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leseleucht
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Alfter

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Insgesamt 102 Bewertungen
Bewertung vom 17.02.2023
Leuchtende Hügel / Die wilden Pferde von Rydal Hill Bd.1
Czerny, Theresa

Leuchtende Hügel / Die wilden Pferde von Rydal Hill Bd.1


ausgezeichnet

Pures Lesevergnügen für kleine und große Mädchen
Valerie, die Hauptfigur in dem Roman „Die wilden Pferde von Rydal Hill“, braucht eine Auszeit: von ihrem stressigen Leben in Deutschland und vor allem von Pferden, denn es ist etwas vorgefallen, was sie gänzlich aus der Bahn geworfen hat. Sie besucht ihren Bruder, der im Lake District in England mit seiner Freundin eine Schaffarm führt und begegnet: Pferden. Einer charmanten Ponyherde, die auf den Fells wie Wildpferde ein freies Leben führt. Und sie begegnet Ben, einem mysteriösen Jungen, Einzelgänger und Besitzer der Ponyherde. Doch obwohl er alles gibt, für seine Herde zu sorgen, passiert ein Unglück nach dem anderen, sodass sein Vater beschließt, die Herde zu verkaufen. Damit beginnt ein dramatischer Wettlauf mit der Zeit, die Ponyherde zu retten, und zwar nicht nur vor dem drohenden Verkauf …
Warnung! Wer die ersten Seiten gelesen hat, will gar nicht wieder aufhören. Die Story und die Erzählkraft der Autorin ziehen den Leser so in ihren Bann, dass er alles um sich vergisst. Er brennt darauf, zu erfahren, wie die Story um Valerie und Ben weitergeht, die Geheimnisse um Valeries Vergangenheit, aber auch um das Schicksal der wilden Pferde von Rydal Hill, das schon im Jahre 1923 seinen Lauf zu nehmen begann, zu lüften.
Bei aller Spannung aber vermittelt das Buch auch eine Ruhe und verschafft dem Leser eine wohltuende Auszeit von allem ringsum. Die wundervollen Landschaftsbeschreibungen, die liebevolle Ausgestaltung der Figuren und ihres Lebens in den Dörfern im Lake Distrikt und die Schilderungen der schon fast magisch anmutenden Begegnungen mit den Ponys nehmen jeden Leser gefangen. Auf wunderbare Weise hält dieses Buch, was Lesen verspricht: eine heilsame Reise in die Welt der Phantasie.
Einziges Manko: auf eine Fortsetzung müssen alle begeisterten Leseratten, von denen das Buch viele verdient, bis Herbst warten. Aber das Warten lohnt sich bestimmt!

Bewertung vom 05.02.2023
Saubere Zeiten
Wunn, Andreas

Saubere Zeiten


ausgezeichnet

"Einsamkeit ist keine Farbe und auch nie nur ein Moment."

