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Bories vom Berg
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Bewertungen

Insgesamt 832 Bewertungen
Bewertung vom 29.10.2013
Der Fuchs war damals schon der Jäger
Müller, Herta

Der Fuchs war damals schon der Jäger


weniger gut

De gustibus non est disputandum

Zugegeben, Herta Müllers Prosa ist gewöhnungsbedürftig, sehr sogar! Das Nobelkomitee spricht von einer Autorin, «die mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit zeichnet». Im Jahr der Preisverleihung 2009 erschien der Roman «Atemschaukel», dessen Lektüre seinerzeit bei mir einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen hatte als sprachlich hochstehendes Werk einerseits, mit einer leider furchtbar düsteren Arbeitslager-Thematik andererseits, die so gar nichts beiträgt zum Lesegenuss, sofern man kein Masochist ist. Leider fand ich auch im vorliegenden Roman mit dem rätselhaften Titel «Der Fuchs war damals schon der Jäger» ein ähnliches Sujet, das Leben im Rumänien unter dem Diktator Ceausescu kurz vor bis zum Zusammenbruch dieses menschenverachtenden Regimes.

Der offensichtlich vorhandene Determinismus Müllers führt bei diesem siebzehn Jahre vor dem Nobelpreis erschienenen Roman zu einer sehr eigenwilligen sprachlichen Form, deren Poesie sich manchem Leser nur schwer erschließt. Sie ist alles andere als schön, versucht vielmehr, die Lebenszwänge und Ängste der Menschen durch eine häufig grotesk anmutende Wortwahl und Syntax auszudrücken. Das wirkt aufs Gemüt des Lesers und erzeugt eine durchgängig düstere Stimmung, die kaum je aufgehellt wird, selbst ein Witz über Ceausescu oder die tödliche Fahrt eines Parteikaders im Kettenkarussell ändert daran nichts. Mit kurzen, einfachen Sätzen, ohne Fremdwörter auskommend, weitgehend auch ohne direkte Rede, steht für Herta Müller wie bei einer Lyrikerin der Rhythmus ihrer Texte im Fokus, den sie nach eigenem Bekunden durch lautes Vorlesen überprüft und falls erforderlich korrigiert.

Der poetische Hintersinn dieser speziellen Prosa ist in der Regel zumindest nicht gleich offensichtlich, manchmal aber auch überhaupt nicht zu entschlüsseln, oft als Metapher für die Metapher sozusagen. Zitat: «Der Weg kennt sich selber, hat keine Entfernung. Die Schritte verwackeln und sind immer gleich. Dann beeilen die Schuhe sich, der Kopf ist leer, auch wenn der Fuchs im Kopf steht». Alles klar? Für Leser mit Freude an der Lösung solch kniffliger verbaler Rätsel sicherlich eine wahre Fundgrube, ruft Müllers Sprache bei anderen im günstigsten Fall nur Kopfschütteln hervor, aber auch krasse Ablehnung. Was schade ist, denn das Spektrum auch abseitiger sprachlicher Formen auszuloten ist zumindest bereichernd, selbst wenn es Mühe macht für literarische Warmduscher wie mich.

Der Plot ist banal und nicht weiter erwähnenswert, natürlich ist die Securitate allgegenwärtig, die wenigen Figuren sind nur schemenhaft beschrieben als typische Stellvertreter für ein unterdrücktes rumänisches Volk. Die Trostlosigkeit ihres Lebens wird emotionslos geschildert, wobei die simple Geschichte ab der Mitte des Buches Fahrt aufnimmt und dann auch etwas konventioneller erzählt wird. Am Ende gibt es mit dem Untergang des Regimes fast so etwas wie Optimismus, durchaus selten ja im Werk Herta Müllers, ein Licht am Ende des Tunnels jedenfalls. Auch wenn klar wird, dass die alten Kader schnell wieder Fuß fassen, sich der neuen Zeit scheinbar mühelos anpassen, was die positive Stimmung gleich wieder dämpft. So weit, so gut, wie für jede Kunst gilt auch für diesen Roman: Über Geschmack lässt sich nicht streiten!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.10.2013
Hoppe
Hoppe, Felicitas

Hoppe


ausgezeichnet

Auf eigene Gefahr!

Schon der Buchtitel weckt Neugier. Man stelle sich nur mal «Walser» vor als Romantitel bei Martin Walser, da reibt sich doch jeder Bücherfreund verdutzt die Augen. Originalität also schon auf dem Cover, - und die Geschichte? Ebenfalls originell, soviel sei vorab schon gesagt. Irritierend dürfte es jedenfalls nicht sein für den Leser, dass die Autorin über eine gewisse Felicitas Hoppe schreibt in ihrem Roman, den man ebenso als fiktionale Autobiografie bezeichnen könnte. Auch wenn Denis Scheck «vor Freude einen Flickflack» schlägt bei diesem Roman, wozu ihn sprachlich die Pose des Titelfotos animiert haben mag, erweist sich das Feuilleton doch als ziemlich gespalten, zwischen Jubel und Verriss, und nicht anders auch die Leserkritiker. Das macht einen doch neugierig, mich jedenfalls!

