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hasirasi2
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Dresden

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Insgesamt 1127 Bewertungen
Bewertung vom 21.05.2019
Am Tatort bleibt man ungern liegen / Kommissar Jennerwein ermittelt Bd.12
Maurer, Jörg

Am Tatort bleibt man ungern liegen / Kommissar Jennerwein ermittelt Bd.12


ausgezeichnet

Die Tücken der Technik
Seit dem letzten, sehr explosiven, Fall von Kommissar Jennerwein und seinem Team ist nicht viel Zeit vergangen und die Ermittler sind noch wiederhergestellt. Eigentlich ist nur Hölleisen schon wieder offiziell im Dienst, da gibt es plötzlich 2 Tote im beschaulichen Kurort. Ein Pensionär stirbt an einem Hitzschlag und eine Putzfrau wird in ihrem Garten von einem Feuerrad erschlagen, das jahrzehntelang an der Fassade ihres Hauses hing. Hängen die Todesfälle von Alina und dem ehemaligen Oberkellner Schwalb etwa zusammen? Schließlich starben sie fast zur gleichen Zeit. War es eventuell Mord?

„Am Tatort bleibt man ungern liegen“ ist wieder total abgefahren. Die Lösung lag die ganze Zeit vor mir, aber ich hab sie einfach nicht gesehen. Es gab zu viele Stränge und Personen, außerdem wird in der Zeit vor- und zurückgesprungen – sehr gut gemacht! Weitere Verwirrung stifteten ein moderner Don Quijote und Sancho Panza ...

Jörg Maurer zeigt diesmal, was die moderne Technik alles kann und welche positiven bzw. erschreckenden Folgen sie hat. Hölleisen z.B. hat seit dem letzten Fall ein Hightech-Hörgerät und Stengele sogar eine künstliche Hand. Ein kleiner Digital-Nerd fühlt sich zu Höherem berufen und legt sich nicht nur mit den Schönen und Reichen des Kurortes, sondern auch mit dem mit dem großen A*** an – ein genialer Seitenhieb.

Ich fand es sehr interessant, dass Jennerwein diesmal noch mehr aus dem Hintergrund agiert als sonst und damit Hölleisen seinen ganz großen Auftritt lässt. Dem kommt der Hitzetote nämlich komisch vor und er entdeckt auch bald die Überschneidung zu Alinas Fall. Sie putze in der Bank, in der Schwalb ein Schließfach hatte – genau wie viele andere Kunden von Alina. Hat sie bei ihrer Arbeit vielleicht etwas mitbekommen, was besser unentdeckt geblieben wäre?!
Besonders gefreut hat mich, dass die Graseggers nach 10 Jahren endlich wieder eine Bestattung ausrichten dürfen. Noch dazu eine sehr außergewöhnliche, bei der ein Wal plötzlich eine wichtige Rolle spielt – welche, verrate ich hier natürlich nicht.

Mein Fazit Extrem spannend und verzwickt, mit viel bayrischem Schmäh und einer ordentlichen Portion Humor. Ich bin gespannt, ob die anderen Mitarbeiter des Teams beim nächsten Fall wieder fit sind.

Bewertung vom 20.05.2019
Anfang Sommer - alles offen
Bloom, Franka

Anfang Sommer - alles offen


ausgezeichnet

Sommer, Sonne, Franka Bloom!

„Vielleicht verwechseln wir Liebe mit Gewohnheit und Bequemlichkeit, Ritualen und Routinen?“ (S. 24) Caro ist nicht mehr glücklich mit Mann Olaf. Ihre Tochter hat gerade das Abi gemacht und wird ausziehen und Olaf interessiert nur, ob das Essen auf dem Tisch steht, das Haus sauber ist und seine Hemden aus der Reinigung geholt wurden. Dabei arbeitet Caro als Lehrerin genau so viel wie er. Ihre beste Freundin Matti ist seit 4 Jahren geschieden und Lehrerin an der gleichen Schule. Ihre beiden Töchter sind ebenfalls beste Freundinnen und werden den Sommer mit einer Interrail-Tour verbringen. Die wollten Caro und Matti vor 30 Jahren eigentlich auch machen, doch dann kam ihnen das Leben dazwischen. Also holen sie die Reise jetzt kurzerhand endlich nach.

