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leseleucht
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Alfter

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Insgesamt 123 Bewertungen
Bewertung vom 18.06.2023
Der Traum vom einfacheren Leben
Fredriksson, Anna

Der Traum vom einfacheren Leben


gut

Ein zweifelhaftes Lob auf die Selbstverwirklichung
Drei Generationen Frau zwischen Schweden und Dänemark auf der Suche nach einem gelingenden Leben: Die jüngste ist Josefin. Sie kämpft mit ihrem Freund Harald für den Erhalt eines alten Hofes, der einmal ein Selbstversorgerdasein ermöglichen soll. Doch das Geld ist immer knapp und die Arbeit immer viel. Da lockt ein Angebot in einem trendigen Laden mit nachhaltigen, aber teuren Klamotten in Malmö zu arbeiten und wieder Großstadtluft und – leben zu schnuppern und genießen. Passt das zum Traum vom einfachen Leben ohne Konsum? Und was wird aus ihrer Beziehung zu Harald?
Ihre Mutter Sally eröffnet währenddessen eine kleine Frühstückspension im Fischerdorf Kivik. Lange hat sie sich als alleinerziehender Mutter als Pflegehelferin durchschlagen müssen. Mit Männern hatte sie kein Glück. Auch bei ihr ist das Geld immer ein Problem. Und die Männer auch. Kann sie sich mit ihrer Pension durchsetzen? Und wird sie sich für den Richtigen entscheiden?
Die dritte im Bunde ist Sallys Mutter und Josefins Großmutter Vanja. Sie ist gestaltende Künstlerin, hat ihren Mann und ihre Tochter im Alter von drei Jahren verlassen, zog in der Welt umher und landete dann in Stockholm. Auch sie kann keine großen Sprünge machen. Und künstlerisch ist auch sie auf der Suche. Eigentlich zieht sie alles zurück nach Kivik, um sich mit ihrer Tochter zu versöhnen. Können die Frauen noch zu einander finden? Und kann sie ihrer Enkelin helfen, ihren Traum vom einfachen Leben zu leben?
Der Autorin gelingt es gut, die Sommerstimmung in Skandinavien einzufangen. Doch der so locker leichte äußerliche Rahmen zeigt drei Lebenswege, die alles andere als einfach sind. Die Figuren dabei sind durchaus interessant konzipiert und ihre Lebenswege thematisieren auf ganz unterschiedliche Weise diei Frage: Wie willst du leben? Und welchen Preis bist du dafür bereit zu zahlen? Ich finde die Entscheidungen der Figuren dabei allerdings häufig auch ein wenig schwer nachzuvollziehen. Sie wirken bisweilen doch sehr eigennützig oder sehr ich-bezogen. Die Selbstverwirklichung wird dann gerne auch einmal auf Kosten anderer durchgezogen, aber genauso leichtfertig wieder über den Haufen geworfen. Die Haltungen dabei scheinen mir von allen Parteien recht starr und dogmatisch, was auch immer wieder zu Konflikten zwischen den einzelnen Parteien, z. B. Harald und seinen Eltern, Sally und ihrer Mutter Vanja oder Josefin und Harald führt. Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, den ersten Band der Reihe zu kennen, um die Beweggründe der Personen besser nachvollziehen zu können. So ist mir der Umschwung der Meinungen stellenweise zu abrupt.
Auch die Sprache in der Übersetzung ist stellenweise ein wenig unelegant, soddass man über Wendungen wie „am + substantiviertem Infinitiv“ hängen bleibt.
Insgesamt zeigt sich, dass der Traum vom einfacheren Leben einfacher zu träumen als zu leben ist.