Nahezu schrankenlos wird fabuliert in diesem unkonventionellen Roman der Postmoderne, der gegen so ziemlich alle Konventionen verstößt als grandiose Parodie der literarischen Gattung Autobiografie, deren Prinzip hier total auf den Kopf gestellt wird. Eigentlich ist diese Eulenspiegelei nichts anderes als eine amüsante Suche nach der Identität der Protagonistin. Treffend hat die Jury des Büchnerpreises dazu bemerkt: «In einer Zeit, in der das Reden in eigener Sache die Literatur immer mehr dominiert, umkreist Felicitas Hoppes sensible und bei allem Sinn für Komik melancholische Erzählkunst das Geheimnis der Identität.» Sie lügt wie gedruckt in diesem Schelmenstück, das in vielem an Don Quijote erinnert, ein frecher Parforceritt dieser überaus kreativen Autorin durch ihre imaginierte Lebensgeschichte. «Ihre Phantasie vertextete erbarmungslos alles» schreibt sie über Hoppe, die «in die eigenen Zweifel verliebt» ist, aber auch ironisch anmerkt: «Kröne dich selbst, sonst krönt dich keiner».

In einem virtuosen Spiel mit Identitäten erlebt der Leser diese literarische Wunderwelt jenseits der Realität, folgt Hoppe als begnadeter Hockeyspielerin, Musikerin, Erfinderin, Komponistin und Schriftstellerin von Hameln nach Kanada, Australien und bis hin nach Las Vegas, in «die schönste und prächtigste Stadt der Welt». Dabei begegnet er unter anderem Glenn Gould, Franz Kafka, Pippi Langstrumpf, Pinocchio, und dem Zauberer von Oz, erfährt von Hoppes genialen Erfindungen wie dem «leuchtenden Puck» für Hockeyspieler oder dem «Lakenwender», mit dem sich ein uraltes Menschheitsproblem sehr einfach lösen lässt. All das wird erzählt in einem verblüffenden Mix aus eigener Erzählung, Tagebucheinträgen, Interviews und Gesprächsnotizen, ergänzt durch häufige Anmerkungen (der Autorin /fh) und fiktiven Zitaten kritischer Rezensenten, denen sie auf diese Weise elegant den Wind aus den Segeln nimmt. Was prompt einige der echten Rezensenten, wie man überall nachlesen kann, denn auch gehörig verärgert zu haben scheint, man kann also auch literarisch ein Eigentor schießen.

Authentizität, soviel dürfte klar sein, ist kein Thema in Hoppes ebenso intelligentem wie amüsantem Roman voller origineller sprachlicher Finessen, sie hat sich ironisch eine turbulente Lebensgeschichte zusammen fantasiert, die den Leser förmlich mitreißt, sofern er nicht zur Gattung der mit roter Tinte schreibenden Kritikaster gehört. Den aufnahmefähigen und sprachsensiblen Leser hingegen erwarten einige beflügelnde Stunden mit «Hoppe», die mancher sogar spontan mit einem richtigen Flickflack krönen dürfte (auf eigene Gefahr bitte /bo).

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Bewertung vom 17.10.2013
Himmel und Hölle
Stefánsson, Jón Kalman

Himmel und Hölle


sehr gut

Ein verlorenes Paradies?

Bestimmt liegt es am Klima der Insel, an der rauen Umgebung, an den harten Lebensbedingungen im Island vor etwa hundert Jahren, dass Menschen zu solchen urigen Typen geformt werden, wie Jón Kalman Stefánsson sie uns in seinem Roman vorstellt, sehr eigen jedenfalls, unverwechselbar, wahre Unikate der menschlichen Spezies. Für mich liegt die Stärke dieses Romans in der meisterhaften Figurenzeichnung, mit der es dem Autor gelingt, uns seine vielen Charaktere glaubhaft nahe zu bringen, uns vor allem ihr Innerstes, ihre Gedankenwelt, ja geradezu ihre Seele zu präsentieren. Protagonist der Geschichte ist ein namenlos bleibender junger Mann, «der Junge», wie er im Roman genannt wird, Jüngster in einer Gruppe von sechs Fischern, die aus ihrem Fjord im offenen Holzboot auf Dorschfang ins Polarmeer hinausrudern.

Die Substantive des Buchtitels finden sich in umgekehrter Reihenfolge im Roman wieder, der Leser erlebt also zunächst die «Hölle» im ersten Teil der Geschichte. Es ist eine äußerst realistisch geschilderte Fahrt zum Fischen, beginnend beim Aufstehen der kleinen Mannschaft mitten in der Nacht, spannend und detailreich beschrieben, ein für heutige Menschen unvorstellbar hartes Gewerbe, mit geradezu archaischen anmutenden einfachen Mitteln betrieben, das kaum so viel einbringt, um davon sein karges Leben bestreiten zu können. Der enge Freund «des Jungen» kommt dabei ums Leben, weil er vor dem Ablegen des Bootes unbedingt noch einen Blick in John Miltons Hauptwerk «Das verlorene Paradies» werfen muss, dessen Verse ihn geradezu verzaubern. Und so vergisst er in seiner literarischen Begeisterung, seinen wetterfesten Anorak mitzunehmen, was ihn das Leben kosten wird, ein heranziehender Sturm mit Schnee und eisigen Winden wird ihm zu Verhängnis. Literatur kann also zuweilen auch tödlich sein, zumindest indirekt! Dieses Motiv wiederholt sich sogar, an anderer Stelle wird eine Frau beim Lesen eines Buches vom Tode überrascht. Nebenbei bemerkt ist für Bücherwürmer ja eigentlich kaum eine idealere Art denkbar, diese Welt zu verlassen, wenn’s denn unbedingt sein muss.

