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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 29.09.2017
Giftflut / Kommissar Eugen de Bodt Bd.3
Ditfurth, Christian von

Giftflut / Kommissar Eugen de Bodt Bd.3


ausgezeichnet

Mit seinem neuen Thriller „Giftflut“, dem dritten Band der Eugen-de-Bodt-Reihe, ist Christian von Ditfurth am Puls der Zeit und beweist einmal mehr, dass er zu den besten deutschen Autoren im Genre der Politthriller gehört.

Alles beginnt mit einem mysteriösen Todesfall in Berlin. Der Verantwortliche eines Wasserwerks wird gemeinsam mit seiner Frau leblos in der Badewanne aufgefunden. Suizid oder Mord? Die Platzierung der Toten legt die Vermutung nahe, dass die beiden nicht freiwillig aus dem Leben geschieden sind. Die Untersuchung der Leichen bestätigt dies, denn bevor sie ertränkt wurden, hat man ihnen ein Betäubungsmittel verabreicht. Nahezu zeitgleich kommt es in Paris und London zu identisch inszenierten Morden mit dem Resultat, dass die Wasserversorgung dieser Metropolen lahmgelegt ist. Doch das ist erst der Anfang. Es folgen Sprengstoffanschläge auf Brücken, eine Explosion im Eurotunnel und der Untergang einer Fähre. Was bzw. wer steckt hinter diesen terroristischen Anschlägen auf Europa? Sind es wirtschaftliche Interessen? Oder Umweltaktivisten? Oder politische Radikale, die die Ängste der Bürger für ihre Zwecke benutzen? Es gibt keine Bekennerschreiben, die ermittelnden Behörden sind ratlos. Eugen de Bodt wird auf den Fall angesetzt. Gemeinsam mit seinen europäischen Kollegen und seinem Team soll er Licht ins Dunkel bringen und die Drahtzieher dingfest machen.

Christian von Ditfurth hat den Finger am Puls der Zeit, wenn er über die Auswirkungen der Anschläge schreibt. Diese Thematik seines Thrillers ist aktuell, man muss sich nur die Schlagzeilen der Nachrichten und das Ergebnis der Bundestagswahl anschauen. Nichts wirkt konstruiert, alles könnte so oder so ähnlich geschehen, Auswirkungen auf die Aktienmärkte inklusive, vom Verhalten der Politik sowie der Bevölkerung ganz zu schweigen.

Die Story ist logisch aufgebaut, der Stil absolut passend. Die kurzen, prägnanten Sätze erzeugen von Beginn an ein hohes Tempo, das der Autor durchgängig halten kann. Kurze Verschnaufpausen werden dem Leser dennoch geboten, etwa dann, wenn de Bodt seine Philosophen zitiert, die Ermittlungsergebnisse reflektiert oder sich mit dem Ignoranten Krüger das eine oder andere Scharmützel liefert. Auflockernd wirken auch die Interaktionen zwischen dem Kommissar, der angeschmachteten Kollegin Silvia Salinger und dem IT-Käpsele Ali Yussuf, die immer wieder für ein Schmunzeln gut sind.

„Giftflut“ hat alles, was ein guter Thriller braucht: einen spannenden Plot, sympathisches Personal sowie die überzeugende gesellschaftspolitische Komponente, die sich an der Realität orientiert. Eine eindeutige Empfehlung für jeden Thrillerleser!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.09.2017
Wo drei Flüsse sich kreuzen
Kent, Hannah

Wo drei Flüsse sich kreuzen


ausgezeichnet

Die australische Autorin Hannah Kent offenbart einmal mehr ihre Faszination für historische Stoffe, die auf wahren Begebenheiten beruhen. In ihrem Erstling „Das Seelenhaus“ nimmt sie den Leser mit nach Island, ihr neuer Roman „Wo drei Flüsse sich kreuzen“ führt uns nach Irland. Der zeitliche Rahmen beider Bücher ist mit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahezu identische, ebenso das große Ganze der Handlungsorte. Beides sind Inseln, liegen im Norden und bilden durch ihre isolierte Lage ein geschlossenes System, in dem Mythen, Traditionen und Aberglaube fest in den Köpfen der Menschen verankert sind.