Bewertung vom 07.06.2023
Die Reisenden der Nacht
Correa, Armando Lucas

Die Reisenden der Nacht


sehr gut

Die im Dunkeln leben

Über vier Generationen erstreckt sich der Roman „Die Reisenden der Nacht“ von Armando Lucas Correa. Schon Ally muss ihre Tochter Lilith, einen „Rheinlandbastard“, die die dunkle Haut von ihrem Vater geerbt hat, bei Nacht auf eine Reise ins Unbekannte schicken, um sie vor den Hygienegesetzen der Nazis zu retten. Mit Hilfe eines jüdischen Ehepaares erreicht sie auf der St. Louis Kuba, wo sie bei ihnen aufwächst, sich in einen Mann verliebt und mit ihm eine Tochter bekommt, Nadine. Und zwar genau in der Nacht, als die Kommunisten die Herrschaft über das Land übernehmen und die Anhänger der alten Regierung, wie Lilith Mann, beseitigen. Auch Lilith muss sich von ihrer Tochter trennen, die zu Adoptiveltern kommt. Das Ehepaar zieht sie in New York groß, bis die Frau und Adoptivmutter Nadines als Österreicherin der Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Nazi-Regimes in Deutschland angeklagt wird. Somit schließt sich der Kreis, denn Nadine macht sich mit ihrem Adoptivvater nach Deutschland auf, da er seine Frau in ihrem Prozess unterstützen will. Nadine fasst in Berlin Fuß, studiert, verliebt sich und bekommt eine Tochter, Luna, die vieles von ihrer Urgroßmutter geerbt hat: die Dichtkunst und die Vorliebe für die Dunkelheit.
Correa gibt mit seinem Familienroman ein erschütterndes Zeugnis ab über die Grausamkeit der Menschen und des Schicksals, das die Protagonistinnen immer wieder aus ihrem Leben vertreibt und mit schrecklichen Schlägen dafür straft, das sie anders sind, nicht dazu gehören und dafür verfolgt und ausgegrenzt werden. In einer seltsam anmutenden Verbindung von Poesie und der historisch fundierten Schilderung zweier verschiedener Epochen des Unrechts und der Gewalt in Deutschland und Kuba nimmt er den Leser mit auf diese Reise durch die Nacht, die zeigt, dass der Mensch der Geschichte und auch seiner eigenen Lebensgeschichte nicht entkommen kann. Während das Leben Allys in Deutschland sehr surreal wirkt, weil sie quasi nur bei Nacht lebt, um ihre Tochter zu verstecken, wirkt die Lebensphase Liliths in Kuba dagegen solange recht real und lebendig, bis auch sie sich gänzlich in der Finsternis ihres Haus abschottet vom Leben ohne ihre Tochter. Der letzte Teil, Nadines und Lunas Leben in Berlin, wirkt dagegen wieder sehr realitätsnah. Hier stören ein wenig die großen Zeitsprünge, die den Leser immer wieder aus der Kontinuität der Geschichte reißen. Vielleicht will der Autor hier zu viele Erzählfäden zu ihrem Ende und zusammenführen, ohne sich dafür die Zeit zu nehmen. Auch die Art, wie der ein oder andere Faden sein Ende findet, ist im Angesicht des dramatischen Schicksals dieser Familie dann doch mit zu großem Willen zur Harmonie zu Ende gesponnen.

Bewertung vom 21.05.2023
Die Macht der verlorenen Träume (MP3-Download)
Durst, Sarah Beth

Die Macht der verlorenen Träume (MP3-Download)


ausgezeichnet

Ein monstermäßiges Hörvergnügen
Es muss schrecklich sein, ein Leben zu führen, ohne jemals träumen zu können. Auf der anderen Seite ist das vielleicht besser so, wenn das oder der, was bzw. wen man träumt, zum Leben erweckt wird, Monster inklusive. So ergeht es dem Mädchen Sophie, deren Eltern unter ihrem Buchladen ein Geschäft für Träume haben. Sie destillieren die Träume anderer und verkaufen die kleinen Fläschchen mit den Extrakten, was eigentlich verboten ist. Denn es ist gefährlich: Eines Tages werden die Fläschchen mit den schlimmsten Träumen gestohlen. Und auch Sophies Eltern sind auf einmal verschwunden. Gemeinsam mit ihrem Freund Ethan macht sich Sophie auf die Suche nach ihnen und muss im Kampf gegen die verschiedensten Traummonster, die auf einmal zum Leben erwacht sind, selbst eine kleine Armee aus Traumgespinsten zum Leben erwecken. Doch um ihre Eltern retten zu können, wird sie einen hohen Preis zahlen müssen…
Das Hörbuch „Die Macht der verlorenen Träume“ von Sarah Beth Durst ist ein atemberaubendes Hörabenteuer, das vor Phantasie nur so übersprudelt. Eine ganze Parade von Monstern, die bisweilen an die Bewohner von „Alice im Wunderland“ erinnern, beflügeln die Phantasie des Zuhörers, der von einem Abenteuer in das nächste gestürzt wird. Mit vielen überraschenden Wendungen entwickelt sich die Handlung auf ein fulminantes Finale zu. Dabei geht es aber neben aller Träumerei auch um so ernste Themen wie das Anderssein, das Alleinsein, Freundschaft und die Überwindung von Angst. Denn Sophie ist auf dem Weg durch ihr Abenteuer nicht allein, obwohl sie, die nicht träumen kann, sich bis dahin so anders und allein gefühlt hat. Ein phantastisch gestaltete Welt und sympathische Figuren, mit denen der Hörer mitfiebern kann, machen das Buch zu einem großartigen Hörbuch, vervollkommnet durch die perfekt passende Stimme von Hannah Schepmann, die den Text einfach toll eingelesen hat.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.05.2023
Der Glanz verlorener Zeiten (MP3-Download)
Elste, Karen

