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schreibtrieb

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Insgesamt 174 Bewertungen
Bewertung vom 16.08.2016
Frankensteins Erben
Davids, Jens-Ulrich

Frankensteins Erben


gut

Peh ist Dozent an der Uni und hat die Aussicht auf eine eigene Professur. Dafür müsste sein neues Stück, das er mit Studenten inszeniert, aber auch besonders gut sein. Peh entscheidet sich für Frankenstein. Zusammen mit seinen Studenten analysiert er Mary Shellys modernen Prometheus, bekommt dabei Hilfe von der Autorin selbst. Daneben bahn sich eine Beziehung zwischen ihm und seiner Studentin Tamar an. Deren (Ex-)Freund will die Welt verbessern – notfalls auch mit Theater.
Der Theaterroman ist dann sehr ernüchternd ein Roman, der dramengleich in fünf Akte geteilt wird. Dann wird auf der Metaebene auch noch ein Theaterstück inszeniert. Das ist schon gut gemacht. Ein Stück im Stück. Noch dazu geht es immer mal wieder um Theatertheorie und die Schauspielerei des Alltags. Trotzdem hatte ich das Gefühl, der Autor will zu viel.
Ich war über die ersten zwei Akte sehr begeistert. Mit intellektuellem Gespür schafft der Autor aus der Not des Universitätsbetriebs den Auslöser der Handlung. Das Abdriften in etwas sehr wissenschaftliche und essayistische Überlegungen des Protagonisten – auch mal im Dialog mit dem besten Freund dargestellt – hat dem Theaterroman durchaus seine eigene Würze verliehen und eben zu einem nicht alltäglichen Roman gemacht.
Verwirrt, aber im ersten Moment auch neugierig wurde ich, als Mary Shellys Geist Dozent wie Studenten erscheint und Passagen von Frankenstein ins rechte Licht rückt. Auch die Analyse und unterschiedlichen Interpretationen des Romans fand ich hier noch ganz passend. Schnell aber hat mich das Eingreifen der Instanz aus der Geisterwelt gestört. Als würde hier die einzig richtige Sichtweise aufgezeigt. Auch die Ignoranz, die die Figuren der fantastischen Erscheinung zollten, machte die Erscheinung selbst schlicht unnötig. Meiner Meinung nach auf jeden Fall ein Zoll zu viel.
Der weltverbessernde Student ist zwar für den Ausgang der Geschichte unerlässlich, passt aber von Anfang an nicht ins Bild. Ein steter, unterschwelliger Kampf zwischen ihm und Peh verleiht der Geschichte zwar Spannung, lenkt aber auch vom so breit getretenen Theaterthema (im wissenschaftlichen Bereich) ab. Spätestens hier zeigt sich, dass ein paar Überlegungen weniger der Handlung gutgetan hätten.
Auch das perfide amouröse Spiel zwischen Peh und seiner Studentin haben nicht viel Mehrwert, sind eben lediglich Spiel, dafür aber ein sehr breit getretenes. Ob das wirklich sein muss, wage ich zu bezweifeln. Zumindest hätte auch dieser Teil etwas in den Hintergrund treten können, statt teilweise so im Mittelpunkt zu stehen.
Die verschiedenen Facetten bereichern zwar durchaus den Roman, machen ihn aber schnell zu voll, so dass der Leser spätestens nach dem dritten Akt überquillt und für das fulminante und geistreiche Ende kaum noch Kapazität hat. Das ist wirklich schade, denn mit wenigen Kürzungen hätte der Roman einer von den großen sein können. Klug, witzig, geistreich und gleichzeitig ernst. Vor allem der wissenschaftliche Teil, die langen sich drehenden Dialoge, die der Handlung im Weg stehen, hätten kürzer ausfallen müssen, um den Teilbereichen genug Raum zu lassen.
Ich empfehle das Buch darum gerade für Leser mit etwas wissenschaftlichem Hintergrund, Theaterliebhaber, Frankensteinenthusiasten. Das Ende, soviel noch, ist zumindest ausgefallen und ein gut gewählter Höhepunkt.

