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Benutzername: 
Luisabella
Wohnort: 
Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 191 Bewertungen
Bewertung vom 31.05.2023
Im Morgen wächst ein Birnbaum
Altintas, Fikri Anil

Im Morgen wächst ein Birnbaum


ausgezeichnet

»Mein Vater sagte nur, du kannst dir deine Freunde oder deine Frau aussuchen, aber nie deine Familie.« (S.146)

In seinem autobiografischen Buch »Im Morgen wächst ein Birnbaum« 🍐 begibt sich der Autor Fikri Anıl Altıntaş auf Spurensuche und analysiert, wie komplex Männlichkeit ist. Er setzt sich intensiv mit sich, seiner Identität, Familie, Vorbildern, seinem Vater und der gemeinsamen Vater-Sohn-Beziehung (es gibt einen Brief an seine Anne, in dem er genau darauf eingeht) auseinander. Dabei hinterfragt er tradierte Männlichkeitsvorstellungen und -Erwartungen und gibt u.a. Einblicke in seine Kindheit und Jugendzeit, in erlebten Rassismus, in das Familienleben und, wie es sich anfühlt, wenn man als Kind um die Sorgen und Einsamkeit der eigenen Eltern erlebt.

»Ich möchte nicht mehr so sein wie er, und das ist auch gar nicht mehr schlimm. Denn auf Distanz zu gehen, das heißt auch anzuerkennen, dass wir auf unterschiedlichen Wegen jeder unser Glück finden. Und die Freude darüber gemeinsam teilen.« (S.169)

Es sind sehr zentrale Fragen, die der Autor für sich selbst erforscht: Wie werden wir, wer wir sind? Was prägt uns? Woran orientieren wir uns? Was gibt uns Halt? 🍐

Mit einer unglaublichen Wortgewandheit und Sprachkunst (was für literarische Sätze und feine Beobachtungen!) 😮‍💨 schreibt Fikri Anıl über Männlichkeit und auch über eine Zerrissenheit und Schmerz der innerhalb von Generationen weitergegeben wird und für den er selbst, einen Umgang geschaffen hat.

»Ah be, baba. Hätte ich gespürt, dass du so viel Trauer in dir trägst, hätte ich sie zusammen mit dir getragen. Du hättest mir gesagt, wohin es geht. Ich hätte keine Sekunde gezögert und das getan, was du von mir wolltest, damit du nicht weinst. Ich wusste, dass du heimlich weinst, auch wenn du es nicht vor uns getan hättest.« (S.145)

Ein unglaublich gut geschriebenes Buch; eine Auseinandersetzung und Neujustierung von Männlichkeit sowie Erwartungen, die seines gleichen sucht; und eine Spurensuche, die so facettenreich und deutungsschwer ist, dass ich das Buch direkt wieder von vorne beginnen möchte.

Herzensempfehlung: Unbedingt lesen 🧡

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Bewertung vom 17.05.2023
Habibitus
Yaghoobifarah, Hengameh

Habibitus


sehr gut

»Ironisch dabei ist, dass Almans sich arrogant als Maßstab des angemessenen Verhaltens betrachten und so tun, als ob sich nicht die ganze Welt über den weiß-deutschen Habitus lustig machen würde.« (S.43). 💥

Hengameh Yaghoobifarah kann es einfach - Witze fucking gut, niveauvoll und on Point zu formulieren 🤌🏼 Diese Superkraft 🚀 kombiniert mit sehr viel politischen und geschichtlichen Wissen, ihrer politischen Überzeugung und Queerness führt — wie wir hier sehen — zu krass guten, vielseitigen, mal mehr witzig - mal mehr sarkastisch - mal mehr den Finger in die Wunden legenden - Kolumnen-Beiträgen »HABIBITUS« 🔥

Nach den beiden ersten Büchern: Der Anthologie »Eure Heimat ist unser Albtraum« (Herausgegeben mit Fatma Aydemir) und dem Roman »Das Ministerium der Träume« folgt mit »HABIBITUS« das dritte Buch.

