund Carlos (Pathologe mit Hang zur Völlerei und den Lesern bereits aus den Vorgängern bekannt) auch noch ein ehemaliger Kollege, Rudi Ferres, mittlerweile im Ruhestand und ins sonnige Südfrankreich abgewandert, wo er die Tage zwischen Suff und privaten Nachforschungen in dem Mordfall aus 1998 verbringt und Marthaler einen entscheidenden Hinweis liefert. Und dann wäre da noch Kizzy Winterstein, die unkonventionelle Kommissarin aus Wiesbaden mit jüdischen und Roma-Wurzeln, die nach den beiden aktuell verschwundenen Jungen sucht und sich im Laufe der Ermittlungen mit Marthaler zusammenschließt, um die für die Morde Verantwortlichen dingfest zu machen. Eine fruchtbare Zusammenarbeit, die für die Zukunft hoffen lässt.

Spannend wie immer und am Puls der Zeit – sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 12.12.2017
Leere Herzen
Zeh, Juli

Leere Herzen


gut

Deutschland, 2025 –it’s a suicide world. Merkel war einmal, mittlerweile regiert die BBB (Besorgte Bürger Bewegung) das Land, staatliche Organe weiten ihre Macht aus, alles ist auf Effizienz ausgerichtet. Die Menschen haben sich angepasst, jeder schaut zuerst nach sich und seinem Vorteil, Moral und Mitgefühl sind Mangelware, es regiert der Kommerz. Diejenigen, die sich ihre Emotionalität bewahrt haben, werden von jenen mitleidig als Träumer angesehen.

Das ist die Ausgangslage in Juli Zehs neuen Roman „Leere Herzen“, und eine ganz besondere Repräsentantin dieser veränderten Welt ist Britta, eine Therapeutin, die gemeinsam mit Babak, einem Computerspezialisten, eine Lifecoaching-Praxis, die „Brücke“ – oder sollte man es nicht lieber ein lukratives Business nennen? – betreibt. Babak sucht in diversen Foren im Netz nach potentiellen Selbstmördern, denen Britta eine Therapie nach ihrem selbst entwickelten Stufenprogramm anbietet. Vordergründig scheint es, als wolle sie ihnen die Lebensfreude zurückgeben. In Wirklichkeit geht es ihr darum, die hundertprozentigen Kandidaten herauszufiltern, die sie dann gegen ein fürstliches Salär als Selbstmordattentäter an die entsprechenden Organisationen vermittelt, die eine gewaltsame, öffentlichkeitswirksame Aktion für das Erreichen ihrer Ziele im Visier haben. Terroraktionen als kontrollierte, gewinnorientierte Aktionen. Coole Sache in den Augen der einen, Menschenverachtung par excellence in den Augen der anderen. Das Geschäft floriert, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als die „Empty Hearts“ auftauchen und der „Brücke“ die Klienten abfischen…

Vor allem unter dem Eindruck des Wahlergebnisses der AfD und dem allgemeinen Rechtsruck in Europa und der Welt ist es ein erschreckendes Szenario, das uns Juli Zeh in „Leere Herzen“ präsentiert. Protagonisten, die rational kalt agieren, ohne einen Funken Empathie. Wenn Zweifel am individuellen Handeln, dann nur im Geheimen und sofort wieder überlagert von rationalen Überlegungen, kalte, leere Herzen eben. Und ebenso unterkühlt hält Zeh den Leser auch auf Distanz, der die Personen und deren Agieren relativ emotionslos verfolgt. Zwar verfolgt man den Handlungsverlauf interessiert und stellenweise auch schockiert, aber im Wesentlichen bleibt man doch ein unbeteiligter Beobachter, der keine Partei ergreift.

Verglichen mit den anderen Veröffentlichungen der Autorin kommt dieser Roman allerdings recht schlicht und sehr klischeehaft, fast schon eindimensional daher. Das mag zum einen an der Dialoglastigkeit, zum anderen aber auch an der handlungsorientierten Story liegen – beides lässt wenig Raum für Reflektion innerhalb des Textes. „Leere Herzen“ ist ein Roman, ein Gedankenspiel, das unterhält. Schnell gelesen, aber ohne besonderen Nachhall, und deshalb auch schnell wieder vergessen.

