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miss.mesmerized
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Bewertungen

Insgesamt 1245 Bewertungen
Bewertung vom 09.12.2018
TEXT
Glukhovsky, Dmitry

TEXT


ausgezeichnet

Dmitry Glukhovskys Roman mit dem simplen Titel „TEXT“ taucht tief ein in das Schattenleben Moskaus, in verbrecherische Strukturen und den tagtäglichen Kampf ums Überleben. Und es zeigt, dass das Leben heute nicht mehr nur in der Realität stattfindet, sondern gespeichert ist auf den kleinen Apparaten, die wir nicht nur immer bei uns tragen, sondern die eine Erweiterung unseres Selbst sind und mehr über uns verraten, als uns bewusst sein mag.

Der Roman ist einzige aus Sicht Iljas geschrieben und immer wieder lassen seine inneren Monologe den Leser teilhaben an seinen Gedanken und der Verzweiflung, die er gegenüber der Ungerechtigkeit im Leben empfindet. Unschuldig ist er ins Lager gegangen. Seine Mutter stirbt ausgerechnet in dem Moment, wo er sie nach sieben Jahren wiedersehen könnte. Vera kommt kein Wort des Dankes über die Lippen, dafür serviert sie ihn eiskalt ab. Und Menschen wie Petja Chasin wird alles geschenkt. Doch je tiefer er in dessen Leben eintaucht, desto klarer wird auch, dass auch bei denen, die oben schwimmen, keineswegs alles so einfach ist.

Nina, Petjas Freundin, übt eine faszinierende Anziehung auf ihn aus. Ihr gibt er das, was Vera nicht hören möchte und wozu Petja nicht in der Lage ist. Auch wenn er immer wieder versucht, sich doch rauszuhalten – er kann nicht aus seiner Haut und die junge Frau soll wenigstens per Kurznachricht den Eindruck haben, geliebt und verehrt zu werden. Auch gegenüber seiner Mutter plagt ihn das schlechte Gewissen, er ist bereit große Risiken einzugehen, um ihr eine würdige Beerdigung zu ermöglichen.

Unweigerlich kommt einem bei Ilja auch Raskolnikow in den Sinn. Beide arme Studenten, denen im Leben nichts geschenkt wird; vor ihren Augen eine Person, auf die sie all ihren Zorn und Hass projizieren. Sie sind aber keine eiskalten Mörder, die mit der Tat umgehen und leben könnten. Der eine leidet Seelenqualen in St. Peterburg, der anderen versucht verzweifelt in Moskau die Entdeckung der Tat zu verzögern. Dostojewskis Text ist bereits 150 Jahre alt, man fragt sich jedoch, wie sehr sich Russland verändert hat oder ob nicht doch alte Ungleichheiten durch neue nur ersetzt wurden und die Extreme der Gesellschaft weiterhin bestehen wie damals.

Ein Buch zur Lage eines Landes mit langer Vergangenheit, dessen Zukunft noch nicht entschieden scheint.

Bewertung vom 02.12.2018
Unto Us a Son Is Given
Leon, Donna

Unto Us a Son Is Given


ausgezeichnet

Guido Brunetti is surprised when is father-in-law Count Falier asks him to meet him privately. The Count’s best friend is going to make a big mistake and he hopes that Guido could do something about it: the Spaniard Gonzalo Rodriguez de Tejada wants to adopt a much younger man. Even though nobody really is upset about his openly shown homosexuality, this seems to go too far for the upper society and is considered something absolutely inappropriate. But apart from that, Gonzalo’s friends fear that the chosen man, Attilio Circetti, Marchese di Torrebardo, is more interested in Gonzalo’s wealth than in the old man. When Gonzalo suddenly dies, the case isn’t abandoned but turns out to be much more complicated than expected.