Bewertung vom 15.08.2016
Hausbesuche
Quitterer, Stephanie

Hausbesuche


ausgezeichnet

Stephanie ist in Elternzeit und lebt in Berlin. Als Mutter gehört sie plötzlich zum Feindbild. Als eine alte Freundin ihres Mannes sie als „auch eine von denen“ beschimpft, plant sie, Vorurteilen den Kampf anzusagen. Bewaffnet mit Kuchen, Kaffeepulver und Teesortimenten klingelt sie sich die Finger wund. Und wird tatsächlich eingelassen.
Neben vielen Muttersein-wasnun-Büchern ist dieses erholsam. Denn Stephanie Quitterer kommt nicht nur mit einer eigentlich traditionellen und darum so innovativen Idee daher, sie hat auch auf vieles einen anderen Blickwinkel. Erstens lebt sie eben nicht in einem jener Berliner Viertel, in denen der Kinderwagen zum guten Ton gehört. Vielmehr begegnet ihr als Mutter Argwohn. Und dann auch noch eine Zugezogene. Zweitens ist sie gerade nicht der extrovertierte Typ, der leicht auf fremde Menschen zugeht. An Türen klingeln ist für sie nicht Selbsterfüllung, sondern Überwindung.
Herrlich ehrlich, bisweilen ironisch, oft aber einfach nur nachdenklich und erfrischen klar ist ihr Blick. Die Angst vor der Festung, dem Nobel-Wohnhaus der Straße. Die Überraschung, eingelassen zu werden. Das Kennenlernen – oder auch nur flüchtiger Erhaschen eines Blicks. Mit Neugier für Mensch und Wohnraum geht die junge Mutter ans Werk. Und ist vieles, aber keine Freizeit-Bäckerin.
Dabei geht die Autorin nicht nur auf die Frage nach der Gentrifizierung Berlins ein, sondern lässt Raum für persönliche Schicksale. Wie den Mann, in dessen Wohnung nicht mehr als eine Matratze ist. Oder die Frau, deren Sohn mit 12 tödlich verunglückte, und die einfach nicht wegziehen kann. Aber auch das schwule Pärchen mit den zwei Töchtern oder der betriebsame Arzt. Alle wohnen sie in einem Viertel, manchmal Tür an Tür. Ohne den anderen zu kennen.
Sinnbild dieser Frage nach dem Nachbarn ist Astrid, bei der Stephanie mit Kuchen am Tisch saß, die ihrerseits Neugierig auf den eigenen Nachbarn ist. Die Anonymität der Großstadt wird auf skurrile Weise zur Schau gestellt und an der Nase herumgeführt. Bis sie vor einem Kuchen anlangt, der gegessen werden soll. Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen.
Bisweilen ist dann auch die Tochter dabei, begeistert über fremde Menschen, neue Gesichter, Eindrücke und Ablenkung. Doch natürlich ist nicht alles Friede Freude Eierkuchen. Viele Türen bleiben geschlossen. Stephanie muss mit Ablehnung und Zurückweisungen umgehen. Sie wird angeschrien und nicht zuletzt ausgelacht – vom eigenen Mann. Der schwankt zwischen Spott und extremer Besorgnis. Nicht nur die Faszination des Fremden hinter der nächsten Tür ist da, auch die Angst davor. Und selbst Stephanie kennt sie, will die Fremden, die nun auch sie besuchen, gar nicht reinlassen. Ein Paradox der Selbsterkenntnis.
Das entstandene Buch ist nicht etwa eine Sammlung von Blogbeiträgen, sondern sorgfältig ausgewählt und mit einem roten Faden versehen. Jedem Kapitel ist ein Rezept vorangestellt, dass es mich in den Fingern juckt, den Backofen anzuschmeißen. Vom Entstehen der Wette mit sich selbst, bis zum letzten Hausbesuch, denkwürdig, vollkommen vielleicht. Dazwischen aber auch Mußetage, innere Überlegungen und die Entwicklung des Blogs parallel zu dem der Kuchenwette. So wird Hausbesuche auch zu einem Buch über das Bloggen, über das Leben an sich. Über Streitereien, lange Nächte, neue Dinge. Mit einem denkwürdigen Ergebnis. Eine Nachbarschaft ist entstanden.

