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miss.mesmerized
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Deutschland
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Bewertungen

Insgesamt 1245 Bewertungen
Bewertung vom 29.08.2018
Der Abgrund in dir
Lehane, Dennis

Der Abgrund in dir


ausgezeichnet

Rachel Childs wächst mit ihrer Mutter auf, die mit Ratgebern ein Vermögen gemacht hat. Ein Vater fehlt ihr nicht wirklich, dennoch würde sie gerne wissen, wer sie Erzeugt hat. Die Mutter verspricht das Geheimnis zu lüften, schiebt dies jedoch immer weiter hinaus, bis sie schließlich bei einem Unfall. Rachel engagiert den Privatdetektiv Brian Delacroix, der auch den einen oder anderen potenziellen Kandidaten auftut, die sich jedoch alle als falsche Spur herausstellen. Nachdem ihre Karriere als Journalistin ein jähes Ende nimmt und ihre Ehe mit Sebastian geschieden wird, trifft sie nach Jahren wieder auf Brian und die beiden verlieben sich. Er scheint der Mann ihres Lebens zu sein und steht Rachel in ihren schwersten Stunden, in denen sie von Panikattacken überfallen wird, bei. Doch irgendetwas kommt ihr komisch vor, ein unbestimmtes Gefühl nagt an ihr und bald schon mehren sich die Zeichen, die darauf hindeuten, dass Brian nicht der Mann ist, den sie glaubt geheiratet zu haben.

Dennis Lehane, international ausgezeichneter Autor, der seit rund 25 Jahren eine feste Größe im Krimigenre ist. zahlreiche seiner Romane wurden verfilmt und er selbst hat auch mehrere Drehbücher für die Serie „The Wire“ geschrieben. „Der Abgrund in dir“ unterstreicht einmal mehr seinen Platz unter den ganz Großen, denn wenn dem Roman eine Sache gelingt, dann ist es immer wieder zu überraschen und Fahrt in eine völlig neue Richtung aufzunehmen.

Langsam und gemächlich beginnt die Geschichte um Rachel und ihre Suche nach dem Vater. Dies scheint das zentrale Element des Romans zu sein und mit jedem vermeintlichen Kandidaten, der sich wieder als der nicht Richtige herausstellt, steigt die Spannung auf den echten. Doch dann steht plötzlich Rachels Karriere als Journalistin und erfolgreiche Reporterin im Zentrum der Handlung. Was wird sie in dem völlig zerstörten Haiti aufdecken, in welche Gefahr begibt sie sich? Nun ja, hier endet auch schon dieses Kapitel und ihr Privatleben rückt in den Fokus. Vor allem ihre Ängste, die sie ans Haus fesseln, bestimmen wesentlich den weiteren Fortgang. Glücklicherweise findet sie in ihrem zweiten Ehemann Brian einen zugewandten und verständnisvollen Partner. Als man denkt, dass alle Kämpfe entschieden sind und Rachels Leben sich auf die Befreiung der Dämonen, die sie in Ketten legen, konzentrieren wird, packt Lehane erst richtig aus und der Roman verwandelt sich zu einem regelrechten Psychothriller, mit einem Tempo, das einem den Atem stocken lässt.

Erst wenn man den Roman ausgelesen hat, wird deutlich, wie clever dieser konstruiert ist und wie die einzelnen Teile ineinandergreifen, die zuvor mehr lose und episodenhaft nebeneinanderstanden. Vor allem Rachels Charakter und psychisches Befinden wird maßgeblich durch die Ereignisse beeinflusst und hier zeigt sie Lehanes professioneller Hintergrund als Therapeut. Man merkt auch, dass er beim Schreiben schon den Film vor Augen sieht, stark sind die Bilder, die er hervorruft und es fällt einem nicht schwer, die Handlung zu visualisieren. Eine entschlossene Frauenfigur, die auch schwach sein kann, sich immer wieder aufrafft, selbst am Schopf packt und weitergeht – nur wohin, ist noch die Frage.