Die Namensgleichheit mit Hengameh’s Kolumne in der taz (2016-2022) ist darin begründet, dass in diesem Buch einige der erschienen »HABIBITUS«-Kolumnenbeiträge nach Themen strukturiert, versammelt worden sind. Was soll ich sagen? Als Fan der »HABIBITUS«-Kolumne bin ich selbstverständlich großer Fan des Buches 🫧💜 Erschreckend, wie aktuell einige Beiträge aus den Anfängen der Kolumne noch heute sind - und das meine ich nicht im positiven Sinne für uns deutsche (hoffentlich alle Süß🍠🍟-) Kartoffeln 🥔 😮‍💨

Das Vorwort von Fatma Ayedemir (bei der Kolumne auch als Redakteurin dabei) und das Nachwort der Autor/in rahmen die versammelten Artikel sehr gekonnt ein und heben die Aktualität hervor.

GROSSE LESEEMPFEHLUNG 🔥

Bewertung vom 12.05.2023
Die Sache mit der Angst
Heerma van Voss, Daan

Die Sache mit der Angst


gut

Daan Heermas Leben wird von seinen Ängsten geprägt. Als es seiner Partnerin mit ihm und seinen Ängsten zu viel wird, sieht er sich gezwungen, sich mit sich und seiner Angst auseinanderzusetzen. Und wie sollte er — Autor, Journalist & Historiker — dies besser tun, als dies wissenschaftlich und literarisch aufzuarbeiten?

AND HERE WE GO: Herausgekommen aus dieser Auseinandersetzung ist das (erzählende) Sachbuch »DIE SACHE MIT DER ANGST. und wie ich lernte, damit zu leben« von Daan Heerma Von Voss (aus dem Niederländischen übersetzt von Gregor Seferens).

Mit diesem Buch begleiten wir den Autor bei der Erforschung seiner Angst und damit verbunden Angstgefühlen, Phobien und Panik im Allgemeinen. Dabei analysiert er u. a. seine Familiengeschichte; inwiefern Angst vererbbar sein kann; woher Angst kommt und was sie kennzeichnet und ausmacht. Er zieht dabei wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Psychologie, Medizin, Philosophie und Geschichte heran und schafft zum Einen ein wissenschaftliches Verständnis von Angst, zum Anderen trägt er mit seiner persönlichen Geschichte sowie den Schilderungen von Gesprächen mit anderen Betroffenen dazu bei, dass wir Angst auch aus einer persönlichen Perspektive besser verstehen.

»Für mich ist nach gut 30 Jahren Angsterfahrung der Unterschied zwischen realen und irrealen Ängsten vollkommen uninteressant geworden. Auch nur schwer vor-stellare Ängste sind für denjenigen, der darunter leidet, von großer, ja sogar von existenzieller Bedeutung. […] Angst ist immer existenziell. […] Außerdem ist aus neurologischer und physischer Perspektive jede Angst gleich real, so harmlos oder ›irreal‹ der ursprüngliche Auslöser auch gewesen sein mag.« (S.39)

Warum empfehle ich dieses Buch? Ich habe vieles zur ›Angst‹ lernen können und neue Perspektiven darauf erfahren. Ich würde es als erzählendes Sachbuch einstufen - ich hätte mir persönlich, eine klarere Abtrennung durch Stuktur wie Überschriften und Absätze von wissenschaftlichen Inhalten und persönlicher Schilderung und Perspektive gewünscht. Teilweise empfand ich diese als ausufernd. Insgesamt ist es ein sehr gutes Buch, dass das Verständnis von Angst sehr fördert und ich allen, die sich damit ebenfalls auseinandersetzten möchten, sehr ans Herz legen kann.

