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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 07.05.2017
Geld ist nicht genug
Stroby, Wallace

Geld ist nicht genug


ausgezeichnet

Wallace Stroby, amerikanischer Autor und ehemaliger Polizeireporter, schreibt mit „Geld ist nicht genug“ eine Geschichte fort. Und dabei geht es ist nicht nur um Crissa Stone, die sympathische Hauptfigur, die wir bereits aus „Kalter Schuss ins Herz“ kennen, sondern auch um einen legendären Millionenraub, bei dem 1978 auf dem New Yorker Flughafen JFK aus dem Cargobereich der Lufthansa Bargeld und Juwelen im Wert von knapp 6 Millionen Dollar gestohlen wurden. Die Täter waren offenbar im Mafiamilieu zu verorten, aber über den Verbleib der Beute konnte und kann nur spekuliert werden.

Und was hat Crissa Stone damit zu tun? Nun, sie hat einen alten Freund, Jimmy Falcone, und dieser kennt Benny, und Benny hat große Probleme. Denn nach vielen Jahren im Zeugenschutzprogramm wurde er enttarnt und hat nun die Mafia in Gestalt von Danny Taliferro im Genick sitzen, weil, ja weil er wissen könnte, wo ein großer Teil der Beute zu finden ist. Crissa ist zunächst skeptisch, verlässt sich schließlich aber doch auf Jimmys Einschätzung und begibt sich gemeinsam mit Benny auf die Suche nach Geld und Geschmeide.

Geld ist zwar nicht alles, aber ohne geht es eben doch nicht. Und Crissa benötigt immer wieder größere Summen. Allerdings verbraucht sie diese nicht für ihre eigenen Bedürfnisse, sondern finanziert damit zum größten Teil Anwälte, die ihren immer schwächer werdenden Liebsten aus dem Gefängnis holen sollen. Und dann gibt es da ja auch noch ihre Tochter, die bei ihrer Cousine aufwächst, und die sie so gerne zu sich holen würde. Um diese beiden Menschen um sich zu haben, würde sie in der Tat auf alles Geld der Welt verzichten. Also doch nur ein temporäres Mittel zum Zweck.

Wie bereits der Vorgänger zeichnet sich auch dieser dialoggeprägte, actionreiche Thriller durch einen wohldurchdachten, gradlinigen Plot aus, der von Anfang bis Ende stimmig ist und auf konstruierte Verwicklungen verzichtet. Stroby schreibt so, wie auch seine Hauptfigur agiert: integer und ehrlich. Obwohl eine Kriminelle - ich scheue mich fast, das Wort zu benutzen - hat Crissa von Anfang bis Ende immer und ohne Einschränkung die Sympathien des Lesers, obwohl sie auf der anderen Seite des Gesetzes steht. Mit mehr Ehre im Leib als die meisten Cops, mehr als die Typen aus dem „Milieu“ sowieso. Eine Vertreterin der altmodischen Verbrechertugenden, die diejenigen, die ihr am Herzen liegen, niemals im Stich lassen würde. Ganz gleich, welchen Preis sie dafür bezahlen muss.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.05.2017
Rock'n'Soul Kitchen
Stegmann, Tobi

Rock'n'Soul Kitchen


ausgezeichnet

Ein cooler Typ, das ist nicht unbedingt das Attribut, mit dem man einen Küchenchef charakterisieren würde. Auf Tobi Stegmann trifft das allerdings zu: Bandana um den Kopf, Tattoos auf den Armen, Groove in den Töpfen, nie verkrampft und immer locker – so präsentiert sich der Sieger der Herzen aus der Kochshow „The Taste“ (auch wenn er schlussendlich nur Zweiter wurde). Seither ist einiges geschehen, denn mittlerweile betreibt er ein Restaurant in Landshut, hat seinen eigenen You Tube Channel und nun auch sein Kochbuch „Rock’n‘ Soul Kitchen veröffentlicht.

Aber Tobi Stegmann ist auch geerdet, ein bodenständiger Typ, was man sehr gut an seinen Rezepten sehen kann. Da werden beispielsweise keine geviertelten Babymöhren sondern ganz normale Karotten verarbeitet, Wan-Tan-Teigblätter nicht mit Hummerhirn sondern Blutwurst gefüllt und die Pfannkuchen zum Dessert mit Rhabarberkompott serviert. Keep it simple, so Stegmanns Credo, und dennoch kommt hier keine Langeweile auf den Teller, ganz im Gegenteil. Da er regionale Zutaten nur dann einsetzt, wenn sie Saison haben d.h. sich an den Jahreszeiten orientiert, bekommt der Hobbykoch ein Kochbuch in die Hand, das ehrliche und realisierbare Vorschläge nicht nur für besondere Gelegenheiten, sondern auch für den Alltag liefert.

