Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Havers
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 20.06.2017
Stille Wasser / Commissario Brunetti Bd.26
Leon, Donna

Stille Wasser / Commissario Brunetti Bd.26


ausgezeichnet

Nach einer simulierten Herzattacke, mit der Brunetti einen ungestümen Kollegen davor bewahren möchte, eine Dummheit im Affekt zu begehen, muss sich der Commissario in ärztliche Behandlung begeben. Offenbar fordern 25 Dienstjahre doch ihren Tribut, denn die Ergebnisse der Routineuntersuchung zeigen Auffälligkeiten. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Ärztin ihm eine Auszeit zur Regeneration vorschlägt. Nur gut, dass Paolas Tante in der Lagune auf Sant‘ Erasmo, der „Gemüseinsel“, eine Villa besitzt, die nicht genutzt wird. Dort richtet sich Brunetti nun für die kommenden Wochen ein. Natürlich mit seinen geliebten Büchern im Gepäck, um der Langeweile zu entfliehen. Völlig überflüssig, wie sich herausstellt, denn Davide Casati, der Verwalter des Anwesens, ist ein Freund seines verstorbenen Vaters und dessen ehemaliger Bootskamerad. Er nimmt Brunetti unter seine Fittiche und zeigt diesem auf ihren gemeinsamen Ruderausflügen nicht nur die beeindruckenden Schönheiten der Lagune, sondern auch die verheerenden Folgen, die das Eingreifen der Menschen in dieses einzigartige Ökosystem hat. Doch dann trifft ein Unwetter Sant‘ Erasmo, und am nächsten Morgen ist Davide Casati spurlos verschwunden…

„Stille Wasser“, so der Titel des neuen Kriminalromans von Donna Leon, ist einer der besten Bände der Reihe. Die verschiedenen Personen sind überzeugend und lebendig gezeichnet, allen voran Davide Casati, der gute Mensch, der unbedacht gehandelt hat und deshalb von Schuldgefühlen geplagt wird, aber auch seine ehemaligen Kollegen, die sich ihre Schuld vergolden lassen.

Und wie wir es von der Autorin seit nunmehr 25 Bänden gewohnt sind, entwickelt sie diese Story routiniert. Eine aktuelle Note erhält die Geschichte durch Casatis „Mädchen“, seine Bienen, deren Stöcke er an verschiedenen Stellen in der Lagune verteilt hat. Als ein Volk nach dem anderen stirbt, erkennt er, dass jede Aktion eine Reaktion zur Folge hat – auch wenn oft andere für die eigene Schuld bezahlen müssen.

Sind wir doch mal ehrlich: die Brunetti-Krimis lesen wir nicht wegen der nervenzerfetzenden Hochspannung, sondern weil wir die besondere Atmosphäre lieben, die sie jedes Mal aufs Neue garantieren. Und die Themen, mit denen Donna Leon in „Stille Wasser“ den venezianischen Commissario sowie ihre Leser konfrontiert, sind auch nicht neu, haben aber von ihrer Aktualität nichts verloren und scheinen die Autorin immer wieder umzutreiben: Der rücksichtslose Umgang mit der Natur. Profitinteressen, die über allem stehen. Bestechlichkeit und Schweigen, erkauft mit hohen Beträgen. Von daher - alles beim Alten in der Serenissima!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.06.2017
Sie kam aus Mariupol
Wodin, Natascha

Sie kam aus Mariupol


ausgezeichnet

Auf Natascha Wodin wurde ich nach der Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse aufmerksam, den sie für „Sie kam aus Mariupol“ Ende März erhielt. Es ist wichtig, dass dieses Buch geschrieben wurde. Nicht nur für die Autorin, die damit den Leser an einem bewegenden Kapitel ihrer eigenen Geschichte teilhaben lässt, sondern auch für jeden von uns, wird hier doch exemplarisch an einem individuellen Schicksal ein sehr dunkles Kapitel unserer deutschen Geschichte beleuchtet, das jahrzehntelang totgeschwiegen wurde.