Franka Blooms Bücher sind für mich ein Garant für beste Unterhaltung. Amüsant und gleichzeitig zum Nachdenken anregend erzählt sie von zwei Freundinnen in den besten Jahren, die seit Jahrzehnten alle Hochs und Tiefs teilen und sich jetzt endlich eine Auszeit von der Routine gönnen wollen. Nicht immer nur Ostsee, sondern auch mal die Welt (oder zumindest Europa) sehen. Ein bisschen Abenteuerlust steckt nämlich noch in ihnen. Als zusätzliches Highlight vereinbaren sie, dass Matti ihre große Liebe Jean-Luc in Paris wiedertreffen darf und Cora ihren ersten Freund Angelos in Griechenland. Und Olaf? Tja, der fährt mit Mops Günther wie immer an die Ostsee, wo er von Antje, der Hüterin der Ferienhaussiedlung, umsorgt wird ...

Der Reiz der Geschichte und ihrer Freundschaft beruht auch auf der Gegensätzlichkeit von Cora und Matti. Matti sucht verzweifelt nach den neuen großen Liebe für den Rest ihres Lebens und wird immer wieder enttäuscht: „Ich komme mir vor wie ein Spieler, der bei jeder Gelegenheit auf den Jackpot hofft und einfach nicht schlauer wird.“ (S. 124)
Cora hingegen will endlich frei sein und Olaf am liebsten verlassen. Trotzdem hat sie ein schlechtes Gewissen, ihn allein gelassen zu haben – bis zu seinem ersten Anruf, weil er nicht weiß, wie er die Wäsche waschen soll und welcher Pizzadienst der beste ist.
Die beiden streiten auf der Reise oft und vertragen sich zum Glück auch immer wieder. „Wie eine Verrückte jagst du deiner Jugend nach um etwas nachzuholen, was nicht nachzuholen ist. Aber das begreifst du ja nicht.“ (S. 259) Sie sind schonungslos ehrlich und verraten sich Geheimnisse, die sie bisher für sich behalten haben. Am Ende ist ihre Freundschaft noch tiefer und ihr Verständnis für einander noch besser.

„Anfang Sommer – alles offen“ hat meine Erwartungen sogar übertroffen. Statt einer vorhersehbaren Liebesgeschichte serviert Franka Bloom eine sehr unterhaltsame Geschichte über Freundschaft, Selbstfindung und Selbstverwirklichung.
Allerdings bin ich mir nach dem Lesen nicht sicher, ob ich selbst so eine Tour machen würde: Die Freundinnen werden ausgeraubt und überfallen. Die Züge und ihre Mitreisenden sind zum Teil sehr fragwürdig. Sie erleben Horrornächte in miesen Absteigen und romantische Stunden unter Sternen. Sie sehen alte Freunde wieder und lernen viele neue kennen.

Mein Fazit: Sommer, Sonne, Franka Bloom!

Bewertung vom 15.05.2019
Die 48 Briefkästen meines Vaters
Fouchet, Lorraine

Die 48 Briefkästen meines Vaters


sehr gut

Sehr poetisch und philosophisch

Ausgerechnet an Chiaras 25. Geburtstag lässt Viola, ihre Patin und die beste Freundin ihrer Mutter Livia, die Bombe platzen: Ihr Vater, der kurz nach der Hochzeit der Eltern und 9 Monate vor ihrer Geburt verstorben ist, war wahrscheinlich gar nicht ihr Vater. Livia hatte nämlich eine Woche nach dessen Tod einen One Night Stand mit einem Bretonen von der Insel Groix. Schon am nächsten Tag reist Chiara nach Groix und lernt auf der Überfahrt Urielle und Gabin kennen. Erstere besucht ihre Eltern auf der Insel und Gabin ist Ghostwriter und will auf Groix recherchieren. Die drei werden sofort Freunde und Urielles Mutter verschafft Chiara eine Vertretungsstelle als Inselbriefträgerin – die perfekte Tarnung für ihre Suche.