Donna Leon’s 28th case for Commissario Guido Brunetti starts in a quite unique way since this time, no murder has been committed and Brunetti is not running after some evil criminal. It is a very personal story that reveals a lot about Venice’s society, especially the rich and noble and their very special views on the world. The actual murder case only appears after about two thirds of the novel which surprisingly does not reduce any suspense in it.

As the other novels before, the Guido Brunetti series lives on the special atmosphere of the Italian water city. Again, we get a glance behind the doors of the nobilità and how they resolve their cases. Brunetti’s has to do a lot of actually illegal work this time which does not seem to bother anybody too much. On the other hand, this is a very emotional and human story, it is the characters’ weaknesses, their longing for finding love and being loved that drives the story. It is much less about solving a crime than about revealing human nature and the core things of life. For me, definitely so far the strongest of Donna Leon’s novels since it goes far beyond just solving a murder case.

Bewertung vom 30.11.2018
Stieg Larssons Erbe
Stocklassa, Jan

Stieg Larssons Erbe


ausgezeichnet

Der 28. Februar 1986 ändert vieles im schwedischen Bewusstsein: auf offener Straße wird Premierminister Olof Palme erschossen und er erliegt am Tatort den Verletzungen. Auch dreißig Jahre nach der Tat sind weder der Täter dingfest gemacht noch die genauen Geschehnisse des Tatabends geklärt. Der Journalist Jan Stocklassa stößt bei seinen Nachforschungen für ein Buch über Tatorte auf die Aufzeichnungen von Stieg Larsson, heute aufgrund der Millennium-Trilogie als Thriller-Autor weltweit bekannt, in den 80er Jahren jedoch in Schweden geschätzter Journalist und Illustrator, der sein Leben lang gegen den Rechtsextremismus anschrieb. Auch Larsson hat bis zu seinem Tod 2004 akribisch geforscht, um den Mordfall Olof Palme aufzuklären. Stocklassa nimmt die Spurensuche wieder auf und vervollständigt Larssons Vorarbeit. Am Ende bleibt die Frage offen, was die schwedische Polizei aus dem Material machen wird.

„Stieg Larssons Erbe“ ist eine detailreiche Dokumentation nicht nur der unmittelbaren Ereignisse vom 28.2.1986, sondern es beschreibt auch wichtige politische Zusammenhänge und Ereignisse, die wesentlich für die Tat sein könnten, und ebenso die geradezu erschrecken komplizierte und von Streitigkeiten geprägte Struktur des Polizei- und Juristereiapparats. Obwohl das Buch einen weitgehend dokumentarischen und beschreibenden Charakter hat, Stocklassa legt auch seine und Larssons Arbeitsweise ausführlich dar, um ihre Gedankengänge und Vorgehen nachvollziehbar zu machen, liest sich das Buch dennoch unheimlich gut und wirkt an keiner Stelle ermüdend oder gar dröge.

Sicherlich hat es einen guten, von Marketing-Gesichtspunkten geprägten Sinn, dass der Name Stieg Larssons im Titel erscheint. Für mein Empfinden verschiebt das leider etwas den Fokus und lenkt potenzielle Leser in eine falsche Richtung. Dies ist besonders schade, da es einen ausgesprochen hohen informativen Wert hat, unterhaltsam zu lesen ist und auch ohne den bekannten Namen wirken kann. „True Crime“ – ja, natürlich, aber faktisch ist es eine Aufarbeitung des Falls Olof Palme, der unheimlich komplex und dadurch enorm interessant ist. Für mich eine sehr lohnende Lektüre, da mir der Fall nur rudimentär bekannt war und ich die Hintergründe und Zusammenhänge nicht wirklich kannte. Sowohl das Vorgehen des Autors bei der Recherche war dabei für mich aufschlussreich zu lesen, aber auch die Situation des Extremismus und Terrorismus in Schweden, was mir bis dato gänzlich unbekannt war.