Zwischen 1939 und 1945 deportierten die Nationalsozialisten zig Millionen Menschen (die genaue Zahl ist unbekannt) aus allen Gesellschaftsschichten, vornehmlich aus Osteuropa, die in deutschen Fabriken, überwiegend Rüstungsbetrieben, als Arbeitssklaven eingesetzt wurden. Ungefähr ein Drittel davon waren Frauen, von denen man manche gemeinsam mit ihren Kindern verschleppte und in Arbeitslagern unterbrachte. Die meisten schufteten sich zu Tode, aber auch die Überlebenden waren für den Rest ihres Lebens gezeichnet und kaum mehr in der Lage, für sich oder auch ihre Kinder zu sorgen.

So auch die Mutter der Autorin, die an den erlebten Gräueln zugrunde geht und sich schließlich das Leben nimmt, als Natascha Wodin gerade einmal zehn Jahre alt ist. Für das Mädchen folgt der Aufenthalt in Lagern für „displaced persons“, danach eine Odyssee durch verschiedene Heime. Erst viele, viele Jahre später setzt sie sich mit ihrer Familiengeschichte auseinander und beginnt nachzuforschen, wo die Wurzeln ihrer Mutter liegen.

Immer nüchtern, fast schon emotionslos, nimmt Natascha Wodin den Leser mit auf ihre Reise in die Vergangenheit und enthüllt Schicht für Schicht die Tragik eines Lebens in dunklen Zeiten. Peu à peu setzt sich aus einzelnen Fragmenten der mütterliche Lebenslauf zusammen und dokumentiert an deren Einzelschicksal die Lebensumstände der Zwangsarbeiter, die für (noch immer) renommierte deutsche Firmen (nicht nur, aber doch überwiegend Rüstungskonzerne) sprichwörtlich verheizt wurden. Ein erschütterndes Dokument unserer Geschichte, das zur Pflichtlektüre im Unterricht werden sollte. Lesen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.05.2017
Geständnisse
Minato, Kanae

Geständnisse


ausgezeichnet

In ihrem Heimatland wird die japanische Autorin Kanae Minato als „Queen of Iyamisu“ bezeichnet. Iyamisu ist ein Subgenre im Thriller-/Krimibereich, bei dem der Schwerpunkt auf die dunkle Seite der menschlichen Natur gelegt wird. 2008 veröffentlicht Minato ihren ersten Roman, der auf Anhieb die Bestsellerlisten stürmt, mit dem Japanese Bookseller Award ausgezeichnet und 2010 verfilmt wird. 2014 erscheint die englische Übersetzung, im Frühjahr 2017 die deutsche Ausgabe unter dem Titel „Geständnisse“.

Eine Vierjährige ertrinkt im Schwimmbad der Schule, nicht versehentlich. Zwei Schüler, gerade einmal dreizehn Jahre alt, sind dafür verantwortlich. Oder etwa doch nicht? Die Mutter des toten Kindes ist alleinerziehend und genau an dieser Schule als Lehrerin tätig. Sie kündigt kurz darauf ihre Anstellung und verabschiedet sich mit einer Abschiedsrede von ihren Schülern, an deren Ende sie diese mit einer schockierenden Aktion überrascht.

Vor diesem Hintergrund gewährt Kanae Minato ihren Lesern einen düsteren Einblick ins Innere einer Gesellschaft, die Kinder auf Erfolg trimmt und ihnen dabei die Emotionalität aberzieht. Die Autorin nimmt dafür verschiedene Erzählperspektiven zu Hilfe, wobei sie die jeweiligen Personen nicht nur ihre individuelle Sichtweise der Ereignisse schildern lässt, sondern darüber hinaus mit jeder neuen Stimme das Mosaik ergänz und das Geschehene präzisiert.

