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Bibliomarie

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Insgesamt 1032 Bewertungen
Bewertung vom 10.03.2018
Wenn es Frühling wird in Wien
Hartlieb, Petra

Wenn es Frühling wird in Wien


sehr gut

Marie ist ein Mädchen vom Land. Als Kindermädchen im Haushalt von Arthur Schnitzler kommt sie ein wenig mit der „feinen“ Welt in Berührung. Im Vorgängerbuch lernte sie Oskar, einen jungen Buchhändler kennen und traut sich gar nicht an eine Liebe zu denken, denn auch bei Angestellten und Dienstboten gibt es eine Hierarchie und ein Buchhändler steht doch viel weiter oben, als ein kleines Stuben-oder Kindermädel. Dann schenkt ihr Schnitzler zwei Theaterkarten zu Weihnachten und mit Oskar verbringt sie staunend und beeindruckt glückliche Stunden im K & K Hoftheater. Eine ganz neue Welt eröffnet sich Marie.
Wir sind in Wien, im Jahr 1912 – noch lebt man glücklich. Die Stadt wirkt wie der Hintergrund einer Operette. „Frühling in Wien“ ist eine herzige Geschichte. Ich wähle diesen Ausdruck ganz bewusst, da es liebenswert, aber nie süßlich geschrieben ist. Es wirkte wie aus der Zeit gefallen, entführte es mich für einige Lesestunden in eine vergangene Welt der Operetten und Theater. Nicht von ungefähr hatte ich immer die Melodie des alten Wiener Lieds „Im Prater blüh‘n wieder die Bäume“ im Ohr, auch wenn das zeitlich nicht ganz passt. Das Buch ist unterhaltsam und leicht, vielleicht ein wenig altmodisch im Stil, will nie mehr als unterhalten und das ist gekonnt gelungen.
Die Schilderung des Schnitzlerschen Haushalts hat mir ausnehmend gut gefallen, die Eifersüchteleien der „Gnädigen Frau“ und die eigene Welt der Dienstboten im Souterrain. Da werden auch nicht die Nöte eines Stubenmädels verschwiegen, die in „Schwierigkeiten“ geriet und nur noch einen Ausweg sah.
Ebenso interessant war die Welt des Buchhandels, auch vor 100 Jahren fürchteten sich die Buchhändler schon vor sinkenden Leserzahlen und prophezeiten das Ende des Buchs. Außerdem darf die geschichtsträchtige Buchhandlung der Autorin auch eine Nebenrolle spielen.
Auch wenn ich den ersten Teil noch nicht gelesen hatte, die Vorgeschichte der Figuren nicht kannte, war ich gleich inmitten des Geschehens. Das nicht sehr umfangreiche Büchlein ist sehr sorgfältig und liebevoll ausgestattet und auch als Geschenk wunderbar geeignet.

Bewertung vom 10.03.2018
Yasemins Kiosk
Antons, Christiane

Yasemins Kiosk


sehr gut

Nina nimmt unfreiwillig eine Auszeit in ihrem Beruf als Polizistin. Nach einem Vorfall auf der Dienststelle wurde sie bis auf weiteres suspendiert und kümmert sich in der Zeit um ihre depressiv-alkoholkranke Mutter. Ihrer Umgebung verschweigt sie den wahren Grund ihrer Freizeit. Ihre Wohnungssuche führt sie zu Doro, einer patenten älteren Frau, die in ihrem Mehrfamilienhaus eine Wohnung frei hat. Dort lernt sie auch Yasemin kennen, eine junge, sehr temperamentvolle Frau, die den Kiosk vor dem Haus betreibt.


Das Damentrio wird sofort gefordert, als Yasemin im Altpapiercontainer eine Leiche entdeckt, da sie das Opfer flüchtig kannte, ist sie mit den polizeilichen Abschlussermittlungen überhaupt nicht zufrieden und bittet Nina um Mithilfe. Außerdem könnte sich Nina doch um den lästigen Stalker kümmern, der ihr seit einiger Zeit das Leben schwer macht.


Damit sind wir schon mitten im Geschehen dieser liebenswerten, turbulenten Krimigeschichte, die mit wenig Gewalt und blutigen Szenen auskommt. Dafür punkten die tollen Charaktere, die sich die Autorin ausgedacht hat. Lebensecht, mit herbem Charme und zupackende Wesen ergänzen sich die Drei mit ihren zum Teil recht außergewöhnlichen Fähigkeiten. Die Spannung steigt stetig an und wenn man sich schon auf der richtigen Spur wähnt, gelingt der Autorin immer noch mal eine gelungene Wendung.


