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Benutzername: 
hasirasi2
Wohnort: 
Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1127 Bewertungen
Bewertung vom 25.02.2019
Was uns erinnern lässt
Naumann, Kati

Was uns erinnern lässt


ausgezeichnet

73 Jahre hat Familie Dressel im Hotel Waldeshöh im Dressels Forst gewohnt. Das kleine Hotel mitten im Wald in der Nähe des Rennsteiges beherbergte zuerst gutbetuchte Kurgäste und bot im 2. WK Frankfurter Schülern einen sicheren Unterschlupf. Nach 1945 durften nur noch die Dressels dort wohnen. Das Haus lag jetzt in einer militärischen Sperrzone. Aber jede Woche putzten die Frauen der Familie die Gästezimmer in der Hoffnung, dass bald wieder Wanderer oder FDGB-Urlauber zu ihnen kommen. 32 Jahre lang. Bis 1977.

Als Milla 2017 auf dem Gebiet der ehemaligen innerdeutschen Grenze auf der Suche nach einem Lost Place (verlassenen Ort) eine unter Schutt begrabene Falltür entdeckt, kann sie nicht widerstehen und öffnet diese. Sie ist überrascht, als sie einen komplett eingerichteten Keller entdeckt und den Hinweis, dass er früher zum Hotel Waldeshöh gehörte. Sie findet u.a. Schulhefte von Andreas und Christine Dressel, die letzten sind auf 1977 datiert. Was ist damals passiert? Milla ist von dieser Frage und dem verwunschen wirkenden Ort so fasziniert, dass sie Christine ausfindig macht und von ihrem Fund erzählt. Aber Christine will den Ort nicht sehen: „Ich kann dort nicht mehr hin. Es ist noch in meinem Kopf, so wie es davor war. Und das will ich nicht ändern.“ (S. 85)

Abwechselnd erzählt Kati Naumann die Geschichte der Dressels von 1945 bis 1977 und Millas Bestreben, ihnen nachträglich zu Gerechtigkeit zu verhelfen. Denn diese versuchen seit der Wende erfolglos, Dressels Forst zurückzubekommen. Obwohl Milla und Christine sehr verschieden sind – immerhin trennt sie eine ganze Generation und eine unterschiedliche Vergangenheit – verstehen sie sich gut.
Milla fühlt sich verloren, seit der Vater ihres Sohnes sie verließ. Damals fing sie an, Lost Places zu suchen. An ihnen fühlt sie, dass sie nicht die Einzige ist, die verlassen wurde. Außerdem sie trennt sie sich seither regelmäßig von Dingen, die sie nicht mehr braucht – auch von unliebsamen Erinnerungen.
Christine hingegen hat ein ganzes Zimmer voller Unterlagen der Familie, die bis 1904 zurückreichen. Ein Zimmer voller Andenken. „Ich glaub, ich könnte mit all diesen Erinnerungen nicht leben.“ „Und ich vermutlich nicht ohne sie.“ (S. 227)
Durch das gemeinsame Aufarbeiten der Familiengeschichte ändert sich ihre jeweilige Sicht auf das Leben und bringt ein lang gehütetes Geheimnis ans Licht.

Da ich selber in der DDR aufgewachsen bin, war ich sehr neugierig auf das Buch. Mir war bis jetzt nicht wirklich bewusst, dass die innerdeutsche Grenze am Rennsteig verlief und jahrzehntelang ein recht großer Teil militärisches Sperrgebiet war.

Von Beginn an entwickelt das Buch einen unglaublichen Sog. Kati Naumann schreibt sehr komplex und verwendet eine dichte Erzählsprache.
Ich war fasziniert von der Familiengeschichte, wie die Dressels all die Jahre allein da oben im Wald ausharren und hoffen, obwohl sie immer größeren Repressalien ausgesetzt werden. Am Anfang dürfen sie noch Besuch von Freunden bekommen, bald brauchen sie selbst einen Passierschein, um das Gelände zu betreten oder zu verlassen. Ihnen wird das Telefon abgestellt, der Krankenwagen darf nicht mehr zu ihnen hochfahren, die Post müssen sie sich 8 km entfernt im nächsten Ort abholen. Sie stehen unter der dauernden Beobachtung der Grenzsoldaten. Auf ihren jahrzehntealten Wegen werden Stolperdrähte gespannt, damit sie nur den Hauptweg benutzen. Sie hören nachts immer wieder Schüsse, hochgehende Mienen, Schreie – und wissen nie, ob es ein Reh erwischt hat oder einen Republikflüchtling. „Du kannst Niemanden halten, der nicht bleiben will. Nicht mit Liebe und auch nicht mit Stacheldraht und Tretminen.“ (S. 343)
Ich glaube nicht, dass ich das ausgehalten hätte.
Aber sie lieben ihren Wald. Dressels Forst ist ihre Heimat, ihre Wurzel. Sie leben sehr naturverbunden, halten zusammen und hoffen, dass sie das Waldeshöh wieder als Hotel betreiben können. Um diese Hoffnung und den Zusammenhalt habe ich sie beneidet.