Bewertung vom 27.08.2018
Die Tote und der Polizist / Emma Sköld Bd.3
Sarenbrant, Sofie

Die Tote und der Polizist / Emma Sköld Bd.3


ausgezeichnet

Emma Sköld ist tot, die Stockholmer Mordkommission und ihre Familie trauern um die Polizistin. Die Ex-Frau ihres Mannes hat sie getötet und ist jetzt auf der Flucht. Emmas Kollege will alles daransetzen, sie zu finden. Doch er ahnt nicht, dass er auf der falschen Spur ist, denn es ist nicht eine Frau, die für die schlimmsten Morde in der schwedischen Hauptstadt verantwortlich ist, sondern der Polizeichef Gunnar Olausson höchst persönlich. Auch für den Mord an Emma Sköld – der gar keiner war, denn Emma lebt und will ihm und seinen Gehilfen das Handwerk legen. Doch dafür darf niemand wissen, dass sie seinen Anschlag überlebt hat und weiß, dass er der Drahtzieher ist.

Sofie Sarenbrants dritter Teil der Reihe um die schwedische Kommissarin findet unter kuriosen Vorzeichen statt. Eine Ermittlerin, die sich verstecken und aus dem Hinterhalt ohne die übliche Hilfe agieren muss, ist ein recht außergewöhnliches Setting. Ob dies real so umsetzbar wäre, ist zwar für mein Empfinden eher zweifelhaft, dem Krimi tut dies jedoch keinen Abbruch, denn dieser ist rasant erzählt und spannend aufgebaut.

Durch die vielen Perspektivenwechsel zwischen den einzelnen Kapiteln benötigt man etwas Zeit sich zu orientieren, auch die Situation um Emma ist nicht unmittelbar offenkundig. Hat man jedoch das clevere Manöver durchschaut, wird der Thriller erst richtig spannend, denn die Figuren spielen auf Augenhöhe und so steigert sich die Spannung und die Frage, wer am Ende siegen wird. Mit zahlreichen Nebenkriegsschauplätzen wird der psychische und emotionale Druck stetig erhöht und man fiebert gebannt mit der Protagonistin.

Insgesamt vielleicht ein bisschen viel von allem, weshalb manche durchaus interessante Nebenhandlung schnell wieder im Sand verläuft und die Figuren in ihrer emotionalen Ausnahmesituation nicht ganz so deutlich rauskommen, wie dies hätte sein können. Nichtsdestotrotz für mich ein runder Roman, der sich spannend liest.

Bewertung vom 26.08.2018
Mit der Faust in die Welt schlagen
Rietzschel, Lukas

Mit der Faust in die Welt schlagen


sehr gut

Um die Jahrtausendwende sieht die Welt noch rosig aus, auch wenn in Neschwitz bei Dresden die blühenden Landschaften ausgeblieben sind und die Reste der DDR Industrie nach und nach abgerissen werden. Die Eltern bauen ein Haus, die Söhne Philipp und Tobias sind noch klein und haben das Leben vor sich. Dieses Leben folgt jahrein jahraus denselben Bahnen. Angriff auf das World Trade Center, Hochwasser in Dresden – woanders geschieht etwas, nicht aber in Neschwitz. Die Jungs werden älter, Philipp gerät an falsche Freunde, spielt den Halbstarken, Tobias zieht sich immer mehr zurück, bewundert ein Mädchen seiner Klasse, doch nach der Grundschule trennen sich die Wege, für Kinder wie ihn bleibt nur die Hauptschule. Die versprochenen Perspektiven bleiben aus und zunehmend lehnt sich die Jugend auf, erst gegen die Sorben, dann gegen die anderen Ausländer, die den Westen ihrer geliebten Heimat schon erobert haben. Irgendjemand muss doch etwas dagegen tun, das ist doch reine Selbstverteidigung!

Lukas Rietzschels Roman zeichnet eine Welt nach, von der man weiß, dass sie existiert, aber die man eigentlich nicht sehen will, weil man sich schämt, dass es sie gibt, weil man sie verachtet, weil man nicht weiß, was man dagegen tun soll. Aus zwei schüchternen Jungs, wohlerzogen und bescheiden, werden Mitläufer und Täter, Rassisten und gewaltbereite Kriminelle. Hätte es eine Alternative zu dieser Entwicklung geben können? Die Oma wusste schon, dass sie keine Chance bei der Lehrerin haben, die hatte die Mutter schon auf dem Kieker, da kann man sich noch so bemühen, es ist ohnehin umsonst.