Die Dialoge sind rau aber herzlich und bringen noch zusätzlich Schwung in die Geschichte. Es passt einfach alles, originelle Typen und eine frische, ideenreiche Handlung – kurz gesagt: ein gelungenes Debüt. Die Autorin werde ich mir merken.

Bewertung vom 05.03.2018
Mit Hanna nach Havanna
Graw, Theresia

Mit Hanna nach Havanna


sehr gut

„Mit Hanna nach Havanna“ nimmt mich Theresia Graw auf eine Reise nach Kuba mit.
Katrin ist Journalistin, moderiert eine eigene Fernsehshow und ihr Ehrgeiz kennt nur ein Ziel: den renommierten Journalistenpreis „Goldener Griffel“. Aber sie hat eine Pechsträhne, ihre Sendung soll verjüngt werden und sie soll statt dessen ein Seniorenratgeberjournal moderieren. Da nützt ihr nicht mal die lustige und praktische Trixie, die ihr immer ganz loyal zur Seite steht. Trixie ist es auch, die ihr einen Leserbrief zeigt und auf das Potential hinweist. Ein ältere, recht vermögende Dame möchte mit der Journalistin nach Kuba reisen und ihre Jugendliebe wiederfinden. Sie hat Julius zufällig auf einem Foto in einer Reportage erkannt. Er nennt sich nun Julio, fährt Taxi und steht vor einer Bar namens Buena Vista. Das müsste doch ein Leichtes sein, denn Mann zu finden.
Anfangs noch abgeneigt, erkennt Katrin die Chance auf einen tollen Artikel, der den Preis wieder in greifbare Nähe rückt. Aber erst einmal muss sie mit Hanna nach Kuba. Dort warten auf die beiden Damen viele Aufregungen und Abenteuer. Besonders für Katrin, die ihr Leben gern genau plant und strukturiert, ist das eine Herausforderung. Denn in Kuba geht nichts über die Kunst der Improvisation, besonders als Katrin bemerkt, dass auch ein weiterer Journalist auf der Suche nach Julio ist und dummerweise ihnen auch oft einen Schritt voraus
Schon das üppig-exotische Titelbild macht neugierig auf den Roman. Kaum angefangen mag man nicht mehr aufhören, denn die Kombination von junger, anfangs verkniffener Katrin und der gelassenen Hanna, die alles mitnehmen möchte, was ihr das Leben noch bietet, machen eine Menge Spaß. Wie sich die beiden Frauen annähern und Katrin allmählich auch einen Blick für die Schönheit um sie herum bekommt, wie sie Pannen und Umwege meistern, enthält jede Menge Situationskomik. Die Beschreibung der abenteuerlichen Suche, die einmal quer über die Insel führen, weckt die Reiselust. Dazu gelingt es Theresia Graw mit viel Liebe zum Detail, Kuba lebendig werden zu lassen, man spürt, dass die Autorin die Insel kennt und Land und Leute aus eigener Anschauung beschreibt. Die Geschichte ist mit leichter Hand geschrieben, liest sich flott und schenkte mir unterhaltsame Lesezeit.
Die warmherzige Geschichte war für mich genau die richtige Lektüre an kalten Februartagen. Sie katapultierte mich kurzerhand in die Karibik, wunderbare Sonnenuntergänge und Salsa inklusive.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2018
Madame le Commissaire und die tote Nonne / Kommissarin Isabelle Bonnet Bd.5 (eBook, ePUB)
Martin, Pierre

Madame le Commissaire und die tote Nonne / Kommissarin Isabelle Bonnet Bd.5 (eBook, ePUB)