Bewertung vom 21.02.2019
Die Salbenmacherin und der Engel des Todes / Die Salbenmacherin Bd.4
Stolzenburg, Silvia

Die Salbenmacherin und der Engel des Todes / Die Salbenmacherin Bd.4


ausgezeichnet

„Die Salbenmacherin und der Engel des Todes“ ist bereits der 4. Teil der historischen Krimireihe um Olivera und spielt im mittelalterlichen Nürnberg. Ich würde empfehlen, die Bücher der Reihe nach zu lesen, weil die sich Handlung und Personen immer weiterentwickeln.

Olivera ist eine starke, gebildete Frau und sehr hilfsbereite Frau. So behandelt sie auch Patienten, die sie nicht bezahlen können. Leider muss sie immer noch gegen die Vorurteile und Missgunst ihrer Neider und Feinde kämpfen. Im letzten Band „Die Salbenmacherin und die Hure“ hatte sich vor allem der Stadtmedicus auf Olivera eingeschossen. Er verteufelt sie und ihre Arzneimittel bzw. Behandlungsmethoden immer noch und versucht ihr zu schaden, wo es nur geht.
Zum Glück hat Olivera auch schon neue Freunde gefunden, wie z.B. den Henker Jacob, die Hebamme Brida und die frühere Hure Gerlin, welche jetzt im Spital arbeitet und zu Olivera aufsieht.
Der ehemalige Straßenjunge Jona ist inzwischen Götz’ Lehrjunge in der Apotheke. Leider trauen Götz und sein Knecht Mathes ihm nicht. Sie glauben, dass er in Oliveras Offizien eingebrochen ist um Arzneimittel zu stehlen und zu verkaufen. Dabei hat sich Jona nichts zu Schulden kommen lassen, sondern auf einen Neuanfang gehofft. Das Misstrauen der Männer setzt ihm zu: „Gott lässt nicht zu, dass es Dieben wie uns gutgeht.“ (S. 156)

Ich bin immer wieder fasziniert, was für Medikamente und Arzneimittel damals in welcher Form angewendet wurden bzw. was man alles für die Heilkunst benutzte.

Sehr interessant sind auch die Schilderungen, wie im Mittelalter Verbrechen aufgeklärt wurden. Ermittlungen, so wie wir sie kennen, gab es kaum. Stattdessen setzte die Gerichtsbarkeit auf peinliche Befragungen. Diese werden genau so facettenreich geschildert wie die damaligen Lebensumstände.

Silvia Stolzenburg erzählt die Geschichte wieder extrem spannend und temporeich. Man mag das Buch eigentlich kaum aus der Hand legen, weil man um Olivera bangt und mit ihr mit mitfiebert. Leider war das Buch viel zu schnell ausgelesen und ich hoffe auf eine baldige Fortsetzung.

Bewertung vom 19.02.2019
Das Seehospital
Glaesener, Helga

Das Seehospital


ausgezeichnet

Frida studiert 1920 gegen den Willen ihrer Familie in Hamburg Medizin. Ihr Großvater, das Familienoberhaupt, hat ihr deswegen sogar den Geldhahn zugedreht. Als er stirbt fährt Frida zur Beerdigung nach Hause nach Amrum – obwohl sie die Enge, Einschränkungen und Konventionen auf der Insel hasst. Eigentlich will sie schnell zurück nach Hamburg, aber dann erklären ihre Mutter und ihr Stiefvater, dass das Erbe ihres Großvater viel kleiner ausfällt als erwartet – sie müssten das Inselhospital schließen, welches ihr Großvater für lungenkranke Waisenkinder errichtet hat. Das wollen Frida und ihre Schwestern Louise und Emily vermeiden, denn in Hamburg herrschen schlimme Zustände, die Kinder kamen halb verhungert aus dem Waisenhaus bei ihnen an. Da das Personal bereits entlassen wurde, kümmern sich die drei jungen Frauen um die Kinder, bis ihnen hoffentlich eine bessere Lösung einfällt. Frida pausiert sogar mit ihrem Studium.