Der Glanz verlorener Zeiten (MP3-Download)


gut

Eine unkonventionelle Frau
Alice wird als junges Mädchen mit dem älteren Aubrey verheiratet, um die verarmte Familie auf Creston Hall zu sanieren. Zwar ist Alice ein nicht ganz unerfahrenes Mädchen, doch stellt die Ehe mit Aubrey sie vor einige Hindernisse: Wer ist dieser schweigsame Mann, der kaum Interesse an ihr zu haben scheint, und warum hat er sie geheiratet? Der Hörer begleitet Alice auf den Irr- und Umwegen ihrer Ehe über Frankreich zurück nach England und von dort, als der 2. Weltkrieg auszubrechen droht, nach Amerika, begleitet von diversen Männerbekanntschaften, die die Leere ihrer Ehe durch die häufige Abwesenheit ihres Mannes füllen sollen. In Amerika beginnt für Alice ein neuer Lebensabschnitt: sie erhält die Möglichkeit, eine Kolumne in einer Zeitung zu schreiben und ihr erstes Buch zu veröffentlichen. Doch die dunklen Schatten aus Europa reichen sehr weit …
Das Hörbuch ist weder historischer Roman noch Familiensaga, vielleicht kann man es am ehesten als Sittengemälde beschreiben, um keine falschen Erwartungen zu wecken. Es geht um das Leben der Frauen, das sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die zwei Weltkriege entscheidend zu verändern beginnt und das doch noch lange den alten Konventionen verhaftet bleibt. Auf der einen Seite ist die materielle Versorgung der Frau in der Ehe noch das gängige Modell, in dem sie sich dem Wunsch des Mannes zu fügen und kaum eine Chance hat, sollte sie ungewollt ein Kind erwarten. Auf der anderen Seite sind Frauen immer mehr gezwungen, sich selbst zu erhalten, durch Berufstätigkeit oder geschickte Ehepolitik. Alice bewegt sich irgendwo dazwischen. Zwar hat sie sich den Eheplänen ihrer Mutter zu beugen und ist lange so unselbständig, wie es junge Mädchen mit den entsprechenden Hauspersonal eben sind, so lässt ihr Mann ihr in ihrer Ehe doch reichlich Freiheit auch für Affären und sexuelle Abenteuer sowie für ihre schriftstellerischen Ambitionen. Doch bleibt sie letztlich in der Sehnsucht nach der Liebe des Mannes, mit dem sie zwar verheiratet ist, der aber zugleich unerreichbar scheint, gefangen. Weit über die Hälfte des Buches begleitet man sie durch zahl- und wahllose Affären und Selbstbespiegelungen ihrer Sehnsüchte, was ein wenig mühselig ist. Dabei scheint sie in einer Art luftleerer Blase zu leben, tangiert ihr Leben doch kaum etwas als ihr Seelenleben und ihre Beziehung(en). Erst mit der Zeit in Amerika nimmt auch die äußere Handlung an Fahrt auf, der Krieg tangiert zumindest in Briefform jetzt auch Alices Leben. Mit ihrer Schriftstellertätigkeit setzt allmählich auch ein Prozess der Selbständigkeit ein: sie kauft ein Haus, lernt Autofahren und auch ein wenig kochen.
Die breite Schilderung des Sitten- und Seelenlebens muss man mögen, auch wenn der Schluss mich etwas versöhnlicher stimmt.
Der Vortrag des Hörbuches passt für mich sowohl stimmlich als auch von der Intonation, sodass sich schnell das Gefühl einstellt, der Hörer folge Alice eigenen Worten und Gedanken.