Ein abgeschiedenes Tal im irischen Hinterland. Das Leben ist geprägt von Armut und Entbehrung. Die Annehmlichkeiten des „modernen“ Lebens sucht man vergebens. Kälte, Schmutz und Dunkelheit. Und natürlich Hunger, der ständiger Gast in den Katen der Menschen ist. Kartoffeln, Wasser, manchmal Milch, ab und an ein Ei sowie Beeren und Wildkräuter, Tabak und Gerstenschnaps zu besonderen Gelegenheiten – zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig.

Heimat von Nance Roche, der geheimnisvollen Außenseiterin. Kräuterfrau, sagen die einen, Hexe, die anderen, gemieden von den Dorfbewohnern und doch heimlich aufgesucht, wenn Hilfe benötigt wird. Sie lebt die alten Traditionen und hat noch das Wissen der Urahnen parat, das sich aus Aberglaube und Mythen speist.

Heimat aber auch von Nóra, die nicht nur um ihren Mann sondern auch ihre bereits erwachsene Tochter trauert und nun Mutterstelle an Micheál, ihrem Enkelkind vertreten muss. Aber Micheál ist anders. Er ist behindert, spricht nicht, kann nicht laufen, krampft immer wieder am ganzen Körper und hat nichts mehr mit dem lebhaften Kind gemeinsam, das er bis zur Krankheit und dem Tod seiner Mutter war. Nora schämt sich für seinen Zustand und schirmt ihn vor der Außenwelt ab. Mit seiner Pflege ist sie überfordert, weshalb sie sich eine Magd ins Haus holt. Mary, ein Mädchen aus dem Norden, aufgewachsen mit vielen Geschwistern, die sich liebevoll um das Kind kümmert.

Gemunkelt wird immer in der Nachbarschaft, aber als die Kühe plötzlich keine Milch mehr geben, ein Kind tot geboren wird und eine Frau sich selbst in Brand setzt, ist der Schuldige schnell gefunden. Micheál ist der Auslöser, das Böse. Er muss ein Wechselbalg sein, ein Kuckucksei, das ihnen die Feen ins Nest gelegt und mit dem ehemals gesunden Kind vertauscht haben. Es muss etwas geschehen, Gedanken reifen, und so entspinnt sich zwischen Nóra und Nance eine unheilvolle Allianz, der auch Mary nichts entgegenzusetzen hat…

Hannah Kent hat ein besonderes Gefühl für die Sprache, die diesem klaustrophobischen Handlungsort angemessen ist. Sie beherrscht die Dramaturgie perfekt und erzählt ruhig und sehr poetisch. Eine Geschichte aus einer Zeit, in der das Wünschen nicht geholfen hat. Eine Geschichte verzweifelter Menschen, die sich dem Schicksal hilflos ausgeliefert fühlen und deshalb Zuflucht in Vertrautem suchen. In altem Wissen, ihren Traditionen und ihrem Aberglauben.

Nachdrücklich empfohlen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.09.2017
Marx. Der Unvollendete
Neffe, Jürgen

Marx. Der Unvollendete


ausgezeichnet

Von Jürgen Neffe, Biochemiker, Wissenschaftsjournalist und Autor der vielfach ausgezeichneten Biografien über Albert Einstein und Charles Darwin, ist kürzlich anlässlich des 200. Geburtstages von Karl Marx im kommenden Jahr ein neues Werk mit dem Titel „Marx. Der Unvollendete“ erschienen. In dieser Biografie macht er den Leser nicht nur mit dem Leben und den Schriften dieses herausragenden Denkers des 19. Jahrhunderts bekannt, sondern zeigt ebenso die Relevanz seiner Theorien, die heute aktueller denn je für unser Jahrhundert sind, auf.