Gegliedert sind die Rezepte nach den Jahreszeiten, jeweils unterteilt in drei Menüs. Die jeweiligen Hauptzutaten werden hierfür bereits ganz zu Beginn, noch bevor die konkrete Beschreibung der Gerichte beginnt, aufgelistet. Auf einer Seite Zutaten links, Zubereitung rechts, dazu fotografisch ganz wunderbar in Szene gesetzt, ohne überflüssigen Schnickschnack. Stegmann unterscheidet zwischen „Freestyle“, wobei er hier eher Wert auf klassische Zutaten und Alltagstauglichkeit legt, und „On Stage“, die raffinierten und kreativen Variationen über ein Thema. Und damit auch die musikalische Begleitung beim Kochlöffelschwingen stimmt, gibt es für die jeweiligen Jahreszeiten Tracklists aus dem Hard ‚n‘ Heavy Bereich.

Also dann, Kochbuch aufschlagen, ran an den Herd, Musik auf volle Lautstärke, und los geht’s – keep on rockin‘!

Bewertung vom 27.04.2017
Auf der Jagd
Bouman, Tom

Auf der Jagd


ausgezeichnet

Wild Thyme, ein Kaff irgendwo im Nirgendwo im Nordosten Pennsylvanias. Eine Region, die sich kaum von den Ozarks oder Harlan County unterscheidet. Und schon ist da eine Schublade, in die wir „Auf der Jagd“, den Erstling des Amerikaners Tom Bouman, einordnen können – ein weiterer Autor, der sich „Country Noir“ auf die Fahnen schreibt.

Dorthin hat es Henry Farrell verschlagen, Officer, ehemaliger Soldat und Witwer, der nach dem qualvollen Krebstod seiner Frau Wyoming verlassen und einen Job als Dorfpolizist im ländlichen Pennsylvania angenommen hat. Aber er stellt schnell fest, dass es dort alles andere als beschaulich zugeht. Zum einen sorgen die Produktion sowie der Vertrieb der illegalen Drogen für Revierkämpfe mit den Kartellen, zum anderen hat ein Fracking-Unternehmen dieses Gebiet für die Gasförderung ins Visier genommen und ist bestrebt, dort möglichst viel Land aufzukaufen. Die einen lockt das Geld, die anderen sträuben sich vehement gegen einen Verkauf. Und so bleiben gewalttätige Streitereien nicht aus. Als kurz nacheinander zwei Tote gefunden werden, ist Henry Farells Spürsinn gefragt…

„Country Noir“ könnte man im weitesten Sinn als das Pendant zum deutschen Regio-Krimi bezeichnen, das allerdings keinerlei Gemeinsamkeiten mit diesem aufweist. Und auch „Auf der Jagd“ vermittelt nicht das kuschelige Wohlfühlen, sondern holt den Leser aus seiner Wohlfühlzone und konfrontiert ihn mit dem perspektivlosen Dasein der Menschen in dieser strukturschwachen Gegend, die nach ihren eigenen Gesetzen leben und Neuankömmlingen mit Misstrauen begegnen.

Tom Bouman lebt in dieser Gegend, in der er seinen Roman angesiedelt hat. Er ist ein guter Beobachter, und die daraus resultierenden Beschreibungen machen zweifelsfrei die Stärke dieses Buches aus, das nicht nur Kriminalroman, sondern auch Sozialreportage ist. Er legt den Finger auf die Wunde des amerikanischen Traums und zeigt ungeschönt den Alltag der Abgehängten. Und genau das macht die Qualität dieses Buches aus.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.04.2017
Die Direktive
Quirk, Matthew

Die Direktive


sehr gut

Mike Ford, Hauptfigur in Matthew Quirks neuem Thriller „Die Direktive“, kennt man bereits aus dem Vorgänger „Die 500“. Damals stand der ehrgeizige junge Mann noch ganz am Anfang seiner Anwaltskarriere, mittlerweile ist er einigermaßen etabliert und verdient sein Geld auf (meist) ehrliche Art und Weise als Consultant. Und auch sein Privatleben ist geregelt, denn er steht kurz davor, in die New Yorker Upper Class einzuheiraten. Als Trauzeugen hat er sich für seinen Bruder Jack entschieden, der sich im Gegensatz zu Mike noch immer in dubiosen Kreisen bewegt und ein Talent dafür hat, sich mit den falschen Leuten einzulassen. Da Jack diesen Typen eine Menge Geld schuldet, gerät auch sein persönliches Umfeld, und somit sein Bruder Mike, ins Visier von Lynch, einem Ganoven, der andere die Drecksarbeit machen lässt, während er sich die Hände reibt und den Traum vom großen Geld träumt. Und an diesen Geldregen will er mithilfe von Insiderinformationen, nämlich besagter „Direktive“ der Notenbank gelangen, die ihm Mike beschaffen soll.