Bewertung vom 18.05.2023
Gidget. Mein Sommer in Malibu
Kohner, Frederick

Gidget. Mein Sommer in Malibu


gut

Sommer eines Lebens
Franzie ist 15, ein aufgewecktes Mädchen aus den 50er Jahren in Amerika. Sie wohnt mit ihren Eltern in der Nähe zu Malibu und zum Meer. Und als sie eines Tages mit ihren Eltern den Strand besucht und die Surfer die Wellen vor der Küste reiten sieht, weiß sie, dass will sie auch können. Sie lernt nicht nur die coolen Surfer-Typen kennen, die ein ganz eigenes Lebensgefühl verkörpern, sondern auch die Liebe. Und sie wird, wie sagt, über Nacht erwachsen.
Der dünne Romanband beruht auf der wahren Geschichte eines amerikanischen Mädchens, das mit ihrem Traum von Surfen, den sie ihrem Vater erzählte, der daraus diesen Roman machte, zur Vorreiterin für eine ganze Sehnsuchtsbewegung wurde, die danach strebte, ein unbeschwertes Sommer-Sonne-Strand-und-Meer-Leben als Surfer:innen zu führen. Denn dieses Lebensgefühl fängt der Roman sehr gut ein. Mit den Augen eines frühreifen, recht selbstbewussten Teenagers, der in einem behütenden, aber auch sehr weltoffenen Haushalt groß wird, blickt der Leser auf die „Crew“, eine Gruppe alterslos jung erscheinender, braungebrannter Surfer, die den Wellen hinterher reisen, von Gelegenheitsjobs leben oder pro forma aufs College gehen und sich coole Namen geben. Sie leben stets im Hier und Jetzt, verschwenden keinen Gedanken an Sorgen oder Zukunftspläne. Ein verlockendes Lebensmodell. Konfrontiert wird dies mit den schwärmerischen Träumen eines Backfisch-Mädchens, das natürlich doch – trotz aller burschikosen Versuche, in dieser Crew gleichberechtigte Aufnahme zu finden – auf die große Liebe unter den sportlich braungebrannten Hünen hofft. Leider nimmt die Schilderung dieser glühend schwülstigen Sehnsüchte und der taktischen Überlegungen, sich zum begehrenswerten Objekt zu machen bei aller Angst, die Jungfräulichkeit doch allzu unüberlegt zu verlieren, zwischenzeitlich immer mehr Raum ein und wird zum dominierenden Thema. Hinzu kommt der für ein 15jähriges Mädchen der 50er Jahre doch bisweilen ziemlich schnoddrige Ton – „alter Falter“, der auch etwas nervtötend anmutet, auch wenn er vielleicht zu diesem unerschrockenen Mädchen passen mag.
Interessant und lesenswert ist auf jeden Fall das Nachwort von Volker Weidermann über die prominent Familie des Autors von „Gidget“ und seiner Tochter, der Vorlage für das Surfergirl im Roman.