Bewertung vom 11.05.2023
Das Ende der Ehe
Roig, Emilia

Das Ende der Ehe


ausgezeichnet

»Die Institution der Ehe kann nur aufrechterhalten werden, indem die Paarbeziehung als wichtigste zwischenmenschliche Beziehung gefördert und forciert wird. Romantische und sexuelle Partnerschaften werden so hoch bewertet, dass der Begriff »Beziehung« in der Regel mit »romantischer Zweierbeziehung« gleichgesetzt wird.« (S. 61)

Warum ist die Ehe keine private Angelegenheit? Was bedeutet die heterosexuelle Normvorstellung von Beziehungen und Ehe sowie Amatonormativität für uns alle? Wieso profitieren vor allem Männer von der heterosexuellen Ehe und Frauen werden dadurch eher benachteiligt?

Diese und viele weitere Themen analysiert, seziert und revolutioniert die Autorin Emilia Roig in ihrem neusten Sachbuch »DAS ENDE DER EHE. Für eine Revolution der Liebe«. Wie auch in ihrem ersten Sachbuch nutzt die Autorin viele wissenschafltiche Belege und ergänzt viele Thesen auch um anschauliche Beispiele - gerne auch aus ihrem eigenen Leben. Bei einer These bzgl. Der X- und Y-Chromosomen fand ich die Argumentation weder schlüssig noch umfangreich und ausreichend belegt (es wird sich nur auf eine Quelle bezogen). Wie auch in ihrem ersten Buch werden viele feministische Themen aufgegriffen und dargestellt — wenn mensch sich viel mit diesen Themen auseinander setzt, kann dies ggf. wiederholend sein — aber dann prägt es sich im Zweifel besser ein 😏 Insgesamt finde ich ihre Argumentation für die Revolution der Liebe und Institution Ehe aber sehr schlüssig, absolut notwendig und wir sollten dies ALLE und auch zusammen dringend tiefer diskutieren.

»Die Ehe mag unerlässlich und unantastbar erscheinen, doch wir können sie loslassen — für die Überwindung des Patriarchats und die längst überfällige Revolution der Liebe.« (S.355)

Ein großartiger Denkanstoß und Diskussionsanstoß, den ich ALLEN sehr empfehlen kann. ❤️‍🔥

Bewertung vom 08.05.2023
12 Grad unter Null
Herzig, Anna

12 Grad unter Null


ausgezeichnet

Wie eiskalt und berechnend kann ein Mensch sein?
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Well. — Stell’ Dir ein Land vor, das vom Geld regiert und von Männern bestimmt wird. Eine Gesellschaft, die Beziehungen in Geld aufrechnet. Und ein Gesetz, dass Männer berechtigt alles von Frauen zurückzufordern. — OK, nicht alles, aber alles, was sich in Geld aufrechnen lässt - also quasi ALLES. Was kostet uns dieses FRAUSEIN?
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»12 GRAD UNTER NULL« 🥶 von Anna Herzig spielt genau dieses Szenario durch.

Anna Herzig entführt uns in eine dystopische Zukunft 2024, in der im fiktiven Land Sandburg das Geld und mit diesem das Patrichariat regiert. Dies gipfelt in dem §5 des ‚Weitmannschuldengesetz‘ (sog. Frauenschuldengesetz), das Männern erlaubt, jede verschenkte, geborgte und investierte Summe in einer Beziehung an eine Frau auf einen Schlag zurückzufordern (unbedeutend festzustellen, dass die Legislative nicht mehr neutral ist: Die Nachweis-Art ist natürlich unbedeutend). Rechtsgrundlage: Männlich sein und Beziehung(en) mit Frau(en) geführt zu haben (, wobei das Gesetz für 7 Jahre zurück langt). Und Frauen, die der Geldforderung nicht nachkommen (können), werden via Gesetz entmündigt. 🤑

»„Zahl deine Schulden, Greta. Damit kannst du dir meinen Respekt wieder verdienen. Danach sehen wir, ob ich dich noch brauchen kann." Damit ließ er sie alleine in der Küche zurück, man konnte die Welten splittern hören.« (S.37)

Dass dieses Szenario innerhalb kürzester Zeit existenzbedrohend für Frauen jedes Alters wird, dass dies nicht nur heterosexuelle Paare auseinander treibt, sondern ganze Familien spaltet, dass diese Dystopie krass, hart, FLINTA*-verachtend und menschenunwürdig ist, aber ganz subtil daher kommt, macht sie noch krasser. 🥵

