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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 06.08.2017
White Tears
Kunzru, Hari

White Tears


ausgezeichnet

„White Tears“, der neue Roman des britischen Autors Hari Kunzru (in der Übersetzung von Nicolai von Schweder-Schreiner bei Liebeskind erschienen), der aktuell in New York lebt und arbeitet, kreist um Musik, speziell um ein Genre, das amerikanischer nicht sein könnte. Es ist der Blues, diese schwarze Musikform, geboren aus dem Leid der Unterdrückten. Später variiert und vereinnahmt von weißen Interpreten, die glauben machen, sie hätten ihn zur Perfektion gebracht.

Seth und Carter kennen sich seit Collegezeiten. Carter kommt aus reichem Haus und verfügt offenbar über unerschöpfliche finanzielle Mittel, Seth dagegen ist immer knapp mit dem Geld und oft auf die Hilfe seines Freundes angewiesen. Speziell dann, wenn es um das Equipment für ihre gemeinsame Obsession, die Musik, geht. Denn die beiden Hipster betreiben ein Studio. Es sind die Töne, um die ihrer Leben kreist. Seth sammelt die verschiedensten Geräusche bei seinen Streifzügen durch die Straßen der Metropole, die die beiden dann bearbeiten und samplen. Als er zufällig im Park das Fragment eines Bluessongs aufnimmt, kann er nicht ahnen, welch verhängnisvolle Ereignisse er damit in Gang setzen wird.

Wie die amerikanische Gesellschaft seit Jahrhunderten auf Ausbeutung und Unterdrückung basiert, hat bereits Ta-Nehisi Coates in „Zwischen mir und der Welt“ eindrucksvoll beschrieben. Und bis heute hat sich daran nichts geändert. Bestes Beispiel dafür ist Seths Kumpel Carter, der zukünftige Erbe eines Firmenimperiums. Er glaubt, dass seine Liebe zum Blues ihm die Legitimation verleiht, sich eine schwarze Identität zulegen zu können. Naiv wie er ist, glaubt er sich über seine Faszination vom Blues, eine schwarze Identität aneignen zu können, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Er treibt es auf die Spitze, bis er schließlich mit dem Horror der Vergangenheit konfrontiert wird.

Hari Kunzrus neuer Roman „White Tears“ verweigert sich der eindeutigen Zuordnung zu einem bestimmten literarischen Genre. Er bewegt sich in Grenzbereichen, ist zeitgeistig, rätselhaft, radikal, innovativ und doch auch höchst politisch. Wie der Autor den Bogen zwischen dem Gestern und dem Heute schlägt ist ungewöhnlich und virtuos, verleiht dem Buch eine ganz eigene Stimme und lässt den Leser beeindruckt, aber auch verstört zurück.

Bewertung vom 31.07.2017
Die Seelen von London
Benedict, A. K.

Die Seelen von London


sehr gut

London, es gibt keine andere Metropole, die den passenderen Hintergrund zu A. K. Benedicts Roman liefern könnte. Die Verbindung von Kriminalroman und Urban Fantasy passt zu dieser Stadt wie die Faust aufs Auge, was jeder bestätigen kann, der sie schon einmal besucht hat.

Im Zentrum der Geschichte steht Jonathan Lark, der nicht unbedingt dem Bild entspricht, das man sich von einem Detective Inspector macht. Er ist quasi obdachlos und nächtigt in seinem Büro, weil seine Gattin Probleme mit seiner ausgeprägten Vorliebe für Frauenkleider hat. Außerdem zweifelt er an sich und seinen Fähigkeiten, denn in einem früheren Stalking-Fall konnte er nicht verhindern, dass das Opfer getötet wurde. Aber vielleicht hilft der neue Fall, die Geister der Vergangenheit zu besiegen.

Es geht um Maria, die ihre Tage damit verbringt, den Schlamm am Themseufer nach ungewöhnlichen Fundstücken zu durchsuchen. Sie war blind, hat aber nach einer Operation mittlerweile ihr Augenlicht zurückbekommen. Doch mit dem Zustand des Sehens kann sie nicht anfreunden, und so trägt sie noch immer eine Binde über den Augen, um im Zustand der Dunkelheit zu verharren. Als sie eines Tages einen makabren Fund macht und auch das Gefühl hat, verfolgt zu werden, sieht sie sich gezwungen, die Hilfe der Polizei in Anspruch zu nehmen.