sehr gut

Isabelle war bis vor kurzem eine erfolgreiche Leiterin eines Sonderkommandos. Bei einem Einsatz schwer verletzt, lässt sie sich nach der Reha als einfache Kommissarin in ihren Heimatort Fragolin in der Provence versetzen. Geschützt von „ganz oben“ wird ein Sonderkommissariat für sie eingerichtet, so dass sie ohne Weisung oder Vorgesetzte die Fälle bearbeiten kann, die ihr zusagen.
Seit dem übt sie sich im „ Vivre le moment présent“. Ausgerechnet sie und ihre Freundin werden Zeugin eines Unfalls. Eine junge Nonne ist beim Kräutersammeln an der Steilküste abgestürzt und tödlich verunglückt. Neugierig geworden, gibt sie sich den Gendarmen zu erkennen und meldet ihre Zweifel am Unfalltod an.
Nun kommt ihr der Sonderstatus zu Gute. Sie zieht die Ermittlungen an sich und zusammen mit ihrem unkonventionellen Assistenten Appolinaire begibt sie sich auf Spurensuche. Appolinaire ist immer für einen Lacher gut, sei es sein Kleidungsstil oder sein ganz besonders geschraubte Ausdrucksweise.
Eins macht die Krimis um Madame le commissaire so besonders. Isabelle sind keine Grenzen gesetzt, sie braucht sich nicht an Regeln zu halten und um an Ergebnisse zu kommen, schlüpft sie nur allzu gern in verschiedene Rollen. Ob Nonne oder Flittchen, beides führt zu den gewünschten Ergebnissen. Außerdem pflegt sie auch privat einen recht pikanten Lebensstil, in Fragolin pflegt sie ihre Liaison mit dem Bürgermeister Thierry, aber auch die mit ihren Liebhaber Rouven, ein reicher Kunsthändler, den sie auf seiner Yacht in der Karibik trifft, oder mal schnell nach Paris zu einer Vernissage jettet. Daraus macht sie kein Geheimnis, Ehrlichkeit in ihrer Menage mit beiden Männern ist ihr wichtig.
Jede Seite in diesem unterhaltsamen Urlaubskrimi strömt Frankreich-Atmosphäre aus. Da hätte es die unglaubliche Ballung an Gallizismen gar nicht gebraucht, die der Autor für nötig hält. Gutes Essen, noch besserer Wein und abends eine Partie Boule auf dem Dorfplatz. Dabei kommt die Krimihandlung nicht unter die Räder. Es ist spannend wie Isabelle im strengen Frauenkloster die ersten Ungereimtheiten entdeckt und Indizien aufspürt und ihnen unbeirrt nachgeht.
Ich finde, es ist ein typischer Urlaubskrimi: witzig, flott und unangestrengte Unterhaltung.

Bewertung vom 04.03.2018
Spritztour / Hauptkommissar Eike Hansen Bd.6
Seibold, Jürgen

Spritztour / Hauptkommissar Eike Hansen Bd.6


sehr gut

Jürgen Seibold nimmt seine Leser nun schon zum 6. Mal mit auf eine „Spritztour“ ins Allgäu. Dieses Mal geht es an den Tegelberg, oder besser gesagt, hinauf. Eike Hansen, der Hannoveraner der seit einiger Zeit das Kemptener Kommissariat leitet, will angetan in nagelneuer Lederhose und Karohemd einen freien Tag mit Freundin Resi verbringen. Aber schon am Parkplatz gibt es Getümmel und Gerempel und in der Seilbahn lehnt sich ausgerechnet der ungehobelte Rempler immer enger an Resi. Nicht ganz freiwillig, wie der Leser gleich merkt, denn als den Menge sich lichtet, gleitet der Mann tot zu Boden.


Da mit Hansen und der Rechtsmedizinerin Resi das Personal schon vor Ort ist, wird gleich ermittelt statt gewandert.
Möller, so hieß der Tote ist kein unbeschriebenes Blatt gewesen, was sie über ihn ermitteln, bringt auch das BKA auf den Plan und der Fall wird den Kemptenern schnell entzogen. Aber davon lässt sich Hansen und sein Team nicht stoppen.


Ich mag die Allgäu Krimis des Autors sehr gerne. Sie nehmen mich jedes Mal mit in eine neue Ecke dieser wunderbaren Landschaft. Auch wenn sich die Geschichte von Resi und Eike wie ein roter Faden durch die Krimis zieht, ist jeder Fall anders und in sich geschlossen. Die liebe den wunderbar hintergründigen Humor, den Seibold aufblitzen lässt und seine Ideen für skurrile Charaktere und überraschende Plots. Dieser Fall hat mich ein wenig enttäuscht, die Idee das BKA und geheimnisvolle Agenten miteinzubeziehen, konnte mich nicht ganz überzeugen. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass meine Erwartungen von Band zu Band höher geschraubt wurden.
Trotzdem habe ich mich wieder blendend unterhalten und mich mit Vergnügen an den Ermittlungen beteiligt. Auch Ignaz muss ich erwähnen, der wieder für kätzische Höhepunkte sorgte.