„Dieses ganze System ist am Arsch“, sagte Menzel. „Diese Gesellschaft, wo niemand mehr sagen kann, was er will. Wo dir vorgeschrieben wird, was du essen, wie viel du trinken und wie schnell du fahren darfst. Du bist ein Rassist, du bist ein Sexist! Die sollen alle mal die Fresse halten!“
„Weißt du, was ich glaube?“, sagte Tobias.
„Hm?“, fragte Menzel.
„Es braucht mal wieder einen richtigen Krieg.“

Dieser kurze Dialog gegen Ende des Romans fasst zusammen, was die Figuren empfinden: sie sind abgehängt, haben keinen Einfluss, nicht einmal auf die banalsten Dinge des Alltags, keiner versteht sie, sie werden sofort abgestempelt und wissen nicht, wie sie aus der Nummer rauskommen sollen.

Rietzschel weckt kein Mitleid für seine beiden Protagonisten, er verurteilt sie auch nicht, er beschreibt neutral einen Schritt nach dem anderen, der dazu führt, dass sie da enden, wo sie schließlich sind. Eine Geschichte, wie es leider zu viele gibt. Kein schöner Roman, auch „unterhaltsam“ trifft es nicht. Brutal bildet er auf seine Weise die Realität ab und wird so zu einem Zeitzeugnis, einem, das niemand sehen will, das man aber nicht ignorieren sollte.

Bewertung vom 26.08.2018
Darius the Great Is Not Okay
Khorram, Adib

Darius the Great Is Not Okay


sehr gut

Darius Kellner has never really fit in into Chapel Hill High-School, not just because he is half-Persian but also because of his depression which makes it hard for him to make friends. When is grandfather gets seriously ill, his whole family is flying to Yazd for the first time: his father, whom he considers an “Übermensch” because he is perfect in every respect, his beloved mother and his 8-year-old sister Laleh. Even though Iran is much less different from his home than expected, Darius, or Darioush as he is called there, makes masses of new experiences. He finds a good friend in Sohrab, plays football successfully and with fun, he tries out great Persian food and the family relationships somehow shift and allow him another look at how things are between himself and the rest of his family. When he returns, he is not the Darius he was before anymore, a bit of Darioush the Great has come with him to the US and he accepts that at times it is ok just not to be okay.

Adib Khoram’s novel presents a very different perspective on many things we know from novels. First of all, it is not an immigrant who comes to the US and has to adjust, but vice versa, an American boy, who even though he has a Persian mother is not speaking any Farsi, who discovers a country and its people of the Middle East. Khoram doesn’t play on clichés here, luckily, Darius does not come with too many ideas about his mother’s native country and enters it rather open-mindedly. Additionally, Darius is at the age where he could have his first girl-friend, but it is not a girl he meets and falls for, but a boy with whom he makes friends. And thirdly, the novel does not present a happy-end where everything is cured and everyone is fine. Darius still suffers from depression and has to fight for every little step in his life. Just travelling to Iran and back does not change everything.

I really enjoyed reading to book. Most of all because it gave a lot of interesting insight in the life in Iran, but also because it doesn’t pretend that life is easy and that everything can be fixed. None of the characters is perfect, they all make mistakes and they all feel awkward at times. In this respect, it is very authentic and convincing. I think it is great for teenagers who struggle with fitting in since the main message for me was that we all at times feel like outsiders and it is absolutely ok, not to fit in and to feel sad at times.