»Die schlimmste Dystopie war die, von der man nicht merkte, dass sie bereits zur Realität geworden war.« Greta (S.106)

In ihrem parabelhaften Roman legt die Autorin den Finger auf die Wunden unserer heutigen Gesellschaft: Femizide, finanzielle Ungerechtigkeiten & Unterschiede, das Patrichariat, Glaubwürdigkeit & Anzweifelungen — um nur ein paar zu nennen. Anna Herzig beschreibt ein wirkliches KRASSES Gedankenspiel 🤯, eine Dystopie, die hoffentlich niemals Realität wird.

»12 GRAD UNTER NULL« ist ein schmaler Roman, der mit einer Wucht 💥 daher kommt, die noch lange nachhallt. Pointiert, klug, mutig, mit scharfen, prägnanten Sätzen, starken Metaphern 🥣, Interpretationsspielraum und einer anderen Kapitelstrukturierung hat dieser Roman mich wirklich sehr beeindruckt, ein wenig verstört 🥵 und gepackt.

Große Leseempfehlung von mir für diesen HAMMER ROMAN ❤️‍🩹

[CN: physischer + psychischer Gewalt, sexuelle Nötigung, toxische Beziehungen]

[4.5|5 ☆ ]

Bewertung vom 02.05.2023
3000 Yen fürs Glück
Harada, Hika

3000 Yen fürs Glück


schlecht

»3000 YEN FÜRS GLÜCK - Ein Familienroman über die Kunst des Sparens« ist der neue Roman der japanischen Autorin Hika Harada, übersetzt aus dem Japanischen von Cheyenne Dreißigacker.

Der Roman setzt sich mit verschiedenen Themen wie Unabhängigkeit von der eigenen Kernfamilie, Geld / Finanzen / Sparen, Job, Selbstbestimmung und Familienbeziehungen auseinander. Genau richtig ist es, das Thema Finanzen aus den gesellschaftlichen Tabu-Schubladen herauszuholen und zu thematisieren. Die Umsetzung dessen (und insbesondere den gewollten Ratgeber-Charakter) empfand ich überhaupt nicht als passend. Wie eine Person mit 3.000 YEN (umgerechnet knapp 20 EUR) umgeht, lässt - laut der Großmutter von Miho und Maho - Aussagen über die Persönlichkeit zu. Aus Sicht von verschiedenen Personen wird über Geld, den eigenen Umgang, Ziele und Wünsche an die eigenen Finanzen gesprochen. Ich finde dies in zahlreichen Passagen sehr konstruiert und dies geht zulasten der japanischen Familienstory, die der Roman parallel erzählen möchte.

Stellenweise hat mich der Roman zudem an die Personen aus dem Roman »BUTTER« erinnert, bei denen die Konstellation zwischen der Protagonistin und ihrem Partner von ähnlichen Konflikten bzw. Gedanken seitens der Protagonistin geprägt war: »Seine Worte hätten romantisch klingen können, wenn er sie nicht zur falschen Zeit und am falschen Ort ausgesprochen hätte. Jetzt, in diesem Moment, waren sie total unpassend. Miho starrte ihn konsterniert an, doch ihr Freund wandte den Blick ab.« (S.20) Auch hier: Sehr gut feministische Gedanken einzubauen, aber auch diese werden nicht richtig weiter verfolgt.

Das war nichts mit diesem Roman und mir. Ich habe mich sehr auf dieses Buch gefreut und hatte vielleicht auch einfach zu hohe Erwartungen? - kann sein. Nichtsdestotrotz konnte mich das Buch leider überhaupt nicht überzeugen. Die Spartipps finde ich fragwürdig und das Konzept sowie der Inhalt des Romans haben mich nicht begeistert. Keine Empfehlung von mir.

