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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 753 Bewertungen
Bewertung vom 03.06.2016
Catfish
Brüggemeyer, Maik

Catfish


sehr gut

Like A Rolling Stone

Catfish ist ein Roman über Bob Dylan, bestehend aus realen und fiktionalen Anteilen. Autor Maik Brüggemeyer, Protagonist und Dylan-Kenner, stellt darin provokativ die Frage: "Was können wir von Bob Dylan lernen?" Nahe liegender ist die Frage: "Wer ist Bob Dylan?"

"Schon als pausbäckiger Mittelklassejunge hatte er sich als weitgereister Landstreicher inszeniert und die Weisheit eines Greisen in seine Stimme gelegt. Als man ihn als Protestsänger feierte, gab er den Beatnik und Hedonisten, als die Öffentlichkeit ihn als diesen erkannte, hatte er sich selbst bereits in Bibelstudien und das amerikanische Folkerbe versenkt. Er war immer einen Schritt voraus, und nur er kannte den Weg." (46)

Es ist nicht einfach Bob Dylan, einen der bedeutendsten Songwriter der Neuzeit, zu kategorisieren. In seinen Interviews ist er widersprüchlich, als Mensch bleibt er unscharf, verborgen hinter tiefgründigen Texten zu seiner Musik.

"Nein. Das klingt jetzt bescheuert, aber ich suche den, der er in seinen Songs ist und in seinen Inszenierungen – in Interviews und in den Geschichten, die man sich über ihn erzählt. Nenn es meinetwegen die Kunstfigur oder den Mythos." (61)

In diesem Sinne ist der Roman vergleichbar einem Spiegellabyrinth mit unterschiedlichen Projektionen. Ist Dylan eine Kunstfigur, die das Leben selbst als Kunstform ansieht?

Dylan steht für Wandlung, er erfindet sich ständig neu. "Er spielte diese Lieder nicht, er spielte mit Ihnen." (151) "Er spielt Hütchen mit unseren Köpfen. Na, unter welchem Hütchen liegt die Poesie? Wo versteckt sich die Bedeutung?" (180)

"Es gab keine Dylan'sche Ethik, kein politisches Programm, keine nachvollziehbare Haltung. Er hielt einem immer wieder den Spiegel vor, wenn man versuchte, ihn zu deuten, und so wurde man schließlich in seinen Bemühungen immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen." (208)

Das Buch ist eher für Leser geeignet, die Dylan kennen oder genauer gesagt, die glauben ihn zu kennen. Der Weg zu Dylan erfolgt über die Kunstfiguren im Buch und über seine Musik, die einfache und tief gehende Interpretationen zulässt. Wer erstmals von Dylan hört, sollte mit einer herkömmlichen Biografie beginnen. Catfish ist voller Anspielungen, die nur verstehen kann, wer sich mit Dylan beschäftigt hat.

"Ich habe keine Ahnung, wer er ist, und ich weiß nicht, was er tut. Aber es macht Spaß, ihm zuzusehen." (184)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.06.2016
Das Geheimnis der Intuition
Becker, Jan

Das Geheimnis der Intuition


weniger gut

Der Wundermacher

"Ich wollte Wunder machen", erinnert sich Jan Becker an seine Kindheit und findet damit gleich den Einstieg ins Thema. (17) Denn dieser Wunsch hat sich fest in sein Unbewusstes eingebrannt und seine Intuition beflügelt, einen Weg zur Realisierung zu finden. Der umstrittene österreichische Hellseher Hanussen hat ihn beeinflusst. (206)

Wie mächtig das Unbewusste ist, hat Ap Dijksterhuis [1] wissenschaftlich untersucht: "Die Verarbeitungskapazität des Bewusstseins bildet nur einen Bruchteil der gesamten Verarbeitungskapazität unseres Geistes. Unbewusst können wir ungefähr 200.000-mal soviel verarbeiten wie bewusst." Intuitiv treffen wir richtige Entscheidungen, weil diese auf unbewussten Erfahrungen beruhen.

Die einschränkenden Wahrnehmungsfilter unseres Bewusstseins können bewirken, dass uns Phänomene als übernatürlich erscheinen, für die es natürliche Erklärungen gibt. Subjektive Erfahrungen können sehr überzeugend sein, im Extremfall begründen sie eine Religion. Sie sind aber weder reproduzierbar noch falsifizierbar.

Die Naturwissenschaften beruhen (nur) auf Vermutungen und können prinzipiell widerlegt werden, aber die Ergebnisse sind reproduzierbar. Damit bilden sie das erklärungsmächtigste Denksystem, welches uns zur Verfügung steht und sie können helfen, Phänomene aufzuklären.

Becker beschäftigt sich mit Parapsychologie (Telepathie, Wahrsagen etc.) und geht damit über den Bereich hinaus, der unter dem Stichwort Intuition subsumiert werden kann, denn Intuition setzt voraus, dass eine zumindest unbewusste Wahrnehmung erfolgt ist.