Frida, Louise und Emily sind sehr verschieden. Frida wirkt oft kühl und diszipliniert, aber sie brennt für die Medizin und will unbedingt Ärztin werden. Alles Neue, wie z.B. die Röntgenuntersuchungen, fasziniert sie. Sie will den Menschen helfen und scheut sich nicht, auch andere um Hilfe zu bitten.
Die kecke Louise hat noch keinen Plan für ihr Leben, liebt aber Amrum und will auf jeden Fall hierbleiben. „... spürst Du nicht auch die Freiheit? Ein Blick übers Meer und Du kommst zur Ruhe.“ (S. 68) Sie träumt von einer Ehe aus Liebe. Als ihre Mutter ihr vorschlägt, einen 50jährigen Jagdfreund ihres Vaters zu heiraten, verschwindet sie. Hat sie sich etwas angetan?
Emily träumt vom eigenen Fotoatelier in Hamburg oder Berlin, ordnet sich aber dem Willen ihrer Mutter und ihres Stiefvaters unter – schließlich geht nichts über die Familie. Nicht einmal das eigene Glück? „Einer muss doch dafür sorgen, dass alles weiterläuft.“ (S. 253)
Christian, der Halbbruder der Schwestern, ist erst 13, sehr verzogen und wird permanent bevorzugt. Er war mir extrem unsympathisch, weil er eine widernatürliche Freude daran hatte, hilflose Tiere und schwächere bzw. kleinere Kinder zu quälen. Ihm hätte ich mehrfach gern „den Hosenboden stramm gezogen“.
Luises Mutter ordnet sich ihrem Mann komplett unter – was er sagt ist Gesetz und wird nicht hinterfragt. Auch das Wohl ihrer Töchter scheint ihr leider nicht wirklich am Herzen zu liegen. Hauptsache, der schöne Schein wird gewahrt. Ich konnte ihre Beweggründe nicht immer verstehen, aber sie war als Figur trotzdem in sich stimmig.
Rudolf, der Stiefvater, tut nach außen so, als würde ihm die Familie über alles gehen, dabei will er nur nicht seinen Lebensstil aufrechterhalten. Er war mittellos und ist erst durch die Hochzeit zu Geld gekommen ...

Das Setting ist in sich stimmig. Die Autorin beschreibt die gegensätzlichen Lebensweisen auf der rauen Insel und der vom Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Großstadt, von arm und reich sehr bildlich. Sie geht auch auf die Zustände in den Hospitälern und Waisenhäusern ein, die zum Teil erschreckenden Behandlungs- und Forschungsmethoden, das Elend in den Gängevierteln und die sich verbreitenden Heroinsucht so kurz nach dem 1. WK.

„Das Seehospital“ hat mir sehr gut gefallen. Helga Glaesener beweist wieder einmal, dass sie eine ganz große Könnerin ihres Fachs ist. Ihr Buch hebt sich positiv von der Masse der „Insel-Arzt-Romane“ ab. Sie verwendet keine stereotypen Charaktere, die Personen und deren Handlungen passen genau in die damalige Zeit. Sie erspart ihren Lesern vorhersehbare Liebesgeschichten und unnötige Happy Ends. Es muss nicht alles gut ausgehen, das tut es im wirklichen Leben doch auch nicht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.02.2019
Der Fall Fontane
Wilkes, Johannes

Der Fall Fontane


ausgezeichnet

Karl-Dieter hat seinen Lebensgefährten Mütze endlich zu einer Fahrradtour auf Fontanes Spuren durch die Mark Brandenburg überreden können, allerdings endet die Tour schon am ersten Tag auf dem Ribbecker Friedhof unterm Birnbaum. Dort finden sie eine männliche Leiche mit einer Axt im Schädel. Mütze ist Hauptkommissar und bietet dem zuständigen Polizisten Treibel sofort Amtshilfe an, denn er ermittelt lieber, als dass er Fahrrad fährt. Kurz darauf finden sie auf dem Handy des Toten das Foto eines geköpften Wolfes, in Neuruppin wird das Fontane-Denkmal mit roter Farbe geschändet und ein Mann im Fontanekostüm kreuzt mehrfach ihren Weg ...

Diverse Verdächtige sind schnell ermittelt. Sowohl die Frau des Toten, die nicht wirklich trauert, als auch dessen Jagdfreunde verhalten sich merkwürdig. Musste er sterben, weil er nach dem Wolfsmörder suchte? War er seiner Ehefrau im Weg? Oder hängt es gar mit Fontanes Geheimnis zusammen, das in der Forschung lange totgeschwiegen wurde?!