Langweilig ist dieser Thriller beileibe nicht, im Gegenteil. Von Beginn an legt der Autor ein hohes Tempo vor und nimmt den Leser mit in die Welt des Mike Ford. Er zeigt uns die verschiedenen Facetten seiner Persönlichkeit, dessen gewitztes Verhalten, das fast schon an einen professionellen Hütchenspieler erinnert, bei der Kartenspiel-Szene im Park, das deplatzierte Gefühl bei der Geschirrauswahl mit seiner Verlobten und deren Großmutter, aber auch das Unwohlsein, als er feststellen muss, dass sich sein Bruder wieder auf illegale Geschäfte eingelassen hat und seiner Hilfe bedarf.

Und dann könnte die Story richtig an Fahrt gewinnen, wenn der Autor sich nicht immer wieder durch endlos erklärende Einschübe zur Funktionsweise der amerikanischen Finanzwelt ausbremsen würde. Diese Erklärungen sind zwar interessant, sorgen aber immer wieder für unnötige Längen. Wettgemacht wird dies allerdings durch den sympathischen Protagonisten, den Familienmensch und intelligenten Gentleman-Gauner mit den altmodischen Wertvorstellungen, der das Herz am rechten Fleck hat.

Ein spannender, aber auch unterhaltsamer Thriller, bestens geeignet als Urlaubslektüre.

Bewertung vom 21.04.2017
Nichts bleibt
Achten, Willi

Nichts bleibt


ausgezeichnet

Kann ein Fotograf sich an einer Auszeichnung freuen, die die Ästhetik des Leidens prämiert, oder ist dies eine zutiefst unmoralische Emotion? Was macht der Krieg mit einem Menschen, auch wenn er ihn nur durch den Sucher seiner Kamera betrachtet? Wird durch die Teilnahme, wenn auch distanziert, ein Harmoniebedürfnis übermächtig und führt dazu, dass man sein bisheriges Leben komplett in Frage stellt und nur noch den Ausweg des Komplettausstiegs sieht? Und was geschieht, wenn sich durch unvorhergesehene Ereignisse Kummer und Leid in den Alltag einschleichen?

Franz Mathys, Kriegsfotograf mit Auszeichnung, kann den psychischen Belastungen seiner Einsätze in den Kriegsgebieten der Welt nicht länger standhalten und beschließt den Rückzug ins Private. Weg von der Zivilisation, auf einen alten Bauernhof, idyllisch im Wald gelegen. Und obwohl die Beziehung zu seiner Frau zerrüttet ist und sie ihn verlässt, richtet er sich dort doch sein Leben gemütlich ein. Zuerst leistet ihm nur sein Sohn, später dann auch sein verwitweter Vater Gesellschaft.

Das Zusammenleben verläuft harmonisch und friedvoll, dann aber schlägt das Schicksal unbarmherzig zu. Zuerst eine schwere Krankheit des Sohnes und dann dessen lebensgefährlicher Unfall, der Mathys Frau an dessen Fähigkeiten als Beschützer zweifeln lässt und damit endet, dass sie kurzentschlossen den Sohn mit zu sich nach Genf nimmt. Als dann noch sein Vater von zwei Wilderern zu Tode geprügelt wird, bricht das Dunkel über Mathys herein und er kann sich dem Wunsch nach Rache und Vergeltung nicht entziehen. Eine unheilvolle Spirale setzt sich in Gang.