Wer Bayern und Regionalkrimis liebt, liegt hier – wie immer bei Seibold – richtig.

Bewertung vom 26.02.2018
Totenweg / Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn Bd.1
Fölck, Romy

Totenweg / Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn Bd.1


sehr gut

Frida Paulsen steht kurz vor den abschließenden Prüfungen für ihre Einstellung zur Kommissarin, als ein Anruf sie zum elterlichen Apfelhof in den Elbmarschen führt. Ihr Vater wurde bei einem Überfall brutal zusammengeschlagen und schwer verletzt.


Die Ermittlung übernimmt der altgediente Kommissar Haverkorn, der bereits einmal im Umfeld von Fridas Familie tätig war. Damals wurde Fridas Freundin Margit in einer Scheune erdrosselt, der Täter konnte nie ermittelt werden, aber Haverkorn ist sich sicher, dass Frida ihm damals entscheidende Hinweise verschwieg. Deckte sie vielleicht sogar den Mörder?


Frida ist sich inzwischen bewusst, dass sie damals Fehler machte, aber der Zwiespalt ist immer noch der gleiche geblieben. Es bleibt nicht nur bei dem Angriff auf ihren Vater, der Apfelhof steckt in Schwierigkeiten, Drohungen und eine Brandstiftung folgen. Gut, dass Frida sich auf die alten Freunde verlassen kann, die ihr bei der Bewirtschaftung des Hofs beistehen. Gleichzeitig ermittelt sie mit Haverkorn, zu dem sie immer mehr Vertrauen fasst.


Der Auftakt zu einer neuen Krimireihe ist der Autorin Romy Fölck gut gelungen. Mit der jungen Kommissarsanwärterin kommt eine frische Ermittlerin auf die Bühne, die noch nicht abgeklärt und stumpf ihre Fälle bearbeitet, zumal sie ja auch selbst betroffen ist. Ihr Zwiespalt zwischen beruflichen Erfordernissen und persönlichen Verwicklungen ist interessant dargestellt. Immer noch belastet ihr Schweigen die Zusammenarbeit und birgt auch Gefahren für sie.


Der Plot hat mir gut gefallen, wie die damaligen Ereignisse bis in die Gegenwart reichen und bei der Ermittlungsarbeit nach und nach alte Lügen aufdeckt werden, ist spannend ausgearbeitet. Es macht wirklich Spaß zu rätseln und mit Frida und Haverkorn Spuren zu suchen und zu spekulieren. Die Landschaft um die großen Apfelhöfe konnte ich mir bildlich vorstellen, auch die Figuren sind samt und sonders gut gelungen. Wobei grade die junge Polizistin Frida noch viel Entwicklungspotential für weitere Bände hat.
Totenweg ist ein gelungener Kriminalroman, den ich nur schwer zur Seite legen konnte.

Bewertung vom 20.02.2018
Die Leute von Privilege Hill
Gardam, Jane

Die Leute von Privilege Hill


ausgezeichnet

Nachdem Jane Gardam mit ihren Romane um Old Filth auch bei uns bekannt wurde, gibt es nun auch einen Band mit Erzählungen.
Hat sie schon mit den Romanen gezeigt, wie dicht und prägnant sie erzählen kann, wird dies in den Kurzgeschichten noch deutlicher. Es gelingt ihr mit einem Nebensatz aus einer Figur einen Menschen zu machen und mit einigen Worten eine Landschaft oder Atmosphäre lebendig zu werden.
Ich finde alle Erzählungen die in diesem Band gesammelt sind, sehr gut, aber einige sind geradezu exzellent. Vor allem hat mir die Geschichte um Hetty gefallen, die in den Ferien ihrer alten großen Liebe wiederbegegnet, oder auch die Geschichte des verstummten chinesischen Jungen, der einen Schwan rettet und zum ersten Mal spricht. Oder die feinen alten Damen, die ihres verstorbenen Kindermädchens gedenken, aber nicht einmal 75 Shilling aufbringen wollen, um eine Annonce zu schalten. Selten ist Überheblichkeit und englischer Standesdünkel eleganter und schwärzer in Szene gesetzt worden. Alle Geschichten sind von einer leisen Melancholie durchzogen und gleichzeitig gewürzt durch den feinen Spott, auf den sich Gardam so gut versteht.
Auch dieses Buch wurde von der Schriftstellerin Isabell Bogdan ins Deutsche übersetzt und wie ich finde, wieder sehr gelungen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.02.2018
Wiesenstein
Pleschinski, Hans