Mütze und Karl-Dieter sind ein liebenswertes Pärchen. Ich finde es gut, dass der Autor hier ganz ohne die üblichen Schwulenklischees auskommt. Während sich der Kommissar in die Ermittlungsarbeit stürzt, genießt sein Freund weiter den geplanten Urlaub. Dass er dabei einige Leute aus dem Umkreis des Toten kennenlernt, die zum Teil auch noch in den Fall involviert sind und ihm (un)bewusst wichtige Hinweise geben, ärgert Mütze besonders. Aber Kurt-Dieter hat eben etwas Sympathisches an sich und schließt schnell neue Freundschaften. Während Mütze ein eher praktischer Typ ist, neigt Karl-Dieter zum Philosophieren und kommt damit auch der Lösung oft ziemlich nahe.

2019 jährt sich Fontanes Geburtstag zum 200sten Mal. Der Krimi kommt also genau zur richtigen Zeit. Außerdem man merkt ihm an, dass sich der Autor auf diesem Gebiet und auch in der Mark Brandenburg sehr gut auskennt. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es sich eher um einen Cosy-Krimi handelt, der von den Figuren und dem Setting lebt und nicht von einem super gruseligen / spannenden Fall.

Ich kenne die Gegend um Rheinsberg, Neuruppin und den Ruppiger See vom Wasserwandern und bekam beim Lesen sofort wieder Lust auf eine Reise in diese Gegend. Wer sich (bisher) nicht mit Fontane auskennt, erfährt im Zuge der Handlung und im Anhang viel Wissenswertes über sein Werk und sein Leben.

Bewertung vom 18.02.2019
Die Fliedertochter
Simon, Teresa

Die Fliedertochter


ausgezeichnet

Zwei Leben – Zwei Welten

1936 geht die aufstrebende Varieté-Sängerin Luzie von Berlin nach Wien. Eigentlich träumt sie von einer Karriere beim Film, aber die Halbjüdin fühlt sich nach dem Erstarken des Nationalsozialismus nicht mehr sicher. Ihr Großvater schenkt ihr zum Abschied ein Tagebuch. Diesem vertraut sie ihre Sorgen und Ängste an, ihr Heimweh und ihre Träume – und die Gefühle, die sie bald für die Freunde Bela und Richard hegt.
Luzie hat Glück und bekommt ein Engagement im „Theater an der Wien“. Dieses ist ein Sammelbecken für viele Künstler, die wie sie Nazi-Deutschland verlassen mussten. Dass sie Halbjüdin ist, hat bisher dank ihrer geschönten Biografie noch niemand herausbekommen – aber wie lange geht das noch gut? Und bringt sie damit nicht auch die, die sie decken in Gefahr?

Berlin 2018: Paulina wird von ihrer „Ersatzoma“ Antonia (kurz Toni) gebeten, an ihrer statt nach Wien zu fahren. Toni hat einen beunruhigenden Brief von einer Lena Brunner bekommen, deren Vater Peter Matusek ausgerechnet ihr etwas hinterlassen hat. Toni ist irritiert, weil sie noch nie von ihm gehört und auch sonst keine Verbindung nach Wien hat. Aber Peter hat eine klare Anweisung hinterlassen: Lotte Laurich, Berlin, Unbedingt suchen. Tochter Antonia Laurich, geboren 1943.“ (S. 41)

„Die Fliedertochter“ ist bereits der vierte Roman von Teresa Simon und hat mich wieder von Beginn an in seinen Bann gezogen.
Paulina ist eine interessante Frau, eine Künstlerin, die nicht viel von sich preisgibt. „Auf der Suche. Kunst hilft mir dabei, egal, in welcher Form. Sie zu erleben, ist für mich wie Atmen, ein tiefes Inhalieren, so lange, bis ich satt bin.“ (S. 26) Ihre Reise nach Wien ist eigentlich nur als kurze Auszeit gedacht, in der sie u.a. ihre Beziehung zu ihrem On-/Off-Freund überdenken will. Aber als sie beginnt, Luzies Tagebuch zu lesen, rücken die Rückreise, ihre eigenen Sorgen und Probleme bald in den Hintergrund. Vor allem als sie feststellt, dass sie und Luzie eine Gemeinsamkeit haben – eine Schneekugel vom Wiener Prater aus den Jahren 1936 bzw. 1938. „Geheimnisse haben ihren ganz eigenen Reiz, findest Du nicht?“ (S. 103)
Genau wie Paulina hat auch mich Luzies Geschichte sofort gepackt. Ich habe mit ihr gelitten, mich um ihre Großeltern gesorgt, die sie nur ungern zurückgelassen hat. Die Schuldgefühle deswegen überrollen sie an manchen Tagen. Dann kommt der „Beitritt“ Österreichs zu Deutschland – Luzies Angst um ihre gefälschte Identität flackert erneut auf, sie zieht sich zurück. Aber sie beweist auch immer wieder Mut – zum Teil leider ohne vorher richtig darüber nachzudenken, was ihr dann beinahe zum Verhängnis wird.

