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Benutzername: 
Emmmbeee
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Feldkirch

Bewertungen

Insgesamt 110 Bewertungen
Bewertung vom 02.10.2021
Wenn ich wiederkomme
Balzano, Marco

Wenn ich wiederkomme


sehr gut

Migrantin für ihre Familie

Eine Situation, die uns geläufig geworden ist: Eine rumänische Familie ohne Perspektiven, die Kinder sollen es einmal besser haben und studieren können. Der arbeitslose Vater verheißt großspurig, dass er das verfallene Häuschen zu einem Palast zurechtrenovieren werde, wenn er nur etwas Geld hätte. Die Mutter sieht als einzig lohnendes Einkommen eine Pflegetätigkeit in Italien und emigriert. Dass mit den nun fließenden Einkünften auch diverse Probleme entstehen, die der Familie bald über den Kopf wachsen, liegt auf der Hand.
Aus der Sicht des zurückbleibenden Sohnes Manuel, von Mutter Daniela und Tochter Angelica schildert Marco Balzano in drei Kapiteln die Auswirkungen der elterlichen Bemühungen um die Zukunft ihrer Kinder. Während Vater Philip bald mit dem Geld das Weite sucht, bleibt die Sorge um Manuel an Tochter Angelica und der Großmutter hängen. Daniela sendet ihren Lohn nach Hause, doch Dank erntet sie dafür nicht.
Es ist berührend, wie die Mutter ihrem Sohn im Koma von der harten Arbeit in Italien erzählt. Ihr gehört meine Sympathie. Die Kinder sind halt Kinder und können noch nicht gerecht urteilen. Tochter Angelica setzt sich jedoch selbstlos für ihren Bruder ein. Der Vater hingegen spielt eine jämmerliche Rolle: Erst ist er gegen eine Auswanderung seiner Frau, dann lässt er seine Kinder vollends im Stich.
Wir im sogenannten Westen nehmen gern die Dienste dieser Pflege-Migrantinnen in Anspruch und wissen doch so wenig über die Hintergründe. Aus den Erfahrungen von Freunden kann ich mir vorstellen, dass der Sachverhalt authentisch geschildert worden ist.
Unaufgeregt, aber eindrücklich erzählt Balzano vom erdrückenden Schicksal und der Not dieser Familie. Seine Sprache ist sehr plastisch, farbig, lebendig, die Spannung ist rasch aufgebaut und wird gehalten bis zum Schluss. Der Roman geht zu Herzen.
Das Coverbild zeigt eine Frau, die aus dem Dunkel in eine hellere Welt schaut: sinnvoll ausgewählt. Ich lege das Buch all jenen ans Herz, die um die schweren Entscheidungen dieser tapferen Frauen wissen, vielleicht schon ihre Dienste in Anspruch genommen haben. Aber auch allen anderen, die offen sich für die Problematik von Emigration und Familie.

Bewertung vom 14.09.2021
Wir für uns
Kunrath, Barbara

Wir für uns


sehr gut

Gemeinsam geht vieles besser

Zwei Frauen sind von heute auf morgen auf sich allein gestellt. Kathi verliert ihren Mann an den Tod, und Josie ihren heimlich Geliebten wegen ihrer Schwangerschaft. Bengt ist nämlich verheiratet, bereits Vater und will von einem weiteren Kind nichts wissen. Doch Josie will seinem Rat, abzutreiben, nicht folgen, auch wenn das Baby möglicherweise wie ihre Schwester mit Handicap geboren wird.
Die beiden Frauen treffen aufeinander und merken bald, dass sie einander gut tun und gemeinsam viel bewegen könnten. Doch noch gibt es viel zu überwinden, vor allem Vorurteile, die eigenen und die der anderen. Es geht in diesem Roman um Verantwortung, Entscheidungen, Toleranz, Ehrlichkeit und um das Größte: die Liebe.
In meinen Augen ist Barbara Kunrath eine hervorragende Erzählerin. Sie setzt das Thema glaubhaft und lebensnah um. Leichtfüßig berichtet sie von schwierigen Situationen, von Sprachlosigkeit und ihrer Überwindung, von Müttern und ihren Kindern, vom Leben, von Ängsten und Schicksalsschlägen. Und wie wir über uns hinauswachsen können, wenn wir es nur wollen.
Das schlicht gehaltene Cover ist beileibe kein Eyecatcher, doch mir gefällt es, weil es die Ruhe ausstrahlt, die letztlich angestrebt wird. Die sympathischste Person ist zweifellos Josie, doch auch Kathi kann ich gut verstehen und mit ihr fühlen. Nicht alle Männer sind so deutlich gezeichnet wie Bengt. Vor allem habe ich mehr erwartet über den ehemaligen Freund von Kathis Sohn Max, der Interesse an Josie zeigt.
Das Buch würde ich allen Menschen empfehlen, die Menschen und ihre Schwierigkeiten zu verstehen suchen.