Willi Achtens Roman, der bestimmt wird von dem Verhältnis Mensch zu Mensch zu Natur lebt von exakten Beschreibungen. Ob das nun innen oder außen, die Seelenzustände seiner Personen oder die Landschaften, für all dies findet der Autor die richtigen Worte und kreiert damit diese ganz besondere Atmosphäre, die sich stimmig und intensiv durch die komplette Handlung zieht. Unterschiedliche Handlungsstränge und verschiedene Zeitebenen verknüpft Achten sehr geschickt und zeigt damit deren Auswirkungen auf das Verhalten seines Protagonisten. Der Krieg im Kleinen holt ihn wieder ein, Friedfertigkeit wandelt sich zu Berserkertum, und es stellt sich unweigerlich die Frage, ob dieses Gewaltpotential nicht in jedem Menschen angelegt ist und beim entsprechenden Anlass zum Ausbruch drängt.

Klare, treffende Sprache, stimmig geplottet, ein Roman, der die menschlichen Emotionen in all ihren Facetten auslotet. Lesen!

Bewertung vom 18.04.2017
Aus hartem Holz
Proulx, Annie

Aus hartem Holz


ausgezeichnet

Fast 900 Seiten umfasst der neue Roman „Aus hartem Holz“, in dem Annie Proulx ihre Geschichte vom allmählichen Verschwinden der nordamerikanischen Wälder erzählt, ausgelöst durch die Gier und das skrupellose Profitstreben der Menschen, die sich buchstäblich den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Dreihundert Jahre lang beobachtet sie das Schicksal zweier Familien, deren Geschichte im Jahr 1693 ihren Anfang nimmt.

Zwei junge Franzosen, René Sel und Charles Duquet, wollen in der Fremde ihr Glück machen und wandern nach Neufrankreich, heute Kanadas Osten, aus. Dort gibt es Wälder soweit das Auge reicht, ein Schatz, der nur darauf wartet, von den Holzhändlern gehoben zu werden, was allerdings nur dann klappt, wenn man ein Waldstück sein eigen nennen kann. Und genau dies wird den beiden Einwanderern versprochen. Sie müssen sich zu drei Jahren harter Arbeit als Holzfäller verpflichten, aber danach werden sie mit einem Stück Land entlohnt werden.

Sel leistet seine Verpflichtung ab, heiratet auf Anweisung seines Dienstherren dessen indianische Geliebte, wird sesshaft, zeigt aber keinerlei Initiative, etwas aus seinem Leben zu machen. Zwar schuftet er unermüdlich, kommt aber nicht auf den sprichwörtlichen grünen Zweig. Duquet hingegen hat einen Riecher fürs Geschäft und große Pläne, weshalb er schon vor Ablauf des Kontrakts verschwindet, seinen Namen in Duke ändert und eine Firma gründet, die sich im Lauf der Jahre zu einem riesigen Imperium entwickelt, das auch seinen Nachkommen noch ein gutes Auskommen beschert.

Das Schicksal dieser beiden Familien ist immer eng mit dem Wald verknüpft und wird von der Autorin von den Anfängen Ende des 17. Jahrhunderts bis in die Gegenwart beschrieben. Dabei zeigt sie im Kleinen das Große, die gesellschaftlichen Veränderungen, das Verlangen nach Profit und Fortschritt, rücksichtslos ausgetragen auf dem Rücken der Wälder. Und diejenigen, die mit der Natur im Einklang leben und sich an diesem Raubbau nicht beteiligen wollen, bleiben schlussendlich auf der Strecke.

Annie Proulx war schon über 50 Jahre alt, als sie mit dem Schreiben von Romanen begann. Sie lässt sich Zeit für ihre mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten Bücher, was mit Sicherheit auch deren Qualität erklärt. Und da macht auch ihr neuestes Werk keine Ausnahme, das sich durch eindringliche Naturbeschreibungen und starke, detailliert ausgearbeitete Charaktere auszeichnet. Natürlich weiß man, wohin die menschliche Profitgier führen wird, die schonungslos über Jahrhunderte die Wälder ausbeutet und schlussendlich zerstören wird. „Aus hartem Holz“ ist ein leidenschaftliches Plädoyer für den rücksichtsvollen und verantwortungsvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Ein Thema, das der Autorin sehr am Herzen liegt, die diesen Sommer ihren 82. Geburtstag feiert und uns hoffentlich noch viele weitere Romane dieser Qualität beschert.