Bewertung vom 09.08.2016
Das Labyrinth der Träumenden Bücher / Zamonien Bd.6
Moers, Walter

Das Labyrinth der Träumenden Bücher / Zamonien Bd.6


sehr gut

Ein geheimnisvoller Brief lockt Hildegunst von Mythenmetz, seines Zeichen berühmter Dichter in der Sinn- und Schaffenskrise, zurück nach Buchhaim. Vor 200 Jahren war er Zeuge, wie die Stadt der träumenden Bücher verbrannte. Nun ist sie längst wieder aufgebaut. Größer, fantastischer und mysteriöser als damals. Und Mythenmetz trifft auf seiner Reise nicht nur alte Bekannte, sondern auch viel Neues. Neue Wesen, neue Erkenntnisse, neue Gefahren.
Ich bin sehr enthusiastisch an das Buch herangegangen. Selbstironisch und mit viel Humor beginnt der Roman. Mythenmetz hat das Orm verloren, er schreibt, ohne zu schaffen. Ein Leserbrief holt ihn aus der Lethargie. Unterschrieben von ihm selbst. Und das ist noch nicht das Verworrenste. Also packt der beleibte Lindwurm seine Sachen und stapft los.
Die erste Hälfte des Buches habe ich wirklich verschlungen. Die Selbstironie, die nicht nur auf den „Autor“ Mythenmetz wirkt, sondern auch auf Moers selbst. Die Erinnerungen, die Mythenmetz wachruft. Und vor allem all das Neue, was er sieht, was er erfährt und die Geschichte von Buchhaim zusammenrafft. Mit viel Witz und einem erstaunlichen Blick für Wesenszüge werden beispielsweise die verschiedenen Buchmenschen Buchhaims charakterisiert. Lebende Zeitungen fassen die Vergangenheit zusammen. Der so von sich eingenommene Dichter staunt und lernt, wird offener und sein Blick verändert sich.
Auch das Widersehen mit alten Figuren hat mich gefreut. Nicht nur, weil so der Bogen zur Stadt der träumenden Bücher auch auf andere Weise hergestellt wird, sondern auch weil sie so herrlich ehrlich mit Mythenmetz umgehen. Er, der zum Autor per se deklariert wird, erfährt hier die klarsten Worte. Keine destruktive Kritik, sondern schlichte Ehrlichkeit.
Danach aber wurde der Roman träge. Die Handlung schlief teilweise ein, während Mythenmetz sich über Kapitel hinweg mit dem Puppetismus beschäftigt. Auch das eingeführte Theaterstück, das die Handlung der Stadt der träumenden Bücher widerkäut war schlicht in ihrer Länge fehl am Platz. Die Trägheit des Dichters, die der Roman so deutlich aufzeigt, wird hier auf eine andere Ebene übertragen. Der Leser ist hier ein Mythenmetz-Leser, der sich durchkämpfen muss. Literaturwissenschaftlich klug, faszinierend und spannend. Aus Sicht des Lesers eher zäh.
Auch dieser Zähheit kann sich der Roman dann auch erst gegen Ende wieder befreien. Spannung und Geheimnisse, Angst und Neugierde. Ein Ende, das auf den Anfang referiert und alles gelesene in Frage stellt. War alles nur unsichtbares Theater? Dieser Gedankengang macht das Buch am Ende wieder ganz gut. Denn hinter diesem Vorbehalt liest es sich anders. Nebensächlichkeiten werden wichtig und Randfiguren erstrahlen neu. Gewieft. Und doch rettet es das Buch aus meinen Augen nicht ganz.
Wer Moers mag sollte das Labyrinth der träumenden Bücher auf jeden Fall gelesen haben. Sein Stil ist auch hier wunderbar, die Wortschöpfungen und Metaphern genial. Die Handlung stagniert zeitweise, bekommt aber mit dem Ende ein ganz neues Gesicht. Fragen über Fragen treten plötzlich auf, die unbeantwortet bleiben müssen. Reflexion ist gefragt. Der Leser wird zum Nachleser und zum Leser danach. Ein guter Schachzug, trotz allem.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.08.2016
Herz aus Gold und Asche
Ammon, Katja