Bewertung vom 08.09.2021
Der Panzer des Hummers
Minor, Caroline Albertine

Der Panzer des Hummers


weniger gut

Zäher Panzer

Nachdem die Eltern Charlotte und Troels Gabel gestorben sind, hat es ihre drei Kinder Niels, Sidsel und Ea in verschiedene Teile der Welt verschlagen. Jeder geht seinen eigenen Weg, mehr oder minder erfolgreich, sie sind einander nur in lockerem Kontakt verbunden. Doch können sie sich nicht mehr länger aus dem Weg gehen, da sie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert werden. Die Schwierigkeiten beginnen…
Wenn ich ein neues Diogenes-Buch sehe, tritt ein gewisser Will-haben-Effekt bei mir ein, und ich freue mich aufs Lesen. Bei „Der Panzer des Hummers“ wurde ich aber rasch enttäuscht.
Zu Beginn versucht die verstorbene Mutter, aus dem Jenseits mit ihren Kindern zu kommunizieren. Dies verdeutlichen die kursiv gesetzten Kapitel. Dann wird aus der jeweiligen Sicht ihrer Kinder und anderer Personen aus deren Leben erzählt. Besonders sympathisch war mir keiner von ihnen.
Es gibt einige kluge Passagen, sogar philosophische Stellen. Dank des unbedingt notwendigen Personenregisters gewann ich zwar bald eine Übersicht, doch – nun ja, das Geschehen langweilte mich über weite Strecken. Und nachdem ich knapp drei Viertel des Romans mühsam hinter mich gebracht hatte, mochte ich nicht mehr weiterlesen.
Den Schreibstil finde ich eher farblos, der Spannungsbogen erinnert mich an eine Slackline, auf der die drei Lebenskünstler wacklig balancieren. Lange Absätze erschweren die Konzentration, das Hin und Her der Personen wirkt anfangs auch verwirrend. Wenn man ständig zum Personenregister zurückblättern muss, kann einem das schon abturnen.
Immerhin ist es der erste Roman von Caroline Albertine Minor, sie wird bestimmt an weiteren Werken wachsen. Ich empfehle dieses Buch Menschen mit einem ähnlichen Lesegeschmack wie ich und Einschlafschwierigkeiten. Tut mir leid.