0 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.04.2017
Die Irren mit dem Messer
Lugert, Verena

Die Irren mit dem Messer


ausgezeichnet

Verena Lugert ist eine Quereinsteigerin am Herd, die es mit Ende dreißig noch einmal wissen will. Sie quittiert ihre Journalistenkarriere und wagt den Sprung in ein Metier, das sie bereits als Kind fasziniert und ihr gesamtes bisheriges Leben begleitet hat: Kochen, und zwar von der Pike auf. eine konventionelle Lehre würde aber zu lange dauern, und so schreibt sich Lugert in London an einer Zweigstelle der berühmten Kochschule „Le Cordon Bleu“ für einen Intensivkurs in sieben Monaten ein, der sie nach bestandener Abschlussprüfung mit einem „Diplôme de Cuisine“ in die Kochszene entlassen wird. Sie bleibt in London, und dann läuft es für sie wie nach Plan. Nach erfolgreichem Probearbeiten in einem neueröffneten Restaurant des berühmt-berüchtigten Sternekochs Gordon Ramsay erhält sie dort eine Anstellung als Commis, in der Küchenhierarchie sozusagen der Depp vom Dienst. Ihr Arbeitsalltag besteht fortan aus Waren verräumen, Arbeitsflächen putzen, Gemüse schneiden – alles, nur nicht kochen. Die Arbeitstage sind lang (16 Stunden üblicherweise), der Lohn gering (etwas über 4 Pfund), die Kollegen alles andere als freundlich und verständnisvoll. Frustration macht sich breit, und es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis Verena Lugert ihr Experiment als gescheitert betrachtet und die Flinte ins Korn wirft.

Aber nach einem knappen Vierteljahr erreicht sie den Punkt, an dem sie ihre eigenen Fähigkeiten und ihr Verhalten in der Gruppe reflektiert und zu der Erkenntnis kommt, dass sie es selbst in der Hand hat. Das A und O in einer Restaurantküche ist die Organisation (Chaos entsteht ganz von selbst), von daher müssen bestimmt Abläufe minutiös geplant und eingehalten werden und der eigene Arbeitsplatz muss korrekt vorbereitet werden (Mise en place). Das ist die Lektion, die Lugert auf die harte Tour lernt. Gleichzeitig perfektioniert sie ihre Kochkünste, und so wird sie zunehmend auch mit verantwortungsvolleren Aufgaben betraut. Und am Ende ihres „Küchenpraktikums“ ist sie so fit, dass sie sich sogar traut, an einem von Ramsay organisierten internen Wettbewerb teilzunehmen.

Es ist ein ungeschönter Blick hinter die Kulissen der Haute Cuisine, den Verena Lugert ihren Lesern in ihrer Reportage „Die Irren mit dem Messer“ gewährt. Besessene Köche schuften in der Sterne-Gastronomie unter eigentlich unzumutbaren Arbeitsbedingungen für einen Hungerlohn. Über die Motivation lässt sich streiten. Zum einen wollen sie natürlich ihre Fähigkeiten perfektionieren, zum anderen geht es aber in manchen Fällen auch nur darum, ihrer CV ein Highlight hinzuzufügen. Unbestritten bleibt, dass die monetäre Anerkennung ihnen weitestgehend verwehrt bleibt. Geld verdienen kann nur derjenige, der andere für sich arbeiten lässt. Wie Gordon Ramsay.

Bewertung vom 12.04.2017
Henriette Bulette Hackbällchen-Kochbuch
Wulff, Henriette

Henriette Bulette Hackbällchen-Kochbuch


ausgezeichnet

Sie suchen ein Essen für Groß und Klein? Etwas, das alle mögen? Dann sollten Sie einen Blick in das kürzlich erschienene „Hackbällchen-Kochbuch“ von Henriette Bulette werfen, denn hier werden Sie mit Sicherheit fündig. Bei Henriette Bulette aka Henriette Wulff dreht sich alles um die kleinen Köstlichkeiten, die je nach Region als Fleischbällchen, Frikadellen, Fleischküchle, Fleischpflanzerl oder Buletten bekannt sind. Zusätzlich kann man sich über die Vielfalt der Zubereitungsarten neben dem bereits erwähnten Kochbuch auch auf dem Youtube-Kanal der Berlinerin und auf ihrer Homepage informieren.

„Hackbällchen-Kochbuch: Crossover-Frikadellen, Multikulti-Meatballs, Luxus-Buletten & Co.“ Bereits der Untertitel zeigt deutlich, dass es neben der üblicherweise verwendeten Mischung aus Rind- und Schweinefleisch zahlreiche Alternativen gibt. Geflügel, Kaninchen oder Fisch, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Die Rezepte reichen von klassischer Hausmannskost (Königsberger Klöpschen to go, Überraschungsei-Buletten) über länderküchentypische Zubereitungen (Meatball-Sliders, Dürüm Deluxe) bis hin zu Luxusvarianten (Golden-Wagyu-Buletten, Maispoulardenklopse). Ganz gleich, womit sie zubereitet werden, es sind immer die Bällchen, die im Mittelpunkt stehen. Aber die Autorin kreiert um diese ein komplettes Gericht mit den passenden Beilagen, sodass aus schnödem Fingerfood eine vollwertige Mahlzeit wird: Boulette Lapin mit Kräuterseitlingen, Rotweinschalotten und Pasta, oder die Hackbällchen Tajine mit Auberginen, Kichererbsen und Couscous – zum Niederknien!