Einer der Sätze aus dem Roman „Saubere Zeiten“ von Andreas Wunn, die mich mit am meisten beeindruckt haben. Und einsame Menschen findet man in dem Roman genügend: den Erzähler Jakob Auber, dem die Mutter schon als kleines Kind verloren ging und der damit auch den Vater irgendwie verloren hat, der seine Beziehung verliert und auch seine zwei ältesten Freunde, Ben und Theresa. Und auch sie wirken sehr einsam in ihrem Leben. Er findet – auf der Spurensuche nach seiner Familiengeschichte – Bella, die auch sehr einsam in Brasilien lebt, sie hat ihren Sohn verloren und lange Zeit zuvor schon ihre Eltern und ihre Heimat. Und kaum hat er sie gefunden, da verliert er auch sie schon wieder. Diese Einsamkeit scheint sich von Generation zu Generation zu vererben. Ob es Jakob gelingt, seinen eigenen Sohn davor zu bewahren?
Als sein Vater stirbt, hinterlässt er dem Erzähler ein Zimmer voller Erinnerungen, voller Tagebücher des Großvaters und voller eigener Tonbandaufnahmen. So erfährt Jakob Hintergründe zu Aufstieg und Niedergang seines Großvaters, dem großen Waschpulvererfinder von „Auber macht sauber“, von der Jugend seines Vaters Hans und von Bella, die auf vielfältige Weise mit den Aubers verbunden ist. Er beginnt diese Geschichte aufzuschreiben, um auch die eigene Geschichte besser zu verstehen.
Zweimal nennt der Erzähler seinen eigenen Vater einen guten Erzähler mit dem Blick für das Detail. „Zwar verzichtete er auf Adjektive und jede Art von Ausschmückung, aber wenn er zum Beispiel von Bella erzählte, gelang es ihm, sie vor meinen Augen erstehen zu lassen.“ Mit diesem Satz lässt sich auch der Erzählstil des Autors gut beschreiben. Er erzählt schlicht und leise, aber sehr nachdrücklich. Er lässt viel Platz für die eigenen Gedanken und Gefühle des Lesers und erschafft mit seiner Geschichte einen Sog, dem sich der Leser kaum entziehen kann. Er begibt sich mit dem Erzähler tief in die Geschichte seiner Familie und erlebt sie mit ihm, er lernt viel über ihn und über sich, aber vor allem, dass es kein Waschmittel gibt, dass, auch wenn es noch so sauber macht, die Geschichte reinwaschen kann und dass diese Geschichte, die Menschen prägt, ob sie von ihr wissen oder nicht, seil sie -wie Bella sagen würde – in ihren Körpern ist: „Alles, was wir tun, und alles, was wir sehen, und alles, was wir hören ist in unserem Körper. Das Leid und die Freude. Die Liebe und da Glück. Und auch das Grauen. Es ist alles in uns drin. Es bleibt alles in uns drin. Und wir müssen lernen, damit umzugehen. Und auch mal was rauszulassen.“

Bewertung vom 30.01.2023
Taupunkt
Hansen, Thore D.

Taupunkt


gut

Hält nicht, was die Verpackung verspricht
Robert – Landwirt, Alkoholiker, Klimaleugner. Tom – Klimaforscher, sein Bruder, Weltretter. Janne – Studentin der Klimawissenschaften, Roberts Tochter, Klimaaktivistin. Mareike – Modebloggerin, Toms Tochter, Klima: egal. Die vier Protagonist:innen in Thore D. Hansens Klimaroman „Taupunkt“ kommen mehr oder minder unfreiwillig in Berlin und Lentzke, wo Roberts Zweithof liegt, zusammen zu einem Zeitpunkt, als Europa und der Rest der Welt unter nie dagewesener Hitze leiden. Höchste Zeit für das Phönixprogramm von Toms Forschergruppe, mit Hilfe dessen die Welt aus der Asche wieder erstehen soll. Allerdings unter Aufgabe großer persönlicher Freiheiten aller, was Tom nach den vergleichsweise harmlosen Restriktionen der Coronapandemie erbitterte Feinde beschert. Als die Hitze die 50 Grad überschreitet und die Stromversorgung kollabiert, droht die Eskalation.
Eigentlich ein spannendes Szenario, dieses Gedankenspiel, was wäre, wenn die Erderwärmung schneller drastische Formen annähme, als gedacht. Allerdings kommt es erst in Kapitel 37 (von 45) dazu. Die folgenden zwei sind die spannendsten des Romans. Vorher muss der Leser durch viel privaten Konfliktstoff zwischen den Brüdern, an denen der Autor auch die verhärteten Extremfronten zwischen Klimaleugnern und -aktivisten exemplifiziert. Dabei kommen beide Seiten nicht wirklich gut weg, zumal auch weil beide Repräsentanten nicht wirklich sympathisch sind, der eine ein Alkoholiker, der nichts auf die Reihe kriegt, der andere ein jetsettender Erfolgstyp, der bei aller Krise noch Zeit hat, seine Eheprobleme zu regeln und seine Familie nicht nur zugunsten seiner höheren Mission der Weltrettung aufzugeben, sondern auch für eine Geliebte. Die Diskussionen drehen sich – in verschiedenen Figurenkonstellationen – im Kreis. Jede Position findet immer wieder Relativierung, sodass der Leser nicht weiß, wo er steht, mit Ausnahme der Sicherheit, dass etwas gegen den Klimawandel getan werden muss (was er vermutlich aber auch schon vorher wusste).
Die einzig logisch stringente Handlungsführung ist der Anstieg der Temperatur. Ansonsten fahren die Figuren von A nach B und wieder zurück, nur um immer wieder ihre persönlichen oder stellvertrend gesellschaftlichen Konflikte auszutragen.
Vielleicht ist es nicht ganz fair, den Roman an seinen Vorerwartungen zu messen, die auch von dem eindrucksvollen Cover geschürt wurden. Aber genau dieses Szenario war es, was mich zum Lesen animiert hat. Leider ist diese Zukunftsvision, die sehr klischeemäßig verläuft: kein Strom, Fluchtgedanken, ein geheimer Vorratskeller, plündernde Gruppen, ausgestorbene Dörfchen, schon nach drei Kapiteln wieder vorbei. Und ohne das Ende verraten zu wollen, nur so viel: löste sich unser Klimaproblem so simpel wie die Romanhandlung, dann müssten wir uns keine Sorgen machen.
Zum Thema Klimawandel würde ich, wollte ich Argumentationen hören, lieber auf ein Sachbuch zurückgreifen, für Spannung dürfte es dann eher ein dystopischer Roman oder Thriller oder beides in einem sein.