Fazit: ein Buch, das vor allem durch den Einblick in qualitativ hochwertige journalistische Arbeit überzeugt und für ein Sachbuch in einem hohen Maße ansprechend verfasst wurde.

Bewertung vom 25.11.2018
Kallocain
Boye, Karin

Kallocain


ausgezeichnet

Der Chemiker Leo Kall blickt zurück auf die Zeit vor seiner Verhaftung und will nun endlich nach unzähligen Jahren berichten, was damals geschah. In der Chemiestadt Nr. 4 arbeitete er in einem Labor und es gelang ihm ein sagenhaftes Medikament zu erfinden, das seinen Namen tragen sollte: Kallocain. Die Wahrheitsdroge führte dazu, dass die Versuchspersonen ihre Geheimnisse preisgaben und dem totalitären Staat ihre intimsten Gedanken verrieten. Schnell wird man auf ihn aufmerksam und lädt in gemeinsam mit seinem Vorgesetzten in die Hauptstadt ein, um der Staatsführung sein Experiment vorzuführen. Doch all der Erfolg kann Leo Kall nicht vor seinen Ängsten und Unsicherheiten schützen. Sein ganzes Leben lang wird er von Alpträumen geplagt und die für ihn nach all den Ehejahren immer noch offene Frage, ob ihn seine Frau Linda überhaupt jemals geliebt hat, lässt ihn eine Entscheidung mit schwerwiegenden Folgen treffen.

Karin Boyes Roman aus dem Jahre 1940 gilt als eines der wichtigsten schwedischen Romane des 20. Jahrhunderts. Ihr letztes Werk, bevor sie sich das Leben nahm, blickt in eine düstere Zukunft und ist stark beeinflusst von den Zeichen der Zeit. Die deutschen Vorfahren der Autorin haben sie immer wieder gen Süden blicken und beobachten lassen, was sich dort in den 1930er Jahren abspielte und wohin sich die Welt bewegte.

Leo Kall lebt im sogenannten Weltstaat, der mit seiner Überwachung und starren Struktur sowohl an die Ideen Hitlers anknüpfte wie auch an die stalinistische Sowjetunion erinnert. Ersteres kommt vor allem auch in der nur am Rande angerissenen Rassentheorie zum Ausdruck, der zufolge die Menschen im Weltstaat sich genetisch stark von jenen im verfeindeten Universaalstaat unterscheiden. Das Leben wird von Geburt an vom Staat bestimmt und gelenkt und spielt sich weitgehen unter der Erde ab, es bedarf einer Sondergenehmigung, um an die Oberfläche zu kommen. Die Gesellschaft ist stark kommunistisch ohne große Hierarchien geprägt, gleichzeitig durchdringt sie aber auch eine militärische Struktur, die sich beispielsweise in der Anrede als „Mitsoldat“ niederschlägt.

Interessant ist einerseits natürlich Kalls Erfindung namens „Kallocain“, die Wahrheitsdroge, die staatsfeindliche Gedanken aufdeckt und somit eine schnelle Reaktion auf konterrevolutionäre Strömungen erlaubt. Viel spannender fand ich jedoch den Charakter Kalls selbst, der fortwährend von Unsicherheit und Zweifel geplagt wird, der gefallen will und doch beinahe durchgängig starken Ängsten ausgeliefert ist. Letztlich ist das Gefängnis für ihn ein Ort der Befreiung, denn er ist die ihn beängstigende Freiheit im Staat losgeworden und die engen Mauern bieten ihm den Schutz vor sich selbst und seinen Gedanken, den er zuvor schmerzlich vermisst hat.

Boyes Roman steht in einer Reihe mit Dystopien wie „Schöne neue Welt“ oder „1984“, die in dieselbe Entstehungszeit fallen. Gerade weil Roman und Autorin einen starken Bezug zu Deutschland haben, ist mir unverständlich, weshalb er nicht weitaus bekannter bei uns ist. Vielleicht mag die Neuübersetzung daran etwas zu ändern, in der aktuellen Zeit kann es gar nicht genug erfolgreiche Literatur, die die Folgen extremer politischer Entwicklungen aufzeigt, geben.