Auf satten 656 Seiten (Textteil 600 Seiten, dazu 30 Seiten Anmerkungen des Autors sowie eine umfassende zehnseitige Bibliografie) beleuchtet Neffe zum einen Marx‘ Leben, zum anderen aber auch seine Kontakte und Auseinandersetzungen mit Theoretikern und Weggefährten und den gesellschaftlichen Realitäten seiner Zeit, geprägt von der industriellen Revolution in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als Gerüst für den Werdegang dienen dem Autor Marx‘ biografische Daten: hineingeboren in eine gutbürgerliche Familie, Jurastudium, politischer Journalist, verfolgt von den Geheimdiensten, schließlich das politische Exil in London. In England werden er und sein Freund Friedrich Engels Zeitzeuge eines entfesselten Kapitalismus und veröffentlichen zuerst „Das kommunistische Manifest“, danach diverse Werke zu politischen Ökonomie, 1867 dann der erste Band seines Hauptwerks „Das Kapital“. Es ist eine Analyse der kapitalistischen Welt, eine Bestandsaufnahme, mit der er das Bewusstsein der Menschen schärfen möchte, aufzeigen will, wie der Arbeiter seinem Tun und letztlich damit auch sich selbst entfremdet wird.

Marx‘ scharfsinnige Analysen sind heute aktueller denn je. Man denke nur an den Kollaps der Finanzsysteme oder die zunehmende soziale Ungleichheit, das Auseinanderklappen der Schere zwischen Arm und Reich. Aber ein Patentrezept dagegen sucht man auch bei ihm vergebens. Revolution ja, dann aber weltweit und nur mit einem Zukunftsmodell, das Freiheit für jeden einzelnen gewährleitet.

Neffe zeigt uns den großen Freiheitsdenker in seiner ganzen Widersprüchlichkeit: Der ökonomische Theoriegebäude entwirft, selbst aber nicht mit Geld umgehen kann. Der Solidarität predigt, sich aber in endlosen intellektuellen Scharmützeln mit Gleichgesinnten verliert. Der einen gewaltsamen Umsturz und die Abschaffung des Kapitalismus fordert, aber dafür auch kein Patentrezept parat hat.

„Marx. Der Unvollendete“ ist für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2017 nominiert – zurecht!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.09.2017
Der Sympathisant
Nguyen, Viet Thanh

Der Sympathisant


ausgezeichnet

Üblicherweise werden historische Ereignisse aus der Sicht des Siegers geschildert. Anders verhält es sich mit dem Vietnamkrieg, an dem sich die Vereinigten Staaten aktiv seit Beginn der sechziger Jahre (und der Präsidentschaft JFKs) im großen Stil bis zum bitteren Ende beteiligten. Und entgegen der festen Überzeugung der Amerikaner gingen sie aus diesem Krieg nicht als Sieger sondern als Verlierer hervor. Ein Trauma, das bis heute nicht wirklich verarbeitet wurde. Was die Amerikaner aber nicht davon abhielt, die westliche Welt mit ihre Sichtweise dieses Krieges zu fluten. Man denke nur an die unzähligen Blockbuster, TV-Serien und B-Movies zur Vietnam-Thematik, mit denen Hollywood phasenweise den Markt überschwemmt hat, aber auch die unterschiedlichsten Romane und Sachbücher.

Viet Thanh Nguyen, geboren in Vietnam und als Vierjähriger 1975 mit seinen Eltern in die Vereinigten Staaten geflohen, hat nun mit „Der Sympathisant“ einen Polit-Thriller geschrieben, in welchem er die Sichtweise umkehrt. Und offenbar hat er damit einen Nerv getroffen, denn für diesen Roman wurde er 2016 sowohl mit dem Pulitzer Preis als auch mit dem Edgar Award ausgezeichnet.

Der titelgebende „Sympathisant ist ein namenloser halbvietnamesischer Ich-Erzähler, der nach dem Fall Saigons in die USA eingeschleust wird. Angeheuert wird er nicht nur von den Amerikanern sondern auch von den Vietnamesen. Und so lebt er sein Leben als Undercover-Doppelagent mit zwei Dienstherren und zwei Seelen.

Es ist diese Dualität, die die Schilderung seiner Vergangenheit und Gegenwart so interessant macht. Die Reflexionen über den Vietnamkrieg und dessen Folgen für die amerikanische Gesellschaft. Aber auch seine Rolle als Maulwurf in dem Land der Verlierer, das noch immer die Strippen ziehen will. Von daher geht es dem Autor nicht nur um Vietnam, sondern ebenso um all die anderen Kriege, in die sich die Vereinigten Staaten einmischen und eingemischt haben. Um die USA als moralische Instanz, die entscheidet, wer oder was gut oder böse ist.