Ich habe schon viele Bücher über die Nazis und den 2. WK gelesen (auch Teresa Simon thematisiert diese Zeit in allen ihren Büchern), trotzdem war ich wieder erschüttert, was die Juden und anderen „Asozialen“ – Homosexuelle, Behinderte, Zigeuner etc. – erdulden mussten. Die sogenannten „Herrenmenschen“ herrschen nicht nur durch brutale Gewalt, Teresa Simon erzählt auch von Euthanasie und der Zwangssterilisation einer jungen Frau – an dieser Stelle ist mir fast das Buch aus der Hand gefallen und auch jetzt bekomme ich bei der Erinnerung daran sofort wieder eine Gänsehaut.

Doch auch die Fans von Liebesgeschichten kommen bei „Der Fliedertochter“ auf ihre Kosten. Neben der Schneekugel gibt es nämlich noch eine weitere Parallele zwischen Luzie und Paulina – beide fühlen sich zu je 2 Männern hingezogen und müssen sich entscheiden.
Und nicht zuletzt versteht es die Autorin, sehr viel Wiener Flair und Schmäh in beiden Strängen ihrer Geschichte zu transportieren. Ich war vor 30 Jahren schon mal in Wien und möchte nach dem Buch jetzt unbedingt mal wieder hin.

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Bewertung vom 15.02.2019
Marlene und die Suche nach Liebe / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.8
Gortner, C. W.

Marlene und die Suche nach Liebe / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.8


ausgezeichnet

Wer war Marlene Dietrich?

Diese Frage versucht C. W. Gortner mit seinem Roman „Marlene und die Suche nach Liebe“ zu beantworten. Ich muss zugeben, ich wusste nicht viel über „die Dietrich“, kannte ihren Film „Der blaue Engel“ und das Lied „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, hatte sofort ihr Erscheinungsbild im Kopf und ihre markante Stimme im Ohr. Zufällig habe ich erst vor kurzem gelesen, dass sie eine Schwester hatte und sich im 2. WK gegen die Nazis stark machte. Sie war eine Frau, die Eindruck hinterließ. „Dich kann man nicht verlassen, Marlene, weil man Dich nicht vergessen kann.“ (S. 195).

Dabei sollte sie nach dem Willen ihrer perfektionistischen und alles kontrollierenden Mutter eigentlich Konzertgeigerin werden. „ ... wenn man echtes Talent besitzt, kann man fast alles erreichen. ... Möchtest du dein Leben selbst bestimmen oder soll das Leben über dich bestimmen?“ (S. 65) Aus einer Uhrmacherdynastie stammend und früh verwitwet, stellt sie an Marlene (eigentlich Marie Magdalene Dietrich) und deren ältere Schwester Liesel höchste Ansprüche und war fast nie mit ihnen zufrieden.

Marlene beginnt ihre Karriere ganz unten, spielt in Filmorchestern, tritt in zwielichtigen Revuen und Kabaretts auf, macht Werbefotos, besucht eine Schauspielschule. Sie hat etwas, was Männer und Frauen gleichermaßen anzieht. „Du bist keine Frau. Du bist ... du bist irgendwas anderes.“ (S. 313) Sie legt sich bei ihren Affären nicht auf ein Geschlecht fest. Marlene liebt bestimmte Menschen – ihr ist egal ob das dann ein Mann oder eine Frau ist. Eines Tages spricht sie der Aufnahmeleiter Rudolf Sieber an und vermittelt ihr die erste Nebenrolle. Monatelang wirbt er um sie, schließlich heiraten sie und bekommen eine Tochter – Heidede. Doch Marlene will keine Hausfrau und Mutter sein, sie will berühmt werden! Ihr Mann und ihre Tochter bleiben dabei auf der Strecke.