Bewertung vom 25.01.2023
Vanessa und die Kunst des Lebens / Die Liebenden von Bloomsbury Bd.2 (eBook, ePUB)
Martin, Stefanie H.

Vanessa und die Kunst des Lebens / Die Liebenden von Bloomsbury Bd.2 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Wer hat Angst vor Vanessa Bell?
Könnte diese Frage im Hinblick auf Virginia Woolf durchaus berechtigt erscheinen, da die Schriftstellerin des öfteren in den Wahnsinn abzugleiten drohte, so scheint sie bezogen auf ihre Schwester Vanessa Bell nicht sofort einsichtig. Im zweiten Teil der Reihe „Die Liebenden von Bloomsbury“ steht Vanessa stärker im Mittelpunkt, auch wenn natürlich Virginia in diesem Band nicht fehlen darf. Vanessa ist Malerin, Mutter, Ehefrau, Liebende und nicht zuletzt der Mittelpunkt des Bloomsbury Club. Sie führte ein unkonventionelles Leben, versuchte in der Kunst neue Wege zu gehen, lebte, obwohl verheiratet und Mutter zweier Kinder, später mit dem homosexuellen Malter Duncan Grant, mit dem sie auch eine Tochter hatte, und dessen Liebhaber in einer freien Beziehung. Während des 1. Weltkrieges zog sie sich auf ein Landgut zurück und war sich dort nicht zu schaden, auf jeglichen Komfort verzichtend, für den Lebensunterhalten zu sorgen, Wasser aus dem entfernten Brunnen zu schleppen, Kleinvieh zu halten, den Garten zu bewirtschaften und Holz zu hacken.
Mögen dies Gründe sein, ihr mit Furcht zu begegnen? Mit einer solchen Furcht, die die Erinnerung an diese Frau und Künstlerin totschweigen lässt? Ganz zu Unrecht ist diese mutige, starke, liebenswerte, liebende und großherzige Frau in Vergessenheit geraten, wie die Autorin Stefanie H. Martin uns in ihrem lesenswerten Roman über den Bloomsbury-Kreis vor Augen führt. Bei aller Schwere der Thematik, Virginias Wahnsinn, das Gemetzel junger, hoffnungsvoller Männer im ersten Weltkrieg, die Entbehrungen usw., schreibt die Autorin leicht und mitreißend und bringt dem Leser das Leben der Bloomsbury group, insbesondere das der Vanessa Bell näher. Der Leser partizipiert an ihrer großzügigen Wesensart und an Duncan Grants Leichtfüßigkeit, an der Inspiration aus dem exzentrischen Künstlerkreis und dem Charme englischer Landscap: Das Leben kann reich und bereichernd sein, auch wenn es nicht immer schön ist, vor allem aber, wenn es bereit ist, sich jenseits der Konventionen zu erproben und auf das Neue einzulassen. Also unbedingt inspirieren lassen von der Lektüre!