Bewertung vom 10.12.2017
Kaltes Land / Kommissar Steiger Bd.3
Horst, Norbert

Kaltes Land / Kommissar Steiger Bd.3


ausgezeichnet

Wer Krimis lesen möchte, die die Wirklichkeit abbilden und die Polizeiarbeit in Deutschland realistisch beschreiben, kommt nicht an den Romanen von Norbert Horst vorbei. Im Gegensatz zu vielen seiner Autorenkollegen beschreibt er keine Superhelden oder denkt sich möglichst viele abartige Mordmethoden aus, sondern hält sich an die Realität des deutschen Polizeialltags. Das mag daran liegen, dass Horst das Berufsfeld aus eigenem Erleben kennt, war er doch viele Jahre „auf der Straße“ als Ermittler tätig. Mittlerweile ist er verantwortlich für Pressearbeit und bildet junge Kollegen aus.

Es ist ein „Kaltes Land“, so auch der Titel des vorliegenden Kriminalromans, dem dritten Band der Reihe, in der wir Kommissar Thomas Adam, von seinen Kollegen nur „Steiger“ genannt, bei den Ermittlungen im Dortmunder Revier begleiten. Kalt für all diejenigen, die nicht in gesicherten Verhältnissen leben. Kalt für die jungen Menschen, die als Flüchtlinge ohne Begleitung in das gelobte (Deutsch)Land kommen und auf eine bessere Zukunft hoffen. Nicht registriert und allein in einem fremden Land werden sie dann zu einer leichten Beute für kriminelle Elemente, denen ein Menschenleben nichts gilt. Sie geraten in die Fänge von Menschenhändlern, die sie in die Prostitution zwingen. Oder sie werden als Mulis eingesetzt d.h. sie transportieren mit Drogen gefüllte Kondome im Körper, was natürlich nicht ohne Risiko ist, können diese doch jederzeit platzen und den Träger töten. Falls dies geschieht, haben ihre Auftraggeber aber keinerlei Skrupel die Leichname auszuschlachten und die Organe auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Steiger und seine Kollegin Jana setzen alles daran, den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die Drahtzieher dieses kriminellen Netzwerks ihrer gerechten Strafe zuzuführen.

Neben den Beschreibungen der Ermittlungsarbeit gibt es aber noch einen weiteren Erzählstrang in dem der Autor die Perspektive der beiden Jugendlichen Samira und Arjun nutzt, die sich von Afghanistan aus auf den Weg nach Deutschland machen. Er beschreibt die Widrigkeiten, denen sie ausgesetzt sind, die Ängste, die sie haben, die Gefahren, die auf diesem Weg lauern und die sie bewältigen müssen, ehe sie schließlich, wie so viele vor ihnen, in Deutschland ankommen.

Horst wertet nicht, er schildert die Realität, die so oder so ähnlich für viele Flüchtlinge Alltag ist. Und doch spürt man in jeder Zeile die tiefe Empathie, die der Autor für diese Menschen empfindet. Nüchtern und realistisch schreibt er, und gerade deshalb so beeindruckend glaubwürdig. Ein Kriminalroman, dessen Thematik uns alle angeht. Lesen!

Bewertung vom 01.12.2017
Blutroter Sonntag / Frieda Klein Bd.7
French, Nicci

Blutroter Sonntag / Frieda Klein Bd.7


gut

Dean Reeve, die Nemesis Frieda Kleins, treibt auch im siebten Band („Blutroter Sonntag“) der Reihe des Autorenehepaars Nicci Gerrard und Sean French um die Londoner Psychotherapeutin sein Unwesen. Aber vielleicht dann doch nicht? Wer weiß…

Als ein höchst unangenehmer Geruch sich in Friedas Haus ausbreitet, entdeckt ihr zu Hilfe gerufener Freund einen Leichnam unter den Bodendielen. Es ist der Privatdetektiv, den sie engagiert hat, um Reeve ausfindig zu machen. Es stellt sich die Frage nach dem Täter, und natürlich liegt die Vermutung nahe, dass Dean Reeve hier seine Finger im Spiel hat. Aber noch bevor die Ermittlungen der Polizei richtig in Fahrt kommen, werden Menschen in Friedas direktem Umfeld attackiert. Um sie zu treffen, nimmt sich der Täter nun offenbar ihre Freunde vor, einen nach dem anderen. Männer, Frauen, sogar Kinder werden zu Opfern und sind für das Leben gezeichnet. Aber kann es wirklich sein, dass Reeves seinen Modus Operandi so stark verändert hat? Zumindest Frieda ist davon nicht überzeugt, denn es sind zu viele Details in der Vorgehensweise, die sich von Reeves früheren Verbrechen unterscheiden. Und bald hegt sie den Verdacht, dass hier ein Nachahmer am Start ist.

