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Bibliomarie

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Insgesamt 1032 Bewertungen
Bewertung vom 21.03.2018
Brandenburger Gold
Heinze, Carla M.

Brandenburger Gold


gut

In der Pirschheide bei Potsdam sucht ein Mann mit einem Metalldetektor nach alten Schätzen. Er findet eine alte Weltkriegsbombe, aber die Explosion verursacht nicht seinen Tod. Da war ein Schütze schneller.
Maik von Lilienthal von der Kripo Potsdam stößt bald auf Spuren, die tief in die Vergangenheit zurück reichen. Genauer gesagt in die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs, als ein Eisenbahner einen geheimen Transport begleitete. Aber auch die Gegenwart bietet jede Menge Verdachtsmomente: ein Schweinemäster mit den besten Beziehungen zur Politik und direktem Zugang zu Subventionen, ein Tierarzt und ein Tierschützer, die nicht genehmigte Videoaufnahmen aus dem Stall ins Netz stellen – und wäre das alles nicht genug - mischt auch Enne von Lilienthal, Maiks Mutter kräftig mit. Als pensionierte Fallanalytikerin kann sie es nicht lassen, ihrem Sohn über die Schulter zu schauen und private Verbindungen zum Polizeichef helfen ihr oft einen Schritt weiter. Kein Wunder, dass Maik am liebsten die Brocken hinschmeißen würde.
Diesen Krimi habe ich eigentlich zweigeteilt empfunden. Ganz stark ist der Mittelteil, der den Leser unmittelbar in die Vergangenheit katapultiert und die Geschehnisse beleuchten, die 70 Jahre später zum Auslöser der Todesfälle werden. Gefallen hat mir dabei auch, dass die Rückblende in einem Block zusammengefasst war und nicht in wechselnden Kapiteln einflochten wurde. Das gab dem historischen Teil eine starke Aussagekraft.
Die Protagonisten fand ich nicht uneingeschränkt gelungen. Maik und seine Mutter waren sehr gut charakterisiert, die Spannungen, die sich aus der ungewollten Einmischung ergeben, haben viel Lebendigkeit gebracht. Manche Figuren waren mir zu blass. Nebensächliche Begebenheiten werden sehr detailreich erzählt und verlaufen dann im Sand (Gerichtsmediziner) und zu oft spielte der Zufall eine Rolle. (Man sitzt im Flugzeug nebeneinander, Enne kennt zufällig den Direktor des Bankhauses, Enne ist zufällig dabei, wenn eine alte Dame etwas aus der Vergangenheit preisgibt) Auch hätte ich mir gewünscht, dass ein dicker Handlungsstrang besser mit dem Schluss verflochten würde. So blieben mir doch einige Fragen offen.
Insgesamt hat mich der Krimi aber vor allem durch den historischen Bezug überzeugt, Dramatik und Spannung sind sehr gut entwickelt und der Plot hat mir gut gefallen,