Bewertung vom 25.08.2018
Bungalow
Hegemann, Helene

Bungalow


sehr gut

Charlie wächst im Grenzgebiet auf – an der Grenze zwischen den vom Sozialstaat Abhängigen in der Hochhaussiedlung und den Bungalows der Reichen. Eigentlich sollten die Welten, in denen die beiden Bewohnergruppen sich bewegen, weit voneinander entfernt liegen, hier grenzen sie aneinander und zwangsweise begegnet man sich. So beobachtet das 12-jähirge Mädchen ein Paar, das gegenüber neu einzieht. Fasziniert spioniert sie immer mehr Details aus, bis sie sie eines Tages plötzlich im heimischen Fernseher erkennt, denn Maria und Georg sind Schauspieler. Ihr luxuriöses Leben mit Reisen und teuren Speisen könnte kaum weiter von Charlies Realität entfernt sein: die alleinerziehende Mutter, die manchmal betrunken, dann wieder wegen Tabletten weggetreten ist und bisweilen auch einfach beides kombiniert und im Wahn auch schon mal auf die Tochter eindrischt, die zwar erkennbar verwahrlost ist, der aber trotzdem keine Hilfe zukommt.

„Bungalow“ hat was von Literatur gewordenem Trash-TV. Charlies Welt ist das, was man im Nachmittagsprogramm des Privatfernsehens in den unzähligen Doku-Soaps mit Laien-Schauspielern bewundern kann. Am untersten Ende der Gesellschaft angekommen flüchtet ihre Mutter dank Alkohol und Medikamenten aus der Wirklichkeit, um sich dieser nicht stellen zu müssen. Die Erziehung der Tochter findet derweil nicht statt und das Mädchen bleibt sich selbst überlassen. Alles, was sie weiß, erfährt sie entweder auf der Straße oder im Internet, wo sich das nichtvorhandene Wissen ergoogeln lässt und Pornoseiten die praktische Einführung in die Sexualität übernehmen.

Charlie schämt sich für ihre Mutter und die Umstände, in denen sie aufwächst. Dies geht sogar so weit, dass sie sich eben „Charlie“ nennen lässt und nicht Charlotte, wie sie eigentlich nach der großartigen Schauspielerin Charlotte Rampling heißt, sie denkt, sie hätte einen solch großen Namen nicht verdient. Mit abgeklärter Emotionslosigkeit berichtet Charlie von den Selbstmorden in ihrer austauschbaren, namenlosen Stadt, ebenso von den Explosionen und Feuern, die Lebensgrundlagen zerstören. Ereignisse, die eifrig mit den Handys gefilmt werden und das einzig Aufregende in dem sonst trostlosen Leben sind.

Mit ihrem ersten Roman „Axolotl Roadkill“ wurde Helene Hegemann schlagartig berühmt, weniger wegen der literarischen oder inhaltlichen Qualitäten, sondern mehr wegen der Tatsache, dass weite Teile des Textes nicht von ihr selbst stammten. Auch „Bungalow“ bietet nichts, was man nicht schon einmal irgendwo gesehen oder gelesen hätte. Die Thematisierung von Vernachlässigung ist per se noch kein Qualitätsmerkmal, nichtsdestotrotz steht der Roman auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2018. Die Gesellschaftskritik ist erkennbar, aber Lösungen bleiben aus, auch wird kein größerer Zusammenhang als das unmittelbare familiäre Umfeld von Charlie thematisiert.

Die Meinungen in den Feuilletons gehen auseinander, zwischen dem größten literarischen Nachwuchstalent Deutschlands und einem belanglosen Roman, der viel will und wenig liefert, findet sich eigentlich jede Meinung. Ohne Frage lässt der Roman sich gut lesen, die Erzählerin kann einem packen und man oszilliert zwischen Faszination und Abstoßung, wie bei einem Unfall, zu dem man hinschauen muss, obwohl man nicht will. Die Sprache ist klar und schnörkellos, was zum Text sehr gut passt. Aber mir fehlt ein wenig die durchschlagende Relevanz bzw. Brisanz und die sprachliche Poesie, um die Autorin mit diesem Roman schon in die Riege der ganz Großen aufzunehmen. Bleibt abzuwarten, was noch folgt.