Aus dem Blickwinkel der Naturwissenschaften gilt die Hypothese von Lambeck [2]: "Kein Mensch kann allein durch Denken (mental) Wirkungen außerhalb des eigenen Körpers hervorbringen oder Informationen aus der Umwelt aufnehmen." Bislang wurde diese Hypothese nicht falsifiziert.

Phänomene außerhalb der derzeitigen Modelle der Physik sind nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich. Zum Nachweis reichen keinesfalls subjektive Erfahrungen aus. Der Glaube an Übernatürliches kann aufgrund selektiver Wahrnehmung dazu führen, dass man eine gesunde Skepsis über Bord wirft und leichtgläubig wird.

Becker ist Hypnosetrainer und Unterhaltungskünstler. Ich bezweifele nicht, das er auf diesen Gebieten erfolgreich ist. Wenn er, wie einst Uri Geller, nach außen vertritt, dass er nicht mit Tricks arbeitet (158), ruft er Skeptiker auf den Plan. Mit Uri Geller hatte sich bereits vor 30 Jahren der Wissenschaftsjournalist Martin Gardner [3] ausführlich beschäftigt.

Becker macht eine unterhaltsame Show und das ist auch gut so. Sein Buch ist eine Mischung aus Parapsychologie, Schamanismus, Psychologie, Esoterik, NLP, positivem Denken und Magie. Leser werden eher verwirrt als aufgeklärt. Er generiert eine Erwartungshaltung, die nicht erfüllbar ist. Genau genommen hat er das Thema seines Buches verfehlt. Wenn jeder Gedanken lesen kann (73), muss ich wohl die Ausnahme sein. Dabei hat er meine Zustimmung, wenn er schreibt: "Denn das Leben ... passiert genau jetzt." (55)

[1] "Das kluge Unbewusste" von Ap Dijksterhuis
[2] "Irrt die Physik?" von Martin Lambeck
[3] "Kabarett der Täuschungen" von Martin Gardner

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.06.2016
Der Circle
Eggers, Dave

Der Circle


weniger gut

Die Büchse der Pandora

"Du sitzt mit drei Menschen an einem Tisch, die dich alle anschauen und versuchen, mit dir zu reden, und du starrst auf ein Display und suchst nach wildfremden Leuten in Dubai." (298)

Das sind Erfahrungen, die in der heutigen Zeit jeder macht. Internet, soziale Netzwerke, Blogs, Online-Chat, Twitter, Foren, E-Mails, Webcams und Onlinegeschäfte bestimmen den Alltag. Wie wäre es, wenn diese Dienste aller zusammengeführt werden, jeder eine eindeutige Identität erhält und die Anonymität aufgehoben wird? Mittels weltweit verteilter Kameras kann aufgrund der biometrischen Merkmale jeder Mensch jederzeit und überall ausfindig gemacht werden. Sämtliche Datenbanken stehen zur Verfügung.

Das ist eine Vision, die Dave Eggers in seinem Roman "Der Circle" beschreibt. Der Internetkonzern Circle vereinigt die wichtigsten Onlinedienste und ist mächtiger als jeder Staat. Protagonistin Mae bearbeitet Kundenanfragen beim Circle, für sie handelt es sich um einen Traumjob. Sie wird im Zuge ihrer beruflichen Entwicklung zur transparenten Persönlichkeit und damit zur Werbeikone des Konzerns.

Eggers macht in diesem Roman deutlich, was es heißt, die Privatsphäre aufzugeben. Protagonistin Mae, farblos und naiv, passt in diese Rolle. Ihr fehlt jegliche Distanz zu ihrer Tätigkeit und den Machenschaften des Konzerns. Dieser erinnert hinsichtlich seiner Arbeitsbedingungen und sozialen Aktivitäten stark an Google, so wie Gerald Reischl ihn in "Die Google Falle" beschreibt. Die Auswertemöglichkeiten gehen über das hinaus, was Stephan Baker realistisch in "Die Numerati" ausführt.

Aber der Circle ist umfassender. Reischl und Baker beschreiben Facetten aus der Welt der Möglichkeiten, die in dem vorliegenden Roman perfektioniert werden. Leider ist die Realität nicht weit von diesem Überwachungsstaat entfernt. Nach Orwell und Huxley hat Eggers einen Zukunftsroman geschrieben, der im Hinblick darauf, was NSA und andere Geheimdienste heute treiben, in Teilbereichen bereits Realität ist. Erstaunlicherweise werden heute auch intime Daten von vielen Menschen freiwillig veröffentlicht.

Der Roman ist nicht so düster wie "1984" und besitzt auch nicht die Tiefe von "Schöne neue Welt". Er ist eher eintönig und vorhersehbar. Dennoch handelt es sich um ein wichtiges Thema, welches in die Medien gehört, denn die Büchse der Pandora ist geöffnet.