Auch wenn er in einem ähnlichen Fall schon einmal versagt hat ist Lark bemüht, alles in seiner Macht stehende für die Sicherheit Marias zu tun. Und diesmal erhält er glücklicherweise Unterstützung von einer Seite, die er nie im Leben erwartet hätte, denn London birgt so manche Überraschung – nicht nur für die Lebenden, sondern auch für die Toten. Und für den Leser sowieso!

Beim Lesen des Klappentextes assoziierte ich sofort Ben Aaronovitchs Peter Grant-Reihe. Und der Vergleich ist in der Tat nicht sehr weit her geholt. Wie dieser Autor erzählt auch Benedict von einem verborgenen Bereich der Metropole, einer Schnittstelle, in der das Übernatürliche in Form von Geistern mit besonderen Fähigkeiten in die Bereiche der Lebenden eindringt – mit guten, aber auch mit bösen Absichten. Das hat natürlich zur Folge, dass die Story sich allmählich etwas schräger als erwartet entwickelt, was aber nicht negativ zu bewerten ist. Vielmehr verleiht es einer eher klassischen Krimihandlung den besonderen Touch, der durch das übernatürliche Element gepaart mit Wortwitz noch verstärkt wird. So ist „Die Seelen von London“ ein origineller Kriminalroman mit Fantasy-Elementen und eine unterhaltsame Lektüre für zwischendurch.

Bewertung vom 31.07.2017
Hard Revolution
Pelecanos, George P.

Hard Revolution


ausgezeichnet

Dass für George Pelecanos die literarische Verarbeitung des Alltags in seiner Heimatstadt Washington schon immer ein zentrales Thema war und ist, weiß jeder, der seine Romane kennt. Ob das nun die Washington-Trilogie oder die Strange/Quinn-Reihe ist, die Stadt und ihre Bewohner, aber auch die gesellschaftlichen Verhältnisse, bilden immer den Rahmen für die Bücher des Autors.

So auch in „Hard Revolution“, im Original bereits 2004 erschienen und nun dankenswerterweise in der deutschen Übersetzung (von Gottfried Röckelein) im Ars Vivendi Verlag veröffentlicht. Die Handlung liegt zeitlich vor der in den drei bereits erschienenen Bänden der Reihe und könnte den Untertitel „Wie er wurde, was er ist“ tragen, wobei es nicht nur um Derek Stranges persönliche Geschichte, sondern auch um die soziokulturellen Veränderungen in Washington geht.

Pelecanos erzählt in zwei Zeitebenen, 1959 und 1968: Washingtons Wohnviertel sind nach sozialem Status und Ethnien getrennt. Üblicherweise bleiben die Weißen und die Afroamerikaner man unter sich, Rassismus und Diskriminierung gehört zum Alltag. Wer schwarz ist, hat schon von vornherein schlechte Karten und kann im seltensten Fall seine Träume verwirklichen. Derek Strange ist 1959 zwölf Jahre alt und hat ein Vorbild, Frank Vaughn, einen Polizisten (weiß), in dessen Haushalt seine Mutter als Putzfrau arbeitet. Wie dieser möchte er Polizist werden, für einen schwarzen Jungen nahezu ein unerreichbares Ziel, denn zu dieser Zeit gibt es kaum afroamerikanische Polizisten (ca. 25 % in den Sechzigern). Außerdem ist dieser Berufswunsch für einen Jungen aus seinem Viertel eher ungewöhnlich, sind diese doch meist auf der anderen Seite zu finden. Dass Derek zehn Jahre später von seinen eigenen Leuten als Verräter, als „Onkel Tom“ bezeichnet wird, wenn er in Polizeiuniform mit seinem Partner auf Streife ist, versteht sich fast von selbst.

Das Civil Rights Movement gewinnt Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre an Bedeutung, die Wut wächst, die amerikanische Gesellschaft ist noch immer durch Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit gekennzeichnet. Gangs übernehmen ganze Viertel, die Heimkehrer aus dem Vietnamkrieg sind entweder traumatisiert und/oder wenden das auf den Schlachtfeldern erworbene Wissen auf der Straße an. Jeder will sein Stück vom Kuchen, vom amerikanischen Traum. Die Gewalt nimmt zu, Opfer sind auf beiden Seiten zu beklagen. Auch Derek Strange muss das erfahren, als sein Bruder erschossen wird. Und als am 04.04.1968 Dr. Martin Luther King, die Gallionsfigur der Bürgerrechtsbewegung, in Memphis einem Attentat zum Opfer fällt, brennt auch in Washington die Luft. Und nicht nur die.