Man merkt dem Buch an, dass es ein Mann geschrieben hat. Die Sexszenen sind sehr explizit beschrieben – aber Marlene benahm sich anscheinenden sowieso eher wie ein Mann als wie eine Frau. Sie bevorzugte Anzüge, hatte ein großes Selbstbewusstsein, ließ sich von kaum jemanden etwas sagen, wollte über ihre Rollen und Kostüme selbst bestimmen. Dezidiert zählt er auf, wann sie mit wem welchen Film gedreht hat und was dabei alles passiert ist – an diesen Stellen glich das Buch eher einer Biografie als einem Roman.
Gortner schreibt in der Ich-Perspektive, lässt Marlene ihren Aufstieg und die Rückschläge selbst erzählen, von ihren dauernden Hungerkuren und Sportexzessen, um ja dünn genug zu sein. Trotzdem bekam ich keinen wirklichen Zugang zu ihren Gedanken und Gefühlen, fühlte mich beim Lesen von ihrem Leben ausgeschlossen. Marlene kommt nicht besonders sympathisch rüber. Ich hatte das Gefühl, sie suchte keine Liebe, sondern Leidenschaft und Sex, Erfolg und Geld.
Aber ich war fasziniert, mit welchen Berühmtheiten sie verkehrte und was sie im 2. WK geleistet hat, darüber hätte ich gern mehr gelesen. Etwas schade fand ich, dass das Buch 1946 endet, als ihre große Zeit beim Film vorbei ist. Auch über ihre Beziehungen zu Menschen wie Hemingway, Remarque oder Wells hätte ich gern mehr erfahren.
Auch wenn ich keinen richtigen Zugang zu Marlene bekommen habe, beschreibt Gortner die Zeit, Orte und Filmbranche sehr lebendig, die miesen Absteigen, in denen Marlene wohnt, die windigen Clubs und Flüsterkneipen, die Amüsierlokale und Transvestiten-Shows, die homosexuelle Szene und ihre Erkennungszeichen.
„Ich bin immer noch Lena. Die Dietrich ist eine Illusion. Nichts als gutes Licht und Schminke.“ (S. 325)

Bewertung vom 12.02.2019
Unsere besten Waffeln
Pluppins, Benjamin;Pluppins, Theres

Unsere besten Waffeln


ausgezeichnet

Geht es Euch auch so, dass Euer Waffeleisen meist nur im Schrank verstaubt? Dabei gehen Waffeln schnell, sind lecker, sehen gut aus und machen satt. Dieses Kochbuch eines Foodblog-Paares zeigt sehr unterschiedliche und vielseitige Rezepte, sodass sowohl die Zuckergoscherln als auch herzhaften Leckermäuler ihr neues Lieblingsrezept finden sollten.
Für alle Neulinge gibt es zu Beginn Tipps und Tricks, was warum schiefgehen könnte und wie man genau das vermeidet. Ich finde es gut, dass sie auch erwähnen, dass ein Waffeleisen nicht zwingend teuer sein muss – das Backergebnis zählt.

Besonders gefallen hat mir, dass im Buch neben Klassikern viele neue, zum Teil sehr ausgefallene Rezepte zu finden sind. Seien es Bienenstich-, Churro-, Brioch- oder Zucchiniwaffeln. Besonders ausgefallen sind die Kartoffelwaffeln, für die man einfach den restlichen Kartoffelbrei vom Vortag verwenden kann, und die Macaroni and Cheese-Waffeln, die wirklich aus Nudeln und Käse bestehen. Es gibt aber auch Low-Carb, gluten- und fettfreie Rezepte.

Eines unserer Highlights sind die Orangenwaffeln. Der Clou dabei ist die selbstgemachte schnelle Orangenmarmelade aus frischen Orangen, die zuerst karamellisiert und dann mit einer ordentlichen Portion Orangelikör abgelöscht werden.
Meinem Mann schmecken die Sirupwaffeln mit Zwiebeln und Bacon am besten. Auf die Idee, Waffeln mit Ahornsirup und Schinken zu kombinieren, waren wir bis dato noch nicht gekommen.

5 Waffeln und unsere Nachkochempfehlung für dieses tolle Buch.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.01.2019
Nächte, in denen Sturm aufzieht
Moyes, Jojo

Nächte, in denen Sturm aufzieht


sehr gut

„Nächte, in denen Sturm aufzieht“ ist ganz anders als die bisherigen Bücher von Jojo Moyes. In überwiegend ruhigen Bildern schildert sie das Leben der Leute an diesem einsamen Fleckchen der Erde. Silver Bay liegt in einer geschützten Bucht, die regelmäßig von Delphinen besucht wird. Draußen im offenen Meer ziehen schon immer Wale auf ihrer Migrationsroute vorbei. Die Bewohner bezeichnen sich selber als „Waljäger“, die Tiere sicher(te)n ihren Lebensunterhalt. Früher haben sie die Tiere geschlachtet, heute fahren sie Besucher zu Besichtigungen raus.