Wie bereits in den Vorgängerbänden spielen Gerrard/French auch in „Blutroter Sonntag“ ihre Stärken aus. Es sind die detaillierten Charakterzeichnungen, die aus den Personen fast schon liebenswerte Bekannte machen, sowie das stimmige Lokalkolorit, das man dann um so mehr schätzen kann, wenn man die beschriebenen Orte aus eigenem Erleben kennt. Das machen die beiden Autoren richtig gut.

Aber es gibt leider auch zahlreiche Wermutstropfen. Die Reihe um Frieda Klein neigt sich dem Ende zu. Mit den titelgebenden Wochentagen, beginnend mit „Blauer Montag“ und endend mit „Blutroter Sonntag“, ist das Duo mittlerweile am Ende angelangt. Und auch die Stories rund um Frieda und deren persönliches Umfeld scheinen nun endgültig ausgereizt, zumindest vermitteln die beiden letzten Bände der Reihe diesen Eindruck. French schreibt routiniert, leicht und schnell konsumierbar durch die kurzen Kapitel, aber die Inhalte wirken so, als wären sie zum wiederholten Mal recycelt worden. Auch der Spannungsfaktor hält sich diesmal durch das frühzeitige Präsentieren der Auflösung sehr im Rahmen - leider. Zu allem Überfluss endet auch dieser Band, wie gehabt, mit dem entsprechenden Cliffhanger, der auf den achten Teil der Frieda Klein-Serie verweist – im Original ist dieser bereits mit dem Titel „The Day of the Dead“ für Mitte nächsten Jahres angekündigt und soll/wird die Reihe abschließen. Und das ist auch gut so.

Bewertung vom 13.11.2017
Gewaltkette
Nair, Anita

Gewaltkette


ausgezeichnet

Bangalore, drittgrößte Stadt Indiens, Technologie- und IT-Zentrum, auf den ersten Blick eine moderne Metropole, die stellvertretend für die Anstrengungen Indiens auf dem Weg in eine bessere Zukunft steht . Kratzt man jedoch an der Oberfläche, offenbart sich eine zutiefst zerissene Gesellschaft, die versucht, sich aus der Tradition zu lösen, aber noch nicht in der Moderne angekommen ist. Postkolonialismus und Kastenwesen prägen noch immer den Alltag, dazu kommen die negativen Auswüchse moderner Industriegesellschaften. Landflucht und Übervölkerung, bittere Armut und protzender Reichtum, Slums und Paläste, Kriminalität und Korruption.

Hier ermittelt Inspektor Gowda, unterstützt von seinem Team. Und wie Bangalore vereint auch Gowda zahlreiche Widersprüche in sich. Beruflich kann man ihm nichts vorwerfen, er ist absolut professionell, integer, ein Mann mit Grundsätzen. Anders hingegen sieht es im Privaten aus, hier nimmt er es mit der gängigen Moral nicht so genau, hat außer seiner Ehefrau auch noch eine Geliebte und wird weder der einen noch der anderen gerecht.

Aktuell arbeitet er an zwei Fällen. Zum einen ist da der bekannte Anwalts, wohnhaft in einer hochgesicherten Luxussiedlung, der dort mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden wird, zum anderen ist die zwölfjährige Tochter seiner Haushaltshilfe spurlos verschwunden. Zuerst scheint es, als ob das eine mit dem anderen nichts zu tun hätte, aber im Laufe der Ermittlungen muss Gowda feststellen, dass zwischen beiden Ereignissen eine unheilvolle Verbindung besteht.

Kinder als Ware, verschleppt, verkauft, misshandelt und prostituiert. Kinder, die den Reichen und Mächtigen zu Willen sein müssen - ein Thema, das an die Nieren geht. Aber Anita Nair entwickelt ihre Story behutsam und mit viel Fingerspitzengefühl. Wo andere Autoren mit drastischen Szenen aufwarten macht sie Andeutungen und überlässt so vieles den Vorstellungen des Lesers. Und gerade das macht ihre Schilderungen umso eindringlicher. „Gewaltkette“ bietet einen ungeschönten Blick auf Indien, ein Land, das sich als Industrienation präsentiert, aber noch immer seine patriarchalische Prägung in einem Alltag lebt, in dem Frauen und Kinder ausgebeutet und ihnen jegliche Rechte verweigert werden. Lesen!