Bewertung vom 19.03.2018
Chateau Mort / Luc Verlain Bd.2
Oetker, Alexander

Chateau Mort / Luc Verlain Bd.2


ausgezeichnet

Der Marathon du Médoc ist ein Ereignis in der Aquitaine. Tausende nehmen zum Teil in lustigen Verkleidungen an dem Lauf teil, die Proviantstationen sind in den berühmten Weinlagen aufgebaut und natürlich lässt es sich kein Winzer nehmen, die Läufer mit ihren besonderen Tropfen zu erfrischen. Auch Luc Verlaine, erst seit kurzem aus Paris gekommen, hat sich freiwillig gemeldet um mit vielen Helfern den Lauf zu sichern. Sein Kumpel, Commissaire Yacinte aus Paris, lässt es sich ebenfalls nicht nehmen, einen Urlaubstag zu opfern.
Der Lauf nimmt einen dramatischen Fortgang, als Hubert de Langeville, ein älterer, aber fitter Läufer nach einem Stopp beim Gut von Richard, Lucs bestem Freund aus Jugendtagen, tot zusammenbricht. Auch einen weiteren Läufer, einen Provinzpolitiker trifft es, der aber in letzter Minute noch reanimiert werden konnte.
Schon nach einigen Ermittlungen wird klar, das Richard von Langevilles Tod profitieren könnte, denn er wollte dessen Weingut erwerben, nun nach Langevilles Tod, scheint der Weg frei. Anouk, Lucs Kollegin und wenn es nach ihm geht, auch bald mehr, sieht Lucs Ermittlungen kritisch. Sie fürchtet, seine lange Freundschaft mit Richard beeinträchtigt seinen objektiven Blick. Ziemlich viel Stress also für Luc, der eigentlich im Aquitaine eine ruhigere Kugel schieben wollte.
Inmitten einer wunderbaren Landschaft, eingebettet zwischen Weinhügeln und der Atlantikküste spielt dieser „Genusskrimi“. Genusskrimi deshalb, weil jede Zeile das französische Savoir Vivre atmet. Zwischen Wein und lokalen Spezialitäten, die Luc nach seiner Pariser Zeit ganz besonders genießt, wird aber schnell klar, dass es einen beinharten Konkurrenzkampf zwischen den großen Gütern gibt und mit harten Bandagen gekämpft wird. Spannende Ermittlungen verbinden sich mit tollen Landschaftsbeschreibungen und kulinarischen Erlebnissen. Das ist charmant und kurzweilig geschrieben, ein Buch zum Wohlfühlen und zum Schwelgen. Dabei gerät die Krimihandlung nie aus dem Blick, die Spannung wird stetig vorangetrieben und gesteigert. Ich muss gestehen, bis ganz zum Schluss war ich auf einer falschen Spur, so geschickt hat der Autor die Spuren gelegt.
Der Krimi hat mir von der ersten Seite an gefallen, noch besser als der erste Band. Das Buch ragt deutlich aus der Masse der vielen Frankreichkrimis heraus. Damit schließe ich auch ausdrücklich die Bretagne-Krimis ein. Ich finde, für Frankreichfans ist Alexander Oetker ein Muss.

Bewertung vom 18.03.2018
Die Affäre Carambol (Goethe und Schiller ermitteln)
Lehnberg, Stefan

Die Affäre Carambol (Goethe und Schiller ermitteln)


sehr gut

Wieder einmal müssen die zwei Heroen der deutschen Klassik die Arbeit an ihren dramatischen Werken unterbrechen um „criminalistisch“ zu ermitteln. Beide befinden sich in Frankfurt, um Mutter Goethe einen Besuch abzustatten, als sie vom Fürsten und vom Stadtrat um Hilfe gebeten werden. Seit einiger Zeit gibt es seltsame Vorfälle in der Stadt, die auch schon Todesopfer forderte. Man fürchtet sich vor Repressalien durch die napoleonischen Besatzer, sollte etwas davon nach draußen dringen.


Von den Geschehnissen erfahren wir durch die Notizen Schillers, der wie weiland Dr. Watson als Mitstreiter dem Genie zu Seite steht und der sich nicht wenig ärgert, wenn er die zweite Geige spielen muss. Immer wieder witzig, wenn die Eifersüchteleien in spitzen Wortgefechten enden und sie Schiller dann dem Leser weitergibt. Denn Schiller wendet sich als Chronist ganz bewusst an einen späteren Leser und vermittelt dadurch das Gefühl ganz persönlich angesprochen und dabei zu sein.


Der Autor nutzt als Stilmittel eine etwas altertümelnde Sprache, die ich mit großen Vergnügen gelesen habe. Dazu auch immer wieder eine gewollt historische Rechtschreibung, die aber nicht konsequent beibehalten wird. Das wäre dem heutigen Leser auch wohl zu mühsam. So aber gibt das diesem Buch eine ganz besondere Atmosphäre mit. Der Krimi ist dann auch weniger ein klassisch aufgebauter Kriminalfall, eher eine Politintrige, die die beiden Dichter auch mehr zufällig lösen.