Bewertung vom 15.05.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


sehr gut

Ein Ort zum Festhalten
Robert Simon erfüllt sich einen Traum und eröffnet ein Café am Karmelitermarkt im Wien der 60er Jahre. Es ist ein armes Viertel. Seine Kundschaft sind Arbeiter, Händler vom Markt und die ein oder andere Randexistenz der Wiener Gesellschaft. Doch das Café läuft gut an. Es ist ein Ort zum Festhalten in einer Zeit des schnellen Wandels, der die Figuren der Erzählung herumwirbelt und meist nicht vorwärts bringt. Wie das Leben selbst, so ist auch das Glück nicht von Dauer und lässt sich nicht festhalten. Simons Kellnerin Mila findet die Liebe, aber ihr Geliebter ist ein ausgedienter Preisboxer und dem Alkohol nicht abgeneigt. Simons Vermieterin ist eine alte Witwe, die in Simon noch einmal Gesellschaft findet, aber mehr und mehr ihre Erinnerungen an das Leben verliert. Simons Nachbar und Freund, wenn man so sagen will, der Fleischer, hat eine Frau und zwei Kinder, aber es kommt noch ein drittes, das krank ist. Die Milch- und Käsehändlerin Heide hat die Liebe zum Maler Mischa, doch der liebt auch andere Frauen.
Es sind eher die kleinen Schicksale die Robert Seethaler in seinem Roman vom Café ohne Namen porträtiert. Er ist ein Meister der ruhigen Stimmung und ein sanfter Erzähler. Beim Lesen seiner Bücher fällt der Leser ein wenig aus seiner eigenen hektischen Welt. Hier entsteht ein stimmungsvolles Bild eines armen Wiener Viertels. Das wechselnde Wetter, die warmen Sommer und die eisig kalten Winter stehen im Einklang mit der Freude und der Wehmut der Menschen. So steht der Winter häufig für Rückzug, Einkehr, aber auch Stillstand, während der Frühling die Genesung und den Aufbruch bringen. Dieses Wechselspiel findet sich auch in den Gesprächen der beiden Cafébesucherinnen, die nicht genauer benannt oder beschrieben werden, deren Wechselgespräche in der zweiten Hälfte des Romans in jedem zweiten Kapitel das Geschehen kommentieren. Auch hier haben wir eine eher resignierende Stimme und ein optimistisches Gegengewicht, die das Leben und die Menschen mit gnädigerem Blick bedenkt.
Die Hauptfigur Robert Simon wächst dem Leser ans Herz: der bescheidene Mann, der das kleine Glück für sich sucht, der still beobachtet, aber nie urteilt, der allen Gästen Respekt und Interesse entgegenbringt, der anpackt und seinen Laden wie sein Leben in Ordnung hält, der sich kümmert im Kleinen, wie z. B. um seine Vermieterin oder auch um den Besitzer des Hauses, in dem er sein Café gepachtet hat, aber auch im Großen, als er das Haus und den Markt vor einer Katastrophe bewahrt.
Es ist ein kleines, beschauliches Büchlein, das ohne großes Kino und große Gefühle auskommt. Es gibt auch keine durchgängigen Handlungsstränge, zum Festhalten für den Leser gibt es auch „nur“ das „Café ohne Namen“ als Dreh- und Angelpunkt. Neben den leisen Tönen muss man das Episodenhafte mögen. Dabei betreten manche Figuren den Schauplatz genauso unvermutet, wie sie ihn wieder verlassen, und lassen den Leser ein wenig ratlos zurück, wie z. B. die Frau mit der Taube, Jascha, die Simon für kurze Zeit den Kopf verdreht, bevor sich in ihrem Kopf alles zu verdrehen scheint. Aber wer sich einfach von Stimmungen berühren lassen mag und ein Herz für die einfachen, bisweilen aber auch recht verschrobenen Menschen hat und einen Ort zum Fest- oder eher Innehalten sucht, dem sei das kleine Buch ans Herz gelegt.