«Der Junge» macht sich umgehend auf, das verhängnisvolle, nur ausgeliehene Buch seinem Eigentümer, einem erblindeten Kapitän, zurück zu bringen, danach will er nicht mehr weiterleben. Er denkt nur noch an Selbstmord nach dem Verlust des Freundes. Bei seinem nächtlichen Gewaltmarsch zum Nachbarort entgeht er nur knapp dem Kältetod, ist zeitweise im Delirium, welches der Autor als kurzen philosophischen Einschub dem zweiten Teil der Geschichte voranstellt. Der dann eher als «Himmel» bezeichnet werden könnte nach den kargen Maßstäben für das menschliche Wohlergehen, die der Leser im ersten Teil kennen gelernt hat. Auch hier im Dorf begegnet man wieder vielen Originalen, amüsant beschriebenen Figuren aus dem prallen Leben jedenfalls, einer skurriler als der andere. «Der Junge» aber gewinnt seinen Lebensmut zurück in dieser neuen Umgebung, denn als Fischer wird er nie mehr arbeiten, soviel steht fest für ihn. Und auch sein erfrorener Freund entschwindet am Ende aus seinen Fieberträumen, er wird ihm nicht ins Totenreich folgen.

Stefánsson erzählt seine nur wenige Tage dauernde Geschichte in einer eminent metaphernreichen, oft auch lyrischen Sprache, die den Leser regelrecht mitschwimmen lässt in einem Strom wohlgesetzter Worte, häufig als innerer Monolog und in wechselnden Tempora erzählt. In vielen kleinen, kunstvoll ineinander verwoben Episoden werden uns quicklebendige Figuren vorgestellt, und die grandiose Landschaft Islands ist anschaulich und gekonnt überall mit einbezogen in den Plot. Der Roman ist ein intensives Leseerlebnis für Leser mit Sinn für solch ein fremdartig anmutendes, karges Milieu, - ein verlorenes Paradies?

Bewertung vom 14.10.2013
Die Frau im Mond
Agus, Milena

Die Frau im Mond


gut

Realität und Fiktion

Welcher Zauber liegt doch in der Vorstellung vom Mann im Mond, dieser mythischen Gestalt auf unserem Erdtrabanten, deren Gesicht wir manchmal zu erkennen glauben! Mit dem Titel «Die Frau im Mond» wird an dieses Faszinosum erinnert in der Geschichte einer Frau auf Sardinien, deren Leben uns von ihrer Enkeltochter erzählt wird. «Ihr ganzes Leben lang hatte man ihr gesagt, dass sie wirke, als stamme sie von einem Dorf im Mond». Milena Agus wandelt mit ihrem zweiten Roman auf den Spuren ihrer großen Kollegin Grazia Deledda, «die das Leben ihrer väterlichen Herkunft schildert und allgemein menschliche Probleme mit Tiefe und Wärme behandelt», wie das Nobelkomitee 1926 befand. Nicht anders Milena Agus, die in ihrem kleinen Roman vom ziemlich unkonventionellen Liebesleben einer sardischen Bauerntochter berichtet, an Gabriel García Márquez erinnernd, so der aus dem Feuilleton zitierende Klappentext. Ihre Sprache ist schlicht, unkompliziert, geradezu karg, dem besonderen Flair dieser abgesonderten italienischen Insel und ihrer auf Eigenständigkeit bedachten Bewohner damit geradezu archetypisch entsprechend.