Etwas ganz Besonderes ist die Aufmachung, gebunden in feines, seidig glänzendes Papier mit goldgeprägten Scherenschnitten und Frakturschrift wirkt es edel und klassisch. Auch bei der Nennung des Verlags freut man sich. Bei der G. J. Cottaschen Buchhandlung sind schon damals Goethes und Schillers Werke erschienen.

Bewertung vom 18.03.2018
Margaret Stonborough-Wittgenstein
Greiner, Margret

Margaret Stonborough-Wittgenstein


ausgezeichnet

Margaret war eine Tochter des österreichischen Industriemagnaten Karl Wittgenstein. Zu ihren Geschwistern gehören auch der berühmte Philosoph Ludwig Wittgenstein und der Pianist Paul Wittgenstein. Der Vater zog sich schon früh aus dem aktiven Wirtschaftsleben zurück und war fortan als Mäzen der bildenden Kunst und der Musik engagiert.
Gretl wächst in großbürgerlichem Luxus in Wien auf, elterliche Liebe oder Nähe war für die Geschwister ein eher seltenes Gut. Erzogen wurden sie hauptsächlich von Kindermädchen und Hauslehrern. Gretl war ein wissbegieriges Mädchen, das sich gut zu behaupten wusste. Musik und Kunst prägten sie schon sehr früh. Als sie dem Amerikaner Jerome Stonborough begegnet, imponierte ihr vor allem, dass er der erste Verehrer war, der ihr auf Augenhöhe begegnet. Ihre Leidenschaft für Naturwissenschaften nicht spöttisch abtut. Sie wird seine Frau, aber die Ehe bleibt distanziert. Als junge Ehefrau zieht Margaret mit ihrem unsteten Mann durch die Metropolen Europas, sie richtet nun ihre Energien auf die Ausstattungen der wechselnden Wohnungen.


Margaret lebte in einer unruhigen Zeit, der Erste Weltkrieg fordert seinen Tribut, ein Bruder stirbt. Die Weltwirtschaftskrise geht nicht spurlos am immensen Vermögen vorüber und Wien gerät immer mehr in den Bann der Nazis. Auch wenn es die Wittgensteins nie so gesehen haben und längst anderen Konfessionen angehören, einen Arierausweis erhalten sie nicht, den jüdischer Großvater konnten sie weder mit Geld noch mit Verbindungen aus dem Stammbaum löschen.


Margaret Stonborough-Wittgenstein lebte ein pralles Leben voller Höhen und Tiefen und geschichtlicher Umwälzungen. Sie war eine starke Frau von vielen Talenten, die von der ausgezeichneten Biografin Margret Greiner ins Blickfeld gerückt wurde. Ihre Biografie liest sich spannend wie ein Roman und lässt den Leser an dieser Lebens- und Familiengeschichte teilhaben. Dieses Buch lässt auch eine untergegangene Welt auferstehen, die Nazizeit und Kriege vernichtet haben. Viele Briefauszüge, Tagebucheinträge und Privatfotos dokumentieren diese Zeit. Auch wenn sich die die Biografie auf Margaret Stonborough-Wittgenstein konzentriert, erfährt der Leser auch vieles über die Geschwister und deren Entwicklung, vor allem in der Interaktion mit ihr.


Wäre Margaret später geboren – wie hätte sie ihre Talente und Begabungen nutzen können! So setzt sie ihr Organisationstalent für wohltätige Zwecke ein, mischt sich in die Leben ihrer Geschwister, wo sie oft rücksichtslos erscheinend, Verbindungen fördert oder entzweit. Ihre eigene Ehe ist nur noch eine formale Verbindung, das Ehepaar lebt schon lange getrennt, pflegt einen höflich-freundlichen Umgangston. Zwei Söhne stammen aus der Ehe, denen sie eine liebevolle, aber auch bestimmende Mutter ist.