Bewertung vom 14.05.2023
Straßenmusik
Behr, Markus

Straßenmusik


sehr gut

Musikalische Höhen und Tiefen
Jonas und Chiara machen Musik. Beide befinden sich in einer Übergangsphase und fragen sich, wohin das Leben gehen soll. Jonas’ Bandkollegen haben sich gerade auf wenig freundschaftliche Art von ihm getrennt und er sich von seiner Freundin. Er macht sich auf den Weg nach Amsterdam, muss einfach mal raus. Dorthin unterwegs ist auch Chiara. Sie hat sich gerade in Graz auf einen Studienplatz für Psychologie beworben und ist nun unterwegs mit ihrer Gitarre, um ein wenig Straßenmusik zu machen. Nach einer zufälligen Begegnung im Zug bringt Chiaras Gitarre, die sie in einer Amsterdamer Kneipe vergessen hat und die Jonas dort findet, die beiden wieder zusammen und sie experimentieren ein wenig damit herum, gemeinsam Musik zu machen. Dabei sind beide sehr unterschiedlich: Jonas wirkt sehr unsicher im Umgang mit Menschen und sucht immer wieder die Flucht, wenn er sich von ihnen überfordert fühlt. Chiara hingegen sucht ihre Aufmerksamkeit und reagiert mit unkontrollierter Wut, wenn sich die Dinge ihrem Willen entziehen. Eine schwierige Konstellation, zumal Jonas Chiaras Wesen wenig entgegenzusetzen hat und ihm in seiner Unsicherheit der ein oder andere Fauxpas unterläuft.
Markus Behr erzählt in seinem schmalen Band „Strassenmusik“ von zwei Menschen, die noch nicht wissen, wohin mit sich. Er entwirft zwei interessante Charaktere, die zeigen, dass Jugend kein Garant für Unbeschwertheit und Glück sein muss. Beide tun sich schwer, ein Ziel zu entwickeln, einen Weg zu finden und sich in den vielfältigen Konzepten von Beziehungen zurecht zu finden. Aber was sie bewegt und zueinander führt, ist ihre Musik. Und im Laufe des Romans finden sie zumindest hier ihren Standpunkt und wissen, was sie wollen und was auch nicht. Die Musik ist ihnen Rückzugsort und Ausdrucksmöglichkeit und – auch in Zeiten des pandemiebedingten Lockdowns – Ort der Begegnung.
Markus Behr schreibt flüssig und auch bei der Widerständigkeit mancher Szenen im Roman immer so, dass es den Leser weiterzieht. Die Figuren sind sehr plastisch und interessant gewählt, auch wenn sich bis zum Ende hin nicht immer die Motivation für ihr Verhalten verständlich zeigt. Aber wer weiß schon immer, warum er sich gerade wie verhält. Für mich sind die Sympathien klar verteilt zugunsten des etwas übervorsichtigen, verträumten, insgesamt recht ungeschickten Jonas gegenüber einer etwas überdrehten, leicht narzisstisch angelegten Chiara. Aber auch das ist Geschmackssache. Das Musikerbusiness gerät bisweilen etwas zum Klischee, das insgesamt aber sicherlich nicht unzutreffend ist. Was aber immer zu erkennen ist, ist die Liebe zur Musik.

Bewertung vom 09.05.2023
Polnischer Abgang
Hoffmann, Mariusz

Polnischer Abgang


sehr gut

Ins gelobte Land
Jarek reist mit seinen Eltern aus Polen aus nach Deutschland. Ermöglicht wird ihnen dies durch eine Einladung von Jareks Großmutter, die schon Jahre zuvor nach Deutschland verschwunden war. Eigentlich haben Jareks Eltern mit ihr keinen Kontakt mehr, weil sich Jareks Vater von ihr verraten würde. Nun erhofft sich Jarek, seine Großmutter endlich wieder sehen zu können. Doch die Einreise nach Deutschland und der Neustart dort gestalten sich schwerer, als die Familie gedacht hat. Zunächst stranden sie in einem Auffanglager und müssen sich erst als „gute Deutsche“ erweisen, die sie als Schlesier einst gewesen sind. Dabei stellt sich Jarek immer mehr die Frage, ob Deutschland wirklich das gelobte Land ist, von dem er und seine Freunde in Polen immer geträumt hatten.
Die Erzählung ist gerade zu Anfang sehr episodenhaft angelegt. Sie wechselt zudem zwischen verschiedenen zeitlichen Ebenen: die Ausreise der Sobotas, ihr Leben zuvor in Polen, das Leben und die Ehe von Oma Agnieszka und ihre Flucht. Auch sind die Figuren anfänglich noch ein wenig klischeehaft und bisweilen zu sehr komikerhaft angelegt. Da gibt es den deutschen Schlepper, den polnischen Aussiedler mit Westware und -wagen auf Heimaturlaub, den versoffenen Onkel, den schlitzohrig-pfiffigen Freund von Jarek. Und Jarek selbst sowie sein Vater wirken bisweilen sehr naiv und komisch ungeschickt.
Aber spätestens mit dem Erreichen des Auffanglagers entfaltet sich eine Handlung, der man besser folgen kann. Der Leser begleitet die Familie in eine für sie ungewisse Zukunft in einem doch mehr als erwartet fremden Land. Die Aufnahme sowohl von Seiten der Behörden als auch der Bewohner ist nicht immer herzlich, und es schlagen ihnen viele Vorurteile und typische Klischees entgegen. In der Erzählung klingen nun auch nachdenkliche und mal ganz dezent versteckte, mal recht offen formulierte kritische Zwischentöne an. Und Jareks ganz eigene Art, die Dinge zu sehen und einzuordnen, mal naiv staunend, mal etwas schalkhaft, aber immer großherzig und ohne bösen Hintergedanken lässt ihn das Herz des Lesers dann doch gewinnen. Und am Ende vermisst man ihn und wüsste dann doch gerne, wie seine Geschichte und die seiner Famile weitergeht in Deutschland, dem einst so gelobten Land.
Nachbemerkung: Das Cover ist einfach umwerfend. Solch wunderschöne Farben! So ein sattes, warmes Gelb und Braun der Streifen des weiten Feldes. Das schafft eine ganz tolle Atmosphäre!