Herz aus Gold und Asche


gut

Elin kann ihr Glück kaum fassen. Sie ergattert einen Job bei einem großen Pharmakonzern, bei dem das Chemiestudium mit eingeschlossen ist. Seit dem Tod ihrer Eltern hatte sie das schon in den Wind geschrieben und nun ist es in greifbarer Nähe. Aber hat der Konzern, bei dem auch ihr Vater gearbeitet hat, vielleicht doch Schuld an dessen Tod, so wie ihre Tante es glaubt? Für Elin ist klar, sie will dort trotzdem arbeiten, denn dort wird ein Mittel gegen Krebs entwickelt, das auch ihrem Bruder das Leben retten kann. Aber als sie einem alten Familiengeheimnis auf die Spur kommt und der Wachmann Esra ihren Weg kreuzt, ändert sich plötzlich alles.
Basilisken in einem fantastischen Roman finde ich tatsächlich erfrischend. Besonders, wenn sie wie hier positiv dargestellt werden. Die Autorin greift alte Ängste auf, spielt damit und ist kreativ. Dass das Ganze dann noch in Basel spielt und dadurch nochmal ganz andere Konnotationen geweckt werden, ist wirklich gut gemacht. Dass Katja Ammon selbst Baslerin ist, ist auch an den authentischen Beschreibungen der Stadt zu merken. Nicht schwammig, sondern detailliert wird hier das Bild aufgebaut.
Auch der Handlungsstrang ist im Grunde gut durchdacht. Klassische Elemente wie der Tod der Eltern und ein Familiengeheimnis reihen sich an eigene Überlegungen und Metaphern. Wie die Autorin die Basilisken beschreibt ist weit ab von erschreckenden Riesenschlagen mit gefährlichen Augen. So spielt auch die Gefahr für die Beziehung von Elin und Esra eher eine untergeordnete Rolle. Er schiebt sie nicht von sich weg und sie beharrt auch nicht darauf, ihm zu vertrauen. Ein ganz guter eigener Weg.
Vieles bleibt aber auch schlicht nur in Ansätzen vorhanden. Wie sich überhaupt eine Beziehung zwischen Elin und Esra aufbaut, ist eher schleierhaft, sprunghaft und ziemlich emotionslos. So als müsste es eben so sein. Ein wenig abgebrüht. Auch andere Elemente wirken zu oberflächlich. Der Stil ist gut, aber hat mich nicht richtig in die Geschichte hinein gebracht. Lesbar, aber der große Genuss blieb leider aus. Auch ist Elin trotz ihrer Macht vor allem passiv und überzeugt eher durch innere Stärke. Und Esra hat Schreckliches hinter sich, will eigentlich ausbrechen, bleibt aber allzeit besonnen. Kleinigkeiten, die nicht zusammen passen.
Immer wieder musste ich darum die Stirn runzeln. Beispielsweise als Elins beste Freundin erklärt, die Basilisken vor langer Zeit aus Furcht um ihr Leben verlassen zu haben, aber ohne Probleme zurück kommt, als Esra ihre Hilfe braucht. Oder wie schnell Elins Vorgesetzter, der auf sie steht, sich an eine andere schmeißt. Auch fehlen die Zwischengestalten für meinen Geschmack. Im Grunde ist alles sehr einfach in Gut und Böse geteilt – auch wenn beide Eigenschaften in beiden Spezies vorkommen.
Ein bisschen Grundspannung also die fehlt. Ein bisschen Oberflächlichkeit im Stil. Ein bisschen Schwäche in den Charakteren. Und ein bisschen mangelnde Umsetzung der Handlungsansätze. Viele „ein bisschen“, die es mir schwer gemacht haben, den Roman wirklich zu genießen – obwohl Grundidee und Grundstil gelungen sind.

Bewertung vom 05.08.2016
Wie Monde so silbern / Luna Chroniken Bd.1
Meyer, Marissa