Der Aufbau des Kochbuchs ist klassisch: einem Vorwort der Autorin folgen allgemeine Kochtipps zur Herstellung, zum Formen und zur Zubereitung der Frikadellen. Dann folgen die Rezepte, im Großen und Ganzen unkompliziert, die nach „Bulettenheimspiel“, „Bulette urban“, „Eine Bulette auf Reisen“, „Bulette ete petete“ und „Bulette under water“ unterteilt sind. Präsentiert werden diese jeweils auf Doppelseiten, wobei neben Foto, den Zutaten und der Zubereitung dazu auch noch Einkaufstipps oder Variationsmöglichkeiten zu finden sind.

Ein schönes Kochbuch mit tollen Rezepte, das alles andere als langweilig ist, jede Menge an Inspirationen liefert und Abwechslung auf den Tisch bringt.

Bewertung vom 10.04.2017
Schwarze Witwen / Lucy Clayburn Bd.1
Finch, Paul

Schwarze Witwen / Lucy Clayburn Bd.1


gut

„Schwarze Witwen“ ist der erste Thriller einer neuen Reihe des englischen Ex-Polizisten und Autors Paul Finch, und es stellt sich die Frage, ob sich die Hauptfigur Lucy Clayburn still und leise zur Rivalin für Mark Heckenburg, den eigensinnigen Ermittler aus dem Greater Manchester District, entwickelt (fünf Bände mit „Heck“ liegen mittlerweile in der deutschen Übersetzung vor). Wenn Finch diese neue Reihe fortsetzt, muss er allerdings noch eine tüchtige Schippe drauflegen, damit sie qualitativ in die Richtung der Heckenburg-Thriller kommt.

Die Ausgangssituation für die Protagonistin ist nicht genreuntypisch: Junge, ehrgeizige Polizistin macht bei einem Einsatz einen gravierenden Fehler und wird deshalb wieder zum Streifendienst eingeteilt, was natürlich einer Degradierung gleichkommt.

Zeitgleich hält eine Mordserie die Gegend in Atem. Mehrere Männer werden tot aufgefunden, ihre Leichen mit äußerster Brutalität verstümmelt, und offenbar handelt es sich um eine Täterin, „Jill the Ripper, so der Name, den ihr die Boulevardblätter ruckzuck verpassen. Um ihre Identität zu lüften, wird ein Undercover-Einsatz ausgewählter Polizistinnen in Manchesters Unterwelt geplant. Lucy Clayburn meldet sich freiwillig, sieht sie in ihrem Einsatz doch die Chance, sich zu rehabilitieren. Sie sollte sich allerdings davor hüten, den Mitgliedern von „The Crew“ in die Quere zu kommen, die dieses Milieu kontrollieren.

Paul Finch ist kein Neuling, und dass er spannende Thriller schreiben kann, hat er bereits mit seiner Heckenburg-Reihe hinlänglich bewiesen. Auch „Schwarze Witwen“ beginnt vielversprechend: ein interessanter Fall, die detaillierte Schilderung der Polizeiarbeit und gut charakterisierte Personen. Aber genau hier liegt die Schwachstelle. In seinem Bemühen, Lucy Clayburn ihre eigene Familiengeschichte mitzugeben, verliert der Autor seinen Plot aus den Augen, verheddert sich in Nebenhandlungen, die keinerlei Bezug zur Story haben und diese eher bremsen als vorantreiben. Das Ende kommt dementsprechend abrupt, mit einem aus dem Hut gezauberten Täter und einem Motiv, das auf mehr als nur tönernen Füßen steht.

Dennoch ist Lucy Clayburn gerade auch wegen ihres familiären Backgrounds, eine interessante Hauptfigur, deren Entwicklung ich mit Sicherheit weiterverfolgen werde. Und nachdem der Autor in „Schwarze Witwen“ ausführlichst Grundlagen abgehandelt hat, kann er sich in den Folgebänden verstärkt auf die Logik seiner Plots konzentrieren.