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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 10.04.2017
Der erste Stein
Jensen, Carsten

Der erste Stein


ausgezeichnet

Im Januar 2002 beschliesst das Dänische Parlament die Beteiligung an der Operation Enduring Freedom in Afghanistan. Erster Einsatzort der Soldaten ist Kabul, später kommt eine weitere Einheit im Nordosten des Landes dazu, und ab 2006 sind dänische Streitkräfte auch in der Unruheprovinz Helmand an der Grenze zu Pakistan stationiert. Offiziell beendet wird der Einsatz der Dänen Mitte 2013.

Carsten Jensen, Autor, politischer Journalist und Professor für Kulturanalyse, steht diesem militärischen Engagement des Westens von Beginn an sehr kritisch gegenüber, hat er sich doch bei zahlreichen Reisen nach Afghanistan vor Ort von dessen Sinnlosigkeit überzeugen können. In seinem mehrfach ausgezeichneten neuen Roman „Der erste Stein“ packt er seine Eindrücke sowie die Reflexionen dazu in 638 Seiten, in denen er das Leben einer 26-köpfigen Gruppe von Soldaten, 25 Männer und eine Frau, während ihres Einsatzes im Süden Afghanistans beschreibt.

Jede/r hat nicht nur ihre/seine eigene Geschichte mit ins Camp gebracht, sondern auch ihre/seine Vorstellung von Krieg. Für die eine/n ist es ein „Ballerspiel“ wie es Rasmus Schrøder, der charismatische Leader, in seinem früheren Leben entwickelt hat. Für andere wiederum ist das Soldat sein ein Job wie jeder andere, und wenn die Mission erfüllt oder die Zeit abgeleistet ist, ziehen sie die Uniform aus und kehren zurück in die Heimat. Illusorisch zu glauben, sie könnten ihr altes Leben wieder aufnehmen als ob nichts geschehen wäre.

Die Tage schleichen dahin, Monotonie bestimmt den Alltag, Spannung liegt in der Luft. Warten auf den Krieg, der in seiner Unbarmherzigkeit schneller zuschlägt als gedacht. Zwei Kameraden sterben, und von da an scheint es, als ob ein Schalter umgelegt worden wäre. Gewalt greift um sich, die Moral bleibt auf der Strecke, die Beziehungen untereinander verändern sich. Empathie und Nähe scheinen Fremdwörter zu sein. Das Beste und/oder das Schlechteste von jedem einzelnen kommt zum Vorschein. Niemand ist frei von Schuld und jeder nimmt Schaden an seiner Seele.

Der Autor richtet den Blick weniger auf die äußeren Ereignisse als vielmehr auf die Auswirkungen, die diese auf das Verhalten des Einzelnen haben. Wobei natürlich sowohl Jensen als auch dem Leser bewusst ist, dass heutige Kriege nicht mehr Mann gegen Mann sondern durch den Einsatz von Drohnen eher in Computerspielmanier geführt werden.

Mit „Der erste Stein“ ist Carsten Jensen ein beeindruckender Antikriegsroman gelungen, in dem Helden keinen Platz haben. Vergleichbar mit Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“, für mich noch immer das Maß aller Dinge, was dieses Genre angeht. Nachdrückliche Leseempfehlung!

Bewertung vom 05.04.2017
Der zweite Reiter / August Emmerich Bd.1 (Restexemplar)
Beer, Alex

Der zweite Reiter / August Emmerich Bd.1 (Restexemplar)


ausgezeichnet

„Der erste Reiter hat die Tyrannei gebracht, der zweite den Krieg…“, und mit den schrecklichen Nachwirkungen haben die Menschen in Wien auch 1919 noch immer zu kämpfen. Zum einen ist da der allgegenwärtige Mangel, bereits die einfachsten Dinge fehlen. Ob das nun Nahrungsmittel oder Medikamente sind, vieles ist, wenn überhaupt, nur noch auf dem Schwarzmarkt erhältlich und sichert den Schleichhändlern fette Profite. Zum anderen sind da die Überlebenden, von denen die meisten auf den Feldern Galiziens gekämpft haben. Sie konnten zwar ihr Leben retten, haben aber doch Verletzungen davongetragen, mit denen sie noch immer kämpfen – ganz gleich, ob diese physischer oder psychischer Natur sind.