Durch Uriells Eltern versteht Chiara erstmals was es heißt, eine Familie zu haben und füreinander da zu sein. Ihre Kindheit war ziemlich lieblos, da ihre Mutter sie nie in dem Arm genommen oder geküsst hat: „In meiner Welt fassen Mütter ihre Kinder nicht an, Väter existieren bloß auf Bildern, und Glück ist etwas Unanständiges.“ (S. 49). Die Erfahrungen, die sie bei der Suche nach ihrem Vater macht, lässt sie Livias Verhalten etwas besser verstehen. In Chiara konnte ich mich besonders gut ein- und mit ihr mit fühlen.
Ihre Mutter Livia hingegen hat es mir schwer gemacht, sie zu mögen. Sie gibt sich die Schuld am Tod des Ehemanns und fühlt sich schuldig wegen des One Night Stands danach – dafür straft sie unbewusst Chiara.
Auch Viola ist nicht besonders sympathisch. Sie wird von Rache getrieben und ist schon seit ihrer Kindheit eifersüchtig auf Livia, weil diese immer die Bessere und Hübschere war. Eigentlich will sie Viola bestrafen und trifft damit Chiara.

Die Bewohner von Groix sind genau so rau wie ihre Insel, aber auch sehr herzlich. Sie nehmen Chiara und Gabin schnell in ihrer Mitte auf. „Man landet nicht zufällig auf einer Insel. Man muss auf der Suche nach etwas sein.“ (S. 81)
Groix selber wird sehr charmant beschrieben. Man möchte direkt den nächsten Flug und die Fähre buche.

„Die 48 Briefkästen meines Vaters“ ist eine spannende Geschichte voller Geheimnisse und handelt von der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit. Lorraine Fouchet schreibt sehr poetisch und philosophisch aus der Sicht des jeweiligen Handelnden und lässt auch Briefkästen und (Post)Fahrräder zu Wort kommen. „Wir sind, wen wir lieben, wer uns fehlt. Der Rest – woher wir kommen, was wir tun – ist nicht von Bedeutung.“ (209)

Bewertung vom 14.05.2019
Lisette und das Geheimnis der Maler
Vreeland, Susan

Lisette und das Geheimnis der Maler


ausgezeichnet

Kunst und Krieg

1937: Lisette wuchs in einem Waisenhaus in Paris auf. Das einzige Bild dort war die „Jungfrau mit dem Kind“ in der Kapelle. Dessen Farben weckten ihr Interesse an der Kunst und die Ordensschwester Marie-Pierre förderte dieses.
Inzwischen ist Lisette Anfang 20 und lebt mit dem Rahmenmacher André in seiner Heimatstädtchen Roussillon im Luberon. Sein Großvater Pascal besitzt 5 wertvolle Bilder von Picasso, Pissarro, Cézanne. Ihre Gemeinsamkeit ist der Ocker, der für alle Bilder verwendet wurde und aus den Ockersteinbrüchen um Roussillon stammt. Pascal hat die Maler selbst mit den Farben beliefert oder die Rahmen für ihre Gemälde gebaut. Mit seinem Tod vererbt er die Bilder Lisette und André. Als dieser sich bei Kriegsausbruch freiwillig zum Militärdienst meldet und kurz darauf fällt, sucht Lisette verzweifelt nach den Bildern. André hat sie vor seiner Abreise vor den Nazis versteckt. Doch auch die deutschen Besatzer suchen danach ...

Susan Vreeland baut, wie schon in ihren anderen Romanen, die Handlung um die (zum Teil fiktiven) Gemälde herum. Lisette und die Bewohner Roussillons, ihr (Über)Leben im 2. Weltkrieg bilden den Rahmen für die wertvollen Bilder, die tief in diesem Landstrich verwurzelt sind. Vor seinem Tod hat Pascal Lisette ihre jeweilige Geschichte erzählt, sie gelehrt, sie zu sehen und zu verstehen. „Er möchte nicht, dass das, was er erlebt hat, nach seinem Tod in Vergessenheit gerät. Es soll weiterleben, beweisen, dass sein Leben einen Sinn hatte und dass auch Roussillon von Bedeutung war und ist.“ (S. 100)
1941 lernt sie Bella und Marc Chagall kennen, die sich im Nachbarort verstecken. Auch sie schärfen Lisettes Augen und Verständnis für das, was ein Gemälde offen oder versteckt erzählt. Lisette träumt davon, nach dem Krieg in einer Galerie zu arbeiten, aber auch im Luberon fühlt sie sich inzwischen zuhause.
Geschickt hat die Autorin auch Samuel Beckett eingebunden, der seinen Aufenthalt in diesem Landstrich während des 2. WK später in „Warten auf Godot“ verarbeitet hat.