Es sind unzählige Geschichten von „unten“, die George Pelecanos in „Hard Revolution“ hineinpackt und daraus das grandiose Porträt einer Gesellschaft am Scheideweg zeichnet, die aber offenbar aus ihrer Geschichte nichts gelernt hat. Denn dem Civil Rights Movement entspricht heute „Black Lives Matter“, eine Bewegung, die sich gegen gewalttätige Übergriffe engagiert, denen Afroamerikaner tagtäglich ausgesetzt sind. Traurig genug, dass es ausgerechnet die Uniformträger sind, die hier immer wieder durch brachiale Gewalt und vorschnellen Schusswaffeneinsatz auffallen.

„Hard Revolution“ ist weit mehr als ein Kriminalroman, es ist ein höchst politisches Buch, ein soziokulturelles Porträt der Hauptstadt der Vereinigten Staaten der fünfziger und sechziger Jahre, sehr lebendig und authentisch erzählt. Und mit sehr viel Zeitkolorit durch die Einarbeitung von Filmtiteln, Automarken und jeder Menge Musik in die Story.

Nachdrückliche Leseempfehlung!

Bewertung vom 19.07.2017
Everland
Hunt, Rebecca

Everland


ausgezeichnet

Eine Insel, zwei Expeditionen – und dazwischen liegt ein ganzes Jahrhundert. Das Ziel ist Everland, ein (fiktives) Eiland in der Antarktis. Bereits im Jahr 1913 machen sich drei Briten auf den Weg dorthin, die von ihrer Forschergruppe für diese Exkursion ausgewählt wurden. Napps, Erster Offizier und Expeditionsleiter, hart und kaltschnäuzig. Millet-Bass, Seemann, groß, kräftig und unkompliziert. Und Dinners, Forscher und Träumer, der in seiner eigenen Welt lebt, das schwache Glied der Gruppe. Es ist eine lebensfeindliche Umgebung, die keinen Fehler verzeiht, die Wetterbedingungen sind katastrophal, die Teilnehmer geraten an ihre physischen und mentalen Grenzen. Und schnell wird klar, dass diese Expedition in einem Desaster enden wird. Für die Nachwelt bleibt einzig ein Logbuch. Es bildet die Grundlage für einen Film, der diese Unternehmung für die Nachwelt dokumentieren soll. Wahrheit oder Lüge?

Anlässlich des hundertsten Jahrestages begeben sich drei weitere Wissenschaftler auf die Spuren von Napps, Millet-Bass und Dinners. Decker, der erfahrene Anführer, Jess, die kundige Feldassistentin, die ihm zur Hand gehen soll, und Brix, die mangelnde Kenntnisse durch Begeisterung wettzumachen versucht. Obwohl diese Gruppe moderne Transportmittel benutzt und Hightech-Equipment zur Verfügung hat, kämpfen sie schlussendlich mit ähnlichen Problemen wie ihre Vorgänger hundert Jahre zuvor.

Keine Frage, die Antarktis ist schroff und unwirtlich, ja sogar lebensbedrohlich. Jeder, der sich dort warum auch immer aufhält, ist den Elementen schonungslos ausgesetzt Und natürlich beschreibt die Autorin sehr anschaulich diese Lebensbedingungen, aber auch deren psychische und physische Auswirkungen auf die Expeditionsteilnehmer heute und vor hundert Jahren. Doch sie verweilt nicht länger als für die Dramaturgie erforderlich bei diesen Beschreibungen, sondern konzentriert sich auf das Zwischenmenschliche, die dynamischen Prozesse, die innerhalb der beiden Dreierteams ablaufen und sich trotz des großen zeitlichen Abstands kaum unterscheiden. Ist aber nicht weiter erstaunlich, sind doch die Personenkonstellationen sowie die Funktionen des Einzelnen innerhalb der Gruppe nahezu identisch.