So auch August Emmerich, Rayonsinspektor im 22. Bezirk, Kriegsversehrter mit einem Granatsplitter im Bein, der gemeinsam mit seinem Assistenten Winter hinter einem Schleichhändler her ist und im Laufe seiner Ermittlungen buchstäblich über die Leiche eines vermeintlichen Selbstmörders stolpert. Aber Emmerich ist misstrauisch, und die genauere Untersuchung des Toten bestätigt seine Vermutung. Obwohl nicht offiziell mit dem Fall betraut, stellt er Nachforschungen an, böte sich ihm doch im Erfolgsfall eventuell die Möglichkeit, in die Abteilung „Leib und Leben“ (= Mordkommission) zu wechseln.

Und es bleibt nicht bei diesem einen Mordfall, aber es stellt sich die Frage nach den Zusammenhängen. Wo ist die Verbindung zwischen den verschiedenen Opfern? Zufall, oder kannten sie sich? Bis diese Frage geklärt ist, soll es noch eine Weile dauern, aber schließlich führt ein zufälliger Fund die beiden Ermittler auf die richtige Spur.

„Der zweite Reiter“ ist der erste historische Kriminalroman der Österreicherin Daniela Larcher, die hier unter dem Pseudonym Alex Beer schreibt. Lesern von Regionalkrimis ist die Autorin wahrscheinlich durch ihre Reihe mit Inspektor Morell bekannt, ich hatte bisher noch nichts von ihr gelesen und bin nun doch angenehm überrascht. Offenbar hat sie im Vorfeld sehr gut recherchiert, gelingt es ihr doch, beeindruckende Bilder des Lebens in der österreichischen Metropole nach dem Ersten Weltkrieg stimmig in diesen Kriminalroman einzuarbeiten. Die Atmosphäre passt, die Ereignisse aus dem persönlichen Umfeld des Inspektors sind stimmig, und auch das Drumherum wirkt glaubhaft und nicht aufgesetzt.

August Emmerich ist kein Superman, der alle Probleme mit links löst. Und auch wenn er bei seiner Arbeit einige Rückschläge einstecken muss, ist es eine andere Baustelle, die ihm weitaus größere Kopfschmerzen bereitet, da sein Privatleben von heute auf morgen durch die unerwartete Rückkehr des totgeglaubten Mannes seiner Lebensgefährtin komplett auf den Kopf gestellt wird. Dieser Handlungsstrang ist eigentlich prädestiniert dazu, in Sentimentalitäten abzugleiten, aber selbst diese Klippe umschifft die Autorin gekonnt.

Von daher hat Alex Beer alles richtig gemacht. Und wir dürfen uns freuen: der zweite Band mit August Emmerich ist offenbar bereits fertiggestellt, Teil drei in Arbeit. Ich freue mich darauf!

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Bewertung vom 29.03.2017
Kommando Abstellgleis Bd.1
Hénaff, Sophie

Kommando Abstellgleis Bd.1


gut

Für die Leser der französischen Cosmopolitan ist Sophie Hénaff keine Unbekannte, da sie eine regelmäßige Kolumne in diesem Magazin hat. Ich kannte sie bisher nicht, aber da ich die intelligenten Kriminalromane der französischen Autorin Fred Vargas sowie die TV-Krimiserie „Profiling Paris“ sehr schätze, war ich sehr gespannt auf „Kommando Abstellgleis“ von Sophie Hénaff, den Auftaktband einer Reihe, in der eine bei ihren Vorgesetzten in Ungnade gefallene Kommissarin im Mittelpunkt steht.

Dass man Hénaff nicht mit Vargas vergleichen sollte und kann, ist allerdings bereits nach wenigen Seiten klar, zu verschieden sind ihre Themen, ihre Figuren und auch die Herangehensweise der beiden Autorinnen an ihren Stoff. Während Vargas raffinierte Stories entwickelt, bewegt sich Hénaff eher auf konventionellen Pfaden. Außergewöhnlich ist jedoch das Team rund um Kommissarin Capestan. Aber jetzt der Reihe nach.