Susan Vreeland erzählt ihre Geschichte sehr ruhig, kommt ohne Effekthascherei und große Dramen aus. Man spürt ihre Liebe zur Kunst und zu diesem Landstrich in jeder Zeile. Das Buch weckt die Sehnsucht nach dem Luberon und einem Besuch der Galerien und Museen von Paris. Sie gibt einen spannenden historischen Einblick in das Schaffen der Künstler und die Wirkung ihrer Bilder auf den Betrachter.

Mein Tipp für Fans historischer Kunstromane.

Bewertung vom 10.05.2019
Unheilbar glücklich
Erzberg, Jonas

Unheilbar glücklich


ausgezeichnet

Der Hypochonder

„Lieber ein paar Tage als jahrelang sterben.“ (S. 38) sagt sich Konstantin, als er von seinem Hausarzt die Diagnose Leberkrebs im Endstadium bekommt. Dabei hatte er doch nur leichte anhaltende Schmerzen im rechten Oberbauch. Jahrelang hat er sich in alle möglichen Krankheitsszenarien reingesteigert und nun das. Total kopflos lässt er sein altes Leben hinter sich und fliegt nach Thailand, um Freya wiederzusehen, die neben ihm im Wartezimmer saß und dort Yoga-Unterricht erteilt. Er, der immer alles durchorganisiert und sich dreifach absichert, reist ohne Gepäck und Impfung. Schließlich hat er ja nichts mehr zu verlieren. Doch schon bei der Ankunft gibt es Probleme. Auf einem Markt schenkt im eine alte Frau einen Bergkristall, der nach Ansicht von Käthe, einer anderen Deutschen, verhext ist. Prompt fängt er sich einen Magen-Darm-Virus ein, Yoga erweist sich als „ ... Sadomaso in Sportklamotten.“ (S. 71) und Käthe entwickelt sich zur Stalkerin – sein Leben könnte wirklich beschaulicher enden. Und dann erinnert sich Freya nicht mal an ihn ...

Selten hatte ich soviel Mitleid und musste gleichzeitig so laut lachen über einen jammernden Mann. Konstantin ist aber auch wirklich eine arme Sau. Seine Freundin hat ihn nach 14 Jahren abserviert. Er horcht dauernd in sich rein und analysiert sich selbst, ist er der Guru in einem (für den Leser sehr amüsanten) Selbsthilfeforum und hat für jedes Zipperlein die passende Krankheit inkl. der Behandlungsmöglichkeiten und Statistik zur Überlebenschance parat. Konstantin hat eigentlich vor allem Angst, vorm Leben genau so wie vorm Sterben. „Als ich die Möglichkeit hatte zu leben, versteckte ich mich in Planung, Pflicht und Arbeit, und als ich krank wurde, flüchtete ich nach Thailand.“ (S. 88) Doch auch in Thailand kann er sich weder auf das tolle Land, noch auf die Leute einlassen, weil er in allem immer nur die Gefahr sieht.

Sehr humorvoll und gleichzeitig philosophisch schreibt Jonas Erzberg über Konstantins Sinnsuche. Neben Leben, Krankheit und Tod und wie wir damit umgehen, geht es auch um die Schnelllebigkeit unserer Zeit. Wir sind immer online, immer sichtbar, immer auf dem neuesten Stand und uns selber damit meist schon drei Schritte voraus. Wir verbleiben nicht mehr im Jetzt und hören kaum noch unserem Körper (oder Ärzten) zu, sondern suchen unsere Informationen im Netz und verlernen bzw. verpassen dabei unser Leben. „... hören sie endlich mit dem Leben in Schonhaltung auf!“ „Leben ist die beste Therapie!“ (S. 172)