Margret Greiner, deren Biografien ich überaus schätze, ist es wieder gelungen, einen Charakter lebendig werden zu lassen und zugleich ein Zeit-und Gesellschaftsbild zu malen. Wobei dieser Vergleich sehr gut passt, denn das Cover ziert ein Portrait der Margaret von Gustav Klimt, das sie als junge Braut zeigt. Deutlich wird in diesen Gesichtszügen die Offenheit und Neugier auf das Leben, gepaart mit Charakter und Selbstbewusstsein.

Bewertung vom 14.03.2018
Im Angesicht der Wahrheit
Ziegler, Silke

Im Angesicht der Wahrheit


gut

Nach einer traumatischen Erfahrung – sie wurde nach dem Schulabschlussball von mehreren Mitschülern vergewaltigt – hat Estelle ihre Heimat Argelès-sur-mer verlassen und in Deutschland ein neues Leben begonnen. Die Erbschaft ihrer Großmutter bringt sie zurück nach Südfrankreich. Sie will die alte Auberge, die ihr nun gehört, aufmöbeln und einen Neuanfang machen. Aber trotzdem will sie wissen, was aus ihren Peinigern geworden ist und beauftragt einen Privatdetektiv mit Nachforschungen.
Während sie das Hotel renoviert, mit tatkräftiger Hilfe eines überaus attraktiven Nachbars, der leider verheiratet ist, wie es den Anschein hat, kommt es zu den ersten Begegnungen mit ihrer Familie. Die verlaufen allerdings nicht sehr harmonisch und auch die erste Begegnung mit einem Täter von damals bringt Estelle in Wallung. Sie streitet lautstark und wirft ihn aus ihrem Haus.
Als er am nächsten Tag erstochen in seiner Wohnung aufgefunden wird, hat er ein Datum in die Stirn geritzt, das Datum, das Estelle nur allzu vertraut ist. Da es auch Zeugen für ihren Streit mit dem Mann gibt, gerät sie unter Tatverdacht.
Das Buch ist wirklich flott geschrieben und richtige Urlaubslektüre. Dafür sorgen schon die schönen Landschaftsbeschreibungen und das Hotel, in dem man am liebsten gleichen Urlaub machen möchte.
Estelle als Hauptfigur ist sympathisch, mir hat gefallen, wie tatkräftig sie sich ihrem Hotel widmet und ihre Vergangenheit aufarbeitet. Dabei hilft ihr das Tagebuch ihrer Großmutter, damit bekommt der Roman auch noch einen Erzählstrang in die Vergangenheit. Ich habe einen Krimi, einen Familienroman und eine Liebesgeschichte gelesen. Alle drei Themen fließen ineinander und ergänzen sich zu einer wirklich unterhaltsam-fesselnden Geschichte, wobei das Krimimotiv für meinen Geschmack etwas zu kurz gekommen ist.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.03.2018
Leinsee
Reinecke, Anne

Leinsee


ausgezeichnet

Karl ist der Sohn des legendären Künstlerehepaars Stiegenhauer. Er selbst tritt schon seit seiner Schulzeit unter dem Pseudonym Karl Sand auf. Das war nicht selbst gewählt, die Eltern bestimmten es bei seinem Eintritt ins Internat so. Karls Eltern waren sich selbst genug, ihre innige Zweisamkeit, verbunden mit der künstlerischen Symbiose, ließ kein Platz für ein Kind. Selbst in den Ferien war er eher ein unliebsamer Gast, der die Abläufe störte. So wandte sich Karl nach dem Internat auch völlig von den Eltern ab. Erst die Nachricht einer schweren, lebensbedrohlichen Krankheit seiner Mutter und der dadurch ausgelöste Suizid des Vaters führen ihn zurück nach Leinsee. Zurück im Elternhaus wird er nun mit einem Teil seines Lebens konfrontiert, den er weit von sich geschoben, aber doch nie abgeschlossen hat. Seine Mutter erkennt ihn nicht mehr, im Gegenteil, sie hält ihn für ihren geliebten Mann und Karl spielt – anfangs zögernd – das Spiel mit.