Bewertung vom 04.09.2021
Barbara stirbt nicht
Bronsky, Alina

Barbara stirbt nicht


sehr gut

Weiter so, Walter!
Der verheiratete Rentner Walter ist plötzlich auf sich allein gestellt. Doch ist er nicht zum Witwer geworden, denn seine Frau Barbara hat einen Schlaganfall erlitten. Sie, die doch immer alles gemacht hat, muss nun versorgt werden, denn sie will nicht ins Krankenhaus, und er will nichts von der Schwere ihrer Krankheit wissen. Die Herausforderungen sind für Walter nicht gering, doch allmählich wächst er über sich hinaus. Allmählich erkennt er auch, wie perfekt, verlässlich und bescheiden seine Barbara war und ist.
Mich hat dieses Männerbild nicht erstaunt, denn gerade bei der älteren Generation habe ich ähnliche Profile beobachtet. Auch wenn Alina Bronsky die Menschentypen gern überzeichnet, hier hat sie die Realität dargestellt. Zum Glück hat sich vieles geändert, und die jüngeren Männer sind keine solchen Paschas mehr.
Bronsky setzt das Alltagsgeschehen der Familie so um, wie es nun einmal stattfindet. Ihr Sprachstil passt hervorragend dazu: kein Wort zu viel, alles wird deutlich beschrieben, unprätentiös, lebensnah, farbig, zu Herzen gehend. Auch das Tempo ist erfreulich, die Spannung besteht von der ersten Seite an.
Meine Anteilnahme gilt natürlich Barbara, aber auch Walter gewinnt immer mehr an Sympathie, denn er bemüht sich redlich. Was man von vielen Männern, deren Frauen erkranken, nicht behaupten kann.
Das Cover mit dem überquellenden Filterkaffee könnte stimmiger nicht sein. Das Bild strahlt aber auch die Sauberkeit aus, die Barbara im Haushalt einst geschaffen hat und die nun Walter ebenfalls anstrebt.
Seit „Scherbenpark“ lese ich alle Bronsky-Bücher mit Begeisterung. Dass ein Autor schwierige Situationen so authentisch darstellen kann, bedingt eigene Erfahrungen, und die sind der im asiatischen Teil Russlands geborenen Alina Bronsky nicht abzusprechen. Mich freut jeder Preis, der ihr zuerkannt wird, und ich warte jetzt schon auf ihr nächstes Buch.
Empfehlen möchte ich den Roman vor allem jenen Leserinnen und Lesern, die sich von ihren Vorurteilen nur schwer lösen können.

Bewertung vom 30.08.2021
Der Kolibri - Premio Strega 2020
Veronesi, Sandro

Der Kolibri - Premio Strega 2020


weniger gut

Für mich fast ungenießbar

Eines gleich vorweg: Das Bild des eindrücklich schwirrenden Vogels auf dem Cover besticht, auch durch die Farbe des Hintergrundes. Die dünn und zerbrechlich gestaltete Schrift passt ebenfalls ausgezeichnet zum Thema.
Mit viel Erwartung ob der Vorschusslorbeeren auf dem Schutzumschlag habe ich den Roman begonnen. Doch schon bald ertappte ich mich beim Querlesen. Selbst in der Hälfte des Textes hatte ich noch immer nicht so recht in die Story hineingefunden. Vielleicht liegt es an den seitenlangen Absätzen, vielleicht an der häufigen Langatmigkeit oder den ständigen Zeitsprüngen, die sich über 60 Jahre hinweg erstrecken. In endlos langen Sätzen habe ich mehrmals den Faden verloren. Ich finde, die angekündigten Anekdoten hätten leichtfüßiger daherkommen sollen.
Der Sprachstil lässt nichts zu wünschen übrig, Sandro Veronesi ist zweifellos ein Meister seines Genres. Die Figuren sind sehr lebensecht gezeichnet. Doch ich konnte mich einfach nicht für das Buch erwärmen und habe mich nur mit Mühe durchgekämpft. Gut, dass vergleichsweise wenige Personennamen zu merken sind, denn sonst hätte ich den Überblick auch noch verloren.
Thematisch ist der Stoff interessant für mich, weil in diesen Familiengeschichten meist auch ein Teil meiner eigenen Vergangenheit zu finden ist.
Seit meiner Kindheit bin ich eine Vielleserin, komme auch mit schwierigeren Texten klar und bin grundsätzlich geneigt, einen Roman zu loben. Aber diese 335 Seiten waren ermüdend. Ich habe aufgeatmet, als ich bei den Nachweisen angelangt war.
Bisher habe ich noch nichts von Veronesi gelesen, vielleicht muss man seine Werke und seine Art zu schreiben gewohnt sein. Doch leider bin ich enttäuscht und möchte das Buch nicht weiterempfehlen.