Die Protagonistin dieses Romans, von der Ich-Erzählerin stets nur als Großmutter bezeichnet, womit immer wieder die Erzählperspektive verdeutlicht wird, ist eine für ihre bäuerliche Umgebung ungewöhnliche Frau auf der Suche nach Liebe. Gleich im ersten der zwanzig Kapitel erfahren wir, wie es dazu kam, dass sie ihrer großen Liebe begegnete, im Roman der Reduce genannt, ein beinamputierter Kriegsheimkehrer. In etlichen Rückblenden erzählt die Enkelin, die mit ihr ein geradezu intimes Vertrauensverhältnis hat, die Lebensgeschichte ihrer innig geliebten Großmutter. Von den Eltern viel zu früh aus der Schule genommen reift sie zu einer schönen Frau, ist mit dreißig aber immer noch unverheiratet, weil sie als verrückt gilt, weil sie mit ihren Liebesgedichten, auch anzüglichen Inhalts, alle potentiellen Ehemänner vergrault. Nach versuchtem Selbstmord durch Sturz in den Brunnen und einigen Selbstverletzungen eine Kandidatin für die Psychiatrie, findet sie schließlich doch noch einen Mann, den sie zwar nicht liebt, mit dem sie sich aber auf ungewöhnliche Weise arrangiert in ihrer Ehe. Bis sie bei einer Kur dann auf den Reduce trifft, der ihre große Liebe ist, das erkennt sie sofort. Einer, der sie versteht wie niemand sonst, der sie in die schöne Welt der Musik einführt, der ihre geheimen Texte schätzt und sie ermuntert, weiter zu schreiben. Die wenigen Wochen dieses Kuraufenthaltes stellen den unvergesslichen Höhepunkt ihres Lebens dar. Beide aber sind verheiratet, und so sehen sie sich später nie wieder, auch wenn sie einmal naiv versucht, ihn in Mailand zu finden, ohne eine Adresse zu haben. Der sehr spät dann doch noch geborene Sohn entwickelt sich zu einem international gefeierten Pianisten, als Mutter förderte sie liebevoll sein ganz offensichtlich vorhandenes musikalisches Talent.

Geradezu als euphorische Hommage gerät der sardischen Autorin diese phantasievoll erzählte, pralle Lebensgeschichte einer unbeirrbaren Frau, die ihrer naiven Vision von der wahren Liebe anhängt. Aber ist es denn naiv, an die große, die einmalige Liebe zu glauben? Oder muss sie ein lebenslanger Traum bleiben, weil die Realitäten des Lebens anders sind? Denn auch davon ist zu lesen, wenn zum Beispiel in der Ehe der Protagonistin diverse Bordellspiele praktiziert werden, bei denen Liebe ganz ohne Tabu als rein sexuelle Lustbarkeit betrieben wird. Im Finale schließlich erlebt der Leser eine handfeste Überraschung, die zwar nicht jeden überzeugen wird, aber doch nachdenklich machen dürfte, und dieses Reflektieren lohnt sich allemal! Realität und Fiktion immer streng auseinander zu halten ist nämlich manchmal gar nicht erwünscht, und in einem Roman mit solch geheimnisvollem Titel erst recht nicht!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.09.2013
Auf Messers Schneide
Maugham, W. Somerset

Auf Messers Schneide


sehr gut

Mit ironischem Unterton

Seinen geheimnisvollen Titel verdankt dieser dem Spätwerk des berühmten Autors zuzurechnende Roman den Upanishaden, frühen philosophisch-theologischen Texten des indischen Brahmanismus also, wo es heißt: «Schwer ist es, auf des Messers Schneide zu wandeln». Das deutet in der Tat schon auf das äußerst anspruchsvolle Thema dieses Buches hin, die Sinnsuche des Menschen nämlich oder, wie William Somerset Maugham seinen Helden Larry sagen lässt, als er gefragt wird, was er suche: «Die Antworten auf meine Fragen». Gibt es Gott, gibt es das Böse, ist mit meinem Tod alles zu Ende oder habe ich eine unsterbliche Seele? Isabel, seine Verlobte, hält ihm lapidar entgegen: «Wenn man sie beantworten könnte, dann wären sie bestimmt schon beantwortet».

Maugham ist ein begnadeter Erzähler, der sehr erfindungsreich Geschichten konstruieren kann, die den Leser zu fesseln vermögen. So auch hier, man folgt der Handlung fasziniert bis zur letzten Seite, auf der, einem Nachwort ähnlich, Fazit gezogen wird vom Autor, welcher hier übrigens leibhaftig als Ich-Erzähler fungiert, oft als geduldiger Gesprächspartner seiner verschiedenen Protagonisten auftretend. Es handelt sich dabei um recht illustre, geradezu prototypische Figuren, wobei Larry den Vogel abschießt, um es mal etwas flapsig auszudrücken, denn er widersetzt sich allen gesellschaftlichen Erwartungen an einen jungen Mann und begibt sich unbeirrbar auf einen alternativen Weg, der schnöde Mammon reizt ihn nicht im Geringsten. Grotesker Gegenentwurf dazu ist Elliott, reicher Onkel seiner Verlobten und exaltierter Snob, eine Inkarnation geradezu jenes Menschenschlages, man kann ihn sich typischer kaum vorstellen. Elliots Tod aber deckt dann schließlich auf, wie armselig im Grunde sein pompös zelebriertes Leben in der High Society war, wie schnell er dort vergessen ist. Maugham führt uns viele sehr liebevoll, fast greifbar geschilderte Figuren vor, deren Lebenswege sich immer wieder kreuzen, die kunstvoll ineinander verwoben sind. Alle suchen ihren Weg, straucheln zuweilen, erleiden Rückschläge, finden manchmal ihr Glück - oder das, was sie dafür halten, sie bewegen sich also auf Messers Schneide.