Es weht ein frischer Wind durch das Hauptkommissariat am Quai des Orfèvres, denn die neue Leitung ist ehrgeizig. Effizienz ist das Wort der Stunde, die Zahl der erfolgreich abgeschlossenen Fälle soll steigen. Kollegen, die den Ermittlungserfolg gefährden, müssen aussortiert werden. Entlassungen sind nicht durchzusetzen, also gilt es, ein neues Betätigungsfeld für sie zu finden. Halt, falsch – sie müssen nur aus dem Blickfeld verschwinden. Und so wird „Kommando Abstellgleis“ aus der Taufe gehoben, eine Einheit, in der sich unter der Leitung von Anne Capestan alle einfinden, die nicht wohlgelitten sind: ein Unglücksrabe, ein Alkoholiker, ein Faulpelz, eine Schriftstellerin und noch andere, alle mit einer Polizeiausbildung und einem Abzeichen in der Tasche. In einer heruntergekommenen Wohnung und ohne entsprechendes Equipment sollen sie sich um ungelöste Bagatellfälle kümmern. Aber die Aktenstapel bergen auch richtige Hochkaräter und wecken das Interesse des Abstellgleis-Teams. Und plötzlich schreiben die Loser ihre eigene Erfolgsgeschichte.

Obwohl Polizisten die Hauptrolle spielen und es einen Fall zu lösen gilt, ist „Kommando Abstellgleis“ für mich kein Kriminalroman, dafür fehlt es der Geschichte einfach an Spannung und Raffinesse. Womit Sophie Hénaff aber definitiv punktet, sind die schrägen Außenseiter mit ihren individuellen Macken, die diesen Roman bevölkern und sich ungeniert in den Vordergrund drängen. So ist dieser Reihenauftakt eher eine kleine Komödie mit dem typisch französischen Humor, unterhaltsam und mit leichter Hand geschrieben. Ganz nett, aber nicht sonderlich beeindruckend.

Bewertung vom 27.03.2017
London Stalker / Nick Belsey Bd.3
Harris, Oliver

London Stalker / Nick Belsey Bd.3


ausgezeichnet

Hampstead, der Stadtteil, in dem die Reichen und Schönen wohnen. Kein Ort, an dem man Detective Nick Belsey vemuten würde. Zumal dieser vom Dienst suspendiert ist und von den internen Ermittlern mit einem Verfahren bedroht wird. Aber wohnungslos und ohne Dach über dem Kopf, nistet er sich kurzentschlossen in der leerstehenden Wache im Norden Londons ein. Aber offenbar kennt doch jemand sein Versteck, denn er erhält unerwarteten Besuch von einer älteren Dame, die ihn um Hilfe bittet. Ihr erwachsener Sohn ist verschwunden und Nick Belsey soll seinen Aufenthaltsort ausfindig machen. Tja, aber offenbar ist Sohnemann ein Stalker, und hat sich ausgerechnet in die glamouröse Amber Knight verguckt. Um Zugang zu deren Umfeld zu bekommen, verdingt sich Nick als Body Guard bei ihr, reitet sich damit aber wieder einmal tief in die Bredouille, denn nach dem Tod von Ambers Freundin Chloe gerät er unter Mordverdacht. Aber wie so oft verstecken sich die wahren Täter hinter den Masken der Ehrbarkeit.

Zwei Dinge sind es, die die Nick Belsey-Thriller von Oliver Harris lesenswert machen. Zum einen natürlich die Hauptfigur, der toughe Detective, der ständig mit seinen Vorgesetzten im Clinch liegt, seine eigenen Moralvorstellungen hat und bei seinen Fällen öfter auf Messers Schneide balanciert. Zum anderen natürlich die Metropole an der Themse, deren dunkle Ecken der Autor neben dem ganzen High Society Glamour nicht ausblendet, sondern zu einem Teil seiner Story macht (siehe dazu auch die Homepage des Autors unter http://www.oliverharris.co.uk/nick-belsey-london-map/ ).

„London Stalker“ ist ein abwechslungsreicher Thriller mit jeder Menge Action und einem sympathischen Protagonisten, der auf alle Konventionen pfeift und keine Auseinandersetzung scheut – ganz gleich, ob mit den Fäusten bei den bösen Jungs, oder verbal mit seinen korrupten Kollegen. Alles in allem: spannende Unterhaltung!

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Bewertung vom 26.03.2017
Französisch backen
Bastian, Aurélie

Französisch backen


ausgezeichnet

Die Autorin Aurélie Bastian kommt aus Frankreich, lebt aber mittlerweile mit ihrer Familie in Deutschland und ist eine Köchin aus Leidenschaft. Sie betreibt den wunderbaren Blog „franzoesischkochen.de", veranstaltet Koch- und Backkurse und vertreibt originale Zutaten für alle diejenigen, die nicht das Glück haben, in der Nähe der französischen Grenze zu wohnen und dort einkaufen zu können.