„Everland“ ist ein Roman, der seine Geheimnisse erst nach und nach frei gibt. Was geschah wirklich bei der ersten Expedition? Stimmen die Eintragungen im Logbuch des Kapitäns, oder wurden sie womöglich geschönt? Diese Frage stellt man sich relativ bald. Und hier sorgt Rebecca Hunt durch den steten Wechsel zwischen den Zeiten (und somit auch zwischen den beiden Erzählebenen) dafür, dass das Interesse des Lesers nicht abebbt, sondern erhalten bleibt.

Dennoch, der Fokus der Autorin liegt auf dem Verhalten der Expeditionsteilnehmer in den Situationen, in denen ihre Menschlichkeit auf die Probe gestellt wird. Sind die Entscheidungen, die sie treffen, geleitet vom Verstand und der realistischen Einschätzung der Situation oder lassen sie sich von ihren Gefühlen leiten? Nimmt man Schaden an der Seele durch den Aufenthalt auf „Everland“?

Viele interessante Fragen, die jeder Leser für sich selbst beantworten kann. Lesen!

Bewertung vom 17.07.2017
Bruderlüge / Martin Benner Bd.2
Ohlsson, Kristina

Bruderlüge / Martin Benner Bd.2


sehr gut

Bruderlüge“ führt die Geschichte weiter, die die schwedische Autorin Kristina Ohlsson mit „Schwesterherz“ begonnen hat. Im Zentrum der Handlung steht wiederum der Anwalt Martin Benner, der den Fall Sara Texas noch nicht ad acta legen kann. Er ist auf der Suche nach Mio, ihrem verschwundenen Sohn, steckt aber nun in einer richtigen Zwickmühle. Ausgerechnet Lucifer, der skrupellose und gewalttätige Gangster, der letztendlich für den Tod von Mios Mutter Sara verantwortlich ist, möchte das Kind auch in die Finger bekommen. Und dafür ist ihm jedes Mittel recht. Für Benner selbst wird es zunehmend problematischer, wird er doch von der Polizei wegen Mordes gesucht. Und dann ist da auch noch der nicht wieder gut zu machende Fehler, den er als Berufsanfänger begangen hat und mit dem er nun konfrontiert wird. Die Vergangenheit streckt ihre Krallen aus, und zunehmend wird es Benner immer klarer, dass das kein Zufall sein kann.

Wie bereits in „Schwesterherz“ arbeitet Ohlsson mit sehr vielen unterschiedlichen Handlungssträngen, deren Relevanz sich dem Leser auf den ersten Blick nicht gleich erschließt. Zwar gibt es eine kurze Zusammenfassung, aber da „Bruderlüge“ unmittelbar an den Vorgängerband anschließt, empfehle ich nachdrücklich die zeitnahe Lektüre von „Schwesterherz“. Die Zusammenhänge werden somit für den Leser klarer, sodass nachfolgende Ereignisse besser eingeordnet werden können.

Kristina Ohlsson gehört zu besseren skandinavischen Krimiautoren, was sie bereits mit den fünf Bänden ihrer Frederika Bergmann Reihe hinreichend bewiesen hat. Und auch die beiden Martin Benner Thriller überzeugen durch einen spannenden Handlungsaufbau mit vielen unerwarteten Wendungen. So weit, so gut. Aber das Vergnügen wird leider durch die Auflösung – sprich: die Motivation des Bösewichts - getrübt, die dann doch etwas trivial daherkommt und eher in einem dieser unsäglichen Ladythriller zu vermuten wäre. Schade!

Bewertung vom 11.07.2017
Die Lieferantin
Beck, Zoë

Die Lieferantin


ausgezeichnet

Wer inhaltlich und stilistisch hochkarätige Kriminalromane/Thriller aus der Feder einer deutschen Autorin lesen möchte, kommt an Zoe Beck nicht vorbei. Allerdings liegen die Handlungsorte, speziell ihrer Thriller, glücklicherweise nicht in der deutschen Provinz, sondern in London. Ein Pflaster, das die Autorin sehr gut kennt, hat sie dort doch über einen längeren Zeitraum gelebt und pendelt noch immer zwischen UK und Deutschland. Neben den rasanten Plots liegt die besondere Qualität der Beckschen Thriller in dem Verarbeiten aktueller Ereignisse aus der Tagespolitik sowie deren Auswirkungen auf gesellschaftspolitische Veränderungen.