Bewertung vom 25.01.2023
Cäcilias Erbe / Gut Erlensee Bd.2
Weinberg, Juliana

Cäcilias Erbe / Gut Erlensee Bd.2


gut

Besser als der erste Teil
Im zweiten Band der Reihe um Gut Erlensee geht es um Cäcilia, die im ersten Band als Halbwaise und Patentochter des Familienvaters auf das Gut kam. Im zweiten Band kämpft sie um ihre Anstellung als Lehrerin und ihre Liebe zu dem jungen Physiker Jakob, die ihr das Lehrerinnenzölibat eigentlich unmöglich macht. Auch ein schreckliches Geheimnis aus ihrer Vergangenheit macht ihr das Leben schwer. Im ersten Teil der Reihe musste sich Margarethe, die älteste Tochter der Familie auf Gut Erlensee mit ähnlichen Schwierigkeiten herumschlagen, auch sie kämpfte für ihr Recht als selbständige Frau, die arbeiten geht und sich ihren Mann selbst aussuchen möchte. Während sich der Roman dabei die ganze Zeit im Kreis um diesen Konflikt drehte, so bietet der zweite Band eine klarere Handlungsführung mit Spannungsbogen, die den Leser einigermaßen mit durch die Geschichte nimmt. Allerdings ist auch hier sehr klar vorhersehbar, was passieren wird. So kann der Leser bereits aus Band 1 sehr sicher vermuten, welches Familiengeheimnis sich hier wie lösen wird. Und auch schon vor Erscheinen des dritten Bandes lassen sich recht klare Vermutungen anstellen, um wen es darum geht, wie diejenigen den herben Schicksalsschlag am Ende von Band 2 verkraften wird und wer sie dabei tröstet. Auch die Liebesgeschichte im 2. Band leidet ein wenig unter Rührseligkeit und Herzschmerz. Dabei sind die sprachlichen Bilder zum Ausdruck der Gefühlswelt manchmal recht kitschig.
Wer auf ein wenig Herzschmerz steht, wird aber ganz gut unterhalten und kann sich für ein paar nette Lesestunden an den idyllischen Erlensee träumen.

Bewertung vom 02.01.2023
A Light in the Window (eBook, ePUB)
Kummerow, Marion

A Light in the Window (eBook, ePUB)


weniger gut

Keine Geschichte, wie sie das Leben schrieb

Margarete arbeitet als jüdisches Hausmädchen bei einer SS-Größe, als bei einem Bombenangriff auf Berlin das Haus in Schutt und Asche gelegt wird und nur Margarete wie durch ein Wunder überlebt. Geistesgegenwärtig nimmt sie die Identität der verstorbenen Tochter des Hauses an. Da es aber noch zwei Brüder gibt, kommt es zu komplizierten Verwicklungen über Leipzig bis nach Paris, in die Wohnung des jüngeren der beiden Brüder, der nicht nur großes Interesse an dem Erbe seiner Schwester hat, sondern auch an Margarete, deren Geheimnis er nicht ohne Eigennutz vor seinem Bruder und den restlichen bösen Nazis zu verbergen sucht.
Die interessante Ausgangslage entwickelt sich allerdings auch sehr schnell zum Problem der Geschichte: zu welchem sinnigen Ende soll man diese Verwicklungsgeschichte führen? Und genau diese Auflösung bleibt nach einigen durchaus rasanten Wendungen mehr als unbefriedigend. Um hier den Ausklang der Geschichte nicht zu verraten, sei nur angemerkt, dass er doch zu klischeehaft kitschig und wenig glaubwürdig ist. Genauso wie die Figurenzeichnung: da ist die naiv-ängstliche Margarete, aus deren unbedarfter Lüge bald eine raffinierte Verschwörung wird, bei der ihre weiblichen Reize und ihr Sinn für französische Lebenskunst und Antiquitäten sowie die Liebe zu Wilhelm erwacht, obwohl sie in er Höhle des Löwen doch in größter Lebensgefahr schweben müsste. Ab und an fällt ihr auch wieder ein, dass der von ihr Angebetete ein böser SS-Mann ist. So böse ist Wilhelm dann aber doch nicht, wird er zunehmend zum Ritter und Retter von Margarete, dem sogar sein eigenes Leben nicht mehr bedeutet als Margarete, obwohl er in einer für einen erwachsenen SS-Mann ziemlich naiven Art alle Juden für böse hält. Nur böse, unsympathisch und abstoßend ist sein älterer Bruder, der seine schwangere Frau betrügt, Margarete missbraucht und die rechte Hand Heydrichs ist, um mit der „Endlösung“ der Judenfrage Karriere zu machen. Ich weiß nicht, ob das eine angemessene Auseinandersetzung mit diesem weitreichenden Teil Deutscher Geschichte ist, auch wenn es nur den Anspruch hat, gut zu unterhalten.