Wie Monde so silbern / Luna Chroniken Bd.1


sehr gut

Cinder ist die beste Mechanikerin in Neu-Peking. Aber Cinder ist auch eine Weise und ein Cyborg. Damit steht sie auf der untersten Stufe der Gesellschaft. Von ihrer Adoptivmutter wird sie wie eine Sklavin behandelt. Ihre einzigen Freundinnen sind ihre Adoptivschwester und eine Adroidin. Eines Tages kommt ausgerechnet der Kronprinz Kai zu ihrem Laden und bittet sie, seinen Roboter zu reparieren. Den braucht er dringend, um gegen die Königin des Mondes vorzugehen. Doch als Cinders Schwester von einer tödlichen Krankheit befallen wird, lässt die Mutter Cinder als Versuchskaninchen benutzen. Aber auch der Kaiser ist krank und als Cinder gegen die Krankheit immun scheint, ist sie für die Forschung. Bald weiß Cinder nicht mehr, wer sie ist. Nur, dass sie und die Königin mehr gemeinsam haben, als ihr lieb ist und Prinz Kai sie unbedingt auf seinem Ball dabei haben will.
Die Aschenputtel-Thematik ist überdeutlich. Geradezu akribisch geht die Autorin vor und so ist es weniger erstaunlich, was als nächsten passiert, als überraschen wie Marissa Mayer die Vorgaben des Märchens umschreibt. Als großer Märchenfreund war ich richtig verzaubert von den neu belegten Motiven und Windungen, die die Geschichte nimmt, während sie doch nur eine Parallele zu Aschenputtel darstellt. Diese Mischung aus Spannung und Erwartung ist wirklich gut gelungen und macht richtig Spaß.
Cinder selbst ist eine gut durchdachte Figur. Sie hadert mit sich selbst und dem gesellschaftlichen Duktus gegenüber Cyborgs. Ihre rechtliche Situation als Ding und die Dramatik, die dieses Schicksal für sie bedeutet prägen ihren Charakter. Gleichzeitig ist sie stark und störrisch. Keineswegs also eine blasse Heldin, die von den Umständen übermannt wird. Cinder entscheidet und handelt. Eine tolle Umschreibung des Aschenputtel-Charakters. Und eine tolle Entwicklung, denn auch Cinder kommt ja aus der Unmündigkeit.
Blasser dagegen ist Prinz Kai, der ehrenwerte Absichten hat. Seine Figur bleibt aber auf weiten Strecken farblos, geradezu nebensächlich. Auch die Gründe für sein Handeln und seine Entwicklung erschließen sich mir nicht. Oder vielleicht zu sehr. Manchmal erscheint er wie ein wandelndes Klischee eines sensiblen romantischen Mannes.
Die Idee der Krankheit und die Elemente des Science-Fiction finde ich wirklich gut. Denn hier werden Begründungen und Entwicklungen gezeigt. Gleichzeitig ist die Geschichte der Erde (und des Mondes) wichtig für die Handlung selbst. Vieles kommt so zusammen, was Wie Mond so silbern zu einem wirklich gelungenen Buch macht.
Der Stil hat mich sofort gefesselt. Der personale Erzähler begleitet vor allem Cinder und hängt sich nur selten an andere Figuren. Mit klaren Bildern und fesselnden Umschreibungen zieht der Roman sofort an. Dass einige Entwicklungen – nicht nur auf Ebene des Märchenstoffs – vorhersehbar sind, ist ein kleines Manko, das aber nicht den Lesegenuss schmälert.
Für mich schön ist, dass die Reihe bereits im Januar diesen Jahres beendet wurde. So kann ich gleich ungestört weiterlesen.

Bewertung vom 02.08.2016
Charlie und die Schokoladenfabrik, 3 Audio-CDs
Dahl, Roald

Charlie und die Schokoladenfabrik, 3 Audio-CDs


ausgezeichnet

Charlie lebt mit seiner Familie in einer ärmlichen Hütte in London. Nur einmal im Jahr kann sich die Familie eine Tafel Schokolade leisten – an Charlies Geburtstag. Dabei steht ausgerechnet auf Charlies Schulweg die berühmte Schokoladenfabrik von Willy Wonka. Eines Tages verkündet der, fünf Kindern und ihren Eltern Einlass in seine Fabrik zu gewähren, die seit Jahren niemand mehr von innen gesehen hat. Fünf goldene Eintrittskarten werden dazu bei den Schokoladentafeln mitverpackt. Für Charlie geht ein Traum in Erfüllung, als er eine der Karten findet. Da aber beginnt sein Abenteuer erst.
Charlie und die Schokoladenfabrik ist nicht erst seit der Verfilmung mit Johnny Depp schlicht ein Hit. Das Märchenland der Süßigkeiten, ein Fluss aus Schokolade und der Sieg der Tugenden. Diese seltsame Mischung aus Kindertraum und Erwachsenenlogik hat Roald Dahl märchenhaft festgehalten. Wo die anderen Kinder Gier, Hochmut, Maßlosigkeit und Eifersucht an den Tag legen ist er ruhig, besonnen, träumerisch und schlichtweg fasziniert. Dabei scheinen die Kritikpunkte wie übermäßiger Mediengebrauch, zu viel Naschereien, keine Grenzen kennen, … auch heute noch auf Erziehung und Kinder anwendbar.
Vielleicht ist Charlie und die Schokoladenfabrik gerade deshalb ein Klassiker. Weil die Geschichte wie keine andere den Wunsch der Eltern nach einem braven Kind auf der einen Seite und den Wunsch des Kindes nach Magie, nach Märchen, einfach nach mehr zeigt. Und gleichzeitig offenbart sie wie es nicht sein soll. Wie schnell Kinder ihre Kindlichkeit verlieren, wenn sie keine Grenzen kennen.
Charlie jedenfalls besticht durch seine Einfachheit, seine Loyalität und Durchschnittlichkeit. Während die anderen Kinder ständig negativ auffallen ist Charly der Archetyp eines Kindes. Immer Staunend, nie zweifelnd. Abgrenzungsmerkmal: arm. Dass gerade er der Held ist, ist erfrischend erholsam angesichts der ständigen Versuche, den Helden einer Geschichte noch ein bisschen besonderer zu machen.
Dahls Stil ist dabei spielerisch, kindgerecht und erzählend wie bei einem Märchenonkel. Gerade das paart sich wunderbar mit dem Sprecher Ulrich Noethen, der viel Ruhe zeigt, die Geschichte manchmal dahinplätschern lässt und gerade dadurch die Illusion des Vorlesens festhält. Mit der Fähigkeit, staunen zu lassen und selbst ruhig zu bleiben, macht Noethen aus Charlie und die Schokoladenfabrik ein wunderbares Hörbuch für Kinder.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.07.2016
Das Leuchten meiner Welt
Khan, Sophia