So auch in ihrem neuesten Thriller „Die Lieferantin“, in dem sie kritische Blicke auf die – stellvertretend – britische Gesellschaft und deren Umgang mit der Drogenproblematik wirft. Es ist ein England nach dem Brexit mit all seinen unschönen Auswüchsen: die Rotweißblauen werden von Regierungsorganisationen in ihrer Jagd auf Menschen anderer Hautfarbe unterstützt, die Gentrifizierung schreitet voran und treibt die nicht so zahlungskräftigen Bürger zunehmend in heruntergekommene Wohnviertel. Und der neueste Coup der Regierung ist ein neues Referendum, der Druxit, nach dessen Annahme mit aller Härte gegen Dealer vorgegangen werden soll. Einerseits. Aber andererseits gibt es natürlich auch eine andere Sicht auf die Dinge, denn je mehr Illegalität, desto mehr schlechter Stoff und somit tote, oder im besten Fall zugedröhnte Junkies, die keinerlei Interesse mehr an politischer Veränderung haben, was der Regierung in die Karten spielt.

Im Zentrum der Handlung steht Elliot, die „Lieferantin“, die es sich nach dem Drogentod ihres Bruders zum Ziel gesetzt hat, den Markt mit sauberem Heroin zu versorgen. Profite macht sie keine, denn die Erlöse fließen in eine Drogenklinik und die Anti-Druxit-Kampagne. Ihr zur Seite steht Mo, eine Spezialistin und Ab-und-zu Konsumentin, die für die Programmierung der Drohnen zuständig ist. Dass die beiden mit ihrem Geschäftsmodell der Londoner Unterwelt in die Quere kommen, versteht sich von selbst…

Spannend durch fortwährende Perspektivwechsel, gut geplottet wie von der Autorin gewohnt, mit einer klaren politischen Aussage. Lesen!

Bewertung vom 05.07.2017
Der letzte Befehl / Jack Reacher Bd.16
Child, Lee

Der letzte Befehl / Jack Reacher Bd.16


ausgezeichnet

Diesem sechzehnten Band der Jack Reacher-Reihe könnte man auch einen Untertitel verpassen: Wie er wurde, was er ist. Es ist ein Innehalten, ein Blick zurück, ein Unterbrechen einer mittlerweile seit 1997 währenden Odyssee durch die verschiedensten Staaten Nordamerikas.

„Der letzte Befehl“, so der Titel der deutschen Ausgabe (erschienen bei Blanvalet, in der Übersetzung von Wulf Bergner) ist eine Reise zurück zu den Anfängen – oder zu dem Ende, abhängig vom Blickwinkel. Wir schreiben das Jahr 1997, und der Militärpolizist Jack Reacher wird von seinem Vorgesetzten zu einem Undercover-Einsatz nach Carter Crossing, Mississippi geschickt, bei dem es den Mord an einer jungen Frau aufzuklären gilt. Und da die Möglichkeit besteht, dass ranghohe Army-Angehörige involviert sind, möchte man verhindern, dass die Öffentlichkeit Wind von dieser Angelegenheit bekommt. Dort angekommen findet Reacher heraus, dass es in der Vergangenheit bereits mehrere Morde nach dem gleichen Muster gab, und zwar nicht nur vor Ort, sondern auch in der Nähe des Einsatzortes des amerikanischen Militärs im Kosovo. Die spannende Frage ist nun natürlich, ob er sich dem Korps so sehr verpflichtet fühlt, dass er die Ergebnisse seiner Untersuchung unter den Teppich kehrt. Eigentlich eine rhetorische Frage, denn so tickt Reacher nun wirklich nicht, und wer ihn manipulieren will, beißt eh auf Granit.

Oft braucht es nur einen Anlass und eine gewisse Distanz, um vertraute Pfade zu verlassen und einen Neuanfang zu wagen. obwohl der Abschied von der Army für Reacher kein Wagnis, sondern lediglich eine konsequente Entscheidung ist. Es ist mehr als logisch, dass sein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit – ohne Ansehen oder Rang der Person – ihn diesen Schritt machen und lässt. Was Moral angeht, hat er seinen eigenen Kompass, und nur dem fühlt er sich verpflichtet. Für alle Leser, die die Reihe schon länger verfolgen, ist das nichts Neues. Man hat so etwas ähnliches ja schon immer geahnt.