„Unheilbar glücklich“ ist kein Liebesroman, obwohl natürlich auch ein kleines bisschen Liebe vorkommt, schließlich verguckt sich Konstantin in Freya, auch wenn es ihm schwer fällt, ihr das zu zeigen.
Für mich ist das Buch ein Aufruf, sein Leben mal wieder zu genießen und sich Zeit für sich zu nehmen – oder wenigstens für dieses Buch ;-). „Und ich spürte den warmen Sand zwischen meinen Zehen, ich war Pilger, Entdecker, Abenteuerreisender, und ich wollte es genießen.“ (S. 74)

Hinter dem Pseudonym Jonas Erzberg steht übrigens der Journalist Hannes Finkbeiner, dessen Roman „Jogginghosen-Henry“ ich Euch ebenfalls sehr empfehlen kann.

Bewertung vom 04.05.2019
Die Schwarzkünstlerin
Rausch, Roman

Die Schwarzkünstlerin


sehr gut

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust

Wer kennt nicht dieses Faust-Zitat und was wäre, wenn es nicht ein, sondern zwei Menschen – ein Mann und eine Frau – gewesen wären, die Goethe als Vorbild für seinen „Faust“ gedient haben? Gut und Böse, Ying und Yang, Adam und Eva, Engel und Teufel – das eine kann ohne das andere nicht sein. Darauf baut Roman Rausch seinen Faust-Roman, seine „Schwarzkünstlerin“ auf.

„Eher gehe ich durch die Hölle, als mich ihrer Zucht noch länger zu unterwerfen.“ (S. 33)
Margarethe ist die Tochter eines einflussreichen Fürsten, die wegen ihrer Wissbegier und Unbeugsamkeit in ein Kloster abgeschoben wurde. Aber auch dessen Mauern können sie nicht halten. Auf ihrer Flucht begegnet sie dem Scharlatan Georg Helmstätter, der die Kleingläubigen mit seiner Scharade als Magister Sabellicus unterhält und abzockt. Er versucht Margarethe für seine Betrügereien zu gewinnen, aber sie widersteht und beginnt als Johann Faust ein Studium in Heidelberg. Doch als sie ihm später wieder über den Weg läuft, lockt er sie mit seinem geheimen Wissen über Magie und Alchemie. Sie zieht mit ihm durchs Land, fühlt sich endlich frei. Allerdings muss sie bald erfahren, dass sie als gelehrte Frau nichts gilt. Doch Sabellicus hat einen Plan – „Wie weit bist Du bereit, für Deine Träume zu gehen?“ (S. 141) – den sie letztendlich teuer bezahlen muss. Den Rest ihres Lebens wird sie von ihrem Hass auf Sabellicus getrieben, der Suche nach ihm, dem Durst nach Rache.

Roman Rausch hat ein sehr umfassendes Sittengemälde der damaligen Zeit geschaffen. Die Welt ist im Umbruch, die Bauernkriege verwüsten das Land, Luther spaltet die Gläubigen, der Buchdruck verbreitet sich (und damit Nachrichten, egal ob wahr oder falsch), Gewalt und Tod sind an der Tagesordnung. Aber es werden auch theologische und wissenschaftliche Streitgespräche geführt, man will der Welt auf den Grund gehen, will wissen „was die Welt im Innersten zusammenhält“.

Rauschs Margarethe ist keine verführte Unschuld sondern eine sehr kluge und wissbegierige Frau, die das will, was nur Männern zusteht – eine umfassende Bildung und die Welt erforschen, ihr Wissen anwenden und vielleicht sogar weitergeben, ohne dafür in einem Kloster gefangen zu sein. Leider geht sie dabei Georg Helmstätter auf den Leim und hilft ihm unbewusst, als Dr. Faust berühmt zu werden.

„Die Schwarzkünstlerin“ ist keine leichte historische Unterhaltungsliteratur sondern anspruchsvoll und fordert seine Leser.