Die für ihn völlig fremde Welt und die Situation wirft Karl völlig aus der Bahn. Er selbst hat sich inzwischen auch als Künstler einen Namen gemacht und seine Lebensgefährtin und Beraterin drängen auf eine baldige Rückkehr in die Hauptstadt. Doch Karl kann sich nicht lösen, da ist zum einem seine Mutter, die ihn zwar nicht mehr erkennt, der er aber zum ersten Mal richtig nahe ist und da ist Tanja, ein kleines Mädchen aus dem Ort, das ihm völlig unbekümmert begegnet und mit ihrer Alltagswelt erdet.


Das Kind Tanja ist meines Erachtens die wichtigste Person in diesem Roman. Sie taucht auf und verschwindet, es findet kaum eine verbale Kommunikation statt, sie tauschen sich über kleine Schätze wie Gürtelschnallen, Vogelfedern und ähnliche Fundstücke aus. Die Atmosphäre zwischen diesen beiden Personen ist seltsam und geheimnisvoll, für Außenstehende sicher auch befremdend. Nur die Mutter Stiegenhauer in ihren eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten durch den Hirntumor, findet einen unkomplizierten Zugang zu Tanja. Es scheint, dass das Mädchen eine Saite in Karl zum Klingen bringt.


Leinsee ist ein ganz besonderer Roman, ein Künstlerroman, ein Buch über eine fast gescheiterte Existenz, eine tragische Familiengeschichte und nicht zuletzt eine sensible und zarte Liebesgeschichte. Eigentlich entzieht sich das Buch jeder Einordnung. Die Autorin findet einen leichten, schwebenden Stil, der vieles nur andeutet und zwischen den Zeilen lesen lässt. Aber immer wieder durchbricht eine heitere, lustig geschilderte Szene den Ablauf, lässt manche Figuren – ich denke da an den Sekretär Torben – durch Überzeichnung bewusst zum komischen Kontrapunkt werden.
Etwas ganz Besonderes sind die Kapitelüberschriften, die ganz besondere Farben benennen: Kanarienvogelgelb, Gottweiß, Regentageblau und viele mehr, die immer genau die Stimmung des Kapitels treffen.


Leinsee ist ein Debütroman und ich bin beeindruckt, wie reif und stilsicher der Text ist.
Der Diogenes Verlag beweist immer wieder, dass er ein Händchen für junge, bemerkenswerte Talente hat. Ich hoffe, es gibt mehr von Anne Reinecke zu lesen.

Bewertung vom 12.03.2018
Der Reisende
Boschwitz, Ulrich Alexander

Der Reisende


ausgezeichnet

Otto Silbermann ist Jude, ein geachteter Geschäftsmann, der jäh erkennen muss, dass er ein Rechtloser, ein Ausgestoßener ist. Lange wollte er es nicht wahrhaben, seinem Sohn gelang noch die Ausreise nach Frankreich. Er zögerte – zu lange! Wer früher ein honoriger Geschäftspartner war, zeigt nun sein wahres Gesicht. Für lächerliche Summen kaufen sie ihm sein Geschäft ab und verhöhnen ihn dabei noch. Eine Woche lang reist Silbermann mit dem Zug durch Deutschland, immer auf der Flucht, er weiß nicht wohin, seine Wohnung verwüstet, eine Ausreise nicht mehr möglich, die Hatz auf Juden in vollem Gang. Die Verzweiflung überkommt ihn, immer mehr verliert er sich. „Ich werde mich verhaften lassen, dachte er. Ich werde zur Polizeiwache zurückgehen. Man soll mich festnehmen. Der Staat hat mich ermordet, er soll mich auch beerdigen.“


Alexander Boschwitz hat diesen Text schon 1939 verfasst. Er wurde in Deutschland nie veröffentlich, denn Boschwitz war selbst Jude und auf der Flucht. Das gibt diesem Roman eine Authentizität und Dichte, der ich mich nicht entziehen konnte. Auch Boschwitz‘s Flucht führte ihn durch ganz Deutschland und Europa, bis er bei einem Torpedoangriff ums Leben kam. Er kannte die Angst des Gejagten, des Heimatlosen aus eigener Anschauung, sicher ist vieles davon in seinen Roman eingeflossen.