Der Autor erwähnt im Vorwort sein Problem, sich in die amerikanische Mentalität hinein zu versetzen, fast alle Protagonisten stammen aus den USA. Aber wie hätte er glaubwürdiger die Geldgier, den nimmersatten Materialismus seiner Figuren, dem Börsenmakler, der Dollarprinzessin, dem eitlen Snob, verdeutlichen können? Nach geistreich und schwungvoll erzählter Geschichte, öfter angereichert durch eine nicht unbeträchtliche Prise britischen Humors, macht Maugham seine Leser am Anfang des vorletzten Kapitels darauf aufmerksam, man könne dieses Kapitel sehr wohl überschlagen, ohne den Faden der Geschichte zu verlieren, ein Scherz natürlich. Denn hier nun erfährt der Leser in einem Gespräch, was dem Helden auf seinem Weg zur Erkenntnis, an Hesses «Siddhartha» erinnernd, widerfahren ist, welche Weisheiten er in Indien erlangt hat. Dort nämlich kam ihm nach langen Jahren der Meditation die Erleuchtung und hat ihm die Richtung gewiesen für sein weiteres Leben. Larrys Erzählung und Maughams skeptische Anmerkungen und entlarvende Fragen bei diesem finalen Gespräch sind tiefgehende philosophische Betrachtungen, die ohne Pathos und wissenschaftlich verbrämte Arroganz vorgebracht werden, angenehm zu lesen deshalb, für nachdenkliche Leute interessant obendrein, durchaus geeignet nämlich, die eigenen Gewissheiten listig zu hinterfragen, dabei sogar zum Nachjustieren derselben anzuregen.

Die Lektüre bewirkte bei mir zuweilen eine gewisse Ermüdung, sind doch (gefühlt) mehr als fünfzig Besuche in Restaurants, Cafés, Einladungen zum Tee oder Dinner minutiös geschildert in diesem Roman, ständig wird da irgendwo gegessen und getrunken. Abgesehen von solchen Längen ist die Geschichte beschwingt erzählt mit einem ironischen Unterton, der dem Ganzen eine gewisse Würze gibt.

Bewertung vom 18.09.2013
Alle Seelen
Marías, Javier

Alle Seelen


ausgezeichnet

Ein Panoptikum mit viel Hintersinn

Wo er recht hat, hat er recht, unser Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki, und deshalb verzichtet auch kein Verlag auf jenen verkaufsträchtigen Satz, den auch mein Buchexemplar ziert: «Begeistert bin ich von diesem Marías, ich glaube, das ist einer der größten im Augenblick lebenden Schriftsteller der Welt». Vor etlichen Jahren habe ich «Mein Herz so weiß» von Javier Marías gelesen, der als sein bester Roman gilt und mich seinerzeit begeistert hat. Deshalb war ich nun sehr gespannt, ob sein drei Jahre vorher erstmals erschienener Roman unter dem rätselhaften Titel «Alle Seelen», der auch mit dem Untertitel «Die Irren von Oxford» herausgebracht wurde, ebenso lesenswert ist. Was ich an dieser Stelle schon mal bejahen kann.

Das einzige, was mich stört an diesem Buch, um es vorweg zu sagen, ist die Art, wie die verschiedenen Verlage es anpreisen, sei es im Untertitel, der suggeriert, es gehe um schrullige britische Figuren in diesem Roman, im Coverfoto mit einer aufreizenden weiblichen Pose, die in der Erzählung kaum Entsprechung findet, oder im Klappentext, der die Liebesaffäre ins Zentrum rückt und mit einem Zitat aufwartet, in dem von «offener sexueller Bewunderung» die Rede ist. All das kommt auch vor, aber es ist beileibe nicht das, was diesen Roman ausmacht, worauf ja schon der Buchtitel «Alle Seelen» deutlich hinweist. Der Autor ist ein Könner im Beschreiben von Menschen, denen er in seinem Roman tief in die Seele schaut, ihr Innerstes offenlegt, ihr Wesen erfasst, sich also nicht nur mit ihrem Äußerlichen, Sichtbaren begnügt. Und er ist ein Meister im Erfinden unterschiedlichster Figuren, die für uns sehr lebendig werden in seinen Schilderungen, allesamt markante Individuen, die in großer Zahl auftreten in seinem literarischen Panoptikum. Es sind wahrlich skurrilen Typen darunter, von denen uns einige gleich zu Beginn bei einem «high table» genannten Essensritual an der Universität von Oxford vorgeführt werden, vom Autor allerdings satirisch ziemlich überzeichnet. Marías hat sich da wohl einiges von der Seele schreiben müssen aus seinen Erfahrungen im Umgang mit Spinnern, Genies und Exzentrikern verschiedenster Couleur während seiner Zeit als Dozent an dieser berühmten Uni.

Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt: Der Ich-Erzähler geht für zwei Jahre als Gastdozent für spanische Literatur nach Oxford (sic!) und bandelt schon bald mit seiner verheirateten Kollegin Clare an, von der er sich, das ist vorhersehbar, am Ende wird trennen müssen. Für ihn als Spanier ist und bleibt Oxford fremd und unwirtlich, sein Aufenthalt ist also nur ein berufliches Zwischenspiel, und seine Geliebte andererseits wird Mann, Kind und Oxford niemals verlassen. Eine Liaison auf Zeit also, auch wenn er das am Ende nicht wahrhaben will und versucht, ihr beim letzten Rendezvous eine gemeinsame Zukunft schmackhaft zu machen. Sie erzählt ihm daraufhin ein beklemmendes Erlebnis aus ihrer Kindheit, das sensiblen Lesern unter die Haut gehen dürfte. War in «Mein Herz so weiß» gleich zu Beginn der Selbstmord einer gerade erst von der Hochzeitsreise zurückgekehrten jungen Frau ein ziemlicher Schock, dessen Hintergründe dann in Rückblenden erzählt werden, so ist in Clares Erzählung ganz am Ende der ebenso überraschende Selbstmord ihrer Mutter der Schock. Von Marías sehr raffiniert konstruiert auch hier, denn Clare ist als kleines Kind völlig ahnungslos, als sie ihre Mutter vom Garten aus auf einer hohen Eisenbahnbrücke entdeckt und dann mit ansehen muss, wie sie sich hinunterstürzt in den Fluss. Auch dabei ging es um Ehebruch.

Die Stärken dieses Romans sind sein klug konstruierter Plot, seine wunderbar detailgenau beschriebenen Figuren, das universitäre Ambiente mit der Literatur im Mittelpunkt. Hinzu kommen viele kluge Gedanken philosophischer Art, so zum Beispiel auch Reflexionen über den Tod, die ein genialer emeritierter Professor äußert, - etwas sehr Weises zu diesem permanent verdrängten Thema.

Bewertung vom 23.08.2013
Die Kreutzersonate
Tolstoi, Leo N.

Die Kreutzersonate


weniger gut

Leider keine Satire!

Die A-Dur-Sonate Opus 47 für Klavier und Violine hatte Ludwig van Beethoven dem französischen Geigenvirtuosen und Komponisten Rodolphe Kreutzer gewidmet, sie wird deshalb populär auch als «Kreutzersonate» bezeichnet. In Leo Tolstois gleichnamiger Erzählung bildet dieses Musikstück den Kulminationspunkt einer düsteren Geschichte um eheliche Treue, die mit einem Eifersuchtsmord endet. Die russische Erzählprosa des 19. Jahrhunderts erreichte mit Tolstoi und Dostojewski einen Höhepunkt, wovon auch dieses Buch zeugt. Offensichtlich ging es dem berühmten Autor hier vor allem darum, die verlogenen Konventionen seiner Zeit zu demaskieren, eine Absicht, die man ja auch in vielen anderen Werken der Literatur jener Zeit häufig antrifft, nicht nur in der russischen.

Während einer Bahnfahrt erzählt ein etwas verwirrt wirkender älterer Mann von seiner Ehe und ihrem tragischen Ausgang. Es handelt sich weitgehend um einen Erzählmonolog, sein Gegenüber, der Ich-Erzähler, fungiert ganz selten mal als Stichwortgeber, er bleibt fast imaginär. Ein Leitthema bei Tolstoi ist ja Liebe und Ehe mit ihren vielschichtigen Problemen, hier nun auf die Spitze getrieben durch eine rigorose Verurteilung der Geschlechterliebe als Wurzel allen Übels in der Beziehung zwischen Mann und Frau. Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis sei die völlige sexuelle Enthaltsamkeit vonnöten, das Zölibat als Ziel für alle gewissermaßen, und die Arterhaltung ist dabei insofern sichergestellt, als ja nicht alle diesen idealen Zustand erreichen, nicht alle Paare wie Brüderlein und Schwesterlein zusammenleben werden. Starker Tobak, der da abgebrannt wird, aber ernst gemeint! Wie das alles geschildert wird, ist einfach meisterhaft, die Gedankenwelt eines eifersüchtigen Ehemannes wird geradezu seziert, seine Ansichten und Standpunkte zum Thema sind logisch aufeinander aufgebaut. Eine unglaublich detailreiche Beschreibung führt den Leser durch einen Plot, dessen Ende ihm zwar schon früh bekannt ist, ohne dass es dadurch jemals langweilig würde. Es entfaltet sich das Psychogramm eines verbitterten Mannes, der an seinen falschen Schlüssen scheitert, auch zwingend scheitern muss, da ihnen ein falsches Menschenbild, eine absurde Moralvorstellung zugrunde liegt. So weit, so gut!

Nicht gut aber ist die verbissene moralischer Verallgemeinerung, die Tolstoi seiner Geschichte als Leitfaden mitgibt, das, was Thomas Mann eine «Riesentölpelei« nannte im Werke seines russischen Kollegen. Auch wenn man Tolstois Geschichte als absolut zeitgebunden betrachtet, sind die von seinem Protagonisten vertretenen Ansichten nichts Abstraktes, keine philosophischen Reflexionen einer erfundenen Figur, der Autor identifiziert sich unzweifelhaft mit seinem Protagonisten, hat ein geradezu distanzloses Verhältnis zu ihm. Man könnte nun einwenden, diesen Schluss lasse der Text gar nicht zu, hätte Tolstoi seiner Geschichte nicht jenes unsägliche Nachwort hinzugefügt, in dem er seine abstrusen Thesen wiederholt und weiter verdeutlicht. Die zu diskutieren ich mir an dieser Stelle aber verkneife, solches Gedankengut war schon vor mehr als hundert Jahren jenseits aller menschlichen Erfahrungen und Erkenntnisse. Die «Kreutzersonate» ist also leider keine Satire und folglich ein äußerst ambivalentes Werk der Weltliteratur!