Bewertung vom 02.05.2019
Bronstein
Pittler, Andreas

Bronstein


gut

Mehr politisches Statement als Krimi
Wien 1936: Oberst David Bronstein soll zusammen mit seinem Mitarbeiter Cerny den Mord an Hans Binder aufklären, einem ehemaligen Vertrauensmann der Sozialdemokraten, welcher in seiner Wohnung erschossen wurde. Allerdings finden sich keinerlei Hinweise auf den Täter oder wenigstens ein Motiv. Die anderen Mieter im Haus meinen „Die G´schicht´ ist ja eh völlig klar. Den Hans, den haben die Faschisten g´macht.“ (S. 17)
So ist es auch nicht verwunderlich, dass Bronsteins Chef ihn nur 2 Tage später von dem Fall abzieht. Der tote Binder interessiere keinen, um den kann sich der Cerny kümmern. Er soll stattdessen in einem Sozi-Prozeß einen Zuschauer spielen und die anderen Zuschauer bespitzeln. Bronstein hat keine Lust, aber schon der erste Verhandlungstag macht ihm klar, dass dieser Prozess ein Politikum ist und seine Meinung über die herrschenden Verhältnisse nachhaltig beeinflusst.

„Bronstein – sein vergessener Fall“ ist bereits der 5. Fall dieser Reihe und obwohl ich die Vorgängerbände nicht kenne, hatte ich keine Probleme, die Figuren oder ihre Handlungen zu verstehen. Trotzdem konnte mich Andreas Pittler nicht ganz überzeugen.
Oberst Bronstein kein schneidiger Ermittler, sondern ein netter, älterer, gemütlicher Herr, der auf seine Pensionierung wartet und die Zeit gern im Kaffeehaus oder der Wirtschaft verbringt. „Wie sollte da er, alt und verbraucht, einen Mörder fangen, wenn überhaupt nichts mehr so war, wie es vordergründig den Anschein hatte?“ (S. 109) Im Umgang mit Frauen ist er etwas ungelenk aber charmant. Die Welt ist im Umbruch und Bronstein wird das alles zu viel. Der erste Weltkrieg war doch schlimm genug, warum haben die Menschen nichts daraus gelernt sondern bekriegen sich schon wieder?! Am liebsten würde er am Meer sitzen und in die Wellen starren. Genau so ermittelt er auch, ganz in Ruhe.

Mit fehlte hier eindeutig Spannung. Die Handlung tröpfelt nur so vor sich hin. Ungefähr die Hälfte des Buches beschäftigt sich mit dem Gerichtsprozess und der Nazifizierung Europas, statt mit dem Mord. Ich war regelrecht überrascht, als es dann auf den letzten 60 Seiten doch noch mal um den Fall ging und er auch endlich aufgeklärt wurde.
Der Autor erzählt sehr weitschweifig, kommt vom Hundertsten ins Tausendste und verwendet sehr viele österreichische Begriffe, die leider nicht alle erklärt werden. Das sorgt zwar für viel Wiener Schmäh, aber auch Verwirrung bzw. Verzögerung, weil man immer mal wieder Googeln muss, was denn nun gemeint ist.
Leider nur 3 von 5 Sternen.

Bewertung vom 29.04.2019
Eine irische Familiengeschichte
Norton, Graham

Eine irische Familiengeschichte


ausgezeichnet

Graham Norton erzählt die Geschichte dieser irischen Familie abwechselnd auf zwei Zeitebenen, wobei die Übergänge oft fließend sind.
Patricia hat nie über Elisabeths Vater geredet, es hieß, er wäre vor ihrer Geburt gestorben. Die Briefe allerdings sprechen eine ganz andere Sprache. Aber weder ihre irische Verwandtschaft noch ehemaligen Freundinnen ihrer Mutter wissen etwas darüber oder wollen darüber reden: „Was glauben sie dort zu finden? ... Meiner Erfahrung nach gibt es immer deutlich weniger Antworten als Fragen.“
Edward kam nie über den Tod seines Bruders hinweg, obwohl dieser schon Jahrzehnte her ist. Er bewirtschaftet den Hof und das Land zusammen mit seiner Mutter – ein einsamer Mann, der endlich eine eigene Familie will.