Wiesenstein


sehr gut

Haus Wiesenstein ist Gerhart Hauptmanns Refugium im schlesischen Agnetendorf. Vom ihm selbst auf der Höhe seines Ruhmes geplant und gebaut steht es wie eine Trutzburg mit Turm und Erkern da und war immer seine Heimat und sein Rückzugsort.


1945 nähert sich der Krieg seinem Ende. Hauptmann weilt nach einer schweren Erkrankung zur Erholung in einem Sanatorium in Dresden und muss die schrecklichen Bombennächte miterleben. Geschwächt gelingt ihm und seiner Frau Margarete mit viel Unterstützung der Behörden die Reise nach Agnetendorf. Dort verbringen sie die letzten Monate in fast unwirklich scheinender Umgebung. Während die Welt um sie herum in Krieg, Chaos und Vertreibung versinkt, bleibt das Leben auf Wiesenstein davon fast unberührt. Es gibt ausreichend Dienstpersonal, ja es wird sogar immer mehr, denn das Haus bietet Schutz vor den anrückenden Russen. Hauptmann weiß, dass sein Werk in Russland geschätzt wird, hat er doch mit seinen frühen Werken auf soziale Missstände aufmerksam gemacht und es gibt sogar einen Briefwechsel mit Maxim Gorki, der nun als Schutzbrief dienen soll. Gleichzeitig gibt es aber auch ein Exemplar von „Mein Kampf“, dass Hauptmann mit vielen, durchaus wohlwollenden Anmerkungen versehen hat und das nun vom Archivar zusammen mit vielen Dokumenten und Manuskripten in Sicherheit gebracht werden soll. Auch das zeigt die Ambivalenz dieses Mannes.


Hans Pleschinski hat die letzten Lebensmonate Hauptmanns in einem Roman beschrieben, der sich auf vielen Ebenen dem Menschen Hauptmann annähert. War er ein Anhänger der Naziideologie oder hat er sich nur angepasst, um sein Land nicht verlassen zu müssen? Suchte er die Nähe zu den Nazigrößen oder wurde er nur benutzt? Jedenfalls verhalf ihm die Bewunderung Hitlers zu einem Sonderstatus, den er gern nutzte. Jeder Leser kann sich selbst ein Urteil bilden, denn der greise Dichter versucht sich selbst Antwort darauf zu geben. Er will zusammen mit seiner Sekretärin seine alten Dramen und Epen überarbeiten und dieser Kunstgriff ermöglicht es Pleschinski, in Hauptmanns Werken nach seiner Haltung zu suchen.
Ich konnte mit diesen Werkauszügen nicht sehr viel anfangen. Seine Dramen werden sicher lebendig bleiben, aber mit seinen Versepen wurde ich überhaupt nicht warm. Die Sprache klang mir nur schwülstig.


Sehr gut gefallen hat mir die Beschreibung der letzten Monate in Schlesien. Die Menschen, die auf der Flucht waren, die Nachbarn, die vertrieben wurden und nur mit einem Handkarren ihre Heimat verlassen, diese Bilder machen die Schrecken eines Krieges greifbar. Auch die Schicksale der Hausgenossen des Meisters, wie Sekretärin, Masseur, Krankenschwester und viele andere, haben die Geschichte immer wieder geerdet.


Letztendlich habe ich diesen umfangreichen Roman gern gelesen, auch wenn er mich immer wieder herausforderte und bei den längeren Auszügen aus den Versepen auch bis an den Rand meiner Geduld brachte. Pleschinskis Stil gefällt mir, aber manchmal hatte ich doch das Gefühl, dass Szenen zu breit angelegt waren, Situationen immer wieder in neuer Perspektive geschildert wurden, der Roman auf der Stelle verharrt. Mich wird er jedenfalls nicht dazu inspirieren, mich mit Hauptmanns Werken zu beschäftigen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.02.2018
Der weiße Affe
Ehmer, Kerstin