Abgesehen vom Inhalt des Buches finde ich es schade, dass so ein tolles japanisches Cover so eine schwache deutsche Darstellung findet. Die Maneki-neko (dt. Glückskatze) ist sehr klischeehaft und hat für mich auch wenig Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches.

Bewertung vom 27.04.2023
Als wir Vögel waren
Banwo, Ayanna Lloyd

Als wir Vögel waren


gut

»Als wir Vögel waren« ist das Debüt der trinidadischen, in London lebenden Schriftstellerin Ayanna Lloyd Banwo, übersetzt aus dem Trinidad-kreolischen Englisch von Michaela Grabungen. (Auf die Eigenheiten dieses Dialekts wurde in der deutschen Übersetzung verzichtet.)

Die Handlungen diese mystische Liebesgeschichte spielt sich in der fiktiven Stadt Port Angeles (die an Port of Spain erinnert) auf der karibischen Insel Trinidad ab und ist um eine mystischen Sage um die Corbeaux aufgebaut. Die beiden Protagonisten - aus deren Sicht die Geschichte abwechselnd erzählt wird - kommen aus sehr unterschiedlichen Gesellschaftsklassen: Yejide wächst in einem wohlhabenden, altehrwürdigen Matriarchat auf, bei dem sich die Macht und (spirituelle) Gabe mit dem Tod der bisherigen Mutter weitervererbt wird. Ihre Gabe und Aufgabe besteht darin, mit den Toten zu kommunizieren und diesen zu helfen, ihren Frieden zu finden. Rastaman Darwin darf sich aufgrund seines Glaubens, keinen Toten nähern, aber muss aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage, den vom Jobcenter angebotenen Job als Friedhofsgärtner und Totengräber auf dem alten Friedhof Fidelis annehmen.

Was passiert also, wenn ein Totengräber und eine Frau, die den Toten hilft, aufeinander treffen? Well … eine ganze Menge! Die Entwicklungen der beiden Protagonist:innen möchte ich an dieser Stelle auf keinen Fall vorwegnehmen.

»And maybe this is what it mean to be a man. Doing the things you never think you would have to do, making hard choice when the only thing in front you is hard choices.« Darwin



Die Autorin hat ein sehr eindringliches, atmosphärisches und bildhaftes Debüt geschrieben, das Realität und Mystik verschwimmen lässt. Es greift verschiedene Themen wie magischen Realismus, Traditionen, Liebe, Selbstbestimmung, Familie und Mutter-Kind-Beziehungen auf.

Da das Buch am Anfang zu großen Teilen aus der Sicht und Gedankenwelt von Darwin besteht, hatte ich das Gefühl Yejide weniger kennengelernt zu haben und insbesondere als eigenständigen Charakter unabhängig von ihrer Mutter, Tante und Großmutter. Auch das Erzähltempo steigert sich deutlich zum Ende des Buches #showdown und das Ende (inkl. Kirimi-Subplot) war mir zu plötzlich und unerwähnt. Insgesamt hätte ich mir zudem eine weniger idealisierte Liebesgeschichte gewünscht.

Insgesamt bin ich etwas unschlüssig, da ich das Setting in der trinidadischen Kultur und Tradition sehr spannend finde, die Umsetzung mich aber inhaltlich nicht ganz überzeugen konnte. So oder so bin ich aber sehr gespannt auf alles Weitere, was von Ayanna Banwo kommt.

Bewertung vom 26.04.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


gut

Leiser, einfühlsamer, melancholischer Roman über das Arbeitermilieu Wiens 1960/70

»»Es wird alles gehen, wie es soll«, sagte die Witwe. »Ich hab ein gutes Gefühl im Bauch.« - »Wenn Sie es sagen.« - »Ja, ich sage es. Man sollte sich immer ein bisschen mehr Hoffnung als Sorgen machen. Alles andere wäre doch blödsinnig, oder?«« (S.26)

Robert Seethaler’s neues Werk ist ein ruhiger, einfühlsamer, unaufgeregter und vielleicht stellenweise melancholischer Roman und Milieustudie der Wiener Arbeiterklasse und der ärmeren Gesellschaftsklassen. »Das Café ohne Namen« entführt die Leser:innen in das Wien der 1960er und -70er Jahre und dessen Arbeitermilieu.