Da ist zum einen die Mutter, die nur noch an Rache und Vergeltung denken kann. Aber auch die beiden Teenager, kaltblütig, tickende Zeitbomben, isoliert, gemobbt, gebrochen. Geopfert auf dem Altar der japanischen Leistungsgesellschaft. Ausgeliefert und alleingelassen, Aggressionen gegen sich und ihre Umwelt schiebend. Skrupellos und gewalttätig, bis hin zum Massenmord.

Minato bleibt in ihren Beschreibungen völlig sachlich und kühl und schafft damit eine kalkuliert Intensität, wenn sie dem Leser Einblick in die Seelen der Täter und Opfer gewährt. Diese emotionale Wüste, die Eiseskälte der Protagonisten wirkt auch deshalb so verstörend, weil sie mit unserer Moral und unseren Werten nicht vereinbar ist.

„Geständnisse“ ist ein Thriller, der dem Leser interessante Einblicke in eine fremde Kultur gewährt. Lesen!

Bewertung vom 10.05.2017
Appetites
Bourdain, Anthony

Appetites


ausgezeichnet

Anthony Bourdain, Enfant terrible der internationalen Kochszene und bekannter TV-Star, hat gemeinsam mit seiner langjährigen Assistentin Laurie Woolever ein Kochbuch veröffentlicht, das aus dem Rahmen fällt und eher ein Gesamtkunstwerk als eine Rezeptsammlung ist. Das beginnt bereits bei dem Cover, einem absoluten Eyecatcher, gestaltet von Ralph Steadman, der unter anderem Hunter S. Thompsons „Fear and Loathing in Las Vegas“ illustriert hat. Und so außergewöhnlich, wie die Umschlaggestaltung, ist auch das Innere. Natürlich gibt es Fotografien, wobei aber die von Food-Designern ansprechend arrangierten Speisen, kunstvoll auf edlem Porzellan drapiert, eindeutig in der Minderheit sind. Stattdessen sehen wir benutzte und zusammengeknüllte Servietten, Zigarettenkippen und totes Federvieh – hört sich eklig an, wenn man das jetzt so liest, ist aber professionell und künstlerisch in Szene gesetzt und passt zu den launigen Bemerkungen Bourdains über Köche, Rezepte und persönliche Vergangenheit, die dieses Kochbuch wie ein roter Faden durchziehen.

Und doch ist „Appetites“ ein Kochbuch für „Family and Friends“ mit modifizierten Rezepten, die von Klassikern inspiriert sind. Nudelsuppe, der vietnamesischen Küche entlehnt, Sandwiches, Gulasch, Ratatouille, diverse Pasta-Rezepte, Köstlichkeiten aus aller Herren Länder, die Bourdain im Laufe seiner Reisen besucht hat. Hier ist für jeden etwas dabei. Aber man findet darin auch tolle Tipps, wie beispielsweise die Zubereitung eines typischen Thanksgiving-Dinners, sehr hilfreich, da auch zeitlich exakt getaktet. Was man allerdings vergebens sucht, sind Desserts. Dafür gibt es den wohlgemeinten Rat des Kochs, zum Abschluss des Menüs doch lieber eine Ecke perfekt gereiften Stilton zu verzehren – wie recht er doch hat!

Bewertung vom 08.05.2017
Der Näher / Martin Abel Bd.3
Löffler, Rainer

Der Näher / Martin Abel Bd.3


weniger gut

Rainer Löffler hat es wieder getan. Nach „Blutsommer“ und „Blutdämmerung“ liegt nun mit „Der Näher“ der dritte Band der Reihe vor, in deren Zentrum der Fallanalytiker Martin Abel vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg steht. Diesmal muss er allerdings außerhalb vom Ländle ermitteln, denn in Gummersbach gibt es nicht nur eine weibliche Leiche, sondern auch verschwundene schwangere Frauen. Es gilt den Täter dingfest zu machen, bevor noch weitere Tote auf sein Konto gehen.