Der Autor schildert das Kennenlernen von Edward und Patricia aus ihrer beider Sicht. Sie erleben das gleiche, empfinden es aber ganz anders. Eigentlich löst Edward keine Gefühle bei Elisabeth aus, aber er bemüht sich sehr um sie und sie liebt die Idee, verliebt zu sein und einen Mann zu haben. Davon kann sie nicht mal seine merkwürdige Mutter abhalten. Ist er Elisabeth’ Vater?

Das Hörbuch ist viel spannender und emotionaler, als es das Cover und der Klappentext vermuten lassen. Die unheimliche Atmosphäre auf Edwards Hof und während Elisabeth’ Suche werden sehr fesselnd beschrieben. Für mich geht es in der Geschichte um 3 Neuanfänge – Edward und Patricia suchen eine Zukunft, Elisabeth ihre Vergangenheit. Dabei entdeckt sie ein düsteres, erschreckendes Familiengeheimnis, eine sehr verstörende Mutter-Sohn-Beziehung.

Ich mag Charly Hübner als Sprecher sehr, es war auch nicht mein erstes Hörbuch mit ihm. Er bringt die düstere, fast schon depressive und verzweifelte Stimmung der Protagonisten sehr gut rüber.

Mein Fazit: Eine extrem spannende Familiengeschichte und ein psychologisches Meisterwerk mit einem gleichermaßen überraschenden wie schockierenden Ende.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.04.2019
Taxi criminale / Ein Taxi für alle Fälle Bd.1
Venturini, Nora

Taxi criminale / Ein Taxi für alle Fälle Bd.1


gut

Zu wenig Krimi und „dolce vita“, dafür zu viel Drama

Eigentlich wollte Debora Polizistin werden, doch dann starb ihr Vater und sie übernahm sein Taxi, um Geld für die Familie zu verdienen.
Eines Tages bittet eine elegante Kundin sie, vor einem Wohnblock auf sie zu warten, sie müsse nur schnell was holen. Nach einer Stunde gibt Debora auf, die Kundin ist nicht zurückgekommen und nicht erreichbar. Debora ärgert sich, bis sie die Frau am nächsten Tag in der Zeitung sieht – sie wurde ermordet. Der zuständige Commissario Raggio ist begeistert, als Debora ihre Aussage macht., das ändert sich allerdings, als sie ziemlich barsch fordert, ihn bei dem Fall unterstützen zu dürfen ...

„Taxi criminale“ von Nora Venturini ist vermutlich der Auftakt einer neuen italienischen Cosy-Krimi-Reihe mit Taxifahrerin Debora und Commissario Raggio, denn natürlich raufen sie sich im Laufe der Handlung zusammen und kommen sich näher, als für beide gut ist. Debora ist nicht nur viel jünger als er, er ist auch noch verheiratet.

Debora wohnt noch zu Hause und muss mit ansehen, wie ihr jüngerer Bruder, der Medizin studiert, von ihrer Mutter nach Strich und Faden verwöhnt wird, während sie zu funktionieren hat. Das Klima ist also etwas angespannt. Sie ist solo und flüchtet sich immer wieder in recht dramatische Tagträume (die mir viel zu übertrieben waren), in denen immer häufiger Raggio eine tragende Rolle einnimmt.
Auch sonst hatte ich so meine Probleme mit der Debora. Zum einen hadert sie dauernd mit ihrer Figur und fängt eine Diät an, die sie nie länger als 3-4 Stunden durchhält, dabei trägt sie Kleidergröße 36 – was für ein Frauenbild soll uns das vermitteln?! Sie verbeißt sich immer mehr in den Fall und drängt Raggio beiseite: „Die Polizei bin ICH!“ (S. 174). Auch ihre zum Teil etwas kopflose übersteigerte Verliebtheit wirkte unrealistisch – Raggio sieht nicht gerade aus wie ein römischer Gott und ermuntert sie auch nicht!

Der Fall an sich ist recht interessant, da die Tote neben ihrem Ehemann wohl mindestens zwei Geliebte hatte und diese gern mal unter den Partner ihrer Freundinnen oder innerhalb der Familie rekrutierte. „Die Familie ist ein Hort unterdrückter Leidenschaften.“ (S. 271) Leider war mir trotzdem schon nach der Hälfte klar, wer sie warum umgebracht hat.