Baguettes hat in Deutschland jeder Bäcker im Angebot, selbst bei den Discountern sind diese erhältlich. Aber wer schon einmal in Frankreich dieses Brot gegessen hat, weiß, dass die deutsche Interpretation desselben mit dem Original in keinster Weise vergleichbar ist. Auf der Suche nach dem ultimativen Baguetterezepte ist mir das neue Backbuch aus dem Südwest Verlag „Französisch Backen“ in die Hände gefallen.

Aber Frankreich hat mehr zu bieten als weißes Brot. Man denke nur an die feinblättrigen Croissants, die süßen Macarons oder die feinen Gâteaus der verschiedenen Regionen. Für all diese Köstlichkeiten hat Aurélie Bastian in „Französisch Backen“ die entsprechenden Rezepte parat.

Zu Beginn des Backbuchs gibt die Autorin jede Menge „Tipps & Tricks“ preis, die von den Zutaten bis zu den Besonderheiten der jeweiligen Gebäcksorten reichen. Die Rezepte sind unterteilt nach Frühstück (Petit déjeuner), Gebäck (Pâtisserie), Kaffeezeit (Goûter) und besondere Anlässe (Grandes occasions), wobei hier nicht nur alle Klassiker sondern auch Spezialitäten der verschiedenen französischen Départements vertreten sind.

Für jedes Rezept gibt es eine Doppelseite. Zum einen zeigt eine ansprechende Fotografie das Endergebnis, zum anderen sind die Zutaten sowie die Zubereitung leicht verständlich und Schritt-für-Schritt erklärt. Ergänz wird diese durch hilfreiche Tipps der Autorin und gelegentlich einen Hinweis auf eine Variationsmöglichkeit.

Ein gewisses Maß an Backerfahrung sollte man aber bereits mitbringen, und, je nach Rezept, auch Zeit und Geduld, denn ein Hefe-oder Blätterteig, der sehr vielen Backwaren zugrunde liegt, ist nun mal nicht im Hauruck-Verfahren fertigzustellen. Aber die fein gefüllten Küchlein sind das allemal wert. Meine Favoriten sind, neben dem Klassiker „Croissants aux amandes“, die raffinierten „Puits d’amour“ und der köstliche „Paris-Brest“.

Und ja, mission accomplie - ich habe das ultimative Rezept für die Zubereitung der knusprigen Baguettes gefunden, die ohne Zweifel mit dem französischen Original konkurrieren können!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.03.2017
Die Geschichte eines neuen Namens / Neapolitanische Saga Bd.2
Ferrante, Elena

Die Geschichte eines neuen Namens / Neapolitanische Saga Bd.2


sehr gut

Es waren einmal zwei Freundinnen, Lila und Lenù (Elena). Schusterstochter die eine, Pförtnerstochter die andere, die im Neapel der fünfziger Jahre aufwachsen, beschrieben in „Meine geniale Freundin“, Band 1 der Reihe, in dem wir die beiden Mädchen bis zu Lilas Hochzeit im Jahr 1960 begleiten. Obwohl nun gerade erst sechzehn Jahre alt, sind die Kinderjahre nun für beide vorbei, und der Ernst des Lebens beginnt. Mit dem Folgeband „Die Geschichte eines neuen Namens“ nimmt die Autorin Elena Ferrante ihre Leser wieder mit nach Süditalien, und begleitet die Entwicklung ihre Protagonistinnen über einen Zeitraum von sechs Jahren, nämlich von 1960 bis 1966.

Lila ist der festen Überzeugung, dass sie durch ihre Hochzeit mit dem Kaufmann Stefano, endlich auf der Sonnenseite des Lebens angelangt ist. Ein fataler Trugschluss, wie sich schnell herausstellt, denn ihr Ehemann macht Geschäfte mit der verhassten Camorra. Ihre Kritik daran quittiert er mit Faustschlägen, und die Ehe ist bereits gescheitert, noch bevor sie richtig begonnen hat. Aber im erzkatholischen Süditalien kommt eine Trennung nicht in Frage, im Gegenteil. Frauen haben den Mund zu halten und zu dulden, tun sie das nicht, werden sie selbst von ihren Geschlechtsgenossinnen mit Verachtung bestraft. Aber Lila schafft ihre kleinen Alltagsfluchten und beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit einem Studenten. Dabei verschwendet sie keinen Gedanken an Elena, die schon seit längerer Zeit heimlich in ihn verliebt ist. Lila will ihn haben, Elena kann ihm ihre Gefühle nicht vermitteln, also verzichtet die und konzentriert sich wieder auf ihre schulische Ausbildung, macht ihren Abschluss und beginnt ein Studium in Pisa, aber bleibt dort die Außenseiterin, der man die Herkunft aus dem neapolitanischen „Rione“ schon von weitem ansieht. Doch für sie wendet sich das Blatt zum Guten, als sie auf ihre Fähigkeiten vertraut und ihr Leben in die eigenen Hände nimmt.