Eine geradlinige, schnörkellose Story, wie immer spannend, obwohl wir die Konsequenzen, die sich für die Hauptfigur daraus ergeben, bereits kennen. Und für all diejenigen, die noch keine Bekanntschaft mit Jack Reacher geschlossen haben, bietet „Der letzte Befehl“ eine gute Gelegenheit, in die Reihe einzusteigen.

Bewertung vom 01.07.2017
Corruption
Winslow, Don

Corruption


gut

Don Winslow hat mit seinem „War-of-drugs“ Epos „Tage der Toten“ Maßstäbe gesetzt. Maßstäbe, die nun auch an seinen neuesten Thriller „Corruption“ angelegt werden. Fünf Jahre hat er für dieses Buch recherchiert, und die Ergebnisse in einen Cop-Thriller gepackt. Im Zentrum stehen die Angehörigen einer NYPD Spezialeinheit, die Manhattan North Special Taskforce, oder kurz „The Force“ (so auch der Originaltitel) genannt, deren Einsatzgebiet üblicherweise Harlem ist. Die Hauptfigur Detective Denny Malone steht stellvertretend für die New Yorker Cops. Und wenn man den Aussagen Don Winslows (geäußert in diversen Interviews) Glauben schenken kann, ist die Figur eng an die Realität angelehnt.

Malone, Sohn eines Polizisten, ist angetreten, um zu schützen und zu dienen. Aber einmal falsch abgebogen, und schon zeigt der Kompass eine andere Richtung an. Nun schiebt er seit 18 Jahren Dienst beim NYPD, leitet mittlerweile sein eigenes Team und fühlt sich wie der King von Manhattan. Und so benimmt er sich auch. Er bestimmt die Regeln, immer und überall. Überheblich, scheinheilig, unsympathisch, gewalttätig, manipulativ – und korrupt. Lässt sich von Dealern schmieren, besticht Richter und hat kein Problem damit, sichergestellte Beweismittel so zu manipulieren, wie es seiner Sicht der Lage entspricht. Oder bei einer Razzia immense Bargeldbeträge und Drogen zu unterschlagen, diese unter seinem Team aufzuteilen und zu bunkern.

Eine Millionenmetropole, aber dennoch ist es eine kleine Welt, in der sich Malone bewegt. Freunde – nur sein Team. Familie – verlassen. Geliebte – drogenabhängig. Einzig seine beiden Teamkollegen und die Macht, die er auf der Straße hat, verleihen ihm Sicherheit. Hinterfragt er sein Handeln? Manchmal, in einer schwachen Stunde. Aber er ist ja noch immer der festen Überzeugung, dass sowohl er als auch seine Kollegen gute Gründe für ihr Verhalten auf der Straße haben.

Aber dann kommt der Tag, an dem Malone in den Fokus des FBI gerät. Sie wollen Informationen, zuerst nur Namen von korrupten Anwälten und Richtern, dann aber auch von käuflichen Cops. Und das ist das Schlimmste, was einem wie Malone passieren kann. Er muss zum Verräter, zur Ratte werden, um seine eigene Haut zu retten.

Es sind mafiöse Strukturen, die in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu finden sind. New York, der „Big Apple“, fault von innen heraus, rechtschaffene Menschen scheinen Mangelware zu sein. Jeder ist käuflich und denkt nur an seinen eigenen Vorteil. Und das üblicherweise in monetärer Form. Geld ist alles, die Triebfeder. Alle anderen Gründe sind nur vorgeschoben. Nichts funktioniert ohne Cash. Ob das die Vergabe von Aufträgen oder gekaufte Gerichtsurteile sind. Moral, Skrupel, Wertesystem – Fehlanzeige. Strahlende Helden sucht man in diesem Thriller vergeblich.

Das ist (wahrscheinlich) authentisch und (natürlich) knallhart, erschütternd und zutiefst pessimistisch auf jeden Fall. Action gibt es genügend, sowie schöne Beschreibungen von Harlem. Aber die Story an sich ist mir zu eindimensional, überladen mit den Klischees der unzähligen Supercops mit entsprechendem Korpsgeist, die wir aus diversen Filmen kennen. Leider nicht vergleichbar mit „Tage der Toten“. Schade!

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.