Bewertung vom 21.11.2018
Bloody January
Parks, Alan

Bloody January


ausgezeichnet

‚It can‘t have been that bad.‘ But it was.

January 1973 first brought a promotion to Detective Harry McCoy of Glasgow police, but then things wrecked havoc. When Howie Nairn, a prisoner in the Special Unit of Barlinnie wants to see him, he is a bit irritated. Why especially him? And what does he have to say? Nairn tells him to take care of a certain Lorna who works in a posh restaurant and is likely to be killed the next day. McCoy doesn‘t really believe him but nevertheless sets out to search for her. In vain. He can only watch how the young woman is shot in central Glasgow by a man who then commits suicide. Quite a strange thing, but things are going to get a lot more complicated and soon McCoy has to realise that the laws aren‘t made for everybody.

Alan Park‘s first novel of the McCoy series lives on the atmosphere of 1970s Glasgow. The city hasn‘ t turned into the town it is today but resembles a rather rund own place where police and gangland work hand in hand - have to work hand in hand if they want to solve any case at all. McCoy is rather unconventional in his work, but he certainly has the heart in the right place and fights for justice.

There are two things I really liked about the story: on the one hand, it is quite compilicated and all but foreseeable, on the other hand, Alan Parks‘s has chosen unconvenient aspects which he puts in a different light which shows the complexity of reality and that live is not only black and white but full of shades of grey. McCoy can work for the police but maintain good relationships with old friends who control the criminal world. The recognised upper class are not the good-doers but also have their dark sides. And many people struggle to make a living, wanting to be good but at times have to ignore their own values simply to survive.

A novel which is full of suspense, with a convincing protagonist and perfectly crafted atmosphere of a dark Glasgow.

Bewertung vom 18.11.2018
My Sister, the Serial Killer
Braithwaite, Oyinkan

My Sister, the Serial Killer


ausgezeichnet

Korede and her sister Ayoola live in Lagos together with their mother since their father dies. Korede, who works at a hospital as a nurse, is a decent, but rather plain young woman whereas Ayoola always has all the looks on her. Even though the sisters couldn’t hardly be more different, they are sister after all so when Ayoola calls her, it is without any question that Korede shows up with some bleach to wipe away the mess of another murder. They have done it before and will also succeed this time. Why does she have to kill all her boyfriends? Korede wonders but since none of the was really important to her, she remains secret and the sister she is supposed to be. But when Ayoola starts dating to one man Korede really likes, things become a bit more complicated.

Oyinkan Braithwaite’s debut novel is a hilarious read full of absurd situations and fantastic characters. The author, who graduated in Creative Writing and was a 2016 finalist for the Commonwealth Short Story Prize, surely knows how to create outstanding characters and how to combine humour with an actually very serious topic. What I appreciated most is how she, on the surface, wrote a funny story that, beneath, offers so much crucial and grave issues. What it all comes down to after all is the well-known fact that blood is thicker than water and that without any question, you know which side you have to be on.

Ayoola is a serial killer – absurd as it may sound, the title is absolutely clear about it and after the opening scene, you know all about her killings. Yet, this is one of the least interesting aspects, much more remarkable is the sisters’ relationship: jealousy, love, anger, hatred, support – the full spectrum of emotions. Of course, it is Korede that the reader commiserates, she is obviously the good girls that nobody notices, neither their parents nor the men. I wondered if Ayoola suffered from some kind of mental illness, she somehow does not really seem to realise what she does, but she definitely is rather egocentric and not very considerate when it comes to other people’s feelings.

“My sister, the Serial Killer” is a black comedy that should not be taken too seriously I guess. It is a great read that I utterly enjoyed. I am absolutely looking forward to reading more from the author.