Eine Freundschaft und zwei Frauen, deren Herangehensweise an das Leben verschiedener nicht sein könnte. Die eine verharrt in den vorgegebenen Strukturen, die andere wagt den Ausbruch. Und wieder einmal zeigt sich, dass Bildung und Ausbildung die Tür zu einem selbstbestimmten Leben öffnen kann. Natürlich muss auch Elena Rückschläge einstecken, aber sie ist dafür weit besser gerüstet, und kann sich Schritt für Schritt aus den traditionellen Denkmustern ihrer Herkunft befreien. Obwohl Lila die aktivere der beiden Freundinnen ist, die sich ohne Skrupel das nimmt, was sie haben möchte, ist es doch Elena, die passive, zaudernde, die ihren Weg macht.

Wie bereits in dem Vorgänger legt die Autorin ihre Schwerpunkte zum einen auf die detaillierte Charakterisierung ihrer Hauptfiguren, auf die emanzipatorischen Aspekte, die deren Umgang mit den Herausforderungen des täglichen Lebens hat, zum anderen auf die Beschreibung des alltäglichen Lebens in der patriarchalisch geprägten, italienischen Gesellschaft, was aber auch direkten Einfluss auf die Beziehung der beiden Freundinnen hat. Es ist nicht die Zuneigung , die diese bestimmt, sondern die kleinen Rivalitäten. Und dies realistisch und glaubhaft zu transportieren, gelingt Ferrante sehr gut.

Für mich alles in allem keine große Literatur, sondern ein netter Schmöker für zwischendurch, nicht besonders anspruchsvoll, aber durchaus unterhaltsam.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.03.2017
Operation Rubikon
Pflüger, Andreas

Operation Rubikon


ausgezeichnet

Ist die BRD eine Bananenrepublik? Wie Richard Wolf, einer der Protagonisten im letzten Viertel des Buches zu seiner Tochter sagt: „ Ich habe geschworen, das Recht zu achten. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass ich diesen Satz einmal sagen würde, doch ich weiß jetzt, dass wir in einer Bananenrepublik leben. Es ist eine hochtechnisierte, mächtige Bananenrepublik. Aber sie bleibt, was sie ist.“

Dieser Eindruck bestätigt sich nach der Lektüre des Politthrillers „Operation Rubikon“ von Andreas Pflüger liest, bereits 2004 erschienen und nach dem unerwarteten Erfolg seines zweiten Romans „Endgültig“ glücklicherweise von Suhrkamp neu aufgelegt. Ich sage glücklicherweise, denn ich habe schon lange keinen Thriller mehr gelesen, dessen komplexe Story mich so gefangengenommen hat.

Worum geht es? Natürlich um die Verstrickung von Politik mit der organisierten Kriminalität, um internationale Drogenkartelle und illegale Waffengeschäfte, um Geheimdienste und Maulwürfe, um Verrat und Loyalität, um Leben und Tod und nicht zuletzt um eine gestörte Vater-Tochter Beziehung. Der Vater ist Richard Wolf, Präsident des Bundeskriminalamts, seine Tochter Sophie Wolf eine ehrgeizige Staatsanwältin, die damit beauftragt wird, einen Spezialeinsatz des BKA zu leiten. Mangels Erfahrung und persönlicher Fehleinschätzung geht dieser aber total in die Hose und kostet Menschenleben auf beiden Seiten. Offenbar tragen hier mächtige Drogenkartelle ihre Hahnenkämpfe aus, unterstützt von Insiderinformationen aus dem engen Kreis um den BKA-Präsidenten. Misstrauen macht sich breit und es stellt sich die Frage, wer die Interna weitergibt. Natürlich geht es um Geld, um viel Geld, aber auch um die Möglichkeiten der politischen Einflussnahme zum eigenen Vorteil. Und natürlich ist es nicht verwunderlich, dass nicht nur Mitarbeiter staatlicher Organe sondern auch korrupte Politiker ihren Anteil am Kuchen haben möchten.