Das Leuchten meiner Welt


ausgezeichnet

Irenie findet im Zwischenstock über dem Büro ihres Vaters eine alte Kiste mit Briefen ihrer Mutter, die vor Jahren verschwunden ist. Seitdem führt das Mädchen den Haushalt und hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Vater den Verlust der Mutter stetig, aber indirekt vorzuwerfen. Sie versprüht das mütterliche Parfüm, raucht ihre Zigaretten, kocht ihre Rezepte. Nun beginnt sie die Briefe zu lesen und stößt auf eine tragische Liebesgeschichte zwischen ihrer Mutter und einem anderen Mann.
Dieses Buch gehört zweifelsohne zu meinen Sommer-Empfehlungen. Es hat etwas gedauert, bis ich mich mit Irenie anfreunden konnte. Sie wirkt als Erzählerin sehr erwachsen, agiert aber gleichzeitig wie ein störrisches Kind. Sehr gut kommt das raus, wenn der Vater mit einem personalen Erzähler eigenen Raum erhält und manche Begebenheiten so mehrere Perspektiven erhält. Irenie als unzuverlässige Erzählerin enttarnt, ist dagegen viel eindrucksvoller.
Gleichzeitig findet hier eine massive Entwicklung statt. Irenie wird zwar nicht erwachsen, aber erkennt, dass sie ihre Mutter immer verklärt hat. Es ist eine Entmythologisierung der Mutter und auch der Mutterfigur, die mich wirklich sehr fasziniert. Tatsächlich schafft Irenie es, die Erinnerungen an ihre Mutter und das, was sie über ihre Mutter als Frau erfährt mit unterschiedlichen Augen zu betrachten und sich trotzdem damit zu versöhnen.
Die Zeit, die Irenie in Pakistan verbringt, ist hier keinesfalls ein Kulturschock oder orientalische Verklärt. Schönes und Schreckliches trifft aufeinander, das Land wird vertraut, ohne je wirklich fremd zu wirken. Großartig gemacht. Hierbei die Parallele in die „grauen“ Staaten wirkt wie eine Rückbesinnung und zeigt deutlich die Loslösung von Vater und Tochter, so dass beide am Ende gestärkt und mit neuen Eindrücken aus der Geschichte gehen.
Etwas verleidet hat mir das Ende das Auftauchen des Jungen, der die Briefe an Irenie geschickt hat. Zwar wird hier der Einfluss des Vaters wesentlich wichtiger, gleichzeitig wirft der Roman die Frage der Wiederholung auf, die Kinder sind nur wegen der Vergangenheit ihrer Eltern voneinander angezogen, was ich etwas kitschig fand.
In Stil und Handlung habe ich mich hier schnell verloren und wurde vom Buch wirklich gepackt. Ein großartiger Roman über eine ganz andere Art von Liebe, die Erkenntnis, dass Liebe allein eben nicht reicht und Glück nicht immer einfach zu definieren ist. Lesenswert!