Bewertung vom 21.12.2022
Agent Sonja
Macintyre, Ben

Agent Sonja


ausgezeichnet

Ein Leben spannender als im Film

Manchmal kann man sich nicht vorstellen, was Leute für Leben führen. Woher nehmen sie den Mut, die Leidensbereitschaft, aber auch die Skrupellosigkeit, Dinge zu erdulden oder Dinge zu tun, die ein Normalsterblicher nur aus Romanen oder Filmen kennt?
Ein solches Leben führte Ursula Kuczynski. Schon als junges Mädchen weiß sie, was sie will und was sie nicht will. Sie ist eine glühende Anhängerin des Kommunismus und lässt sich weder durch die Worte ihres Vaters noch durch die Brutalität ihrer politischen Gegner davon abbringen. Als Spionin für die Russen unternimmt sie mehrere gefährliche Aktionen, gegen die Nazis, aber auch später im Kalten Krieg gegen die Amerikaner. Sie spürt den Geheimnissen des Atombombenbaus nach und liefert den Russen wertvolle Informationen für den Bau einer eigenen Bombe – um ein Kräftegleichgewicht zu schaffen und einen weiteren Krieg zu verhindern. Nach außen hin erahnt niemand, mit wem er es bei Ursula Kuczynski, Codename „Agent Sonja“ zu tun hat: sie ist liebende Mutter, fürsorgende Ehefrau und berühmt für ihre Scones.
Ähnlich wie die Protagonistin führt auch das Buch quasi ein Doppelleben. Bereits das Cover changiert zwischen typischer Krimiaufmachung und historischer Monographie aus dem englischsprachigen Raum: dicke rote Lettern vor grauen Hintergrund, der schwarze Umriss einer weiblichen Silhouette von hinten. Und auch vom Inhalt her glaubt der Leser, es eher mit einem Spionagethriller zu tun zu haben, wüsste er nicht, dass dies die Biographie einer unglaublichen Frau und die Darstellung eines spannenden Kapitels der Geschichte der Spionage im 2. und im Kalten Krieg ist. Packend, kenntnisreich und mitreißend erzählt! Unbedingt lesenswert!

Bewertung vom 20.11.2022
Tage des Lichts / Kinderklinik Weißensee Bd.3
Blum, Antonia