Protagonist ist der Anfang 30-jährige Kriegswaise Robert Simon, der sich bislang mit Gelegenheitsjobs durch das Leben geschlagen hat, bis er sich entschließt das Café am Rand des Karmelitermarkts nahe des Paters in der Leopoldstadt zu pachten und mit neuem Glanz zu erfüllen. Wir begleiten Robert durch die Jahre seines Café und lernen mit ihm die verschiedenen Besucher:innen dieses »Café ohne Namen« kennen. »Das Café ohne Namen« ist keines der Kaffeehäuser der gehobenen Wiener Szene, sondern es ist ein einfaches Café, das von einfachen Leuten aufgesucht wird. Die Gäste sind Marktarbeiter:innen des angrenzenden Karmelitermarktes, Kartenspieler:innen, Trinker:innen, Kämpfer:innen, Eheleute und eben ganz normale Menschen. Was ist das Besondere an diesem Café und damit dem Roman? Es ist Robert Seethaler, der uns alle diese Besucherinnen durch Robert Simons Augen sehen lässt und wir sehen sowohl die schlechten/verwerflichen/lasterhaften/kaputten als auch die liebevollen/witzigen/zugewandeten Seiten dieser Schicksale und erkennen die Besucher:innen als das was sie sind: Menschen mit ihren jeweiligen Bedürfnissen, Wünschen, Träumen, Ängsten und Verwerfungen.

»Es ist gut, wie es ist, dachte er, man soll die Dinge zu Ende bringen, solange man noch Kraft hat, etwas Neues zu beginnen.« Robert Simon (S.272)

Dieser Roman ist kein Pageturner, kein großes Kino, keine Liebesgeschichte - oder vielleicht letzteres doch: Eine Liebesgeschichte an die Menschen, die viel zu häufig von der Gesellschaft übersehen werden und trotzdem Wichtiges tun oder es auch gar nicht müssen, weil das Leben auch anstrengend genug sein kann. Große Leseempfehlung für alle Fans von Robert Seethaler und diejenigen, die sich auf einen leisen und einfühlsamen Roman freuen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.04.2023
Irgendwann werden wir uns alles erzählen
Krien, Daniela

Irgendwann werden wir uns alles erzählen


sehr gut

»Doch da denke ich an mein eigenes Geheimnis und begreife, es gibt Dinge, die können gleich erzählt werden, andere haben ihre eigene Zeit, und manche sind unsagbar.« (Maria, S.111)

Der Bestseller Wende-Roman »Irgendwann werden wir uns alles erzählen« von Daniela Krien ist im Novemer 2022 in der Neuauflage mit einem Vorwort der Autorin im Diogenes Verlag erschienen und die Verfilmung ist gerade in die Kinos gekommen. 🎥 Es ist kein klassischer Wende-Roman - oder vielleicht gerade doch? -, beschreibt er die Unsicherheiten der Bürger:innen zum Ende der DDR, die Idealisierung der BRD und die Sorgen und Ängste der Menschen, wie es weitergeht nach dem Aus der sozialistischen Diktatur, die das Leben der Menschen stark bestimmt hat. Aufgrund der in den Vordergrund des Romans gestellten, beschriebenen Beziehung zwischen der 16 bzw. 17 jährigen Protagonistin Maria und dem 40-jährigen Nachbarn Henner besteht ein Diskurs um diesen Roman. Die Entwicklung der Liebe - aber auch Abhängigkeit - von Maria zum gleichaltrigen Johannes (und seiner Familie) und wenig später zu Henner ist Mittelpunkt dieses Romans. Maria fühlt sich hin- und hergerissen zwischen der Wahl-Familie basierend auf der Beziehung zu Johannes und ihrer entfachten Liebe zu Henner. Egal, wie man dies findet, es ist ein Roman, der in Erinnerung bleibt.