Bewertung vom 26.07.2016
Mord in der Villa Mafiosa (Spiel)

Mord in der Villa Mafiosa (Spiel)


sehr gut

Toni Travoni hat zum jährlichen Treffen der Ehrenwerten Gesellschaft geladen und alle sind gekommen. Signor Corleone mit seinem Chauffeur, Contessa Caprese und Tante Helga, Il Comandante, Schwester Ignatia und Black Betty. Doch ein Platz bleibt leer. Enrico Fratinelli, der Soßenpapst, wurde in der Küche ermordet und nun gilt es an den Anwesenden, herauszufinden, wer von ihnen der Mörder ist. Il Comandante, den Fratinelli beleidigt hat, die Contessa, an der er sich ran schmeißen wollte, Tante Helga, die er verleumdet hat oder gar die Nonne, deren Rezept er gestohlen haben soll? Jeder Anwesende hat gute Gründe, Fratinellis Ableben nicht zu betrauern, doch wer ist der Mörder?

Im Spiel enthalten sind sieben Einladungskarten, sieben Geheimakten und acht Stapel von Spielkarten, die an die Mitspieler ausgeteilt werden. Der Rahmen ist so gut abgesteckt, was gerade Rollenspielneulingen hilft, eine Struktur zu finden. Teilweise wirkt aber gerade diese enge Vorgabe zu straff. Damit das Spiel richtig in Fahrt kommt, müssten die Mitspieler von diesem Weg abweichen, eigenständig Fragen stellen und so den Verlauf des Abends beeinflussen. Dass dann aber wieder die vorgegebene Reihenfolge der Karten durcheinander gerät und die Mitspieler verwirrt, ist die Schwachstelle des Spiels.

Der Spielverlauf selbst ist gut durchdacht. Die unterschiedlichen Beziehungen der Figuren untereinander werden aufgebaut. Improvisationshinweise dienen dazu, diverse Verknüpfungen deutlicher zu machen. Hier sind die Mitspieler gefragt, sich auf ihre Rolle einzulassen. Bissige Kommentare hier, etwas flirten da, viel Gestik und Mimik. Manch einer mag einen italienischen Akzent einfließen lassen oder ganz in die Rolle des Mafiosi eintauchen. Variation und Vielseitigkeit halten so einen Abend lebendig und ich habe über manche Schauspielleistung nicht schlecht gestaunt. Wenn nicht genug mitmachen wollen oder Spieler abspringen, können Doppelrollen übernommen werden. Laut Spiel sind mindestens fünf Mitspieler notwendig.

Wir haben das Spiel mit richtigen Rollenspielern gespielt und auch solche am Tisch gehabt, die sowas noch nie gemacht hatten. Hierfür war das Spiel wirklich gelungen, da es den Neulingen genug Anleitung gab und den alten Hasen viele Vorgaben mitbrachte, so dass es hier nicht zu wild wurde. Sonst wäre am Ende gar die ganze Gesellschaft drauf gegangen^^. Die Gäste waren sich aber darüber einig, dass es sinnvoll wäre, nicht nur Einladung mit Personenbeschreibung und Geheimakte vorab herauszugeben, sondern auch die Karten schon im Vorfeld zu verteilen. So können die Rollen besser vorbereitet werden und der Abend wird nicht immer durch hektische Blicke auf die Spielkarten unterbrochen.

Das beigelegte Kochbuch wird bei uns einen festen Platz in der Küche bekommen. Die Rezepte sind lecker, einfach und kommen gut an. Ich habe nach dem Buch Zitronenlimonade selbst gemacht, Bruschetta, die Tomatensoße des Soßenpapstes und köstliches Zitronen-Hähnchen. Auch viele vegetarische Rezepte stehen darin, so dass wirklich für jeden etwas dabei ist. Die Tomatensoße gab es bei uns gleich noch einmal und auch einen Salat habe ich schon getestet. Kriminell lecker.

Für unser erstes Krimi-Dinner war es auf jeden Fall ein voller Erfolg. Alle hatte ihren Spaß, auch wenn gerade die Neulinge manchmal durch den engen Rahmen irritiert waren. Wer das Spiel mehr als einmal spielen will, muss Einladungen und Geheimakten kopieren. Das geht leider nur unhandlich wegen des Formats. Mit etwas Zeitinvestition geht es, könnte aber vom Verlag schon besser durchdacht sein. Wir werden auf jeden Fall noch einmal mit anderen Gästen an die Aufklärung des Mordfalls Fratinelli gehen. Und mit Sicherheit wird das nicht unser letztes Krimi-Dinner gewesen sein.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.07.2016
Dass ich ich bin, ist genauso verrückt wie die Tatsache, dass du du bist
Hasak-Lowy, Todd