Und so bleibt als Motiv zum Lesen eigentlich nur der Spaß an der grandiosen Erzählkunst dieses Autors. Mancher mag vielleicht sogar Lust bekommen, mal wieder Beethovens «Kreutzersonate» zu hören, wie ich das gerade tue, während ich diese Rezension schreibe, um damit meinen Ärger über völlig ernst gemeinte Sätze wie «Kinder sind eine Plage» und die zugehörige, wortreiche Begründung dieser Weisheit wenigstens ein bisschen abzumildern.

Bewertung vom 23.08.2013
Drei Geschichten
Flaubert, Gustave

Drei Geschichten


sehr gut

Wahrlich an Magie grenzend

«Trois Contes» lautet der Originaltitel von Gustave Flauberts Trilogie von Geschichten, geschrieben in einer spezifischen, zwischen Roman und Novelle angesiedelten Erzählform der französischen Literatur. Musikfreunde dürften den Begriff «Conte» aus dem Titel von Jaques Offenbachs einziger Oper «Les Contes d’Hoffmann» schon kennen. In der deutschen Übersetzung nennt man sie «Drei Erzählungen» oder auch «Drei Geschichten», deren Titel «Ein schlichtes Herz», «Die Legende von Sankt Julian dem Gastfreien» und «Herodias» lauten. Zusammen bilden sie ein Triptychon aus Moderne, mittelalterlicher Legende und biblischer Antike, gemeinsames Motiv ist das illusionäre Glück der Idealsucher. Man könnte die Texte daher mit einigem Recht auch als melancholische Märchen bezeichnen. Diese einzelnen Erzählungen, in denen jeweils eine Figur markant im Mittelpunkt steht, hat der Autor nach Vorabdruck in einigen Zeitschriften zu einem «lustigen Bändchen» gebündelt, welches dann 1877 mit überraschend großem Erfolg veröffentlicht wurde, in Deutschland hingegen erst Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wirklich reüssierte. Überraschend deshalb, weil die Texte einigen Zündstoff enthielten für die Leserschaft jener Zeit.

Da ist zunächst die brave Hausmagd, «Ein schlichtes Herz», wie der Titel schon sagt, deren Stellung gleich im ersten Satz verdeutlicht wird: «Ein halbes Jahrhundert lang beneideten die Bürgersfrauen von Pont-l’Evéque Madame Aubain um ihre Magd Félicité». Ironisch führt Flaubert in dieser absichtsvoll grob übertriebenen, rührseligen Geschichte die Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts vor, entlarvt die ständische Ordnung des damaligen Frankreichs in ihrer Ungerechtigkeit, die gesellschaftlichen Konventionen in ihrer Verlogenheit. Es folgt die bis ins Lächerliche übersteigerte Legende von «Sankt Julian» als mittelalterliche Idealsuche, mit ebenso kläglichem Ausgang übrigens. In seiner subversiven Ironie lässt Flaubert nichts mehr übrig vom heroischen Habitus seines auch hier wohl sehr bewusst ziemlich grotesk dargestellten, ritterlichen Helden. Damit konterkariert er natürlich unübersehbar auch die falschen Identifikationsmuster seiner gutgläubigen zeitgenössischen Leserschaft. Ins Biblische schließlich entführt uns die Geschichte von «Herodias», in der Flaubert listig das altbekannte Salome-Thema aufgreift, womit er bis an die Wurzeln der abendländischen Kultur vordringt, dem Christentum also als dessen moralischer Grundlage. Auch hier wird ironisch der vergleichsweise betulichen Welt der Bibel eine äußerst drastische Schilderung von Geschehnissen gegenübergestellt, die wohl manches in anderem Lichte erscheinen lassen dürfte und damit auch hier die hehren Ideale zweifelnd hinterfragt.

Gustave Flauberts Bedeutung für die moderne Literatur kann man wohl nicht hoch genug einschätzen. Ihn zu lesen heißt zu erkennen, was literarische Schönheit, innere Werte und wirkmächtiger Stil bedeuten, welch erzählerische Kraft doch in seiner Dichtung steckt. Sein markanter, ganz persönlicher Erzählstil stützt sich auf eine Beschreibungskunst, die zum Beispiel in wenigen Sätzen einen Raum, eine Ortschaft, eine ganze Landschaft so umfassend darstellt, dass der Leser sie zu kennen glaubt, sich quasi zu Hause fühlt in der geschilderten Szenerie. Als Beispiel sei auch Salomes Tanz vor Herodes im Festsaal genannt, dessen gekonnte Beschreibung einen knisternden erotischen Zauber erzeugt, dem man sich kaum entziehen kann. In den hier vorliegenden drei biografischen Erzählungen sind jedenfalls alle charakteristischen Elemente dieser spezifischen Dichtkunst enthalten.