Der weiße Affe


sehr gut

Ariel Spiro kommt aus der tiefsten Provinz nach Berlin in die „Burg“. Er hat bereits einen gewissen Ruf und möchte nun in der Hauptstadt als Kommissar reüssieren. Aber sein Einstand wird nicht ganz so einfach. Ein jüdischer Bankier wird im Treppenhaus vor der Wohnung seiner Mätresse erschlagen. Seine Familie ist über die Enthüllungen nicht grade glücklich, aber so ganz koscher scheinen auch die familiären Verhältnisse nicht zu sein. Seine Tochter ist eine kapriziöse junge Frau, die an Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft arbeitet, der Sohn, seinem eigenen Geschlecht zugeneigt und die Ehefrau liebt nicht nur das Klavier, sondern auch die Pianisten.

Spiro scheint fast unter die Räder zu kommen, wenn er in Berlins Nachleben recherchiert. Bars, Herrentanzclubs, Alkohol und Rauschgift und nicht zuletzt Nike, sorgen dafür, dass er fast den Boden unter den Füssen verliert.

Der Roman schlägt ein hohes Tempo an. Kurze lakonische Sätze, manchmal Berliner Jargon und eine tolle Beschreibung der fiebrigen Atmosphäre der Zwanziger Jahre in Berlin haben mir auf Anhieb gefallen. Das Bild dieser Zeit ist toll getroffen und hat in mir sofort ein Kopfkino ausgelöst. Ich bin richtig in das zügellose Nachtleben eingetaucht – in Büchern gibt es ja keine Nebenwirkungen – und gleich danach von der grauen, kalten Wirklichkeit eingeholt worden. Mietskasernen, dunkle Hinterhöfe, unterernährte, verschorfte Kinder, neben späten Nachtschwärmern in Frack oder Smoking. Immer wieder musste ich an Zilles Milieustudien denken.

Ein spannender Krimi, mit einem facettenreich skizziertem Ermittler, einem sehr genau gezeichnetem Zeit- und Sittenbild und bis in die Nebenfiguren detailliert und stimmig ausgearbeiteten Charakteren. Empfehlenswert.

Bewertung vom 14.02.2018
Der Letzte von uns
Clermont-Tonnerre, Adélaïde de

Der Letzte von uns


gut

Dresden 1945: die Stadt versinkt im Bombenhagel. Inmitten dieses Infernos wird eine hochschwangere, schwerverletzte Frau aus den Trümmern gezogen. Sie bringt in ihren letzten Lebensminuten einen Jungen zur Welt. „Der Letzte von uns“ sind ihre Worte und den Namen Werner Zilch kann sie noch nennen, dazu die Bitte ihre Schwägerin Martha zu finden und ihr das Kind zu übergeben.
Ein Vierteljahrhundert später in New York, Werner Zilch ist bei Adoptiveltern groß geworden, er kennt seine Familie nicht. Ein gut aussehender Mann, der bei Frauen „nichts anbrennen“ lässt. Auch geschäftlich befindet er sich auf der Erfolgsspur, als er Rebecca kennenlernt, eine kapriziöse junge Frau aus reichem Haus. Die beiden verlieben sich leidenschaftlich, aber Rebecca und ihre Familie hüten ein Geheimnis.
Im Wechsel der zwei Zeitebenen erzählt die Autorin eine Familiengeschichte mit gut gehüteten Geheimnissen, dramatische Ereignisse der Kriegszeit und Verbrechen der Nazizeit. Dabei haben mich anfangs die Ereignisse aus der Geschichte wesentlich mehr angesprochen, als die New Yorker Zeit. Ich fand aber beide Zeitebenen gut recherchiert und die Atmosphäre gut getroffen. Dagegen konnte mich die Liebesgeschichte nicht richtig berühren, erst im letzten Teil, wenn die Geschehnisse aus der Vergangenheit unmittelbar das Leben Werner Zilchs berühren und dramatisch verändern, war ich gefesselt.
Der Schreibstil der Autorin gefiel mir ganz gut, eine klare, bildhafte und detailreiche Sprache, die ich gern gelesen habe. Bei den Figuren haben mich auch eher die Charaktere aus der Vergangenheit angesprochen. Deshalb bin ich auch bei der Gesamtbewertung des Romans etwas gespalten.
Ein starker Beginn und ein starkes und dramatisches Ende, der Mittelteil fiel für mich dagegen etwas ab. Insgesamt lohnen sich aber die Geduld und das Durchhalten.