Bewertung vom 09.05.2023
Josses Tal
Rehse, Angelika

Josses Tal


sehr gut

Eine böse Saat auf fruchtbaren Boden
Der kleine Josef, der sich später Josse nennt, findet in seiner Familie nur Kälte, Ablehnung und Gewalt, da er unehelich geboren ist und der Großvater ihn für den sozialen Niedergang der Familie verantwortlich macht. Bei seinen neuen Nachbarn findet der kleine Junge, der trotz allem lebensfroh, aufgeweckt, freundlich und aufgeschlossen ist, das, was er im eigenen Haus entbehren muss: Zuwendung, Fürsorge und Interesse. Insbesondere Wilhelm ist dem Jungen sehr zugetan, nimmt sich seiner an und fördert ihn. Allerdings ist Wilhelm auch Anhänger der aufkommenden nationalsozialistischen Bewegung und macht Josef zu seinem Instrument, ihrer beider Heimatdorf auszuspionieren und somit auf Linie der neuen Partei zu bringen. Josef steigt dabei in der Hitlerjugend immer weiter auf, beginnt aber zugleich auch immer wieder zu hinterfragen, ob das, was Wilhelm von ihm verlangt und was Josef aus Bewunderung und Liebe zu ihm immer wieder tut, wirklich das Richtige ist. Dann macht er eines Tages eine Entdeckung, die seine ganze Existenz und seine Beziehung zu Wilhelm infrage stellt.
Aus der Sicht des Jungen schildert die Autorin, wie sich der lange Schatten des Nationalsozialismus über das Land ausbreiten, wie die giftige Saat langsam gerade in den Köpfen der Unschuldigen ausbreitet. Von Anfang an begleitet den Leser, der sich zunächst darüber freut, dass es jemanden gibt, der sich für Josef einsetzt, ein unangenehmes Gefühl, das umso bedrückender wird, je offensichtlich die Parolen der Nazis Eingang finden in die Lebenswelt des Jungen. Die Bücherverbrennung ist ein erster Höhepunkt in der Fanatisierung der Anhänger der Bewegung. Dabei bezieht sich die Autorin vielfach auf originale Quellen, was das Geschehen authentischer wirken lässt. Keimen in Josef erst langsam kleine Zweifel, so gibt es in seinem Dorf doch auch viele beeindruckende Beispiele für Zivilcourage, die sich dem unmenschlichen Regime in vielen kleinen Akten der Humanität entgegenzuwerfen versucht.
Sehr anschaulich, lebendig und gut nachvollziehbar zeigt Angelika Rehse mit ihrem Buch auf, wie so etwas wie der Nationalsozialismus „passieren“ konnte. Es ist ein wichtiges Buch, das nachfolgenden Generationen deutlich macht, wie das Gefühl des Ausgestoßenseins, der Unzulänglichkeit und der Demütigung den Nährboden bereitet für die verführerischen Parolen eines Regimes, das seinen Anhängern auf Kosten anderer, ausgewählter Sündenböcke und Feindbilder das Gefühl von Stärke, Macht, Überlegenheit, Stolz, Zusammengehörigkeit und Volksgemeinschaft vermittelt. Diese Bewegung verstand es auf sublime Art, ihre böse Saat in einen nahrhaften Boden zu legen. Und nur das Wissen darum kann verhindern, dass eine solche Saat zukünftig noch einmal aufgehen kann. Von daher ist der Roman „Josses Tal“ ein wichtiges Buch, weil es dieses Wissen nicht einfach nur zu vermitteln sucht, sondern es anschaulich, erlebbar und nachvollziehbar macht und somit umso beeindruckender ist.
Einzig der Schluss, der für mein Gefühl die Geschichte zu schnell zu einem Ende führt und die Dinge zu unvermittelt auflöst und die Fratze des Bösen zu demonstrativ bloßlegt, lässt Wünsche offen.