Bewertung vom 13.08.2021
Löwenherzen
Neitzel, Gesa

Löwenherzen


gut

Quer durch die Wildnis
Zwei junge Leute, noch nicht lange ein Paar, reisen durch Sambia, Namibia, Botswana und Simbabwe. Zum Ranger ausgebildet, möchte die Berlinerin Gesa Neitzel zusammen mit ihrem australischen Partner Frank ein neues Leben beginnen. Begleitet werden sie nur vom Landrover Elli, in dessen Dachzelt sie schlafen.
Sie träumen davon, ebenfalls Safaris anzubieten und ein wildes Leben zu führen. Gemeinsam begegnen sie teils gefährlichen Situationen und erproben ihre neue Partnerschaft. Vieles ist noch in der Schwebe, gar, als Corona ausbricht und sie ausgebremst werden.
Da jederzeit neue strenge Maßnahmen zu befürchten sind, ist die Reiselust momentan nicht sehr groß. Drum freut sich der Leser über Sachbücher, die ihm die Reiseziele auf anderen Wegen näherbringen. Noch dazu, wenn sie reich an Fotos sind, in diesem Fall hauptsächlich von den Tieren der afrikanischen Wildnis. Das Coverbild mit dem Foto der beiden passt stimmig dazu.
Ich finde, dass man vor Antritt einer Reise in völlig andere Kulturen und Erdteile Berichte wie den vorliegenden lesen sollte, um ein wenig vorbereitet zu sein und nicht aus Unwissenheit Fehler zu begehen. Das Buch gibt viel Einblick in die Tierwelt und die damit verbundenen Probleme, auch in die Anfänge der Beziehung zwischen Gesa und Frank. Safaris werden in ein neues Licht gerückt.
Ein flüssig geschriebenes Road Movie, ohne Zweifel. Die Gender-Gerechtigkeit wurde allerdings etwas unbeholfen gehandhabt und baut in den Lesefluss unnötige Stolpersteine ein. Schade!
Was ich ein wenig vermisst habe, sind die Bezüge zur einheimischen Bevölkerung. Dafür war im vergleichsweise schmalen Bändchen wohl nicht genügend Platz. Insgesamt der gut durchwirkte, unterhaltsame Bericht einer Kennerin, die gemeinsam mit ihrem Partner Botswana, Namibia, Sambia und Simbabwe bereist hat.
Die Reise sollte wohl wie ein Traum rüberkommen, und das tut sie weitgehend auch. Drei afrikanische Länder kenne ich selbst ein wenig. Wie ein Traum kam mir der Aufenthalt in keiner Region vor, deshalb fand ich die geschilderte Romantik ein wenig übertrieben.
Die Figuren selbst ließen an Authentizität nichts zu wünschen übrig. Für mich war interessant, inwieweit sich meine Erfahrungen mit den geschilderten decken. Was das betrifft, fand ich nicht viele Gemeinsamkeiten.
Drum empfehle ich den vorliegenden Band allen, die Afrika ein wenig kennen. Ihnen eröffnet sich möglicherweise eine andere Sichtweise.