Vernetzt ist der Namenlose nach allen Seiten und in alle Richtungen, kann aber doch nicht immer unter dem Radar durchschlüpfen. Und so gerät er in ein Umerziehungslager, wo er diese seine Geschichte, sein Geständnis, niederschreibt.

Mich hat diese anspruchsvolle Story voller Querverweise sehr gut unterhalten. Viet Thanh Nguyen gibt dem Leser jede Menge Denkanstöße. Sei es die Thematik der medialen Verwertung des Krieges wie in Coppolas „Apocalypse Now“, die Integration, die in der neuen Heimat nicht gelingen will, weil trotz Anpassung die Akzeptanz des Fremden fehlt, die Suche nach der eigenen Identität, die unter einer Vielzahl von Maskierungen verborgen ist.

Spannend und ironisch, politisch und dennoch höchst unterhaltsam – eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 17.09.2017
Low Carb - Das große Backbuch
Peters, Anne

Low Carb - Das große Backbuch


ausgezeichnet

Kaum ein Ernährungstrend wird momentan von Allesessern so propagiert wie Low Carb, die Reduzierung bzw. der Verzicht auf Kohlenhydrate in der täglichen Ernährung. Nicht weiter verwunderlich, vereint diese Art des Essens doch einige Vorteile, die nicht von der Hand zu weisen sind. Zum einen eignet es sich zur Gewichtsreduktion, zum anderen ist es auch für Menschen mit Diabetes eine sinnvolle Alternative (oder Unterstützung) bei der medikamentösen Behandlung dieser Krankheit. Mittlerweile gibt es auch viele Backbücher der unterschiedlichsten Qualität, die diesem Trend Rechnung tragen, wobei das vorliegende „Low Carb. Das große Backbuch“ von Anne Peters zweifelsfrei für Einsteiger zu den Besten gehört, da hier das gesamte Spektrum dessen abgebildet wird, was kohlenhydratreduziertes Backen ausmacht.

In der Einleitung werden die Grundzutaten im Detail erläutert, die Herkömmliches ersetzen: Erythrit, Birkenzucker und Stevia anstatt üblichem Haushaltszucker, aber auch die Alternativen zu gemahlenem Getreide, wie Kokos-, Süßlupinen-, Soja- sowie diverse Nuss- und Samenmehle. Bei den Rezepten wird das verwendete Mehl durch einen farbigen Merker entsprechend kenntlich gemacht. So sieht man bei der Rezeptsuche auf den ersten Blick, ob man die benötigte Zutat im Haus hat.

Die Rezepte sind in vier Rubriken gegliedert und stellen im Wesentlichen süße Backwaren vor: Kuchen & Torten, Muffins, Cupcakes & Co. Und Waffeln & Pancakes. Die vierte Rubrik widmet sich Brot, Brötchen & Herzhaftem. Hier findet man neben Baguettes auch Quiches und Tartes mit verschiedenem Belag. Alle Rezepte sind kinderleicht nachzubacken und fordern keine besondere Erfahrung. Und die Ergebnisse können sich nicht nur sehen lassen, sondern sind auch im Geschmack den kohlenhydratreichen Vorbildern zumindest ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen. Für Einsteiger sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 17.09.2017
Neues vom Muffinblech
Peters, Anne

Neues vom Muffinblech


ausgezeichnet

Schokomuffins, Blaubeermuffins, Vanillemuffins – die Reihe mit den süßen Kleinigkeiten für Zwischendurch ließe sich beliebig fortsetzen. Aber die Backform mit den zwölf Mulden bietet weit mehr Einsatzmöglichkeiten, die in dem Koch- und Backbuch „Neues vom Muffinblech“ ansprechend in Szene gesetzt werden.

Es gibt zwei Unterteilungen: „Himmlisch lecker“ und „Höllisch gut“. Erstere listet die süßen, die zweite die herzhaften Varianten auf. Himmlisch lecker - das reicht von Peanutbuttercups auf der Basis dunkler Schokolade, über Salzkaramell-Cheesecakes, bis hin zu den Klassikern am Kaffetisch wie Franzbrötchen und die portugiesischen Pasteis de Nata. Und natürlich dürfen auch die hoch dekorativen Mangotörtchen, die Schokokörbchen mit Sazbrezeln, die Blütentartes sowie die Blätterteig-Apfelröschen nicht fehlen. Höllisch gut – hier werden Rezepte für Pizzen, Quiches und Tartes im Miniformat vorgestellt, aber auch Spaghetti- und Specknester, Tortillas und Zwiebelküchlein sowie diverse Eierspeisen, die sich problemlos im Muffinblech zubereiten lassen.