Die Protagonisten mochte ich sehr, sie hallen immer noch in mir nach. Kathleen ist eine gestandene Frau mit einer rauen Schale, aber einen weichen Kern. Sie hat Liza damals ins Leben zurückgeholt und ihr durch die Walfahrten einen weiteren Sinn gegeben, denn auf dem Wasser fühlt sich Liza frei. Doch Liza zieht sich immer noch oft zurück, sie hat nie verwunden (sich nie verziehen) was damals passiert ist. Ihre Tochter Hannah nimmt darauf Rücksicht und steckt regelmäßig zurück, wird dafür aber von den anderen Walfängern verhätschelt – sie alle sind ihre Familie. Mike ist ein sehr rationaler Mensch und war noch nie richtig verliebt. Eigentlich kommt er zum Arbeiten nach Silver Bay, aber dann verliebt er sich in den Ort und die Menschen und wirft alle Pläne um.

Ich kann mir das Buch sehr gut als Film vorstellen – wenn ich an die Bilder mit den Walen und Delphinen denke und an Lizas Geschichte, die sich dem Leser nach und nach offenbart, bekomme ich Gänsehaut. Leider war mir das Buch an einigen Stellen zu ausufernd (würde bei einer Verfilmung ja aber gestrafft werden). Die Autorin bringt z.B. viele geschichtliche und wirtschaftliche Hintergründe zum Walfang in Australien unter, das ist zwar interessant, aber für die Handlung nicht notwendig. Trotzdem fand ich den Aspekt von Natur- und Tierschutz, unser Umgehen mit der Umwelt, unsere Verantwortung diesbezüglich sehr interessant.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.01.2019
Nudel im Wind
Lippe, Jürgen von der

Nudel im Wind


ausgezeichnet

Jürgen von der Lippe kenne ich aus dem Fernsehen und als ich las, dass er ein (Hör)Buch mit dem Titel „Nudel im Wind“ geschrieben und selbst eingesprochen hat, musste ich es einfach hören. Ich habe ein spannendes Gag-Feuerwerk erwartet und wurde nicht enttäuscht.

Eigentlich hat ihn seine Frau auf die Idee zu diesem Buch gebracht und mischt sich auch im Schreibprozess, an dem uns der Autor teilhaben lässt, immer wieder gern (un)gefragt ein. „Tja, ich weiß nicht, was das soll. Ich kann nicht lachen und ich lerne nichts.“ „Das klingt so schwurbelig, als wolltest Du mit aller Gewalt originell sein“.

Aber worum geht es eigentlich. Gregor ist geschieden, nett, vermögend und auf der Suche nach der großen Liebe – leider nimmt dabei jedes Fettnäpfchen mit und vergrault die Frauen regelmäßig. Als er seinen neuesten Spruch an Lisa ausprobiert (Visagistin beim Fernsehen, das perfekte blonde Dummchen „Leicht zu haben und schwer zum Schweigen zu bringen.“), mischt sich Justus ein. Der wollte als Kind immer Schutzengel werden und ist inzwischen ein erfolgreicher Privatdetektiv, der gern Frauen rettet welche wiederum auf ihn fliegen. Gregor macht das Beste aus der Situation und lädt Lisa und Justus zum Kaffee ein. Dabei erzählt er von seiner Idee einer der Diät-Show, bei der die Kandidaten nicht nur abnehmen und ihren Körper stählen sollen, sondern auch ihren Grips beweisen müssen. Lisa findet die Idee toll und kann Hermjo, den Geschäftsführer von Allround-TV, von dem Konzept überzeugen ...

„Nudel im Wind“ ist eine Persiflage auf diverse TV-Formate, von den Abspeck-Shows, Bootcamps und Survivaltrainings, über Quizz-Sendungen bis zu Comedy, bei der kein Auge trocken bleibt. Es gibt Spitzen gegen diverse reale Künstler, von denen ich leider nur einen Teil wiedererkannt habe, weil ich zu selten fernsehe. Man merkt, dass Jürgen von der Lippe jahrelang selber vor der Kamera gestanden hat und den Lesern / Hörern jetzt einen fundierten Blick hinter die Kulissen spendiert.
Die (über 70!) Protagonisten sind wunderbar überzeichnet. Fast jeder hat irgendeinen Spleen oder ein Geheimnis. Gregor ist z.B. ein toller Koch, Hermjo versucht jede Frau ins Bett zu bekommen und Lisa gibt sich zwar doof, ist aber extrem klug. Dazu kommen noch diverse Fernsehleute, die Coaches, die „Dicken“, ein nackter Schlafwandler und und und ... Für alle Tierfreunde gibt es einen schlauen Papageien, Gregors Basset Waldi (eigentlich Waldmeister) und Lisas Mops Horst – frei nach dem Motto „Ein Buch ohne Hund ist möglich, aber sinnlos.“ ;-).