Bewertung vom 10.08.2021
Harlem Shuffle
Whitehead, Colson

Harlem Shuffle


sehr gut

Under pressure

Der Druck durch Schwiegereltern kann groß sein, denn man will durch ihre Enttäuschung nicht an Wert verlieren in den Augen der eigenen Frau. Ray Carney ergeht es ebenso, ohne zwielichtige Geschäfte kann er seiner Angetrauten nicht den Standard bieten, den sie gewohnt ist. Als Sohn eines schwarzen Ganoven trägt er ohnehin schwer an seiner Herkunft. Trotz aller Bemühungen, seriös zu bleiben, kommt es zu Schwierigkeiten mit Gangstern und Polizei, und sein Doppelleben droht aufzufliegen. Und wenn da nur nicht Freddie wäre, der ihn in einen kriminellen Coup gezogen hat!
Man kann sich einfühlen in Rays Innenleben, möchte ihm helfen, ihn in seinen Bemühungen unterstützen. Er scheint ständig zu scheitern, und wenn er sich auch noch so anstrengt. Endlich gleichwertig zu sein mit seinen Elite-Schwiegereltern, das ist sein Traum.
New Yorks Stadtteil Harlem in den Sechzigerjahren besitzt einen romantischen Bonus, obwohl es darin genauso hart zugeht wie in der übrigen Stadt. Der tägliche Einsatz dafür, dass die Familie es besser haben soll als der Protagonist in seiner eigenen Jugend, ist für Ray zermürbend. Zum Kampf mit der Exekutive kommen noch Korruption, Drogen und mafiöse Gruppen. Das macht es für ehrliche Leute fast unmöglich, zu überleben, ohne kriminell zu werden.
Ich war noch niemals in New York, kann mir aber gut vorstellen, dass sich das Leben dort genauso abspielt, wie Colson Whitehead es beschreibt. Der Autor baut Bezüge zum aktuell stattfindenden Rassismus ein, und nebenbei erfährt man noch dies und das über Möbel. Harlem Shuffle ist ein Stück Zeitgeschichte und ein Spiegel der Sechzigerjahre-Gesellschaft.
Die Handlung spielt auf drei Zeitebenen. Weil dabei jeweils die Vorgeschichte einer anderen Figur beleuchtet wird, gewinnt der Leser einen tiefen Einblick in die Zusammenhänge. Ein wenig verwirrend sind für mich die vielen ineinandergreifenden Nebenfiguren, dieses Geflecht erhellte sich erst allmählich.
Mir hat schon vorher Whiteheads Schreib- und Erzählstil gefallen. Auch im vorliegenden Roman schildert er wieder sehr lebensnah und mit viel Lokalkolorit die Geschehnisse. Das Buch bleibt farbig, pulsierend und spannend bis zum Schluss. Ich habe es in zwei Tagen ausgelesen.

Bewertung vom 06.08.2021
Ich hätte da was für Sie
Cordes, Vera

Ich hätte da was für Sie


sehr gut

Brauchbare Anregungen

Die Ankündigung, selbst und ohne großen Aufwand etwas gegen Arthrose Schmerzen zu unternehmen, hat den Anstoß dazu gegeben, dass ich dieses Buch bei Vorablesen gegen meine Punkte eingelöst habe. Bereits am nächsten Tag habe ich die angegebenen Gewürze gemischt und sie mir seither verabreicht. Auch andere Kapitel und Themen interessieren mich, das eine oder andere kann ich jetzt schon gebrauchen.
Doch geht es im Ratgeber „Ich hätte da was für Sie“ nicht nur um bestehende körperliche Beschwerden, sondern auch um die Vorbeugung derselben und um das geistige und seelische Wohl. Kneippen, Balance, Stimm-Modulation, der Wert von Medikamenten und Placebos werden in gefälligen Dosen erörtert.
Vera Cordes hat mit diesen Tipps und Anregungen eine Auswahl getroffen aus den Themen, mit denen sie es im Rahmen ihrer medizinischen Moderatorentätigkeit zu tun bekam. Teilweise hat sie die Empfehlungen selbst ausprobiert und berichtet von ihren eigenen Erfahrungen und den Rückmeldungen ihrer Zuseher.
In erfrischendem Stil, angereichert mit persönlichen Meinungen und Nebenbemerkungen, präsentieren sich die Tipps in lockerer, bunter Folge. So gesehen ist das Foto der Autorin auf dem Cover sehr passend. In reines Ärzte-Weiß gekleidet wirkt sie kompetent und glaubhaft. Ganz bestimmt werde ich ab jetzt nach ihrer TV-Sendung „Visite“ im NDR Ausschau halten. Das Buch selbst ist handlich und von etwas kleinerem Format, mit unempfindlicher Oberfläche, sodass es nicht so schnell abgenutzt ist, wenn man es häufig aufschlägt.
Ich empfehle es für alle, die für ihr Wohlergehen selbst etwas tun möchten, besonders für Menschen ab einem mittleren Alter.