Auch zum Cover muss ich mich an dieser Stelle kurz äußern. Darauf ist eine schöne schlanke Frau mit langen glatten Haaren auf einer Vespa abgebildet – eine Vespa kommt aber in dem ganzen Buch nicht vor. Debora fährt nur Taxi und hat eine wilde Lockenmähne (und Probleme mit ihrer Figur). Auch auf den Handlungsort Rom weißt außer dem Kolosseum auf dem Cover leider nicht viel hin, da hätte ich mir mehr erwartet.

Meine Fazit: Die Grundidee für das Buch fand ich gut, aber Debora ist zu aufdringlich und dramatisch. Außerdem fehlte mir „dolce vita“ und Spannung bzw. Tempo.
2,5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 26.04.2019
Ein kunstvoller Mord / Quentin Belbasse Bd.2
Vauvillé, P. B.

Ein kunstvoller Mord / Quentin Belbasse Bd.2


sehr gut

Die dunklen Seiten der Pariser Kunstszene

„Es gibt viele Arten, Menschen umzubringen.“ (S. 53)
Rosa Kontrapunkt ist auf einem geheimen Happening im ehemaligen Kaufhaus Samaritaine in Paris, als eine der Teilnehmerinnen, die Fotografin Solveig Brenner, tot aufgefunden wird – vergiftet, wie sich kurz darauf herausstellt. Rosas Sohn, der Bassist Quentin Belbasse, hat vor einigen Monaten schon einmal zusammen mit Lieutenant Jean-Michel Brossard ein Verbrechen aufgeklärt und mischt sich auch diesmal wieder kräftig in die Ermittlungen ein – schließlich kommt er durch seine Mutter, ihres Zeichens selbst Performance-Künstlerin, an Informationen erster Hand.

„Ein kunstvoller Mord“ ist nach „Dunkle Nächte auf Montmartre“ der zweite Teil der Krimi-Reihe mit Quentin Belbasse und wieder werden dem Leser dunkle Ecken von Paris abseits der Touristenpfade nahegebracht. Quentin hört sich vor allem im Künstler-Milieu um: in alten Fabriken, besetzten Häusern und dunklen Kellern, wo die Künstler am Rande der Existenz leben und Avangard-Ausstellungen stattfinden.
Solveig Brenner war nicht ganz so beliebt, wie es zu Beginn den Anschein hatte. Nicht nur ihre Kunst hat polarisiert. Sie fotografierte vor allem Akte von Frauen, die irgendwie gefesselt oder gedemütigt sind. Damit kämpft sie nicht nur für die Befreiung und Rechte der Frauen, sondern auch gegen ihr eigenes Trauma, wie sich im Laufe der Ermittlungen herausstellt. Auch ihr Privatleben scheint kompliziert gewesen zu sein. Sie hatte einen geheimnisvollen Liebhaber, hat aber auch anderen Männern schöne Augen gemacht und sie später brüskiert. Wer hasste sie daraufhin so, dass er sie umgebracht hat?

Quentin genießt es, wieder ermitteln zu können, Abwechslung von seiner Arbeit als Musiker zu haben. Er ist Lieutenant Brossard immer einen Schritt voraus und begibt sich in echte Gefahrensituationen. Der Fall bringt ihn dazu, seine eigene vaterlose Kindheit zu reflektieren – diese Passagen sind sehr tiefgründig und philosophisch. Seine Mutter macht ihm allerdings klar: „Man lebt nicht für einen anderen, man lebt für sich selbst.“ (S. 75)

Wie schon beim ersten Teil hat mich auch hier wieder etwas irritiert, dass Quentin mit Wissen der Polizei und ohne jegliche rechtliche Grundlage ermittelt hat, dass die Leute ihm seine Fragen beantworten, ohne dass er sich ausweist, oft sogar von Lieutenant Brossard als Kollege vorgestellt oder zu Vernehmungen hinzugezogen wird.
Davon abgesehen, hat mir das Buch gut gefallen. Es ist sehr spannend und verwirrt den Leser mit immer neuen Motiven und Tatverdächtigen, die auch alle an das Gift hätten herankommen können. Ich bin gespannt auf Quentins nächsten Fall.