Wow, was für ein Buch! „Operation Rubikon“ bietet Hochspannung von Anfang bis zum Ende, und es wundert mich nicht, dass Andreas Pflüger mehrere Jahre an diesem Thriller geschrieben hat. So komplex, so detailreich, so dicht, aber auch im höchsten Maße elegant und logisch aufgebaut – es war mir eine wahre Freude. Dazu die Informationen, die der Autor aus erster Hand von zahlreichen Fachleuten u.a. Herrn Zachert, dem ehemaligen Präsidenten des Bundeskriminalamts, erhalten und in seiner Story entsprechend verarbeitet hat (siehe dazu die Danksagung am Ende des Buches). Nicht zu vergessen die Erläuterungen zu Struktur und Vorgehensweise der diversen bundesdeutschen Sicherheitsorgane. Das alles verpackt in einer intelligenten Story – so muss ein erstklassiger Politthriller sein. Lesen! Unbedingt!

Bewertung vom 07.03.2017
Trümmerkind
Borrmann, Mechtild

Trümmerkind


ausgezeichnet

Die Romane der mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichneten Autorin Mechtild Borrmann zeichnen sich durch die Verbindung von Historie und Spannung aus. Auch in „Trümmerkind“ verknüpft sie individuelle Schicksale mit der deutschen Geschichte und nimmt ihre Leser in drei verschiedenen Handlungssträngen mit nach Köln, Hamburg und in die Uckermark, der zeitliche Rahmen sind die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs, die Nachkriegszeit und die neunziger Jahre. Allerdings ist „Trümmerkind“ für mich nur bedingt ein Kriminalroman, denn in erster Linie geht es in diesem Roman um die Suche nach Identität, nach den Wurzeln, um die Frage nach dem „Wer bin ich?“ und „Wo komme ich her?“.

1946/47, der Winter ist bitterkalt, es fehlt an allem. Lebensmittel sind kaum aufzutreiben, selbst das Brennholz ist knapp. Die Väter sind im Krieg gefallen oder werden vermisst, also müssen die Mütter die Familien durchbringen. Und wenn sie Glück haben, gibt es einen halbwüchsigen Sohn, der sie unterstützt. So einer ist Hanno Dietz, der mit Mutter und Schwester in einem ausgebombten Haus in Hamburg lebt und seine Tage damit verbringt, die Trümmerhaufen nach wiederverwertbaren Dingen zu durchsuchen. Auf einer seiner Touren findet er einen weiblichen Leichnam und daneben einen kleinen Jungen, stumm und total verstört, den er kurzentschlossen mit nach Hause nimmt. Informationen zu dessen Herkunft gibt es nicht, und so wächst er quasi als das dritte Kind der Familie Dietz auf.

Im Jahr 1992 macht sich eine Kölnerin in die Uckermark auf, um sich gegen den Willen ihrer Mutter mit ihrer Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Aber was sie dort in Erfahrung bringt, sät Zweifel in ihr, passt es doch so gar nicht mit den Erzählungen ihrer Mutter zusammen.

Als die Rote Armee 1945 auf ihrem Weg gen Westen ist, müssen die Bewohner von Gut Anquist ihre wichtigsten Besitztümer zusammenpacken und sich einem Treck anschließen. Vorbei ist es mit der einstigen Junkerherrlichkeit, das nackte Überleben ist angesagt.

Meisterhaft verbindet Mechtild Borrmann diese drei Handlungsstränge miteinander und enthüllt nach und nach das lange verborgene Geheimnis einer Familie. Sie schmückt nicht aus und verliert sich nicht in Nebensächlichkeiten, sondern bleibt immer eng an den Menschen, von deren Handeln in schweren Zeiten sie uns erzählt. Ob gut oder böse, die Wertung überlässt sie dem Leser. Sie schildert die Menschlichkeit in dunklen Zeiten, die Hoffnung schafft, aber auch die Skrupellosigkeit, die noch nicht einmal vor Mord zurückschreckt. Vor allem aber schildert sie das Schweigen, das Nicht-Wahrhaben-Wollen einer Generation, die sich nicht verweigert hat und dadurch zum willfährigen Werkzeug wurde.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.