In die Sprache des Romans musste ich mich anfangs einlesen, aber der Erzählsog hat mich schnell gefesselt. Mich hat das Lesen des Romans mit ambivalenten Gefühlen zurückgelassen: Einerseits ist Daniela Krien eine wirklich großartige Schriftstellerin und diese fiktive Geschichte über Liebe und Abhängigkeiten von Männern (Hallo Patriarchat👋🏼🥵) ist zwar rein fiktiv - aber es wird sicherlich reale Beispiele aus dieser Zeit geben, die sich ähnlich ereignet haben. Andererseits schreit die Feministin in mir nach einem fiktiven Story, in der die Protagonistin ihren eigenen Weg findet und sich unabhängig von Männern macht. Nach diesem Roman muss ich definitiv auch die weiteren Bücher von Daniela Krien lesen.


[CN: Sexualisierte Gewalt]

Bewertung vom 04.04.2023
Nomaden der Ozeane - Das Geheimnis der Meeresschildkröten
Bagusche, Frauke

Nomaden der Ozeane - Das Geheimnis der Meeresschildkröten


ausgezeichnet

»Nomaden der Ozeane. Das Geheimnis der Meeresschildkröten« der Meeresbiologin und Autorin Frauke Bagusche ist ihr zweites (erzählendes) Sachbuch über Meereslebewesen. Nach ihrem Debüt »Das blaue Wunder« konnte mich ihr zweites Buch genauso begeistern. 🩵 (Noch mehr begeistern könnte mich nur ein Buch über Wale und/oder Delfine - just wanted to mention ☝🏼)

»Nomaden der Ozeane« hat mir sehr viel über die sieben verschiedene Arten von Meeresschildkröten gelehrt und staunen lassen. Beginnend bei der Entwicklungsgeschichte der Meeresschildkröten erläutert die Autorin die sieben Arten ausführlich, mit Zeichnungen und weiteren Visualisierungen im Bildteil des Buches, erklärt deren Lebenszyklus und -Wege sowie die Bedrohungen, denen diese tollen Lebewesen ausgesetzt sind. Alle 7 Arten werden auf der Roten Liste gefährdeter Arten der Weltnaturschutzorganisation geführt - die Gründe dafür sind leider - wie viel zu oft - menschengemacht: Jahrhundertelange Überfischung, Vereendung als Beifang, Zerstörung der Lebensräume, Bebauung der Niststrände, Umweltverschmutzung (insbesondere durch Plastik!) und Klimakrise, sowie Jagd für Trophäen, Schmuck oder aufgrund von Traditionen.

Ich war überrascht, die folgenden Dinge über Meeresschildkröten zu lernen:
🌊 Auch Meeresschildkröten können wie alle anderen Echsenarten, eine Kältestarre aufgrund von Temperaturunterschieden erleiden, was im Meer zusätzliche Herausforderungen birgt.

🐢 Meeresschildkröten können sich im Gegensatz zu Landschildkröten nicht bei Gefahr in ihren Panzer zurückziehen.

🤿 Die Dekompressionskrankheit (sog. Taucherkrankheit) kann auch bei Meeresschildkröten (insbesondere beim Fang in Netzen) auftreten.

🪼 Meeresschildkröten haben eine sehr wichtige Rolle für die Ökosysteme des Meeres aufgrund ihres Fressverhaltens: Bspw. fressen einige Arten Seegras während andere durch das Fressen von Schwämmen, quasi die Architekten von Korallenriffen sind und diese schützen🪸

🌏 Meeresschildkröten orientieren sich mit Hilfe ihres Magnetsinn.

♻️ Biofouling vergrößert die Chance, dass Meeresschildkröten Plastik fressen und darunter leiden bzw. sterben. Umso wichtiger, dass wir alle unseren Beitrag dazu leisten, dass weniger Plastik verschwendet wird und im Meer landet!

Ein wirklich sehr informatives, toll geschriebenes und interessantes Sachbuch über Meeresschildkröten, das ich sehr empfehlen kann. 🩵