Bewertung vom 08.05.2023
Hinter den Wolken wartet die Sonne
Turner, Sarah

Hinter den Wolken wartet die Sonne


ausgezeichnet

Gemeinsam durch schwierige Zeiten
Als Beth mit dem schweren Unfall ihrer Schwester konfrontiert wird, bei dem ihr Schwager stirbt und seit dem ihre Schwester im Koma liegt, verändert sich ihr ganzes Leben mit einem Schlag. Die eher chaotische Beth, die nichts länger durchhält, keinen Job, keine Beziehung, und immer noch in ihrem Mädchenzimmer bei den Eltern wohnt, muss sich auf einmal um ihre 14jährige Nichte Polly und ihren um einiges jüngeren Neffen Ted kümmern. Ihre Eltern, insbesondere ihre Mutter, sehen dies mit Sorge, da Beth über wenige hausfrauliche und mütterliche Qualitäten verfügt. In ihrem langjährigen Jugendfreund Jory wähnt Beth eigentlich einen Verbündeten, doch hat dieser gerade ganz andere Sachen im Kopf, nämlich seine Kollegin Sadie, was Beths Gefühlsleben zudem mächtig durcheinander wirbelt. Vielleicht kann Albert ihr helfen, der seit dem Tod seiner Frau sehr zurückgezogen lebende 80jährige Nachbar ihrer Schwester? Wird Beth die verantwortungsvolle Aufgabe meistern oder wird sie auch diesmal alles hinschmeißen?
Mit einer bewundernswerten Stilsicherheit weiß die Autorin Sarah Turner in ihrem Roman „Hinter den Wolken die Sonne“ die Traurigkeit und die Verzweiflung, die der schreckliche Unfall über Beths Familie bringt, mit warmherzigen Humor zu verbinden. Dem Leser wächst beim Lesen die chaotische, von Selbstzweifeln geplagte Beth ans Herz, die alles daran setzt, das Vertrauen, das ihre Schwester in sie gesetzt hat, als sie sie zum Vormund ihrer Kinder bestimmt hat, zu erfüllen. Auch wenn sie mit ihrer Mutter nicht immer einer Meinung ist, wenn der pubertierende Teenager Polly ihr das Leben schwer macht und der kleine Ted sie mit seinen Fragen nach dem Verbleib seiner Eltern in Erklärungsnot bringt und sie sich mit der Wut und Trauer der beiden Kinder überfordert fühlt, da ja auch sie in Sorge und Trauer um Schwester und Schwager lebt, so zeigt der Roman, wie viel Hoffnung und Trost eine Familie spenden kann. Und dass Fürsorge und Zuwendung nicht unbedingt in gesunden warmen Mahlzeiten, aufgeräumten Häusern und dem Besuch von Elternabenden bestehen, sondern dass das Zuhören, das Dasein, das Verständnis, das gemeinsame Erinnern und das gemeinsame Feiern sowie das gemeinsame Meistern eines Ausnahmezustandes, der alle immer wieder aufs Neue fordert, das ist, was Familie ausmacht und was Menschen auch über Gartenzäune, Fehlkommunikation und Missverständnisse hinweg verbindet. Eine berührende Geschichte, die bei der Schwere der Ereignisse doch leicht und schön zu lesen ist.