Besonders beeindruckt hat mich die Beschreibung der Verfolgung. Was in Geschichtsbüchern und Dokumentationen beschrieben wird, bleibt oft abstrakt. Hier, mit dem Schicksal eines Einzelnen bekommen der Wahn, die aberwitzigen Vorurteile und die Ausflüchte ein Gesicht. Wenn langjährige Geschäftspartner ihren wahren Charakter zeigen, sein Judentum als Ausrede für Betrug herhalten muss und Silbermann sich nicht wehren darf, spürt man die Verzweiflung. Nicht nur seine materielle Grundlage wurde zerstört, man hat ihm sein Recht auf eine Existenz genommen. Seine Bahnfahrten werden immer verzweifelter, die Persönlichkeit des Protagonisten wird zerstört.


Dieser Eindringlichkeit konnte ich mich nicht entziehen. Manchmal musste ich das Buch sinken lassen und für einige Minuten pausieren. Es ist gut, dass dieser Text nun endlich bei uns erschienen ist.

Bewertung vom 11.03.2018
Sylter Blut / Kari Blom Bd.3
Tomasson, Ben Kryst

Sylter Blut / Kari Blom Bd.3


ausgezeichnet

Auf Sylt häufen sich Einbrüche in Villen, doch beim letzten Einbruch bleibt ein Toter zurück. Der Mann arbeitete in einer bekannten Sylter Securityfirma. Deshalb fordert Hauptkommissar Voss Hilfe vom LKA Kiel an, um eine Beamtin undercover in die Firma einzuschleusen. So kommt Kari Blohm ein weiteres Mal auf die Insel und Voss kennt nun ihre wahre Identität.


Schon zweimal ermittelte Kari in Sylt und jedes Mal geriet sie als Verdächtige in das Visier von Voss, der sich trotzdem Hals über Kopf in sie verliebte und ihr wortloses Verschwinden nicht verstehen konnte. Auch Kari hat wesentlich mehr für Voss übrig, als sie sich eingestehen mag. Nun stehen sie sich als Kollegen gegenüber, was die Situation allerdings nicht leichter macht.


In dem Sicherheitsunternehmen scheint nicht alles zum Besten zu stehen. Die Mitarbeiter beäugen sich misstrauisch, die zwei Söhne des Eigentümers sind sich überhaupt nicht grün und Kari spürt schon in ihren ersten Stunden, das hier der Schlüssel zu Lösung des Falls liegt.


Kari Blohm und Jonas Voss sind zwei unheimlich sympathische Ermittler und schon in den Vorgängerbänden hoffte man, dass sie sich endlich näherkommen. Nun arbeiten sie zwar zusammen, aber damit sind noch lange nicht alle Probleme gelöst.
Der Krimi ist spannend, ohne Zweifel, aber ganz besondere Vergnügen machten mir die Personen. Die sind allesamt toll ausgedacht und ich habe sie gleich ins Herz geschlossen. Nicht nur Kari, sondern auch die altem Damen der „Häkelmafia“, die immer irgendwie mitmischen. Eine der Damen ist die Vermieterin von Kari bei ihren Inseleinsätzen und alle haben nicht nur das Herz auf dem rechten Fleck, auch ihre Lebenserfahrung ist durch nichts zu erschüttern. Außerdem finden sie es nur richtig, Kari ab und zu unter die Arme zu greifen, sie können schließlich mit einem Schatz an Informationen über die Inselbewohner aufwarten, die Polizeiakten locker in den Schatten stellen.


Man sieht schon, „Sylter Blut“ ist kein Krimi – der ganz gegen den Titel – mit blutigen Morden arbeitet um Spannung zu erzeugen. Dem Autor geht es mehr um die Interaktionen der verschiedenen Akteure, ob im Securityunternehmen oder im Damenkränzchen.


Ich mag die Krimis von Ben Tomasson ausgesprochen gern, wer gern Küstenkrimis mag, dem kann ich das Buch nur empfehlen. Und wer zum ersten Mal den Autor lesen möchte, hat auch überhaupt keine Probleme mit diesem Band anzufangen.