Dass ich ich bin, ist genauso verrückt wie die Tatsache, dass du du bist


ausgezeichnet

5 Punkte, die genial an diesem Roman sind:

1- die Listen. Sie geben Struktur, trennen Themen, stiften einen Rahmen und sind so genau das, was Darren eigentlich braucht: Halt und feste Regel. Außerdem zeigen sie nicht nur großartige auf, wann manche Dinge überhaupt wichtig und von Bedeutung sind. Sie zeigen auch, wann wirklich eine Leerstelle besteht, die Auswirkungen auf Darrens Geschichte hat. Manchmal werden die Listen erst im Nachhinein oder über den Roman hinaus von Bedeutung.

2- dass es nicht nur um Listen geht. Oft versteckt sich hinter einem Listenpunkt ein ganzer Absatz. Ausformuliert, stilistisch treffsicher und zum darin versinken sind diese Absätze, die aus dem Listenbuch einen Roman machen.

3- die Musik. Darren spielt Bass und liebt es. Musik, das ist Darrens Sprache.


4- Darrens Familie. Alle haben Schuldgefühle, alle sind an einem Punkt, an dem sie über ihren eigenen Schatten springen müssen – oder es gerade getan haben. Extreme, vor allem aus Darrens Sicht, aber dahinter auch immer wieder Antreiber, nervige Therapiebeschwörer und alle durch diese große Verbundenheit zusammengehalten.


5- der Humor. Der Roman ist großartig komisch, sarkastisch und ironisch. Etwa wenn Darren sich im Ablauf mehrerer Monate immer wieder selbst die gleiche SMS schickt, oder schlicht leere Listen eingefügt werden, um zu verdeutlichen, dass hier eine Leerstelle existiert.

3 Punkte, die dagegensprechen:

1- In Darren brodelt es. Sein Leben ändert sich im Sekundentakt mit immenser Schlaggewalt. Ratlos steht er vor den Brocken, die ihm hingeworfen werden und ist im Grunde entsetzlich sauer. Doch selbst, wenn er ausbricht – immer in den unpassensten Momenten – springt seine Wut nicht richtig über. Etwas zu leicht, etwas zu harmlos wirkt dieser Ausbruch, der dann im Roman so schlimm stilisiert wird.

2- Darrens Vaters ist homosexuell und obwohl Darren immer wieder versichert, dass er damit kein Problem hat, ist klar, dass er eines hat. Das wird zwar groß thematisiert, aber nicht gelöst. Darren mag den neuen Lebensgefährten seines Vaters. Das ändert aber nichts an der unterschwelligen Wut selbst und die Krise, alles in schwul und nicht-schwul abzugrenzen. Die Lösung bleibt irgendwie aus. Es gibt keinen wirklichen Moment der Versöhnung mit dem Vater oder der Homosexualität.

3- Was mich insgeheim wirklich gestört hat, ist Darrens körperliche Veränderung. Am Anfang wird er eher als mollig beschrieben. Deine Identitätskrise lässt ihn plötzlich abnehmen und auch weniger essen, weil er sich immer zu dick fühlt. Das hier so unvermittelt und ohne Auswirkungen einzuweben hat mich ein bisschen geärgert.

Fazit
Der Roman ist von der Struktur her ganz klar innovativ, ungewöhnlich, erfrischend. Auch der Stil ist sehr gelungen, witzig und mitreißend. Die Geschichte fesselt und der Gedanke „Nur noch eine Liste“, setzt sich unwillkürlich irgendwann beim Lesen durch. Ein wahrer Genuss und für Leser aller Altersklassen geeignet. Gerade, wer nach neuen Formen des Romans sucht, wird hier fündig und nicht enttäuscht.
Dass die Listen nicht nur „einfach so“ genutzt werden, sondern die Katharsis der Hauptfigur unterstützen und in der Schlussliste sogar kritisch hinterfragt werden, zeigt wie Inhalt und Form zusammenspielen, ein Schema, das eigentlich vor allem aus der Lyrik bekannt ist. Diese Übertragung und die Selbstreflexion, die dahintersteht, machen den Roman nicht nur auf einer literarischen Ebene, sondern auch auf einer literaturwissenschaftlichen schlichtweg faszinierend. Todd Hasak-Lowy hat hier ein wirklich auf vielen Ebenen lesenswertes und beeindruckendes Buch geschrieben.