Das Buch ist eine tolle Mischung aus Roman, Krimi und Liebesgeschichte, bietet viel Abwechslung und immer wieder spannende Wendungen.
Am besten hat mir übrigens Jürgens regelmäßiger Schlagabtausch mit seiner Frau gefallen, deren trockene Bemerkungen mir die Lachtränen in die Augen getrieben haben und die sich gern in das (Liebes-)Leben der Figuren eingemischt und so für den weiblichen Standpunkt gesorgt hat.
Ach ja, wenn ihr wissen wollt, was es mit dem Buchtitel auf sich hat, müsst ihr es schon selbst lesen oder – noch besser – hören! Jürgen von der Lippe liest alle Protagonisten selbst und schafft es, jedem eine eigene Stimme und einen eigenen Charakter zu geben. Ich bin begeistert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.01.2019
Die Sommer meines Lebens
Valpy, Fiona

Die Sommer meines Lebens


ausgezeichnet

Gefühlsachterbahn

„Bitte, Kendra. Mir läuft die Zeit davon. Würdest Du meine Geschichte aufschreiben, bevor es zu spät ist, bevor ich alles vergesse und niemand mehr da ist, der es erzählen kann?“ (S. 18) bitte Ella ihre Enkelin. Dabei hat diese selbst genug Probleme. Ihr Mann Dan findet nach seiner Entlassung keine neue Arbeit und ihr autistischer Sohn Finn belastet ihre Beziehung extrem: „Es fühlt sich an, als würde jeder von uns in einem Meer voller Sorgen ertrinken und wäre nicht in der Lage, den Arm auszustrecken und den anderen ans rettende Ufer zu ziehen.“ (S. 13) Doch Ella hat vorgesorgt und ihre Erinnerungen auf Band gesprochen, zudem gibt sie ihr Foto-Alben und Briefe mit. Kendra ist schnell von ihrer Vergangenheit gefesselt und stellt fest, dass sie kaum etwas über das Leben ihrer Großmutter wusste.

Ella verbringt den Sommer 1938 auf der Île de Ré bei einer Freundin ihrer Mutter. Deren Zwillinge Christophe und Caroline sind im gleichen Alter wie sie. Das Trio versteht sich sofort, aus Ella und Christophe wird ein Paar. Dieser erste gemeinsame Sommer, ihre erste große Liebe ist wie ein Traum. Sie leben auf der Insel wie in einer Blase, lassen die Welt, das Kriegstreiben außen vor. Sie genießen den Moment und schmieden Zukunftspläne. „... in jenem Sommer verliebte ich mich in das Leben selbst, ... nicht nur in die Insel und die Familie ..., sondern in die Möglichkeiten und die Hoffnung, die das Leben in sich birgt. Auf einmal ahnte ich, was das Leben sein könnte.“ (S. 55) Als Ella im Herbst zurück nach Edinburgh muss verspricht sie, dass sie im nächsten Sommer wiederkehrt.
1939 besucht Ella die Zwillinge in Paris. „In diesem Sommer in Paris lagen Normalität und eine wachsende Beunruhigung dicht beieinander.“ (S. 99) Sie hat ihre Ausbildung beendet und will sich eine Arbeit in Christophes Nähe suchen, doch da bricht der Krieg aus und sie muss nach Hause. Ab da beginnt ein Auf und Ab der Gefühle, ein Hoffen, Bangen und Sehnen, dass der Krieg bald vorbei ist und sie sich gesund wiedersehen, endlich ihr gemeinsames Leben beginnen können.

Ohne zu viel zu verraten möchte ich erwähnen, dass Ellas Geschichte nicht 1945 endet, also keine reine Kriegs-(Liebes-)erzählung ist.
Außerdem bringen Ellas Erinnerungen Kendra dazu, über ihr eigenes Leben und ihre Ehe, die Schwierigkeiten mit Finn nachzudenken. Sie macht ihr klar, dass sie sich nicht zwischen der Liebe zu Dann und Finn entscheiden muss und nie das Gute übersehen soll.

„Die Sommer meines Lebens“ ist ein extrem berührendes Buch, eine wahre Gefühlsachterbahn für Ella, aber auch Kendra und den Leser.