Bewertung vom 25.08.2018
Königskinder (eBook, ePUB)
Capus, Alex

Königskinder (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Spätabends in den Schweizer Bergen, langsam aufkommendes Schneetreiben, doch Max und Tina ignorieren die Absperrung und fahren den Berg hinauf, bis sie schließlich doch auf dem Pass vom Weg abkommen und wohl oder übel die Nacht über im Auto ausharren müssen, bis am folgenden Morgen Hilfe zu ihnen vordringen kann. Um sich die Zeit zu vertreiben, erzählt Max eine Geschichte, jene von Jakob aus dem Greyzerland. Früh die Eltern verloren wird er zum eigenbrötlerischen, aber fähigen Kuhhirten. Als er sich in die Tochter eines reichen Bauern verliebt, ist dieser erbost, denn Jakob ist ganz sicher keine passende Partie für seine Marie. Jakob flüchtet sich in den Militärdienst, doch Marie wartet auf ihn. Nach Jahren im Ausland kehr er zurück und findet sein Mädchen wieder – doch ihre Zweisamkeit soll auch jetzt nur von kurzer Dauer sein, denn der französische König ruft schon wieder.

Überzeugend gestaltet Alex Capus die Rahmengeschichte um Max und Tina und greift hier auf ein recht altes Motiv zurück: die unerträgliche Wartezeit in unfreiwilliger Gefangenschaft mit Erzählen überbrücken und so am Leben bleiben. Was in „Tausend und einer Nacht“ funktionierte, klappt auch in der modernen Welt noch.

Die Geschichte um Jakob und Marie ist glaubwürdig und passend in der Zeit gegen Ende der Herrschaft der französischen Könige und der aufkeimenden Revolution verortet. Besonders gut hat mir dabei auch der Vulkanausbruch des Laki-Kraters gefallen, ein historisch reales Ereignis, das nachhaltige Auswirkungen auf die europäische Geschichte hatte, nahm hier doch die Hungersnot ihren Ausgangspunkt, die letztlich zum blutigen Umsturz führte. Überhaupt wird die Geschichte der beiden jungen Menschen stark durch die historischen Figuren und Ereignisse bestimmt, was ihr die Beliebigkeit nimmt und sie authentisch gestaltet. Umgekehrt aber auch eine Liebesgeschichte, die Hindernisse überwindet und überdauert. So wird „Königskinder“ trotz der Brutalität der Zeit, die niemandem, weder Königs- noch Bauernkindern, etwas schenkte, zu einer Wohlfühlgeschichte, in der man gerne versinkt.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.08.2018
Die Elternsprecherin
Gelman, Laurie

Die Elternsprecherin


sehr gut

Jenny Dixon hatte Kinder und Schule eigentlich hinter sich als sie mit ihrem Mann Ron doch noch einen Sohn bekommt. Also geht alles wieder von vorne los und da sie das Drama schon kennt, übernimmt sie den Job als Elternsprecherin der Vorschulklasse von Miss Ward. Damit die anderen Eltern wissen, wo der Hase langläuft, wendet sie sich mit deutlichen Ansagen und wenig feinfühliger Ironie an diese. Die einen sind verärgert, die anderen haben gehörigen Spaß. Doch wichtige Positionen locken Neider an und bald ist Jennys Job in Gefahr, aber sie hat ja auch noch andere Sorgen als nur die Vorschule, z.B. dem Schlammwettlauf, für den sie trainiert oder ihre High-School-Flamme, die plötzlich wieder aufgetaucht ist.

Laurie Gelmans Roman lebt von spritzigem Humor und Situationskomik. Die Protagonistin ist herrlich gezeichnet und unterhält bestens mit ihrer unkonventionellen Art. Sie entspricht so gar nicht dem Klischee der Nur-Mutter, die Helikopter-mäßig nur um ihren Jüngsten kreist, sondern sieht alles mit einer gelassenen Distanz, die die anderen Eltern bisweilen auf die Palme treibt.

Daneben gibt es größere und kleinere Dramen: Liebe, Affären, Zickereien -alles was das Leben so bietet. Humorvoll und nicht so ernstzunehmend, damit beste Unterhaltung für Zwischendurch.