Über den Fortgang der Handlung werde ich mich hier nicht weiter auslassen, und das hat seinen Grund. Ich mag diese bluttriefenden, voyeuristischen Serienkiller-Thriller mit ihren gestörten Methoden absolut nicht und hätte dieses Buch mit Sicherheit auch nicht in die Hand genommen, wenn es mir nicht zur Besprechung zugeschickt worden wäre. Diese detaillierten Beschreibungen von perversen Gewaltorgien muss und will ich nicht lesen, und ich frage mich immer wieder, wen so etwas unterhält. Sorry, aber da fehlt mir absolut das Verständnis dafür.

Verstärkt wird dieses Empfinden noch durch den Erzählstil, denn Rainer Löffler beschreibt die Geschehnisse aus unterschiedlichen Perspektiven, Täter, Opfer und Abel/Polizei, nimmt also den Leser ganz nah mit an das Geschehen, führt ihn quasi in die Köpfe der Personen. Und zu wissen, was im Kopf eines Psychopathen vor sich geht und welche Entschuldigungen er dafür parat hat – sorry, das brauche ich nun wirklich nicht, ganz zu schweigen davon, dass es mich auch überhaupt nicht interessiert!

Bewertung vom 07.05.2017
Chicken & Rice
Lee, Shu Han

Chicken & Rice


gut

Essen ist immer ein Stück Liebe und Heimat. Ob das nun die Natronringele der Schwiegermutter oder die Kartoffelpuffer der Oma sind, es bringt Erinnerungen und wohlige Gefühle der Geborgenheit zurück. So mag es auch Shu Han Lee gegangen sein, als sie Singapur verlassen hat, um in London zu studieren. Aus dieser Motivation heraus bringt sie sich das Kochen bei und teilt, nachdem sie es perfektioniert hat, die Ergebnisse mit ihren Freunden und Nachbarn. Und veröffentlicht schließlich ein Kochbuch, in dem sie nicht nur ihre Rezepte gesammelt hat, sondern auch noch allerlei Wissenswertes über die Zutaten sowie die südostasiatischen Regionen, aus denen sie stammen, erzählt.

„Chicken & Reis. Frische und einfache Gerichte aus Südostasien“, der Titel allerdings irreführend. Zum einen hat Shu Han Lee weit mehr als Hühnchen und Reis Rezepte in petto, zum anderen mögen zwar die Zubereitungsarten auf den ersten Blick nicht sonderlich kompliziert wirken, benötigen dennoch aber ein gewisses Maß an Erfahrung mit der asiatischen Küche. Außerdem sind die Zutaten, trotz Asialaden im Nachbarort, nicht immer erhältlich, was Planung voraussetzt und spontanem Kochen dann doch eher abträglich ist.

Die Gliederung der Rezepte richtet sich nach den Hauptzutaten Reis, Nudeln, Fisch, Fleisch, Eier, Tofu, Gemüse. Dazu kommen noch Suppen, Snacks und Desserts. Bedingung ist weiterhin ein wohlgefüllter Vorratsschrank mit weiteren vorbereiteten Pasten, Soßen und Dips zur Würzung. Man sollte sich also bewusst sein, dass reichlich Zeit eingeplant werden muss, wenn man lecker asiatisch essen möchte.

Dafür decken aber Shu Han Lees Rezepte auch diesen gesamten geografischen Raum ab. Aus Singapur über Indonesien, die Philippinen, Kambodscha, Vietnam, Thailand etc. werden Gerichte vorgestellt, die Liebhaber der asiatischen Küche in Entzücken versetzen werden. Leider beschränken sich die jeweiligen Fotografien stark auf das Wesentliche: ein Topf oder Teller, auf dem das Ergebnis zu sehen ist, und das war’s. Sehr reduziert, hier hätte der eine oder andere Farbtupfer für mehr Lust am Nachkochen gesorgt.

„Chicken & Reis“ ist kein Asia-Kochbuch für Anfänger, sondern setzt Erfahrung am Herd voraus. Und ein gewisses Verständnis für die Aromen der asiatischen Küche sowie Improvisationstalent sollte der Hobbykoch ebenfalls mitbringen, wenn er die benötigten Zutaten nicht bekommt sondern durch Alternativen ersetzen muss.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.