Bewertung vom 10.03.2018
Der Wortschatz
Vorpahl, Elias

Der Wortschatz


gut

Ein Wort, das noch nicht seinen Namen und seine Bedeutung kennt, wird in die Welt hinausgestoßen. Es besteht viele Abenteuer bis es zur Erkenntnis gelangt, was es ist und welchen Stellenwert die Sprache hat. Dabei muss es Rätsel lösen, über sich selbst hinauswachsen, Weisheit erlangen. Das ist die Kurzform dieser Erzählung, die fantasievoll in die Welt der Sprache und des geschriebenen Worts führt.
Das kleine Buch ist liebevoll gestaltet. Man spürt auf jeder Seite das Herzblut des Autors und der Illustratorin, die in dieses Werk geflossen ist. Elias Vorpahl erweist seinen großen Vorbildern Lewis Carroll, St.Exupery und Michael Ende in seiner Geschichte Referenz, er lässt sie mal auftreten, mal werden sie zitiert, mal erinnern ganze Szenen daran.
Das ist sehr charmant geschrieben, besonders der Beginn hat mir gefallen. Allerdings hatte ich immer das Gefühl, es fehlt die Seele der Geschichte. Auch das Ende hat mich nicht ganz befriedigt.
Gefallen hat mir aber die Ermutigung an die Leser, Sprache und Wörter bewusst zu lesen und zu schreiben und Sprache lebendig zu erhalten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.03.2018
Das Geheimnis der Muse
Burton, Jessie

Das Geheimnis der Muse


ausgezeichnet

Im Roman „Das Geheimnis der Muse“ von Jessie Burton sind die Schicksale zweier unterschiedlichen Frauen miteinander verknüpft. Odelle Bastien kommt 1967 aus Trinidad ins Swinging London. Sie ist jung, lebenshungrig und will unbedingt Schriftstellerin werden. Für ihren Lebensunterhalt jobbt sie in einer Galerie und sieht das geheimnisvolle Gemälde eines Künstlers, Isaac Robles, der im Bürgerkrieg verschollen ist.
Gut 30 Jahre früher sucht die Künstlerfamilie Schloss in Andalusien Ruhe und Inspiration. Die Tochter Olive kämpft dafür, dass ihre Begabung anerkannt wird und dass auch ihre Eltern ihr Talent sehen und fördern. Sie trifft auf den jungen Revolutionär und Maler Isaac. Eine Begegnung, die ihr Leben völlig auf den Kopf stellen wird und viel später auch Odelles Schicksal beeinflusst.
Kunst und Revolution, Liebe und Politik – die Grundthemen sind kunstvoll verflochten und beide Frauen haben mich angesprochen und ich konnte mich in ihr Leben hineinversetzen, so unterschiedlich auch die Voraussetzungen waren. Dabei kann ich gar nicht entschieden sagen, welcher Teil mir besser gefallen hat. Die politisch unruhige Zeit in Spanien, als der Bürgerkrieg ausbrach oder die Swinging Sixties in London, als plötzlich alles möglich schien. Der historische Hintergrund sehr gut dargestellt, manche Probleme scheinen unvermindert aktuell, z.B. wenn Odelles Schwierigkeiten als karibische, dunkelhäutige Einwanderin thematisiert werden, oder die politische Spaltung einer Gesellschaft bis zum Ausbruch eines Kriegs.
Die Geschichte wird immer spannender, je mehr man von den einzelnen Protagonisten erfährt und mir hat dieser Aufbau mit den wechselnden Zeiten und Erzählform sehr gut gefallen. Obwohl Odelle als Ich-Erzählerin den Leser vielleicht sogar eher anspricht, war mir Olive in den Rückblenden noch näher. Die Autorin versteht es, eine ganz besondere Atmosphäre zu schaffen. Diese Stimmung und Burtons Kunst wunderbar unterhaltsam, aber trotzdem engagiert und anspruchsvoll zu schreiben, haben mir dieses Buch besonders nahe gebracht.