Bewertung vom 20.08.2018
Und die Braut schloss die Tür
Matalon, Ronit

Und die Braut schloss die Tür


ausgezeichnet

Eigentlich sollte es der schönste Tag im Leben werden, die Hochzeit von Matti und Margi, doch dann schließt sich die Braut ins Schlafzimmer ein und verweigert jedes Gespräch. Weder Matti kann sie dazu bewegen, die Tür wieder zu öffnen, noch seine Eltern Pninit und Arje. Auch Margis Mutter Nadja dringt nicht zur Tochter durch, deren letzter Satz „Ich heirate nicht“ – dreimal wiederholt - unheilvoll im Raum steht. Man sucht Hilfe bei Julia Englander vom Büro für „Bereuende Bräute“, doch auch die Therapeutin kann nur etwas erreichen, wenn die junge Frau mit sich reden lässt. Man muss wohl radikaler vorgehen und von außen Zugang zum Zimmer ermöglichen, denn es warten 500 Gäste auf ein rauschendes Fest.

Ronit Matalons letzter Roman „Und die Braut schloss die Tür“ ist eine Komödie, die sich immer haarscharf auch an der Tragödie vorbeiwindet. Voller Wort- und Situationskomik und treffsicher mitten hinein in das Zentrum des arabisch-jüdischen Lebens. Die Autorin wurde mit zahlreichen Preisen für ihre Bücher geehrt und arbeitete als Dozentin an der Universität in Haifa. Mit ihrem Tod verliert das Land eine wichtige feministisch-orientalische Stimme. Am Tag vor ihrem Tod sollte die Autorin den Brenner-Preis für den Roman entgegennehmen, konnte aber krankheitsbedingt das Bett nicht verlassen – an einem wichtigen Tag im Zimmer gefangen, fast ironisch, wie sich dies mit ihrer Protagonistin spiegelt.

Der Roman ist eigentlich eher eine Novelle, dreht es sich im Kern doch um die Frage, weshalb die junge Frau sich einschließt und nicht heiraten möchte. Sowohl Handlungsort wie auch Figuren sind begrenzt auf die engste Familie, die dieses unerwartete und außergewöhnliche Ereignis ereilt. Die Krise, die üblicherweise zu einem Bruch oder einer Versöhnung führen kann, bewirkt jedoch wenig bei den Figuren außerhalb des Schlafzimmers. Die Elterngeneration ist festgefahren in ihren Vorstellungen, vor allem jenen, was die Braut zu tun hat. Auch Matti kann sich keinen Reim auf das seltsame Verhalten seiner Geliebten machen. Nur die alte Sabtuna, die schon nicht mehr gut hört, scheint die relevanten Zwischentöne wahrzunehmen und sie ist es auch, die die einzige Nachricht richtig deuten kann. Manchmal sind es nicht die offenkundigen Dinge, die zählen.

Matalon arbeitet mit starken Kontrasten, immer wieder schwanken die Figuren zwischen extremer Hitze – die Klimaanlage muss just an diesem Tag ausfallen – und einer Kälte, die sie spüren, die sie schon immer in sich trugen. Das Büro der „Bereuenden Bräute“ – für uns eine geradezu absurde Vorstellung, aber hier spielt der kulturelle Faktor und insbesondere der Druck, der auf jüdischen Frauen herrscht, möglichst jung heiraten und zahlreiche Kinder gebären – sicher auch eine Rolle. Mit allen Mitteln sollen sie unterstützt werden, diese Erwartungen von Familie und Gesellschaft zu erfüllen, seien sie noch so absurd. Dass ausgerechnet jener Mann von der Polizei zum Verhör mitgenommen hat, der letztlich die Situation entschärfen konnte, aber mit arabischen Schriftzeichen auf seinem Wagen natürlich direkt verdächtig wirkt, gehört wohl zu den Alltagsabsurditäten Israels.

Man findet viel typisch jüdischen Humor in dem kurzen Buch, Klischees werden ebenso bedient wie der selbstironische Blick auf das eigene Dasein. Und egal wie verzweifelt die Lage auch ist, ein Grund den Glauben und die Hoffnung zu verlieren ist es sicher nicht. Ein kurzer, aber gelungener Roman, der mich neugierig auf die Autorin gemacht hat.