Auch heutige Leser werden, trotz des zeitlichen Abstandes und mit inzwischen ja komplett veränderten gesellschaftlichen und moralischen Imaginationsmustern, aus der Lektüre einen gewissen Nutzen ziehen können. Wichtiger noch ist aber der pure Lesespaß, den Flauberts Erzählkunst bei sprachsensiblen Lesern zu erzeugen vermag, weil sie wahrlich an Magie grenzt. Nicht aus

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.08.2013
Der Zahir
Coelho, Paulo

Der Zahir


schlecht

Die unerträgliche Seichtigkeit des Scheins

Paulo-Coelho-Erstleser tun gut daran, sich vorab mit der Vita des erfolgreichen brasilianischen Autors vertraut zu machen, um zu wissen, worauf sie sich da einlassen. Erhellend wirken beispielsweise seine zweijährige Weltreise als Hippie, seine nicht weniger als drei Aufenthalte in einer psychiatrischen Anstalt inklusive Elektrokrampf-Therapie, sein auffallendes Interesse für die Hare-Krischna-Bewegung und ähnliches mehr. Gekrönt wird das alles von seiner Vision bei einem Besuch im Konzentrationslager Dachau, bei der ihm ein Mann erschienen sei, der ihm wenig später leibhaftig in Amsterdam begegnete und ihn zur Rückkehr zum katholischen Glauben überredet hat. Wofür er sich dann symbolträchtig auf den Pilgerweg nach Santiago de Compostela machte.

Kein Wunder, dass Coelhos häufig unübersehbar autobiografisch geprägte Bücher angefüllt sind von Symbolen, Metaphern, mystischen Zeichen und viel Hokuspokus, wobei «Der Zahir» vermutlich einen Höhepunkt des Esoterischen darstellt im Werk des Autors, soweit ich das beurteilen kann. In einfacher, schnörkelloser Sprache geschrieben, erleben wir in diesem Roman eine rastlose Suche des Ich-Erzählers, ein erfolgreicher Romanautor natürlich, nach wahrer Liebe, den Sinn des Lebens, richtiger Lebensweise und glückhafter Selbstverwirklichung. Auslöser dafür ist seine Frau Esther, tätig als Kriegsberichterstatterin, die ihn ohne jede Erklärung überraschend verlassen hat und fortan als «Zahir», als beherrschende Kraft, alle seine Gedanken und sein Tun steuert. Fernsteuert, müsste man richtiger sagen, denn sie hat sich in die öden Steppen Kasachstans zurückgezogen. Man ahnt zwar bald, wie das alles ausgeht, aber bis dahin muss sich der geduldige Leser durch viele Seiten mit belanglosem Geschwafel, unrealistischen Dialogen und unerträglichen Plattheiten quälen, auf denen das absurde Weltbild des Autors langatmig ausgebreitet wird.

Für seine Tagebuchskizze «In Stahlgewittern», in der Ernst Jünger Kampf, Blut und Grauen als Erlebnis feiert, wurde er zu Recht heftig kritisiert. Paulo Coelho zeigt uns mehr als acht Jahrzehnte später in seinem Roman, das solche den Krieg verherrlichenden Ideen noch lange nicht tot sind, nur im Krieg nämlich sei der Mensch Gott wirklich nahe! Und so gibt es in diesem Roman immer wieder das blutgetränkte Stückchen Stoff, herausgeschnitten aus dem Hemd eines im Kampf tödlich getroffenen Soldaten, mit dem Esther auf dessen Wunsch hin alle sich als würdig erweisenden Personen symbolträchtig versorgt, als mystisches Erkennungszeichen gewissermaßen. Es gibt noch mehr derartig unsäglicher Thesen und Fettnäpfchen, in die Coelho unverdrossen tappt, so wenn er seinen Protagonisten, unverkennbar ja sein Alter Ego im Roman, großspurig über sein Einkommen berichten lässt bei einem Tischgespräch, nur um ihn dann sagen lassen zu können, dass ihn diese fünf Millionen Dollar jährlich auch nicht glücklich machen. Er ist ein egozentrischer Macho durch und durch, erobert spielerisch und ohne jeden Widerstand die schönsten Frauen, wann immer er will, er geniest seine Rolle als Star der Literaturszene, den jeder kennt, dessen Bücher natürlich auch jeder gelesen hat, ein Applaus heischendes Motiv, das sich übrigens häufig wiederholt im Roman. Er spielt den Moralisten und verhält sich wie ein hemmungsloser Egoist, was nicht selten ja die bigotte Verhaltensweise von stark religiös orientierten Menschen ist. Man hat also einiges zu ertragen, wenn man diesen Roman liest!

«So viele Millionen Leser können nicht irren», suggerieren uns die Verlage, wenn sie ihre Bestseller anpreisen, und Coelho gehört selbstverständlich zu den Top Ten der Auflage-Millionäre. «Seid umschlungen, Millionen», kann ich da nur sagen, die ihr gutgläubig solchen Schwachsinn kauft - und die vielen wirklich guten Bücher allesamt ganz einfach links liegen lasst!

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.