Tage des Lichts / Kinderklinik Weißensee Bd.3


weniger gut

Babylon Kinderklinik Weißensee
Der dritte Band der „Kinderklinik Weißensee“ spielt in den Jahren 1929/30, die Jahre der Erfindung des Penicillin und der sich dem Ende zuneigenden Weimarer Republik, wie man auch dem lesenswerten Nachwort der Autorin entnehmen kann.
Darin kämpfen die Schwestern Emma, Kinderkrankenschwester, und Marlene, Kinderärztin in der Klinik Weißensee, um ihr berufliches und privates Glück sowie um das Leben ihrer kleinen Patienten. Der Klinik droht ob sich häufender Beschwerden von Eltern über das mangelnde Klinikmanagement die Schließung. Beide Ehen der Schwestern stehen vor dem Aus. Marlene hat sich so in ihre Arbeit gestürzt, dass keine Zeit für Kinder bleibt, und auch Emmas Kampf als neue Oberschwester lässt ihr wenig Zeit für ihre Kinder, sodass ihr Sohn auf die schiefe Bahn gerät. Und auch die Männer scheinen sich auf Abwegen in der Liebe zu befinden. Hinzukommt noch das plötzliche Auftauchen des Vaters von Emma und Marlene, der die Familie schon früh im Stich gelassen hat und dem die Schwestern nicht wirklich vertrauen können: Meint er es wirklich ernst?
Eigentlich beinhaltet die Geschichte viele spannende Erzählstränge, allerdings werden diese immer wieder mal aufgegriffen, wieder fallengelassen und irgendwann fortgesponnen, ohne dass sie sich wirklich zu einem Strang verknüpfen. Dabei bleibt alles ein wenig im Oberflächlichen, gerade die Geschichte der Erforschung des Penicillin, die auf dem Einband als Marlenes große Herausforderung thematisiert wird, aber letztlich nur ein paar Seiten als Nebendarstellerin bekommt. Es überwiegen die rührseligen, melodramatischen Schilderungen des Gefühlslebens der beiden Schwestern und ihrer Familien. Die Geschichte mit dem Vater, der unter mysteriösen Umständen immer wieder auftaucht und verschwindet, ist wenig glaubwürdig. Noch abstruser ist die Story um die Entgleisung der Klinik unter der Leitung der neuen Pflegeleiterin Marie Luise Fischer. Auf einmal tragen alle Schwesternschülerinnen Schminke, Schmuck, wiegen die Hüften, betrinken sich, feiern die Nächte durch und residieren in kleinen Luxuszimmern, um ihre Motivation zu fördern und den Pflegeberuf beliebter zu machen. Das wirkt schon eher komisch in seiner Lächerlichkeit. Etwas weniger Kitsch und Rührseligkeit hätten aus den Ideen eigentlich einen guten Roman werden lassen können, zumal der historische Hintergrund genügend Spannung bietet, dass es solcher überdrehten Einfälle nicht bedurft hätte.

Bewertung vom 04.11.2022
Zwischen heute und morgen / Drei-Städte-Saga Bd.2
Korn, Carmen