Bewertung vom 05.08.2021
Die Überlebenden
Schulman, Alex

Die Überlebenden


ausgezeichnet

Von Ende bis Anfang

Schritt für Schritt zurück in die Vergangenheit, durch 20 Jahre hinweg, so geht es im Roman „Die Überlebenden“ von Alex Schulman. Die Brüder Benjamin, Pierre und Nils treffen sich im Sommerhaus am See, um die Asche ihrer verstorbenen Mutter zu verstreuen. Allmählich werden Erinnerungen wach, in denen sich der Leser der Familie annähert. Etwas Furchtbares muss geschehen sein, dass sie vor solchen Barrieren stehen. Auch die Liebe der Eltern, insbesondere der Mutter gibt große Rätsel auf. Erst auf den letzten Seiten lüftet sich der Schleier und gibt etwas so Grauenhaftes frei, dass ich mir gewünscht habe, es besser nicht gelesen zu haben.
Vergleichbar dem rechten und dem linken Fuß beim Rückwärtslaufen gibt es zwei Erzählspuren: die Gegenwart nach dem Tod der Mutter und die Vergangenheit, die in kurzen Episoden aufgedeckt wird, bis hin zur Auflösung der bislang verheimlichten Tragik. Der Abschiedsbrief der Mutter setzt mit Wucht den Schlusspunkt.
In diesem erschütternden Werk hat Schulman viel Autobiografisches verarbeitet. Indem er die Handlung rückwärts erzählt, wird notgedrungen manches wiederholt. Erst fand ich das langweilig, doch schon bald konnte ich mich dem Sog nicht mehr entziehen, denn da wichtige Passagen doppelt erzählt werden, wirken sie intensiver und lassen vieles ein wenig besser verstehen.
Der Text wird zusätzlich von Musik angereichert, die als Soundtrack aufgelistet ist im Lesejournal. Jawohl, ein solches liegt dem Buch bei. Hier kann der Leser Zitate und persönliche Eindrücke festhalten, Reflexionen über die Personen erstellen, ähnliche Erlebnisse aufschreiben. Eine weitere Beigabe sind drei Anstecker mit den Aufschriften „Überstanden“, „Überdenken“, „Überleben“.
Diese Familiengeschichte ist be-, aber nicht niederdrückend, denn solche Geschichten gibt es zuhauf, auch wenn sie meist verschwiegen werden. Die Charaktere sind sehr gut gezeichnet, das Lokalkolorit deutlich geschildert, der Sprachstil flott, lebendig, flüssig. Den Roman würde ich allen empfehlen, die gern unter die Oberfläche sehen.

Bewertung vom 15.07.2021
Mein Sternzeichen ist der Regenbogen
Schami, Rafik

Mein Sternzeichen ist der Regenbogen


sehr gut

Viel Freud, viel Leid

Was uns Rafik Schami in seinem neuesten Werk zu lesen gibt, ist bunt wie der Regenbogen im Titel. Insgesamt 27 Geschichten zu sechs übergeordneten Themen beinhalten eine Welt zwischen Orient und Okzident. Es geht um Heimat, Flucht, Leben in der Diaspora bzw. in der neuen Heimat, den Spagat zwischen Ost und West, Missverständnisse, Integration, Partnerschaft, Toleranz, Korruption, Ehe und Partnerschaft. Die Geschichten sind ebenso lustig wie tieftraurig. Ohne jeden Zweifel hat der Autor so viel erlebt wir kaum ein zweiter und kann aus eigener Erfahrung berichten.
Doch kein einziges Mal kommt Larmoyanz auf. Sogar das allergrößte Leid wird mit einer Leichtigkeit erzählt, die dennoch die Schwere der Fakten nicht unter den Teppich kehrt. Schamis heitere Sprache, sein Witz und seine intelligenten Betrachtungen gestalten das Lesen zu einem Abenteuer, zu einer Reise in die jüngste Vergangenheit und Gegenwart. Vor allem verhelfen die Erzählungen zu mehr Verständnis und Wissen, was sich tut in der Welt der Flüchtlinge, hinter den Fassaden der neuen Staaten und in deren Ämtern.
Ein Pflichtbuch für alle, besonders für jene Leser, die nicht gern hören oder lesen, was sich vor ihren gut zugesperrten Toren tut.