Die Rezepte werden auf Doppelseiten präsentiert, wobei bereits die dazugehörigen Bilder, die das Endergebnis ansprechend in Szene setzen, dem Hobbykoch das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Eine Schritt-für-Schritt Anleitung macht das Nachkochen und –backen einfach, und selbstverständlich fehlen auch die entsprechenden Nährwertangaben nicht.

Alles in allem eine empfehlenswerte Ergänzung für die Kochbuch-Sammlung.

Bewertung vom 13.09.2017
Dann schlaf auch du
Slimani, Leïla

Dann schlaf auch du


ausgezeichnet

Der Tod eines Kindes – für alle Eltern DIE Katastrophe schlechthin. Rund um diesee Thematik hat die französisch-marokkanische Autorin Leila Slimani ihren Roman „Dann schlaf auch du“ (im Original „Chanson douce“) angelegt, der 2016 mit dem renommierten Literaturpreis Prix Goncourt ausgezeichnet wurde.

Vater, Mutter, Kinder - eine Bilderbuchfamilie in gesicherten Verhältnissen, bei der alles passt. Paul, der Vater, Musikproduzent und beruflich stark engagiert, Myriam, die Mutter, ausgebildete Juristin, zunehmend unzufrieden mit ihrer Lebenssituation, erschöpft von dem täglichen Einerlei mit den Kindern, möchte wieder in den Beruf zurück. Also suchen und finden sie eine Kinderfrau. Kein junges Ding, sondern Louise, eine gestandene Frau, alleinstehend mit einer erwachsenen Tochter. Die Kinder lieben sie, aber auch Paul und Myriam sind restlos begeistert, denn nebenher nimmt ihnen Louise auch noch jede Menge alltägliche Verrichtungen ab, weshalb sie auch schnell zum unverzichtbaren Bestandteil der Familie wird. Aber genau so, wie die Familie sich in Abhängigkeit von Louise begibt, vereinnahmt auch diese nach und nach deren Alltag. Es ist ein langsamer, schleichender Prozess, und bis sich Paul und Myriam darüber bewusst werden, dass ihre Kinderfrau massive Probleme – nicht nur psychischer Art – hat, ist es bereits zu spät und das Unglück geschehen.

Die Geschichte, die Slimani erzählt, ist bitter. Denn gerade die Kleinkindbetreuung ist auch in Deutschland für viele Berufstätige ein Thema. Das Kind jemandem anzuvertrauen, von dem man eigentlich nichts weiß, dürfte, wie bei dieser französischen Familie, auch hier die Regel sein. Zu erwarten, dass die Nanny das fremde Kind wie ihr eigenes liebt, scheint illusorisch, denn trotz allem macht Louise diesen Job zum einen, um ihrer Einsamkeit, ihrem tristen Alltag zu entfliehen, zum anderen ist sie hoffnungslos verschuldet und auf den Verdienst angewiesen. Die Arbeitgeber wissen das nicht, für sie ist diese Frau ein Dienstbote, sie als Person interessiert sie nicht, entscheidend ist nur das Resultat ihrer Beschäftigung. Selbstverwirklichung und Bequemlichkeit, auf diesem Altar wird letztendlich das Leben der Kinder geopfert. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen – bis es zu spät ist.

Slimani rollt den Fall von hinten auf. Sie schreibt nüchtern und klar, emotionslos und als distanzierter Beobachter. Damit schildert sie umso eindringlicher den Weg in die Katastrophe. Gleichzeitig hält sie der französischen Gesellschaft, noch immer eine Klassengesellschaft und im Standesdenken verhaftet, damit einen Spiegel vor. Oben und unten, Herren und Diener, wobei die Herren keine Veranlassung sehen, sich für das Schicksal und die Befindlichkeiten der Diener zu interessieren.