Zwischen heute und morgen / Drei-Städte-Saga Bd.2


ausgezeichnet

Wie eine Familie
„Zwischen heute und morgen“ ist der zweite Teil von Carmen Korns Drei-Städte-Saga. Und zwischen heute und morgen“ passiert viel in Hamburg, Köln und San Remo, wo die Familien wohnen, um die es geht und die durch verschiedenste Bande miteinander verknüpft sind. Da sind die älteren Generationen von Kurt und Elisabeth, Gerda und Heinrich und Margarethe mit Bruno, die sich fragen, was das Leben noch für sie bereit halten mag. Während der eine das Gefühl hat, da müsse es doch noch mehr im Leben geben, wie Kurt, wünscht sich der andere etwas Ruhe und Schonung von allzu vielen Schicksalsschlägen, wie zum Beispiel Bruno, der große Verluste zu verzeichnen hat. Da sind die nachfolgenden Generationen von Ursula und Joachim, Nina und Vinton, Ulli und Carla sowie Gianni und Corinne, die sich in ihrem Leben eingerichtet haben und sich doch immer wieder selbst in ihren Beziehungen und Rollen in Frage stellen. Und da sind die vielen Einsamen und Verlassenen, die Aufnahme finden, in den Schoß dieser übergroßen Familie, wie z. B. Pips, der noch immer damit kämpft, sein Trauma der Verfolgung durch die Gestapo zu verwinden, oder Billa und Lucy, Heinrichs Schwestern und übriggeblieben aus der Generation, denen der Krieg die Zukunft raubte, oder Jules, den die Frau verlässt für eine Hippiekommune auf Korsika und der zum Retter der Familie Margarethe und Bruno Canna avanciert. Wahrlich es passiert viel, viel Menschlich- und Zwischenmenschliches, die großen und die kleinen Schicksalsschläge, Alltag und Ausnahmezustand. Die Weltgeschichte der 60er Jahre – Adenauer, APO, Armstrong auf dem Mond … - und die jeweiligen Lebensarten im nördlichen Hamburg, im jecken Köln und im südländischen San Remo bilden lediglich den dezenten Rahmen dafür. Aber mit viel Wissen um Historisches und Kulturelles und Sittengeschichtliches zeichnet die Autorin einen bunten, stimmungsvollen Rahmen für diese ganzen Leben, an denen der Leser so gerne Anteil nimmt. Ich mag den Schreibstil der Autorin, die mit kurzen Sätzen und einfachen Worten so tiefgehende Gefühle inszenieren kann, gerade weil sie keine Gefühlspanoramen ausbreitet, sondern zwischen dem Beschriebenen Platz lässt, dass der Leser selber fühle. Ich habe die kleineren und größeren Alltagsgeschichten sehr gerne, die sie da vor sich hin perlen lässt ohne Pathos und großen dramatischen Spannungsbogen, aber doch mitreißend und vertraut, sodass der Leser sich selbst in den Geschichten wiederfinden kann. Und ich liebe ihre Figuren, natürlich insbesondere die ruhigen, die feinen, die unaufgeregten, die unprätentiösen, doch auch bisweilen angefochtenen, die den Dreh- und Angelpunkt der Familiengeschichten darstellen, wie Gerda und Margarethe und Heinrich, Kurt und Jules. Und wünschte, ich wäre Teil dieser Familie(n) und hätte diese ‚Menschen‘ an meiner Seite, damit ließe sich doch leben, gut leben.
So ist die einzige Trübsal dieses Buches, dass es zu Ende geht und dass es das letzte der Reihe ist. Aber da diese Reihe der Jahrhunderttrilogie folgte, mit der sie viel gemein hat, bleibt zuletzt die Hoffnung, dass die Autorin vielleicht schon über ein ähnliches Projekt sinniert.

Bewertung vom 17.10.2022
Die Mauersegler
Aramburu, Fernando

Die Mauersegler


gut

Der eingebildete Unzufriedene
Der Philosophielehrer Toni ist mit seinem Leben unzufrieden und nimmt sich vor, sich in genau 365 Tagen das Leben zu nehmen. Bis dahin will er jeden Tag aufschreiben, was er erlebt und was er überlegt.
Die Idee finde ich spannenden. Mich hat dabei weniger die Frage interessiert, was genau ihn zum Suizid führt und ob er ihn denn dann auch vollzieht. Letzteres nur bedingt, weil mich vielmehr die Frage umgetrieben hat, ob er ihm Leben in diesen 365 Tagen etwas findet, das ihm das Leben lebenswert erscheinen lässt. Stattdessen aber verliert man sich in den Nörgeleien eines chronisch Unzufriedenen, eines Unsympathen, der keine wirklichen Probleme und somit auch kaum Grund zum Selbstmord hat. Kann das wirklich Satire sein? Da sind mir die Molierschen Figuren deutlich lieber in ihrer krassen Überzeichnung, mit der der französische Meister sich über sie lustig macht. Der Held hier nimmt sich meiner Ansicht nach selbst viel zu wichtig. In seinen Aufzeichnungen dreht er sich nur um sich, springt hin und her. Es geht weniger um das Jetzt und Hier als viel mehr um das Einst und Irgendwo. Sicherlich ist die Sprache – in der Übersetzung – schön und das Buch klug geschrieben, aber wenn sich keine Beziehung zum Helden oder vielmehr Anti-Helden aufbauen lässt, könn(t)en 800 Seiten schon lang werden und der Suizid des Helden eine Erlösung sein.